Fred Keil           Nr.215     
                                                  1999
         Gespräche im alten Turm
         
         Die Silhouette des Leuchtturms war in klarer Nacht als
         schwarzer Körper nur schwach gegen den Sternenhimmel
         abgehoben. Bei Mondlicht stand er deutlich wie eine den
         Himmel stützende Säule vor aufgehelltem Grund.
         Er war achteckig, hatte einen gläsernen Zylinder oben
         aufsitzen und um diesen herum einen Balkon.
         Dort standen zwei Flechtstühle, davor ein Fernrohr und
         manchmal saß da eine Gestalt und beobachtete die Objekte 
         des Himmels. In solchen Nächten kam aus dem naheliegenden
         Wald eine weitere Gestalt, die in den Leuchtturm ging
         und bald oben auf dem Balkon nebem dem anderen Platz
         nahm.
         Der Mann aus dem Wald begann dann ein Gespräch. Der Mann
         am Fernrohr hörte zu und selten gab er etwas zurück. 
         Den Stimmen nach waren es alte Männer, vielleicht achtzig
         oder neunzig Jahre alt oder noch älter.
         Der Mann am Fernrohr hatte eine dunkle Stimme, die sich
         älter anhörte als die des Mannes aus dem Wald.
         Es sprachen also der Ältere mit dem relativ Jüngeren, der
         aber auch schon alt war.
         "Weißt Du", begann an jenem Abend der Jüngere, während der
         Ältere ins Fernrohr sah:" ich habe heute in der Stadt im
         Zentrum in einem Cafe gesessen, draußen in der kühlen Luft.
         Ich las eine Zeitung. Eine Frau kam vorbei und sah mir
         in die Augen. Ich schätze, sie war fünfzig Jahre alt, also
         sehr jung. Sie sah mich an. Stell Dir vor, sie sah mich
         an. Ich habe das seit fünfzehn Jahren nicht mehr erlebt.
         Sie sah nicht einfach hin sondern sie wollte etwas von mir."
         Der Ältere antwortete:" Du hast dafür aber eine plausible
         Erklärung !?, Dämmerung oder etwas Ähnliches."
         Der Ton der Stimme war spöttisch erheitert. Der Jüngere
         antwortete:" Natürlich war es eine Trick, aber es war ein
         Zufall. Ich hatte die Zeitung vor dem Gesicht und meine
         Mütze auf. Sie sah meine Augen und die Mütze, alles Weitere
         nicht,- und dämmrig war es auch."
         "Hast Du nicht probiert was passiert, wenn die Zeitung weg
         ist ?"
         "Doch, aber sie ging gleich wieder. Ich weiß nicht ob sie
         mich gesehen hat."
         "Aber Du bist noch fleißig ?"
         "Ja, Du kennst meine Frau ja, sie ist nicht tot zu kriegen."
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         Der Ältere wurde nun ernster, sah in sein Fernrohr und
         sprach dann:" Du hast in der letzten Nacht gesagt, es gibt
         keinen dritten Weg. Wieso ?"
         "Historisch gesehen deshalb, weil es kein freiwilliges
         Zurück gibt für die Staaten und Völker. Der Einzelne kann
         es machmal in seltenen Fällen, Völker nicht.
         Oder unter dem Erwerbstrieb betrachtet: Heute leben sechs
         Milliarden Menschen, in dreißig Jahren 12 Milliarden, es sei
         denn, durch Nahrungsmangel bleiben nicht soviele am Leben.
         Das wäre ein unfreiwilliges Zurück. Ebenso mit dem Erwerb
         des Wissens: Wissen verschafft neue Genüsse und Bequem-
         lichkeiten. Man erfindet keine Maschine, die eine abgelegte
         erschwerte Arbeit wieder notwendig macht. 
         Die Kunst, das Wissen, der Luxus, der Konsum, alles
         Erwerbungen, von denen es kein freiwilliges Zurück gibt.
         Es gibt nur Vorwärts, das heißt Kampf, List, Verbrechen.
         Das bedeutet Hierarchiebildung um den Vorteil zu erlangen.
         Der erste Weg regelt das Aufstreben, die Konkurrenz, den Kampf,
         den Krieg durch erworbenes Kapital. Der zweite Weg regelt
         durch die gleichen Mechanismen, aber unter völliger Ver-
         deckung. Es darf bei dieser Form nichts aufgedeckt werden.
         Deshalb gibt es dann schwarz übermalte Textstellen, Lager,
         Diktatur. Der erste Weg ist oft ähnlich und dazu noch in anderer
         Weise gefährlich. Überzeichnet ist der erste Weg eine
         Methode des Terrors nach außen, der zweite eine Methode des
         Terros nach innen."
         Der Ältere hatte sich das angehört und dabei an seinem
         Fernrohr etwas eingestellt. Nun lehnte er sich im Stuhl
         zurück und sprach:" Wie ist es mit den friedlichen Zeiten,
         das Goldene Zeitalter Roms, die Jahrhunderttwende.."
         Der Jüngere erwiderte:" Ich habe auch den Eindruck, es wird
         allmählich besser, aber im Weltmaßstab sind Katastrophen
         von nie vorher gekannter Größe gewesen. Halb Afrika ver-
         hungert, Mexiko.... aber das weißt Du selbst."
         Der Ältere griff das Thema auf und sprach:" Der alte
         Selektionsmechanismus ist immer noch da, mit aller Grausamkeit
         der Natur. Die Zahl der Löwen  wird durch Verhungern reguliert,
         und Menschen werden immer noch genauso in ihre Schranken ver-
         wiesen."
         "Andererseits die Zivilisation, - die verfeinerten Völker
         starben seit je aus. Aber warum ?"
         " Sie hatten Wichtigeres zu tun." Dabei lächelte der Ältere.
         "Heute sind sie einfach schlapp."
         Der Jüngere sagte: "Wenn man es prosaisch sehen will. Es
         steckt immer irgend etwas Schäbiges dahinter. Aber Reichsein
         ist schön !"
         " Das ist nicht sehr überzeugend, bei Deinem Lebenswandel."
         Der Jüngere lachte nun und erwiderte:" Ich glaube, ich habe
         mich geirrt, es ist schön sich vorzustellen Reichsein ist
         schön."
         Der Ältere hatte nicht mehr recht zugehört, denn diese Art
         Gespräche hatten die beiden Herren schon sehr oft geführt.
         Es lief immer wieder auf Selbstbestätigung hinaus. Das wußten
         sie natürlich. Sie waren aber nicht ihre eigenen Sittenrichter
         sondern einfach etwas verspielt und kindisch,- wobei den
         Kindern in solchem Vergleich Unrecht getan wird.
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         "Wenn wir eines Tages Besuch bekommen, wird sich alles
         klären", sagte der Ältere:" sie lassen sich in der Andromeda
         Galaxis nach drei Jahren ebenso scheiden wie wir und führen
         ihren Sternenkrieg wie wir unsere Weltkriege. Wir werden
         sie allerdings nicht verstehen, denn sie sprechen ja ihre
         Sprache. Aber das ist auch nicht nötig. Hast Du schon einmal
         eine zänkische Chinesin gesehen ?"
         Der Jüngere antwortete:" Eine Koreanerin, es war ganz genau
         dasselbe wie bei uns zu Hause. Man fragt sich, warum es über-
         haupt noch verschiedene Nationen gibt..."
         "Deshalb", sagte der Ältere,: "werden wir keinen Besuch
         bekommen. Da sie technisch weiter sind als wir, denn nur
         dann können sie die weite Reise schaffen, sind sie auch 
         weiter in der Erkenntnis. Was wir hier entdecken, wissen 
         dort schon die Schulanfänger. Man wird keine Reise machen
         nur um eine zänkische Koreanerin oder Europäerin zu sehen. 
         Und was haben wir sonst noch zu bieten ?"
         Der Jüngere hatte geschmunzelt, wie es oft geschah, wenn
         der Ältere seine tiefsinnigen Ausführungen machte. Dann
         sprach er:" Sie werden uns kolonisieren, die Erde besetzen,
         ausrotten..." Diese Bemerkung war nicht ganz ernst gemeint.
         Der Ältere ging aber darauf ein:" Wir taugen für die
         höheren Wesen als Sklaven so wenig wie für uns die Affen
         als Sklaven taugen könnten. Und ausrotten ? - "
         Nun hatte der Ältere im Fernrohr etwas gesehen. Er winkte den
         Jüngeren heran:" Heute ist der Ringnebel in der Leier sehr
         deutlich zu sehen. Er machte dem Jüngeren Platz, der nun 
         durch das Rohr sah und dann sagte: " Sterne sterben mehr-
         mals. Ich denke wir haben es ganz gut als Nichtsterne."
         "Wir haben es sogar noch viel besser. Abgesehen von der
         Todesvorstellung sterben wir nie." "Ja, Epikur", sagte der
         Jüngere, als hätte er diesen Satz schon etwas zu oft gehört."
         Der Ältere bemerkte den Ton in der Stimme und sprach:" Junger
         Mann !, Epikur wird Ihnen vielleicht noch einmal hilfreich
         sein."
         
         Der Jüngere wandte sich nun um und ging durch eine kleine
         Stahltür in das Innere des gläsernen Zylinders. Dort stand
         in der Mitte ein gläserner, mit Facetten versehener Zylinder,
         in dem früher einmal eine elektrische Lampe brannte, die den
         Schiffen den Weg durch die gefährlichen Untiefen anzeigte.
         Seit einigen Jahren war diese Fahrrinne nahe der Küste nicht
         mehr befahren worden. Es gab einen neuen Hafen, der auf einer
         weiter draußen im Meer gelegenen Route angesteuert wurde.
         Der Leuchtturm war vergessen worden. Die beiden Alten hatten
         ihn aufgesucht, weil der Ältere von Beiden den Turm noch aus
         seiner Jugendzeit kannte. Da er nun verlassen war, bot er sich 
         als Ausguck für die Astronomen an. Der Jüngere setzte einen
         Wasserkessel auf einen Spirituskocher und bereitete den Tee
         vor. Während das Wasser sich erwärmte ging er wieder auf die
         Ballustrade zu dem Älteren und sprach:" Ich denke manchmal,
         daß ich auch ein alter Leuchtturm bin, der nicht mehr den Weg
         zeigen muß, weil die Fahrrinne ganz anders verläuft als
         früher."
         Der Ältere erwiderte:" Das täuscht. Der Markt der Meinungen
         verdaut alles. Wenn Du in die Stadt gehen willst, bitte !
         Jeder findet seine Jünger. Du mußt nur lange genug dasselbe
         
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         sagen. Erst glaubt es einer, dann zehn und zuletzt das
         halbe Land."
         "Aber sie ändern nichts !"
         "Oh doch, sie ändern alles. Nur machen sie es ganz anders
         als Du es beabsichtigst. Wenn Du die Bedürfnislosigkeit
         anpreist und Du Erfolg hast, dann machen Sie in vierhundert
         Jahren einen vergoldeten Gipskopf mit Deinem Namensschild
         darauf und Deine Sektenbrüder haben Villen auf den Bahamas."
         Der Jüngere lachte:" Aber das weiß ich doch. Dennoch ist es
         ein nostalgisch schönes Spiel sich vorzustellen die Leute
         würden sich bessern."
         Der Ältere sagte:" Damit wäre Nietzsche nicht zufrieden
         gewesen, man hätte sie schon Bösern müssen."
     
         Der Jüngere war in den Glasaufbau zurück gegangen und brachte
         den Tee hinaus. Während er Platz nahm sagte er:" Diese
         romantische Vorstellung vom Bösen, mit dem Casanovablick auf
         frühreife Früchtchen, ist aber sehr überholt."
         "Ja, ja, ich weiß, draußen würde ich so etwas nicht mehr sagen."
         "Nicht mehr ?"
         Der Alte lächelte, wurde aber dann schlagartig ernst:" Seit
         1915 oder 1916. Da begann der Krieg ein Monster zu werden.
         Später kamen ja diese braunen Nietzsche-Interpreten, die das
         Böse in den Lagern feierten. Scheußlich, nur schon daran
         zu denken."
         Am sternenklaren, schwarzblauen Himmel war der Saturn auf-
         gegangen. Der Ältere stellte das Fernrohr darauf ein und
         bot dann dem Jüngeren an hindurch zu sehen. Während dieser
         den Saturn betrachtete sagte der Ältere:" Diese Geschichte
         mit den zwei Wegen geht vielleicht an den Problemen vorbei.
         Ich hatte da eine Idee, das Ganze in einem Beispiel zu
         verstehen. Es sind doch vielerlei Lebensformen im Weltraum
         denkbar. Warum sollten also nicht viele Wege der Gesellschaft
         offen stehen ? Andererseits können wir vielleicht sehr viele
         Lebensformen gar nicht wahrnehmen, weil sie für uns nicht
         wahrnehmbnar sind. Das heißt auf die Gesellschaft bezogen,
         viele Wege sind nicht durchsetzbar, weil sie nicht wahrnmehm-
         bar sind."
         "Ich verstehe das nicht."
         "Denk Dir einmal Lebewesen aus, die zwischen den Galaxien
         leben, Wesen aus feinstverteilten Gasen, groß wie Galaxien
         und so langsam in ihren Bewegungen, daß wie sie nicht erkennen
         können."
         Der Jüngere meinte nun:" Und auf Gesellschaft angewandt meinst
         Du das etwa so, daß wir Entwicklungen nicht erkennen, weil sie
         unsere Wahrnehmungsfähigkeit überschreiten ?"
         "Ja, aber noch weiter: Wir können bestimmte Wege nicht ein-
         schlagen, weil wir ihre mutmaßliche Richtung nicht wahrnehmen."
         Der Jüngere hatte sich vom Fernrohr gelöst und fragte:
         "Ist es dann nicht gleichgültig ob es so etwas gibt, was es
         für uns wegen unserer Beschränkungen nicht geben kann.?"
         Der Ältere sagte:" Das wäre natürlich gleichgültig, wenn 
         die Verhältnisse so einfach wären: Suchen und Finden und
         Aussuchen und Probieren. Aber es ist nicht so. Wir erfinden
         was wir suchen und dann auch finden."
         Der Jüngere starrte den Älteren an:" Deine Lieblingsidee,
         die Produktion, aber hier begreif ich es nicht."
         
