Fred Keil Notizen zur Erkenntnistheorie 3   Nr.241   2001
             Kunst
             Menschliche Kultur beginnt zeitgleich mit der Entstehung
             der Kunst. Definitorische Grabenkämpfe sind wenig
             erfolgreich, zu Vieles verschwimmt im Nebel der Vor-
             geschichte. Die Betrachtung sozialer Zusammenhänge in
             Verbindung mit der Kunst erhellt Einiges:
             Kulturelle Leistungen beginnen mit der freiwilligen,
             "motovierten" Tätigkeit der Urmenschen oder Frühmenschen
             beim Sammeln, Jagen und der Gestaltung der Lagerplätze.
             Sie verlangen ein Empfinden und ein Gefallenfinden
             an Lernen, Verständigen und Produzieren von nicht unmittel-
             bar genießbaren Produkten. So wird in der organisierten Jagd
             das Wild zerlegt und ins Lager gebracht. Der gemein-
             schaftliche Hütenbau, reihum geleistet für die jeweils
             bedürftigen Mitglieder des Stammes, führt ebenso zu nicht
             sogleich genießbaren Produkten.
             Die Verzögerung der Befriedigung, die damit einhergehende
             Welt von Vorstellungen und Projektionen schafft die
             psychosomatische Grundlage für die Kunstproduktion.
             Diese beginnt mit der Produktion zugleich, steckt aber
             anfänglich noch als integraler Bestandteil der Gebrauchs-
             produkte nahezu unsichtbar in diesen. Die Freude über
             die gelungene Erstellung einer Hütte, einer Axt, eines
             Bogens ist bereits auch Kunstgenuß. Konsequenterweise
             treten bereits auf dieser Stufe künstlerische Attribute
             im engeren Sinne auf: spielerische Formgestaltung, symbol-
             isches Beiwerk, rituale Bedeutung usw. Hierhin gehört
             auch die Sprachentwicklung, die im melodischen Aspekt,
             dem Vorläufer des Gesanges ebenfalls Kunstgenuß vermittelt.
             Tiefenpsychologisch ist Kunstgenuß die Befriedigung
             elementarer Triebe mittels erlernten Triebregulierungen,
             Tätigkeiten und Hilfsmitteln. Die Skulptur, die Zeichnung
             aber auch der geschwungene Axtstiel sind den Attributen
             usprünglicher Triebobjekte nachempfunden und ähnlich wirksam
             wie die älteren Triebobjekte selbst. Daher sind viele Dar-
             stellungen früher Kunst ästhetisch-sexueller Art oder wie
             manche Fratzen aggressiver Natur. Aber die Differenzierung
             und Aufsplitterung der elementaren Triebe führt zu neuen
             Arten der Befriedigung, die im Wesentlichen der sogenannten
             "Vorlust" und den Befriedigungen der "Partialtriebe"
             gleichen.
             Prinzipiell bildet sich in der Vorgeschichte bereits jener
             Prozeß heraus, der in spätkultureller Trieberschlaffung
             und dem Absterben ganzer Populationen seinen Abschluß findet.
             Gelegentlich ist davon die Rede, daß der Mensch Kunst
             braucht um zu Leben. Bei Betrachtung der Langeweile, die
             mit zunehmendem Wohlstand ebenso zunimmt, erscheint dies
             plausibel. Aber diese Auffassung greift zu kurz.
             Kunst ist völlig integriert ins menschliche Leben. Selbst
             Denken ist stets auch ästhetische Produktion, die zugleich
             notwendig und nützlich sein kann. Aber es ist so selbst-
             verständlich geworden, die Höhe sprachlicher Konstruktion
             zu erreichen, daß der ästhetische Aspekt gar nicht mehr
             jederzeit sichtbar ist. Es geht nicht um Gedichte, die
             zur Gruppe der Artefakte gehören, die eine Sondererscheinung
             ästhetischer Produktion sind. Die Artefakte insgesamt sind
             nur der sichtbare und scheinbar domonierende Teil von Kunst.
             Die Produktion, zumal die industrielle, aber vor allem und
             in erster Linie Denken und Vorstellungen sind Kunst-
             produktion. Insofern ist es erklärbar, daß in rückschritt-
             lichen Epochen immer zugleich beide Kunstbereiche rück-
             läufig sind: Denken, Wissenschaften, Vorstellungswelt und
             Artefakte sind betroffen.
             Was in oberflächlicher Sichtweise heute als Kunst ver-
             standen wird, ist keineswegs das Wesentliche an Kunst.
