Professor Berg und Korthaus auf Reisen Fred Keil Nr. 222 2000
Korthaus war trotz seines hohen Alters von etwa 80 Jahren noch nicht so sehr gereift um die Liebesgeschichte auf dem Mars einfach zu vergessen. Als er wieder zu seiner Ehefrau zurückkam, hatte diese für seine amourösen Geschichten einige spöttische Bemerkungen parat. Vielleicht deswegen oder auch, weil Berg auf dem Mars geblieben war, konnte er sich mit dem gewöhnlichen Leben eines verheirateten Rentners nicht abfinden. Aber die finanziellen Quellen, die Berg zur Verfügung standen und manches etwas abwegige Abenteuer allererst ermöglicht hatten, waren nun unerreichbar.
Vor diesem Hintergrund muß das Folgende betrachtet werden: Korthaus dürstete nach Tat. Er stellte sich daher an einem Morgen den Wecker auf 6 Uhr, schrieb seiner Frau einen Zettel über seinen Verbleib und ging frisch geschminkt, gefärbt und also verjüngt zum Zeitarbeitvermitler Poschke. Die Dame im Anmeldebüro sah ihn verwundert an. Sie mochte irritiert sich fragen ob Korthaus nun älter oder jünger als 65 oder ein übernächtigter Schwuler sei. Korthaus nahm ihr das Weitere ab und fragte:" Haben Sie eine Tätigkeit für einen Werkzeugmacher ?" Die Dame sah auf und sprach: " Ich sehe nach." Sie tippte auf ihrer Tastatur, suchte hier und da und meinte dann:" Ich habe etwas für einen CN-Dreher, wäre das etwas für sie ?" "Gern, wo muß ich mich melden ?" Die Dame druckte eine Blatt mit der Adresse aus, notierte Korthaus Personalien und verabschiedete ihn kurz darauf.
Frau Korthaus ahnte mit dem Instinkt der Frau, daß ihr Mann etwas vorhatte. Am gleichen Abend fragte sie ihn: "Was wird das, wenn es fertig ist ?" Korthaus antwortete: "Ich arbeite als Dreher bei Backhaus, sonst nichts." "Und danach ?" "Danach ?", meinte er, den Ahnungslosen spielend. "Wenn Du wieder für ein Jahr verschwindest, ist es aus !" Korthaus ging zu ihr, drückte sie an sich und sagte: "Verlaß Dich darauf, ich gehe nicht weg, nicht zum Mars, nicht nach Afrika oder Amerika, ich bleibe hier." Frau Korthaus lächelte, nahm seine Hand, führte ihn zum Küchen- tisch und sprach:" Setz Dich und wage nicht aufzustehen bevor ich weiß, was Du vorhast." Was sollte Korthaus tun. Er beschloß auszupacken:" Berg sitzt auf dem Mars, ich bin hier und will auch bleiben. Also muß Berg zurück kommen." Frau Korthaus lachte und sagte: "Daß Du so vernünftig denken kannst. Oder bleibst Du wegen Deiner Liebsten hier ?" "Was Du denkst, sie ist doch längst gebunden. Nein, ich will nur den Berg zurückhaben." "Kannst Du ihn nicht anrufen und fragen ob er zurückkommt ?"
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Korthaus meinte:" Diese Blöße würde ich mir nie geben. Er muß aus freien Stücken zurückkommen. Ich habe deshalb in der Fabrik angefangen um dort eine besondere Waffe zu bauen. Ich werde damit die Meisterschaften im Gewehrschießen gewinnen. Dann wird meine Waffe in den Medien vorgestellt, Berg sieht das und kommt zurück." "Wegen einer Waffe ?" Korthaus lächelte und sprach: "Berg ist ein alter Militär. Vor vielen Jahren hat er mir anvertraut, daß er gerne eine Meisterschaft gewonnen hätte mit dem Gewehr. Ich hatte damals einen Plan, wie ein Gewehr genauer gemacht werden kann. Berg sah das und wollte es unbedingt produzieren. Aber dann kam es anders. Berg wurde in die Raumfahrtpläne verwickelt und das Gewehr geriet in Vergessenheit." Frau Korthaus war mit seinen Ausführungen sehr zufrieden, aber sie blieb mißtrauisch: "Was wird, wenn Berg zurück ist. Er wird doch bestimmt etwas Verrücktes machen." Korthaus sagte:" Ich bleibe jedenfalls hier, wenn er reisen will, soll er es allein machen." Sie fragte:" Versprochen ?" "Versprochen", und gab ihr einen Wangenkuß.
Korthaus aktivierte in den folgenden Wochen seine alte Mit- gliedschaft im Sportschützenverein. Paralell dazu arbeitete er nach der achtstündigen Arbeitszeit im Betrieb Backhaus an einem Gewehr. Schließlich war sein Werk fast fertig. Das umgebaute Gewehr war ein Gasdrucklader, der so verändert worden war, daß er kaum noch Rückstoßkräfte freisetzte. Aller- dings mußten stärkere Patronen benutzt werden um den Druck- verlust des Systems auszugleichen. Hier lag der Gefahrenpunkt der Waffe. Korthaus rief den Hersteller des Gewehrs an um die Festigkeit des Stahl zu erfahren: "Hier Korthaus von Backhaus OHg, kann ich den Technischen Leiter sprechen ?" Am anderen Ende sagte eine junge Frau: "Herr Meier wird sofort mit Ihnen verbunden." Dieser Meier hatte am Wochenende Probleme mit seiner Frau gehabt. Sie wollte sich scheiden lassen, an sich etwas Alltägliches, aber jeder empfindet es als etwas Besonderes. Meier war nicht sehr konzentrationsfähig. Er meldete sich am Telefon: " Meier hier, womit kann ich Ihnen helfen. ?" Korthaus: " Ich habe das G2.22 Gewehr und wollte die Festigkeit des Stahls im Rohr wissen." Meier dachte:" Wieder so ein Spinner, der mit Zahlen rumprotzt" Er sagte aber: "Ich sehe in der Liste nach, einen Augenblick bitte." Er ging zu einem Blechschrank, holte eine Mappe heraus und suchte die entsprechende Seite. Er legte den Zeigefinger unter die Spalte, in der die Daten des fraglichen Gewehres waren, aber in diesem Augenblick krachte es im Hof unter dem Bürofenster. Meier erschrak, sah hinaus und sah, daß sein Auto unter dem Fenster von einem LkW-Hänger gestreift worden war. Sein Finger verrutschte in eine andere Spalte. Während das Gewehr mit einem Stahl der Festigkeit St 125 gefertigt worden war, lag sein Finger nun auf einer Spalte mit dem Wert St 225. Er sprach, flüchtig auf seinen Finger blickend: "St 225." Korthaus sagte:" Danke." Meier meinte: " Warten Sie bitte einen Moment", und rannte zum Hof. Da aber Korthaus hatte, was er wollte, legte er nach einigen Minuten
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den Telefonhörer auf. Im Vertrauen auf den erfahrenen Festig- keitswert, veränderte Korthaus die Patronenkammer des Gewehrs und bohrte sie für eine wesentlich stärkere Patrone auf.
Mit dem fertig gestellten Gewehr begab sich Korthaus am folgenden Sonntag zum Schießplatz. Die Lokalzeitung hatte einen Reporter geschickt, der auf dem Schießplatz die Schützen interviewte. Er fragte Korthaus: " Sie wollen also an der Landesmeisterschaft teilnehmen ?" Korthaus sagte: "Ja, und zwar mit diesem besonderen Gewehr". Damit zeigte er das Gewehr dem Reporter. Der erkannte nichts Besonderes daran und fragte: "Was ist mit dem Gewehr ?" Korthaus schob den Ladeschlitten nach hinten und zeigte die große Patronenkammer. Der Reporter fragte:" Ein neues Kaliber ?" "Nein, nur eine verstärkte Ladung. Sehen Sie, dieser Schlitten wird sofort beim Schuß vom Gasdruck nach hinten gedrückt und neutralisiert den Hauptteil des Rückstoßes bis der Gasdruck im vorderen Rohrteil wirksam wird und den Schlitten vollständig nach hinten drückt." Der Reporter verstand es nicht ganz, war aber neugierig geworden und fragte:" Schießen Sie gleich ?" " Ja, Sie können zusehen." Als Korthaus an der Reihe zu schießen war, legte er das Gewehr an, zielte, es knallte, und die Patrone zersprengte die Patronenkammer im Rohr mit ihrem Druck. Der Stahl war nicht fest genug, der Wert, den Korthaus angenommen hatte, falsch. Korthaus fiel um und blieb liegen. Aufgeregt wurde der Sanitätswagen bestellt. Korthaus landete im Krankenhaus und die Geschichte des Gewehrs in der Zeitung.
Glücklicherweise war Korthaus mit einer Kieferstauchung davon gekommen. Die Patronenkammer war auf der, dem Gesicht ab- gewandten Seite aufgeplatzt. Die Explosion hatte ihm einen Schlag mit dem Gewehr gegen das Kinn verpaßt, was ihm eine kurze Ohnmacht verursachte. Am gleichen Abend besuchte Frau Korthaus ihn am Krankenbett. Mit dem sicheren Instinkt einer besorgten Frau hatte sie Korthaus Aktivitäten durch- schaut. Nachdem sie ihn begrüßt hatte, meinte sie: "Warum sagst Du nicht gleich, daß Du zu Berg auf den Mars fliegen willst. Mußt Du dafür Dein Leben riskieren ?" Korthaus widersprach:" Es ist nicht so, ich will nicht zum Mars." Frau Korthaus sprach: "Ach laß das Schnickschnack. Werde gesund und flieg zum Mars. Vorher gibst Du doch keine Ruhe, und lieber einem Mann auf dem Mars, als ein toter Mann." Korthaus vesuchte es noch einmal:" Er soll herkommen, ich ..." Frau Korthaus unterbrach ihn: "Der Arzt läßt Dich übermorgen nach Hause, in drei Wochen ist alles ausgestanden, dann fliegst du los !"
Währenddessen hatte Berg auf der Station am Marsnordpol sein Projekt zuende gebracht. Er klappte den Deckel des Ordners zu, schaltete den Computer aus und griff zum Telefon: "Muggemann, ich bin fertig, kommen Sie doch einmal her." Der Angesprochene war leitender Techniker der Station. Er ging durch die luftgefüllten Verbindungsgänge zu dem Teil
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der Station, in dem Berg wohnte. Als er den Iglu betrat, sagte Berg:" Ich habe meine Studien fertiggestellt, mit dem nächsten Mobil fahre ich zum Raumbahnhof und fliege zur Erde zurück. Sie haben die Fahrpläne ?" Der Angesprochene sagte: Sie sind unter "Fahrplan aktuell" gespeichert und alle bis zum Monatsende gültig. Wir werden Sie aber vermissen". " So ist das, aber ich muß zur Erde zurück." Kurz darauf war Nachrichtenzeit. Berg schaltete den Ortssender seiner Heimatstadt ein und hörte nach den wichtigen auch die Lokalnachrichten:" Auf dem Schießplatz ereignete sich ein Unfall. Ein älterer Mitbürger verletzte sich an seinem umgebauten Gewehr. Er ist nicht in Lebensgefahr...." Berg stutzte, er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Zeitungsredaktion seiner Stadt. Bald hatte er Verbindung mit dem Chefredakteur, den er persönlich kannte: "........ Was war das auf dem Schießplatz ?" " Korthaus ist bei einem Experiment verunglückt. Er hat ein neuartiges Gewehr ausprobiert.." "Und, ist er schwer verletzt ?" "Nein, nur eine Kieferprellung, kein Bruch." Berg atmete durch:" Gottseidank, ich werde ihn anrufen, vielen Dank.." Sogleich setzte sich Berg mit dem Krankenhaus in Verbindung. Es hieß, Korthaus schliefe, Berg solle am anderen Tag noch einmal anrufen.
Am anderen Tag kam das Telefonat zustande. Berg begrüßte Korthaus:" Können Sie mich verstehen ?" Nach Ablauf der Pause, die durch die Laufzeit der Radiowellen im Raum zustande kommt, meldete sich Korthaus:" Schön Sie zu hören. Ich habe das besagte Gewehr gebaut, aber der Stahl war nicht in Ordnung. Sie kennen die Pläne des Gewehrs. Ich wollte an den Landesmeisteschaften teilnehmen. Kommen Sie zur Erde ?" Berg antwortete:" Ich bin in 8 Monaten zu Hause. Warten Sie mit dem Gewehr, ich werde mitmachen. Aber ich habe noch mehr vor. Ich habe das Rätsel der Organismen gelöst. Sie werden staunen, was dahinter steckt. Nun erzählen Sie mir, was Sie vorhaben." Wegen der langen Wartezeiten verliefen die Telefonate bei allen etwas seltsam anmutend. Jeder sprach einen möglichst langen Monolog, stellte Fragen, be- antwortete Fragen, damit der Andere auch einen langen Monolog halten konnte. Die Lichtlaufzeiten Erde-Mars und zurück, von 5 - 15 Minuten, je nach Abstand der Planeten, machten die Gespräche langwierig. Je seltener die Sprecher wechselten, umso weniger Laufzeiten mußten abgewartet werden. Korthaus sprach:" Dann schießen wir beide bei den Meisterschaften mit. Mit dem Gewehr ist sehr genau zu schießen. Sie machen mich sehr neugierig auf das Rätsel und ihre Lösung. Das gab es schon einmal, Buddha zum Beispiel." Berg hätte am Liebsten sofort gesprochen, etwa so:" Es hat nichts damit zu tun, gar nichts. Es geht nicht um Religion oder Metaphysik." Er sagte aber nichts sondern hörte zu. Korthaus sprach weiter:" Meine Frau schlug vor, ich solle zum Mars fahren. Das wird nun überflüssig. Wollen Sie auf der Erde bleiben oder den Jupiter besuchen ? Sie werden doch nicht in den Ruhestand gehen wollen."
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Berg wartete mit den Fingern auf den Tisch klopfend auf das Ende von Korthaus Rede. Nun sprach er:" Weder bin ich allzusehr gealtert noch zu den Spinnern übergelaufen. Sie müßten mich kennen ! Lassen Sie uns auf der Erde weiter darüber sprechen. Wenn Sie mich schon verdächtigen, was werden andere vermuten, wenn wir hier weiterreden. Gute Besserung !"