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         "Oh doch, Du weißt es. Selbst in den trockenen Wissenschaften
         wird es so gemacht. Gibt es ein Atom ? Nein, wir haben ein
         Modell gemacht und dann etwas gesucht und gefunden, was ihm
         nahekommt. Wir haben das Modell dann verbessert und wiederum
         gesucht und gefunden."
         "Also wir erfinden die Gaswesen im Raum und dann finden wir
         sie ? - Der Stuhl den Fichte mit seinen Gedanken gemacht hat
         indem er ihn denkt." Dabei lächelte der Jüngere etwas merk-
         würdig.
         "Lach nur, aber es ist fast so und doch anders. Wenn Du etwas
         probierst, dann kann zweierlei geschehen: Es trifft oder trifft
         nicht, also Versuch und Irrtum. Das gilt doch überall.
         Aber ist aus dem Irrtum zu schließen, daß jeder Versuch
         jedesmal zum Irrtum führt ?"
         "Du siehst also doch die Möglichkeit eines dritten Weges ?"
         Der Ältere erwiderte:" Der dritte Weg ist vielleicht so
         ein Irrtum, aber der vierte oder meinetwegen der 110 sind
         machbar. Es kommt auf die produktive Phantasie an."
         "Die nirgendwo gewünscht wird. Schon den Kindrn wird sie mit
         fünfen und sechsen in der Schule ausgetrieben."
         "Da muß man nachsichtig sein. Welcher Fürst der Gegenwart
         will von Fürsten der Möglichkeiten entthront werden ?
         Und doch ist es so."
         Der Alte trank seinen Tee, sah hinaus zu dem heller werdenden
         Streifen hin, der die Dämmerung ankündete und sprach:" Die
         Welt willst Du immer noch verbessern."
         "Gewiß."
         "Du hast nicht so viel dazu gelernt in den letzten dreißig
         Jahren ?!"
         Der Jüngere lachte und sprach:" Ich denke nicht mehr, daß
         ich Erfolg mit meinen Unternehmungen habe, nicht mehr den
         Erfolg, der hinter solchen Verbesserungswünschen steht. Aber
         es ist notwendig. Wer Beine hat muß laufen..."
         "Und wer Gedanken hat, muß die Leute bessern ?", warf der
         Alte ein.
         "Ich bin schon etwas zurück gegangen. Es gibt Einzelne, denen
         es gefallen wird was ich sage. Es wird sich auch etwas ändern.
         Einiges, ganz wenig vielleicht wird sich bessern."
         "So wird es sein", sagte der Ältere und sprach weiter:
         "In bösen Zeiten ist es leicht neue Wege zu wünschen. Man
         will nicht den Krieg und den Terror. Aber wohin gehen wir,
         wenn es wirklich gelingt die großen Katastrophen in Zukunft
         zu vermeiden ?" Damit stand er auf und sagte:" Ich muß nach
         Hause." Der Jüngere schloß sich dem an. Die beiden alten
         Herren gingen die Wendeltreppe im Turm hinab und verließen
         den Ort. Der Jüngere ging in den Wald, der Ältere stieg auf sein
         Fahrrad und fuhr am Strand entlang in die entgegen gesetzte
         Richtung.
         
         Zwei Tage später ging der alte Professor Berg in das Straßen-
         cafe, welches gegenüber der Bushhaltestelle im Stadtzentrum
         lag. Da es warm war, konnte man draußen unter den Sonnen-
         schirmen sitzen. Kurz darauf kam der fast ebenso alte Herr
         Korthaus vorbei. Er sah den Professor dort sitzen, ging auf
         ihn zu und sprach:" Kann ich mich zu Ihnen setzen."
         "Bitte."
         Die beiden alten Herren waren eben die, die im alten Turm 
         
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         gewesen waren und dort ihre Gespräche geführt hatten. Es gab
         unter ihnen die Vereinbarung außerhalb des Turmes die Sie Form
         beizubehalten, ein kleiner Spleen, der irgendwas bedeutete.
         "Gestern war ich tanzen im "Paradiso", sagte der Professor.
         "War Ihre Frau mitgegangen ?", fragte Korthaus.
         "Diesmal war ich allein. Ich habe mit einer sehr jungen Frau 
         einige Male getanzt. Sie war sehr schön, etwa fünfzig Jahre
         alt, blond etwas füllig."
         "Das war so einfach möglich ? War es sehr dunkel ?"
         "Ja, das ist im Paradieso vorgesehen. Bei Licht wäre sie
         vielleicht nicht so zugänglich gewesen."
         "Wie ging es weiter ?" fragte Korthaus. Wir haben uns dann
         zusammengesetzt. Sie erzählte von einer interessanten Begegnung
         im "Venezia". Sie sagte daß "er" leider nicht ganz zu erkennen
         gewesen war, er hätte eine Zeitung und eine Mütze vor dem
         Gesicht gehabt." Dabei lachte der Professor. "Das war sie",
         meinte Korthaus. "Das dachte ich auch. Ich habe nicht weiter
         gefragt." Korthaus war etwas unruhig geworden, denn die besagte
         Frau hatte sein Interesse geweckt. Er wollte aber nicht weiter
         nachfragen. Der Professor erzählte aber von sich aus weiter:
         " Sie ließ durchblicken, sie lebe alleine. Vielleicht sucht sie
         einen neuen Mann. Ich habe sie nicht im Unklaren gelassen. Es
         war wieder so eine kostspielige Aufrichtigkeit, denn sie wollte
         dann sehr bald allein nach Hause gehen als sie erfahren hatte,
         daß ich mit meiner Frau zusammen lebe. Sie hatte vor meiner
         Erklärung davon gesprochen, daß sie jeden Mittwoch ins Paradiso
         geht. Ich denke sie wird am nächsten Mittwoch nicht hingehen." 
         "Wenn ich ihr begegnen würde, müßte ich also den Junggesellen
         spielen." "Unbedingt." "Und Sie hatten nicht das Bedürfnis
         sie ins Bett zu kriegen ?" Der Professor antwortete:" Ich
         weiß es nicht. An diesem Abend war mir nicht nach Flunkern
         zumute. Es gibt Frauen, wo ich nur den geraden Weg gehen kann."
         "Sie meinen, es gibt Ärger, wenn sie erst später bemerkt, daß
         man gelogen hat und nicht zu haben ist." Ja, das auch. Aber
         andererseits wissen sie meist, wenn man flunkert. Sie spielen
         dann die Rolle :Ich wußte von nichts, mit. Ohne Heuchelei
         und Maskerade geht meist nichts mehr."
         "Ich würde in diesem Falle schon flunkern können. Wieviel
         Zeit haben wir noch eine Beute zu erlegen, Monate, Jahre ?"
         "Ich weiß", sagte der Professor. Vielleicht sollten wir in
         diesem Fall eine kleine Falle bauen."
         "Wie diese Geschichte vor 46 Jahren in Arcachon ?" 
         "Genau so."
         "Was schlagen Sie vor ?" Der Professor sagte:" Wir gehen
         Donnerstag zusammen ins Paradiso. Wir sind etwa um 21 Uhr dort.
         Die Dame wird Mittwoch zu Hause bleiben und Donnerstag unbedingt
         hingehen. Länger als einen Tag hält sie das nicht aus, ihre
         Gewohnheit zu verschieben. Sie stellen sich einige harte Sachen
         auf den Tisch und versuchen abwesend auszusehen. Ich werde so
         tun als ob ich Sie beruhigen müßte. Dann machen wir es wie damals
         in Arcachon."
         "Sie sind mein alter Hochschullehrer ?"
         "In diesem Punkt können wir vom alten Muster abweichen. Damals
         war unser Altersunterschied offensichtlich, heute können wir
         ehemalige Kommiltonen sein." Korthaus schüttelte den Kopf und
         sprach:" Sie sind also der Ansicht, daß ich Sie eingeholt habe
         Herr Professor ?" "Nein auf keinen Fall, ich bin nur etwas
         langsamer..." Korthaus lachte und sagte:" Daran soll es nicht
         
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         scheitern. Wenn Sie etwas bemerkt, umso besser. Sie kann sich
         dann überlegen ob sie mitspielt."
         "Ja, wenn sie mitspielt will sie ins Bett, wenn nicht, wird
         sie sich unter einem Vorwwnd verabschieden."
         Korthaus hatte unterdessen seinen Kaffee bekommen. Er rührte
         etwas gebrechlich wirkend den Zucker hinein. "Wenn sie aber
         alles glaubt, gibt es doch Ärger wenn sie es heraus bekommt."
         "Daß Sie auch gebunden sind ?!"
         "Sie sollte es zum richtigen Zeitpunkt bemerken, das wäre
         sicherer", meinte Korthaus :" am Besten erst, wenn der Fisch
         an der Angel hängt und nicht früher."
         "Mein lieber Korthaus, es hat in Arcachon geklappt, dann geht
         es auch hier. Wir haben doch dazu gelernt."
         An jenem Donnerstag ging die Dame, deren Eroberung vorgesehen
         war mit ihrer Freundin Loni ins Paradiso. Sie war 55 Jahre
         alt, also etwas älter als jene. Als die Beiden an einem
         Tisch in der Nähe der Tanzfläche Platz genommen hatten, sahen
         sie die beiden Herren an einem anderen Tisch sitzen. Die
         Dame sprach zu ihrer Freundin:" Dort ist der Mann mit dem ich
         in der letzten Woche getanzt habe. Den Herrn daneben habe ich
         aber auch schon einmal gesehen." "Der wäre doch etwas für
         mich ?", meinte Loni. Ihre Freundin antwortete:" Nur zu, ich
         bin an dem Älteren interessiert, aber er traut sich nicht wegen
         seiner Frau." "Wie kommst Du darauf ?" 
         " Er hat ganz eifrig von seiner Ehefrau gesprochen. Das ist
         typisch."
         "Was willst Du machen ?" 
         "Ich werde eben auch gebunden sein."
         "Du bist es doch nicht !" 
         "Er soll es aber denken. Vielleicht wird er etwas mutiger, wenn
         er sieht daß ich ihn nicht heiraten will."
         Nun fragte Loni:" Soll ich auch gebunden sein ?"
         "Natürlich, so wie der Jüngere aussieht, ist er auch verheiratet.
         Der wäre nicht so gut in Schuß, wenn er keine Frau hätte.
         Sieh sie dir an, beide gepflegt gekleidet und noch ziemlich
         fit. Wenn  sie modisch gekleidet wären, könnten es Junggesellen
         sein, die auf sich achten. Wären sie zauselig, dann wären sie 
         sowieso allein."
         "Aber Roswitha, ich kann doch nicht."
         "Wenn Du ihn haben willst, wirst Du müssen. Glaubst Du denn, sie
         würden sich mit uns abgeben, wenn sie befürchten müßten, wir
         würden ihnen einen Ehekrach provozieren können."
         "Doch, das verstehe ich. Wie soll das gehen ?"
         "Wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir zu offensichtlich von
         unseren "Männern" reden, durchschauen sie uns. So alte Hasen
         täuscht man nicht leicht. Sie werden uns auch zu täuschen
         versuchen. Ich habe mich bereits als Alleinstehende vorgestellt.
         Du machst das bei Gelegenheit auch. Aber dann müssen wir uns
         behutsam verplappern, damit sie merken, daß wir zu Hause 
         Männer haben. Wenn sie mitspielen, wollen sie ins Bett, wenn
         nicht, dann ersparen wir uns unnötige Konversationen."
         Korthaus bestellte zwei Schnaps und ein großes Bier, der
         Professor nahm ein Mineralwasser. Beide hatten sich etwas
         geschminkt, nicht um jünger zu wirken sondern um den Eindruck
         zu erwecken, sie wollten älter wirken und wären aber eigent-
         lich jünger. Das funktionierte wirklich, allerdings nur deshalb,
         