             Wo Kunst auf Skulptur und Malerei verkürzt wird, ist
             Unwissenheit im Spiel über das kunsthafte und artifizielle
             des menschlichen Lebens, das spätestens seit der Epoche der
             Höhlenmalereien der Steinzeit so beschaffen ist.
             Freude an der Kunstproduktion findet sich bereits im
             Tierreich. Wenn Adorno betont, daß die Vögel nicht singen
             um zu singen sondern lebenswichtige Signale senden, so
             unterliegt er ebenfalls der bürgerlichen Scheidung
             in Arbeit und Luxus, die bei genauer Betrachtung nicht
             haltbar ist. Gewiß singen die Vögel um zu singen. Das
             Signal ist keineswegs allein Notwendigkeit, wie auch
             die gesammte Evolution nicht allein als Notwendigkeit
             erklärbar ist. Der Darwinismus, von Nietzsche zu Recht
             als Theorie der Armut bezeichnet, verdeckt mit seiner
             Insistenz auf Not und Auslese die Verflochtenheit des
             Lebenskampfes mit Lebensfreude, diese ist so alt wie jene.
             Dualität, Bewegung usw.
             Das Prinzip der Dualität tritt in einer spezifischen Form
             ständig auf:
             Wir erfahren Bewegung am Festen und Festes an der Bewegung.
             Wie selbstverständlich wird davon ausgegangen, daß das Feste
             der Träger aller wesentlichen Prozesse und Erscheinungen ist.
             Es heißt: Ein Stoff hat diese und jene "Eigenschaften".
             Diese realisieren sich im Rahmen von "Naturgesetzen".
             Umgekehrt könnte aber angenommen werden, daß die Bewegung
             der Träger aller Prozesse ist und das Feste ein notwendiges
             Produkt der Bewegungen. Die "Naturgesetze" stehen nirgendwo
             manifestiert, eine "Natur" gibt es nur als Bereich von
             etwas, das Außerhalb menschlicher Produktion steht. Aber es
             ist der Prozeß von Bewegungen, der durch scheinbare
             Wiederholungen "Gesetze" vorspiegelt, so wie das Volumen eines
             Atoms durch die Bewegungen seiner Teile vorgespiegelt wird.
             Das kosmologische Modell des "Urknalls" weist ebenfalls
             in diese Richtung: Der Urzustand des Universums wird gedacht
             als eine superheiße Zone, die keinerlei feste Formen
             besitzt. Während des Urknalls dehnte sich diese Zone
             explosionsartig aus und kühlte sich mit der Zeit und Aus-
             dehnung ab. Feste Materie in Form von Uratomen bzw.
             Urbausteinen kondensierte dabei heraus. Zugleich
             setzten Gravitationskräfte ein, die zur Verklumpung der
             Urmaterie führten und die Quasare und Galaxien hervor-
             brachten. Mikrokosmisch enstanden Systeme von Bausteinen, die
             sich ständig in Wandlungen befinden und in zwei verschiedenen
             Modellen in der Physik dargestellt werden: als Korpuskel und
             als Welle. Sie erhalten ihre Strukturen teilweise sehr lange,
             so daß aus ihnen weitere und größere Strukturen sich bilden
             können, die Galaxien und Sternensysteme aber auch die
             kurzlebigen Organismen. Während dieser enorm langen Lebens-
             dauer der elementaren Bausteine bleiben sie in Bewegung und
             Wandlung, sie sind nichts "Festes" und Ruhendes.
             Das "Gedächtnis" der Bewegungen und Strukturen, die
             "Naturgesetze" einmal so aufgefaßt, kann in zwei
             Arten erscheinen: Einmal als sedimentierte Speicher, ver-
             gleichbar den relativ ruhenden Magenetstrukturen einer Fest-
             plattenbeschichtung, die in Bitfolgen die Informationen
             dauerhaft festhalten. Zum Zweiten in der Struktur der
             wiederkehrenden Bewegungen und Wandlungen, die möglicherweise
             langlebiger als die "festen" Speicher sind. Diese Form der
             Speicherung in der Bewegung, bzw. in der Energie ist
             technologisch nicht genutzt aber im Universum vielleicht die
             entscheidende.
             Geordnete Bewegung und Wandlung kann als eine gepulste,
             periodisch wiederkehrende auftreten. So hat die Umlaufge-
             schwindigkeit der Elektronen um den Kern eine bestimmte
             Geschwindigkeit, bestimmte Abstände zum Kern und bezogen auf
             die Wiederkehr eines Elektrons an einem Ort eine "Frequenz".
             Die Elemente haben je unterschiedliche Elektronenzahlen
             und Kernbausteine.