Inmitten der Innenstadt gab es eine Einkaufspassage. Dort waren Cafes und Bistros. In einem davon trafen Berg und Korthaus sich häufig. Als die Marsrakete gelandet, Berg mit dem Jet wieder in der Heimatstadt eingetroffen war und Korthaus in dem Cafe getroffen hatte, saßen die Beiden nach langer Zeit wieder zusammen und besprachen ihre Pläne. Korthaus sagte:" Würden Sie mir jetzt verraten, was Sie auf dem Mars entdeckt haben ?" Berg erwiderte: "Wir haben das Verhalten der Eiskristalle untersucht. Sie bilden Formen, die hier unbekannt sind. Sie zeigen indivi- duelle Züge." Korthaus sah Berg verblüfft an und fragte: "Sie sind vom Zufall abgekommen ?" Berg erwiderte: "Nicht ganz, aber die zufälligen Prozesse liegen vor der subatomaren Ebene." Korthaus sah Berg wieder verblüfft an und sagte spontan:" Alles lebt ?" Berg meinte: " Nein, alles lebt nicht und alles ist nicht tot. Sehen Sie: Der Gegensatz zwischen lebender und toter Materie entspringt einem Denken, welches die neueren Erkenntnisse der Wissenschaften noch nicht integriert hat. Sie kennen das aus dem Schulunterricht: Leben wird definiert als Prozess innerhalb von Wesen, die sich selbständig ernähren und vermehren. Alles andere ist quasi tote Materie. Seit den Quarcks, die spontan als Paare entstehen, stellt sich die Frage neu: Was ist Leben. Die Sterne sind längst als Lebewesen definierbar. Sie werden geboren, nehmen Materie auf, ernähren sich also und geben Materie ab. Sie altern, sterben, und aus ihrem Material gebären sie neue Sterne. Wir sind einfach zu kurzsichtig, wenn wir die Definition des Lebens an relativ kurze Regenerationsspannen der Wesen koppeln. Umgekehrt ebenso, sehr kurzfristige Formwandlungen wie die Spaltprozesse der künstlich radioaktiven Isotope werden nicht als Leben erkannt. Aber die Regeration muß nicht an Eier oder Säugetierformen gebunden sein. Schon die Verpuppung der Insekten durchbricht das Schema." Korthaus wandte ein:" Es könnte doch sein, daß sie nur etwas neu definieren." Berg widersprach:" Lassen Sie mich fortfahren. Das Entscheidende sind nicht die Morphosen oder Pseudomor- phosen sondern der innere Motor, das Herz des Prozesses." Korthaus sagte begeistert:" Willkommen im Lustprinzip Pro- fessor. Das hätte ich nicht gedacht." Berg widersprach: "Sie täuschen sich, es gibt kein Lustprinzip. Aber es gibt eine relative Befriedigung. Irgendetwas juckt, ein Temperatur- gefälle im Kristallgitter, eine Potentialschwankung in der Atomhülle, ein Gravitationskessel im Schwarzen Loch.." Korthaus dachte spöttisch, was er nicht aussprach: oder Fußpilz.- Berg sprach zu seiner Verblüffung etwas Der- artiges aus:" Oder ein juckende Geschwür. Verstehen Sie ?, ein juckendes Geschwür dient nicht der Lust, dem Leben usw,
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es ist schädlich. Leben ist nicht ein Lustprinzip, nicht nützlich sondern amoralisch im tiefsten Sinne, nützlich und schädlich in eins, aber immer triebhaft im Sinne eines unsinnigen Gefälles, - eine Art relativer Juckbefriedigung." Korthaus war begeistert. Er sagte spontan:" Sie haben es geschafft General ! Nicht nur Europa oder die Welt sondern alles, die Totale." Berg war sichtlich gerührt von der Begeisterung Korthausens. Er sagte:" Aber es ist nicht alles. Dieses Modell kann ebenso gut auch aus dem Zufall abgeleitet werden. Ein universales Prinzip ist noch nicht Ursache, Mittelpunkt oder historischer Anfangspunkt." Korthaus wandte ein:" Fehlt Ihnen noch der göttliche Funke ?" Berg verzog seinen Mund:" Nein, nein, darüber mag ich keine Scherze !"
Plötzlich streckte Korthaus seinen Kopf vor und sagte nah an Bergs Ohr:" Die Damen kommen." Es kamen Frau Berg und Frau Korthaus zur Passage herein. Berg wollte sich erheben, aber Frau Korthaus sagte zu ihm:" Bleiben Sie und machen Sie einfach weiter. Frau Berg sprach zu Korthaus gewandt:" Geht es ihnen besser mit dem Kiefer ?" Dieser ant- wortete:" Er ist wie neu." Die beiden Damen lächelten und gingen weiter. Berg meinte:" Wenn Ihre Frau wüßte, was auf uns zukommt, würde sie vielleicht weniger ruhig bleiben." Korthaus meinte verblüfft:" Davon weiß ich nichts, verraten Sie es mir ?" Berg erklärte:" Ich habe einen Verdacht, was den Mittelpunkt betrifft, aber ich möchte ihn nicht äußern. Eben erst haben Sie Religion vermutet. Ich denke, wir müssen uns der Mühe unterziehen, die Experimente am lebenden Objekt zu vollziehen. Als erstes fahren wir in die Schweiz und sehen uns den Teilchenbeschleuniger unter einem philo- sophischen Gesichtspunkt an." Korthaus fragte:" Wollen Sie wie ein Physiker die Wahrheit aus den Stoffen herauslesen ?" Berg meinte:" Ich kenne ihre ästhetische Weltanschauung, ich bin näher daran gekommen, als Sie ahnen. Am Besten, wir fahren am nächsten Montag los." Korthaus meinte: " Na ja, es wird meiner Frau nicht gefallen, aber immer noch besser als ein Flug zum Mars. Haben Sie schon eine Einladung für uns ?" Berg sah seinen Freund über den Rand seiner Brille an. Korthaus sagte:" Gut, ich habe verstanden, eine überflüssige Frage."
Am Montag, dem Abreisetag, brachte Berg eine große Werkzeug- tasche mit zum Bahnhof. Korthaus hatte einen kleinen Koffer dabei. Berg sagte:" Sie haben alles, was Sie brauchen ?" "Ja, aber wo ist ihr Koffer ?" Berg antwortete: "Ich brache keine Wäsche, die kann ich in der Schweiz kaufen." "Und was ist in dem Werkzeugkoffer ?" "Werkzeug !" "Werkzeug ?", fragte Korthaus verblüfft. Berg nickte wortlos. Korthaus kannte die Vorliebe Bergs für Überraschungen. Der Werkzeugkoffer ließ ihn Verwicklungen ahnen. Er frug deshalb nicht weiter.
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Die Zugfahrt dauerte bis zum nächsten Abend. Die beiden alten Herren quartierten sich in einem Hotel am Genfer See ein und begaben sich zu Bett. Am anderen Morgen unternahmen sie eine Bootsfahrt auf dem Genfer See. Korthaus meinte: "Sie wollen in der kommenden Nacht zum Zyklotron !?" "Ja, aber geben Sie acht, wir dürfen nicht gesehen werden." Korthaus hatte mit vielem gerechnet, aber die Überraschung war Berg wieder einmal gelungen. Er fragte:" Sie wollen als Einbrecher hinein ?" "Nein, wir machen es zusammen ?" "Warum ?", fragte Korthaus entgeistert ?" Berg erläuterte: "Der Betrieb im Teilchenbeschleuniger ist geplant wie ein Fließbandprozeß. Wenn wir dort ganz offiziell hineingehen, erhalten wir einen Operateur, einen Plan usw. Die Ergebnisse sind sowieso schon bekannt, man kann sie in den Fachzeit- schriften des Vorjahres nachlesen. Wir müssen den Beschleuniger hochfahren, bis oben hin." Korthaus erschrak: "Sind Sie sicher ?" "Aber Korthaus, wie lange ist ihr letztes Gefecht her ? War das nicht vor Reims ? 19..." "Ach, lassen Sie das", unterbrach Korthaus ihn.
Am Abend, nach einem Essen im Hotel fuhren die beiden Herren zum Zyklotron. Sie gingen vom Haupteingang weg zu den Hügeln und umgingen die Gebäude. Irgendwo in der Wiese waren die Belüftungsschächte des Beschleunigers. Es war dunkel und sternenklar. Korthaus beleuchtete den Boden. Nach einer Weile war der gesuchte Schacht vor ihnen. Berg holte eine Handbohrmaschine aus seiner Tasche. Er sagte zu Korthaus: " Halten Sie diese feuchten Lappen fest, ich bohre hindurch, damit kein Bohrstaub hinabfällt. Die Sensoren im Beschleuniger reagieren auf Metallstaub sofort. Haben Sie es ?" Korthaus nickte. "Dann los !" Berg kurbelte mit dem Handbohrer herum. Nach einer Weile war der erste Bolzen durch. Es war eine mühselige Arbeit. Endlich waren die Bolzen durchbohrt, der Deckel ließ sich heraushebeln. Die Beiden krochen durch den Lüftungsschacht in den Servicegang, der neben der Energie- röhre paralell verläuft. Der Gang war schwach beleuchtet. An einer Telefonnische nahm Berg den Hörer ab. Am anderen Ende meldete sich eine Stimme. Berg sagte:" Velthooven, wir sind da und kommen jetzt in den Steuerraum." Korthaus dachte sich seinen Teil, fragte aber nach dem Ende des Telefonats: "Sie haben es vorbereitet ?" "So weit es möglich war. Die Pförtner und den Sicherheits- dienst konnte ich nicht austauschen lassen. Velthooven ist ein Operateur, den ich aus Arizona kenne. Er wird mit uns zusammenarbeiten." Nach einer Weile kamen die Beiden zum Ende des Ganges an eine Tür. Sie war geöffnet. Das Beobachtungs- labor mit den Bildschirmen und der Blasenkammer war nur schwach beleuchtet. Velthooven begrüßte die Beiden: "Schön daß Sie da sind Professor Berg und Herr Korthaus. Ich habe die Anderen heute Abend weggeschickt mit der Angabe, daß die Anlage in der Nacht auf einen Fehler vom Reparaturteam untersucht wird." "Sehr schön", sagte Berg und fragte:" was ist mit der Strom- versorgung ?"
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"Alles bestens, wir haben die Aggregate c und d hinzuge- schaltet und bekommen von Basel 5000 Ampere zusätzlich geliefert." Velthooven ging zu einem Mikrofon und sagte: "Hochfahren in 60 Sekunden." Der automatische Timer lief an. Berg und Korthaus nahmen vor der Blasenkammer Platz. Nun erklärte Berg:" Die Anlage ist noch nicht mit einer so hohen Leistung wie jetzt gleich gefahren worden. Es kann einiges kaputt gehen." "Und dann ?", fragte Korthaus ? "Dann wird mein Sponsorenteam die Zahlung der Unkosten der Reparatur übernehmen." Korthaus lachte und sagte: "Sie haben an alles gedacht, wie immer." Als der Timer abgelaufen war, erfüllte ein tiefer Brummton den Raum. Mit großer Energie wurden Elektronen in der kreisrunden Röhre beschleunigt. Bald begann in der Blasen- kammer das Feuerwerk der Spuren zerfallender Teilchen. Velthooven fragte:" Können wir die c und d Stufen dazuschalten ?" "Nur zu", sagte Berg. Velthooven sprach ins Mikrofon: "Die Stufen c und d einschalten." Irgendwo in den Keller- räumen wurde von Technikern die Energie erhöht. Das Brummen nahm zu. Plötzlich sahen die Herren auf dem Schirm der Blasenkammer sehr kurze Blitze. Berg rief: " Sehen Sie, das ist es!" Und zu Velthooven gewandt: " Geben Sie die Werte in den Computer !" Ganz plötzlich erstarb das Brummen. Velthooven wurde blaß. Korthaus fragte: "Ist es kaputt ?" Berg antwortete: "Wahrscheinlich, aber wir haben es geschafft." Velthooven sprach ins Mikrofon:" Alles abschalten, Feuerwehr raus !" "Warum die Feuerwehr ?", fragte Korthaus. Berg meinte: " Zur Vorsicht, es könnten Magneten in Brand geraten sein." Eine halbe Stunde später wurde eine Tür geöffnet, ein Feuerwehrmann trat ein und sagte zu Velthooven: "Die Magneten im Sektor Südost sind verschmort, es brennt nicht." Velthooven atmete erleichtert aus. Berg sprach: " Und nun zur Auswertung." Korthaus fragte: " Erklären Sie es mir ?" Berg antwortete: " Kommen Sie mit." Die drei Männer gingen zum Computer- bildschirm, Velthooven schaltet ein Programm ein und zeigte auf endlose Zahlenkolonnen:" Es ist wie Sie vermutet haben, das Marsiridium zeigt eine andere Zeitstruktur im Zerfall als irdisches Iridium." Berg klopfte begeistert auf Velthoovens Schulter: " Ich habe gewußt, es gibt Leben im subatomaren Bereich, echten Individualismus." Korthaus verstand wohl Bergs Begeisterung, aber die Zahlen verstand er nicht. Berg sagte zu ihm:" Wir nehmen eine Kopie der Daten mit, im Hotel erkläre ich Ihnen alles. Wir müssen zum Luftschacht wieder hinaus. Der Pförtner soll uns nicht sehen." Und zu Velthooven gewandt:" Sie wissen wie es weiter geht. Der Sponsorenkreis überweist das Geld an die Betreibergesellschaft und Sie arrangieren die Unfallprotokolle." "Gewiß, guten Abend die Herren."
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Im Entree des Hotels sprachen die Beiden miteinander. "Nein", widersprach Korthaus :"wenn es so ist, wie Sie die Zahlen auswerten, so beweist es Variationen, aber keine Lebensfunktionen." Berg setzte sich im Sessel aufrecht und erwiderte: " Das massenhafte Aufkommen der Abweichungen gegenüber irdischem Material läßt nur zwei Schlüsse zu: 1. wir haben ein Material vor uns, welches aus völlig unbekannten, anderen Sternen stammt als das Material von der Erde. Ich halte das für unwahrscheinlich. Alle Sterne unseres bekannten Universums haben die gleichen Kernprozesse in ihrem Innern. Oder 2. Das abweichende Material war zunächst in geringen Spuren vorhanden und hat sich dann vermehrt." Korthaus erwiderte: "Bestechend, aber nicht gesicherter als meine subjektiv- istische Deutung: Alles, was wir vorfinden geht vorher durch uns hindurch. Wir erzeugen in uns Bilder und Eindrücke der Objekte, kein Objekt ist wirklich in uns da. Aber das "Wir" ist auch falsch. Der Eindruck in Ihrem Gehirn zum Beispiel ist ein anderer als in meinem. Ich bin der Mittelpunkt, aus dem heraus die Objekte produziert werden, Sie sind der Mittelpunkt aus dem Ihre Objekte produziert werden." Berg meinte: "Ich weiß, ihr Lieblingsgedanke." Eine schöne elegante Dame kam zur Haupttür herein. Korthaus sah gebannt auf ihren großen Busen, der sich unter ihrem Mantel abzeichnete. Die Dame bemerkte es, blickte Korthaus an, lächelte fast unmerklich und betrat den Aufzug. Berg hatte Korthaus Interesse bemerkt und meinte amüsiert: "Diese Dame ist also nicht wirklich da, wenn Sie hinter ihr hersteigen, gehen Sie also nur hinter sich selbst her ?" "Lästern Sie nur. Aber ihre "Alles ist Leben Philosophie" läßt mir natürlich die Wahl anstelle der Dame ein Sofa zu..." "Na ja, ich behaupte nicht, daß das Lehrgebäude schon aus- gereift ist. Nun entscheiden Sie sich: Narziß mit oder ohne die Dame ?" Korthaus sah auf seine Uhr:" Es ist gleich 6 Uhr, wir könnten bereits frühstücken."
Nach dem Frühstück gingen die Beiden zu einer Bank. Dort wollte Berg die finanzielle Seite der Sponsorenaktion regeln. Die Herren wurden dem Direktor gemeldet. Plötzlich hatte Korthaus die Idee:" Was halten Sie von einem Happening im Zyklotron während der Reparaturpause ?" Berg lachte: " Dachte ich es mir, sie wollen die Dame einfangen. Gut, machen wir es so." Bei dem Gespräch mit dem Direktor ließ Berg in die Geldstiftung eine Bedingung einschreiben, die leicht zu erfüllen war. Die Betreibergesellschaft sollte nicht nur die Reparatur bezahlt bekommen sondern, das Gerät sollte aufgerüstet werden, aber ein Stiftungskonzert im Zyklotron müßte einen kleinen Eigenanteil einbringen. Als Organisator dieses Konzerts wurde Korthaus bestimmt. Sehr zufrieden verließen die Beiden die Bank. Auf der Straße sagte Korthaus:"Das Klavierkonzert nit Brahms wird uns die alten Leute von Genf auf den Hals holen. Berg meinte: " Wo bleibt Ihre Phantasie. Wir haben ein ganzes Wochenende Zeit im Zyklotron tätig zu werden. Erst am Montag beginnen die Ausbauarbeiten. Zuerst das Konzert, dann die Fete."
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Korthaus schlug sich die Hand vor die Stirn: "Natürlich, es ist ja ganz einfach. Am Samstagnachmittag geben wir Brahms, ab 22 Uhr dann Disko. Was halten Sie davon, Sonntagnachmittags ein Open-air auf den Wiesen der Anlage zu machen ?" "Aber sicher, am Besten machen wir alles."
In den folgenden Tagen wurden die Veranstaltngen in und um das Zyklotron von einer beauftragten Genfer Agentur vor- bereitet. Korthaus bummelte an einem Vormittag allein durch Genf. Die Plakate für die Diskonacht waren bereits an einigen Säulen und Wänden angebracht. Das Plakat zeigte eine Diskomieze in einem Ledertanga. Die Leute standen davor und staunten. Korthaus war entzückt. Da sprach eine Frauen- stimme hinter ihm:" Hübsch, nicht wahr ?" Die Dame aus dem Hotel stand hinter ihm. Er drehte sich um:" Gefällt es Ihnen ?" "Ja sehr !, gehen Sie auch hin ?" Korthaus antwortete: "Ja." "Dann sehen wir uns dort vielleicht !" Mit diesen Worten ging sie in Richtung Bahnhof davon. Korthaus hätte gern weiter mit ihr gesprochen, aber da war sie schon gegangen.