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         weil Korthaus vor vielen Jahren auf der Bühne gestanden war
         und beim Maskenbildner einiges gelernt hatte.
         Korthaus wirkte in sich gekehrt, der Professor redete auf ihn
         ein:" Ihr Sohn wird sich wieder fangen. Eine Depression nach
         einer Trennung ist nichts seltenes..." 
         Die beiden Damen hatten nun bemerkt, daß die beiden Herren sich
         gar nicht für sie interessierten. Das machte sie neugierig.
         Loni sprach:" Die Beiden bedrückt doch etwas, sieh nur wieviel
         Gedränke der Jüngere auf dem Tisch hat. und der Ältere redet
         auf ihn ein, als ob er ihn aufmuntern wollte."
         Roswitha antwortete:" Ich glaube wir haben den falschen Tag
         erwischt."
         Als aber die Musik zum Tanzen einlud und mehrere Paare zur
         Tamzfläche gingen, stand der Professor auf, ging zu dem Tisch
         der beiden Damen und forderte die Jüngere zum Tanz auf. Die
         Ältere begrüßte er flüchtig. Die Beiden tanzten zusammen und
         begannen die übliche Konversation. Loni erledigte ihre Aufgaben
         rasch. Sie verplapperte sich, als die Sprache auf Roswitha
         kam:"... jede Woche kann sie nicht ausgehen, ihr.... ihre Mutter
         braucht sie sehr." Der Professor hatte natürlich gemerkt, daß
         die Dame von einem Mann sprechen wolte und gerade noch die
         Verbesserung mit der Mutter anbringen konnte. Er tat, als
         habe er es nicht bemerkt. "Was hat die Mutter Ihrer Freundin,
         - Entschuldigung..." "Nein, nein, fragen Sie ruhig. Ihre Mutter
         ist sehr gehbehindert, ein Knochenleiden..." Die Musik war
         etwas lauter geworden. Nach einer Weile fragte die Dame:" Was
         ist mit Ihrem Begleiter ?, er wirkt so still, - aber jetzt bin
         ich zu.." "Nein, fragen Sie auch. Mein Freund hat Probleme
         mit seinem Sohn, eine Scheidung." "Oh das tut weh, wenn ich
         meinen..." Wieder tat sie, als ob sie sich verplappern würde
         und berichtigte sich sofort:" meinen Sohn so sehen würde, machte
         es mir auch Kummer. Dem Professor war klar, daß die Dame ein
         Spielchen spielte. Er spielte aber mit, denn es kam ihm gerade
         recht. Was ihn allerdings irritierte war, daß die Freundin von
         Loni, die Dame, mit der er in der Woche vorher getanzt hatte,
         offensichtlich ihn ansah und etwas von ihm wünschte. Das
         brachte Korthaus Ansinnen in Schwierigkeiten. Außerdem schien
         seine Tanzpartnerin sich für Korthaus zu interessieren.
         Nach einigen Tänzen brachte er Loni zu ihrem Tisch zurück und
         ging wieder zu Korthaus. "Mein  Freund, wir müssen umdispo-
         nieren, die Ältere will sie, die Blonde will mich. Korthaus
         sah den Professor an und sagte:" Sie sind sicher ?!"
         "Aber ja. Ich habe auch nicht die Absicht die veränderte Lage
         so zu verwenden, daß ich mit der Blonden etwas anfange. Mir
         ist nicht danach." Korthaus kannte seinen Freund so lange,
         daß er nicht an dessen Aufrichtigkeit zweifelte. 
         Er war von der neuen Perspektive nicht begeistert. Sein in
         sich gekehrtes Wesen brauchte er gar nicht mehr zu spielen,
         es war jetzt aus der Situation heraus richtig. Der Professor
         sah sich das an und sprach: Wir haben noch eine kleine Chance.
         Wir müssen die Damen dazu bringen sich umzustellen. Das
         braucht aber Zeit." "Was haben Sie vor ?" Zunächst muß ich als
         Bewerber ausscheiden, am Besten Prostataresektion, das klappt
         immer." Korthaus meinte:" Sie erinnern sich aber an unser
         Abenteuer in Düssseldorf 1951 ?" "Ja", erwiderte Professor Berg:
         " Hinterher waren Beide enttäuscht und keiner kam zum Ziel.
         Aber das müssen wir riskieren." "Gut, ich bin dabei, man
         kann ja nur lernen."
         
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         Bei der nächsten Gelegenheit forderte Korthaus die blonde
         Dame zum Tanz auf. Er stellte sich als Alleinstehender vor
         und versuchte herauszufinden ob sie sich für ihn erwärmen
         könnte. So nebenbei ließ er durchblicken, daß sein Freund
         Berg keine Prostata mehr hat und daher Frauen nur noch zu
         Gesprächen an sich herankommen läßt. Und dessen Frau wäre auch
         zu bedauern, so vital und dann ein kranker Mann. Die Dame
         reagierte sehr unzufrieden. "Das müssen Sie mir mitteilen,
         ist das nicht sehr indiskret von Ihnen. Was verfolgen Sie
         eigentlich für Absichten. So erreicht man doch nichts !"
         Korthaus fühlte sich abgekanzelt wie ein unartiges Kind.
         Er senkte den Blick und schlich sich gewissermaßen am Ende
         des Tanzes von der Fläche. Als er zu Berg zurückkam sah dieser
         ihm an, daß etwas schief gelaufen war. Korthaus begann:" Ich
         habe es verdorben. Sie hat meine Enthüllungen über Sie sehr
         ungnädig aufgenommen. Vielleicht ist das nicht unserem Alter
         entsprechend. Damals in Arcachon waren wir doch etwas jünger."
         "Nein mein Lieber Freund, das ist nicht der Grund. Die Dame
         hat sich bereits festgelegt. Sie ist nicht so jung wie unsere
         beiden Mädchen in Arcachon. Wenn  die Damen in der letzten
         Lebenshälfte stehen, sind sie nicht mehr so flexibel.
         Außerdem so viel jünger waren wir nicht. Ja 1870, da war ich
         jung. Ich durfte nicht einmal schießen. Die Stiefel durfte
         ich putzen." Korthaus meinte:" Ich war jedenfalls noch nicht
         geboren und in Arcachon..." "Ach Korthaus, sie haben 1915
         an der Marne..." "Auch nur Botengänge gemacht. Ich durfte
         auch nicht schießen." "Gewiß, aber in Arcachon waren Sie doch
         schon etwas nah an der Pensionsgrenze." 
         "Sie meinen also, es war nicht verkehrt so vorzugehen."
         Berg antwortete:" Nein, es war nur nicht ganz dem Alter der
         Dame gemäß." "Ja, das ist immer wieder schwierig für mich.
         Eine Fünfzigjährige ist aus meiner Perspektive nicht viel
         älter als eine Fünfundzwanzigjährige." Der Professor stimmte zu. 
         Er bemerkte, daß die Blonde sich immer noch für ihn
         interessierte. Es mochte sein, daß sie den Enthüllungen von
         Korthaus keinen Glauben geschenkt hatte, oder vielleicht suchte
         sie einen Gesprächspartner und keinen Mann fürs Bett, in ihrem
         Alter nichts Ungewöhnliches, dachte der Professor.
         Die beiden Frauen unterhielten sich nun angeregt. Roswitha
         stand auf und ging entschlossen zu dem Tisch der beiden Herren.
         Sie stellte sich vor ihn und sagte:" Darf ich mich einen Moment
         zu Ihnen setzen ?" Verdattert sagte der Professor:" Bitte,
         nehmen sie Platz." Die Dame setzte sich und sprach:" Ein
         Freundesgespann wie Sie beiden ist selten. Es ist doch schön
         zu sehen, wie einem kranken Freund beigestanden wird. Dabei
         lächelte sie spöttisch und sagte:" mehr wollte ich nicht sagen,
         nur meine Hochachtung für so viel Freundschaft zeigen."
         Die beiden Herren sahen sich an, sahen sie an und wußten nichts
         dazu zu sagen. Die Dame stand wieder auf und ging zu ihrem
         Tisch und ihrer Freundin zurück. Eine Weile sagten die beiden
         Herren nichts mehr. Dann sagte Korthaus:" Uii, sie hat uns
         durchschaut.""Gewiß, es ist nicht so gelaufen wie damals in
         Arcachon. Kommen Sie, lassen sie uns gehen." Vor der Tür
         des Paradiso faßte Korthaus den Professor am Arm und fragte:
         "Wie war das damals in Arcachon ?" "Nun die eine, ich meine
         die... den Namen weiß ich nicht mehr, sie war blond und füllig.
         Nein, das war in Köln. Sagen Sie Korthaus, sind Sie sicher, daß
         das in Arcachon war ?" Korthaus überlegte, sah zu der Leucht-
         
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         reklamne, kratzte sich am Kinn und sprach:" Da war etwas in
         Arcachon, da war etwas schiefgelaufen." "Nein Korthaus, das war
         in Köln... aber wenn Sie mich fragen, ich habe es vergessen."
         
         In der folgenden Nacht trafen sich die zwei alten Männer
         wieder im Leuchtturm. 
         Die Vermischung von Traum und Wirklichkeit ist mitunter be-
         ängstigend. Der Professor und sein Freund waren darüber zu
         anderer Ansicht gelangt. Die Trennung in zwei Welten: Turm
         hier und Jedermannswelt dort erlaubte es ihnen, in den
         Nächten ihrer Phantasie freie Bahn zu lassen. Korthaus sagte:
         "Ich möchte einen Tee trinken, soll ich Dir einen mitmachen ?"
         Berg bejahte. Korthaus ging in die Glaskanzel und setzte den
         Wasserkessel auf den Kocher. Er guckte durch die Scheiben auf
         die Wasserfläche. Das Mondlicht ermöglichte eine gute Sicht
         hinaus auf das Meer. Einige Schiffe fuhren in den Hafen. Ihre
         bunten Lichter zogen langsam vor dem Horizont entlang. Als
         der Tee fertig war, ging er auf die Ballustrade, setzte sich
         zu Berg und begann:" Es gibt keinen triftigen Grund eine 
         unwirkliche Szenerie nicht auszumalen. Trotzdem vermeiden
         die Leute das wie die Pest, selbst Künstler sind furchtsam
         in dieser Sache." Berg antwortete:" Wir haben darüber schon
         gesprochen, erinnerst Du Dich ?"
         "Anläßlich Deiner Märchen, die Du im Krieg geschrieben hast ?"
         "Ja, antwortete Berg:" das hat viel Ärger gegeben. Einige
         jungen Leute waren der Ansicht, wenn wir in Lebensgefahr sind,
         die Soldaten sterben und verstümmelt werden, Menschen verhungern,
         sei das fast ein Hohn, Märchen zu schreiben. Der berühmte
         "Hans Guck in die Luft", wird auch bestraft für seine Phantasie,
         die er im Wolkenhimmel sieht. Ich habe versucht ihnen das
         klarzumachen. Was ist Unfreiheit den anderes als das Aufgehen in
         determinierten Situationen ?!"
         "Besonders, wenn sie nur determiniert erscheinen."
         "So weit bin ich nicht gegangen. Sie hätten geglaubt, sie
         seien mitschuldig an ihrer Misere, wenn ich den Determinismus
         angezweifelt hätte. Sie fühlten sich aber als Opfer. Wie dem auch
         sei, Opfer oder Opfer in einer Legierung mit Täter, das war
         nicht der entscheidende Punkt. Die Kameraden haben befürchtet,
         die Konkurrenz einer fiktiven Welt mit ihrer Realwelt würde ihnen
         Nachteile bringen, sie schädigen. Das ist nicht unbegründet. In
         einer üblen Situation, und unsere Lage war 1917 in Flandern
         äußerst übel, ist eine fiktive Welt nicht ungefährlich, man
         bekommt Sehnsucht nach einer besseren Lebenslage, manche
         verzweifeln daran, daß sie nicht erreichbar ist.
         Wir neigen dazu die Bilder zu verdrängen, wenn sie unerfüllbar
         sind. Ich habe damals wochenlang das Foto unserer Familie nicht
         angesehen, das Heimweh hätte mich sehr geschmerzt. Dennoch, es
         ist verkehrt. Freiheit ist auch die Stärke Risse in der Szenerie
         des Gedachten auszuhalten."
         Korthaus sagte:" Ich habe damit auch experimentiert. Man muß
         auf eine verrückte Weise innerhalb der geträumten Illusion
         sich ihr überlassen und doch nicht an der Unerfüllbarkeit ver-
         zweifeln, eine Art Voyuerismus der Seele, Befriedigung an der
         Betrachtung von Unerreichbarem."
         "Aber vergiß nicht das Wichtigste:" Die fiktive Welt verflechtet
         sich mit der sogenannten Wirklichkeit. Meine Romanfiguren sind
         alle lebendig geworden. Die erinnerte Wirklichkeit und die
         erinnerte fiktive Welt sind gleichrangig repräsentiert in den
         