             Damit bilden sich Eigenschaften und Individualitäten heraus.
             Sie haben mindestens durch die scheinbar stabilen Elemente so
             etwas wie eine "Selbsterhaltungstendenz." Ob diese Vorläufer
             der "Selbsterhaltungstriebe" sind ist spekulativ.
             Bezogen auf die Frage, worin Leben sich von nichtlebender
             Materie unterscheidet:
             Wo setzen lebende Strukturen ein und wie ist ihr "subjektiver"
             oder "wollender" Kern aufgebaut ?
             Bezogen auf die Annahme einer prinzipiellen Gleichheit von
             lebender und nichtlebender Materie:
             Wo sind auf ältester und kleinster Stufe der kosmischen
             Strukturen lebende Zonen zu erkennen ?
             Scheinproblem
             Der Gegensatz zwischen lebender und nichtlebender Materie
             könnte ein Scheinproblem sein, welches sich aus einer
             älteren menschlichen Kulturstufe ableiten läßt, in der
             es nützlich war, eine Unterteilung der Objekte in lebende
             und nichtlebende vorzunehmen.
             Frage: wo liegt heute die Nützlichkeit von Unterscheidungen ?
             Was ist Bewegung ?
             Bewegung ist nur vorstellbar als Bewegung von Körpern oder
             körperhaft gedachten Strukturen, wie Wellenbewegungen.
             Das heißt die Körper ändern ihre Positionen zueinander
             innerhalb einer definierten Zeitstrecke.
             Subjektive Perspektive in den Kategorien
             Natur steht außerhalb menschlicher Produktion, sofern dies
             unter objektiver Perspektive gesehen wird.
             Unter subjektiver Perspektive ist die Wahrnehmung von
             Natur zugleich Produktion des Subjekts in Gestalt
             subjektiver Vorstellungen. Da aber in subjektiver
             Perspektive alle objektiven Kategorien in subjektive
             Produktionen umgewandelt erscheinen, sind diese Vor-
             stellungen zugleich identisch mit der Objektivität. In der
             Tat gibt es Natur nicht außerhalb menschlicher subjektiver
             Konstruktion von Natur. Gleichwohl "gibt" es etwas außerhalb
             der Konstruktion Stehendes, denn offensichtlich muß
             eine Zeitstrecke, etwas das vor jeder Menschheit entstand,
             angenommen werden. Notwendig ist dieses Außerhalb unbestimmt.
             In dem Moment da es bestimmt wird, unterliegt es der
             subjektiven Perspektive.
             Dennoch ist keinerlei Beliebigkeit in der Konstruktion
             denkbar, die konstruierte Objektivität verhält sich wie
             determiniert und kausal. Es ist nicht möglich, an die Stelle
             der "richtigen" Modelle der Welt andere zu setzen.
             Jedenfalls dann nicht, wenn die Produkte funktionieren, bzw.
             das Überleben der Generationenlinie erreicht werden sollen.
             Eine Maschine erlaubt kein Spiel mit Kategorien.
             Es ist aber das historisch gewordene Subjekt selbst, welches
             sich in der Objektivität manifestiert und konstruiert.
             Seine historisch gewordene Stabilität konstruiert die ver-
             läßliche Objektivität. Insofern sind Beide eins: Subjekt ist
             zugleich Objekt.
             Entstehung von Quarks aus dem "Nichts", das "Nichts" vor
             dem Urklall und das "Nichts" jeneseits des Univesums usw.
             Alle diese Modelle und Vorstellungen sind Ausdruck von
             Grenzfunktionen. Sie zeigen die Grenze des Subjekts an
             seiner Peripherie, seiner Welt der Objekte. Deutlich wird,
             daß Objekt nur für das Subjekt ist.
             Die Paradoxie des Fichteschen Stuhls zeigt die Schwierig-
             keit, im fortgeschrittenen Stadium des entwickelten Bewußt-
             seins die konstituierende Wirkung des Subjekts zu erkennen.
             Fichte heißt es, habe einem Freund gesagt, er hätte gerade
             diesen Stuhl erzeugt. Gemeint war damit, daß die Wirklichkeit
             durch den Menschen hervorgebracht wird, und insofern also auch
             der Stuhl hier in diesem Moment erzeugt wird. Natürlich
             erscheint diese Position absurd. Aber es ist zu erinnern,
             daß in der modenen Physik absurde Aussagen längst akzeptiert
             worden sind, wie etwa die Relativität der Zeit und die
             Massezunahme bewegter Objekte nahe der Lichtgeschwindig-
             keit.
