Professor Berg und Korthaus auf Reisen      Fred Keil
                                                         Nr. 222
                                                        
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             Korthaus war trotz seines hohen Alters von etwa 80 Jahren
             noch nicht so sehr gereift um die Liebesgeschichte auf
             dem Mars einfach zu vergessen. Als er wieder zu seiner
             Ehefrau zurückkam, hatte diese für seine amourösen
             Geschichten einige spöttische Bemerkungen parat.
             Vielleicht deswegen oder auch, weil Berg auf dem Mars
             geblieben war, konnte er sich mit dem gewöhnlichen Leben
             eines verheirateten Rentners nicht abfinden.
             Aber die finanziellen Quellen, die Berg zur Verfügung standen
             und manches etwas abwegige Abenteuer allererst ermöglicht
             hatten, waren nun unerreichbar.
             Vor diesem Hintergrund muß das Folgende betrachtet werden:
             Korthaus dürstete nach Tat. Er stellte sich daher an einem
             Morgen den Wecker auf 6 Uhr, schrieb seiner Frau einen
             Zettel über seinen Verbleib und ging frisch geschminkt,
             gefärbt und also verjüngt zum Zeitarbeitvermitler Poschke.
             Die Dame im Anmeldebüro sah ihn verwundert an. Sie mochte
             irritiert sich fragen ob Korthaus nun älter oder jünger
             als 65 oder ein übernächtigter Schwuler sei. Korthaus nahm
             ihr das Weitere ab und fragte:" Haben Sie eine Tätigkeit
             für einen Werkzeugmacher ?" Die Dame sah auf und sprach:
             " Ich sehe nach." Sie tippte auf ihrer Tastatur, suchte hier
             und da und meinte dann:" Ich habe etwas für einen CN-Dreher,
             wäre das etwas für sie ?"
             "Gern, wo muß ich mich melden ?" Die Dame druckte eine Blatt
             mit der Adresse aus, notierte Korthaus Personalien und
             verabschiedete ihn kurz darauf.
             Frau Korthaus ahnte mit dem Instinkt der Frau, daß ihr Mann
             etwas vorhatte. Am gleichen Abend fragte sie ihn:
             "Was wird das, wenn es fertig ist ?" Korthaus antwortete:
             "Ich arbeite als Dreher bei Backhaus, sonst nichts."
             "Und danach  ?"
             "Danach ?", meinte er, den Ahnungslosen spielend.
             "Wenn Du wieder für ein Jahr verschwindest, ist es aus !"
             Korthaus ging zu ihr, drückte sie an sich und sagte:
             "Verlaß Dich darauf, ich gehe nicht weg, nicht zum Mars,
             nicht nach Afrika oder Amerika, ich bleibe hier." Frau
             Korthaus lächelte, nahm seine Hand, führte ihn zum Küchen-
             tisch und sprach:" Setz Dich und wage nicht aufzustehen
             bevor ich weiß, was Du vorhast." Was sollte Korthaus tun.
             Er beschloß auszupacken:" Berg sitzt auf dem Mars, ich bin
             hier und will auch bleiben. Also muß Berg zurück kommen."
             Frau Korthaus lachte und sagte:
             "Daß Du so vernünftig denken kannst. Oder bleibst Du wegen
             Deiner Liebsten hier ?"
             "Was Du denkst, sie ist doch längst gebunden. Nein, ich
             will nur den Berg zurückhaben."
             "Kannst Du ihn nicht anrufen und fragen ob er zurückkommt ?"
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             Korthaus meinte:" Diese Blöße würde ich mir nie geben. Er
             muß aus freien Stücken zurückkommen. Ich habe deshalb in
             der Fabrik angefangen um dort eine besondere Waffe zu
             bauen. Ich werde damit die Meisterschaften im Gewehrschießen
             gewinnen. Dann wird meine Waffe in den Medien vorgestellt,
             Berg sieht das und kommt zurück."
             "Wegen einer Waffe ?" Korthaus lächelte und sprach:
             "Berg ist ein alter Militär. Vor vielen Jahren hat er mir
             anvertraut, daß er gerne eine Meisterschaft gewonnen hätte
             mit dem Gewehr. Ich hatte damals einen Plan, wie ein Gewehr
             genauer gemacht werden kann. Berg sah das und wollte es
             unbedingt produzieren. Aber dann kam es anders. Berg wurde
             in die Raumfahrtpläne verwickelt und das Gewehr geriet in
             Vergessenheit." Frau Korthaus war mit seinen Ausführungen
             sehr zufrieden, aber sie blieb mißtrauisch:
             "Was wird, wenn Berg zurück ist. Er wird doch bestimmt etwas
             Verrücktes machen." Korthaus sagte:" Ich bleibe jedenfalls
             hier, wenn er reisen will, soll er es allein machen." Sie
             fragte:" Versprochen ?"
             "Versprochen", und gab ihr einen Wangenkuß.
             Korthaus aktivierte in den folgenden Wochen seine alte Mit-
             gliedschaft im Sportschützenverein. Paralell dazu arbeitete er
             nach der achtstündigen Arbeitszeit im Betrieb Backhaus an
             einem Gewehr. Schließlich war sein Werk fast fertig. Das
             umgebaute Gewehr war ein Gasdrucklader, der so verändert
             worden war, daß er kaum noch Rückstoßkräfte freisetzte. Aller-
             dings mußten stärkere Patronen benutzt werden um den Druck-
             verlust des Systems auszugleichen. Hier lag der Gefahrenpunkt
             der Waffe. Korthaus rief den Hersteller des Gewehrs an um die
             Festigkeit des Stahl zu erfahren:
             "Hier Korthaus von Backhaus OHg, kann ich den Technischen
             Leiter sprechen ?" Am anderen Ende sagte eine junge Frau:
             "Herr Meier wird sofort mit Ihnen verbunden." Dieser Meier
             hatte am Wochenende Probleme mit seiner Frau gehabt. Sie
             wollte sich scheiden lassen, an sich etwas Alltägliches, aber
             jeder empfindet es als etwas Besonderes. Meier war nicht sehr
             konzentrationsfähig. Er meldete sich am Telefon:
             " Meier hier, womit kann ich Ihnen helfen. ?"  Korthaus:
             " Ich habe das G2.22 Gewehr und wollte die Festigkeit des
             Stahls im Rohr wissen." Meier dachte:" Wieder so ein Spinner,
             der mit Zahlen rumprotzt" Er sagte aber:
             "Ich sehe in der Liste nach, einen Augenblick bitte." Er ging
             zu einem Blechschrank, holte eine Mappe heraus und suchte die
             entsprechende Seite. Er legte den Zeigefinger unter die
             Spalte, in der die Daten des fraglichen Gewehres waren, aber
             in diesem Augenblick krachte es im Hof unter dem Bürofenster.
             Meier erschrak, sah hinaus und sah, daß sein Auto unter dem
             Fenster von einem LkW-Hänger gestreift worden war. Sein Finger
             verrutschte in eine andere Spalte. Während das Gewehr mit
             einem Stahl der Festigkeit St 125 gefertigt worden war, lag
             sein Finger nun auf einer Spalte mit dem Wert St 225. Er
             sprach, flüchtig auf seinen Finger blickend: "St 225."
             Korthaus sagte:" Danke." Meier meinte:
             " Warten Sie bitte einen Moment", und rannte zum Hof. Da aber
             Korthaus hatte, was er wollte, legte er nach einigen Minuten
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             den Telefonhörer auf. Im Vertrauen auf den erfahrenen Festig-
             keitswert, veränderte Korthaus die Patronenkammer des Gewehrs
             und bohrte sie für eine wesentlich stärkere Patrone auf.
             Mit dem fertig gestellten Gewehr begab sich Korthaus am
             folgenden Sonntag zum Schießplatz. Die Lokalzeitung hatte
             einen Reporter geschickt, der auf dem Schießplatz die Schützen
             interviewte. Er fragte Korthaus:
             " Sie wollen also an der Landesmeisterschaft teilnehmen ?"
             Korthaus sagte:
             "Ja, und zwar mit diesem besonderen Gewehr". Damit zeigte er
             das Gewehr dem Reporter. Der erkannte nichts Besonderes daran
             und fragte: "Was ist mit dem Gewehr ?" Korthaus schob den
             Ladeschlitten nach hinten und zeigte die große Patronenkammer.
             Der Reporter fragte:" Ein neues Kaliber ?"
             "Nein, nur eine verstärkte Ladung.  Sehen Sie, dieser
             Schlitten wird sofort beim Schuß vom Gasdruck nach hinten
             gedrückt und neutralisiert den Hauptteil des Rückstoßes bis
             der Gasdruck im vorderen Rohrteil wirksam wird und den
             Schlitten vollständig nach hinten drückt." Der Reporter
             verstand es nicht ganz, war aber neugierig geworden und
             fragte:" Schießen Sie gleich ?"
             " Ja, Sie können zusehen." Als Korthaus an der Reihe zu
             schießen war, legte er das Gewehr an, zielte, es knallte,
             und die Patrone zersprengte die Patronenkammer im Rohr mit
             ihrem Druck. Der Stahl war nicht fest genug, der Wert, den
             Korthaus angenommen hatte, falsch. Korthaus fiel um und blieb
             liegen. Aufgeregt wurde der Sanitätswagen bestellt. Korthaus
             landete im Krankenhaus und die Geschichte des Gewehrs in der
             Zeitung.
             Glücklicherweise war Korthaus mit einer Kieferstauchung davon
             gekommen. Die Patronenkammer war auf der, dem Gesicht ab-
             gewandten Seite aufgeplatzt. Die Explosion hatte ihm einen
             Schlag mit dem Gewehr gegen das Kinn verpaßt, was ihm
             eine kurze Ohnmacht verursachte. Am gleichen Abend besuchte
             Frau Korthaus ihn am Krankenbett. Mit dem sicheren Instinkt
             einer besorgten Frau hatte sie Korthaus Aktivitäten durch-
             schaut. Nachdem sie ihn begrüßt hatte, meinte sie:
             "Warum sagst Du nicht gleich, daß Du zu Berg auf den Mars
             fliegen willst. Mußt Du dafür Dein Leben riskieren ?"
             Korthaus widersprach:" Es ist nicht so, ich will nicht zum
             Mars." Frau Korthaus sprach:
             "Ach laß das Schnickschnack. Werde gesund und flieg zum Mars.
             Vorher gibst Du doch keine Ruhe, und lieber einem Mann auf
             dem Mars, als ein toter Mann." Korthaus vesuchte es noch
             einmal:" Er soll herkommen, ich ..." Frau Korthaus unterbrach
             ihn: "Der Arzt läßt Dich übermorgen nach Hause, in drei Wochen
             ist alles ausgestanden, dann fliegst du los !"
             Währenddessen hatte Berg auf der Station am Marsnordpol
             sein Projekt zuende gebracht. Er klappte den Deckel des
             Ordners zu, schaltete den Computer aus und griff zum Telefon:
             "Muggemann, ich bin fertig, kommen Sie doch einmal her."
             Der Angesprochene war leitender Techniker der Station. Er
             ging durch die luftgefüllten Verbindungsgänge zu dem Teil
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             der Station, in dem Berg wohnte. Als er den Iglu betrat,
             sagte Berg:" Ich habe meine Studien fertiggestellt, mit dem
             nächsten Mobil fahre ich zum Raumbahnhof und fliege zur Erde
             zurück. Sie haben die Fahrpläne ?" Der Angesprochene sagte:
             Sie sind unter "Fahrplan aktuell" gespeichert und alle
             bis zum Monatsende gültig. Wir werden Sie aber vermissen".
             " So ist das, aber ich muß zur Erde zurück."
             Kurz darauf war Nachrichtenzeit. Berg schaltete den Ortssender
             seiner Heimatstadt ein und hörte nach den wichtigen auch die
             Lokalnachrichten:" Auf dem Schießplatz ereignete sich ein
             Unfall. Ein älterer Mitbürger verletzte sich an seinem
             umgebauten Gewehr. Er ist nicht in Lebensgefahr...."
             Berg stutzte, er griff zum Telefon und wählte die Nummer der
             Zeitungsredaktion seiner Stadt. Bald hatte er Verbindung mit
             dem Chefredakteur, den er persönlich kannte:
             "........ Was war das auf dem Schießplatz ?"
             " Korthaus ist bei einem Experiment verunglückt. Er hat
             ein neuartiges Gewehr ausprobiert.."
             "Und, ist er schwer verletzt ?"
             "Nein, nur eine Kieferprellung, kein Bruch." Berg atmete
             durch:" Gottseidank, ich werde ihn anrufen, vielen Dank.."
             Sogleich setzte sich Berg mit dem Krankenhaus in Verbindung.
             Es hieß, Korthaus schliefe, Berg solle am anderen Tag noch
             einmal anrufen.
             Am anderen Tag kam das Telefonat zustande. Berg begrüßte
             Korthaus:" Können Sie mich verstehen ?" Nach Ablauf der
             Pause, die durch die Laufzeit der Radiowellen im Raum
             zustande kommt, meldete sich Korthaus:" Schön Sie zu hören.
             Ich habe das besagte Gewehr gebaut, aber der Stahl war nicht
             in Ordnung. Sie kennen die Pläne des Gewehrs. Ich wollte
             an den Landesmeisteschaften teilnehmen. Kommen Sie zur Erde ?"
             Berg antwortete:" Ich bin in 8 Monaten zu Hause. Warten Sie
             mit dem Gewehr, ich werde mitmachen. Aber ich habe noch
             mehr vor. Ich habe das Rätsel der Organismen gelöst. Sie
             werden staunen, was dahinter steckt. Nun erzählen Sie mir,
             was Sie vorhaben." Wegen der langen Wartezeiten verliefen
             die Telefonate bei allen etwas seltsam anmutend. Jeder
             sprach einen möglichst langen Monolog, stellte Fragen, be-
             antwortete Fragen, damit der Andere auch einen langen
             Monolog halten konnte. Die Lichtlaufzeiten Erde-Mars und
             zurück, von 5 - 15 Minuten, je nach Abstand der Planeten,
             machten die Gespräche langwierig. Je seltener die Sprecher
             wechselten, umso weniger Laufzeiten mußten abgewartet
             werden. Korthaus sprach:" Dann schießen wir beide bei
             den Meisterschaften mit. Mit dem Gewehr ist sehr genau zu
             schießen. Sie machen mich sehr neugierig auf das Rätsel
             und ihre Lösung. Das gab es schon einmal, Buddha zum
             Beispiel." Berg hätte am Liebsten sofort gesprochen, etwa
             so:" Es hat nichts damit zu tun, gar nichts. Es geht nicht
             um Religion  oder Metaphysik." Er sagte aber nichts sondern
             hörte zu. Korthaus sprach weiter:" Meine Frau schlug vor,
             ich solle zum Mars fahren. Das wird nun überflüssig.
             Wollen Sie auf der Erde bleiben oder den Jupiter besuchen ?
             Sie werden doch nicht in den Ruhestand gehen wollen."
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             Berg wartete mit den Fingern auf den Tisch klopfend auf
             das Ende von Korthaus Rede. Nun sprach er:" Weder bin ich
             allzusehr gealtert noch zu den Spinnern übergelaufen. Sie
             müßten mich kennen ! Lassen Sie uns auf der Erde weiter
             darüber sprechen. Wenn Sie mich schon verdächtigen, was
             werden andere vermuten, wenn wir hier weiterreden. Gute
             Besserung !"
             Inmitten der Innenstadt gab es eine Einkaufspassage. Dort
             waren Cafes und Bistros. In einem davon trafen Berg und
             Korthaus sich häufig. Als die Marsrakete gelandet, Berg
             mit dem Jet wieder in der Heimatstadt eingetroffen war und
             Korthaus in dem Cafe getroffen hatte, saßen die Beiden
             nach langer Zeit wieder zusammen und besprachen  ihre
             Pläne. Korthaus sagte:" Würden Sie mir jetzt verraten, was
             Sie auf dem Mars entdeckt haben ?" Berg erwiderte:
             "Wir haben das Verhalten der Eiskristalle untersucht. Sie
             bilden Formen, die hier unbekannt sind. Sie zeigen indivi-
             duelle Züge." Korthaus sah Berg verblüfft an und fragte:
             "Sie sind vom Zufall abgekommen ?" Berg erwiderte:
             "Nicht ganz, aber die zufälligen Prozesse liegen vor der
             subatomaren Ebene." Korthaus sah Berg wieder verblüfft an
             und sagte spontan:" Alles lebt ?" Berg meinte:
             " Nein, alles lebt nicht und alles ist nicht tot. Sehen
             Sie: Der Gegensatz zwischen lebender und toter Materie
             entspringt einem Denken, welches die neueren Erkenntnisse
             der Wissenschaften noch nicht integriert hat. Sie kennen
             das aus dem Schulunterricht: Leben wird definiert als
             Prozess innerhalb von Wesen, die sich selbständig ernähren
             und vermehren. Alles andere ist quasi tote Materie. Seit
             den Quarcks, die spontan als Paare entstehen, stellt sich
             die Frage neu: Was ist Leben. Die Sterne sind längst als
             Lebewesen definierbar. Sie werden geboren, nehmen Materie
             auf, ernähren sich also und geben Materie ab. Sie altern,
             sterben, und aus ihrem Material gebären sie neue Sterne.