Am gleichen Abend erzählte er Berg von der Begegnung. Dieser meinte:" Dann hat es ja funktioniert, den Rest schaffen Sie leicht." "Den Rest ?, es ist doch die Hauptsache." Berg wurde sehr ernst und sprach: "Wir müssen noch heute Nacht nach Neuseeland fliegen." Korthaus sah seinen Freund verblüfft an. Berg fuhr fort: "In etwa 50 Stunden beginnt ein Meteoritenschauer, der über Australien und die Seegebiete um Australien nieder- gehen wird. Vor Wellington steht in 1000 Metern Tiefe eine neue Neutrinoanlage. Es ist die einmalige Gelegenheit, Neurtrinoeinschläge zu messen, die mit dem Meteoritenschauer zugleich auftreten." Korthaus war hin und her gerissen. Er war ebenso ein Forschergeist wie Berg, aber er wandte ein: "Unsere Diskofete, die schöne Dame ?" Berg meinte: "Das ist doch nicht mehr schwer, Sie haben doch schon mit ihr gesprochen." "Sie wissen mehr als ich, raus damit !" Berg sagte: " Ich habe mich etwas herumgehört, was die Dame betrifft. Korthaus dachte sich seinen Teil. Es war typisch für Berg, daß er seinen Geheimdienst einsetzte, damit Korthaus ihn begleiten konnte, und den er in völliger Untertreibung in dem "herumgehört" andeutete und gelegentlich mit dem Tarnnamen "Putzkolonne" bezeichnete. Deshalb fragte Korthaus: "Ihre Putzkoloonne, sagen Sie es schon !" Berg lächelte wie ein Lausbub, der des Freundes Bonbons versteckt hat und sagte:" Die Dame ist Geologin und arbeitet im Auftrag einer großen Ölgesellschaft. Sie hat in Genf Kontakte zu einigen afrikanischen Diplomaten geknüpft. Es geht um Bohrrechte vor der westafrikanischen Küste. Sie ist mit ihrer Arbeit fertig und reist bald nach London zurück." "Sollen wir sie mitnehmen ?" "Mm, bestimmt fliegt sie mit. Sie ist eine Forscherseele wie Sie auch."
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Im Hotelrestaurant ergab sich beim Abendessen eine Gelegenheit. Berg und Korthaus saßen am Tisch und warteten auf den Kellner. Die Dame kam herein, sah die beiden Herren, grüßte mit einem feinen Kopfnicken Korthaus und nahm an einem anderen Tisch Platz. Korthaus erhob sich, ging zu ihr und fragte: " Haben Sie einen Moment Zeit für mich." Die Dame wies einladend auf einen Stuhl neben dem ihren. Korthaus begann:" In der übernächsten Nacht geht im australischen Raum ein Meteoritenschauer nieder, von dem besondere Aufschlüsse über die interstellare Materie erwartete werden." Die Dame sah ihn aufmerksam an. Er sprach weiter:" Um es kurz zu machen, wir möchten Sie einladen mit uns nach Neuseeland zu fliegen." "Was möchten Sie dort mit mir ?" Korthaus wurde etwas verlegen, die Frage war sehr direkt. Er zog sich mit einem Trick aus der Affäre:" Wir brauchen Sie beim Neutrinobecken ?" Korthaus hatte Glück. Die Dame wußte was das war und interessierte sich dafür sehr. Sie sagte: " Gut, ich komme mit Ihnen. Haben Sie eine Maschine ?" Korthaus antwortete: "Ja, wir nehmen Sie in einer der schnellsten Maschinen mit." "Wunderbar, die Concorde ?" "Nein, so komfortabel nicht, es ist eine Phantom." "Ein Zweisitzer ? Sind Sie Pilot ?" Korthaus fragte zurück: "Sind Sie mutig ?" Die Dame lächelte und meinte: "Sie erzählen mir Geschichten. Sie können doch keine Phantom fliegen ?!" Korthaus sagte: " Kommen Sie mit zu meinem Freund Berg, der klärt Sie auf." Die Beiden erhoben sich und wechselten zu einem Tisch, an dem Berg Platz genommen hatte. Berg stellte sich vor und fragte die Dame:" Sie kommen mit uns ?" Die Dame antwortete: " Es klingt alles etwas unwahrscheinlich. Wie wollen Sie in der kurzen Zeit nach Neuseeland gelangen ?" Berg sagte: "Wir haben einen wichtige Auftrag von der ESO. Man stellt uns drei Phantoms zur Verfügung mit Luftbetankung über dem Mittelmeer und über dem Indischen Ozean." "Das hört sich abenteuerlich an. Wie geht es weiter ?" "Sie fliegen mit Korthaus in einer Concorde, ich fliege mit einer Phantom allein." Korthaus stutzte: "Sagten Sie nicht, wir würden...." Berg unterbrach ihn lachend: "Sie wollen doch nicht eine Dame in einer Rappelkiste wie die Phantom fliegen lassen. Nein, in der Concorde sind sie nicht wesentlich nach mir am Ziel." "Wofür denn drei Phantoms ?", fragte Korthaus. "Das war ein Mißverständnis. Die drei Phantoms brauche ich in der Nacht des Meteoritenschauers da unten." Und zu ihr gewandt:" Nein meine Dame, Sie fliegen mit der Concorde." Die Dame lächelte und bestätigte damit Bergs Plan. Sie fragte: "Dieser Aufwand,- die ESO ist doch in der Regel viel sparsamer." Korthaus wollte etwas sagen, aber Berg winkte ab: "Nicht alles verraten. Lassen Sie sich überraschen. Von Genf aus starte ich mit den drei Phantoms, Korthaus und Sie mit der Concorde. Wir landen übermorgen abend in Wellington und fliegen mit einem Hubschrauber sofort zur Badewanne, ich meine zum Neutrinobecken, die Eingeweihten nennen es scherzhaft "Badewanne".
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Etwas später begaben sich die Drei zu ihren Hotelzimmern, holten ihr Gepäck und fuhren mit einem Taxi zum Flughafen. Dort standen die vier Flugzeuge bereit. Berg verabschiedete sich von der Dame und Korthaus und bestieg eine Phantom. Korthaus und die Dame gingen die Treppe zur Concorde hinauf. Die Dame meinte erstaunt:" So was, das ist die Maschine des Sultans von Maginan. Wie kommen wir denn zu dieser Ehre ?" Korthaus antwortete wahrheitsgemäß:" Ich weiß nicht mehr als sie." Als sie in dem Flugzeug waren, kamen sie zunächst in einen üppig ausgestatteten Barraum. Korthaus setzte sich an die Bar, die Dame neben ihn. Er fragte:" Kennen Sie diese Maschine ?" Sie antwortete:" Lassen Sie uns etwas trinken." Der Barceeper brachte die gewünschten Getränke. Korthaus sah die Dame fragend an. Sie erzählte:" Meine Gesellschaft sandte mich vor einigen Jahren zum Sultan von Maginan. Ich sollte erkunden, ob der Sultan bereit sei, vor seiner Küste Bohrungen unserer Gesellschaft zu gestatten." "Und ?" "Wir bekamen die Rechte, aber wie, Olala." Sie lächelte, so daß Korthaus eine Erregung den Rücken hinablief. Durch den Lautsprecher wurden sie aufgefordert in den Sesseln an den Fenstern Platz zu nehmen und sich für den Start anzuschnallen. Sie begaben sich zu zwei nebeneinander stehenden Sitzen und schnallten sich an. Die Maschine vibrierte, gewann Fahrt und hob ab. Dann wurde es wieder ruhiger im Flugzeug. Korthaus fragte:" Erzählen Sie es mir ?" "Später vielleicht. Ich muß schon sagen, Ihr Vorgehen erinnert mich stark an ihn." "Wieso ?", fragte der arglose Korthaus. Die Dame lächelte erneut und fragte:" Sie wissen doch was hinter der Tür dort ist ?" Korthaus war wirklich ahnungslos. Er guckte verdattert zur Tür:" Was ist dort ?" "Sie sind mir einer." Diese Reaktion ließ Korthaus allmählich klarwerden, was los war. Offensichtlich war hinter der Tür eine Spielwiese des Sultans. Etwas grimmig dachte er, daß Berg diese Geschichte eingefädelt hatte. Ihm war dabei unwohl, denn die Dame war kein junges Ding, daß man mit dererlei Geschichten herumkriegen würde. Peinlich war ihm aber, daß die Dame dieses Flugzeug kannte, und er in den Verdacht geriet, wie der Sultan mit gleichen Mitteln zum Ziel kommen zu wollen. Die Dame war jedoch ein Menschenfreund. Sie sagte:" Ihr Freund Berg hat es organisiert !" "Ja, ohne mich einzuweihen. Er überrumpelt die Leute gern mit seinen Ideen." "Im Falle dieser Maschine hat er wahrscheinlich keine andere Wahl gehabt und in der Eile keine andere bekommen können. Die Concorde mietet man nicht wie einen Leihwagen." Korthaus war erleichtert, daß die Dame ihm Brücken baute, auf der vielleicht eine unvoreingenommene Unterhaltung beginnen könnte. Er sagte: "Berg will Tests mit den Neutrinobecken machen. Er hat eine verrückte Idee." "Und die wäre ?" "Er sucht nach Lebensspuren im subatomaren Bereich." Die Dame sah Korthaus erwartungsvoll an. Korthaus sprach weiter: "Im Zyklotron von Cern hat er Iridium vom Mars getestet. Ich kann die Ergebnisse nicht beurteilen, aber Berg glaubt, daß
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Lebensvorgänge in dem Material feststellbar sind." Die Dame meinte: "Das erinnert mich an die indische Philosophie, aber Berg erscheint doch ein rational veranlagter Mensch zu sein." "Ja, das ist er. Er will Leben mit konventionellen wissen- schaftlichen Methoden nachweisen." "Gibt es denn noch andere ?" Korthaus hörte aus ihrer Frage, mehr noch aus dem Klang ihrer Stimme, daß sie seine Andeutungen über andere Methoden befremdlich fand. Er ging deshalb einen Schritt zurück und sagte: "Es wäre von unabsehbarer Konsequenz, wenn im subatomaren Bereich Lebens- vorgänge nachweisbar wären. Das irdische Leben wäre nichts Exclusives mehr. Überall könnten Organismen entstehen." Die Dame war an dem Thema sehr interessiert, sie fragte Korthaus nach einigen Details. Dieser beantwortete ihre Fragen so gut er konnte. Dann wurde sie müde. Sie gähnte etwas, stützte ihre Arme hinter ihrem Po auf dem Sitz ab und reckte dabei wie zufällig ihren großen schönen Busen vor. Korthaus wurde heiß und kalt. Er sagte: "Ich bin auch müde, am Besten Sie nehmen die Schlafgelegenheit im Nebenraum, ich schlafe hier im Sessel." Sie lächelte und meinte:" Kommen Sie mit nach nebenan, dort ist Platz für vier Personen auf einer Schlaffläche,- oder ist es Ihnen unangenehm ?" Korthaus hatte etwas Lampenfieber. Die Einladung erschien deutlich, ließ aber doch noch einiges offen. Er straffte sich und sagte:" Gern, wenn es Ihnen recht ist." Die Dame stand auf und ging durch die Tür in den Nebenraum, Korthaus folgte ihr nach. Der Raum war schwach beleuchtet. In der Mitte stand eine Liegefläche, die mit rotem Samt bezogen war. An den Wänden waren goldene Ornamente angebracht, Teure Lampen zierten die Ecken. Korthaus setzte sich auf den Rand der Liege. Die Dame ging zu einem Wandschrank, holte einige Decken heraus und legte sich mit den Decken auf die Liege. Dann sagte Sie:" Kommen Sie, im Sitzen schläft sich nicht so gut." Korthaus legte sein Jackett ab. Die Dame hatte sich unterdessen vollständig entkleidet. Sie war etwa 50 Jahre alt, mit einer Figur, die einer Dreißigjährigen gut gestanden hätte. Als Korthaus sich mit anbehaltener Hose und Hemd hingelegt hatte, ging wie von allein das Licht langsam aus. Die Dame sagte:"Gut Nacht, schlafen Sie gut." Korthaus wünschte ebenfalls gutnacht und versuchte zu schlafen. Er war aber viel zu erregt. Das Flugzeug schwankte etwas, es schien Turbolenzen ausgesetzt zu sein. Plötzlich rollte er, ohne es zu wollen durch eine Schräglage des Flugzeugs bestimmt auf die Dame. Er landete auf ihrer Decke, spürte dabei ihre weichen Formen und war sehr verlegen. Die Dame tat als ob sie schliefe. Korthaus hob sich von ihr herunter und rückte wieder von ihr weg auf die freie Hälfte der Liege. Wiederum versuchte er zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Nach einer Weile rückte die Dame an ihn heran und sagte: " Sie können nicht schlafen ! Ziehen Sie sich aus und entspannen Sie sich. Korthaus gehorchte, behielt aber seine Unterhose an.