             Die Doppeldeutigkeit des "Ich habe produziert", verdunkelt
             den Zusammenhang. Das Ich ist einerseits individuell und
             vermag daher "willkürliche" Entscheidungen zu treffen.
             Andererseits ist es Exemplar der Menschheit in der Geschichte.
             Die Philosophie hat sich stets mit dieser Doppelheit ab-
             gemüht. Als individuelles Ich ist die Produktion des Stuhls
             absurd und unzutreffend. Denn dieses individuelle Ich des
             Fichte vermag den Stuhl nur dann zu produzieren, wenn es sich
             handwerklich betätigt. Da der Stuhl aber bereits vom Tischler
             produziert gewesen war, war auch diese individuelle Produk-
             tion abgeschlossen. So gesehen war der Fichtesche Satz falsch.
             Aber das Ich als Exemplar der Menschheit ist zugleich stets
             das Ich welches Wirklichkeit hervorbringt sowohl in
             historischer als auch aktueller Dimension. Dieses über-
             individuelle gleichwohl nur virtuell existierende Ich hat
             diesen Stuhl tatsählich hervorgebracht.
             Das virtuelle Ich ist im individuellen Ich konkretisiert,
             aber nie vollständig. Interessant ist das Gedankenspiel,
             was wäre wenn die Menschheit bis auf ein Individuum aus-
             gestorben wäre. Das individuelle Ich fiele mit dem virtuellen
             Ich zusammen.

             Bewegung und Zeit
             Zeitabläufe werden aus Vergleichsprozessen gebildet, in
             denen relativ Festes zu relativ Bewegtem gemessen werden.
             Das Gegensatzpaar Materie - Enmergie resultiert aus dieser
             Zeit- Raum- Konstruktion.
             Da aber alles in Bewegung sich befindet, löst sich der Zeit-
             begriff auf in einen dimensionslosen Punkt: den Augenblick.
             Naturgeschichte als Prozeß
             Ausgehend vom Urknall sind Bewegungen untrennbar gebunden
             an Bewegtes also "Teile" bzw. relativ zum Bewegten etwas
             andersartig Bewegtes, sei dies "langsamer" oder "schneller."
             Diese andersartig bewegten Zonen können als "Teile" oder
             "Räume" aufgefaßt werden. Ihre Konstruktion ist immer die
             in Raum und Zeit. Die Enstehung der Urbausteine zeigt bei
             aller Vielfalt der Formen doch auch das massenhafte Auftreten
             gleicher Teile oder zumindest annähernd gleicher Teile.
             Diese Teile organisieren sich zu Kernbausteinem, Atomen und
             Molekülen. Entscheidend ist die Frage:
             Sind diese Teile, die gleich erscheinen gleich oder sind sie
             individuell verschieden und erscheinen gleich, weil wir ihre
             Individualität nicht auflösen können ?
             Die in unzählige kleinste Bewegungen zersplitterte Urbewegung
             des Urknalls enthält in ihren partiellen Zonen besondere
             Eigenschaften, die bestimmend für die Beschaffenheit der
             relativ "festeren" Teile sind. Bereits auf dieser Ebene kann
             Bewegung nicht unterbrochen werden ohne daß die Teile
             "verschwinden" oder in andere "zerfallen" sich "umwandeln".
             Das bedeutet, die Bewegung ist Speicher der Prozesse, die sich
             scheinbar wiederholen. Auf dieses scheinbare Wiederholen werde
             ich anläßlich der Grenzfunktionen eingehen, die im weiteren ins
             Spiel kommmen werden.
             Individuen sind Willenszentren, die bereits mehr sind als bloße
             Objekte im Spiel der "Umwelt", sie sind richtungsbestimmend
             und erschaffen sich Ziele.
             Wenn bereits die Kernbausteine solche Individuen sind, ist der
             Lebensprozeß hier schon der gleiche, wie der irdischer
             Organismen.
             Die Nichtanhaltbarkeit von Bewegungen zeigt, daß der Prozeß
             selbst Speicher ist, das heißt beim Anhalten verlischt das
             Gespeicherte. Deutlich ist dies beim Tod eines Organismusses.
             Obwohl seine Bausteine noch da sind, lassen sie sich nie
             wieder zum Lebewesen zusammensetzen und nicht erneut in
             die Bewegungen der Lebensfunktionen bringen. Umgekehrt
             lassen sich aber Bausteine in den Lebensprozeß des
             Organismusses integrieren also assimilieren und verarbeiten.
             Wenn im subatomaren Bereich etwas Ähnliches festzustellen
             wäre, würde die Frage des Lebensursprunges beantwortet sein.