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         Gehirnzellen." 
         "Manche werden aber verrückt dabei", meinte Korthaus.
         "Nein, verrückt werden nur die unproduktiven Seelen. Wenn die
         fiktive Welt durch äußere Einflüsse erzeugt worden ist, wie etwa
         im Trauma, dann erlebt der Geschockte das wie einen Alptraum, er
         ist ausgeliefert. Er hat natürlich auch gar keine Übung damit
         umzugehen."
         "Du meinst die Übungen, Verluste zu verarbeiten ?"
         "Auch das. Wenn ich einen Roman schrieb, war das Eingehen in die
         fiktive Welt immer verbunden mit dem Bewußtsein der Grenzen
         dieser fiktiven Welt. Umgekehrt allerdings ist etwas noch
         wichtiger: Die Grenzen der wirklichen Welt bewußt zu haben." 
         Korthaus sagte nun:" Ich erinnere mich an ein Gespräch, das wir
         1922 in Köln hatten. Es ging um die Kommunen in Rußland.
         Erinnerst Du dich ?"
         "Ja, ich hatte mit Reich in Berlin gesprochen. Für ihn war alles
         klar. Er sagte:" Die Leute haben die Sexualverneiunung ver-
         innerlicht. Sie kennen sich selbst nicht und deshalb kippen
         sie nach den Schwierigkeiten in ihren Kommunen wieder in die
         alten Verhaltensweisen zurück. Sie halten das für Natur, aber
         es ist verinnerlichte Kultur."
         Korthaus meinte:" Damals hast Du mir Deine Gedanken zur
         Wirklichkeit dargestellt an diesem Beispiel. Du sagtest, daß
         die Erkenntnis der eigenen Grenzen der erste Schritt zur
         Freiheit ist, dieses asiatische "Erkenne Dich selbst".
         Der Professor erwiderte:" Aber ich habe daraus nicht gefolgert: 
         Bleibe wie Du bist, sondern ändere Dich und definiere Dich
         selbst."
         "Aber es ist ja gescheitert."
         "Natürlich ist es gescheitert. Die Kommunisten waren voll Taten-
         drang, sie kannten sich selbst nicht und sie wollten es auch
         nicht. Sie sagten, jeder ist gut, jeder war gut, nur der Kapital-
         ismus hat alles verdorben. Aber es wäre besser gewesen zu er-
         kennen, daß man nicht gut ist. Das ist auch keine Frage der
         Moral, sondern der Stärke und Schwäche. Der Stalinismus hat
         denn auch allen deutlich gemacht was da von innen heraus kommt."
         "Du hast aber auch in dieser Sache nie resigniert !", meinte
         Korthaus.
         "Jein, also einerseits doch, andererseits nicht."
         "Deine Individualismustheorie." 
         "Ich bin auf Nietzsche zurück gekommen. Er sagte, der Einzelne
         ist ein Endpunkt, alle andere ist nur die Menschheit. Es wäre
         doch lächerlich, wenn die Pfauen versuchen wollten, den Weibchen
         die gleichen Federn wachsen zu lassen wie den Männchen. Die
         Kommunisten wollen eben das. Diese typisch kommunistische
         Alternative: Alle gleich oder Untergang, ist so unvernünftig,
         daß es beinahe rätselhaft ist, daß sie soviel Anhänger fanden."
         "Der Einzelne kann sich befreien, aber die Menschheit als Ganzes
         nicht ?", fragte Korthaus.
         "Doch, alle werden freier, aber sehr langsam. Der Einzelne als
         gelungenes Ausnahmeexemplar ist aber so weit voraus, daß er
         die Menschheit als unfrei erlebt. Damit tut er ihr Unrecht.
         Aber es ist verständlich, die Zeit der Hexenverbrennungen ist
         noch nicht vorbei. Heute verbrennen die Außenseiter sich selbst,
         werden nach Nietzsches Worten vom Minotaurus ihres Gewissens
         zerrissen."
         "Das ist also etwa der Themenkreis über die Grenzen der Wirk-
         lichkeit," fragte Korthaus.
         
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         "Nicht vollständig, aber es ist eine vertrackte Sache. Jede
         Einsicht in die Begrenztheit des eigenen Denkens und Fühlens
         zeigt, daß die Bindungen an die Wirklichkeit viel stärker sind,
         daß man selbst diese Wirklichkeit und ihre Unfreiheit in
         einem viel tieferen Maße selbst erzeugt, als man es jemals für
         möglich hielt. Aber zugleich zeigen sich die Möglichkeiten der
         Veränderung. Jede von Ihnen verlangt nach einem gründlichen
         Training, denn die Gedanken sind nur für Momente frei, Frei-
         werden geschieht nur durch Training."
         "Damit hat man auch schon das Scheitern der Weltverbesserer
         umschrieben ?!"
         "Ich denke ja. Sie wollten den Reichen das Geld abnehmen und
         das System umkrempeln, aber nicht sich selbst !" 
         Korthaus dachte nach, trank den kalt gewordenen Tee und sagte:
         " Es gab diese Studentenrebellion in den sechsziger Jahren,
         da wollten sich doch einige auch selbst ändern. Erinnerst Du
         dich an Marcuses Gedanken einer neuen Sensibilität ?"
         "Ja", bestätigte Berg und fuhr fort: "Aber sie haben den Gedanken 
         der harmonischen Zeit der Vorgeschichte weiter gepflegt und
         die Augen vor dem Raubtier in sich selbst verschlossen. Diese
         Schmuseideologie war ganz schön verlogen. Wenn man ehrlich
         wird muß man die Bosheit und die Ungleichheit der Menschen
         zugeben, nicht um sie zu festigen aber um ihnen gerecht zu
         werden. Es ist nicht die Frage, ob den Hungernden in der Welt
         geholfen wird. Ironischerweise haben die kapitalistischen Länder
         viel für die Ärmsten getan, nicht die Kommunisten. Etwas
         ähnlich Paradoxes ist auch, daß noch in unserer Zeit die "Linken"
         demonstrieren gehen, wenn es einem sozialistischen Diktator an
         den Kragen geht. Aber mir ist nicht bekannt, daß die linke
         Jugend Europas auf die Straße gegangen wäre als in Bosnien die
         Moslems massakriert wurden."
         Damit nahm er seinen Tee, blickte auf das Meer hinaus und
         schwieg.
         "Die Gesellschaft in der Geschichte", begann Berg nach einer
         Weile, ist eine Frage der Evolution und der Erziehung. Die
         Balance, schwer zu erhalten. Man braucht mehr, weil das Mehr
         überlebt. Langfristig ist die Balance überlegen. Im Gemeinwesen,
         das ausbalanciert ist, werden die besseren Überlebenswaffen
         entwickelt. Im Individuum, das ausbalanciert ist geschieht das
         Gleiche. Die Erziehung zur Balance, sie ist noch nicht so weit
         fortgeschritten."
         "Du denkst an die Konkurrenz der Staaten ?", meinte Korthaus.
         "Das ist sekundär, es konkurrieren Bewußtseinsarten miteinander.
         Merkwürdig bleibt, daß immer Rom abstirbt, die Savanne überlebt.
         Aber die Zeiten ändern sich."
         "So daß sie Zivilsation sich durchsetzt ?"
         "Meinst Du ?", kam die Gegenfrage von Berg."
         Korthaus meinte:" Ich frage mich, was ist schwerer, die Savanne
         zu zivilisieren oder das Aussterben Europas zu verhindern."
         Berg antwortete: "Das ist noch immer unentschieden. In den
         letzten 3000 Jahren schreitet die Zivilisation voran."
         "Das kann ich nicht sehen. Die Techniken sind erweitert worden,
         aber die Erde wirkt doch sehr entgleist", widersprach Korthaus.
         "Du hast Recht. Es heizt sich alles auf wie zu einem Finale."
         "Deren beide Übungsstücke wir erlebt haben", warf Korthaus ein.
         "Die Frage ist. was bleibt übrig. Du kennst mich ja. Das
         Individuum taucht wieder auf, das allein ist wichtig."
         
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         "Nein, das Individuum ist Folge der Weiterentwicklung. In der
         Savanne taucht es nicht auf", widersprach Korthaus.
         "Auch das ist wahr", sagte Berg: "Wir haben aber nur die
         Gegenwart, eigentlich nur den Augenblick. Wenn der gelingt, -
         was soll noch gelingen ?"
         "Es ist ein bißchen Wahnsinn dabei es so zu sehen."
         Berg widersprach nicht. Er holte seine Teetasse und sprach:
         "Unsere Stärke ist die Phantasie. Als Cirano de Bergerac von
         der Mondfahrt träumte, war das wahnsinnig. Aber vor jedem großen
         Sprung steht der wahnsinnge Gedanke, daß er gelingt. Es gelingt
         allerdings vieles nicht. Aber,- der einzelne Fehltritt ist
         uninteressant. Entscheidend ist ist die Methode."
         "Ich gebe auf", sagte Korthaus lachend: "Die Rolle des Antipoden
         liegt mir nicht."
         Einige Tage später ging Korthaus mit seiner Frau in der Innen-
         stadt einkaufen. Er ging geduldig mit ihr von einem Bekleidungs-
         geschäft zum andern, war aber in Gedanken woanders. Als die
         Beiden vor einem weiteren Geschäft angelangt waren, sagte Kort-
         haus zu seiner Frau:" Ich bleibe hier in der Sonne stehen, wenn
         Du dort reingehst, einverstanden ?"
         "Mach nur, aber lauf nicht weg !" Dabei lachte sie etwas, denn
         ihre Antwort war nicht ernst gemeint. Als er dann allein vor
         den Schaufenster stand und vor sich hin dachte, wurde er von
         Professor Berg angesprochen, der gerade vorbei gehen wollte.
         " Sie hier, vor diesem Geschäft."
         "Meine Frau", damit zeigte er in den Eingang. Berg nickte
         bedeutsam, zog die Brauen hoch und sagte:" Es ist besser, wenn
         ich weiter gehe."
         "Bleiben Sie ruhig. Es wird eine Weile dauern, sie sucht nach
         einem bestimmten Teil, das es hier nicht gibt."
         Der Professor blieb also und sagte:" Ich würde gern noch einmal
         Tanzen gehen, so wie 1897 auf dem Dorffest von Beyenburg bei
         Schwelm."
         "Das würde mir auch gefallen. Aber es gibt hier keine Dorffeste
         mit Tanz um diese Jahreszeit, nur Bierzelte." Dabei machte er
         ein Gesicht, welches offensichtliches Mißfallen über die
         Bierzelte ausdrückte.
         Berg meinte:" Aber es gibt doch Diskotheken."
         "Oh weh", sagte Korthaus, "das gibt Schwierigkeiten."
         Berg klopfte Korthaus auf die Schulter und meinte:" Korthaus,
         Sie sind doch nicht etwa alt geworden ?!"
         "Nein, das nicht, aber wir kommen da nicht rein, Greise und
         Hunde und..."
         "Korthaus !", sagte der Professor streng: wenn Sie so reden
         möchte man vergessen, daß Sie 1955 in die Todeskugel von Ratz-
         witz geklettert sind und dann durch die Luft flogen ohne ver-
         letzt zu werden." Das war ein Thema, welches Korthaus Ehrgeiz
         in jedem noch so aussichtslosen Fall weckte, wie man schlafende
         Doggen weckt.
         "Professor Berg, ich habe keine Altersprobleme ! Wir werden die 
         Diskothek besuchen, lassen Sie mir drei Tage Zeit."
         Berg sah auf den Boden, dann in das Geschäft, ob nicht Frau
         Korthaus schon zurück käme und meinte:" Sie haben schon einen
         Plan ?"
         Korthaus sagte:" Wir brauchen einen passablen Beruf. Was
         sollen Sie sein ?"
         "Bürgermeister der Nachbarstadt ?"
         
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         "Nein, der ist etwas jünger als wir. - Dirigent. Professor Sie
         sind Dirigent."
         "Gewiß bin ich das gewesen. Das Abschiedskonzert der 1. Armmee
         bei Aachen 1914, bevor sie durch Belgien marschierte habe ich
         dirigiert,- aber da waren Sie noch zu jung..."
         "Ich weiß, sagte Korthaus, das reicht aber heute nicht. Sie
         werden ein berühmter Dirigent der Gegenwart, am besten Horamak,
         der ist nicht sehr jung und nicht häufig auf Fotos zu sehen
         gewesen."
         Nun kam Frau Korthaus zurück, sah die Beiden im Gespräch und
         meinte:" Guten Tag Herr Professor, Sie wollen meinen Mann nicht
         etwa mitnehmen ?" Sie lächelte etwas, als würde sie schon damit
         rechnen. 
         Berg erwiderte:" Ich habe wenig Zeit, ich wünsche Ihnen noch
         einen guten Tag." Korthaus sagte zum Abschied:" Ich kümmere
         mich um die Angelegenheit und rufe Sie an."
         Am anderen Morgen ging Korthaus zu einer nahe gelegenen
         Druckerei. Er bestellte dort im Namen der Konzertdirektion
         Korthaus, die es gar nicht gab, 50 Plakate mit der Schrift:
         "Horamak dirigiert die Berliner Philarmoniker, Beethoven 3.
         Symphonie." Dann ein Seitenprofilphoto von Berg und Angabe von
         Ort und Datum, Vorverkaufsstellen, Preise usw. Leider konnten
         die Plakate erst in fünf Tagen fertig sein. Berg war über die
         Verzögerung nicht glücklich, aber er sah, daß es nicht anders
         ging. Als die Plakate fertig waren, ging Korthaus mit ihnen
         in die Geschäfte der Innenstadt und ließ sie dort aufhängen.
         In der Nähe der Diskothek hingen bald in den Schaufenstern der
         Geschäfte die Plakate. Auch an der Eingangstür der Diskothek
         konnte Korthaus eins aufhängen.
         Es war ein Freitagabend. Professor Berg ging mit Korthaus in
         die Diskothek New York Nr 4. Korthaus hatte am Abend vorher in
         der Diskothek angerufen und mit dem Geschäftsführer abgemacht,
         daß Horamak nicht an der Eingangstür abgewiesen würde, wenn er
         in Begleitung eines Staatssekretärs kommen würde. Die Sicher-
         heitsleute und das Personal der Diskothek waren informiert.
         Korthaus hatte seinen Sohn zum Chauffeur gemacht, der Wagen, ein
         alter Rolls war von einem Freund des Professors in Düsseldorf
         ausgeliehen worden. Als der Wagen vorfuhr, lief einer der
         Türsteher zum Geschäftsführer. Der kam mit dem Chef, der eigens
         erschienen war um die Prominenz zu begrüßen, zum Eingang hinauf.
         Für die beiden alten Herren war ein Stehtisch, andere gab es
         nicht, neben der Theke reserviert worden. Dort wurden sie
         von einer Bedienung nach ihren Wünschen gefragt mit dem Hinweis
         der Einladung durch die Geschäftsleitung. Professor Berg be-
         stellte Sekt. Korthaus trank Cola. Die jungen Leute bestaunten
         die beiden Herren in ihren Faltenhosen und Windjacken. Darunter
         trugen sie Rollkragenpullover. Korthaus hatte dem Professor
         geraten einen langen Schal zu tragen. Weil er zu Hause keinen
         fand, hatte er sich einen roten Schal von seine Enkel mitbringen
         lassen.
         Nach einer Weile ging alles wieder in die Diskothekennormalität
         zurück. Auch der Inhaber verabschiedete sich endlich, nachdem
         er sich davon überzeugt hatte, nichts Wesentliches falsch gemacht
         zu haben. In den folgenden zwei Stunden bekam der Professor
         