             Wir sind einfach zu kurzsichtig, wenn wir die Definition
             des Lebens an relativ kurze Regenerationsspannen der Wesen
             koppeln. Umgekehrt ebenso, sehr kurzfristige Formwandlungen
             wie die Spaltprozesse der künstlich radioaktiven Isotope
             werden nicht als Leben erkannt. Aber die Regeration muß
             nicht an Eier oder Säugetierformen gebunden sein. Schon die
             Verpuppung der Insekten durchbricht das Schema."  Korthaus
             wandte ein:" Es könnte doch sein, daß sie nur etwas neu
             definieren." Berg widersprach:" Lassen Sie mich fortfahren.
             Das Entscheidende sind nicht die Morphosen oder Pseudomor-
             phosen sondern der innere Motor, das Herz des Prozesses."
             Korthaus sagte begeistert:" Willkommen im Lustprinzip Pro-
             fessor. Das hätte ich nicht gedacht." Berg widersprach:
             "Sie täuschen sich, es gibt kein Lustprinzip. Aber es gibt
             eine relative Befriedigung. Irgendetwas juckt, ein Temperatur-
             gefälle im Kristallgitter, eine Potentialschwankung in der
             Atomhülle, ein Gravitationskessel im Schwarzen Loch.."
             Korthaus dachte spöttisch, was er nicht aussprach: oder
             Fußpilz.- Berg sprach zu seiner Verblüffung etwas Der-
             artiges aus:" Oder ein juckende Geschwür. Verstehen Sie ?,
             ein juckendes Geschwür dient nicht der Lust, dem Leben usw,
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             es ist schädlich. Leben ist nicht ein Lustprinzip, nicht
             nützlich sondern amoralisch im tiefsten Sinne, nützlich
             und schädlich in eins, aber immer triebhaft im Sinne eines
             unsinnigen Gefälles, - eine Art relativer Juckbefriedigung."
             Korthaus war begeistert. Er sagte spontan:" Sie haben es
             geschafft General ! Nicht nur Europa oder die Welt sondern
             alles, die Totale." Berg war sichtlich gerührt von der
             Begeisterung Korthausens. Er sagte:" Aber es ist nicht alles.
             Dieses Modell kann ebenso gut auch aus dem Zufall abgeleitet
             werden. Ein universales Prinzip ist noch nicht Ursache,
             Mittelpunkt oder historischer Anfangspunkt." Korthaus wandte
             ein:" Fehlt Ihnen noch der göttliche Funke ?" Berg verzog
             seinen Mund:" Nein, nein, darüber mag ich keine Scherze !"
             Plötzlich streckte Korthaus seinen Kopf vor und sagte
             nah an Bergs Ohr:" Die Damen kommen." Es kamen Frau Berg
             und Frau Korthaus zur Passage herein. Berg wollte sich
             erheben, aber Frau Korthaus sagte zu ihm:" Bleiben Sie und
             machen Sie einfach weiter. Frau Berg sprach zu Korthaus
             gewandt:" Geht es ihnen besser mit dem Kiefer ?" Dieser ant-
             wortete:" Er ist wie neu." Die beiden Damen lächelten
             und gingen weiter. Berg meinte:" Wenn Ihre Frau wüßte, was
             auf uns zukommt, würde sie vielleicht weniger ruhig bleiben."
             Korthaus meinte verblüfft:" Davon weiß ich nichts, verraten
             Sie es mir ?" Berg erklärte:" Ich habe einen Verdacht, was
             den Mittelpunkt betrifft, aber ich möchte ihn nicht äußern.
             Eben erst haben Sie Religion vermutet. Ich denke, wir müssen
             uns der Mühe unterziehen, die Experimente am lebenden
             Objekt zu vollziehen. Als erstes fahren wir in die Schweiz
             und sehen uns den Teilchenbeschleuniger unter einem philo-
             sophischen Gesichtspunkt an." Korthaus fragte:" Wollen Sie
             wie ein Physiker die Wahrheit aus den Stoffen herauslesen ?"
             Berg meinte:" Ich kenne ihre ästhetische Weltanschauung,
             ich bin näher daran gekommen, als Sie ahnen. Am Besten,
             wir fahren am nächsten Montag los." Korthaus meinte:
             " Na ja, es wird meiner Frau nicht gefallen, aber immer
             noch besser als ein Flug zum Mars. Haben Sie schon eine
             Einladung für uns ?" Berg sah seinen Freund über den Rand
             seiner Brille an. Korthaus sagte:" Gut, ich habe verstanden,
             eine überflüssige Frage."
             Am Montag, dem Abreisetag, brachte Berg eine große Werkzeug-
             tasche mit zum Bahnhof. Korthaus hatte einen kleinen Koffer
             dabei. Berg sagte:" Sie haben alles, was Sie brauchen ?"
             "Ja, aber wo ist ihr Koffer ?" Berg antwortete:
             "Ich brache keine Wäsche, die kann ich in der Schweiz kaufen."
             "Und was ist in dem Werkzeugkoffer ?"
             "Werkzeug !"
             "Werkzeug ?", fragte Korthaus verblüfft. Berg nickte wortlos.
             Korthaus kannte die Vorliebe Bergs für Überraschungen. Der
             Werkzeugkoffer ließ ihn Verwicklungen ahnen. Er frug deshalb
             nicht weiter.

                                                         222/7
             Die Zugfahrt dauerte bis zum nächsten Abend. Die beiden alten
             Herren quartierten sich in einem Hotel am Genfer See ein
             und begaben sich zu Bett. Am anderen Morgen unternahmen sie
             eine Bootsfahrt auf dem Genfer See. Korthaus meinte:
             "Sie wollen in der kommenden Nacht zum Zyklotron !?"
             "Ja, aber geben Sie acht, wir dürfen nicht gesehen werden."
             Korthaus hatte mit vielem gerechnet, aber die Überraschung
             war Berg wieder einmal gelungen. Er fragte:" Sie wollen als
             Einbrecher hinein ?"
             "Nein, wir machen es zusammen ?"
             "Warum ?", fragte Korthaus entgeistert ?" Berg erläuterte:
             "Der Betrieb im Teilchenbeschleuniger ist geplant wie ein
             Fließbandprozeß. Wenn wir dort ganz offiziell hineingehen,
             erhalten wir einen Operateur, einen Plan usw. Die Ergebnisse
             sind sowieso schon bekannt, man kann sie in den Fachzeit-
             schriften des Vorjahres nachlesen. Wir müssen den
             Beschleuniger hochfahren, bis oben hin." Korthaus erschrak:
             "Sind Sie sicher ?"
             "Aber Korthaus, wie lange ist ihr letztes Gefecht her ?
             War das nicht vor Reims ? 19..."
             "Ach, lassen Sie das", unterbrach Korthaus ihn.
             Am Abend, nach einem Essen im Hotel fuhren die beiden Herren
             zum Zyklotron. Sie gingen vom Haupteingang weg zu den Hügeln
             und umgingen die Gebäude. Irgendwo in der Wiese waren die
             Belüftungsschächte des Beschleunigers. Es war dunkel und
             sternenklar. Korthaus beleuchtete den Boden. Nach einer Weile
             war der gesuchte Schacht vor ihnen. Berg holte eine
             Handbohrmaschine aus seiner Tasche. Er sagte zu Korthaus:
             " Halten Sie diese feuchten Lappen fest, ich bohre hindurch,
             damit kein Bohrstaub hinabfällt. Die Sensoren im Beschleuniger
             reagieren auf Metallstaub sofort. Haben Sie es ?" Korthaus
             nickte. "Dann los !" Berg kurbelte mit dem Handbohrer herum.
             Nach einer Weile war der erste Bolzen durch. Es war eine
             mühselige Arbeit. Endlich waren die Bolzen durchbohrt, der
             Deckel ließ sich heraushebeln. Die Beiden krochen durch den
             Lüftungsschacht in den Servicegang, der neben der Energie-
             röhre paralell verläuft. Der Gang war schwach beleuchtet.
             An einer Telefonnische nahm Berg den Hörer ab. Am anderen
             Ende meldete sich eine Stimme. Berg sagte:" Velthooven, wir
             sind da und kommen jetzt in den Steuerraum." Korthaus dachte
             sich seinen Teil, fragte aber nach dem Ende des Telefonats:
             "Sie haben es vorbereitet ?"
             "So weit es möglich war. Die Pförtner und den Sicherheits-
             dienst konnte ich nicht austauschen lassen. Velthooven ist
             ein Operateur, den ich aus Arizona kenne. Er wird mit uns
             zusammenarbeiten." Nach einer Weile kamen die Beiden zum Ende
             des Ganges an eine Tür. Sie war geöffnet. Das Beobachtungs-
             labor mit den Bildschirmen und der Blasenkammer war nur
             schwach beleuchtet. Velthooven begrüßte die Beiden:
             "Schön daß Sie da sind Professor Berg und Herr Korthaus. Ich
             habe die Anderen heute Abend weggeschickt mit der Angabe, daß
             die Anlage in der Nacht auf einen Fehler vom Reparaturteam
             untersucht wird."
             "Sehr schön", sagte Berg und fragte:" was ist mit der Strom-
             versorgung ?"
                                                            222/8
             "Alles bestens, wir haben die Aggregate c und d hinzuge-
             schaltet und bekommen von Basel 5000 Ampere zusätzlich
             geliefert." Velthooven ging zu einem Mikrofon und sagte:
             "Hochfahren in 60 Sekunden." Der automatische Timer lief an.
             Berg und Korthaus nahmen vor der Blasenkammer Platz. Nun
             erklärte Berg:" Die Anlage ist noch nicht mit einer so
             hohen Leistung wie jetzt gleich gefahren worden. Es kann
             einiges kaputt gehen."
             "Und dann ?", fragte Korthaus ?
             "Dann wird mein Sponsorenteam die Zahlung der Unkosten der
             Reparatur übernehmen." Korthaus lachte und sagte:
             "Sie haben an alles gedacht, wie immer."
             Als der Timer abgelaufen war, erfüllte ein tiefer Brummton
             den Raum. Mit großer Energie wurden Elektronen in der
             kreisrunden Röhre beschleunigt. Bald begann in der Blasen-
             kammer das Feuerwerk der Spuren zerfallender Teilchen.
             Velthooven fragte:" Können wir die c und d Stufen
             dazuschalten ?"
             "Nur zu", sagte Berg. Velthooven sprach ins Mikrofon:
             "Die Stufen c und d einschalten." Irgendwo in den Keller-
             räumen wurde von Technikern die Energie erhöht. Das Brummen
             nahm zu. Plötzlich sahen die Herren auf dem Schirm der
             Blasenkammer sehr kurze Blitze. Berg rief:
             " Sehen Sie, das ist es!" Und zu Velthooven gewandt:
             " Geben Sie die Werte in den Computer !" Ganz plötzlich
             erstarb das Brummen. Velthooven wurde blaß. Korthaus fragte:
             "Ist es kaputt ?" Berg antwortete:
             "Wahrscheinlich, aber wir haben es geschafft." Velthooven
             sprach ins Mikrofon:" Alles abschalten, Feuerwehr raus !"
             "Warum die Feuerwehr ?", fragte Korthaus. Berg meinte:
             " Zur Vorsicht, es könnten Magneten in Brand geraten sein."
             Eine halbe Stunde später wurde eine Tür geöffnet, ein
             Feuerwehrmann trat ein und sagte zu Velthooven:
             "Die Magneten im Sektor Südost sind verschmort, es brennt
             nicht." Velthooven atmete erleichtert aus. Berg sprach:
             " Und nun zur Auswertung." Korthaus fragte:
             " Erklären Sie es mir ?" Berg antwortete:
             " Kommen Sie mit." Die drei Männer gingen zum Computer-
             bildschirm, Velthooven schaltet ein Programm ein und zeigte
             auf endlose Zahlenkolonnen:" Es ist wie Sie vermutet haben,
             das Marsiridium zeigt eine andere Zeitstruktur im Zerfall
             als irdisches Iridium." Berg klopfte begeistert auf
             Velthoovens Schulter:
             " Ich habe gewußt, es gibt Leben im subatomaren Bereich,
             echten Individualismus." Korthaus verstand wohl Bergs
             Begeisterung, aber die Zahlen verstand er nicht. Berg sagte
             zu ihm:" Wir nehmen eine Kopie der Daten mit, im Hotel
             erkläre ich Ihnen alles. Wir müssen zum Luftschacht wieder
             hinaus. Der Pförtner soll uns nicht sehen." Und zu Velthooven
             gewandt:" Sie wissen wie es weiter geht. Der Sponsorenkreis
             überweist das Geld an die Betreibergesellschaft und Sie
             arrangieren die Unfallprotokolle."
             "Gewiß, guten Abend die Herren." 




                                                       222/9
             Im Entree des Hotels sprachen die Beiden miteinander.
             "Nein", widersprach Korthaus :"wenn es so ist, wie Sie die
             Zahlen auswerten, so beweist es Variationen, aber keine
             Lebensfunktionen." Berg setzte sich im Sessel aufrecht und
             erwiderte:
             " Das massenhafte Aufkommen der Abweichungen gegenüber
             irdischem Material läßt nur zwei Schlüsse zu: 1. wir
             haben ein Material vor uns, welches aus völlig unbekannten,
             anderen Sternen stammt als das Material von der Erde. Ich
             halte das für unwahrscheinlich. Alle Sterne unseres bekannten
             Universums haben die gleichen Kernprozesse in ihrem Innern.
             Oder 2. Das abweichende Material war zunächst in geringen
             Spuren vorhanden und hat sich dann vermehrt."
             Korthaus erwiderte:
             "Bestechend, aber nicht gesicherter als meine subjektiv-
             istische Deutung: Alles, was wir vorfinden geht vorher durch
             uns hindurch. Wir erzeugen in uns Bilder und Eindrücke der
             Objekte, kein Objekt ist wirklich in uns da. Aber das "Wir"
             ist auch falsch. Der Eindruck in Ihrem Gehirn zum Beispiel ist
             ein anderer als in meinem. Ich bin der Mittelpunkt, aus dem
             heraus die Objekte produziert werden, Sie sind der Mittelpunkt
             aus dem Ihre Objekte produziert werden." Berg meinte:
             "Ich weiß, ihr Lieblingsgedanke."
             Eine schöne elegante Dame kam zur Haupttür herein. Korthaus
             sah gebannt auf ihren großen Busen, der sich unter ihrem
             Mantel abzeichnete. Die Dame bemerkte es, blickte Korthaus an,
             lächelte fast unmerklich und betrat den Aufzug. Berg hatte
             Korthaus Interesse bemerkt und meinte amüsiert:
             "Diese Dame ist also nicht wirklich da, wenn Sie hinter ihr
             hersteigen, gehen Sie also nur hinter sich selbst her ?"
             "Lästern Sie nur. Aber ihre "Alles ist Leben Philosophie"
             läßt mir natürlich die Wahl anstelle der Dame ein Sofa zu..."
             "Na ja, ich behaupte nicht, daß das Lehrgebäude schon aus-
             gereift ist. Nun entscheiden Sie sich: Narziß mit oder ohne
             die Dame ?" Korthaus sah auf seine Uhr:" Es ist gleich 6 Uhr,
             wir könnten bereits frühstücken."
             Nach dem Frühstück gingen die Beiden zu einer Bank. Dort
             wollte Berg die finanzielle Seite der Sponsorenaktion regeln.
             Die Herren wurden dem Direktor gemeldet. Plötzlich hatte
             Korthaus die Idee:" Was halten Sie von einem Happening im
             Zyklotron während der Reparaturpause ?" Berg lachte:
             " Dachte ich es mir, sie wollen die Dame einfangen. Gut,
             machen wir es so."  Bei dem Gespräch mit dem Direktor ließ
             Berg in die Geldstiftung eine Bedingung einschreiben, die
             leicht zu erfüllen war. Die Betreibergesellschaft sollte nicht
             nur die Reparatur bezahlt bekommen sondern, das Gerät sollte
             aufgerüstet werden, aber ein Stiftungskonzert im Zyklotron
             müßte einen kleinen Eigenanteil einbringen. Als Organisator
             dieses Konzerts wurde Korthaus bestimmt.
             Sehr zufrieden verließen die Beiden die Bank. Auf der Straße
             sagte Korthaus:"Das Klavierkonzert nit Brahms wird uns die
             alten Leute von Genf auf den Hals holen. Berg meinte:
             " Wo bleibt Ihre Phantasie. Wir haben ein ganzes Wochenende
             Zeit im Zyklotron tätig zu werden. Erst am Montag beginnen die
             Ausbauarbeiten. Zuerst das Konzert, dann die Fete."
                                                            222/10
             Korthaus schlug sich die Hand vor die Stirn:
             "Natürlich, es ist ja ganz einfach. Am Samstagnachmittag geben
             wir Brahms, ab 22 Uhr dann Disko. Was halten Sie davon,
             Sonntagnachmittags ein Open-air auf den Wiesen der Anlage zu
             machen ?"
             "Aber sicher, am Besten machen wir alles." 
             In den folgenden Tagen wurden die Veranstaltngen in und um
             das Zyklotron von einer beauftragten Genfer Agentur vor-
             bereitet. Korthaus bummelte an einem Vormittag allein
             durch Genf. Die Plakate für die Diskonacht waren bereits
             an einigen Säulen und Wänden angebracht. Das Plakat zeigte
             eine Diskomieze in einem Ledertanga. Die Leute standen davor
             und staunten. Korthaus war entzückt. Da sprach eine Frauen-
             stimme hinter ihm:" Hübsch, nicht wahr ?" Die Dame aus dem
             Hotel stand hinter ihm. Er drehte sich um:" Gefällt es Ihnen ?"