             Zwischen dem Bereich der Atome und dem der Organismen liegt
             der Bereich der molekularen Wandlungsmöglichkeiten, der
             Hauptgegenstand der Chemie ist. Dieser erscheint leblos,
             während der subatomare und auch der atomare Bereich durchaus
             als lebendiger Prozess aufgefaßt werden können.
             Im chemischen Bereich erscheinen Teile zu domieren, die sich
             zusammensetzen und wieder trennen lassen und dennoch
             stabil bleiben. Die chemischen Prozesse und ihre Bewegungen
             führen nicht zum Zerfall der Elemente, wenn sie von
             menschlicher Tätigkeit bestimmt werden. 
             Der Vorrang von Teilen in der Betrachtung der kosmologischen
             Geschichte zeigt ein Bild, in welchem zunächst unbelebte
             Materie sich entwickelt zu lebendigen Organismen.
             Wenn die Bewegung betrachtet wird unter dem Gesichtspunkt,
             daß jedes Anhalten eines bewegten Systems zu seinem
             Zerfall führt, zeigt sich ein Bild, in welchem ein durch-
             gehender Zusammenhang besteht, beginnend beim Urknall
             bis zum heutigen Menschen. Nirgendwo in dieser langen
             Entwicklung ist Bewegung unterbrochen oder angehalten.
             Nahtlos geht die Fluchtbewegung der Energie beim Urknall
             über in die Bewegungen der Urbausteine, die der Atome, der
             Moleküle und schließlich der Lebewesen.
             Hier bestätigt sich die subjektive Perspektive: Das Ich
             ist individuell und zugleich Ausdruck der kosmischen
             Totale, es entsteht bereits beim Urknall und entwickelt
             sich im Verlauf der kosmischen und irdischen Geschichte.
             Die bewußte Wahrnehmung zeigt in beiden Dimensionen
             erkennbare Objekte: nach außen das Umfeld bis in die
             kosmlogischen und mikrologischen Modelle, nach innen
             in die Empfindungen und Vorstellungen.
             Aber beide Dimensionen verschwimmen im Unbestimmten
             und enden nicht bei letzten Teilen oder Zusammenhängen.
             Das Bild vom Bewußtsein als einer Oberfläche des
             Einzelwesens ist hier brauchbar. Es ist einer Kugel-
             oberfläche gleich. Mit der Entfernung von dieser Oberfläche
             verschwimmt die Wahrnehmung und Erkennbarkeit, sowohl
             nach innen wie nach außen.
             Diese Grenzfläche der Kugeloberfläche ist das was wir als
             Ich verstehen und zugleich das was bewußt erfahrbar ist.
             Insofern sind die Grenzfunktionen zugleich auch Abbild
             der Grenzflächen, die das Ich ausmachen.
             Das Bild der Kugeloberfläche als Bild des Ichs hat eine
             Entsprechung in den Erfahrungen jedes Einzelwesens:
             dem Tastsinn. Der Fötus erlebt die ersten Eindrücke über den
             Tastsinn, seine Körperlichkeit ist lange vor der Ausprägung
             der anderen Sinnesorgane vorhanden. Die Oberfläche des
             Körpers ist sehr ähnlich der Oberfläche des Ichs, das auch
             ein Repräsentant dieser Körperoberfläche ist.
             Das Modell der Kugeloberfläche hat daher eine körperliche
             Entsprechung und Genese.
             Die in menschlicher Konvention so verstandenen nicht
             lebenden Objekte sind unterteilbar in zwei Gruppen. Es
             sind einmal jene Objekte, die sich im Lebensstrom
             befinden und die selbstständige Bewegung seit dem Urknall
             weiterverfolgen. Dahin gehören die Atome, die Planeten-
             und Sternensysteme, die galaktischen Superhaufen usw.
             Die andere Gruppe sind die menschlichen Produkte. Sie sind
             zugleich mit ihren Bausteinen auch Angehörige der ersten
             Gruppe, aber in ihrer Endgestalt, etwa als Haus, Maschine
             usw. unterliegen sie nicht den Wachstumsprozessen, sondern
             verbleiben in menschlicher Abhängigkeit. Durch Betreuung,
             Wartung usw. können sie länger existieren als wenn sie
             sich selbst überlassen bleiben und den Erosionsprozessen
             unterliegen.