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         mehr und mehr Geschmack am Sekt. Er wurde etwas schwerfälliger
         und sprach später leicht verwirrt:" Korthaus, der Wein ist
         berauschend." "Es ist Sekt", widersprach dieser.
         "Wie dem auch sei, b e r a u s c h e n d." Dann sah er den
         Diskjockey an und sagte mit stolpernder Zunge:" Der Junge ist
         ein schmaler Redner, es fehlt der Redefluß." Durch den Lärm
         hatte Korthaus nur den "Fluß" verstanden. Er sagte:" Fluß ?,
         hier ist kein Fluß." Berg verstand wiederum "kein Fluß" und
         faßte dies als Bestätigung seiner Ansicht auf. Er straffte sich,
         wankte zum Diskjockey, fädelte sich hinter dessen Pult und
         meinte:" Junger Mann, ich werde Ihnen das einmal zeigen." Er
         griff zum Mikrofon, der Diskjockey zog es beiseite, aber Berg
         packte es mit dem Geschick begnadeter Betrunkener am Kabel
         und hatte es dann in der Hand, zwar verkehrt herumn, aber es
         reichte. Er begann:" Als nächstes das Lied:" Aenchen von Tarau,
         von 1921 oder... nein, 1882." Er hob seine Stimme und in das
         Schlagzeuggedröhn des Tecnostückes sang er:" Aenchen von
         Tarau mein Gut und meine Welt, Du bist mein alles..." Korthaus
         hatte endlich das Mikrofon an sich gerissen und den
         schwankenden Berg weggezogen. Die jungen Leute standen zunächst
         irritiert, dann pfiffen einige, aber Korthaus klatschte einfach
         los. Die Mädchen neben ihm klatschten auch und bald klatschten
         fast alle, so wie fast alle rennen, wenn est einmal einige
         rennen. Die Sicherheitsleute waren herangekommen, aber das
         Klatschen der Leute und die Entfernung des Professors durch den
         an ihm ziehenden Korthaus ließ sie inne halten. Korthaus
         sagte:" Es ist gut Professor, lassen Sie uns gehen." Dieser
         kam aber in Fahrt:" Ein Offizier der ersten Armee weicht nicht
         zurück, mein Freund.." Dabei stolpete er, Korthaus fing ihn
         noch einmal auf, aber er wackelte dabei selbst bedenklich.
         Ein schwarzer Sicherheitsman hatte Erbarmen, er stützte die zwei
         Uralten und geleitete sie zum Ausgang. Dort halfen der Geschäfts-
         führer und zwei andere Sicherheitsleute den beiden Alten in den
         Rolls. Als sie endlich darin saßen, machte Korthaus "Puh", ließ
         die Luft heraus und sprach zu seinem Sohn:"Gerade nochmmal
         gut gegangen." Dann erzählte er ihm, was vorgefallen war.
         Der Sohn lachte sehr laut, sodaß der Professor, gerasde beim
         Einnicken, hochschnellte und fragte:" Was ist, was ist ?"
         "Es ist alles bestens Professor Berg, wir bringen sie nun
         nach Hause."
         
         
         Es war dunkel geworden. Korthaus hatte im Turm auf dem Tisch
         vor dem Lampenprisma dutzende Halmafiguren aufgebaut.
         "Jetzt bist du dran, sagte er zu Berg." Der nahm seine grünen
         und gelben Figuren zurück. "Also Frontverkürzung", kommentierte
         Korthaus. Dann zog er mit seinem Kugelschreiber in der rechten
         einen Bogen über die Ansammlung der gelben Steine von Berg.
         "Bombenteppich über die Truppenverdichtung, bumm ! aus !"
         Berg sagte:" Du hast gewonnen. Ich habe die Luftwaffe vergessen".
         Korthaus erwiderte:" Zu deiner Zeit war die Luftwaffe noch nicht
         so bedeutend, es ist klar, daß du sie nicht berücksichtigt hast." 
         Berg meinte:" Ich müßte besser aufpassen, denn seit 1944
         entscheidet sie fast jeden Krieg." Die beiden Alten traten
         vom Tisch zurück. Draußen regnete es, an Beobachtung des Himmels
         war nicht zu denken.
         "Heute hat mir der Krawitsch Verlag wieder eimal geschrieben,
         sagte Korthaus und fuhr fort: "Ich habe wieder mit meinem
         
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         Formblatt 2 geantwortet". Der Professor lachte:" Ich weiß...:
         Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Die Verhandlungen mit
         den anderen Interessenten sind noch nicht entschieden usw." 
         Korthaus ergänzte: "Sie sollen warten bis sie schwarz werden.
         Ich habe von 1922 an solcher Art Briefe von den Verlagen
         erhalten. Jetzt bekommen sie es von mir zurück mit solchen
         Wartebriefen. Es ist immer wieder befriedigend ihnen in gleicher
         Weise zurückzuzahlen." "Wie lange warten sie schon ?" Korthaus
         meinte:" Der Krawitsch Verlag wartet seit 12 Monaten, der
         Sohlkamp hat bis zur Absage 13 Monate warten müssen." 
         "Aber du wolltest einmal berühmt werden !", stellte Berg fest.
         "Wer will das nicht. Das wächst aber raus, wenn man lang genug
         lebt." "Oder es bleibt immer. Mein früherer Kollege Wiesenhoff
         ist neunzig Jahre alt geworden. Als er von Oslo einen Brief
         erhielt, bekam er einen Herzschlag, weil er glaubte, er würde
         für den Nobelpreis vorgeschlagen."
         "Und was war es für ein Brief ?", fragte Korthaus.
         "Es hatte mit Schwedenmöbeln zu tun, sie wollten sich von ihm
         ein Gutachten mit Portraitfoto machen lassen, zu Werbezwecken."
         "Jeder will natürlich ewig leben. Wenn man das durchschaut, will
         man in seinem Ruhm ewig leben. Man wird bescheiden, es reicht
         zu denken, als Toter würde ein Regal in jeder großen Bibliothek
         mit seinen Werken gefüllt sein, und es würde zitiert: Nach
         Korthaus ist die Wahrnehmung ein Prozeß...."
         "Ach, ich bin froh, daß ich so nicht mehr denken muß, aber es
         ist doch verführerisch sich vorzustellen, man würde als Geist
         im Äther schweben und sehen, wie auf der Erde der eigene Name
         mit Ehrfurcht genannt wird."
         "Sie müssen irgend einen Namen nennen, das ist der Haken dabei.
         Der Besondere ist ebenso austauschbar wie das Massenprodukt
         Mensch", meinte Berg und fuhr fort: "für Schopenhauer ist das
         alles nur ein Schimmelbelag auf dem Häufchen genannt: Erde.
         Es interessiert uns nicht besonders, ob irgend eine Küchenschabe
         einen dreifachen Rückwärtssprung erfunden hat. Was sollte bei
         uns anders sein ?"
         "Aber wir haben doch nicht umsonst gekämpft um unser Selbst-
         bewußtsein in jungen Jahren."
         "Gewiß nicht, wir haben gerungen und festgestellt, daß wir
         nur selbst uns etwas bedeuten können. Wir sind allerdings
         von uns selbst am Schwersten zu überzeugen."
         Korthaus sagte:" Dann am Ende, sieht es so aus, als habe sich
         nichts getan. Aber wir können uns dann schließlich selbst etwas
         bedeuten."
         "Das ist vielleicht überall im Kosmos so. Zuerst ist nur ein
         Gasnebel da, diffus und ohne Bedeutung, sogar ohne irgendwas.
         Dann ballt sich etwas zusammen, erhitzt sich und eine Sonne
         wird geboren. Die weiß aber nichts davon, daß sie einmal gar
         nichts war."
         "Das ist ein schönes Beispiel", meinte Korthaus, "Das Ich
         entsteht und weiß nicht mehr, wie es war, als es noch nicht
         da war."
         "Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Weißt du, wie es vor
         deiner Geburt war ?!"
         
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         Eine Weile lang sagten die Beiden nichts mehr. Korthaus dachte
         angestrengt nach, dann sagte er:" Ich habe jahrelang nach
         einer vollkommenen Lebensweise gesucht. Vieles habe ich
         ausprobiert. Es gibt bessere und schlechtere Lebensarten,
         aber keine Vollkommene. Immer bleibt ein unauflöslicher
         Rest, etwas das sich der Regel, der Vernunft sperrt. Ich
         habe sehr lange gebraucht um den Sinn dieser Unvollkommenheit
         zu erkennen. Wir brauchen sie zum Weiterleben. Es ist der
         letzte Stachel der Notwendigkeit, der zugleich das Leben not-
         wendig macht, das Überleben wie auch das Weiterleben."
         Berg meinte:" Klingt das nicht sehr pessimisrtisch ?"
         "Zunächst schon. Wir neigen alle mehr oder weniger zum Extrem.
         Es kann leicht in ein Gegenextrem umschlagen, sodaß jede
         Besserung der Lebensart als eine Illusion erscheint. Es
         bleibt aber sinnvoll etwas besser einzurichten, zu leben und
         zu erkennen."
         Berg sagte:" Das ist die eine Seite, aber auch schon die
         halb vollkommene Lebensweise ist gefährlich. Stell Dir
         eine geordnete Gesellschaft vor, in der die Konkurrenzkämpfe
         temperiert verlaufen, Überbevölkerung und Unterbevölkerung
         keine Probleme sind, eine Welt ohne Streit und Katastrophen.
         Vielleicht wird auch das Wetter eines Tages nach Wunsch
         geregelt. Eine solche Menschheit wird doch erschlaffen. Wenn
         wir die halbfertigen Zivilisationen sehen, wo die Völker
         ermüden, so müßten sie in der vollkommenen Zivilisation
         endgültig entschlafen. Das ist ein unangenehmer Gedanke."
         "Vielleicht brauchen wir irgendwann einen Zoo für die wilden
         Gefühle, so wie heute die wilden Tiere einen Zoo brauchen zum
         Überleben."
         "Bei solchen Gedanken frage ich mich, ob wir nicht zu alt
         geworden sind um so weit in die Zukunft zu sehen", meinte Berg.
         Korthaus straffte sich und sagte energisch:
         " Das paßt ganz und gar nicht zu einem Offizier der
         kaiserlichen Armee. Hat sich Deine Welt umgedreht und das
         Schicksal nun Dich in der Hand ?"
         Berg mochte nicht gleich auf das Spiel von Korthaus eingehen.
         Dann besann er sich und sprach:" Du hast recht. Das was uns
         hervorheben kann vor anderen Tieren ist unser Schicksal selbst
         zu machen und die Dinge so einzurichten, daß sie mit ihren
         Widersprüchen nebeneinander stehen und uns doch nicht
         unterkriegen. Es gibt in der Verdauung des Fleisches einen
         solchen chemischen Mechanismus. Das Fleisch welches wir essen,
         müßte im Magen und Darm Leichengift entwickeln. Aber diese
         Stufe der Giftentwicklung wird von uns überlistet und umgangen
         obwohl sie unausweichlich ist. Vielleicht ist dieser Gedanke,
         daß wir Chaos im geschichtlichen Weltlauf brauchen einmnal
         wirklich überholt und wir leben dennoch weiter."
         "Das könnte sein. Außerdem ist die Notwendigkeit eine listige
         Dame. Nachdem wir der Not des Hungers entgangen sind, tritt
         die Not der Seele auf. Wir werden neue Nöte erfinden, wenn die
         alten bewältigt sind, denke ich."
                 Berg hob plötzlich seine rechte Hand und sagte:
         " Das ist es, die neue und die größte Not."
         Korthaus hatte nicht verstanden, was gemeint war.
         Berg sah den fragenden Blick und sagte:" Es ist eine immer
         wiederkehrende Reihenfolge: Überlebenskampf, Sicherheit, Über-
         fluß, Kunst, Decadence, Untergang. An den Übergängen vom
         