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Durch die Fenster der Concorde kam Dämmerlicht des heran- nahenden Tages herein. Korthaus löste sich aus den Armen der Frau, die fest eingeschlafen war. Er dachte, er hätte einen wunderbaren Traum gehabt. Aber ihm wurde klar, daß er es erlebt hatte. Er dachte, ob Berg das alles eingefädelt hätte, aber er zweifelte daran. Er beschloß, Berg bei der nächsten Gelegenheit zu fragen. Etwas irritiert erhob sich Korthaus, zog sich an, ging zu der Dame küßte ihre Wange und sprach:" Ich stehe auf." Sie schlug die Augen auf und fragte:" Ist es schon soweit ?" "In drei Stunden etwa. Kommst Du mit zum Frühstücken ?" "Gern, ich komme." Korthaus ging in den Barraum, nahm an einem der kleinen Tische Platz und wartete auf den Steward. Mit ihm etwa gleichzeitig kam die Dame aus dem Schlafraum zu ihm. "Wir sind gestern nicht mehr weit gekommen, aber ich bin neben Frau auch Wissenschaftler durch und durch. Weißt Du was Berg genau vor hat ?" Korthaus antwortete: "Er will während der Meteoriteneinschläge Iridiumstaub oberhalb des Neutrinobeckens verstäuben. Er hat eine Phantom mit irdischem Iridium und eine mit marsischem Iridium beladen. In der dritten Maschine fliegt er selbst um Messungen vor- zunehmen. Für mich hat er eine Beobachtungsaufgabe im Berg vorgesehen. Ich soll direkt am Neutrinobecken Messungen vornehmen." Sie antwortete:" Ich komme mit in den Berg, dort werden vielleicht interessante Dinge geschehen." "Gern", meine Korthaus. Der Steward brachte das Frühstück und die Beiden sprachen weiter. Sie sagte:" Er will wissen, ob im subatomaren Bereich Leben existiert. Aber das ist doch längst entschieden." Korthaus sagte:" Meinst Du die philosophische Antwort ?" "Ja, wir können mit unseren Netzen nur die Fische einfangen, die sich mit ihnen einfangen lassen. Entweder wir sehen aus uns selbst heraus, dann lebt nichts außer uns oder wir sehen es entgegengesetzt, wie die Inder es tun, dann lebt alles." Korthaus meinte: "Das ist Berg nicht genau genug". Sie antwortete: "Das macht ihn so sympathisch, er kämpft um die Exaktheit." "Das hat Don Quichotte auch getan." "Laß ihn das nicht hören". Korthaus lachte und meinte: "Du unterschätzt ihn, er verträgt allerlei." Korthaus dachte nach, dann sah er aus dem Fenster des Flugzeugs, sah die unter der superschnellen Maschine dahinfliegenden Wolken und gab sich einen Ruck:" Du wußtest das mit der Concorde ?" Sie lächelte ihn an und erwiderte:" Ich wußte alles. Ich kannte Berg aus Heidelberg." Korthaus wurde rot, dann wieder blaß und fragte:" Das war alles ...." Sie sagte: "Es ist alles ganz einfach. Damals sah ich Euch Beiden in dem Bistro neben dem Haupteingang der Univesität. Ihr wart in einer Diskussion verwickelt, es ging hoch her. Das hat mich neugierig gemacht." "Und dann hast Du in Genf..." "Ja, ich wollte von Dir entdeckt werden." "Aber warum denn so umständlich ?" Sie nahm seine Hand, drückte sie und sprach:" Davon verstehst Du nichts." Sie blickte aus dem Fenster und sprach weiter:
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"Wir haben nicht viel Zeit bis wir in Wellington sind. Ich möchte wissen, was hinter Deiner Aktion mit Berg steckt." "Dahinter ?", fragte Korthaus überrascht. Sie meinte: "Berg führt etwas Großes im Schilde, etwas das über seine Iridiumzerstäubung hinaus geht." "Das fürchte ich auch", meinte Korthaus. Sie sagte: "Ich meine aber nicht nur die Aktion, die er eingefädelt hat sondern den philosophischen Konflikt. In gewisser Weise seid ihr Zwei wie Hund und Katze." Korthaus sah sie an und erwiderte:" Manchmal wie Katze und Maus, ich bin dann die Maus." Wiederum lächelte sie und fragte dann: "Ich habe in Heidelberg einen Kommentar gelesen, den ein Student der Philosophischen Fakultät über Berg geschrieben hat. Du kamst auch darin vor." "Wie hieß der Student ?" "Bancketzki" "Ich erinnere mich nicht. Was schrieb er ?" Sie erklärte:" Er schildert Berg als Positivisten, der eine metaphysische Basis sucht. Und er beschreibt Deine Arbeiten als...." Sie zögerte. Korthaus forderte sie auf:" Sag es nur, ich bin Kummer mit den Studenten gewohnt." Sie fuhr fort: "Als die eines antiquierten Idealisten." Korthaus meinte: "Da hab ich Schlimmeres erwartet. Aber er hat nicht unrecht damit. Nur, es gibt keine ewigen Ideen, doch oberflächlich betrachtet kann jeder, der die Materie nicht für das letzte Wesen im Kosmos hält, als Idealist gelten." Sie war sehr aufmerksam geworden und fragte:" Das ist der Punkt, der mich interessiert. Was ist mit der Materie. Sie ist doch nicht von uns erdacht ?" "Bestimmt nicht, sonst säßen wir nicht hier." "Wieso ?" "Ich wollte Dich doch kennenlernen", sagte Korthaus und fuhr fort:" Eine ideale Welt, die nur aus uns heraus da wäre, wie wäre das langweilig." Sie hakte ein: "Also brauchst Du auch ein "Nichtich" eine Außenwelt, um einmal diese Spezialsprache der Philosophen zu nehmen ?" "Aber ja, die Materialisten oder Positivisten irren nicht in der Annahme einer Außenwelt sondern in der Definition der Materie." "Wie ist diese Definition zu beschreiben ?" Korthaus sagte: "Etwa so: Die Materie ist Substanz und Energie, etwas Nichtsubjektives, also ohne eine Richtung ohne Willen und Ziel, disparat und zufällig, Baumaterial, welches den Wesen dient um sich aufzubauen und zu wachsen. Und das Wichtigste: sie ist ohne einen Urheber oder einen Anfang oder einen letzten Grund." "Und Berg will diese Definition umstoßen ?" "Ich weiß nicht, ob er das will. Aber die Materie als eine Summe von unzähligen Lebewesen, das würde auf eine Revolution der Begriffe hinauslaufen." "Und Du ?, für Dich ist diese Definition nicht gültig ?! Hast Du eine andere Definition der Materie ?" "Laß mich mit einer Frage daran gehen: Wenn keiner von uns da wäre, der die Eigenschaften der Materie wahrnehmen und beschreiben könnte, was wäre mit dem Gewicht und mit den Maßen der Materie, wären sie vorhanden ?" Die Dame antwortete:
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"Es gäbe kein Kilogramm, kein Meter, aber es blieben doch die Relationen, daß etwas um einen bestimmten Faktor schwerer oder leichter ist als etwas anderes." Korthaus sagte: "Das habe ich auch sehr lange gedacht. Aber diese Relationen sind unablösbar mit unseren Erfahrungen verbunden. Wir haben in der Kindheit gelernt, daß etwas schwer oder leicht ist. Wir haben auch gelernt, die Dinge zu definieren, nachdem wir von ihnen Abbilder gemacht haben. Aber was wäre, wenn es uns mit allen Eigenschaften und Wesenheiten der Materie ebenso erginge wie mit den Maßen von Längen und Gewichten." Die Dame wirkte erstaunt, sie sah aus dem Fenster auf die unter der Maschine mit fast 2 Mach vorbeijagenden Wolkenbänke und sprach:" Es könnte so aussehen, als ob nichts mehr von der Materie übrig bleibt, wenn wir uns aus der Sache heraus- nehmen. Aber das geht nicht, wir sind da." Korthaus meinte: "Es wäre bestimmt ein Irrweg, die Nichtexistenz der Materie zu behaupten, nur weil wir uns aus der Welt hinwegdenken könnten." Die Dame meinte aufatmend: "Also nur ein Gedankenspiel ?!" "Nein, es geht um die Frage der Eigenschaften. In dem, was wir von der Materie verstehen, sind wir herausgedacht. Sie ist leblos, ohne Reproduktion usw. Aber können wir uns herausdenken ? Das Beispiel eben zeigte, daß es nicht geht. Die Frage ist nicht ob es Materie gibt oder nicht sondern, es gibt etwas außer unserem Ich, aber es muß nicht Materie sein, wie wir sie verstehen." Die Dame lachte auf: "Bist Du Okkultist ?" Korthaus antwortete: "Auf gar keinen Fall. Ich denke, es gibt etwas außer dem Ich, was nur erfahren wird durch das Ich. Wir produzieren mit diesem Unbekannten unsere Welt." "Weltgeist ?" Korthaus meinte: "Das wäre nichts anderes als eine andere Definition der Materie." "Das verstehe ich nicht ?", meinte die Dame:" erklär es genauer." Korthaus sah aus dem Fester durch eine Wolkenlücke Land. Er sagte:" Wir sind bald da. Ich versuch es noch einmal mit einem anderen Bild: Materie und Geist sind insofern verwandt, als wir sie definieren als universale Eigenschaft des Raumes um uns herum und in uns selbst. Es ist eine universale Objektivität gedacht, darin sind die Definition verwandt." "Ja, das ist klar, aber gibt es eine andere Möglichkeit ?" Korthaus sagte:" Ich weiß es nicht bestimmt. Aber ich habe ein Modell im Kopf. Stellen wir uns vor, wir sind eine Kugel, die wir Ich nennen, umgeben von einem unbekannten Raum. Wir erkennen etwas und unsere Kugel umschließt nun das Erkannte auch. Also wachsen wir mit der zunehmenden Erkenntnis. Der unerkannte Raum bleibt aber außerhalb bestehen. Das wäre die objektive Sicht der Welt. Nun umgekehrt: wir untersuchen uns selbst. Wir sehen bald, daß wir in uns unerkennbar sind. Wir stoßen nicht vor bis zu einem letzten Mittelpunkt. Wachsen, Motive finden usw, bleiben weitgehend im Dunkeln. Wir erkennen nur eine Art Kugelschale, in der Mitte sind wir so unbestimmbar wie der Raum außerhalb. Diese Schale wächst oder schrumpft." Die Dame war beeindruckt uns sagte: "Ein interessantes Bild, wir müssen der Sache unbedingt weiter nachgehen." "Gern", sagte Korthaus und erhob sich, um sich für die Landung im Sitz anzuschnallen.
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Was die Beiden in der Concorde gesehen hatten, war die Küste von Australien. Die Landung stand noch nicht bevor. Die Dame ging zu Korthaus und sagte: "Komm ruhig mit zum Tisch zurück, wir haben noch etwa 3 Stunden bis zur Landung. Wir fliegen jetzt unter Schall, wahrscheinlich, weil wir über Australien sind." Korthaus schnallte sich wieder los und begab sich zum Tisch. Die Dame hieß Juliane, Korthaus sprach sie aber nicht so an, er scheute sich etwas. Sie bemerkte das und fragte: "Dir geht es nicht so gut ?" Korthaus log:" Oh doch." "Du bist etwas verstrickt ?" "Ja, etwas. Es ist immer der Abschied, der mir zu schaffen macht." "Erzähl es doch !", forderte sie ihn auf. Korthaus er- zählte nun von seiner Liebesgeschichte auf dem Mars. Sie hörte sich das an und sagte:" Du weißt aber, daß die Gipfel immer nur kleine Standflächen haben ?!" Korthaus nickte, dann aber sagte er: "Dein Interesse ist bemerkenswert. Ich bin ein alter Mann..." "Nein, nicht so," widersprach sie:" Wir lieben immer den ganzen Menschen. Du bist älter als ich, aber Du kannst auch mehr Gedanken in Bewegung setzen. Außerdem, ich muß nicht mit Dir zusammenleben." Korthaus war etwas geschockt. Dann aber besann er sich und sagte:" Es ist doch verblüffend, wenn eine Frau das sagt, was ein Mann denkt. Aber Du hast recht, der aufgeklärte Mensch erkennt in den Anderen das Interessante. Es gibt nicht nur die Polygamie der Lust sondern auch des Geistes." "So ist es, wir denken sehr verwandt, aber es war auch sehr schön..." Dabei senkte sie den Kopf. Korthaus bemerkte, daß er mit seinen hart am Selbstmitleid streifenden Formulierungen etwas Überflüssiges angeregt hatte. Eigentlich war alles klar. Wie ihm dies so deutlich wird, kommt sein anderes Ich hervor. Er sagt ganz unvermittelt: "Hast Du Lust auf die Eroberung des Universums ?" Sie sah ihn an, sah seine funkelnden Augen und antwortete: "Mehr mein Lieber, am Besten alles." Korthaus war von dieser Antwort überwältigt. Er ging zu ihr, hockte sich neben ihren Stuhl und küßte sie stürmisch. Nachdem er sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte, sagte sie: "Seit ihr Zwei deshalb zusammen ?" Korthaus meinte: "Vielleicht, wir sind schon sehr lange befreundet. Berg hat die Marskolonie begründet und ist der Urheber der dauerhaften Bewohnung der Kolonie. Jetzt hat er etwas vor, was ich nicht durchschaue. Wenn ich bedenke, daß er bald zum Kaiser des Mars gekrönt worden wäre, kann ich mir nicht vorstellen, daß er im idealistischen Feld des Geistes bleiben wird mit seinen Aktivitäten. Ich wäre zufrieden mit der Lösung der interessanten Rätsel des Geistes.." "Ein wahrhaft bescheidenes Ziel, nicht wahr ?", meinte sie mit einem halb ironischen, halb bewundernden Lächeln. Korthaus fuhr fort:" Na, ja Berg ist noch etwas bescheidener, er will nur das gewöhnliche Universum erobern." Sie lachte laut los:" Das hört sich an, als ob Napoleon und Friedrich der Zweite reden würden." Korthaus senkte seinen Kopf und sah scheinbar nach seinen Schuhen. Dabei lächelte er fein vor sich hin, denn irgendwie fühlte er sich beinah ertappt.
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"Was haben Sie da eingefädelt ?", fragte Korthaus. Berg sah aus dem Fenster des Flughafenrestaurants von Wellington hinaus und antwortete: " Wo der Hubschrauber bleibt ?" Korthaus blieb aber beim Thema: " Raus damit, was ist mit der Dame ?" Berg lächelte: " Entschuldigen Sie, ich muß in wenigen Minuten mit den Phantoms starten. Aber ich möchte Sie vorher im Hubschrauber wissen. Die Dame kennt Sie bereits von der Sendung, die wir vom Mars aus auf die Erde gebracht hatten." "Sie kannte mich !", meinte Korthaus und verzog sein Gesicht undefinierbar:" Sie wußten also alles und ließen mich im Glauben, ich würde eine neue Bekanntschaft machen ?" Berg sagte:" Korthaus, wie alt sind Sie ?" "Wie bitte ?" Berg fuhr fort:" Sie wollen der Initiator sein und die Dame will es auch, was soll man da machen ?" Plötzlich lachte Korthaus los:" Sie sind absolut verrückt. Also die Dame hat mich erobert und ich sie, jeder von uns denkt, er habe die Sache angefangen." "Was ist daran verkehrt ?", fragte Berg. Korthaus wiegte seinen Kopf hin und her und antwortete: "Es ist zumindest typisch für Ihre politischen Aktionen. Was haben Sie jetzt vor mit uns ?" Berg legte einen Zeige- finger auf den Mund und sagte:" Psst, sie kommt und ich muß weg." Die Dame kam heran, begrüßte die Beiden und nahm Platz. Berg verabschiedete sich mit den Worten:" Ich muß los, die Maschinen starten in einigen Minuten. Ihr Hub- schrauber ist noch nicht da, aber ich muß dennoch los. Wir treffen uns gegen 6 Uhr im Morgengrauen im Zentral- labor der Badewanne." Damit erhob er sich und marschierte davon. Die Dame setzte sich und fragte:" Wann fliegen wir los ?" Korthaus erwiderte:" Wir müssen auch abfliegen, aber der Hubschrauber ist noch nicht da." Nun winkte er sie zu sich heran um nicht laut sprechen zu müssen und sagte sehr leise:" Ich verrate Dir etwas." Sie sah ihn fragend an. Er sagte:" Berg experimentiert mit der Materie aber auch mit uns." Sie tat erstaunt:" Ja ?" Er sprach weiter: " Vielleicht bist Du auch eingeweiht, und ihr beide habt mich..." Sie unterbrach: " Nein nein, so weit ging es nicht. Bist Du sauer ?" Korthaus lächelte: "Warum sollte ich, ich muß ja nicht anbeißen." Sie tat empört: "Du mußt bei mir nicht anbeißen ?!" Korthaus durchschaute ihre Geste und flüsterte nun: " Ich experimentiere auch." "Mit ihm ?", fragte sie zurück. "Wenn es sein muß, auch mit ihm." "Und mit mir auch ?" "Nein", log Korthaus und sprach weiter:"laß Dich überraschen." Sie fragte aber weiter:" Du weißt also nie genau, was Berg mit Dir vor hat, und Berg weiß nicht, was Du mit ihm planst?" "Wir kennen uns schon eine Ewigkeit lang. In den Grundzügen weiß jeder von uns, was der andere anstrebt." Sie fragte: "Und was strebst Du an ?" "Das gleiche wie er: Die Eroberung des Universums." "Seltsam, wie Du das anstellst. Wieso seid ihr dann auf
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verschiedenen Wegen um zu eurem Ziel zu gelangen ?" Korthaus erwiderte:" Berg sucht die Lösung im Weltraum, ich suche sie in mir selbst." Sie antwortete: "Berg kann ich vielleicht noch verstehen, aber Du, wie soll das gehen ?" Korthaus sah aus dem Fenster, aber der Hubschrauber kam noch nicht. Nun nahm er seine Tasse Kaffee und antwortete:" Wenn wir Glück haben, finden wir das Gleiche, er draußen ich innen. Das heißt, er findet überall kleine Bergs, bis hinab zu den Quarcks und ich finde überall im Weltraum überall mich." Sie lachte und meinte: "Das ist schon etwas daneben, oder ?" Korthaus sprach: "Du wirst es sehen, er findet in den Quarcks, was er sucht. Und ich finde in Dir, was ich suche." Sie sah ihn an, als ob sie überlegen müßte, was das alles bedeuteten würde, ein Bubenstück, eine Liebeserklärung oder der Anfang einer Weltrevolution. Sie entschied sich für das Erste und sagte: " Vielleicht wollt ihr beide nur nicht erwachsen werden ?!" Korthaus lächelte und erwiderte: "Das mag sein, aber es wird spannend, vorausgesetzt, wir kommen überhaupt zur Neutrinoanlage hin, es sieht nicht gut aus."