             Die Unterbrechung des kosmischen Wachstums-und Wandlungs-
             prozesses durch die menschlichen Produkte ist nur kurzfristig
             und scheinbar. Sie finden statt in einer Art Zeitnische, die
             den Eindruck hervorruft, daß stabile Teile, etwa Steine,
             Minerale, Elemente dauerhaft seien. Diese Dauerhaftigkeit
             wird definiert als Leblosigkeit. Aber dies ist eine
             Täuschung: Eine pflanzliche Zelle zerfällt, wenn ihre Lebens-
             prozesse zerstört werden. Ein Atom zerfällt ebenso, wenn
             seine Prozesse zerstört werden, so durch Umwandlungen in
             Zyklotron. Da aber der natürliche Zerfall der nicht
             radioaktiven Elemente so allmählich erfolgt, daß er die
             Lebensdauer sämtlicher kosmischen Großobjekt überschreitet,
             von den Lebenslinien ganz zu schweigen, werden die atomaren
             Prozesse nicht als Lebensprozeß erkannt.
             Leblosigkeit ist ein Zustand von Objekten, die in ihrer
             Gestalt sich nicht nur entsprechend den Wachstumsprozessen
             verhalten, sondern am Ende zerfallen. Gebirge und Gesteins-
             formationen sind diesen leblosen Objekten am nächsten.
             Eigentlich leblos sind menschliche Produkte, da sie ihre
             Form nicht durch Wachstum aus sich selbst erhalten sondern
             durch menschliche Tätigkeit. Sie entwickeln sich nicht
             weiter sondern zerfallen. Sie sind Anhängsel des Menschen,
             bzw. ausgelagerte Teile des Menschen, vergleichbar den
             Korallenriffen, die ausgelagerte Teile der Korallen sind.
             Tastsinn und Wiederholung
             Der Tastsinn ertastet Objekte und liefert Informationen
             an das Gehirn über die Beschaffenheit der Objekte.
             Die Unterscheidungsfähigkeit oder Auflösung des Tastsinnes
             ist durch Vererbung und Lernen bestimmt. Unterhalb einer
             bestimmten Schwelle vermag er nicht aufzulösen, oberhalb
             bestimmter Strukturen und besonders Temperaturen ebenfalls
             nicht. Innerhalb des Auflösungsbereichs werden die Sinnes-
             eindrücke im Gehirn kategorial verarbeitet und keineswegs
             individual. Das heißt das Gehirn nimmt Vereinfachungen und
             Zusammenfassungen vor, die je nach Objektart sehr unter-
             schiedlich ausfallen. Die Zuhilfenahme anderer Sinne
             ermöglicht es, diese in Gruppen zusammen gefaßten Objekte
             weiter aufzulösen bis hin zur Erkennbarkeit individueller
             Objekte. Eine urwüchsige Erkennung individueller Art
             ohne kategoriale Vearbeitung ist beim Säugling denkbar, der
             seine Mutter lange vor jeder komplexen Hirnorganisation
             erkennt. Die Vereinfachung und Zusammenfassung der Objekte
             ist lebensnotwendig, damit eine rasche Verarbeitung der
             Informationen und eine rasche Entscheidung möglich werden.
             Ähnliche Prozesse spielen sich auch im Bereich des Sehens und
             Hörens ab, vor allem aber auch im Denken selbst. Diese
             Zusammenfassungen und Verallgemeinerungen sind der Grund
             von Wiederholungen bzw. Prozessen, die als Wiederholung
             definiert werden. Dies ist nicht nur ein intellektueller
             Vorgang, sondern auch tiefer liegende Prozesse wie die
             Verdauung arbeiten ebenso. Es gibt streng genommen keine
             Wiederholungen, denn jeder dieser einzelnen Prozesse ist
             anders zusammengesetzt. Dennoch ist es ein Lebensprinzip,
             Wiederholungen erzeugen bzw. erleben zu können. Dabei ist
             auch die Breite der Ereignisse, die in ein Schema von
             Wiederholung passen, begrenzt. Nicht jede Abweichung kann als
             Wiederholung integriert werden. Die Wiederholungsbreite und
             Tiefe ist Ausdruck von Grenzfunktionen. Sie sind Möglich-
             keiten und Grenzen des Organismusses. 
             Die Wiederholung kann in zweifacher Weise interpretiert
             werden. Die eine ist die statistische. Die wiederholten
             Fälle sind einander nahezu gleich. Sie werden an einem
             Idealfall gemessen, der wirklich existiert oder existieren
             könnte. In der Digitaltechnik sind echte Wiederholungen
             völlig identischer Bitreihen möglich. Das Gleiche gilt
             für chemische Prozesse sofern die Quantität genau be-
             stimmbar ist. Prinzipiell sind exakte Wiederholungen möglich.