             "Ja sehr !, gehen Sie auch hin ?" Korthaus antwortete:
             "Ja."
             "Dann sehen wir uns dort vielleicht !" Mit diesen Worten ging
             sie in Richtung Bahnhof davon. Korthaus hätte gern weiter mit
             ihr gesprochen, aber da war sie schon gegangen.
             Am gleichen Abend erzählte er Berg von der Begegnung. Dieser
             meinte:" Dann hat es ja funktioniert, den Rest schaffen Sie
             leicht."
             "Den Rest ?, es ist doch die Hauptsache." Berg wurde sehr
             ernst und sprach:
             "Wir müssen noch heute Nacht nach Neuseeland fliegen."
             Korthaus sah seinen Freund verblüfft an. Berg fuhr fort:
             "In etwa 50 Stunden beginnt ein Meteoritenschauer, der
             über Australien und die Seegebiete um Australien nieder-
             gehen wird. Vor Wellington steht in 1000 Metern Tiefe
             eine neue Neutrinoanlage. Es ist die einmalige Gelegenheit,
             Neurtrinoeinschläge zu messen, die mit dem Meteoritenschauer
             zugleich auftreten." Korthaus war hin und her gerissen. Er
             war ebenso ein Forschergeist wie Berg, aber er wandte ein:
             "Unsere Diskofete, die schöne Dame ?" Berg meinte:
             "Das ist doch nicht mehr schwer, Sie haben doch schon mit
             ihr gesprochen."
             "Sie wissen mehr als ich, raus damit !" Berg sagte:
             " Ich habe mich etwas herumgehört, was die Dame betrifft.
             Korthaus dachte sich seinen Teil. Es war typisch für Berg,
             daß er seinen Geheimdienst einsetzte, damit Korthaus ihn
             begleiten konnte, und den er in völliger Untertreibung
             in dem "herumgehört" andeutete und gelegentlich mit dem
             Tarnnamen "Putzkolonne" bezeichnete. Deshalb fragte Korthaus:
             "Ihre Putzkoloonne, sagen Sie es schon !" Berg lächelte
             wie ein Lausbub, der des Freundes Bonbons versteckt hat und
             sagte:" Die Dame ist Geologin und arbeitet im Auftrag
             einer großen Ölgesellschaft. Sie hat in Genf Kontakte
             zu einigen afrikanischen Diplomaten geknüpft. Es geht um
             Bohrrechte vor der westafrikanischen Küste. Sie ist mit
             ihrer Arbeit fertig und reist bald nach London zurück."
             "Sollen wir sie mitnehmen ?"
             "Mm, bestimmt fliegt sie mit. Sie ist eine Forscherseele
             wie Sie auch."
                                                                222/11
             Im Hotelrestaurant ergab sich beim Abendessen eine
             Gelegenheit. Berg und Korthaus saßen am Tisch und warteten auf
             den Kellner. Die Dame kam herein, sah die beiden Herren,
             grüßte mit einem feinen Kopfnicken Korthaus und nahm an
             einem anderen Tisch Platz. Korthaus erhob sich, ging zu ihr
             und fragte:
             " Haben Sie einen Moment Zeit für mich."
             Die Dame wies einladend auf einen Stuhl neben dem ihren.
             Korthaus begann:" In der übernächsten Nacht geht im
             australischen Raum ein Meteoritenschauer nieder, von dem
             besondere Aufschlüsse über die interstellare Materie
             erwartete werden." Die Dame sah ihn aufmerksam an. Er sprach
             weiter:" Um es kurz zu machen, wir möchten Sie einladen mit
             uns nach Neuseeland zu fliegen."
             "Was möchten Sie dort mit mir ?" Korthaus wurde etwas
             verlegen, die Frage war sehr direkt. Er zog sich mit einem
             Trick aus der Affäre:" Wir brauchen Sie beim Neutrinobecken ?"
             Korthaus hatte Glück. Die Dame wußte was das war und
             interessierte sich dafür sehr. Sie sagte:
             " Gut, ich komme mit Ihnen. Haben Sie eine Maschine ?"
             Korthaus antwortete: "Ja, wir nehmen Sie in einer der
             schnellsten Maschinen mit."
             "Wunderbar, die Concorde ?"
             "Nein, so komfortabel nicht, es ist eine Phantom."
             "Ein Zweisitzer ? Sind Sie Pilot ?" Korthaus fragte zurück:
             "Sind Sie mutig ?" Die Dame lächelte und meinte:
             "Sie erzählen mir Geschichten. Sie können doch keine Phantom
             fliegen ?!" Korthaus sagte:
             " Kommen Sie mit zu meinem Freund Berg, der klärt Sie  auf."
             Die Beiden erhoben sich und wechselten zu einem Tisch, an dem
             Berg Platz genommen hatte. Berg stellte sich vor und fragte
             die Dame:" Sie kommen mit uns ?" Die Dame antwortete:
             " Es klingt alles etwas unwahrscheinlich. Wie wollen Sie in
             der kurzen Zeit nach Neuseeland gelangen ?" Berg sagte:
             "Wir haben einen wichtige Auftrag von der ESO. Man stellt uns
             drei Phantoms zur Verfügung mit Luftbetankung über dem
             Mittelmeer und über dem Indischen Ozean."
             "Das hört sich abenteuerlich an. Wie geht es weiter ?"
             "Sie fliegen mit Korthaus in einer Concorde, ich fliege
             mit einer Phantom allein." Korthaus stutzte:
             "Sagten Sie nicht, wir würden...." Berg unterbrach ihn
             lachend: "Sie wollen doch nicht eine Dame in einer Rappelkiste
             wie die Phantom fliegen lassen. Nein, in der Concorde sind sie
             nicht wesentlich nach mir am Ziel."
             "Wofür denn drei Phantoms ?", fragte Korthaus.
             "Das war ein Mißverständnis. Die drei Phantoms brauche ich in
             der Nacht des Meteoritenschauers da unten." Und zu ihr
             gewandt:" Nein meine Dame, Sie fliegen mit der Concorde."
             Die Dame lächelte und bestätigte damit Bergs Plan. Sie fragte:
             "Dieser Aufwand,-  die ESO ist doch in der Regel viel
             sparsamer." Korthaus wollte etwas sagen, aber Berg winkte ab:
             "Nicht alles verraten. Lassen Sie sich überraschen. Von Genf
             aus starte ich mit den drei Phantoms, Korthaus und Sie mit
             der Concorde. Wir landen übermorgen abend in Wellington
             und fliegen mit einem Hubschrauber sofort zur Badewanne, ich
             meine zum Neutrinobecken, die Eingeweihten nennen es
             scherzhaft "Badewanne".

                                                            222/12
             Etwas später begaben sich die Drei zu ihren Hotelzimmern,
             holten ihr Gepäck und fuhren mit einem Taxi zum Flughafen.
             Dort standen die vier Flugzeuge bereit. Berg verabschiedete
             sich von der Dame und Korthaus und bestieg eine Phantom.
             Korthaus und die Dame gingen die Treppe zur Concorde hinauf.
             Die Dame meinte erstaunt:" So was, das ist die Maschine des
             Sultans von Maginan. Wie kommen wir denn zu dieser Ehre ?"
             Korthaus antwortete wahrheitsgemäß:" Ich weiß nicht mehr als
             sie." Als sie in dem Flugzeug waren, kamen sie zunächst in
             einen üppig ausgestatteten Barraum. Korthaus setzte sich an
             die Bar, die Dame neben ihn. Er fragte:" Kennen Sie diese
             Maschine ?" Sie antwortete:" Lassen Sie uns etwas trinken."
             Der Barceeper brachte die gewünschten Getränke. Korthaus
             sah die Dame fragend an. Sie erzählte:" Meine Gesellschaft
             sandte mich vor einigen Jahren zum Sultan von Maginan. Ich
             sollte erkunden, ob der Sultan bereit sei, vor seiner Küste
             Bohrungen unserer Gesellschaft zu gestatten."
             "Und ?"
             "Wir bekamen die Rechte, aber wie, Olala." Sie lächelte,
             so daß Korthaus eine Erregung den Rücken hinablief.
             Durch den Lautsprecher wurden sie aufgefordert in den
             Sesseln an den Fenstern Platz zu nehmen und sich für den Start
             anzuschnallen. Sie begaben sich zu zwei nebeneinander
             stehenden Sitzen und schnallten sich an. Die Maschine
             vibrierte, gewann Fahrt und hob ab. Dann wurde es wieder
             ruhiger im Flugzeug. Korthaus fragte:" Erzählen Sie es mir ?"
             "Später vielleicht. Ich muß schon sagen, Ihr Vorgehen erinnert
             mich stark an ihn."
             "Wieso ?", fragte der arglose Korthaus. Die Dame lächelte
             erneut und fragte:" Sie wissen doch was hinter der Tür dort
             ist ?" Korthaus war wirklich ahnungslos. Er guckte verdattert
             zur Tür:" Was ist dort ?"
             "Sie sind mir einer." Diese Reaktion ließ Korthaus allmählich
             klarwerden, was los war. Offensichtlich war hinter der Tür
             eine Spielwiese des Sultans. Etwas grimmig dachte er, daß
             Berg diese Geschichte eingefädelt hatte. Ihm war dabei
             unwohl, denn die Dame war kein junges Ding, daß man mit
             dererlei Geschichten herumkriegen würde. Peinlich war ihm
             aber, daß die Dame dieses Flugzeug kannte, und er in den
             Verdacht geriet, wie der Sultan mit gleichen Mitteln zum
             Ziel kommen zu wollen. Die Dame war jedoch ein Menschenfreund.
             Sie sagte:" Ihr Freund Berg hat es organisiert !"
             "Ja, ohne mich einzuweihen. Er überrumpelt die Leute gern
             mit seinen Ideen."
             "Im Falle dieser Maschine hat er wahrscheinlich keine andere
             Wahl gehabt und in der Eile keine andere bekommen können.
             Die Concorde mietet man nicht wie einen Leihwagen." Korthaus
             war erleichtert, daß die Dame ihm Brücken baute, auf der
             vielleicht eine unvoreingenommene Unterhaltung beginnen
             könnte. Er sagte: "Berg will Tests mit den Neutrinobecken
             machen. Er hat eine verrückte Idee."
             "Und die wäre ?"
             "Er sucht nach Lebensspuren im subatomaren Bereich." Die Dame
             sah Korthaus erwartungsvoll an. Korthaus sprach weiter:
             "Im Zyklotron von Cern hat er Iridium vom Mars getestet. Ich
             kann die Ergebnisse nicht beurteilen, aber Berg glaubt, daß
                                                               222/13
             Lebensvorgänge in dem Material feststellbar sind." Die Dame
             meinte: "Das erinnert mich an die indische Philosophie, aber
             Berg erscheint doch ein rational veranlagter Mensch zu sein."
             "Ja, das ist er. Er will Leben mit konventionellen wissen-
             schaftlichen Methoden nachweisen."
             "Gibt es denn noch andere ?" Korthaus hörte aus ihrer Frage,
             mehr noch aus dem Klang ihrer Stimme, daß sie seine
             Andeutungen über andere Methoden befremdlich fand. Er ging
             deshalb einen Schritt zurück und sagte: "Es wäre von
             unabsehbarer Konsequenz, wenn im subatomaren Bereich Lebens-
             vorgänge nachweisbar wären. Das irdische Leben wäre nichts
             Exclusives mehr. Überall könnten Organismen entstehen."
             Die Dame war an dem Thema sehr interessiert, sie fragte
             Korthaus nach einigen Details. Dieser beantwortete ihre
             Fragen so gut er konnte. Dann wurde sie müde. Sie gähnte
             etwas, stützte ihre Arme hinter ihrem Po auf dem Sitz ab
             und reckte dabei wie zufällig ihren großen schönen Busen
             vor. Korthaus wurde heiß und kalt. Er sagte:
             "Ich bin auch müde, am Besten Sie nehmen die Schlafgelegenheit
             im Nebenraum, ich schlafe hier im Sessel." Sie lächelte und
             meinte:" Kommen Sie mit nach nebenan, dort ist Platz für
             vier Personen auf einer Schlaffläche,- oder ist es Ihnen
             unangenehm ?" Korthaus hatte etwas Lampenfieber. Die Einladung
             erschien deutlich, ließ aber doch noch einiges offen. Er
             straffte sich und sagte:" Gern, wenn es Ihnen recht ist."
             Die Dame stand auf und ging durch die Tür in den Nebenraum,
             Korthaus folgte ihr nach. Der Raum war schwach beleuchtet.
             In der Mitte stand eine Liegefläche, die mit rotem Samt
             bezogen war. An den Wänden waren goldene Ornamente angebracht,
             Teure Lampen zierten die Ecken. Korthaus setzte sich auf den
             Rand der Liege. Die Dame ging zu einem Wandschrank, holte
             einige Decken heraus und legte sich mit den Decken auf die
             Liege. Dann sagte Sie:" Kommen Sie, im Sitzen schläft sich
             nicht so gut." Korthaus legte sein Jackett ab. Die Dame hatte
             sich unterdessen vollständig entkleidet. Sie war etwa 50
             Jahre alt, mit einer Figur, die einer Dreißigjährigen gut
             gestanden hätte. Als Korthaus sich mit anbehaltener Hose und
             Hemd hingelegt hatte, ging wie von allein das Licht langsam
             aus. Die Dame sagte:"Gut Nacht, schlafen Sie gut." Korthaus
             wünschte ebenfalls gutnacht und versuchte zu schlafen. Er
             war aber viel zu erregt. Das Flugzeug schwankte etwas, es
             schien Turbolenzen ausgesetzt zu sein. Plötzlich rollte er,
             ohne es zu wollen durch eine Schräglage des Flugzeugs bestimmt
             auf die Dame. Er landete auf ihrer Decke, spürte dabei ihre
             weichen Formen und war sehr verlegen. Die Dame tat als ob sie
             schliefe. Korthaus hob sich von ihr herunter und rückte
             wieder von ihr weg auf die freie Hälfte der Liege. Wiederum
             versuchte er zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Nach einer
             Weile rückte die Dame an ihn heran und sagte:
             " Sie können nicht schlafen ! Ziehen Sie sich aus und
             entspannen Sie sich. Korthaus gehorchte, behielt aber seine
             Unterhose an.
                                                          222/14
             Durch die Fenster der Concorde kam Dämmerlicht des heran-
             nahenden Tages herein. Korthaus löste sich aus den Armen der
             Frau, die fest eingeschlafen war. Er dachte, er hätte einen
             wunderbaren Traum gehabt. Aber ihm wurde klar, daß er es
             erlebt hatte. Er dachte, ob Berg das alles eingefädelt hätte,
             aber er zweifelte daran. Er beschloß, Berg bei der nächsten
             Gelegenheit zu fragen.
             Etwas irritiert erhob sich Korthaus, zog sich an, ging zu
             der Dame küßte ihre Wange und sprach:" Ich stehe auf."
             Sie schlug die Augen auf und fragte:" Ist es schon soweit ?"
             "In drei Stunden etwa. Kommst Du mit zum Frühstücken ?"
             "Gern, ich komme." Korthaus ging in den Barraum, nahm an
             einem der kleinen Tische Platz und wartete auf den Steward.
             Mit ihm etwa gleichzeitig kam die Dame aus dem Schlafraum
             zu ihm. "Wir sind gestern nicht mehr weit gekommen, aber
             ich bin neben Frau auch Wissenschaftler durch und durch.
             Weißt Du was Berg genau vor hat ?" Korthaus antwortete:
             "Er will während der Meteoriteneinschläge Iridiumstaub
             oberhalb des Neutrinobeckens verstäuben. Er hat eine Phantom
             mit irdischem Iridium und eine mit marsischem Iridium beladen.
             In der dritten Maschine fliegt er selbst um Messungen vor-
             zunehmen. Für mich hat er eine Beobachtungsaufgabe im Berg
             vorgesehen. Ich soll direkt am Neutrinobecken Messungen
             vornehmen." Sie antwortete:" Ich komme mit in den Berg,
             dort werden vielleicht interessante Dinge geschehen."
             "Gern", meine Korthaus. Der Steward brachte das Frühstück
             und die Beiden sprachen weiter. Sie sagte:" Er will wissen,
             ob im subatomaren Bereich Leben existiert. Aber das ist
             doch längst entschieden." Korthaus sagte:" Meinst Du die
             philosophische Antwort ?"
             "Ja, wir können mit unseren Netzen nur die Fische einfangen,
             die sich mit ihnen einfangen lassen. Entweder wir sehen
             aus uns selbst heraus, dann lebt nichts außer uns oder wir
             sehen es entgegengesetzt, wie die Inder es tun, dann lebt
             alles." Korthaus meinte:
             "Das ist Berg nicht genau genug". Sie antwortete:
             "Das macht ihn so sympathisch, er kämpft um die Exaktheit."
             "Das hat Don Quichotte auch getan."
             "Laß ihn das nicht hören". Korthaus lachte und meinte:
             "Du unterschätzt ihn, er verträgt allerlei." Korthaus dachte
             nach, dann sah er aus dem Fenster des Flugzeugs, sah die
             unter der superschnellen Maschine dahinfliegenden Wolken
             und gab sich einen Ruck:" Du wußtest das mit der Concorde ?"
             Sie lächelte ihn an und erwiderte:" Ich wußte alles. Ich
             kannte Berg aus Heidelberg." Korthaus wurde rot, dann wieder
             blaß und fragte:" Das war alles ...." Sie sagte:
             "Es ist alles ganz einfach. Damals sah ich Euch Beiden in
             dem Bistro neben dem Haupteingang der Univesität. Ihr
             wart in einer Diskussion verwickelt, es ging hoch her. Das
             hat mich neugierig gemacht."