Unterdessen war es Mitternacht geworden, der Hubschrauber war nicht in Sicht. Korthaus telefonierte herum. Nach vielen vergeblichen Versuchen konnte er von einer Leihfirma einen Hubschrauber mit Piloten bekommen. Aber auch der kam erst gegen 2 Uhr in der Nacht. Es wurde höchste Zeit. Berg mußte bereits über dem Gebiet herumfliegen unter dem die Neutrinoanlage lag. Die Aufgabe von Korthaus war es, unten in der Erde, im Labor der Anlage die Meßergebnisse in dem Becken aufzuzeichnen. Es war vorgesehen, daß der Operator diese Aufzeichnungen auch ohne Korthaus machen sollte, aber es war auch möglich, daß der Mann die Anlage abschalten würde, wenn die Meßergebnisse stark außerhalb der Regel ausfallen würden. In diesem Fall sollte Korthaus das Abschalten verhindern. Die Dame, als Kapazität der Geologie bekannt, hätte Korthaus in dabei unterstützt. Die Beiden liefen zum Hubschrauber, so schnell sie konnten, als er endlich da war. Sofort hob er ab. Der Flug zur Anlage dauerte etwa eine Stunde. Bereits gegen 6 Uhr morgens sollte der Meteoriten- schauer vorbei sein. Es war eine sternenklare Nacht. Sie sahen im Norden die Sternschnuppen des Meteoritenschwarms herbfallen. Plötzlich zeigte der Pilot aufgeregt nach vorn. Alle Drei sahen hinaus. Drei verschiedene Flugobjekte zogen Kreise und Schleifen, machten Überschläge und Wälzungen im Flug. Die Positionslichter wechselten rasch ihre Farben, das bedeutete, daß die Maschinen sich drehten. "Wissen Sie was das ist ?", fragte Korhaus den Piloten. Der antwortete:" Das sind sehr schnell fliegende Jets, es sieht so aus, als ob sie Kunstflüge machen würden." "Kunstflüge in der Nacht ?", fragte Korhaus:" ob das Berg ist. Aber wozu ?" Der Hubschrauber landete auf dem Gelände der Anlage. Die Dame und Korthaus liefen zum Eingang, dann in den Fahrstuhl und gelangten in das unterirdische Labor. Die Meßgeräte waren alle eingeschaltet, die Computer zeichneten die Daten auf. Der Operator begrüßte die Beidem:
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"Schön, Sie zu sehen, aber sie kommen sehr spät." "Wir bekamen keinen Hubschrauber", sagte Korthaus und fragte: "Ist ihnen schon etwas aufgefallen ?" Der Operator antwortete: "Es liegt alles noch im statistischen Mittel, nur eine Sache ist da. Die Mesonenproduktion ist heruntergegangen." "Was hat das für Konsequenzen ?", fragte Korthaus. "Ich weiß es nicht, aber die Neutrinoeinschläge liegen im Mittel." Plötzlich wurde Korthaus hektisch, er rief: "Sehen Sie auf dem Schirm !" Auf dem Bildschirm der Anlage, der die Ereignisse im Becken grafisch simuliert, waren kleine Bündel nadelfeiner Striche zu sehen, die strahlenförmig aus einem Zentrum kommend sich nach außen ausbreiteten. Der Operator sagte:" Das kenne ich nicht, kommen sie mit zum Detektor." Er lief mit der Dame und Korthaus die Metalltreppen zum Rand des Beckens hinab und sah auf den Kontrollbildschirm des Magnetfelddetektors. Auch dort waren Ereignisse sichtbar: Nadelfeine Striche zuckten aus einem Zentrum nach außen. Korthaus meinte:" Es sind echte Ereignisse ?" Der Operator erwiderte: "Ganz bestimmt, es sind auch keine Störungen, sehen sie hier !" Er zeigte auf einen Computerbildschirm , der lange Zahlenreihen aufzeichnete:" Das sind die Spannungs- äquivalente, es besteht kein Zweifel, hier tauchen jene subatomaren Fragmente auf. Sie sind für Mesonen zu stark und Neutrinos werden auf dem Schirm so nicht sichtbar, sie sind auch nicht in den Meßwerten enthalten." Die Dame war auch ganz aufgeregt geworden und fragte die Männer: "Was könnte das sein ?" der Operator meinte: "Es hängt mit dem Meteoritenschwarm zusammen, die verschiedenen Maxima fallen mit den Erscheinungen auf den Bildschirmen zusammen." Korthaus sah sich die Ausdrucke der Ergebnisse an, die gerade aus dem Drucker kamen. Dann sagte er:" Sehen Sie ! Berg hat vielleicht recht mit seiner Vermutung. Es gibt hier Expansionswerte, die nicht mit den Maxima übereinstimmen: die maximale Linienausstrahlung erfolgt etwa eine halbe Sekunde nach dem Maximum der Meteoriteneinschläge." Die Dame sah den Zusammenhang auch. Sie sprach:" Sie haben recht, ich habe eine solche Verzögerung noch nicht gesehen." Der Operator bestätigte sie:" In subatomaren Reaktionen liegen die Verzögerungen im Nano- sekundenbereich." Korthaus nahm die Blätter hoch und wedelte damit herum wie mit einer Trophäe. Da wird Berg staunen, aber.." er flüsterte theatralisch:" wir sagen ihm gar nichts, er soll es selbst entdecken." Der Operator fragte: "Warum ?" Die Dame antwortete: " Was erfreut den Jäger mehr, einen toten Hasen zu finden oder einen lebenden zu schießen?"
So kam es, daß Berg gegen 7 Uhr am Morgen in das Labar unter der Erde eintrat und drei scheinbar müde und wenig interessierte Personen vorfand. Er sagte freudestrahlend: " Korthaus, Sie haben recht." Korthaus zuckte, als ob er ertappt worden wäre. Aber Berg bemerkte nichts und fuhr fort: "Wir haben das Iridium vom Mars verloren." "Wie bitte ?" "Wir haben es irgendwo verloren. Das war mein Glück." "Wie das ?", fragte der irritierte Korthaus den über-
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schwenglichen Berg:" Und da sind Sie erfreut ? Und womit hatte ich recht ?" Berg setzte sich vor den Computer, stützte seinen Kopf in die Hände, strahlte wie ein Junge, der ein Geschenk erhalten hat und sagte: "Die Kunst ! Ich habe Sie endlich verstanden." Korthaus schaute verblüfft drein und fragte:" Ich versteh nichts mehr." Die Dame hatte unterdessen das Päckchen Papier der Computer- ausdrucke genommen und bot es Berg an:" Sehen Sie !" Berg begann die Blätter zu studieren. Es waren Blätter mit Zahlen und fotografische Ausdrucke der Maximasequenzen auf den Simulationsbildschirmen. Er legte sie nach einigen Sekunden beiseite und sprach zu der Dame gewandt: "Korthaus hat das Leben als Kunstwerk entdeckt, aber ich konnte das bisher nicht begreifen. Jetzt habe ich es selbst erfahren." Korthaus fragte:" Wodurch ?" Berg erwiderte: "Wir haben getanzt mit den Phantoms, inmitten des Meteoritenschwarms. Ich sah alles aufeinmal, von außen, innen. Eine wirklich königliche Sicht der Welt, die Sie entworfen haben, eine Welt als Happening." Korthaus nahm noch einmal die Blätter hoch, die Berg scheinbar achtlos beiseite gelegt hatte und zeigte Berg eine bestimmte Zahlenreihe. Nun endlich wurde der stutzig. Er sagte: "Ist das wahr, sind die Daten authentisch ?" Korthaus meinte: " Ja, wir denken sie sind authentisch. Berg sprang auf: " Korthaus sie haben Leben außerhalb des Mars entdeckt !" Korthaus sah ziemlich verdattert in die Runde, als ob er von den Anderen Aufklärung über diesen unverständlichen Satz erhalten könnte. Die Dame sprang ihm bei: " Er meint doch bestimmt das Leben im subatomaren Bereich." Korthaus sah wieder klar. " Natürlich, es ist ja umgekehrt." Berg meinte: " Ich hatte Leben im Marsiridium erwartet, aber nicht in irdischem Material. Hier, diese Pseudomesonen zeigen ebenfalls Vermehrungsreaktionen. Offenbar werden sie durch die Maxima der Meteoriteneinschläge ausgelöst." "Können sie nicht vom Meteoritenschwarm kommen ?", fragte die Dame. Berg antwortete: " Nein, das kann nicht sein. Die Maxima können nur Ereignisse im Nanosekundenbereich nachschleppen. Hier sind es 4 bis 5 Zehntelsekunden." Berg legte die Blätter zur Seite und sagte: "Lassen Sie uns zum Hotel fliegen und dort weiter machen." Er packte die Ausdrucke in seine Mappe und verließ dann mit Korthaus und der Dame die Anlage. Die Drei bestiegen den Hubschrauber und flogen nach Wellington.
Im Cafe des Hotels begann die Frühschicht ihren Dienst. Die drei Helden betraten den Gastraum, nahmen Platz und bestellten ein Frühstück. Korthaus war ziemlich aufgeräumt. Dies aus zwei Gründen, ersteinmal hatte er die Entdeckung des Lebens im irdischen Material unterhalb der atomaren Ebene entdeckt und, was noch wesentlicher war, Berg hatte eine Erfahrung gemacht, die ihn hoffen ließ, daß dereinst Berg auch seine Philosophie teilen würde. Nachdem das Frühstück beinahe abgeschlossen war, sagte Korthaus:" Für morgen lade ich Sie zu einem Rundflug ein. Ein alter Freund von mir hat vor der Stadt einen kleinen Flugplatz und eine alte Maschine. Wir fliegen etwas herum uns sehen uns die schöne Aussicht an." Berg sagte:
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"Sie haben etwas vor, stimmts ?" Korthaus erwiderte: "Nein, wir entspannen uns etwas bevor wir in ihr nächstes Abenteuer entführt werden." Berg sagte spontan: "Gern, wann fliegen wir los ?" Korthaus erwiderte: "Wir schlafen uns aus, ich besorge einige Kleinigkeiten und morgen um diese Zeit starten wir." Die Dame fragte: " Und mich nehmen Sie mit ?" "Natürlich, wir werden alle Drei losziehen." Da die Drei völlig übermüdet waren, begaben sie sich kurz darauf zu Bett.
Der Tag und der Abend vergingen mit allerlei Beschäftigungen. Die Dame machte gegen Nachmittag eine Rundfahrt zu bestimmten Orten der Insel. Korthaus hatte mit den Vorbereitungen für den Ausflug zu tun, und Berg studierte die Aufzeichnungen der letzten Nacht. Spät am Abend trafen sich die Drei zu einem Gespräch im Hotelrestaurant. Die Dame versuchte etwas zu erfahren:" Wohin fliegen wir morgen ?" Korthaus antwortete: "Wird nicht verraten." Sie fragte Berg: "Haben Sie irgend eine Ahnung ?" Berg erwiderte: "Vielleicht meditieren wir über den Wolken von Australien. Korthaus ist der Spezialist für das Innere." "Und Sie mehr für das Äußere ?" Nun schaltete sich Korthaus ein:" Typisch Bergscher Schematismus. Glauben Sie ihm nichts." Berg meinte amüsiert: "Er wollte mich zum Kaiser des Mars krönen." Die Dame lachte: "Im Ernst ?" Korthaus nickte. Die Dame sprach weiter: "Das ist aber keine innere Angelegenheit." Korthaus sagte: "Berg ist ein verkappter Idealist. Wenn er alles erreicht hat, was er haben wollte, legt er es weg und vermacht es der Nachwelt." "Das könnte Ihnen so gefallen", widersprach Berg. Aber ich habe auch einmal gehört, Nietzsche sei ein Gottsucher gewesen." Die Dame schaltete sich ein: "Es ist schon sehr kurzweilig, wenn Sie sich gegenseitig einzuverleiben versuchen." Berg meinte sarkastisch: "Sie überschätzen die Möglichkeiten des Verstandes. Korthaus ist so stabil in seiner Anschauung wie ein Mormone." Das konnte Korthaus nicht auf sich sitzen lassen: "Sie sind doch ihrer Objektivität längst untreu geworden." "Meinen Sie meine Flugakrobatik ?" Bevor Berg antworten konnte, fragte sie: "Wie ist es dazu gekommen ?" Berg lächelte und sprach: "Die zweite Maschine, also die, die gleich hinter mir flog, hatte das Marsiridium geladen. Als der Pilot die Zerstäuber- kammer mit dem Iridium abwerfen wollte, passierte nichts. Das Iridium war längst verloren gegangen. Der Pilot dachte aber, die Kammer hätte sich verklemmt. Er machte einen Salto, damit sie herausfallen könnte. Das nutzte nichts, er machte also diese Rollen um die Längsachse. Da überkam es mich. Ich sagte dem Piloten, ich übernähme, und dann gings los." "Das hat der Pilot geduldet ?", fragte die Dame erstaunt. Berg antwortete:" Ja, er war einmal Kunstflieger gewesen. Er hat meine Stücke wohl nicht als gefährlich gesehen, sonst hätte er eingegriffen." "Und dann ?", fragte sie. Berg erwiderte:
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"Stellen Sie sich das vor: Die Welt dreht sich, von allen Seiten kommen Sternschnuppen herab, die Maschine vibriert. Du denkst: Jetzt hast Du es, so funktioniert die Welt: eine einzige Eruption, ein ästhetisches Ereignis." Korthaus hatte begeistert zugehört, nun sagte er: "Und Sie wissen auch wo es herkommt ?" Berg witterte die idealistische Falle, die ihm Korthaus gestellt hatte. Deshalb antwortete er: " Nein, mein Freund, mit meinem Ich hat das nichts zu tun. Sie haben es erlebt in der Anlage, selbst die Urteilchen machen es so. Sind wir den etwas Anderes als eins von diesen Urteilchen ?, nur etwas größer geraten ?" Korthaus spielte den Enttäuschten: "Schade, Sie sind noch nicht so weit." Berg hob beide Hände zur Abwehr: "Um gotteswillen, ich hoffe, so bald bin ich wirklich noch nicht soo weit." Dieses Geplänkel ging noch eine Weile zwischen den Dreien hin und her, dann gingen sie, von etwas Wein beruhigt zu Bett.