             Die zweite Interpretationsmöglichkeit zeigt, daß
             exakte Wiederholungen nicht möglich sind. Bereits im sub-
             atomaren Bereich sind Elemente unterschiedlicher Beschaffen-
             heit möglich, die wegen fehlender Auflösung nicht erfahr-
             bar sind.
             Interessant ist, ob diese Individualitäten irgend eine
             Bedeutung haben.
             Die bei den Organismen vorzufindenden Steuerungszentren,
             ihr "Wille" im älteren Ausdruck, befähigt sie, ungefähr
             gleiche Teile aufzunehmen und zu verarbeiten sowie unge-
             fähr gleiche Teile zu produzieren. Auch ihre Reproduktion
             ist ungefähr die Wiederkehr der Elternorganismen im
             Nachwuchs.
             Gesetzt, daß bereits die Elementarbausteine nur ungefähr
             aus gleichen Teilen bestehen, so müßten sie ebenso die
             Leistung erbringen, diese wie gleich zu behandeln und sich
             mit ihnen zu größeren Systemen aufzubauen. Es wären also
             Willenszentren bereits auf der Ebene der Urbausteine unter-
             halb der Ebene der Atome denkbar.
             Andererseits könnte gerade dieses Modell Hinweis auf eine
             Grenzfunktion sein, die es erzwingt, auf unteren Ebenen
             bekannte Modelle zu sehen, die auf höheren Ebenen bereits
             angewendet und notwendig gewesen sind.
             Beides könnte auch zusamnmen auftreten: Grenzfunktionen
             die bestimmte Modelle bedingen, und das Auftreten von quasi
             organischen Strukturen im Mikrokosmos, die in den Modellen.
             dargestellt werden.
             Danach wäre der Satz möglich: Das Nichtlebende ist nur
             eine Form des Lebens.
             Spekulationen dieser Art sind gefährlich, da sie leicht zu
             Überlegungen führen wie sie im "kosmischen Bewußtsein"
             der Buddhisten und im "Weltgeist" Hegels formuliert
             wurden. Der Umschlag in Unsinn ist jederzeit möglich.
             Deshalb ist zu erinnern: Wenn Grenzfunktionen ein Bild
             zurückwerfen gleich einem Zerrspiegel, so ist dies kein
             wahres Abbild sondern zeigt, daß ein Bild nicht möglich ist,
             bzw. das von der Grenze erzeugte Bild ist das letzte der
             Möglichen. Inwieweit es noch wahre Elemente enthält, ist
             nicht festzustellen.
             Die Frage nach dem Lebensprinzip ist deshalb in beiden,
             sich gegenseitig ausschließenden Varianten beantwortbar:
             Es können Lebensprozesse und nichtlebende Prozesse sein.
             Aber diese Aussagen neutralisieren sich nicht:
             Sie werden auf zwei Wegen entwickelt: In der subjektiven
             Perspektive und in der objektiven Sicht der Welt.
             In Beiden wirken Grenzfunktionen, die die Aussagen in
             der Schwebe lassen: es könnte so sein und es könnte nicht
             so sein.  
             Das Dritte
             Menschliche Produktion erzeugt Objekte, die weder identisch
             mit den Objekten der "Natur" noch mit dem Subjekt sind.
             Das Bild eines Baumes auf der Netzhaut ist bereits etwas
             gänzlich anderes als der Baum. Aber zugleich ist dieses
             Bild nicht nur Subjekt sondern es existiert nur weil das
             Objekt da ist. Dieses Dritte geht sogleich wieder ein in
             die Produktion, wird wiederum zum Objekt und ermöglicht
             den nächsten Schritt der Produktion. In diesem ständigen
             Agieren enstehen Modelle verschiedenster Art und Methoden,
             die auf andere Objekte und den Produktionen mit ihnen
             anwendbar sind. Gleichwohl ist die damit sich herausbildende
             Wirklichkeit beim Wort zu nehmen, das was wirkte, woran
             der Mensch mitgewirkt hat, nicht die Welt "an sich".
             Dennoch sind in der Physik und der Kosmologie Prozese erkannt
             worden, die ohne menschliches Tun sich realisieren. Diese
             Prozesse sind ein Drittes, welches bezogen auf seine Wirkungen
             und Bewegungen objektiv sind, das heißt sie sind höchstmöglich
             zutreffend also wahr. Aber sie zeigen die Welt als Drittes,
             das heißt durch den Filter menschlicher Produktion hindurch,
             die "leblose" Objekte hervorbringt, also Objekte die als
             Auslagerungen des Subjekts definiert werden können.