             "Und dann hast Du in Genf..."
             "Ja, ich wollte von Dir entdeckt werden."
             "Aber warum denn so umständlich ?" Sie nahm seine Hand,
             drückte sie und sprach:" Davon verstehst Du nichts."
             Sie blickte aus dem Fenster und sprach weiter:
                                                       222/15
             "Wir haben nicht viel Zeit bis wir in Wellington sind. Ich
             möchte wissen, was hinter Deiner Aktion mit Berg steckt."
             "Dahinter ?", fragte Korthaus überrascht. Sie meinte:
             "Berg führt etwas Großes im Schilde, etwas das über seine
             Iridiumzerstäubung hinaus geht."
             "Das fürchte ich auch", meinte Korthaus. Sie sagte:
             "Ich meine aber nicht nur die Aktion, die er eingefädelt
             hat sondern den philosophischen Konflikt. In gewisser Weise
             seid ihr Zwei wie Hund und Katze." Korthaus sah sie an und
             erwiderte:" Manchmal wie Katze und Maus, ich bin dann die
             Maus." Wiederum lächelte sie und fragte dann:
             "Ich habe in Heidelberg einen Kommentar gelesen, den ein
             Student der Philosophischen Fakultät über Berg geschrieben
             hat. Du kamst auch darin vor."
             "Wie hieß der Student ?"
             "Bancketzki"
             "Ich erinnere mich nicht. Was schrieb er ?"
             Sie erklärte:" Er schildert Berg als Positivisten, der eine
             metaphysische Basis sucht. Und er beschreibt Deine Arbeiten
             als...." Sie zögerte. Korthaus forderte sie auf:" Sag es nur,
             ich bin Kummer mit den Studenten gewohnt." Sie fuhr fort:
             "Als die eines antiquierten Idealisten." Korthaus meinte:
             "Da hab ich Schlimmeres erwartet. Aber er hat nicht unrecht
             damit. Nur, es gibt keine ewigen Ideen, doch oberflächlich
             betrachtet kann jeder, der die Materie nicht für das letzte
             Wesen im Kosmos hält, als Idealist gelten." Sie war sehr
             aufmerksam geworden und fragte:" Das ist der Punkt, der
             mich interessiert. Was ist mit der Materie. Sie ist doch
             nicht von uns erdacht ?"
             "Bestimmt nicht, sonst säßen wir nicht hier."
             "Wieso ?"
             "Ich wollte Dich doch kennenlernen", sagte Korthaus und
             fuhr fort:" Eine ideale Welt, die nur aus uns heraus da wäre,
             wie wäre das langweilig." Sie hakte ein:
             "Also brauchst Du auch ein "Nichtich" eine Außenwelt, um
             einmal diese Spezialsprache der Philosophen zu nehmen ?"
             "Aber ja, die Materialisten oder Positivisten irren nicht
             in der Annahme einer Außenwelt sondern in der Definition
             der Materie."
             "Wie ist diese Definition zu beschreiben ?" Korthaus sagte:
             "Etwa so: Die Materie ist Substanz und Energie, etwas
             Nichtsubjektives, also ohne eine Richtung ohne Willen und
             Ziel, disparat und zufällig, Baumaterial, welches den Wesen
             dient um sich aufzubauen und zu wachsen. Und das Wichtigste:
             sie ist ohne einen Urheber oder einen Anfang oder einen
             letzten Grund."
             "Und Berg will diese Definition umstoßen ?"
             "Ich weiß nicht, ob er das will. Aber die Materie als eine
             Summe von unzähligen Lebewesen, das würde auf eine Revolution
             der Begriffe hinauslaufen."
             "Und Du ?, für Dich ist diese Definition nicht gültig ?! Hast
             Du eine andere Definition der Materie ?"
             "Laß mich mit einer Frage daran gehen: Wenn keiner von uns
             da wäre, der die Eigenschaften der Materie wahrnehmen und
             beschreiben könnte, was wäre mit dem Gewicht und mit den Maßen
             der Materie, wären sie vorhanden ?" Die Dame antwortete:
                                                                 222/16
             "Es gäbe kein Kilogramm, kein Meter, aber es blieben doch
             die Relationen, daß etwas um einen bestimmten Faktor schwerer
             oder leichter ist als etwas anderes." Korthaus sagte:
             "Das habe ich auch sehr lange gedacht. Aber diese Relationen
             sind unablösbar mit unseren Erfahrungen verbunden. Wir haben
             in der Kindheit gelernt, daß etwas schwer oder leicht ist.
             Wir haben auch gelernt, die Dinge zu definieren, nachdem wir
             von ihnen Abbilder gemacht haben. Aber was wäre, wenn es uns
             mit allen Eigenschaften und Wesenheiten der Materie ebenso
             erginge wie mit den Maßen von Längen und Gewichten." Die
             Dame wirkte erstaunt, sie sah aus dem Fenster auf die unter
             der Maschine mit fast 2 Mach vorbeijagenden Wolkenbänke und
             sprach:" Es könnte so aussehen, als ob nichts mehr von der
             Materie übrig bleibt, wenn wir uns aus der Sache heraus-
             nehmen. Aber das geht nicht, wir sind da." Korthaus meinte:
             "Es wäre bestimmt ein Irrweg, die Nichtexistenz der Materie
             zu behaupten, nur weil wir uns aus der Welt hinwegdenken
             könnten." Die Dame meinte aufatmend:
             "Also nur ein Gedankenspiel ?!"
             "Nein, es geht um die Frage der Eigenschaften. In dem, was
             wir von der Materie verstehen, sind wir herausgedacht. Sie
             ist leblos, ohne Reproduktion usw. Aber können wir uns
             herausdenken ? Das Beispiel eben zeigte, daß es nicht geht.
             Die Frage ist nicht ob es Materie gibt oder nicht sondern, es
             gibt etwas außer unserem Ich, aber es muß nicht Materie sein,
             wie wir sie verstehen." Die Dame lachte auf:
             "Bist Du Okkultist ?" Korthaus antwortete:
             "Auf gar keinen Fall. Ich denke, es gibt etwas außer dem Ich,
             was nur erfahren wird durch das Ich. Wir produzieren mit
             diesem Unbekannten unsere Welt."
             "Weltgeist ?" Korthaus meinte:
             "Das wäre nichts anderes als eine andere Definition der
             Materie."
             "Das verstehe ich nicht ?", meinte die Dame:" erklär es
             genauer." Korthaus sah aus dem Fester durch eine Wolkenlücke
             Land. Er sagte:" Wir sind bald da. Ich versuch es noch
             einmal mit einem anderen Bild: Materie und Geist sind insofern
             verwandt, als wir sie definieren als universale Eigenschaft
             des Raumes um uns herum und in uns selbst. Es ist eine
             universale Objektivität gedacht, darin sind die Definition
             verwandt."
             "Ja, das ist klar, aber gibt es eine andere Möglichkeit ?"
             Korthaus sagte:" Ich weiß es nicht bestimmt. Aber ich habe
             ein Modell im Kopf. Stellen wir uns vor, wir sind eine Kugel,
             die wir Ich nennen, umgeben von einem unbekannten Raum. Wir
             erkennen etwas und unsere Kugel umschließt nun das Erkannte
             auch. Also wachsen wir mit der zunehmenden Erkenntnis.
             Der unerkannte Raum bleibt aber außerhalb bestehen. Das wäre
             die objektive Sicht der Welt. Nun umgekehrt: wir untersuchen
             uns selbst. Wir sehen bald, daß wir in uns unerkennbar sind.
             Wir stoßen nicht vor bis zu einem letzten Mittelpunkt.
             Wachsen, Motive finden usw, bleiben weitgehend im Dunkeln.
             Wir erkennen nur eine Art Kugelschale, in der Mitte sind wir
             so unbestimmbar wie der Raum außerhalb. Diese Schale wächst
             oder schrumpft." Die Dame war beeindruckt uns sagte:
             "Ein interessantes Bild, wir müssen der Sache unbedingt weiter
             nachgehen." "Gern", sagte Korthaus und erhob sich, um sich
             für die Landung im Sitz anzuschnallen.

                                                             222/17
             Was die Beiden in der Concorde gesehen hatten, war
             die Küste von Australien. Die Landung stand noch nicht
             bevor. Die Dame ging zu Korthaus und sagte:
             "Komm ruhig mit zum Tisch zurück, wir haben noch etwa
             3 Stunden bis zur Landung. Wir fliegen jetzt unter Schall,
             wahrscheinlich, weil wir über Australien sind." Korthaus
             schnallte sich wieder los und begab sich zum Tisch.
             Die Dame hieß Juliane, Korthaus sprach sie aber nicht so
             an, er scheute sich etwas. Sie bemerkte das und fragte:
             "Dir geht es nicht so gut ?" Korthaus log:" Oh doch."
             "Du bist etwas verstrickt ?"
             "Ja, etwas. Es ist immer der Abschied, der mir zu schaffen
             macht."
             "Erzähl es doch !", forderte sie ihn auf. Korthaus er-
             zählte nun von seiner Liebesgeschichte auf dem Mars. Sie
             hörte sich das an und sagte:" Du weißt aber, daß die
             Gipfel immer nur kleine Standflächen haben ?!" Korthaus
             nickte, dann aber sagte er:
             "Dein Interesse ist bemerkenswert. Ich bin ein alter Mann..."
             "Nein, nicht so," widersprach sie:" Wir lieben immer den
             ganzen Menschen. Du bist älter als ich, aber Du kannst
             auch mehr Gedanken in Bewegung setzen. Außerdem, ich muß
             nicht mit Dir zusammenleben." Korthaus war etwas geschockt.
             Dann aber besann er sich und sagte:" Es ist doch verblüffend,
             wenn eine Frau das sagt, was ein Mann denkt. Aber Du hast
             recht, der aufgeklärte Mensch erkennt in den Anderen das
             Interessante. Es gibt nicht nur die Polygamie der Lust
             sondern auch des Geistes."
             "So ist es, wir denken sehr verwandt, aber es war auch sehr
             schön..." Dabei senkte sie den Kopf. Korthaus bemerkte,
             daß er mit seinen hart am Selbstmitleid streifenden
             Formulierungen etwas Überflüssiges angeregt hatte. Eigentlich
             war alles klar. Wie ihm dies so deutlich wird, kommt sein
             anderes Ich hervor. Er sagt ganz unvermittelt:
             "Hast Du Lust auf die Eroberung des Universums ?" Sie sah
             ihn an, sah seine funkelnden Augen und antwortete:
             "Mehr mein Lieber, am Besten alles." Korthaus war von
             dieser Antwort überwältigt. Er ging zu ihr, hockte sich
             neben ihren Stuhl und küßte sie stürmisch. Nachdem er sich
             wieder auf seinen Platz gesetzt hatte, sagte sie:
             "Seit ihr Zwei deshalb zusammen ?" Korthaus meinte:
             "Vielleicht, wir sind schon sehr lange befreundet. Berg hat
             die Marskolonie begründet und ist der Urheber der dauerhaften
             Bewohnung der Kolonie. Jetzt hat er etwas vor, was ich nicht
             durchschaue. Wenn ich bedenke, daß er bald zum Kaiser des
             Mars gekrönt worden wäre, kann ich mir nicht vorstellen,
             daß er im idealistischen Feld des Geistes bleiben wird mit
             seinen Aktivitäten. Ich wäre zufrieden mit der Lösung der
             interessanten Rätsel des Geistes.."
             "Ein wahrhaft bescheidenes Ziel, nicht wahr ?", meinte sie
             mit einem halb ironischen, halb bewundernden Lächeln.
             Korthaus fuhr fort:" Na, ja Berg ist noch etwas bescheidener,
             er will nur das gewöhnliche Universum erobern." Sie
             lachte laut los:" Das hört sich an, als ob Napoleon und
             Friedrich der Zweite reden würden." Korthaus senkte seinen
             Kopf und sah scheinbar nach seinen Schuhen. Dabei lächelte
             er fein vor sich hin, denn irgendwie fühlte er sich beinah
             ertappt.

                                                            222/18
             "Was haben Sie da eingefädelt ?", fragte Korthaus. Berg
             sah aus dem Fenster des Flughafenrestaurants von
             Wellington hinaus und antwortete:
             " Wo der Hubschrauber bleibt ?" Korthaus blieb aber beim Thema:
             " Raus damit, was ist mit der Dame ?" Berg lächelte:
             " Entschuldigen Sie, ich muß in wenigen Minuten mit den
             Phantoms starten. Aber ich möchte Sie vorher im Hubschrauber
             wissen. Die Dame kennt Sie bereits von der Sendung, die wir
             vom Mars aus auf die Erde gebracht hatten."
             "Sie kannte mich !", meinte Korthaus und verzog sein Gesicht
             undefinierbar:" Sie wußten also alles und ließen mich im
             Glauben, ich würde eine neue Bekanntschaft machen ?" Berg
             sagte:" Korthaus, wie alt sind Sie ?"
             "Wie bitte ?"
             Berg fuhr fort:" Sie wollen der Initiator sein und die Dame
             will es auch, was soll man da machen ?" Plötzlich lachte
             Korthaus los:" Sie sind absolut verrückt. Also die Dame
             hat mich erobert und ich sie, jeder von uns denkt, er habe
             die Sache angefangen."
             "Was ist daran verkehrt ?", fragte Berg. Korthaus wiegte
             seinen Kopf hin und her und antwortete:
             "Es ist zumindest typisch für Ihre politischen Aktionen.
             Was haben Sie jetzt vor mit uns ?" Berg legte einen Zeige-
             finger auf den Mund und sagte:" Psst, sie kommt und ich muß
             weg." Die Dame kam heran, begrüßte die Beiden und nahm
             Platz. Berg verabschiedete sich mit den Worten:" Ich muß
             los, die Maschinen starten in einigen Minuten. Ihr Hub-
             schrauber ist noch nicht da, aber ich muß dennoch los.
             Wir treffen uns gegen 6 Uhr im Morgengrauen im Zentral-
             labor der Badewanne." Damit erhob er sich und marschierte
             davon. Die Dame setzte sich und fragte:" Wann fliegen wir
             los ?" Korthaus erwiderte:" Wir müssen auch abfliegen, aber
             der Hubschrauber ist noch nicht da." Nun winkte er sie zu
             sich heran um nicht laut sprechen zu müssen und sagte sehr
             leise:" Ich verrate Dir etwas." Sie sah ihn fragend an. Er
             sagte:" Berg experimentiert mit der Materie aber auch mit
             uns." Sie tat erstaunt:" Ja ?" Er sprach weiter:
             " Vielleicht bist Du auch eingeweiht, und ihr beide habt
             mich..." Sie unterbrach:
             " Nein nein, so weit ging es nicht. Bist Du sauer ?"
             Korthaus lächelte: "Warum sollte ich, ich muß ja nicht
             anbeißen." Sie tat empört:
             "Du mußt bei mir nicht anbeißen ?!" Korthaus durchschaute
             ihre Geste und flüsterte nun:
             " Ich experimentiere auch."
             "Mit ihm ?", fragte sie zurück.
             "Wenn es sein muß, auch mit ihm."
             "Und mit mir auch ?"
             "Nein", log Korthaus und sprach weiter:"laß Dich überraschen."
             Sie fragte aber weiter:" Du weißt also nie genau, was Berg
             mit Dir vor hat, und Berg weiß nicht, was Du mit ihm planst?"
             "Wir kennen uns schon eine Ewigkeit lang. In den Grundzügen
             weiß jeder von uns, was der andere anstrebt." Sie fragte:
             "Und was strebst Du an ?"
             "Das gleiche wie er: Die Eroberung des Universums."
             "Seltsam, wie Du das anstellst. Wieso seid ihr dann auf
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             verschiedenen Wegen um zu eurem Ziel zu gelangen ?" Korthaus
             erwiderte:" Berg sucht die Lösung im Weltraum, ich suche
             sie in mir selbst." Sie antwortete:
             "Berg kann ich vielleicht noch verstehen, aber Du, wie
             soll das gehen ?" Korthaus sah aus dem Fenster, aber der
             Hubschrauber kam noch nicht. Nun nahm er seine Tasse Kaffee
             und antwortete:" Wenn wir Glück haben, finden wir das Gleiche,
             er draußen ich innen. Das heißt, er findet überall kleine
             Bergs, bis hinab zu den Quarcks und ich finde überall im
             Weltraum überall mich." Sie lachte und meinte:
             "Das ist schon etwas daneben, oder ?" Korthaus sprach:
             "Du wirst es sehen, er findet in den Quarcks, was er sucht.
             Und ich finde in Dir, was ich suche." Sie sah ihn an, als
             ob sie überlegen müßte, was das alles bedeuteten würde, ein
             Bubenstück, eine Liebeserklärung oder der Anfang einer
             Weltrevolution. Sie entschied sich für das Erste und sagte:
             " Vielleicht wollt ihr beide nur nicht erwachsen werden ?!"
             Korthaus lächelte und erwiderte:
             "Das mag sein, aber es wird spannend, vorausgesetzt, wir
             kommen überhaupt zur Neutrinoanlage hin, es sieht nicht
             gut aus."