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         Überfluß zur Kunst und Decadence tritt die Phantasie auf und
         die Sehnsucht nach einer großen Erpution der Empfindungen.
         Die Musik, der Tanz, die Orgien sind alles Ansätze in denen
         diese Sehnsucht gestillt wird. Aber erst jetzt ist es möglich
         weiter zu gehen." 
         Korthaus versuchte in den Gedanken einzusteigen, er sagte:
         "Du meinst die Verbindung von Realität und Traum, Phantasie
         und Wirklichkeit ?!"
         "Das sind die nächsten Höhenpässe, die erreicht sein wollen.
         Ich habe ein Bild vor Augen: Wir suchen im Erlebnis, im
         Anderen in der Landschaft, der Fremde, im Univesum. Wir wissen
         nicht, was wir suchen, aber wir fühlen die Sehnsucht.
         Wenn es einmal so weit kommt, daß wir selbst uns überall
         sehen und fühlen, alles kreativ aus uns herausbringen, wie die
         großen Kompositionen, wenn der gelungene Andere und die
         Landschaft uns Material sein können wie die Noten dem
         Komponisten.... Aber die Welt nicht in sich aufzusaugen und
         ihrer Form zu entkleiden, das Objektive als Tat des Subjekts 
         zu erleben und doch es anschauen zu können wie die Fremde
         aus großer Distanz... alles zu sein und nichts..."
         Korthaus hatte unmerklich sein Verständnis signalisiert, eine
         feine Bewegung des Kopfes. Er ging an die Ballustrade und sah
         auf das Meer hinaus.
         Korthaus war in ein Fastfood gegangen. Er hatte eine
         amerikanische Windjacke an und ein Kappi aufgesetzt wie sie die
         Gettojungen in New York tragen. Eine schöne junge Frau setzte
         sich zu ihm an den Tisch. Korthaus lächelte sie an. Sie sah
         etwas irritiert zurück. Korthaus wollte die Situation entspannen,
         er sagte:"Sie sehen der Leonore Baker sehr ähnlich in ihrem Film:
         "Der Verräter". Die junge Frau sah ihn an und sagte:" So".
         "Sie werden den Film vielleicht nicht kennen, es ist ein Stumm-
         film von 1920. Die Dame, die Ihnen gleicht, sitzt in einem
         Bostener Straßencafe, fast so ein Laden wie dieser, sie trinkt
         Cola und wartet auf ihren Freund". Die junge Frau hatte zugehört
         und fragte: "Das war damals schon so wie heute ?"
         "Ja, Amerika war 1920 schon so wie es hier heute ist, aber
         natürlich ganz anders. Und in Gedanken sprach er wie zu sich
         selbst: "Ich sollte den Film noch einmal drehen." 
         Die Frau, die beim näheren Hinsehen nur relativ zu Korthaus         
         jung war, hatte bei dessen letzten Satz unmerklich gelächelt.
         Nun sagte sie:" Sie filmen ?"
         "Früher einmal, aber die Kamera liegt im Schrank und kann
         jederzeit wieder eingesetzt werden."
         "Was für Filme haben Sie gedreht ?"
         "Als Kameramann war ich bei "Casablanca" und "Der versteinerte
         Wald" dabei. 
         "Die alten Bogard Filme", warf die Frau begeistert dazwischen.
         "Regie habe ich später in: "Der Tod in Florenz", "Siebzehn" 
         gemacht. Aber das ist lange her, kaum einer kennt sie noch."
         "Wollen  Sie noch einen Film machen ?"
         "Ich dachte schon, einen Spätfilm. Aber es ist noch nicht so
         weit." Er trank seinen Kaffee und sah auf den Platz vor dem
         Lokal.
         Dann meinte die Frau:" Wollen Sie nicht vorher noch einen Film
         machen, vor dem Spätfilm ?"
         "Haben Sie eine Idee ?", fragte Korthaus, und seine Augen
         belebten sich.
         
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         "Lachen Sie nicht, wenn ich es sage ?!"
         "Aber nein", ich mag verrückte Ideen."
         "Sie ist eher kindlich."
         "Nur zu !", forderte Korthaus sie auf.
         "Ich wollte schon als Kind Gespenst spielen, mit Laaken über dem
         Kopf."
         "Und "Buuu, buuuh" Rufen in einer dunklen Nacht vor einem
         schwarzen Schloß ?", fragte Korthaus.
         "So etwa, - das würde mir sehr gefallen."
         "Dann machen wir es doch !"
         "Bestimmt ?"
         "Bestimmt !, und sofort." Er sah auf seine Uhr uns sagte:" Morgen
         um die gleiche Zeit hier ?"
         "Gern, was soll ich mitbringen ?"
         "Ein Laken mit Löchern für die Augen, eine Kordel zum Festbinden,
         eine Schere... das würde reichen. Ich bringe die Kamera mit, ein
         kleines Drehbuch und das übliche Zubehör."
         "Aber die Anderen ? Soll ich denn ganz allein spielen ?"
         Korthaus überlegte und sagte:" Das wäre möglich, aber das würde
         Monolog bedeuten, viel auswendig zu lernen. Bei Zweien könnte
         etwas Bewegung hineinkommen, ein Gespenst jagt das andere."
         "Oder ein Besucher ist im Schloß, und das Gespenst erschreckt den
         Besucher", meinte sie.
         Das ist noch besser. Ich habe eine Freund, der sollte den
         Besucher spielen."
         "Macht er mit ?"
         "Ich denke schon."
         Am anderen Tag saßen Korthaus und Berg zur verabredeten  Zeit
         in dem Restaurant und warteten auf die junge Frau. Sie hatten
         sich Kaffee geholt und ihre mitgebrachten Sachen abgelegt.
         Draußen war ein stürmischer Regen herangezogen. Berg meinte:
         "Ob die Dame kommen wird, es ist schon über der Zeit."
         "Der Regen wird sie abgehalten haben. Für alle Fälle sind hier
         einige Laaken, die Kamera, zwei Regenschirme."
         "Sie wollen ohne diese Dame anfangen ?", fragte Berg.
         "Natürlich, es wird sowieso nicht beim ersten Mal fertig werden.
         Hier ist ein provisorisches Drehbuch." Er gab Berg die Blätter.
         Professor Berg setzte seine Brille auf und las den Text.
         Da die beiden Herren noch etwas auf die Dame warten wollten,
         konnte Berg sich Zeit nehmen, die Szenen des geplanten Films
         zu lesen. Er hatte unter der Bedingung zugestimmt zu dem Vor-
         haben, daß er seine Monologe in der Rolle des Besuchers bei
         einem alten Gemäuer in der Nähe des Stadtwaldes selbst impro-
         visieren könnte. Korthaus hatte Bedenken gehabt, dann aber
         zugestimmt. Nachdem eine Stunde vergangen war, der Dauerregen
         draußen anhielt, gingen die beiden Herren mit ihrem Gepäck hinaus.
         Die Regenschirme schützen etwas, aber die Füße wurden naß.
         Nach einem fast einstündigen Marsch kamen sie bei dem Gemäuer
         am Stadtwald an. Es sah aus, wie die Reste einer Burg, war aber
         der Rest eines im Krieg zerstörten Hauses. Die Zeit drängte,
         denn die Dämmerung begann bald und die Regenwolken hatten das
         Tageslicht sehr verdunkelt. Korthaus baute seine Kamera auf,
         band zum Schutz den Regenschirm am Stativ fest und zog sich
         ein weißes Laaken über den Kopf. Durch die eingeschnittenen
         Löcher konnte er sehen und atmen. Berg ging als Spaziergänger
         vor dem Gemäuer auf und ab. Nachdem die erste Szene besprochen
         war, ging Korthaus zur Kamera, stellte sie auf automatisches
         
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         Filmen und versteckte sich hinter einer niedrigen Mauer. Berg
         kam nun ins Bild. Er besah sich das Gemäuer und sagte laut:
         " Das ist also das Schloß des berüchtigten Ritters von dem
         Falkenfelsen. Zur Strafe für seine Untaten soll er in einen
         ruhelosen Geist verwandelt worden sein." Mit diesen Worten
         holte er ein Büchlein hervor und las laut vor:" Schloß
         Falkenfels, Sitz des einst berüchtigten Ritters Richard von
         Falkenfelsen, der seine Opfer in ein dunkles Kellerverließ
         sperrte und nur frei ließ, wenn ein hohes Lösegeld gezahlt
         wurde. Eines Tages, so geht die Legende, nahm der Ritter einen
         Knaben gefangen, der mit seiner Kinderfrau im Wald spazieren
         ging. Dieser Knabe war der Sohn eines alten Kriegsgottes, den
         dieser bei einem Erdbesuch mit einer Näherin gezeugt hatte. Als
         dieser Kriegsgott von dem Verbrechen erfuhr, stieg er hinab
         zur Erde und trennte den Ritter Richard mit einem Riß von
         seinem Schatten. Darauf hin verstarb der Ritter und sein
         Schatten wurde zu einem ruhelosen Gespenst. Aufmerksame Besucher
         können es manchmal in der Dämmerung sehen..." Dies war das
         Stichwort für Korthaus, der nun als Gespenst hervorbrach, die
         Arme ausbreitete und mit:" Bu, Buh, bu" auf Berg zurannte.
         Dieser erschrak aber nicht, sondern er klappte seinen Schirm zu,
         legte seinen Hut beiseite und nahm den Schirm wie einen Degen,
         der zur Atacke hochgestellt ist. Er rief:" Mich erschreckst Du
         nicht, ich wede Dich erstechen und als Kugelfang vor unsere
         Geschütze werfen." Korthaus stutzte, er war echt überrascht, 
         aber es war zur Rolle passend. Professor Berg stürmte vor,
         verhedderte sich im Gras und fiel zu Boden. Das Gespenst schrie
         auf und rannte mit fliegenden Laaken davon. Kurz darauf kam
         Korthaus mit abgezogenem Laaken zurück und stellte die Kamera
         aus. Profesor Berg, der wieder aufgestanden war, sah ihn
         fragend an. Korthaus sagte:" Gut, damit ist die erste Szene im
         Kasten, kommen Sie, es ist alles naß. 
         Einige Tage später trafen sich die beiden Herren in einem
         Eiscafe am Markt. Sie bestellten Kaffe, Korthaus begann:
         "Die junge Frau hat nicht bei mir angerufen, ich glaube sie 
         hat kein Interesse an der Filmgeschichte."
         "Oder sie hat Lampenfieber bekommen", meinte Berg. Korthaus
         sann nach, dann griff er sich an den Kopf und sagte:" Es gibt
         noch eine einfachere Erklärung. Die junge Frau kannte mich
         bereits, ich habe es nur vergessen. Ich erinnere mich, es
         war vor etwa 20 Jahren, in einem Cafe am Bahnhof. Ich bin ganz
         sicher, ich hatte sie damals auch für ein Filmprojekt ange-
         sprochen."
         "Und was ist passiert ?"
         "Ich habe sie mitgenommen und geliebt. Der Film kam nie zustande,
         sie war aber nicht sehr enttäuscht. Allerdings konnte sie sich
         nicht mit meinem Ehestand anfreunden."
         Berg staunte und fragte:" War sie diesmal nicht erbost ?"
         "Nein, sie war amüsiert... ich Esel, sie hat sich über mich
         amüsiert und dann einfach sitzenlassen mit meinem Termin."
         "Eine milde Form des Grolls, finden Sie nicht ?", meinte Berg.
         Noch bevor Korthaus antworten konnte, wurde die Aufmerksamkeit
         der Beiden durch eben die Dame gefesselt, von der gesprochen
         ward. Sie kam zur Tür herein. Korthaus sah plötzlich angestrengt
         in seinen Schoß. Berg verstand die Geste und vesteckte sich
         hinter der Zeitung. Die Frau kam schnurstracks auf die Beiden zu,
         schnippte mit einem Finger an der Zeitung und sagte:" Wichtige
         