             Alles, was dem Menschen als Subjekt ähnlich ist, wird in
             dieser Produktion ausgeschieden, insbesondere jene Eigen-
             bewegung, die das Lebendige auszeichnet. Das bedeutet nicht,
             daß es nichts Lebendes gibt, sondern das "Dritte" vermag es
             nicht sichtbar zu machen. Gleichwohl ist das Konstrukt des
             Dritten so zeit- und dimensionslos wie der Augenblick. Es
             ist immer zugleich der Übergang ins Objekt. Dennoch ist es
             zentrale Kategorie für das Verständnis der Welt, so wie der
             Augenblick es ist.
             Wirklich existierend sind nur das Dritte und der Augenblick,
             aber erfahrbar sind beide nur als Übergang in die Objekte
             einerseits, in die Zeitstrecke andererseits.
             Bewegung und "Bewegung"
             Die subjektive Perspektive zeigt eine Bewegung, die neben
             anderen Besonderheiten jene aufweist, daß sie selbst
             Speicher und Gedächtnis des Prozesses ist und zugleich
             Nichtidentisches sich einverleiben kann und daraus Wieder-
             holungen hervorbringt. Sie erzeugt Identität also Festes,
             wenngleich es nur relativ identisch und fest ist.
             Bewegung wie sie in der Physik verstanden wird, ist
             etwas Anderes. Diese zeigt Objekte in einem stabilen
             Zustand, die sich im Raum und Zeit bewegen. Sie assimilieren
             nichts und und zeigen keine steuernden Zentren. Es sind
             die einmal angestoßenen und auslaufenden Räder der
             von Menschen arrangierten Teile und die der kosmologischen
             Modelle, die in der Definition des Kosmos als Maschine
             gültig erscheinen.
             Freiheit und Determinismus
             Der Determinismus in physikalischen und mechanischen Prozessen
             ist eine Folge menschlicher Produktion, die mit Wiederholungen
             operiert. Dies gilt auch für das Vorfeld der Produkte, der
             Wahrnehmung.
             Da die Welt der Produktion mit ihren Modellen als Wirklich-
             keit verstanden wird, in der andere Elemente nicht auftreten,
             entsteht die Ideologie des totalen Determinismusses, die
             erst in jüngster Zeit durch die Quantenmechanik und die
             Kosmologie gemildert worden ist.
             Der Begriff der Freiheit ist unter dieser Ideologie des
             Determinismus zu einer soziologischen Größe degeneriert, die
             nun weiter zur bloß psychologischen Meinung zu zerfallen
             droht. Die Analyse zeigt aber, daß der Mensch seinen
             Determinismus ebenso produziert wie seine Freiheit. Diese
             ist eine zentrale Kategorie. Die "Willenszentren" und das
             Ungefähr der elementaren "Naturprozesse" unterhalb der
             Ebene der Organismen sind Ausdruck von Freiheit, die
             nicht mit Zufall und Notwendigkeit begriffen werden kann.
             Auch das nachträgliche Interpretieren eines Prozesses
             als zufällig oder notwendig, ist Behauptung, die nicht
             mehr Gültigkeit hat als jede beliebige Behauptung.
             Lernen, Lebenslust, Formgestaltung, Selbstentwicklung usw.
             sind Ausdruck von freien Prozessen, deren Ausgangspunkt
             "willentlich" gesteuerte Kerne sind, die nur partiell
             übergeordneten Kräften folgen, also ihnen teils notwendig
             folgen und teils auch unberechenbaren Einflüssen, also
             Zufällen unterliegen.
             Erst die Übertragung der eingeschränkten Möglichkeiten
             von Maschinen auf Lebensprozesse klammert Freiheit aus-
             Maschinen sind in der Tat nicht frei- und läßt nur
             noch Notwendigkeit und Zufall bestehen.
             
             Das Modell des Determinismusses zeigt Notwendigkeiten und
             Zufälle, die subjektive Perspektive zeigt Grenzen und Willens-
             impulse. In jenem dominiert die Unfreiheit, in diesem die
             Freiheit. Sie ist eine existentielle Kategorie.
             Auch der Gegenbegriff, die Unfreiheit ist total. Der Unfreie
             produziert eine entsprechende Ideologie.
             Paradox ist der Umschlag ehemals befreiender Einsichten und
             Fähigkeiten in ihr Gegenteil. Der gleiche Determinismus,
             der in angewandter Mathematik, Physik und Chemie die
             Hochzivilisationen ermöglicht hat, liefert das Korsett
             in den Köpfen, welches zur Definition des Ichs als ein
             Unfreies in einer unfreien "Natur" führt.
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