             Unterdessen war es Mitternacht geworden, der Hubschrauber
             war nicht in Sicht. Korthaus telefonierte herum. Nach
             vielen vergeblichen Versuchen konnte er von einer Leihfirma
             einen Hubschrauber mit Piloten bekommen. Aber auch der kam
             erst gegen 2 Uhr in der Nacht. Es wurde höchste Zeit. Berg
             mußte bereits über dem Gebiet herumfliegen unter dem die
             Neutrinoanlage lag. Die Aufgabe von Korthaus war es, unten
             in der Erde, im Labor der Anlage die Meßergebnisse in
             dem Becken aufzuzeichnen. Es war vorgesehen, daß der Operator
             diese Aufzeichnungen auch ohne Korthaus machen sollte, aber
             es war auch möglich, daß der Mann die Anlage abschalten würde,
             wenn die Meßergebnisse stark außerhalb der Regel ausfallen
             würden. In diesem Fall sollte Korthaus das Abschalten
             verhindern. Die Dame, als Kapazität der Geologie bekannt,
             hätte Korthaus in dabei unterstützt.
             Die Beiden liefen zum Hubschrauber, so schnell sie konnten,
             als er endlich da war.
             Sofort hob er ab. Der Flug zur Anlage dauerte etwa eine
             Stunde. Bereits gegen 6 Uhr morgens sollte der Meteoriten-
             schauer vorbei sein. Es war eine sternenklare Nacht. Sie
             sahen im Norden die Sternschnuppen des Meteoritenschwarms
             herbfallen. Plötzlich zeigte der Pilot aufgeregt nach vorn.
             Alle Drei sahen hinaus. Drei verschiedene Flugobjekte zogen
             Kreise und Schleifen, machten Überschläge und Wälzungen
             im Flug. Die Positionslichter wechselten rasch ihre Farben,
             das bedeutete, daß die Maschinen sich drehten.
             "Wissen Sie was das ist ?", fragte Korhaus den Piloten. Der
             antwortete:" Das sind sehr schnell fliegende Jets, es sieht
             so aus, als ob sie Kunstflüge machen würden."
             "Kunstflüge in der Nacht ?", fragte Korhaus:" ob das Berg
             ist. Aber wozu ?" Der Hubschrauber landete auf dem Gelände
             der Anlage. Die Dame und Korthaus liefen zum Eingang, dann in
             den Fahrstuhl und gelangten in das unterirdische Labor. Die
             Meßgeräte waren alle eingeschaltet, die Computer zeichneten
             die Daten auf. Der Operator begrüßte die Beidem:
             
                                                                 222/20
             "Schön, Sie zu sehen, aber sie kommen sehr spät."
             "Wir bekamen keinen Hubschrauber", sagte Korthaus und fragte:
             "Ist ihnen schon etwas aufgefallen ?" Der Operator antwortete:
             "Es liegt alles noch im statistischen Mittel, nur eine Sache
             ist da. Die Mesonenproduktion ist heruntergegangen."
             "Was hat das für Konsequenzen ?", fragte Korthaus.
             "Ich weiß es nicht, aber die Neutrinoeinschläge liegen im
             Mittel." Plötzlich wurde Korthaus hektisch, er rief:
             "Sehen Sie auf dem Schirm !" Auf dem Bildschirm der Anlage,
             der die Ereignisse im Becken grafisch simuliert, waren
             kleine Bündel nadelfeiner Striche zu sehen, die strahlenförmig
             aus einem Zentrum kommend sich nach außen ausbreiteten. Der
             Operator sagte:" Das kenne ich nicht, kommen sie mit zum
             Detektor." Er lief mit der Dame und Korthaus die Metalltreppen
             zum Rand des Beckens hinab und sah auf den Kontrollbildschirm
             des Magnetfelddetektors. Auch dort waren Ereignisse sichtbar:
             Nadelfeine Striche zuckten aus einem Zentrum nach außen.
             Korthaus meinte:" Es sind echte Ereignisse ?" Der Operator
             erwiderte: "Ganz bestimmt, es sind auch keine Störungen, sehen
             sie hier !"  Er zeigte auf einen Computerbildschirm , der
             lange Zahlenreihen aufzeichnete:" Das sind die Spannungs-
             äquivalente, es besteht kein Zweifel, hier tauchen jene
             subatomaren Fragmente auf. Sie sind für Mesonen zu stark
             und Neutrinos werden auf dem Schirm so nicht sichtbar, sie
             sind auch nicht in den Meßwerten enthalten."  Die Dame war
             auch ganz aufgeregt geworden und fragte die Männer:
             "Was könnte das sein ?" der Operator meinte:
             "Es hängt mit dem Meteoritenschwarm zusammen, die
             verschiedenen Maxima fallen mit den Erscheinungen auf den
             Bildschirmen zusammen." Korthaus sah sich die Ausdrucke der
             Ergebnisse an, die gerade aus dem Drucker kamen. Dann sagte
             er:" Sehen Sie ! Berg hat vielleicht recht mit seiner
             Vermutung. Es gibt hier Expansionswerte, die nicht mit den
             Maxima übereinstimmen: die maximale Linienausstrahlung
             erfolgt etwa eine halbe Sekunde nach dem Maximum der
             Meteoriteneinschläge." Die Dame sah den Zusammenhang auch.
             Sie sprach:" Sie haben recht, ich habe eine solche Verzögerung
             noch nicht gesehen." Der Operator bestätigte sie:"
             In subatomaren Reaktionen liegen die Verzögerungen im Nano-
             sekundenbereich." Korthaus nahm die Blätter hoch und wedelte
             damit herum wie mit einer Trophäe.  Da wird Berg staunen,
             aber.." er flüsterte theatralisch:" wir sagen ihm gar nichts,
             er soll es selbst entdecken." Der Operator fragte:
             "Warum ?" Die Dame antwortete:
             " Was erfreut den Jäger mehr, einen toten Hasen zu finden oder
             einen lebenden zu schießen?"
             So kam es, daß Berg gegen 7 Uhr am Morgen in das Labar unter
             der Erde eintrat und drei scheinbar müde und wenig
             interessierte Personen vorfand. Er sagte freudestrahlend:
             " Korthaus, Sie haben recht."  Korthaus zuckte, als ob er
             ertappt worden wäre. Aber Berg bemerkte nichts und fuhr fort:
             "Wir haben das Iridium vom Mars verloren."
             "Wie bitte ?"
             "Wir haben es irgendwo verloren. Das war mein Glück."
             "Wie das ?", fragte der irritierte Korthaus den über-
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             schwenglichen Berg:" Und da sind Sie erfreut ?  Und womit
             hatte ich recht ?" Berg setzte sich vor den Computer, stützte
             seinen Kopf in die Hände, strahlte wie ein Junge, der ein
             Geschenk erhalten hat und sagte:
             "Die Kunst ! Ich habe Sie endlich verstanden." Korthaus
             schaute verblüfft drein und fragte:" Ich versteh nichts mehr."
             Die Dame hatte unterdessen das Päckchen Papier der Computer-
             ausdrucke genommen und bot es Berg an:" Sehen Sie !" Berg
             begann die Blätter zu studieren. Es waren Blätter mit Zahlen
             und fotografische Ausdrucke der Maximasequenzen auf den
             Simulationsbildschirmen. Er legte sie nach einigen Sekunden
             beiseite und sprach zu der Dame gewandt:
             "Korthaus hat das Leben als Kunstwerk entdeckt, aber ich
             konnte das bisher nicht begreifen. Jetzt habe ich es selbst
             erfahren." Korthaus fragte:" Wodurch ?" Berg erwiderte:
             "Wir haben getanzt mit den Phantoms, inmitten des
             Meteoritenschwarms. Ich sah alles aufeinmal, von außen,
             innen. Eine wirklich königliche Sicht der Welt, die Sie
             entworfen haben, eine Welt als Happening."
             Korthaus nahm noch einmal die Blätter hoch, die Berg scheinbar
             achtlos beiseite gelegt hatte und zeigte Berg eine bestimmte
             Zahlenreihe. Nun endlich wurde der stutzig. Er sagte:
             "Ist das wahr, sind die Daten authentisch ?" Korthaus meinte:
             " Ja, wir denken sie sind authentisch. Berg sprang auf:
             " Korthaus sie haben Leben außerhalb des Mars entdeckt !"
             Korthaus sah ziemlich verdattert in die Runde, als ob er
             von den Anderen Aufklärung über diesen unverständlichen Satz
             erhalten könnte. Die Dame sprang ihm bei:
             " Er meint doch bestimmt das Leben im subatomaren Bereich."
             Korthaus sah wieder klar.
             " Natürlich, es ist ja umgekehrt." Berg meinte:
             " Ich hatte Leben im Marsiridium erwartet, aber nicht in
             irdischem Material. Hier, diese Pseudomesonen zeigen ebenfalls
             Vermehrungsreaktionen. Offenbar werden sie durch die Maxima
             der Meteoriteneinschläge ausgelöst."
             "Können sie nicht vom Meteoritenschwarm kommen ?", fragte die
             Dame. Berg antwortete:
             " Nein, das kann nicht sein. Die Maxima können nur Ereignisse
             im Nanosekundenbereich nachschleppen. Hier sind es 4 bis 5
             Zehntelsekunden." Berg legte die Blätter zur Seite und sagte:
             "Lassen Sie uns zum Hotel fliegen und dort weiter machen."
             Er packte die Ausdrucke in seine Mappe und verließ dann mit
             Korthaus und der Dame die Anlage. Die Drei bestiegen
             den Hubschrauber und flogen nach Wellington.
             Im Cafe des Hotels begann die Frühschicht ihren Dienst.
             Die drei Helden betraten den Gastraum, nahmen Platz und
             bestellten ein Frühstück. Korthaus war ziemlich aufgeräumt.
             Dies aus zwei Gründen, ersteinmal hatte er die Entdeckung
             des Lebens im irdischen Material unterhalb der atomaren Ebene
             entdeckt und, was noch wesentlicher war, Berg hatte eine
             Erfahrung gemacht, die ihn hoffen ließ, daß dereinst Berg
             auch seine Philosophie teilen würde.
             Nachdem das Frühstück beinahe abgeschlossen war, sagte
             Korthaus:" Für morgen lade ich Sie zu einem Rundflug ein.
             Ein alter Freund von mir hat vor der Stadt einen kleinen
             Flugplatz und eine alte Maschine. Wir fliegen etwas herum
             uns sehen uns die schöne Aussicht an." Berg sagte:
                                                        222/22
             "Sie haben etwas vor, stimmts ?" Korthaus erwiderte:
             "Nein, wir entspannen uns etwas bevor wir in ihr nächstes
             Abenteuer entführt werden." Berg sagte spontan:
             "Gern, wann fliegen wir los ?" Korthaus erwiderte:
             "Wir schlafen uns aus, ich besorge einige Kleinigkeiten und
             morgen um diese Zeit starten wir." Die Dame fragte:
             " Und mich nehmen Sie mit ?"
             "Natürlich, wir werden alle Drei losziehen."
             Da die Drei völlig übermüdet waren, begaben sie sich kurz
             darauf zu Bett.
             Der Tag und der Abend vergingen mit allerlei Beschäftigungen.
             Die Dame machte gegen Nachmittag eine Rundfahrt zu bestimmten
             Orten der Insel. Korthaus hatte mit den Vorbereitungen für
             den Ausflug zu tun, und Berg studierte die Aufzeichnungen
             der letzten Nacht. Spät am Abend trafen sich die Drei zu einem
             Gespräch im Hotelrestaurant. Die Dame versuchte etwas zu
             erfahren:" Wohin fliegen wir morgen ?" Korthaus antwortete:
             "Wird nicht verraten." Sie fragte Berg:
             "Haben Sie irgend eine Ahnung ?" Berg erwiderte:
             "Vielleicht meditieren wir über den Wolken von Australien.
             Korthaus ist der Spezialist für das Innere."
             "Und Sie mehr für das Äußere ?" Nun schaltete sich Korthaus
             ein:" Typisch Bergscher Schematismus. Glauben Sie ihm
             nichts." Berg meinte amüsiert:
             "Er wollte mich zum Kaiser des Mars krönen." Die Dame lachte:
             "Im Ernst ?" Korthaus nickte. Die Dame sprach weiter:
             "Das ist aber keine innere Angelegenheit." Korthaus sagte:
             "Berg ist ein verkappter Idealist. Wenn er alles erreicht hat,
             was er haben wollte, legt er es weg und vermacht es der
             Nachwelt."
             "Das könnte Ihnen so gefallen", widersprach Berg. Aber ich
             habe auch einmal gehört, Nietzsche sei ein Gottsucher gewesen."
             Die Dame schaltete sich ein:
             "Es ist schon sehr kurzweilig, wenn Sie sich gegenseitig
             einzuverleiben versuchen." Berg meinte sarkastisch:
             "Sie überschätzen die Möglichkeiten des Verstandes. Korthaus
             ist so stabil in seiner Anschauung wie ein Mormone." Das
             konnte Korthaus nicht auf sich sitzen lassen:
             "Sie sind doch ihrer Objektivität längst untreu geworden."
             "Meinen Sie meine Flugakrobatik ?" Bevor Berg antworten
             konnte, fragte sie:
             "Wie ist es dazu gekommen ?" Berg lächelte und sprach:
             "Die zweite Maschine, also die, die gleich hinter mir flog,
             hatte das Marsiridium geladen. Als der Pilot die Zerstäuber-
             kammer mit dem Iridium abwerfen wollte, passierte nichts.
             Das Iridium war längst verloren gegangen. Der Pilot dachte
             aber, die Kammer hätte sich verklemmt. Er machte einen Salto,
             damit sie herausfallen könnte. Das nutzte nichts, er machte
             also diese Rollen um die Längsachse. Da überkam es mich.
             Ich sagte dem Piloten, ich übernähme, und dann gings los."
             "Das hat der Pilot geduldet ?", fragte die Dame erstaunt.
             Berg antwortete:" Ja, er war einmal Kunstflieger gewesen. Er
             hat meine Stücke wohl nicht als gefährlich gesehen, sonst
             hätte er eingegriffen."
             "Und dann ?", fragte sie. Berg erwiderte:
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             "Stellen Sie sich das vor: Die Welt dreht sich, von allen
             Seiten kommen Sternschnuppen herab, die Maschine vibriert.
             Du denkst: Jetzt hast Du es, so funktioniert die Welt:
             eine einzige Eruption, ein ästhetisches Ereignis."
             Korthaus hatte begeistert zugehört, nun sagte er:
             "Und Sie wissen auch wo es herkommt ?" Berg witterte die
             idealistische Falle, die ihm Korthaus gestellt hatte.
             Deshalb antwortete er:
             " Nein, mein Freund, mit meinem Ich hat das nichts zu tun.
             Sie haben es erlebt in der Anlage, selbst die Urteilchen
             machen es so. Sind wir den etwas Anderes als eins von diesen
             Urteilchen ?, nur etwas größer geraten ?" Korthaus spielte
             den Enttäuschten:
             "Schade, Sie sind noch nicht so weit." Berg hob beide Hände
             zur Abwehr:
             "Um gotteswillen, ich hoffe, so bald bin ich wirklich noch
             nicht soo weit." Dieses Geplänkel ging noch eine Weile
             zwischen den Dreien hin und her, dann gingen sie, von etwas
             Wein beruhigt zu Bett.
             Früh am anderen Morgen kletterten die Drei in den Hubschrauber
             und flogen vor die Stadt. Sie landeten auf einem kleinen
             Flugplatz. Aus einem Gebäude kam ihnen ein verwitterter Mann
             entgegen:" Hallo zusammen." Korthaus begrüßte seinen Freund
             und stellte die Anderen vor. Der Mann sagte zu Berg:
             "Sie sind also der Marsimperator, eine große Sache."
             Korthaus sagte nun:" Wir wollen gleich losfliegen, sind
             die Tanks voll ?"
             "Alle, ihr kommt bis Madagaskar oder Afrikas Ostküste
             und zurück."
             "Und das Konfetti ?", fragte Korthaus. Der Mann antwortete:
             "Ist verladen. Oh da kommt meine Frau." Eine alte rüstige
             Frau kam mit einer Kaffekanne und einem Tablett auf die
             Gruppe zu. Sie begrüßte die Gäste:" Für einen Kaffee haben
             Sie noch Zeit ?!" Berg bejahte, sie setzten sich ins Gras
             und tranken den Kaffee. Berg hatte natürlich verstanden,
             was da vorging. Er sagte zu Korthaus:" Sie haben eine längere
             Sache vor ?" Korthaus meinte:"Mm, mehr verrate ich erst
             später." Die Dame wollte nun wissen:" Mit welchem Flugzeug
             fliegen wir, ich sehe keins." Der Mann antwortete:
             "Ich bringe sie gleich hin." Als die Gruppe sich nach
             einigen Minuten erhob und durch den strahlend sonnigen Morgen
             zu dem Gebäude ging, meinte Berg:
             "Sie haben etwas vor ?"
             "Aber ja, wir wollen doch keine Zeit vertrödeln."
             "Also keine Mußestunden in der Luft ?", fragte Berg ironisch.
             Korthaus antwortete:
             "Berg!, meine philosophischen Untersuchungen waren auch keine
             Muße. Ihnen mag es so vorgekommen sein." Die Dame lächelte vor
             sich hin. Als die Vier hinter das Gebäude gingen, sahen sie
             ein unglaublich großes Flugboot mit zwölf Motoren an den
             Tragflächen. Der Mann zeigte darauf und sagte:
             "Da ist er mein Albatros, ich nenne ihn so, weil er praktisch
             immer oben bleibt."