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         Neuigkeiten ?" Berg stand auf, Korthaus stand auch auf. Verlegen
         gaben sie der Frau die Hand und luden sie ein Platz zu nehmen.
         Sie entschuldigte sich mit den Worten:" Ich war leider vergrippt
         am letzten Dienstag. Ich konnte nicht kommen !"
         Korthaus hatte sich gefangen. Der Gedanke, daß sie ihn schon
         vorher gekannt haben könnte, war verflogen, aber er hätte
         gern auf der Stelle nachgegrübelt warum seine Erinnerung ihn
         betrogen hatte. Er neigte auch etwas zur Furchtsamkeit, denn
         es ist nicht selten, daß in dem hohen Alter in dem die beiden
         Freunde waren, Teile des Gedächtnisses ihre eigenen Wege gehen.
         Es kam nun ein Gespräch zustande mit der üblichen Konversation.
         Korthaus mochte nicht noch einmal umsonst auf die Frau warten
         um eine Szene zu drehen. Deshalb sagte er so nebenbei." Ich
         habe das Projekt verschoben, obwohl ich gerne diese Gespenster-
         geschichte machen würde. Es geht aber in nächster Zeit nicht."
         Die Frau bedauerte dies sehr. Korthaus vertröstete sie auf das
         nächste Frühjahr. Dann versandete allmählich das Gespräch, und
         die Beiden verabschiedeten sich unter einem Vorwand von der
         Frau. Vor dem Cafe sagte Korthaus:
         " Ich begleite Sie noch etwas."
         "Wollen Sie die Dame nicht mehr mitspielen lassen ?", fragte
         Berg. Korthaus erwiderte:" Wir machen das besser. Aber es
         kommt ja auch nichts zustande, wenn wir uns auf die Dame ver-
         lassen würden. Wenn sie nicht eine Heirat in der Ferne sehen,
         sind sie nicht sehr motiviert."
         "Dann haben Sie also ein Attentat auf mich vor, ich werde
         endgültig zum Gespenst !"
         "Der Anfang war recht überzeugend", meinte Korthaus.
         "Sie haben Recht, unsereins ist ja schon nah an der Sache
         dran. Als Gespenster sind wir mühelos zu verkaufen."
         "Das haben Sie gesagt, Professor !"
         In einer der folgenden Nächte waren die Beiden wieder in den
         Turm gegangen. Berg saß am Fernrohr. Er sagte:" Es ist nicht
         viel zu sehen. Sieh die Wolken, sie ziehen immer wieder in das
         Blickfeld. Korthaus dachte an etwas Anderes, er sprach:" Du
         wunderst Dich noch immer über meine Aktionen, diese manchmal
         albernen Spielereien."
         "Was meinst Du?"
         "Die Gespenstergeschichte."
         "Nein, ich wundere mich nicht mehr. Seit ich Dich kenne machst
         Du Happenings, Filme usw. Ich bin auch nicht so wenig inter-
         essiert, wie es erscheint."
         "Ohne die Kunstwerke wären wir alle nicht mehr da, seit einigen
         Millionen Jahren wären wir ausgestorben."
         "Interessant, ein neuer Radikalismus Deiner Theorie. Heute
         sagt man ja Fundamentalismus."
         "Keineswegs, ich habe es immer so gesehen. Aber es gibt neue
         Aspekte, die es leichter machen. Die Kometeneinschläge der
         letzten Millionen Jahre haben vielleicht die Phantasie der
         Menschen angeregt. Stell Dir vor, es haben immer wenige über-
         lebt. Im Dschungel und in der tropischen Savanne erging es
         unseren Vorfahren ebenso wie den Affen. Sie machten nach den
         Katastrophen weiter wie vorher. Aber die Kältegebiete, die
         Eiszeiten, man mußte Vieles erfinden, phantastisch werden um
         zu überleben."
         "Phantastisch ?", meinte Berg.
         "Es ist phantstisch auf die Idee zu kommen einem erlegten
         
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         Bären das Fell abzuziehen und es selbst anzuziehen. Es muß
         so gewesen sein, unsere Kleidung und das Überleben kamen daher."
         "Und die Kunst ? Was meinst Du woher die Kunst kam ?"
         Korthaus meinte:" Vielleicht aus zwei Quellen. Die eine ist die
         Herstellung von Bekleidung, Behausung und Bewaffnung.  Der
         Verfremdungseffekt jedes Kunstwerkes muß früher einmal beim 
         ersten Hüttenbau aufgetreten sein. Die ersten Behausungen waren
         in ihrer Wirkung vielleicht so wie heute die großen Skulpturen.
         Die zweite Quelle ist die Religiösität, also ein psychischer
         Überlebensmechanismus, zusammengesetzt aus Projektionen und
         phantastischen Halluzinationen."
         "Damit habe ich meine Schwierigkeiten", meinte Berg und fuhr
         fort:" Ich kann mir nicht vorstellen wie die Religiösität zum
         Überleben beigetragen hat."
         "Zuerst gab es die Gestalten wie sie in den Pharaonen zu finden
         waren: Selbst Gottheiten. Es waren Charakteren, die abgehärtet
         waren und nicht vor jedem Feuer davonliefen wie die Tiere es
         selbstverständlich tun. Aber zum Überleben mußten viele
         Menschen in einem Stamm eine solche Härte erwerben. Aber wie
         sollte das möglich sein ? Es konnte nur einen Häuptling geben,
         im besten Falle zwei, neben ihm noch den Medizinmann. Also
         wurde der Gott projeziert in eine jenseitige Sphäre, sodaß
         der Konkurrenzkampf eines Jeden gegen Jeden um den Vorrang
         nicht mehr ständig notwendig war."
         Berg nickte und sagte:" Aber es sind später die Lebensvernein-
         enden Religionen hochgekommen, fast überall auf der Welt, etwa
         vor drei bis fünftausend Jahren."
         "Sie regulieren die Bevölkerung. Man kann an der Stelle des
         Zeitrahmens auch die Bevölkerungsdichte zum Vergleich nehmen.
         Die lebensfeindlichen Religionen verteufeln den Sex und
         erreichen damit eine Hemmung bei der Vermehrung."
         Berg meinte skeptisch:" Heute leben fast 6 Milliarden Menschen,
         der Mechanismus scheint nicht zu funktionieren."
         Korthaus erwiderte:" Ich denke er hat sehr lange funktioniert.
         Die moderne Bevölkerungsexplosion findet vielfach in Gebieten
         statt, wo die lustfeindlichen Religionen noch nicht tief
         verankert sind. Außerdem fällt in Europa die Bevölkerungs-
         explosion ungefähr mit der Aufklärung zusammen. Die Religionen
         sind verblaßt, die Traditionen geschwächt, es entgleist alles.
         Aber es ist nur ein vorübergehender Effekt. Heute geht in
         Westeuropa die Stammbevölkerung wirklich zurück und zugrunde.
         Wir haben eine Art säkularisierter Lustverneinung oder besser
         Lustverlagerung. Wo früher die Angst vor der Sünde war ist heute
         die Angst vor dem Konsumverlust und der Geschlechtskrankheit."
         "Ein schönes Schema", sagte Berg,:"fast zu schön um wahr zu
         sein."
         "Du meinst, ich überzeichne es ?"
         "Nein, die Stellung der Kunst, der Phantasie und der Produktion
         sehe ich auch so, aber die Religionen ? Ich denke auch ohne
         die Religionen ständen wir heute dort wo wir sind. Es gibt ja
         Aufblähungen und Ermüdungen überall im Tierreich. Jede Infektion
         kennt eine explosionsartige Vermehrung der Bakterien und ihr
         langsames oder rasches Eingehen."
         "Es ist auch eine Frage, welche Rolle spielt das Bwußtsein im
         Laufe der Generationen."
         Berg meinte:" Das ist eine kaum zu klärende Frage. Einerseits:
         Wir könnten uns ohne dieses Bewußtsein nicht am Leben erhalten,
         es ist mit seiner Technik und Kunst so wichtig wie die Lunge
         und das Herz. Andererseits gibt es viele Parallelen im Tier-
         
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         reich, Entwicklungen, die der unseren gleichen aber ohne Kultur,
         ohne Kunst und Technik ablaufen."
         Korthaus meinte:" Es gibt auch Pseudomorphosen. Der Beutelwolf
         Australiens, der dem europäischen sehr gleicht und doch kein
         Säugetier ist."
         "Die Rätsel bleiben uns erhalten. Das dämmerte mir schon in
         den zwanziger Jahren als die Einsteinsche Theorie diskutiert
         wurde." Berg wandte sich nun Korthaus zu, sah ihn an und
         fuhr fort:" um zurück zu kommen auf Deine Gespenster. Wir
         müssen etwas machen, am Besten etwas Verrücktes."
         Solche Art der Gespräche reizten Korthaus zum Widerspruch.
         Die Skepsis von Berg gegenüber seinen Theorien gab er gern
         zurück, indem er sich skeptisch gegenüber Berg stellte, ganz
         gleich was der vorher gesagt hatte. Deshalb sagte Korthaus:
         " Etwas Verrücktes ist nicht genug. Das Spielerische kann nicht
         irgend etwas sein. Ich hatte meine Hintergedanken bei der
         Gespenstergeschichte,"
         Diese Art Reaktion war wiederum Berg bekannt. Deshalb meinte
         dieser:" Natürlich, wir werden etwas sinnvoll Sinnloses tun,
         sozusagen etwas Verrücktes Erster Klasse."
         In früheren Jahren der Freundschaft zwischen Berg und Korthaus
         wären an dieser Stelle heftige Reaktionen von Korthaus fällig
         gewesen. Da er aber Berg genau kannte und wußte, daß er selbst
         dessen Reaktion provoziert hatte, ging er auf die ironisch
         spaßige Tour ein und sagte:" Es wird schon werden, laß uns
         nur machen, wir werden die Welt noch verbessern."
         
         Einige Tage waren vergangen. Berg und Korthaus hatten das 
         Drehbuch von Korthaus zu einem Drittel auswendig gelernt.
         Nachdem sie telefonisch einen Termin verabredet hatten,
         trafen sie sich in dem Cafe am Bahnhof. Berg trug die Kostüme
         und einiges Zubehör, Korthaus schleppte das Kamerastativ und
         die Kamera mit sich. Draußen regnete es. Korthaus schlug vor
         in eine alte Fabrikhalle nahe am stillgelegten Güterbahnhof
         zu gehen. Die Beiden marschierten los. Nach etwa einer Stunde
         waren sie dort angelangt. Korthaus stellte bald fst, daß das
         Licht in dem alten Gebäude nicht zum Filmen ausreichen würde.
         Berg sah das aber als Chance:" Wie sieht es denn im Film am
         Ende aus, wenn wir trotzdem hier filmen ?"
         Korthaus meinte:" Es wird alles schwarz sein, bis auf die
         weißen Laaken... Meine Güte, Sie haben Recht ! Es wird
         hervorragend aussehen. Nur die weißen ahnungsweise sichtbaren
         Gespenster." 
         "Dann lassen Sie uns anfangen."
         Korthaus baute die Kamera mit Stativ auf, stellte eine Kiste
         auf und breitete eine Decke am Boden aus. Berg mußte sich
         entsprechend seiner Rolle hinlegen, Korthaus nahm im Laaken
         verhüllt auf der Kiste Platz. Die Kamera wurde eingeschaltet,
         Korthaus begann:" Erzählen Sie mir, was Sie bedrückt."
         Berg als liegendes Gespenst sagte:" Ich habe seit einigen
         Wochen häufig Depressionen, besonders am Tage, ich kann dann
         nicht schlafen, ich bin furchtbar nervös. Ich laufe dann
         unsichtbar durch die Innenstadt. Jedesmal, wenn mir ein 
         hübsches Mädchen begegnet, möchte ich sie anfassen, wage es
         aber nicht."
         Korthaus als sitzendes Gespenst antwortete:" Sie können das
         Mädchen gefahrlos anfassen, Sie sind körperlos. Kommen Ihre
         Depressionen immer dann, wenn Sie nicht wagen es zu tun ?
         
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         Verdrängen Sie vielleicht die Körperlosigkeit ?"
         "Nein Herr Doktor. Meine Depressionen treten immer bei be-
         stimmten Gedanken auf, die nach dem Wunsch es anzufassen
         auftreten."
         "Welche Gedanken sind das ?"
         "Muß ich das auch erzählen."
         "Es ist vielleicht wichtig. Kann  es auch ein bestimmtes An-
         fassen sein, welches Ihre Depressionm weckt ?"
         "Es ist nicht das Anfassen, es sind die folgenden Gedanken."
         "Nun raus damit, Gespenster können alles anfassen und alles
         denken, es hat für die Welt doch keine Bedeutung."
         Berg als liegendes Gespenst sagte, während er sich aufbäumte:
         "Verlangen Sie das nicht, ich kann es nicht!"
         Korthaus als therapierendes, sitzendes Gespenst sagte:" Wie
         lange sind Sie schon bei uns ?"
         "Ich denke zweitausend oder zweieinhalbtausend..."
         "Jahre ?"
         "Tage."
         "Oje, Sie zählen noch in Tagen, Sie sind ja hoffnungslos unab-
         gelöst von dem Toten. So geht das nicht !
         Sie haben nichts zu Denken ! Sie haben nichts Anzufassen !
         Sie haben keine Seele zu haben und keine Gefühle ! Sie haben
         deshalb auch keine Depressionen !"
         "Aber ich fühle doch !", widersprach Berg und bäumte sich
         wieder auf.
         "Schnickschnack, - Sie sind ein Gespenst. Erzählen Sie von
         Ihrer Kindheit und Jugend."
         "Von wann bis wann ?"
         "Vom Beginn Ihrer Erinnerung bis zum 40. Lebensjahr !"
         "Warum ?", fragte Berg.
         "Warum ?, weil Sie ein Lebenstrauma haben. Sie müssen sich noch
         ans Totsein gewöhnen. Fangen Sie an !"
       
         Berg begann nun ausführlich von seiner Kindheit, seiner Schulzeit
         und frühen Jugend zu erzählen. Als die erste Spule des Filmes
         abgelaufen war, unterbrach Korthaus das Spiel und legte eine
         neue Rolle ein. Dabei sagte er:" Ihre Erzählungen werden durch
         eine Schrifttafel erläutert und abgekürzt. Die Tafel werde ich
         später am Schneidetisch einfügen. Haben Sie noch Lust die Szene
         mit der ersten Freundin des depressiven Gespenstes zu machen ?"
         Berg erwiderte:" Vielleicht sollten wir es verschieben. Ich muß
         die Rolle noch besser lernen."
         So kam es, daß die Dreharbeiten für diesen Tag beendet wurden.
         