Früh am anderen Morgen kletterten die Drei in den Hubschrauber und flogen vor die Stadt. Sie landeten auf einem kleinen Flugplatz. Aus einem Gebäude kam ihnen ein verwitterter Mann entgegen:" Hallo zusammen." Korthaus begrüßte seinen Freund und stellte die Anderen vor. Der Mann sagte zu Berg: "Sie sind also der Marsimperator, eine große Sache." Korthaus sagte nun:" Wir wollen gleich losfliegen, sind die Tanks voll ?" "Alle, ihr kommt bis Madagaskar oder Afrikas Ostküste und zurück." "Und das Konfetti ?", fragte Korthaus. Der Mann antwortete: "Ist verladen. Oh da kommt meine Frau." Eine alte rüstige Frau kam mit einer Kaffekanne und einem Tablett auf die Gruppe zu. Sie begrüßte die Gäste:" Für einen Kaffee haben Sie noch Zeit ?!" Berg bejahte, sie setzten sich ins Gras und tranken den Kaffee. Berg hatte natürlich verstanden, was da vorging. Er sagte zu Korthaus:" Sie haben eine längere Sache vor ?" Korthaus meinte:"Mm, mehr verrate ich erst später." Die Dame wollte nun wissen:" Mit welchem Flugzeug fliegen wir, ich sehe keins." Der Mann antwortete: "Ich bringe sie gleich hin." Als die Gruppe sich nach einigen Minuten erhob und durch den strahlend sonnigen Morgen zu dem Gebäude ging, meinte Berg: "Sie haben etwas vor ?" "Aber ja, wir wollen doch keine Zeit vertrödeln." "Also keine Mußestunden in der Luft ?", fragte Berg ironisch. Korthaus antwortete: "Berg!, meine philosophischen Untersuchungen waren auch keine Muße. Ihnen mag es so vorgekommen sein." Die Dame lächelte vor sich hin. Als die Vier hinter das Gebäude gingen, sahen sie ein unglaublich großes Flugboot mit zwölf Motoren an den Tragflächen. Der Mann zeigte darauf und sagte: "Da ist er mein Albatros, ich nenne ihn so, weil er praktisch immer oben bleibt." "Wie lange ?", fragte die Dame. Der Mann sagte: " Je nach Beladung 30 bis 50 Stunden, heute kann er noch mehr,
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er hat Zusatztanks bekommen und Räder, damit er hier starten kann. Sie wandte sich an Korthaus und fragte: "Was haben Sie vor, wollen sie mit uns eine Weltreise machen ?" Korthaus meinte: "Wir brauchen vier Tage, ist es Ihnen zu lang ?" Die Dame sah zu Berg hin, der meinte zu ihr gewandt: "Ist es Ihnen zu lang ?" Sie antwortete:" Nein". Die Drei kletterten in die Maschine. Als sie im Cokpit saßen, sagte Berg erstaunt: "Das kenne ich doch, dieses Cokpit bin ich 1915 bei Ypern geflogen." Korthaus meinte: " Ja, es ist dasselbe, aber ein anderes Flugzeug steckt außen herum an ihm dran." "Fliegen Sie es ?", fragte Berg. Korthaus meinte: "Wir wechseln uns ab, einverstanden ?" Berg nickte, die Motoren starteten und brummten los. Es war so laut, daß die Drei sich nicht mehr verständigen konnten. Korthaus setzte sich den Fliegerhelm mit der Sprechanlage auf, die beiden Anderen machten es genauso. Die Maschine hatte eine doppelte Steuerung. Den Start machte Korthaus. Ohne Probleme gelangten sie in die Luft. Da die Kanzel vollständig verglast war, konnten sie alles unten, zu den Seiten und oben sehen. Die Sonne schien herein, am westlichen Horizont waren Quellwolken zu sehen. Berg fragte: "Nun raus damit, wohin ?" "Kenia", antwortete Korthaus. Berg fragte: "Was ?" Korthaus antwortete: "Konfetti." Berg fragte: " Gewürzt ?" "Salzlos." Nun fragte die Dame: "Sehr intertessant Eure Kochrezepte. Wer wird denn bekocht ?" Korthaus antwortete:" Muga-Bendi." Die Dame sagte: "Jetzt weiß ich soviel wie vorher." Korthaus wurde klar, daß sie nicht wissen konnte, was der Dialog mit Berg zu bedeuten hatte. Er sprach: " Entschuldihgen Sie, eine alte Angewohnheit von 1915, nur wenige Worte." Die Dame unterbrach ihn: "Wahrheit !" Korthaus lachte: " Sie können es ja schon. Gut, ich pack aus. Mein Freund Muga-Bendi hat finanzielle Probleme. Er hat sein ganzes Geld verbraucht um die Clanchefs ruhig zu halten. Kurz, er ist pleite." "Und was machen wir ?", fragte die Dame. Korthaus fuhr fort: "Geld beschaffen." "Mit ungesalzenem Konfetti." Berg schaltete sich ein: "Konfetti sind Bomben, ungesalzene sind reine Knallbomben, also Attrappen." Korthaus meinte: " Darf ich fortfahren ?" "Nur zu !" Er fuhr fort: "Mein Freund hat mich gebeten, an seiner Nordgrenze etwas Konfetti zu werfen. Den Rest macht er." "Welchen Rest ?", fragte die Dame. Nun antwortete Berg: "Das ist einfach, der Zwischenfall wird als bewaffneter Konflikt gemeldet, stimmts Korthaus ?" "Ja, die Europäer und Amerikaner werden Geld schicken, damit Muga-Bendi nicht gestürzt wird." Die Dame lachte los und schüttelte den Kopf.
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Die Maschine flog ruhig durch den klaren australischen Himmel. Korthaus sagte:" Eine Frage, über die schon lange gestritten wird: Ist die Kunst eine Decadenceerscheinung der Zivilisation ? Und die weitere: Wann trat sie auf ?" Die Dame meinte: " Es gibt diese Steinzeitmalereien." Berg griff das auf: " Einige Stimmen sagen, diese Malereien wären rituelle Bilder gewesen." Korthaus sagte nun: "Die Frage ist doch, ob die Kunst erst mit den Kunstwerken auftritt oder bereits früher." "Sagen Sie uns ein Beispiel !", forderte die Dame ihn auf. Korthaus antwortete: "Ich denke an die Tänze und Gesänge, aber auch an die Faust- keile und Steinäxte, ja selbst die bearbeiteten Schlagknochen sind bereits Kunstproduktion." Berg meinte:" Sie sehen in den Werkzeugen bereits Kunstwerke ?" Korthaus antwortete:" Nein, es sind keine Konst- werke, aber es ist eine Kunstproduktion." Die Dame fragte nun: " Das ist interessant. Sie meinen die Kunstproduktion steht geschichtlich vor den Kunstwerken ?" Korthaus bejahte und fuhr fort:" Man kann darüber streiten. Sehen Sie, die tierische Lebensweise ist sehr deutlich vererbt. Die Verhaltensweisen sind großenteils und die Instinkte völlig vererbt. Die stein- zeitliche Produktion setzt dieser tierischen Welt eine künstlich geschaffene entgegen und verdrängt die tierische aus dem menschlichen Leben immer mehr." Berg fragte: " Was ist mit den ästhetischen Höhepunkten ?" Korthaus erwiderte:" Sie bringen mich in eine Klemme, ich weiß nicht, wie sich menschliche Höhepunkte von tierischen unterscheiden würden, jedenfalls die geschlechtlichen." "Also doch letztlich die Kunstwerke als Maß ?", wandte die Dame ein. Berg meinte: "Vielleicht muß man es so sehen um nicht völlig durcheinander zu kommen. Wissen Sie einen Ausweg ?" Korthaus antwortete: "Es gibt wahrscheinlich irgendwo einen Sprung, so wie es der Sprung zum Gebrauch des Feuers war." Berg sagte zu Korthaus: "Korthaus, sie vertreten die Ansicht, das Leben wäre selbst ein ästhetischer Prozeß." Korthaus antwortete: "Ich bin viel radikaler: Alles ist ein ästhetischer Prozeß, auch in der "leblosen Materie". Berg meinte: "Die Unterscheidung in lebloser und belebter Materie haben wir ja nun bald hinter uns, nicht wahr." Die Dame meldete sich zu Wort:" Das ist Ihr Verdienst, meine Herren !" "Vielen Dank !", antworteten Korthaus und Berg gleichzeitig. Die Dame saß hinter den beiden Piloten, Korthaus neben Berg, sodaß der Blickkontakt zwischen den Männern gut, der zu der Dame schlecht war. Korthaus sagte deshalb: "Ich denke, für die nächsten Stunden können wir den Auto- piloten fliegen lassen." Berg fragte: "Wir verlassen die Steuerruder ?" Korthaus meinte: "Versuchen wir es einfach, der Himmel ist windstill und sonnenklar. Wenn die Maschine einige Minuten ruhig fliegt, tut sie es auch noch etwas länger. Wir könnten dann weiter hinten einen Kaffee trinken."
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Es war in der Tat möglich, dieses Riesenflugzeug allein fliegen zu lassen. Der Erbauer, genauer der Umbauer der Maschine hatte im Passagierraum und in der kleinen Küche eine Alarmeinrichtung installiert, die dann ansprang, wenn die Maschine bestimmte Steig, Sink oder Gradwerte um eine bestimmte Prozentzahl überschritt. So kam dann bald die kleine Kafferunde zustande.
Der Flug zur kenianischen Nordgrenze sollte 2 Tage dauern. Da das Wetter stabil und sonnig war, konnten die Drei sich ungestört von Pilotenaufgaben mit sich selbst beschäftigen. Es kamen viele Gespräche zustande. Aber die Front zwischen Berg und Korthaus blieb trotz der neuerlichen Übereinstimmung bei der Auffassung des Lebens in der Materie unverändert. Korthaus führte alles zurück auf das Ich, Berg sah die Welt objektiv, also wie vernünftige Leute sie auch sehen, von der Auffassung lebender Teilchen einmal abgesehen. Bei einem dieser Gespräche fragte Berg: "Wenn sich unsere Freundin entscheiden müßte, würde sie ihr Leben so auffassen, wie es vernünftige Leute tun ?" Korthaus antwortete:" Sie sind unfair, als ob ich zu einer unvernünftigen Sorte gehören würde." Die Dame war in der Küche mit dem Kochen beschäftigt, bekam vom Gesagten daher nichts mit. Berg meinte: " Sie werden einmal gestorben sein und das Leben im Universum geht weiter. Wieso kann es denn weiter gehen, wenn es aus ihrem Ich heraus entsteht ?" Korthaus sagte: "Sie sind ein Taschenspieler Berg ! Wenn ich gestorben bin und sie feststellen, daß das Universum weiter besteht, dann bin ich als Objekt ihrer Welt weg, und alle anderen Objekte ihrer Welt sind noch da. Warum ? Weil Sie als Ich noch da sind. Abgesehen davon, daß Ihnen dann ganz schön langweilig wird, hat sich nichts geändert. Erst wenn das Ich subjektiv weg ist, ist alles weg." "Ich weiß, antwortete Berg:" ich bin nicht begriffsstutzig, ich habe 1977 schon alles verstanden, aber wie der Dichter sagt: Die Kunde hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube !" Korthaus meinte amüsiert: "Ich bin nicht so verbohrt wie sie denken. Wenn Sie mir einen Sachverhalt zeigen würden, bei dem die Existenz nicht durch das Ich konstituiert wird, schwenke ich um auf Ihre Seite." Die Dame war unbemerkt hinzugetreten und sagte: " Wunderbar, Sie simulieren den Dreißigjährgen Krieg: Die eine Sorte Verrückter gegen die andere Sorte Verrückter. Was halten Sie von Heraklit: "Alles fließt " Damit wären Ihre Fragen doch hinfällig oder ?" Berg sah erschrocken zu ihr hin:" Haben Sie alles gehört ?" Korthaus reagierte amüsiert: "Sehen Sie, meine Freundin, er glaubt sein Evangelium nicht mehr, wie soll er da den Krieg gewinnen ?" Berg tat entrüstet: "Wir sind also im Krieg, gut, Sie können ihn haben !" Die Dame meinte: " Wenn Sie freundlicherweise einen 60 minutigen Waffenstill- stand schließen würden, könnten wir zusammen essen." Man begab sich also in die kleine Küche und vertagte die Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges.
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Aber sie wurden noch während des vorzüglichen Males von der Wirklichkeit der gewöhnlichen Art heimgeholt. Es krachte in den Tragflächen, und vom Boden aus sah man das Mündungs- feuer der Kanonen. Korthaus rief: " Kommen Sie Berg !" und rannte in die Pilotenkanzel. Ein Blick auf den Kompaß klärte alles. Der Autopilot hatte einen falschen Kurs geflogen, sie waren über dem Sudan. Korthaus zog die Maschine steil auf Südkurs und sagte zu Berg: " Wenn wir das Konfetti nicht loswerden, war alles umsonst, dann bekommt mein Freund kein Geld." Berg meinte sarkastisch: " Vor allem fliegen wir in die Luft. Haben Sie einmal nach- gedacht, was passiert, wenn unser Konfetti explodiert." Korthaus sagte erschrocken: " Berg Sie haben recht, es muß raus !" Er zog die Ladelukenhebel, sie sprangen auf, und mehrere Tonnen Knallbomben trudelten zum Boden hinab. Mit fürchter- lichen Krachen gingen sie am Boden hoch. Plötzlich verstummte das Kanonenfeuer am Boden. Berg fragte: " Haben wir sie ausgeschaltet ?" Korthaus meinte: " Bestimmt nicht, das Konfetti ist kindersicher. Aber sie haben sich erschrocken und deshalb ihr Feuer eingestellt." Die Maschine war unterdessen außerhalb des sudanesischen Luftraums. Die Schäden an den Tragflächen waren unbedeutend. Glücklicherweise waren die integrierten Tanks bereits leer gewesen. Wären sie noch gefüllt gewesen, hätten unsere drei Helden hier ihr Ende gefunden.
Nachdem die Gefahr vorüber war, sah Berg aus dem Fenster. Dort war 3000 Meter unter ihnen ein See. Berg fragte: "Kann das Flugboot auf dem See wassern ?" Korthaus meinte: "Ich weiß es nicht, es sind Räder angebracht worden." Berg fragte:" Können wir es einfach versuchen?" "Aber wozu ?" "Albatros." Die Dame meinte:" Jetzt geht es wieder los mit ihrer Geheimsprache." Berg sagte: "Entschuldigung, ich hätte Lust wie ein Vogel lautlos auf dem Wasser niederzugehen." Korthaus wunderte sich: "Einfach so ?" "Als ästhetisches Ereignis, um es in Ihren Worten..." "Wunderbar", warf die Dame ein. Korthaus steuerte die Maschine in die Landeposition, schaltete die Motoren aus und ging auf Gleitflug. Berg saß mit verschlossenen Augen und nahm es einfach auf. Die Maschine wasserte problemlos und war wasserdicht. Als sie ruhig auf dem Wasser lag, meinte Korthaus:" Das sind wir, in Kenia, aber unser Grenzzwischen- fall ist noch nicht gemacht. Haben Sie eine Idee ?", fragte er die beiden Anderen. Die Dame zuckte die Schultern, Berg meinte:" Funkkontakt zu ihrem Freund ?" Korthaus erwiderte: "Wenn wir abgehört werden ist alles aus, dann können wir keinen Zwischenfall mehr verursachen." Am Ufer des Sees zogen Wasserbüffel entlang. Die Savanne war von Antilopen bevölkert. Korthaus fragte:" Könnten Sie sich als Schiff- brüchige vorstellen ?" "Wie bitte ?", fragte Berg. Korthaus erklärte: "Wir haben Fallschirme, eine Rettungsinsel zum Aufblasen mit einem Funkgerät. Wir sind nicht weit vom Hafen Malindi
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entfernt. Wir werden also schnell gefunden. Wenn wir den Albatros über der Grenze abstürzen lassen, haben wir den Zwischenfall ?" Berg meinte: "Ich mach mit !" Die Dame sagte:" Ich auch." Nun fragte Berg: "Bevor wir losfliegen, was haben Sie vor ?" Korthaus antwortete: "Das wissen Sie schon." Berg bohrte weiter: "Das ist nicht alles, sie haben eine große Sache vor, stimmts." Korthaus lächelte und meinte: " Wenn Sie groß wäre, wüßten Sie doch, um was es geht." Berg sagte ungeduldig: "Raus damit, wofür wollen sie den Albatros opfern und unser Leben riskieren ?" Korthaus antwortete:" Mein Freund Muga-Bendi will lediglich Geld." Berg meinte: " Gut, Sie wollen es nicht verraten, lassen sie uns anfangen." Korthaus startete die Motoren, die Maschine glitt auf dem Wasser voran, wurde schneller und hob ab. Als sie eine Höhe von dreitausend Metern hatte, schaltete Korthaus den Auto- piloten ein und zog seinen Fallschirm an. Die beiden Anderen machten es ihm nach. Nach einer Viertelstunde waren sie über dem Grenzgebiet. Korthaus flog die Maschine zur Küste und sagte dann:" Ich habe den Autopiloten so eingestellt, daß er die Maschine über dem Festland an der Nordgrenze Kenias abstürzen läßt. Nun begaben sich die Drei zur Tür, öffneten sie und sprangen hinaus.