             "Wie lange ?", fragte die Dame. Der Mann sagte:
             " Je nach Beladung 30 bis 50 Stunden, heute kann er noch mehr,
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             er hat Zusatztanks bekommen und Räder, damit er hier starten
             kann. Sie wandte sich an Korthaus und fragte:
             "Was haben Sie vor, wollen sie mit uns eine Weltreise
             machen ?" Korthaus meinte:
             "Wir brauchen vier Tage, ist es Ihnen zu lang ?" Die Dame sah
             zu Berg hin, der meinte zu ihr gewandt:
             "Ist es Ihnen zu lang ?" Sie antwortete:" Nein". Die Drei
             kletterten in die Maschine. Als sie im Cokpit saßen, sagte
             Berg erstaunt: "Das kenne ich doch, dieses Cokpit bin ich
             1915 bei Ypern geflogen." Korthaus meinte:
             " Ja, es ist dasselbe, aber ein anderes Flugzeug steckt außen
             herum an ihm dran."
             "Fliegen Sie es ?", fragte Berg. Korthaus meinte:
             "Wir wechseln uns ab, einverstanden ?" Berg nickte, die
             Motoren starteten und brummten los. Es war so laut, daß die
             Drei sich nicht mehr verständigen konnten. Korthaus setzte
             sich den Fliegerhelm mit der Sprechanlage auf, die beiden
             Anderen machten es genauso. Die Maschine hatte eine doppelte
             Steuerung. Den Start machte Korthaus. Ohne Probleme gelangten
             sie in die Luft. Da die Kanzel vollständig verglast war,
             konnten sie alles unten, zu den Seiten und oben sehen. Die
             Sonne schien herein, am westlichen Horizont waren Quellwolken
             zu sehen. Berg fragte: "Nun raus damit, wohin ?"
             "Kenia", antwortete Korthaus. Berg fragte:
             "Was ?" Korthaus antwortete:
             "Konfetti." Berg fragte:
             " Gewürzt ?"
             "Salzlos." Nun fragte die Dame:
             "Sehr intertessant Eure Kochrezepte. Wer wird denn bekocht ?"
             Korthaus antwortete:" Muga-Bendi." Die Dame sagte:
             "Jetzt weiß ich soviel wie vorher." Korthaus wurde klar, daß
             sie nicht wissen konnte, was der Dialog mit Berg zu bedeuten
             hatte. Er sprach:
             " Entschuldihgen Sie, eine alte Angewohnheit von 1915, nur
             wenige Worte." Die Dame unterbrach ihn:
             "Wahrheit !" Korthaus lachte:
             " Sie können es ja schon. Gut, ich pack aus. Mein Freund
             Muga-Bendi hat finanzielle Probleme. Er hat sein ganzes Geld
             verbraucht um die Clanchefs ruhig zu halten. Kurz, er ist
             pleite."
             "Und was machen wir ?", fragte die Dame. Korthaus fuhr fort:
             "Geld beschaffen."
             "Mit ungesalzenem Konfetti." Berg schaltete sich ein:
             "Konfetti sind Bomben, ungesalzene sind reine Knallbomben,
             also Attrappen." Korthaus meinte:
             " Darf ich fortfahren ?"
             "Nur zu !" Er fuhr fort:
             "Mein Freund hat mich gebeten, an seiner Nordgrenze etwas
             Konfetti zu werfen. Den Rest macht er."
             "Welchen Rest ?", fragte die Dame. Nun antwortete Berg:
             "Das ist einfach, der Zwischenfall wird als bewaffneter
             Konflikt gemeldet, stimmts Korthaus ?"
             "Ja, die Europäer und Amerikaner werden Geld schicken, damit
             Muga-Bendi nicht gestürzt wird." Die Dame lachte los und
             schüttelte den Kopf. 

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             Die Maschine flog ruhig durch den klaren australischen Himmel.
             Korthaus sagte:" Eine Frage, über die schon lange gestritten
             wird: Ist die Kunst eine Decadenceerscheinung der
             Zivilisation ? Und die weitere: Wann trat sie auf ?" Die
             Dame meinte:
             " Es gibt diese Steinzeitmalereien." Berg griff das auf:
             " Einige Stimmen sagen, diese Malereien wären rituelle Bilder
             gewesen." Korthaus sagte nun:
             "Die Frage ist doch, ob die Kunst erst mit den Kunstwerken
             auftritt oder bereits früher."
             "Sagen Sie uns ein Beispiel !", forderte die Dame ihn auf.
             Korthaus antwortete:
             "Ich denke an die Tänze und Gesänge, aber auch an die Faust-
             keile und Steinäxte, ja selbst die bearbeiteten Schlagknochen
             sind bereits Kunstproduktion."
             Berg meinte:" Sie sehen in den Werkzeugen bereits
             Kunstwerke ?" Korthaus antwortete:" Nein, es sind keine Konst-
             werke, aber es ist eine Kunstproduktion." Die Dame fragte nun:
             " Das ist interessant. Sie meinen die Kunstproduktion steht
             geschichtlich vor den Kunstwerken ?" Korthaus bejahte und fuhr
             fort:" Man kann darüber streiten. Sehen Sie, die tierische
             Lebensweise ist sehr deutlich vererbt. Die Verhaltensweisen
             sind großenteils und die Instinkte völlig vererbt. Die stein-
             zeitliche Produktion setzt dieser tierischen Welt eine
             künstlich geschaffene entgegen und verdrängt die tierische aus
             dem menschlichen Leben immer mehr." Berg fragte:
             " Was ist mit den ästhetischen Höhepunkten ?" Korthaus
             erwiderte:" Sie bringen mich in eine Klemme, ich weiß nicht,
             wie sich menschliche Höhepunkte von tierischen unterscheiden
             würden, jedenfalls die geschlechtlichen."
             "Also doch letztlich die Kunstwerke als Maß ?", wandte die
             Dame ein. Berg meinte:
             "Vielleicht muß man es so sehen um nicht völlig durcheinander
             zu kommen. Wissen Sie einen Ausweg ?" Korthaus antwortete:
             "Es gibt wahrscheinlich irgendwo einen Sprung, so wie es der
             Sprung zum Gebrauch des Feuers war." Berg sagte zu Korthaus:
             "Korthaus, sie vertreten die Ansicht, das Leben wäre selbst
             ein ästhetischer Prozeß." Korthaus antwortete:
             "Ich bin viel radikaler: Alles ist ein ästhetischer Prozeß,
             auch in der "leblosen Materie". Berg meinte:
             "Die Unterscheidung in lebloser und belebter Materie haben
             wir ja nun bald hinter uns, nicht wahr." Die Dame meldete sich
             zu Wort:" Das ist Ihr Verdienst, meine Herren !"
             "Vielen Dank !", antworteten Korthaus und Berg gleichzeitig.
             Die Dame saß hinter den beiden Piloten, Korthaus neben
             Berg, sodaß der Blickkontakt zwischen den Männern gut, der
             zu der Dame schlecht war. Korthaus sagte deshalb:
             "Ich denke, für die nächsten Stunden können wir den Auto-
             piloten fliegen lassen." Berg fragte:
             "Wir verlassen die Steuerruder ?" Korthaus meinte:
             "Versuchen wir es einfach, der Himmel ist windstill und
             sonnenklar. Wenn die Maschine einige Minuten ruhig fliegt,
             tut sie es auch noch etwas länger. Wir könnten dann weiter
             hinten einen Kaffee trinken."
                                                            222/26
             Es war in der Tat möglich, dieses Riesenflugzeug allein
             fliegen zu lassen. Der Erbauer, genauer der Umbauer der
             Maschine hatte im Passagierraum und in der kleinen Küche
             eine Alarmeinrichtung installiert, die dann ansprang, wenn
             die Maschine bestimmte Steig, Sink oder Gradwerte um eine
             bestimmte Prozentzahl überschritt.
             So kam dann bald die kleine Kafferunde zustande.
             Der Flug zur kenianischen Nordgrenze sollte 2 Tage dauern.
             Da das Wetter stabil und sonnig war, konnten die Drei sich
             ungestört von Pilotenaufgaben mit sich selbst beschäftigen.
             Es kamen viele Gespräche zustande. Aber die Front zwischen
             Berg und Korthaus blieb trotz der neuerlichen Übereinstimmung
             bei der Auffassung des Lebens in der Materie unverändert.
             Korthaus führte alles zurück auf das Ich, Berg sah die Welt
             objektiv, also wie vernünftige Leute sie auch sehen, von der
             Auffassung lebender Teilchen einmal abgesehen.
             Bei einem dieser Gespräche fragte Berg:
             "Wenn sich unsere Freundin entscheiden müßte, würde sie ihr
             Leben so auffassen, wie es vernünftige Leute tun ?"
             Korthaus antwortete:" Sie sind unfair, als ob ich zu einer
             unvernünftigen Sorte gehören würde." Die Dame war in der
             Küche mit dem Kochen beschäftigt, bekam vom Gesagten daher
             nichts mit. Berg meinte:
             " Sie werden einmal gestorben sein und das Leben im Universum
             geht weiter. Wieso kann es denn weiter gehen, wenn es aus
             ihrem Ich heraus entsteht ?" Korthaus sagte:
             "Sie sind ein Taschenspieler Berg ! Wenn ich gestorben bin und
             sie feststellen, daß das Universum weiter besteht, dann bin
             ich als Objekt ihrer Welt weg, und alle anderen Objekte ihrer
             Welt sind noch da. Warum ? Weil Sie als Ich noch da sind.
             Abgesehen davon, daß Ihnen dann ganz schön langweilig wird,
             hat sich nichts geändert. Erst wenn das Ich subjektiv weg ist,
             ist alles weg."
             "Ich weiß, antwortete Berg:" ich bin nicht begriffsstutzig,
             ich habe 1977 schon alles verstanden, aber wie der Dichter
             sagt: Die Kunde hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube !"
             Korthaus meinte amüsiert:
             "Ich bin nicht so verbohrt wie sie denken. Wenn Sie mir
             einen Sachverhalt zeigen würden, bei dem die Existenz nicht
             durch das Ich konstituiert wird, schwenke ich um auf Ihre
             Seite." Die Dame war unbemerkt hinzugetreten und sagte:
             " Wunderbar, Sie simulieren den Dreißigjährgen Krieg: Die
             eine Sorte Verrückter gegen die andere Sorte Verrückter.
             Was halten Sie von Heraklit: "Alles fließt " Damit wären Ihre
             Fragen doch hinfällig oder ?" Berg sah erschrocken zu ihr
             hin:" Haben Sie alles gehört ?" Korthaus reagierte amüsiert:
             "Sehen Sie, meine Freundin, er glaubt sein Evangelium nicht
             mehr, wie soll er da den Krieg gewinnen ?" Berg tat entrüstet:
             "Wir sind also im Krieg, gut, Sie können ihn haben !"
             Die Dame meinte:
             " Wenn Sie freundlicherweise einen 60 minutigen Waffenstill-
             stand schließen würden, könnten wir zusammen essen."
             Man begab sich also in die kleine Küche und vertagte die
             Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges.
                                                            222/27
             Aber sie wurden noch während des vorzüglichen Males von
             der Wirklichkeit der gewöhnlichen Art heimgeholt. Es krachte
             in den Tragflächen, und vom Boden aus sah man das Mündungs-
             feuer der Kanonen. Korthaus rief:
             " Kommen Sie Berg !" und rannte in die Pilotenkanzel. Ein
             Blick auf den Kompaß klärte alles. Der Autopilot hatte einen
             falschen Kurs geflogen, sie waren über dem Sudan. Korthaus
             zog die Maschine steil auf Südkurs und sagte zu Berg:
             " Wenn wir das Konfetti nicht loswerden, war alles umsonst,
             dann bekommt mein Freund kein Geld." Berg meinte sarkastisch:
             " Vor allem fliegen wir in die Luft. Haben Sie einmal nach-
             gedacht, was passiert, wenn unser Konfetti explodiert."
             Korthaus sagte erschrocken:
             " Berg Sie haben recht, es muß raus !"
             Er zog die Ladelukenhebel, sie sprangen auf, und mehrere
             Tonnen Knallbomben trudelten zum Boden hinab. Mit fürchter-
             lichen Krachen gingen sie am Boden hoch. Plötzlich verstummte
             das Kanonenfeuer am Boden. Berg fragte:
             " Haben wir sie ausgeschaltet ?" Korthaus meinte:
             " Bestimmt nicht, das Konfetti ist kindersicher. Aber sie
             haben sich erschrocken und deshalb ihr Feuer eingestellt."
             Die Maschine war unterdessen außerhalb des sudanesischen
             Luftraums. Die Schäden an den Tragflächen waren unbedeutend.
             Glücklicherweise waren die integrierten Tanks bereits
             leer gewesen. Wären sie noch gefüllt gewesen, hätten unsere
             drei Helden hier ihr Ende gefunden.
             Nachdem die Gefahr vorüber war, sah Berg aus dem Fenster.
             Dort war 3000 Meter unter ihnen ein See. Berg fragte:
             "Kann das Flugboot auf dem See wassern ?" Korthaus meinte:
             "Ich weiß es nicht, es sind Räder angebracht worden." Berg
             fragte:" Können wir es einfach versuchen?"
             "Aber wozu ?"
             "Albatros." Die Dame meinte:" Jetzt geht es wieder los mit
             ihrer Geheimsprache." Berg sagte:
             "Entschuldigung, ich hätte Lust wie ein Vogel lautlos auf
             dem Wasser niederzugehen." Korthaus wunderte sich:
             "Einfach so ?"
             "Als ästhetisches Ereignis, um es in Ihren Worten..."
             "Wunderbar", warf die Dame ein. Korthaus steuerte die Maschine
             in die Landeposition, schaltete die Motoren aus und ging auf
             Gleitflug. Berg saß mit verschlossenen Augen und nahm es
             einfach auf. Die Maschine wasserte problemlos und war 
             wasserdicht. Als sie ruhig auf dem Wasser lag, meinte
             Korthaus:" Das sind wir, in Kenia, aber unser Grenzzwischen-
             fall ist noch nicht gemacht. Haben Sie eine Idee ?", fragte
             er die beiden Anderen. Die Dame zuckte die Schultern, Berg
             meinte:" Funkkontakt zu ihrem Freund ?" Korthaus erwiderte:
             "Wenn wir abgehört werden ist alles aus, dann können wir
             keinen Zwischenfall mehr verursachen." Am Ufer des Sees
             zogen Wasserbüffel entlang. Die Savanne war von Antilopen
             bevölkert. Korthaus fragte:" Könnten Sie sich als Schiff-
             brüchige vorstellen ?"
             "Wie bitte ?", fragte Berg. Korthaus erklärte:
             "Wir haben Fallschirme, eine Rettungsinsel zum Aufblasen mit
             einem Funkgerät. Wir sind nicht weit vom Hafen Malindi
                                                             222/28
             entfernt. Wir werden also schnell gefunden. Wenn wir den
             Albatros über der Grenze abstürzen lassen, haben wir den
             Zwischenfall ?" Berg meinte:
             "Ich mach mit !" Die Dame sagte:" Ich auch." Nun fragte Berg:
             "Bevor wir losfliegen, was haben Sie vor ?" Korthaus
             antwortete: "Das wissen Sie schon." Berg bohrte weiter:
             "Das ist nicht alles, sie haben eine große Sache vor,
             stimmts." Korthaus lächelte und meinte:
             " Wenn Sie groß wäre, wüßten Sie doch, um was es geht." Berg
             sagte ungeduldig: "Raus damit, wofür wollen sie den Albatros
             opfern und unser Leben riskieren ?" Korthaus antwortete:"
              Mein Freund Muga-Bendi will lediglich Geld." Berg meinte:
             " Gut, Sie wollen es nicht verraten, lassen sie uns anfangen."
             Korthaus startete die Motoren, die Maschine glitt auf dem
             Wasser voran, wurde schneller und hob ab. Als sie eine Höhe
             von dreitausend Metern hatte, schaltete Korthaus den Auto-
             piloten ein und zog seinen Fallschirm an. Die beiden Anderen
             machten es ihm nach. Nach einer Viertelstunde waren sie über
             dem Grenzgebiet. Korthaus flog die Maschine zur Küste und
             sagte dann:" Ich habe den Autopiloten so eingestellt, daß er           
             die Maschine über dem Festland an der Nordgrenze Kenias
             abstürzen läßt. Nun begaben sich die Drei zur Tür, öffneten
             sie und sprangen hinaus.
             Sie landeten in Hafennähe dicht beieinander im Wasser. Noch
             bevor sie die Rettungsinsel besteigen konnten, schipperte
             ein kleines Küstenwachboot auf sie zu und nahm sie an Bord.
             Korthaus sprach den einheimischen Dialekt sehr gut. So kam
             es, daß die Drei freundlich empfangen und an Land gebracht
             wurden. Korthaus telefonierte mit seinem Freund Muga-Bendi
             in Mombasa:"Hallo mein Freund, gratuliere", begrüßte
             Muga-Bendi seinen Freund begeistert:" Ich habe gerade Besuch
             vom amerikanischen Botschafter. An der Grenze zum Sudan ist
             ein taktischer Atomsprengkopf explodiert. Morgen kommt der CIA
             und nächste Woche 3 Milliarden Dollar. Du bist ein wahrer
             Freund, ein Genie !" Korthaus war leichenblaß. Er konnte das
             nicht begreifen. Wer hatte den Atomsprengkopf gezündet?, oder
             war er im Albatros gewesen. Muga-Bendi rief ins Telefon:
             " Hörst Du mich ! Komm zu mir, wir feiern etwas." Korthaus
             stotterte:" Ich komme sofort." Berg  fragte: "Was ist los ?
             Sie sehen schlecht aus." Korthaus berichtete, was vorgefallen
             war. Berg fragte: "War kein Atomsprengkopf an Bord der
             Albatros ?" Die Dame fuhr auf:
             " Sind Sie wahnsinnig geworden ?" Korthaus faßte sich wieder
             und sprach zu ihr:" Beruhigen Sie sich, wir hatten keinen
             Atomsprengkopf an Bord."
             "Sind Sie da absolut sicher ?", fragte Berg. Korthaus er-
             widerte:" Absolut nicht, - ob mein Freund..." Berg meinte:
             "Wäre es denn technisch müglich gewesen ?" Korthaus meinte:
             "Der Albatros war sehr groß und der Laderaum... verdammt,           
             da war eine Trennwand im Heck." Berg faßte sich an die Stirn:
             " Wir haben also nur zweidrittel der Naschine unter Kontrolle
             gehabt. Na klar, der Sprengkopf war hinter der Trennwand."
             Korthaus sagte: "Wir wissen es nicht, vielleicht waren auch
             Tanks dahinter. Ich werde meinen Freund fragen." Die Drei
             wurden von einem hohen Militär in einem Jeep zum Flugplatz
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             gebracht. Dort stand ein Hubschrauber bereit. Die Drei
             flogen also mit dem Militär nach Mombasa. Dort kamen sie nach
             drei Flugstunden an. Der Präsidentenpalst war etwas größer
             als das "Weiße Haus" in Washington. Korthaus meinte:
             " Klar, daß er Geld braucht, wenn er solche Bauten macht."
             Berg meinte zu der Dame:" Gefällt es ihnen ?" Sie erwiderte:
             " Es geht, arg groß. Aber wie geht es weiter ?" Berg
             antwortete: "Wenn Korthaus die Katze aus dem Sack läßt,
             erfahren wir es vielleicht." Korthaus, der neben dem Fahrer
             auf dem Beifahrersitz saß, hatte das gehört. Er meinte:
             "Noch etwas Geduld, es wird sich alles klären.
             Muga-Bendi war ein junger Mann, mittelgroß, tiefschwarz,
             flinke Augen und sehr lebhaft. Er begrüßte die Drei am
             Hubschrauber:" Schön, daß Ihr da seid, kommt mit." Er ging
             vor zu einer Limosine. Er selbst ging hinter das Steuer,
             Korthaus nahm neben ihm Platz. Als sie alle saßen und
             losfuhren, fragte Muga-Bendi:
             " Dürfen Deine Freunde alles erfahren ?" Korthaus antwortete:
             " Jetzt ja, aber wir wollen sie mit dem Loch überraschen."
             " Der Albatros liegt unten im Hafen," sagte Muga-Bendi.
             " Was ?", entfuhr es Korthaus, der Dame und Berg beinahe
             gleichzeitig.
             " Er ist ganz brav gelandet, ein guter Autopilot, alle
             Achtung !" Korthaus fragte:
             " Und die Atomexplosion ?" Muga-Bendi meinte:
             " Sudan vielleicht, irgendwas muß sie sehr nervös gemacht
             haben, aber umso besser, die Amerikaner waren noch nie so
             spendabel wie heute." Berg meinte zu Korthaus:
             " Das Konfetti !" Korthaus ergänzte:
             " Ja, wir haben es ziemlich weit im Landesinnern..."
             " Es war neben ihrer Atomzentrifuge." meinte Muga-Bendi.
             " Dann ist alles klar", sagte Korthaus und fuhr fort:
             " Es war nicht so beabsichtigt, wir hätten dabei umkommen
             können."
             " Nicht beabsichtigt ?", fragte Muga-Bendi. Korthaus fuhr fort:
             " So große Helden sind wir nicht, aber wir haben uns auf den
             Autopiloten verlassen. Wir wollten nur bis zur Grenze."
             Muga-Bendi meinte:
             " Ob Mut oder Zufall, es war großartig, etwas Besseres hätte
             nicht passieren können." Die Dame fragte:
             " Gab es keine Opfer bei der Atomexplosion ?"
             " Doch, einige Vögel, Menschen leben da oben nicht.", ant-
             wortete Muga-Bendi. Auf den Straßen kamen ihnen Panzer und
             Kononen auf Lastwagen entgegen. "Was wird das ?", fragte
             Korthaus. "Das sind unsere Verbündeten, sie riegeln die
             Nordgrenze ab. "Wohin fahren wir ?", fragte Korthaus.
             " Zu meinem kleinen Landhaus, am Rand des Biga." Der Biga
             war ein erloscher Vulkan. Man sah ihn von weitem. Davor stand
             ein riesiges Fort. Sie fuhren durch das schwer bewachte
             Eingangstor. Dann sahen sie einen riesigen weißen Palast.
             Korthaus sagte:" Das ist das kleine Landhaus." Muga-Bendi
             antwortete:
             " Ja, wir sind da."
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             Am gleichen Nachmittag fuhren die Vier mit einem Jeep
             den Hang zum Krater Biga hinauf. Berg meinte:
             " Jetzt lassen sie die Katze aus dem Sack." Die Dame fügte
             hinzu:
             " Eine kleine Katze, etwa so klein wie das Landhaus."
             Muga-Bendi sagte:
             " Das was wir gleich sehen, ist allein Korthaus Vedienst, ich
             habe ihm nur das Gelände gegeben."
             Oben auf dem Kraterrand war eine Anlage mit Parkplätzen und
             mehreren Gebäuden. Auffällig waren die Starkstrommasten
             und der Kühlturm eines Kraftwerks. Als die Vier einen
             Blick in den Krater werfen konnten, der einen Durchmesser
             von 6 Kilometern hatte, blieb ihnen fast das Herz stehen.
             Dort stand auf der, etwa 400 Meter tiefer liegenden Sohle
             eine gewaltige Rakete, wie sie bisher noch nie erbaut worden
             war, abgesehen von den Raumschiffen, die in der Erdumlaufbahn
             zusammen gebaut werden und gar nicht wie Raketen aussehen.
             Sie stand an einer ebenso gigantischen Startrampe. Korthaus
             sagte:
             " Voila, mein kleines Venusbaby." Berg hielt Korthaus
             Arm fest und sagte:
             " Sie haben mich geschafft, Korthaus, gratuliere !" Die Dame
             meinte:
             " Ich habe es größer in Erinnerung."  Berg fragte:
             " Sie, sie ...." Korthaus antwortete dem fassungslosen Berg:
             " Sie wußte alles, ich auch von ihr." Berg meinte:
             " Ihr beide habt mich ausgetrickst, alles gespielt..,
             gratuliere Korthaus. - Ich werde meine ganze Putzkolonne zum
             Teufel jagen, sie haben nichts bemerkt." Er meinte seinen
             Geheimdienst, den er Putzkolonne nannte. Korthaus sagte:
             " Es ist allein Ihr Verdienst. Sie haben mir das Nötige
             beigebracht. Aber ohne diesen Zufall über dem Sudan und ohne
             die jetzt einfließenden US Gelder wäre trotzdem im letzten
             Moment alles steckengeblieben." Berg meinte scheinbar
             entrüstet:
             " An meinen bescheidenen Etat haben Sie nicht gedacht ?"
             Das sollte heißen, daß er Korthaus gern finanziell geholfen
             hätte. Korthaus antwortete:
             " Natürlich hätten Sie alles gerettet, aber ich muß auch
             einmal erwachsen werden." Berg meinte:
             "Stop !, spielen Sie nicht auf unseren unbedeutenden Alters-
             unterschied an, und noch dazu im Beisein der Dame !"
             "Entschuldigen Sie", meinte Korthaus. Muga-Bendi hatte
             sich der Dame zugewandt und fragte:
             " Sind das nun Freunde oder was ?" Sie sagte:
             " Die Besten, die man sich denken kann, aber eigenwillig."
             Es war genau so, wie die Dame es gesagt hatte. Berg und
             Korthaus machten in aller Freundschaft weiter wie bisher.
             Alle Drei wollten mit zur Venus. Als Korthaus in den folgenden
             Tagen unterwegs war um den Start der Rakete vorzubereiten,
             saßen Berg und die Dame häufig in dem Cafe auf dem Kraterrand,
             nahe den Gebäuden, in denen die Arbeiter und das technische
             Personal des Raumbahnhofs lebten. Berg sagte:
             " Das versteh ich nicht, wieso wissen die Amerikaner nichts
             von diesem Projekt. Diese riesige Rakete ist auf ihren
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             Satelliten bestimmt zu sehen. Auch die Franzosen werden sie
             sehen und die Japaner." Die Dame lächelte und sagte:
             "Korthaus hat das sehr lange vorher eingefädelt. Kennen sie
             die Programmierschule von Texas ?" Berg fragte:
             "Welche meinen sie.. ach die "Berrang und Muller"  ?"
             "Ja, die ! Korthaus hat vor vier Jahren dort mit der
             Ausbildung der RPN-Chip-Programmierer begonnen." Berg fragte:
             " Diese Spezialchips für die Weltraumtechnologie ? Hat er
             selbst ausgebildet ?"
             "Nein, sein Freund P. aus Paris leitet sie."
             "Und ?", fragte Berg. Sie antwortete:
             "Die Studenten dieser Schule sitzen jetzt in Houston, Paris,
             Tokyo, München usw." Berg schlug sich auf den Oberschenkel:
             "Donnerwetter, ich habe ihn unterschätzt." Die Dame lachte
             und sprach:
             "Der Rest ist doch einfach oder ?" Berg sagte:
             "Diese netten jungen Leute sitzen also in den Satelitten-
             auswertungsstellen und radieren diese Raumfahrtanlage weg."
             Die Dame nickte, nahm ihren Kaffee und sagte:
             "Trinken sie noch eine Tasse. - Aber was hat Korthaus auf
             der Venus vor ? Sie kennen ihn besser als ich ." Berg meinte:
             "Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie waren eingeweiht,
             ich nicht."
             "Aber ich kenne ihn nicht einen Bruchteil so lange wie sie."
             Berg sagte:
             "Rätselhaft ist, warum er allein auf die Venusoberfläche
             hinunter will, und wir beide in der Umlaufbahn der Venus auf
             ihn warten sollen. Und wieso fängt er an mit wissenschaft-
             lichen Methoden nach wissenschaftlichen Ergebnissen zu suchen."
             Die Dame meinte:
             "Und wieso haben sie ihre Untersuchungen in Neuseeland zu
             einem Happening umfunktioniert ?" Berg meinte:
             "Das war eine vorübergehende Schwäche .... Sie meinen, es wäre
             bei Korthaus auch eine Schwäche ?" Sie antwortete:
             "Wir wissen nur, daß er mit wissenschaftlichen Methoden
             arbeiten will. Aber was er dann wirklich macht, wenn er
             unten ist auf der Venusoberfläche, wissen wir nicht." Berg
             nahm seinen Kaffee und sah aus dem Fenster des Cafes hinaus
             auf das schöne sonnenklare Bergpanorama des Kraters:
             "Sie haben recht, vielleicht springt er dann in den Venus-
             stürmen herum. Aber warum nicht mit Ihnen zusammen ?" Sie
             antwortete:
             "Ich weiß weniger von ihm als Sie."
             Zwei Wochen später befand sich das große Venusraumschiff auf
             der Bahn zur Venus. In der Spitze der Rakete war die
             Landekapsel mit dem Antrieb für die Rückkehr von der Venus-
             oberfläche zum Hauptschiff. Dieses hatte mehrere Räume,
             einer davon war Wohn- und Kommandoraum in Einem. Dort saßen
             die Drei häufig beieinander, tranken Kaffee oder Tee und
             philosophierten. Bei einem dieser Gespräche fragte Korthaus
             die Dame:
             "Sie haben von Heraklit gesprochen. Aber wo ist nun das
             relativ Beharrende im Strom des Daeins, - oder sehen sie
             es so, daß auch das fließt ?" Sie antwortete:
             
                                                                222/32
             "Wir haben bestimmt etwas Hartnäckiges und scheinbar Festes
             nötig. Immerhin sitzen wir hier in einem Raumschiff von
             relativer Beständigkeit." Berg sagte:
             "Da stimme ich Ihnen zu. Wenn Sie den Menschen heraus nehmen
             aus diesem Bild der Welt, dann geht es doch weiter wie
             bisher ?" Die Dame wollte antworten, allein Korthaus war
             schneller. Er warf ein:
             " Stop, passen Sie auf ! Berg will Sie einverleiben. Ein
             objektiver Strom innerhalb einer objektiven Zeit, nicht wahr
             Berg." Die Dame sagte:
             "Ich stehe nun mitten zwischen den Fronten. Soll ich neutral
             bleiben ?" Korthaus meinte:
             "Sie halten also es für möglich, daß im Scheincharakter der
             Welt auch das Objektive sich verflüssigt, also davon weht
             wie Morgennebel." Die Dame lächelte und sagte:
             "Unfreiwillig werde ich wohl zwischen den Fronten bleiben.
             Der Strom des Heraklit heißt doch, daß nichts bleibt, wie
             es ist. Das hat Adorno wohl gemeint damit, daß alles
             nichtidentisch mit sich ist. Es ist doch eine Auflösung
             aller festen Begriffe." Und zu Korthaus gewandt:
             "Nicht nur Bergs Weltbaukasten der Atome oder der Mikro-
             lebewesen ist davon betroffen, auch Ihre Projektionen,
             das Ich." Berg lachte:
             "Sehen Sie, wir sind beide erledigt." Korthaus sagte:
             "So rasch gebe ich nicht auf. Und Sie Berg, was sind das für
             merkwürdige Kapitulationstöne ? Ich kenne Sie ganz anders."
             Die Dame meinte:
             "Aha, also wohl nur die Rücksichtnahme auf das schwache
             Geschlecht ? Raus damit, sie lassen nicht locker Berg, oder ?"
             Der sagte nichts und sah zum Fenster hinaus in die
             Sternenwelt. Korthaus meinte zu ihr gewandt:
             "Wenn Sie Heraklit und Adorno nehmen, stehen sie Bergs Welt
             etwas näher." Die Dame antwortete:
             "Adorno ?, das war eine kleine Inkonsequenz von ihm, daß er
             einen Vorrang der Außenwelt, der Objekte annahm.
             Ich habe einmal gedacht, das "Äußere" zerfällt früher als das
             Innere. Korthaus "Ich" wird vielleicht doch die Sternenwelt
             überdauern. Die Sterne werden nur schwerlich den Korthaus
             überleben." Korthaus sah sie entzückt an, er fühlte sich
             bereits als Komplize von ihr ernstgenommen. Jedoch sagte Berg:
             "Vorsicht Korthaus, eine weibliche Falle. Mir hat sie das
             Gegenteil gesagt." Korthaus stutzte und sah sie fragend an.
             Die Dame antwortete:
             "Das stimmt, denn ich bin in erster Linie eine Schülerin des
             Heraklit. Das "Ich" fließt inmitten relativ stabilerer
             Elemente. Schon unsere Häuser überdauern uns kleine Seelen."
             Korthaus wurde still und nachdenklich. Berg sagte mit einer
             Geste der Hand verbunden: "Bitte, sie hören es." Die Dame
             erhob sich und fragte:
             " Noch einen Tee ?"
K

                                                            222/33
             Das Raumschiff flog in einer Kreisbahn auf die Venus zu.
             Korthaus hatte tagelang vergeblich versucht seinen Freund
             in Neuseeland zu erreichen. Dann aber kam eine schriftliche
             Nachricht von ihm in den Computer des Raumschiffs herein:
             "Hallo Freunde, mein Albatros und ich sind wieder heil
             in Wellington gelandet. - Da staunt Ihr was. Aber es gibt
             keine wirklich zuverlässige Fernsteuerung, die alle die
             Aufträge durchführen kann, die sie durchführen sollte.
             Ich habe hinter der Trennwand des Albatros gesessen und
             ihn gesteuert. Außerdem: Ich könnte niemals meinen Vogel sich
             allein überlassen. Viel Glück im Himmel." Korthaus hatte es
             gelesen, geschluckt und rief:
             " Kommen Sie !, mein Freund hat sich gemeldet!"  Die Dame
             war zuerst da und sagte:
             "Das war hinter der Trennwand, alle Achtung, Ihr Freund ist
             auch nicht ohne." Berg kam nun hinzu, las den Text, nickte
             mit dem Kopf und stellte sich an ein Fenster und sah hinaus
             in den Weltraum.
             Einige Tage später kam es zu einem Gespräch zwischen Berg
             und der Dame, während Korthaus an seiner Landekapsel
             arbeitete. Berg sagte:
             "Wissen Sie was Korthaus auf der Venusoberfläche will ?"
             Die Dame antwortete:
             "Ich weiß nichts davon, aber es ist doch sehr gefährlich,
             was er vor hat." Berg meinte:
             "Ich mach mir Sorgen um ihn. Die Kapsel kann auf der Ober-
             fläche zerbrechen oder undicht werden. Wenn der Sturm auf
             der Oberfläche sie durch die Gegend schleudert, kann er
             in ihr zerquetscht werden." Die Dame fragte:
             "Könnte es sein, daß er es gar nicht  überleben will ?"
             Berg fragte zurück:
             " Haben Sie Selbstmordabsichten bei ihm beobachtet ?"
             " Nein, aber er ist schon ziemlich verrückt", antwortete sie.
             Berg sagte:
             "Ich werde ihn fragen, wenn er gleich zum Essen kommt."                 