Sie landeten in Hafennähe dicht beieinander im Wasser. Noch bevor sie die Rettungsinsel besteigen konnten, schipperte ein kleines Küstenwachboot auf sie zu und nahm sie an Bord. Korthaus sprach den einheimischen Dialekt sehr gut. So kam es, daß die Drei freundlich empfangen und an Land gebracht wurden. Korthaus telefonierte mit seinem Freund Muga-Bendi in Mombasa:"Hallo mein Freund, gratuliere", begrüßte Muga-Bendi seinen Freund begeistert:" Ich habe gerade Besuch vom amerikanischen Botschafter. An der Grenze zum Sudan ist ein taktischer Atomsprengkopf explodiert. Morgen kommt der CIA und nächste Woche 3 Milliarden Dollar. Du bist ein wahrer Freund, ein Genie !" Korthaus war leichenblaß. Er konnte das nicht begreifen. Wer hatte den Atomsprengkopf gezündet?, oder war er im Albatros gewesen. Muga-Bendi rief ins Telefon: " Hörst Du mich ! Komm zu mir, wir feiern etwas." Korthaus stotterte:" Ich komme sofort." Berg fragte: "Was ist los ? Sie sehen schlecht aus." Korthaus berichtete, was vorgefallen war. Berg fragte: "War kein Atomsprengkopf an Bord der Albatros ?" Die Dame fuhr auf: " Sind Sie wahnsinnig geworden ?" Korthaus faßte sich wieder und sprach zu ihr:" Beruhigen Sie sich, wir hatten keinen Atomsprengkopf an Bord." "Sind Sie da absolut sicher ?", fragte Berg. Korthaus er- widerte:" Absolut nicht, - ob mein Freund..." Berg meinte: "Wäre es denn technisch müglich gewesen ?" Korthaus meinte: "Der Albatros war sehr groß und der Laderaum... verdammt, da war eine Trennwand im Heck." Berg faßte sich an die Stirn: " Wir haben also nur zweidrittel der Naschine unter Kontrolle gehabt. Na klar, der Sprengkopf war hinter der Trennwand." Korthaus sagte: "Wir wissen es nicht, vielleicht waren auch Tanks dahinter. Ich werde meinen Freund fragen." Die Drei wurden von einem hohen Militär in einem Jeep zum Flugplatz
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gebracht. Dort stand ein Hubschrauber bereit. Die Drei flogen also mit dem Militär nach Mombasa. Dort kamen sie nach drei Flugstunden an. Der Präsidentenpalst war etwas größer als das "Weiße Haus" in Washington. Korthaus meinte: " Klar, daß er Geld braucht, wenn er solche Bauten macht." Berg meinte zu der Dame:" Gefällt es ihnen ?" Sie erwiderte: " Es geht, arg groß. Aber wie geht es weiter ?" Berg antwortete: "Wenn Korthaus die Katze aus dem Sack läßt, erfahren wir es vielleicht." Korthaus, der neben dem Fahrer auf dem Beifahrersitz saß, hatte das gehört. Er meinte: "Noch etwas Geduld, es wird sich alles klären.
Muga-Bendi war ein junger Mann, mittelgroß, tiefschwarz, flinke Augen und sehr lebhaft. Er begrüßte die Drei am Hubschrauber:" Schön, daß Ihr da seid, kommt mit." Er ging vor zu einer Limosine. Er selbst ging hinter das Steuer, Korthaus nahm neben ihm Platz. Als sie alle saßen und losfuhren, fragte Muga-Bendi: " Dürfen Deine Freunde alles erfahren ?" Korthaus antwortete: " Jetzt ja, aber wir wollen sie mit dem Loch überraschen." " Der Albatros liegt unten im Hafen," sagte Muga-Bendi. " Was ?", entfuhr es Korthaus, der Dame und Berg beinahe gleichzeitig. " Er ist ganz brav gelandet, ein guter Autopilot, alle Achtung !" Korthaus fragte: " Und die Atomexplosion ?" Muga-Bendi meinte: " Sudan vielleicht, irgendwas muß sie sehr nervös gemacht haben, aber umso besser, die Amerikaner waren noch nie so spendabel wie heute." Berg meinte zu Korthaus: " Das Konfetti !" Korthaus ergänzte: " Ja, wir haben es ziemlich weit im Landesinnern..." " Es war neben ihrer Atomzentrifuge." meinte Muga-Bendi. " Dann ist alles klar", sagte Korthaus und fuhr fort: " Es war nicht so beabsichtigt, wir hätten dabei umkommen können." " Nicht beabsichtigt ?", fragte Muga-Bendi. Korthaus fuhr fort: " So große Helden sind wir nicht, aber wir haben uns auf den Autopiloten verlassen. Wir wollten nur bis zur Grenze." Muga-Bendi meinte: " Ob Mut oder Zufall, es war großartig, etwas Besseres hätte nicht passieren können." Die Dame fragte: " Gab es keine Opfer bei der Atomexplosion ?" " Doch, einige Vögel, Menschen leben da oben nicht.", ant- wortete Muga-Bendi. Auf den Straßen kamen ihnen Panzer und Kononen auf Lastwagen entgegen. "Was wird das ?", fragte Korthaus. "Das sind unsere Verbündeten, sie riegeln die Nordgrenze ab. "Wohin fahren wir ?", fragte Korthaus. " Zu meinem kleinen Landhaus, am Rand des Biga." Der Biga war ein erloscher Vulkan. Man sah ihn von weitem. Davor stand ein riesiges Fort. Sie fuhren durch das schwer bewachte Eingangstor. Dann sahen sie einen riesigen weißen Palast. Korthaus sagte:" Das ist das kleine Landhaus." Muga-Bendi antwortete: " Ja, wir sind da."
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Am gleichen Nachmittag fuhren die Vier mit einem Jeep den Hang zum Krater Biga hinauf. Berg meinte: " Jetzt lassen sie die Katze aus dem Sack." Die Dame fügte hinzu: " Eine kleine Katze, etwa so klein wie das Landhaus." Muga-Bendi sagte: " Das was wir gleich sehen, ist allein Korthaus Vedienst, ich habe ihm nur das Gelände gegeben." Oben auf dem Kraterrand war eine Anlage mit Parkplätzen und mehreren Gebäuden. Auffällig waren die Starkstrommasten und der Kühlturm eines Kraftwerks. Als die Vier einen Blick in den Krater werfen konnten, der einen Durchmesser von 6 Kilometern hatte, blieb ihnen fast das Herz stehen. Dort stand auf der, etwa 400 Meter tiefer liegenden Sohle eine gewaltige Rakete, wie sie bisher noch nie erbaut worden war, abgesehen von den Raumschiffen, die in der Erdumlaufbahn zusammen gebaut werden und gar nicht wie Raketen aussehen. Sie stand an einer ebenso gigantischen Startrampe. Korthaus sagte: " Voila, mein kleines Venusbaby." Berg hielt Korthaus Arm fest und sagte: " Sie haben mich geschafft, Korthaus, gratuliere !" Die Dame meinte: " Ich habe es größer in Erinnerung." Berg fragte: " Sie, sie ...." Korthaus antwortete dem fassungslosen Berg: " Sie wußte alles, ich auch von ihr." Berg meinte: " Ihr beide habt mich ausgetrickst, alles gespielt.., gratuliere Korthaus. - Ich werde meine ganze Putzkolonne zum Teufel jagen, sie haben nichts bemerkt." Er meinte seinen Geheimdienst, den er Putzkolonne nannte. Korthaus sagte: " Es ist allein Ihr Verdienst. Sie haben mir das Nötige beigebracht. Aber ohne diesen Zufall über dem Sudan und ohne die jetzt einfließenden US Gelder wäre trotzdem im letzten Moment alles steckengeblieben." Berg meinte scheinbar entrüstet: " An meinen bescheidenen Etat haben Sie nicht gedacht ?" Das sollte heißen, daß er Korthaus gern finanziell geholfen hätte. Korthaus antwortete: " Natürlich hätten Sie alles gerettet, aber ich muß auch einmal erwachsen werden." Berg meinte: "Stop !, spielen Sie nicht auf unseren unbedeutenden Alters- unterschied an, und noch dazu im Beisein der Dame !" "Entschuldigen Sie", meinte Korthaus. Muga-Bendi hatte sich der Dame zugewandt und fragte: " Sind das nun Freunde oder was ?" Sie sagte: " Die Besten, die man sich denken kann, aber eigenwillig."
Es war genau so, wie die Dame es gesagt hatte. Berg und Korthaus machten in aller Freundschaft weiter wie bisher. Alle Drei wollten mit zur Venus. Als Korthaus in den folgenden Tagen unterwegs war um den Start der Rakete vorzubereiten, saßen Berg und die Dame häufig in dem Cafe auf dem Kraterrand, nahe den Gebäuden, in denen die Arbeiter und das technische Personal des Raumbahnhofs lebten. Berg sagte: " Das versteh ich nicht, wieso wissen die Amerikaner nichts von diesem Projekt. Diese riesige Rakete ist auf ihren
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Satelliten bestimmt zu sehen. Auch die Franzosen werden sie sehen und die Japaner." Die Dame lächelte und sagte: "Korthaus hat das sehr lange vorher eingefädelt. Kennen sie die Programmierschule von Texas ?" Berg fragte: "Welche meinen sie.. ach die "Berrang und Muller" ?" "Ja, die ! Korthaus hat vor vier Jahren dort mit der Ausbildung der RPN-Chip-Programmierer begonnen." Berg fragte: " Diese Spezialchips für die Weltraumtechnologie ? Hat er selbst ausgebildet ?" "Nein, sein Freund P. aus Paris leitet sie." "Und ?", fragte Berg. Sie antwortete: "Die Studenten dieser Schule sitzen jetzt in Houston, Paris, Tokyo, München usw." Berg schlug sich auf den Oberschenkel: "Donnerwetter, ich habe ihn unterschätzt." Die Dame lachte und sprach: "Der Rest ist doch einfach oder ?" Berg sagte: "Diese netten jungen Leute sitzen also in den Satelitten- auswertungsstellen und radieren diese Raumfahrtanlage weg." Die Dame nickte, nahm ihren Kaffee und sagte: "Trinken sie noch eine Tasse. - Aber was hat Korthaus auf der Venus vor ? Sie kennen ihn besser als ich ." Berg meinte: "Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie waren eingeweiht, ich nicht." "Aber ich kenne ihn nicht einen Bruchteil so lange wie sie." Berg sagte: "Rätselhaft ist, warum er allein auf die Venusoberfläche hinunter will, und wir beide in der Umlaufbahn der Venus auf ihn warten sollen. Und wieso fängt er an mit wissenschaft- lichen Methoden nach wissenschaftlichen Ergebnissen zu suchen." Die Dame meinte: "Und wieso haben sie ihre Untersuchungen in Neuseeland zu einem Happening umfunktioniert ?" Berg meinte: "Das war eine vorübergehende Schwäche .... Sie meinen, es wäre bei Korthaus auch eine Schwäche ?" Sie antwortete: "Wir wissen nur, daß er mit wissenschaftlichen Methoden arbeiten will. Aber was er dann wirklich macht, wenn er unten ist auf der Venusoberfläche, wissen wir nicht." Berg nahm seinen Kaffee und sah aus dem Fenster des Cafes hinaus auf das schöne sonnenklare Bergpanorama des Kraters: "Sie haben recht, vielleicht springt er dann in den Venus- stürmen herum. Aber warum nicht mit Ihnen zusammen ?" Sie antwortete: "Ich weiß weniger von ihm als Sie."
Zwei Wochen später befand sich das große Venusraumschiff auf der Bahn zur Venus. In der Spitze der Rakete war die Landekapsel mit dem Antrieb für die Rückkehr von der Venus- oberfläche zum Hauptschiff. Dieses hatte mehrere Räume, einer davon war Wohn- und Kommandoraum in Einem. Dort saßen die Drei häufig beieinander, tranken Kaffee oder Tee und philosophierten. Bei einem dieser Gespräche fragte Korthaus die Dame: "Sie haben von Heraklit gesprochen. Aber wo ist nun das relativ Beharrende im Strom des Daeins, - oder sehen sie es so, daß auch das fließt ?" Sie antwortete:
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"Wir haben bestimmt etwas Hartnäckiges und scheinbar Festes nötig. Immerhin sitzen wir hier in einem Raumschiff von relativer Beständigkeit." Berg sagte: "Da stimme ich Ihnen zu. Wenn Sie den Menschen heraus nehmen aus diesem Bild der Welt, dann geht es doch weiter wie bisher ?" Die Dame wollte antworten, allein Korthaus war schneller. Er warf ein: " Stop, passen Sie auf ! Berg will Sie einverleiben. Ein objektiver Strom innerhalb einer objektiven Zeit, nicht wahr Berg." Die Dame sagte: "Ich stehe nun mitten zwischen den Fronten. Soll ich neutral bleiben ?" Korthaus meinte: "Sie halten also es für möglich, daß im Scheincharakter der Welt auch das Objektive sich verflüssigt, also davon weht wie Morgennebel." Die Dame lächelte und sagte: "Unfreiwillig werde ich wohl zwischen den Fronten bleiben. Der Strom des Heraklit heißt doch, daß nichts bleibt, wie es ist. Das hat Adorno wohl gemeint damit, daß alles nichtidentisch mit sich ist. Es ist doch eine Auflösung aller festen Begriffe." Und zu Korthaus gewandt: "Nicht nur Bergs Weltbaukasten der Atome oder der Mikro- lebewesen ist davon betroffen, auch Ihre Projektionen, das Ich." Berg lachte: "Sehen Sie, wir sind beide erledigt." Korthaus sagte: "So rasch gebe ich nicht auf. Und Sie Berg, was sind das für merkwürdige Kapitulationstöne ? Ich kenne Sie ganz anders." Die Dame meinte: "Aha, also wohl nur die Rücksichtnahme auf das schwache Geschlecht ? Raus damit, sie lassen nicht locker Berg, oder ?" Der sagte nichts und sah zum Fenster hinaus in die Sternenwelt. Korthaus meinte zu ihr gewandt: "Wenn Sie Heraklit und Adorno nehmen, stehen sie Bergs Welt etwas näher." Die Dame antwortete: "Adorno ?, das war eine kleine Inkonsequenz von ihm, daß er einen Vorrang der Außenwelt, der Objekte annahm. Ich habe einmal gedacht, das "Äußere" zerfällt früher als das Innere. Korthaus "Ich" wird vielleicht doch die Sternenwelt überdauern. Die Sterne werden nur schwerlich den Korthaus überleben." Korthaus sah sie entzückt an, er fühlte sich bereits als Komplize von ihr ernstgenommen. Jedoch sagte Berg: "Vorsicht Korthaus, eine weibliche Falle. Mir hat sie das Gegenteil gesagt." Korthaus stutzte und sah sie fragend an. Die Dame antwortete: "Das stimmt, denn ich bin in erster Linie eine Schülerin des Heraklit. Das "Ich" fließt inmitten relativ stabilerer Elemente. Schon unsere Häuser überdauern uns kleine Seelen." Korthaus wurde still und nachdenklich. Berg sagte mit einer Geste der Hand verbunden: "Bitte, sie hören es." Die Dame erhob sich und fragte: " Noch einen Tee ?" K
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Das Raumschiff flog in einer Kreisbahn auf die Venus zu. Korthaus hatte tagelang vergeblich versucht seinen Freund in Neuseeland zu erreichen. Dann aber kam eine schriftliche Nachricht von ihm in den Computer des Raumschiffs herein: "Hallo Freunde, mein Albatros und ich sind wieder heil in Wellington gelandet. - Da staunt Ihr was. Aber es gibt keine wirklich zuverlässige Fernsteuerung, die alle die Aufträge durchführen kann, die sie durchführen sollte. Ich habe hinter der Trennwand des Albatros gesessen und ihn gesteuert. Außerdem: Ich könnte niemals meinen Vogel sich allein überlassen. Viel Glück im Himmel." Korthaus hatte es gelesen, geschluckt und rief: " Kommen Sie !, mein Freund hat sich gemeldet!" Die Dame war zuerst da und sagte: "Das war hinter der Trennwand, alle Achtung, Ihr Freund ist auch nicht ohne." Berg kam nun hinzu, las den Text, nickte mit dem Kopf und stellte sich an ein Fenster und sah hinaus in den Weltraum.
Einige Tage später kam es zu einem Gespräch zwischen Berg und der Dame, während Korthaus an seiner Landekapsel arbeitete. Berg sagte: "Wissen Sie was Korthaus auf der Venusoberfläche will ?" Die Dame antwortete: "Ich weiß nichts davon, aber es ist doch sehr gefährlich, was er vor hat." Berg meinte: "Ich mach mir Sorgen um ihn. Die Kapsel kann auf der Ober- fläche zerbrechen oder undicht werden. Wenn der Sturm auf der Oberfläche sie durch die Gegend schleudert, kann er in ihr zerquetscht werden." Die Dame fragte: "Könnte es sein, daß er es gar nicht überleben will ?" Berg fragte zurück: " Haben Sie Selbstmordabsichten bei ihm beobachtet ?" " Nein, aber er ist schon ziemlich verrückt", antwortete sie. Berg sagte: "Ich werde ihn fragen, wenn er gleich zum Essen kommt."