             Beim gemeinsamen Essen fragte Berg gerade heraus:
             "Korthaus, wollen Sie sich umbringen ?" Korthaus stutzte,
             legte die Gabel beiseite und fragte:" Umbringen ?"
             Berg nickte, Korthaus meinte:
             "Freitod, Berg ! Unsereiner bringt sich nicht um !"
             Die Dame mußte trotz des Ernstes etwas lächeln, ahnte sie
             doch schon was kommen würde. Berg meinte:
             "Gewiß, aber raus damit. Was soll das werden, wenn es fertig
             ist." Korthaus antwortete:
             "Sieh einer an, Sie wollen also nicht allein weiter machen.
             Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen. Aber, ich
             sag es ihnen:
             "Ein kleines Experiment, welches mich ins Reich der unbelebten
             Materie bringen kann, um in ihrer Sprache zu sprechen." Berg
             meinte:" Wollen Sie die Unsterblichkeit des Augenblicks
             ausprobieren ?" Korthaus sagte gar nichts, aber die Dame
             fragte:
             "Wollen Sie uns wirklich allein lassen ?, wie sollen
             die Dispute weiter gehen, außerdem ist noch nicht raus, wer
             von ihnen den dreißigjährigen Krieg gewinnen wird." Korthaus
             meinte zu Berg gewandt:
             " Das ist alles zweierlei: Risiko oder Experiment. Ich
             benötige dieses Experiment nicht, welches Sie meinen. Aber
                                      
                                                          222/34
             ich setze mich dem Risiko des Todes schon aus, jedoch aus
             anderen Gründen."
             "Aha !" meinte Berg. Korthaus fragte:
             "Aha ? wieso aha ?" Berg schmunzelte:
             "Weil Sie wieder einmal das Wichtigste verschweigen, indem
             Sie etwas verraten."
             "Oh nein, die Dame ist Zeuge. Ich habe klipp und klar auf ihre
             Frage geantwortet, ob ich mich umbringen will." Die Dame
             meinte:" Gut, Sie verraten nicht alles, lassen wir uns über-
             raschen." Berg ergänzte:
             "Bis auf zwei Dinge. Das "sich überraschen" liegt mir so
             wenig wie das "lassen". Korthaus sagte zu der Dame:
             "Sehen Sie, so ist er, er will das machen." Die Dame sagte
             dazu lieber nichts und räumte den Tisch ab.
             Es war das Thema aber noch längst nicht ausgestanden. Als
             die Dame wieder einmal in der Küche beschäftigt war, saßen
             die beiden Herren vor dem Hauptbildschirm des Kommandoraums.
             "Sagen Sie mal Korthaus, was haben Sie auf der Venus vor ?"
             Dieser antwortete:
             "Na gut, es hat ja keinen Zweck mehr, es geheim zu halten.
             Ich erkläre es Ihnen. Kennen Sie die Wasserbecken von Lilly ?"
             Berg meinte:
             " Den Namen habe ich mal gehört..." Korthaus erklärte:
             "Lilly hat sich in ein Becken mit Salzwasser gelegt, welches
             in einem völlig isolierten Raum stand." Berg sagte:
             "Diese Reiz-Experimente ?!"
             "Genau, er wollte wissen, was passiert, wenn der Organismus
             ohne Reize ist, also ohne Schwerkraft, dafür das Salzwasser,
             ohne Geräusche, dafür der isolierte Raum, und zuletzt die
             Wassertemperatur, etwa 36 Grad C."
             "Und das Ergebnis ?", fragte Berg. Korthaus antwortete:
             "Das Ergebnis war einmal ein, na ja mehr psycholdelisches
             und zum Andern ein streng phänomenlogisches. Das Letztere
             hat mich interessiert. Es wurde immer lauter."
             "Lauter ?" Korthaus erzählte weiter:
             "Ja, er hörte seinen Herzschlag wie ein Hammerwerk."
             "Aber auf der Venus ist es nicht ruhig", warf Berg ein.
             "Das weiß ich, das Lilly Experiment soll auch nicht wieder-
             holt werden. Ich mache es umgekehrt. Es wird laut und
             turbulent werden. Außerdem hoffe ich, daß die Gravitation
             sich anders auswirkt." Berg fragte:
             "Sie wollen also ein Reizbombardement ?" Korthaus sagte:
             "Ja, so ist es. Und dann wird es interessant." Berg fragte:
             "Können Sie das auch verraten ?" Korthaus erwiderte:
             "Nein, wenn ich das wüßte, brauchte ich es nicht mehr zu
             probieren."
             "Also ein Happening ?" Korhaus antwortete:
             "Ja und nein, es ist ein Philosophisches Experiment."

                                                         222/35
             Während der nächsten Wochen waren die Drei im Raumschiff
             mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt.
             Endlich schwenkte das Raumschiff in eine Umlaufbahn der
             Venus ein. Korthaus bereitete sich auf die Landung vor.
             Das Landemodul mit der Landekapsel enthielt Steuer-
             raketen und ein Raketenaggregat für den Rückflug von der
             Obefläche der Venus zum Raumschiff in der Umlaufbahn.
             Korthaus bestieg in einem Raumanzug die Kapsel. Dann
             wurde diese automatisch abgestoßen. Berg und die Dame
             sahen auf dem Radarschirm, wie das Landemodul zur
             Oberfläche herabtrudelte. Es wurde schneller und begann
             an der Unterseite zu glühen. Berg meinte erschrocken:
             "Das geht zu schnell, es wird verglühen." Aber es geschah
             etwas Anderes. Aus dem Modul wurde Wasserdampf ausgestoßen.
             Er bildete ein Isolationspolster, welches die Kapsel ab-
             kühlte. Nun verschwand sie vom Radarschirm, da sie
             zu klein war um auf große Entfernungen hin sichtbar zu
             bleiben.
              
             Berg und die Dame in der Rakete, die die Venus umkreiste,
             konnten nichts tun als warten. Nach zwei Tagen gab es
             eine Überraschung. Auf dem Bildschirm sahen die Beiden
             eine Rakete herankommen, die genau so aussah wie ihre
             eigene. Diese neue Rakete schwenkte in eine Umlaufbahn um
             die Venus, stieß ein Landeteil ab, welches zur Venus-
             oberfläche herabfiel. Die Dame fragte Berg:
             "Was hat das zu bedeuten ?" Der meinte:
             "Korthaus steckt dahinter, er hat uns natürlich nicht
             alles verraten." Sie meinte:
             "Ob das eine Versorgungsrakete ist ?" Berg sagte:
             "Vielleicht, aber das ist nicht seine Art, so etwas zu
             verbergen. Es steckt mehr dahinter. Warten wir es ab."
             Am darauf folgenden Morgen schaltete sich mit einem
             durchdringenden Piepston ein besonders Funkgerät ein,
             welches Signale von der Venusoberfläche empfangen und auch
             dorthin senden konnte. Korthaus hatte es für Notfälle
             vorgesehen. Es sollte jedenfalls nicht nur so benutzt werden.
             Die Dame und Berg liefen zum Empfänger. Korthaus Stimme war
             zu hören, im Hintergrund aber moderne Rockmusik:
             "Hallo Ihr Beiden, es ist alles glatt gelaufen. Dies ist
             kein Notfall." Nun hörten die verblüfften Zwei eine junge
             Frauenstimme im Hintergrund:
             "Komm tanz weiter, Du kannst später noch erzählen."
             Berg und die Dame machten ein der Lage entsprechendes
             Gesicht. Diese sagte:
             "Dieser Schlawiner." Berg meinte:
             "Genauso habe ich es mir gedacht, nichts mit Wissenschaft
             oder Kunst oder Philosophie, er wollte mit seiner Liebsten
             allein sein." Die Dame meinte:
             "Beachtlich, dieser Aufwand für ein Rendevouz." Berg sagte:
             "Oh Sie kennen ihn nicht. Für eine solche Begegnung hat
             er Prag verloren, so wie ich 1813 Europa verloren habe."
             Berg meinte Napoleons Schlacht bei Leipzig, die seinen
             Untergang einleitete. Sogleich wurde ihm klar, daß er sich
             verplappert hatte. Deshalb setzte er eilig hinzu:
             "Ich meine das sind Gleichnisse." Die
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             Dame war selbst so sehr damit beschäftigt, die neue Situation
             zu verarbeiten, daß sie Bergs Enthüllung nicht als solche
             verstanden hatte und den Satz wirklich nur als Gleichnis
             nahm. 
             Auf dem schweren Lehmboden der Venus waren die beiden
             Landemodule mit Haken im Boden festgemacht, sodaß der
             ständig tobende Sturm mit seinen Windgeschwindigkeiten
             von 400 Kilometern pro Stunde nicht gefährlich werden konnte.
             Auch die enorme Temperatur der Nachtseite von minus 60 Grad C
             konnte nicht bedrohlich werden. Die Module waren durch
             eine Röhre verbunden. In einem Modul war der Tanzraum,
             im andern die Versorgungsräume. Erschöpft vom Tanzen
             setze sich Korthaus auf den Boden des Tanzraums. Bernadette,
             die junge Frau, die Korthaus bereits auf dem Mars kennen-
             gelernt hatte, hörte auch auf und setzte sich neben ihn,
             die Musik verstummte. Bernadette sagte:
             " Es ist toll, daß alles so glatt funktioniert hat."
             Korthaus fragte:
             " Wie ist das mit der Verfremdung, bin ich noch derselbe
             wie auf dem Mars ?" Sie meinte:
             " Deine Vermutung war richtig, ich fühle mich anders als
             jemals vorher und sehe Dich auch anders. Es ist ein ähnlicher
             Effekt wie auf dem Mars. Als ich dort von Dir entdeckt
             worden war, erkannte ich mich selbst gar nicht wieder."
             Korthaus lachte:
             "Du warst der verstörteste blinde Passagier, den ich je
             gesehen habe." Bernadette meinte:
             "Was Dich betrifft, konnte ich natürlich nichts Besonderes
             entdecken, wir haben uns ja dort erst kennengelernt."
             Korthaus meinte:
             "Sicher, da war keine Verfremdung möglich. Ich habe jetzt
             allerdings das Gefühl, daß ich wohl mir selbst fremder bin,
             aber der Abstand zu Dir nicht anders als auf dem Mars ist."
             Bernadette überlegte und erwiderte:
             "Das ist es !, ich hab die ganze Zeit überlegt, was das ist.
             Ich bin mir schon wie ein neuer Mensch geworden. Dieser
             Planet, die Reise, die Landung, diese Situation in der
             Station inmitten des Sturms... Du bist mir nicht fremder
             als damals. Das heißt doch, es ist eine uns beide gleich-
             mäßig ergreifende Verfremdung. Wie ist das möglich ?" Korthaus
             antwortete mehr zu sich selbst:
             "Das Rätsel erscheint doch gelöst." Bernadette fragte:
             "Wie meinst Du das ?" Korthaus antwortete:
             "Hab noch etwas Geduld, wenn ich es jetzt erkläre sind keine
             weiteren Versuche mehr möglich. Du würdest von der Erklärung
             des Rätsels so beeinflußt, daß Du nicht mehr objektiv urteilen
             könntest." Bernadette sagte:
             "Schade, dann werde ich selbst spekulieren. Der Verfremdungs-
             effekt kehrt immer in neuen grundsätzlich anderen Situationen
             auf ?" Korthaus antwortete:
             "Natürlich, selbst die eigene Lebensstrecke verrät diesen
             Effekt. Stellen wir uns vor, wie wir uns als Kind von
             10 Jahren erlebt haben. War das nicht ein anderer Mensch ?"
             Sie antwortete:" Bestimmt war er anders. Es gibt durchgehende
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             Linien, aber ich finde schon, daß ich ein anderer geworden
             bin." Korthaus meinte:
             "So ist es doch auch, wenn wir die Erde verlassen, jeder
             Planet erzeugt ein anderes Umfeld und damit ein anderes
             Ich." Sie sagte:
             "Das Gefühl habe ich auch. Aber das verblüffende ist diese
             Gleichmäßgkeit der Verfremdung. Auch in mir selbst ist es
             so. Der Abstand, den ich zu mir als Kind empfinde, ist
             ebenso beschaffen, wie der Abstand zu mir als Jugendliche
             von 16 Jahren." Korthaus fragte:
             "Du meinst also der relative Abstand zwischen Dir als
             Kind, Dir als Jugendlicher und Dir jetzt ist hier dergleiche
             wie auf dem Mars ? Und doch sind alle diese Figuren Deines
             Ichs hier ganz anders als auf dem Mars ?" Sie antwortete:
             "Das ist es, genau das verblüfft mich sehr. Ich sehe mich
             hier in dem Bild, das ich von mir als Kind habe, ganz anders
             als auf der Erde oder dem Mars. Gewissermaßen ist das Kind,
             welches ich erinnere hier ein anderes als das Kind, an welches
             ich mich auf der Erde erinnere. Genauso ist es mit mir selbst.
             Aber die Abstände erscheinen gleich. Der Lebensfaden ist
             anders und doch derselbe, als hätte er nur eine andere Farbe
             erhalten." Korthaus sagte:
             "Mir fällt dazu diese Fotogeschichte ein: Man kann durch
             Farbfilter die Fotos völlig verändern, obwohl die darge-
             stellten Personen die gleichen sind, es sind die gleichen
             Fotos. Und doch vermitteln sie ganz andere Gefühle, je
             nachdem wie sie gefärbt sind. Das geht so weit, daß man sich
             bemühen muß zu erkennen, daß es die gleichen Fotos sind."
             Bernadette meinte:
             "Das sehe ich auch so, das ist ein klares Beispiel. Ob es den
             Anderen in der Umlaufbahn ebenso ergeht ?" Korthaus
             antwortete: "Wenn ja, dann ist alles klar, dann kann ich die
             Katze aus dem Sack lassen."
             Einige Wochen später trafen sich alle vier: Berg, die Dame,
             Bernadette und Korthaus in dem Raumschiff, welches die
             Venus in einer Umlaufbahn umrundete. Sie waren im Hauptraum
             und hatten alles Andere den Automaten überlassen. Korthaus
             fragte die Anderen:
             "Kennen Sie das Gefühl der Verfremdung in neuen Umgebungen ?"
             Die Dame und Berg bejahten. Sie hatten ebenfalls bemerkt,
             daß sie dennoch sich nicht näher oder weiter entfernt
             voneinander empfunden hatten, als auf der Erde.
             Korthaus sagte am Ende dieser Erörtungen:
             "Wir sind am Ende und am Ziel: Berg, Sie haben recht -
             und ich auch." Der Angesprochene sah Korthaus an und sagte:
             "So !" Korthaus fuhr fort:
             "Ich beginne mit dem Leben: Jegliche Wesen und Teilchen, aber
             auch Wellen, Sterne, Galaxien, Universen sind Lebewesen. Das
             heißt, nirgendwo ist nachweisbar, daß einem dieser Dinge
             etwas zum Leben Wichtiges fehlt." Berg sagte:
             "Da bin ich gespannt." Die Dame meinte:" Fahren Sie fort.
             Korthaus sprach weiter:
             "Jedes vermehrt sich, expandiert, nimmt Nahrung auf und
             gibt Stoffe ab. Dort wo es anders escheint, ist die Nach-
             weiskette durch eigenes Verursachen noch nicht nachvollzogen."
                                                           222/38
             Berg sagte spontan:
             "Ich wußte es !, fahren Sie fort." Korthaus sprach weiter:
             "Alles ist Ich. Wir sehen es daran, daß sämtliche Ver-
             fremdungen diegleiche relative Struktur haben. Es wird
             immer alles anders, aber immer in gleicher Art und Weise
             der Teile zueinander." Berg meinte:
             "Sie meinen das persönliche Ich ?" Korthaus erwiderte:
             "Nein, zunächst nicht." Berg platzte los:
             "Ist das Ihr Ernst, sind Sie umgefallen." Korthaus fuhr
             fort:" Ich sagte: "zunächst". Das Ich ist zunächst nur
             ein Teil einer Umwelt, darin eingebettet und ohne Einsicht
             in den ganzen Zusammenhang. Aber es entwickelt sich und
             findet überall sich selbst. Denn das Leben, daß wir überall
             finden, ist das Ich selbst. Es ist kein Gegenbeweis möglich."
             Die Dame meinte:
             "Das gilt aber auch für die Götter." Korthaus widersprach:
             "Nur scheinbar. Götter sind etwas Objektives, wenn es sie
             gibt. Aber jedes Objektive kommt aus dem Durchgang durch das
             Ich. Es gibt ein Universum als ein Ich." Berg warf ein:
             "Die Wiederkehr der pantheistischen Gottheit." Korthaus
             sagte:
             "Auch nur "zunächst". Jedes Geschehen mündet wieder ein in
             einen Durchgang durch das persönliche Ich."
             "Und die verschiedenen Ichs ?"
             "Sind letztlich identisch und innerhalb einer Struktur."
             Die Dame sagte erstaunt:
             "Deshalb die immer relativ gleichbleibende Verfremdung."
             "Ja, das war der letzte Baustein der Beweiskette, der noch
             fehlte." Berg meinte:
             "Gratuliere Korthaus. Ein strategisches Meisterwerk ! Nicht
             die Aussage, sondern Ihre Methode. Mit solchen Soldaten
             läßt sich die Welt verändern."
             "Das habe ich schon einmal gehört!", meinte Korthaus und
             lächelte vieldeutig.
             "Gewiß", antwortete Berg, es ist schon etwas länger her."
             ----------   Ende