Beim gemeinsamen Essen fragte Berg gerade heraus: "Korthaus, wollen Sie sich umbringen ?" Korthaus stutzte, legte die Gabel beiseite und fragte:" Umbringen ?" Berg nickte, Korthaus meinte: "Freitod, Berg ! Unsereiner bringt sich nicht um !" Die Dame mußte trotz des Ernstes etwas lächeln, ahnte sie doch schon was kommen würde. Berg meinte: "Gewiß, aber raus damit. Was soll das werden, wenn es fertig ist." Korthaus antwortete: "Sieh einer an, Sie wollen also nicht allein weiter machen. Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen. Aber, ich sag es ihnen: "Ein kleines Experiment, welches mich ins Reich der unbelebten Materie bringen kann, um in ihrer Sprache zu sprechen." Berg meinte:" Wollen Sie die Unsterblichkeit des Augenblicks ausprobieren ?" Korthaus sagte gar nichts, aber die Dame fragte: "Wollen Sie uns wirklich allein lassen ?, wie sollen die Dispute weiter gehen, außerdem ist noch nicht raus, wer von ihnen den dreißigjährigen Krieg gewinnen wird." Korthaus meinte zu Berg gewandt: " Das ist alles zweierlei: Risiko oder Experiment. Ich benötige dieses Experiment nicht, welches Sie meinen. Aber
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ich setze mich dem Risiko des Todes schon aus, jedoch aus anderen Gründen." "Aha !" meinte Berg. Korthaus fragte: "Aha ? wieso aha ?" Berg schmunzelte: "Weil Sie wieder einmal das Wichtigste verschweigen, indem Sie etwas verraten." "Oh nein, die Dame ist Zeuge. Ich habe klipp und klar auf ihre Frage geantwortet, ob ich mich umbringen will." Die Dame meinte:" Gut, Sie verraten nicht alles, lassen wir uns über- raschen." Berg ergänzte: "Bis auf zwei Dinge. Das "sich überraschen" liegt mir so wenig wie das "lassen". Korthaus sagte zu der Dame: "Sehen Sie, so ist er, er will das machen." Die Dame sagte dazu lieber nichts und räumte den Tisch ab. Es war das Thema aber noch längst nicht ausgestanden. Als die Dame wieder einmal in der Küche beschäftigt war, saßen die beiden Herren vor dem Hauptbildschirm des Kommandoraums. "Sagen Sie mal Korthaus, was haben Sie auf der Venus vor ?" Dieser antwortete: "Na gut, es hat ja keinen Zweck mehr, es geheim zu halten. Ich erkläre es Ihnen. Kennen Sie die Wasserbecken von Lilly ?" Berg meinte: " Den Namen habe ich mal gehört..." Korthaus erklärte: "Lilly hat sich in ein Becken mit Salzwasser gelegt, welches in einem völlig isolierten Raum stand." Berg sagte: "Diese Reiz-Experimente ?!" "Genau, er wollte wissen, was passiert, wenn der Organismus ohne Reize ist, also ohne Schwerkraft, dafür das Salzwasser, ohne Geräusche, dafür der isolierte Raum, und zuletzt die Wassertemperatur, etwa 36 Grad C." "Und das Ergebnis ?", fragte Berg. Korthaus antwortete: "Das Ergebnis war einmal ein, na ja mehr psycholdelisches und zum Andern ein streng phänomenlogisches. Das Letztere hat mich interessiert. Es wurde immer lauter." "Lauter ?" Korthaus erzählte weiter: "Ja, er hörte seinen Herzschlag wie ein Hammerwerk." "Aber auf der Venus ist es nicht ruhig", warf Berg ein. "Das weiß ich, das Lilly Experiment soll auch nicht wieder- holt werden. Ich mache es umgekehrt. Es wird laut und turbulent werden. Außerdem hoffe ich, daß die Gravitation sich anders auswirkt." Berg fragte: "Sie wollen also ein Reizbombardement ?" Korthaus sagte: "Ja, so ist es. Und dann wird es interessant." Berg fragte: "Können Sie das auch verraten ?" Korthaus erwiderte: "Nein, wenn ich das wüßte, brauchte ich es nicht mehr zu probieren." "Also ein Happening ?" Korhaus antwortete: "Ja und nein, es ist ein Philosophisches Experiment."
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Während der nächsten Wochen waren die Drei im Raumschiff mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Endlich schwenkte das Raumschiff in eine Umlaufbahn der Venus ein. Korthaus bereitete sich auf die Landung vor. Das Landemodul mit der Landekapsel enthielt Steuer- raketen und ein Raketenaggregat für den Rückflug von der Obefläche der Venus zum Raumschiff in der Umlaufbahn. Korthaus bestieg in einem Raumanzug die Kapsel. Dann wurde diese automatisch abgestoßen. Berg und die Dame sahen auf dem Radarschirm, wie das Landemodul zur Oberfläche herabtrudelte. Es wurde schneller und begann an der Unterseite zu glühen. Berg meinte erschrocken: "Das geht zu schnell, es wird verglühen." Aber es geschah etwas Anderes. Aus dem Modul wurde Wasserdampf ausgestoßen. Er bildete ein Isolationspolster, welches die Kapsel ab- kühlte. Nun verschwand sie vom Radarschirm, da sie zu klein war um auf große Entfernungen hin sichtbar zu bleiben.
Berg und die Dame in der Rakete, die die Venus umkreiste, konnten nichts tun als warten. Nach zwei Tagen gab es eine Überraschung. Auf dem Bildschirm sahen die Beiden eine Rakete herankommen, die genau so aussah wie ihre eigene. Diese neue Rakete schwenkte in eine Umlaufbahn um die Venus, stieß ein Landeteil ab, welches zur Venus- oberfläche herabfiel. Die Dame fragte Berg: "Was hat das zu bedeuten ?" Der meinte: "Korthaus steckt dahinter, er hat uns natürlich nicht alles verraten." Sie meinte: "Ob das eine Versorgungsrakete ist ?" Berg sagte: "Vielleicht, aber das ist nicht seine Art, so etwas zu verbergen. Es steckt mehr dahinter. Warten wir es ab." Am darauf folgenden Morgen schaltete sich mit einem durchdringenden Piepston ein besonders Funkgerät ein, welches Signale von der Venusoberfläche empfangen und auch dorthin senden konnte. Korthaus hatte es für Notfälle vorgesehen. Es sollte jedenfalls nicht nur so benutzt werden. Die Dame und Berg liefen zum Empfänger. Korthaus Stimme war zu hören, im Hintergrund aber moderne Rockmusik: "Hallo Ihr Beiden, es ist alles glatt gelaufen. Dies ist kein Notfall." Nun hörten die verblüfften Zwei eine junge Frauenstimme im Hintergrund: "Komm tanz weiter, Du kannst später noch erzählen." Berg und die Dame machten ein der Lage entsprechendes Gesicht. Diese sagte: "Dieser Schlawiner." Berg meinte: "Genauso habe ich es mir gedacht, nichts mit Wissenschaft oder Kunst oder Philosophie, er wollte mit seiner Liebsten allein sein." Die Dame meinte: "Beachtlich, dieser Aufwand für ein Rendevouz." Berg sagte: "Oh Sie kennen ihn nicht. Für eine solche Begegnung hat er Prag verloren, so wie ich 1813 Europa verloren habe." Berg meinte Napoleons Schlacht bei Leipzig, die seinen Untergang einleitete. Sogleich wurde ihm klar, daß er sich verplappert hatte. Deshalb setzte er eilig hinzu: "Ich meine das sind Gleichnisse." Die
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Dame war selbst so sehr damit beschäftigt, die neue Situation zu verarbeiten, daß sie Bergs Enthüllung nicht als solche verstanden hatte und den Satz wirklich nur als Gleichnis nahm.
Auf dem schweren Lehmboden der Venus waren die beiden Landemodule mit Haken im Boden festgemacht, sodaß der ständig tobende Sturm mit seinen Windgeschwindigkeiten von 400 Kilometern pro Stunde nicht gefährlich werden konnte. Auch die enorme Temperatur der Nachtseite von minus 60 Grad C konnte nicht bedrohlich werden. Die Module waren durch eine Röhre verbunden. In einem Modul war der Tanzraum, im andern die Versorgungsräume. Erschöpft vom Tanzen setze sich Korthaus auf den Boden des Tanzraums. Bernadette, die junge Frau, die Korthaus bereits auf dem Mars kennen- gelernt hatte, hörte auch auf und setzte sich neben ihn, die Musik verstummte. Bernadette sagte: " Es ist toll, daß alles so glatt funktioniert hat." Korthaus fragte: " Wie ist das mit der Verfremdung, bin ich noch derselbe wie auf dem Mars ?" Sie meinte: " Deine Vermutung war richtig, ich fühle mich anders als jemals vorher und sehe Dich auch anders. Es ist ein ähnlicher Effekt wie auf dem Mars. Als ich dort von Dir entdeckt worden war, erkannte ich mich selbst gar nicht wieder." Korthaus lachte: "Du warst der verstörteste blinde Passagier, den ich je gesehen habe." Bernadette meinte: "Was Dich betrifft, konnte ich natürlich nichts Besonderes entdecken, wir haben uns ja dort erst kennengelernt." Korthaus meinte: "Sicher, da war keine Verfremdung möglich. Ich habe jetzt allerdings das Gefühl, daß ich wohl mir selbst fremder bin, aber der Abstand zu Dir nicht anders als auf dem Mars ist." Bernadette überlegte und erwiderte: "Das ist es !, ich hab die ganze Zeit überlegt, was das ist. Ich bin mir schon wie ein neuer Mensch geworden. Dieser Planet, die Reise, die Landung, diese Situation in der Station inmitten des Sturms... Du bist mir nicht fremder als damals. Das heißt doch, es ist eine uns beide gleich- mäßig ergreifende Verfremdung. Wie ist das möglich ?" Korthaus antwortete mehr zu sich selbst: "Das Rätsel erscheint doch gelöst." Bernadette fragte: "Wie meinst Du das ?" Korthaus antwortete: "Hab noch etwas Geduld, wenn ich es jetzt erkläre sind keine weiteren Versuche mehr möglich. Du würdest von der Erklärung des Rätsels so beeinflußt, daß Du nicht mehr objektiv urteilen könntest." Bernadette sagte: "Schade, dann werde ich selbst spekulieren. Der Verfremdungs- effekt kehrt immer in neuen grundsätzlich anderen Situationen auf ?" Korthaus antwortete: "Natürlich, selbst die eigene Lebensstrecke verrät diesen Effekt. Stellen wir uns vor, wie wir uns als Kind von 10 Jahren erlebt haben. War das nicht ein anderer Mensch ?" Sie antwortete:" Bestimmt war er anders. Es gibt durchgehende
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Linien, aber ich finde schon, daß ich ein anderer geworden bin." Korthaus meinte: "So ist es doch auch, wenn wir die Erde verlassen, jeder Planet erzeugt ein anderes Umfeld und damit ein anderes Ich." Sie sagte: "Das Gefühl habe ich auch. Aber das verblüffende ist diese Gleichmäßgkeit der Verfremdung. Auch in mir selbst ist es so. Der Abstand, den ich zu mir als Kind empfinde, ist ebenso beschaffen, wie der Abstand zu mir als Jugendliche von 16 Jahren." Korthaus fragte: "Du meinst also der relative Abstand zwischen Dir als Kind, Dir als Jugendlicher und Dir jetzt ist hier dergleiche wie auf dem Mars ? Und doch sind alle diese Figuren Deines Ichs hier ganz anders als auf dem Mars ?" Sie antwortete: "Das ist es, genau das verblüfft mich sehr. Ich sehe mich hier in dem Bild, das ich von mir als Kind habe, ganz anders als auf der Erde oder dem Mars. Gewissermaßen ist das Kind, welches ich erinnere hier ein anderes als das Kind, an welches ich mich auf der Erde erinnere. Genauso ist es mit mir selbst. Aber die Abstände erscheinen gleich. Der Lebensfaden ist anders und doch derselbe, als hätte er nur eine andere Farbe erhalten." Korthaus sagte: "Mir fällt dazu diese Fotogeschichte ein: Man kann durch Farbfilter die Fotos völlig verändern, obwohl die darge- stellten Personen die gleichen sind, es sind die gleichen Fotos. Und doch vermitteln sie ganz andere Gefühle, je nachdem wie sie gefärbt sind. Das geht so weit, daß man sich bemühen muß zu erkennen, daß es die gleichen Fotos sind." Bernadette meinte: "Das sehe ich auch so, das ist ein klares Beispiel. Ob es den Anderen in der Umlaufbahn ebenso ergeht ?" Korthaus antwortete: "Wenn ja, dann ist alles klar, dann kann ich die Katze aus dem Sack lassen."
Einige Wochen später trafen sich alle vier: Berg, die Dame, Bernadette und Korthaus in dem Raumschiff, welches die Venus in einer Umlaufbahn umrundete. Sie waren im Hauptraum und hatten alles Andere den Automaten überlassen. Korthaus fragte die Anderen: "Kennen Sie das Gefühl der Verfremdung in neuen Umgebungen ?" Die Dame und Berg bejahten. Sie hatten ebenfalls bemerkt, daß sie dennoch sich nicht näher oder weiter entfernt voneinander empfunden hatten, als auf der Erde. Korthaus sagte am Ende dieser Erörtungen: "Wir sind am Ende und am Ziel: Berg, Sie haben recht - und ich auch." Der Angesprochene sah Korthaus an und sagte: "So !" Korthaus fuhr fort: "Ich beginne mit dem Leben: Jegliche Wesen und Teilchen, aber auch Wellen, Sterne, Galaxien, Universen sind Lebewesen. Das heißt, nirgendwo ist nachweisbar, daß einem dieser Dinge etwas zum Leben Wichtiges fehlt." Berg sagte: "Da bin ich gespannt." Die Dame meinte:" Fahren Sie fort. Korthaus sprach weiter: "Jedes vermehrt sich, expandiert, nimmt Nahrung auf und gibt Stoffe ab. Dort wo es anders escheint, ist die Nach- weiskette durch eigenes Verursachen noch nicht nachvollzogen."
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Berg sagte spontan: "Ich wußte es !, fahren Sie fort." Korthaus sprach weiter: "Alles ist Ich. Wir sehen es daran, daß sämtliche Ver- fremdungen diegleiche relative Struktur haben. Es wird immer alles anders, aber immer in gleicher Art und Weise der Teile zueinander." Berg meinte: "Sie meinen das persönliche Ich ?" Korthaus erwiderte: "Nein, zunächst nicht." Berg platzte los: "Ist das Ihr Ernst, sind Sie umgefallen." Korthaus fuhr fort:" Ich sagte: "zunächst". Das Ich ist zunächst nur ein Teil einer Umwelt, darin eingebettet und ohne Einsicht in den ganzen Zusammenhang. Aber es entwickelt sich und findet überall sich selbst. Denn das Leben, daß wir überall finden, ist das Ich selbst. Es ist kein Gegenbeweis möglich." Die Dame meinte: "Das gilt aber auch für die Götter." Korthaus widersprach: "Nur scheinbar. Götter sind etwas Objektives, wenn es sie gibt. Aber jedes Objektive kommt aus dem Durchgang durch das Ich. Es gibt ein Universum als ein Ich." Berg warf ein: "Die Wiederkehr der pantheistischen Gottheit." Korthaus sagte: "Auch nur "zunächst". Jedes Geschehen mündet wieder ein in einen Durchgang durch das persönliche Ich." "Und die verschiedenen Ichs ?" "Sind letztlich identisch und innerhalb einer Struktur." Die Dame sagte erstaunt: "Deshalb die immer relativ gleichbleibende Verfremdung." "Ja, das war der letzte Baustein der Beweiskette, der noch fehlte." Berg meinte: "Gratuliere Korthaus. Ein strategisches Meisterwerk ! Nicht die Aussage, sondern Ihre Methode. Mit solchen Soldaten läßt sich die Welt verändern." "Das habe ich schon einmal gehört!", meinte Korthaus und lächelte vieldeutig. "Gewiß", antwortete Berg, es ist schon etwas länger her."
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