         Einige Nächte später trafen sich die beiden Freunde wieder
         im Turm. Berg kam sofort auf den Gespensterfilm zu sprechen:
         "Das ist ja recht schön, was Du geschrieben hast. Die frivole
         Rolle des Therapeuten, alle Achtung, wie Dir aus dem Gesicht
         geschnitten."
         "Wie meinst du das ?", fragte Korthaus.
         "Die Begeisterung des Therapeuten alle Details des Liebeslebens
         des Patientengespenstes zu erfahren."
         "Das ist nicht meine Profession", meinte Korthaus etwas gereizt
         und fuhr fort: "Es ist das Themaa. Die Leute leben wie
         Gespenster, wollen alles haben, anfassen, angaffen, aber sie
         können nichts, sie sind wie körperlos."
         "Das ist ein interessanter Gesichtspunkt, so habe ich es noch
         nicht gesehen. Meinst Du nicht, es wird schwer sein, diese
         
         
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         Botschaft zu entschlüsseln ?"
         "Ja, es könnte sein. Ich denke seit Tagen darüber nach, wie am
         Ende das Thema deutlich wird. So wie es jetzt geplant ist,
         könnte es an den  Zuschauern vorbeilaufen, und sie halten es
         einfach für eine kindliche Gespenstergeschichte."
         "Um ehrlich zu sein", meinte Berg:" habe ich es bis gerade
         auch so gesehen, aber ich kannte auch nicht Deine Intention."
         "Dann ist es offenbar so nicht zu machen. Wenn selbst Du, der
         mich gut kennt, nicht das Thema auch nur erahnt, wird es der
         Zuschauer auch nicht erkennen."
         "Ich hätte eine Idee", meinte Berg:" In der letzten Szene müßten
         die Gespenster demaskiert werden."
         Korthaus sann etwas nach, nahm  einen Schluck Tee und sagte:
         "Daran habe ich schon gedacht, aber es erscheint mir schwierig.
         Ich will noch einmal darüber nachdenken." 
         
         Was selten geschah, trat noch einmal ein. Korthaus erschien
         mehr als eine Woche lang nicht mehr im Turm. Berg dachte sich
         nichts dabei. Es mochten Familienangelegenheiten sein oder
         etwas anderes, das war ihm gleich. An einem der folgenden Tage
         trafen sich Berg und Korthaus im Eiscafe am Markt, nachdem sie
         telefoniert hatten. "Da sind Sie ja wieder". sprach Berg
         Korthaus an, der bereits im Cafe saß.
         "Nun ja, -  Mein Nachdenken hat etwas länger gedauert als
         sonst."
         "Da bin ich sehr gespannt", sagte Berg, legte seinen Mantel ab
         nahm Platz und bestellte Kaffee.
         Korthaus begann:" Wir können den Film so nicht weitermachen.
         Das Thema ist viel zu eng gefaßt."
         "Was wollen Sie tun ?"
         "Ist nicht alles unvollendet ?" fragte Korthaus.
         Berg sah ihn fragend an.
         Korthaus erzählte weiter: " Alle vollendeten Geschichten sind
         miserabel, sie geben eine Antwort, die falsch ist. Es ist doch
         alles unvollendet. Nehmen wir die Kinder, Enkel, Urenkel,
         jeder macht etwas anderes als das, was uns bewegt hat. Das
         Unvollendete als Thema würde mich reizen."
         Berg sagte:" Sehen Sie eine Möglichkeit das im Film
         darzustellen ?"
         Korthaus erklärte:"Es ist schon oft versucht worden. Der
         improvisierte Film, der vom Drehbuch immer wieder abweicht und
         die Realität des Filmemachens zeigt zum Beispiel. Aber auch
         der improvisierte Jazz gehört da hin. Die Schriftsteller sind
         da am Schwächsten, sie reden immer von Lösungen und geben den
         Geschichten einen passablen Schluß."
         "Und das wollen Sie machen ?", fragte Berg.
         "Es wäre etwas zu weit gefaßt als Thema, aber ich habe noch
         eine andere Idee. Wir unterhalten uns so wie bisher und setzen
         das an das Ende der Gespensterszene."
         "Aber sind wir nicht in der Gefahr uns dann selbst zu erläutern
         und selbst zu kommentieren ?", fragte Berg.
         "Daran habe ich gedacht, es ist alles einbezogen."
         "Verraten Sie es mir ?"
         "Später, haben Sie noch etwas Geduld."
         
         Die Bedienung brachte noch einen Kaffee für Korthaus. Dieser
         sagte dann:" Ich habe noch etwas gelernt, was ich bereits
         wieder vergessen hatte: Kunst wird als Illustration schlechte
         Kunst, zumindest nicht besser als eine einfache Erklärung."
         
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         "Wie kommen Sie darauf ?"
         "Unsere Gespenstergeschichte. Ich hatte ein klares Thema, das
         aber zur Aufklärung gehört."
         "Aber Kunst klärt auch auf", widersprach Berg.
         "Ja, gewiß, aber das Kunstwerk ist dort am Besten, wo es
         etwas sagt oder aufklärt, was durch Erläuterung und Erklärung
         nicht so gesagt werden kann. Sie verhilft vielleicht dem
         Sprachlosen zu Wort."
         Berg meinte:" Wollen Sie denn ihr erstes Thema noch retten ?
         Und meinen Sie unser Gespräch kann das leisten ?"
         "Nein, das kann es so wenig wie die Gespenstergeschichte.
         Ich muß mich von meinem ersten Thema ablösen. Es ist etwas
         Anderes, an das ich denke, welches sich mit der Gespensterszene
         und unseren Gesprächen ausdrücken läßt."
         "Sie machen mich neugierig Korthaus. Es wäre ja seltsam
         wenn unser Gespräch, welches ja praktizierte Aufklärung ist
         oder Philosophie, dazu taugen würde ein Artefakt zu werden."
         "Sehen Sie, ich denke, zwei Personen in einem filmischen
         Versuch oder einem Gespräch, leben in einem sehr speziellen
         Raum. Der Raum überschreitet sowohl die gefilmte Szene wie
         auch den Inhalt des Gesprächs."
         "In jedem Fall ?", fragte Berg.
         "Nicht in jedem Fall hinterher deutlich. Faktisch ja, aber im
         endgültigen Produkt ist es unterschiedlich. Der illusionäre Film
         will nur sich selbst und seine imaginierte Welt. Der Raum
         um ihn herum stört da sehr. Er wird möglichst perfekt ausge-
         blendet. Man würde die Stützstreben der Kulissen auf keinen
         Fall zeigen, es soll ja echt aussehen. Anders, wenn das Produkt,
         also der Film den gesammten Raum zeigen soll, einschließlich
         das Umfeld der Produktion."
         "Ich verstehe. Aber, sagen Sie, was könnte das für ein Thema
         sein ?"
         "Ich schlage vor, ich verrate es nicht. Wir sehen uns am
         Ende unser Produkt an und Sie sagen mir ob das Thema für Sie
         deutlich wird. Wenn es nicht zu Ihnen spricht, habe ich es
         auch nicht getroffen."
         "Wir könnten es versuchen."
         Nun winkte Korthaus in eine entfernte Ecke des Cafes, der Sohn
         von Korthaus stand auf und kam mit einer Kamera auf der
         Schulter heran.
         Berg sagte erstaunt:" Das war Ihre Überraschung ?"
         Korthaus erwidere:" Er hat uns gefilmt. Ich bin davon aus-
         gegangen, daß Sie es nicht unangenehm finden werden."
         "In meinem Alter...", sagte Berg, und Korthaus unterbrach ihn
         mit einem schalkhaften Grinsen:" und als Offizier der kaiser-
         lichen Armee.."
         "Korthaus !", sagte Berg streng und amüsiert:" Der junge Mann
         kann doch damit nichts anfangen." 
         
         "Aber ganz im Gegenteil", meldete sich Korthaus Sohn zu Wort,
         der auch nur relativ zu Berg jung war. Immerhin erhielt er
         schon seit drei Jahren eine Rente. "Mein Vater", begann
         Korthaus Junior, "hat erzählt, sie hätten 1914 beim Kaiser
         Wilhelm vorgesprochen und ihm Vorschläge für die bevorstehenden
         Feldzüge gemacht. Wie war das ?"
         Berg sah auf und antwortete:" Ganz so war es nicht. Ich habe
         nicht beim Kaiser vorgesprochen. Es war so.." Berg nahm seinen
         
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         Kaffee, trank einen Schluck und fuhr fort:" Ich war damals ein
         nicht mehr ganz junger Oberleutnant der Infanterie. Im Auftrag
         des Stabschefs des 14. Regiments der Würtemberger, sollte ich
         eine unbedeutende Nachricht überbringen. Die Herren Offiziere
         des Hauptquartiers in Berlin waren alle zum Essen gegangen. Ich
         lief ziellos auf dem Flur herum und wurde von einem Mann
         angesprochen. Ich wußte nicht, daß es der Kronprinz war. Er
         nahm mich mit in einen Konferenzsaal. Dort waren der Kaiser,
         Falkenhayn und eine Reihe hoher Offiziere. Es gab Meinungs-
         verschiedenheiten. Plötzlich sagte einer:".. Das kann doch ein
         kleiner Leutnant schon begreifen, daß es so nicht geht !"
         Der Kaiser sah mich und sprach:" Da ist ja ein Oberleutnant !"
         Und zu mir gewandt:" Was halten Sie davon." Er zeigte auf eine
         große Europakarte. Dort war der Aufmarschplan des kommenden
         Krieges zu sehen. Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien,
         in Polen usw. Das ist ja alles bekannt. Ich war verdattert.
         Der Stabsoffizier neben dem Kaiser sagte: "Nur zu, sprechen
         sie ohne Vorbehalt !" Ich sammelte mich, und da ich den Plan
         in den Grundzügen schon aus den Planspielen der Offiziers-
         lehrgänge kannte, antwortete ich mit bangem Gefühl:" Wenn Ihre
         Majestät erlauben, das ist sehr gefährlich. Der Einmarsch in
         Belgien zieht die Briten in den Krieg und damit auch die
         Amerikaner. Der Osten ist kein Problem, aber der Westen ist
         eine große Gefahrenquelle."
         Die Herren im Saal erstarrten. Ich fürchtete, man würde mich
         vor ein Kriegsgericht stellen. Ich empfand meine Äußerungen als
         anmaßend und bereute sie im gleichen Augenblick, da ich sprach.
         Der Kaiser nahm es aber gnädig auf und fragte:" Wie würde das
         unser Oberleutnant denn lösen." Da ich merkte, daß mir nichts
         Übles bevorstand, antwortete ich:" Wenn Ihre Majestät erlauben,
         meine Ansicht habe ich von Moltke gelernt, es ist nicht mein
         Verdienst es so zu sehen." "Nur raus damit !", munterte mich
         der Kronprinz auf. Ich sprach also weiter:" Frankreich wird
         eine passive Abwehrfront auf deutscher Seite nicht angreifen.
         Wenn der Krieg im Osten gewonnen ist, wird Frankreich ohne
         Krieg zu führen Verträge mit Deutschland abschließen."
         "Und Elsaß Lothringen behalten ", fuhr ein hoher Offizier
         ziemlich aggressiv dazwischen. Ich weiß nicht wer es war und
         habe es nie erfahren. "Interessant ", sagte der Kaiser und
         entließ mich. Ich hatte von dieser Unterredung keine Nach-
         teile. Alles Weitere ist ja bekannt."
         Korthaus junior sagte:" Sie haben also den verlorenen Krieg
         vorausgesehen und es dem Kaiser gesagt, alle Achtung !"
         Berg erwiderte:" So großartig war das nicht. Viele haben es
         so gesehen." "Nicht aber dem Kaiser gesagt !", beharrte
         Korthaus junior. Berg fuhr fort:" Im zweiten Weltkrieg gab es
         so etwas auch. Der Maler Dali hat schon 1939 gesagt, Hitler
         wäre ein Masochist, der unbedingt einen Krieg verlieren will."
         Nun meldete sich Korthaus zu Wort:" Da haben wir die Gespenster
         der Vergangenheit. Das wäre auch etwas für unseren Film."
         Die Herren verabredeten sich für den übernächsten Tag in dem
         alten Fabrikgebäude, in dem bereits die Gespensterszene mit
         dem Therapeutengespenst gedreht worden war. Korthaus junior
         sollte diesmal die Kamera bedienen. Korthaus hatte nämlich
         zu Hause festgestellt, daß die erste Szene des Films nicht
         vollständig aufgenommen worden war. Die Bedienung der Kamera
         
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         durch Korthaus war nicht fehlerfrei gewesen. Kein Wunder, da
         er zugleich auch noch eine Rolle spielen mußte und die Regie
         hatte.
         
         Die drei Herren trafen  sich zur verabredeten Zeit vor dem
         Gebäude. Eine von Wildwuchs eingerahmte Treppe führte in das
         Gestrüpp des Platzes, der bereits fast ganz zugewachsen war.
         Die Kamera war aufgestellt, die Herren Korthaus und Berg
         trugen ihre Laken und es begann: Musik erklang aus einem
         mitgebrachten Kassettengerät. Berg kam von rechts und Korthaus
         von links. Beide tanzten. Sie tanzten nach der Musik, begegneten
         sich, hakten sich ein und drehten sich, allerdings etwas
         wacklig im Kreis. Plötzlich erschien aus den nahen Bäumen
         ein Gespenst mit nicht verhülltem Kopf. Es war die Dame, die
         eigentlich zuerst mitspielen sollte. Sie tanzte also heran,
         schob sich zwischen die tanzenden Alten, faßte sie unter den
         Armem, blieb selbst in der Mitte und hob ihr rechtes, dann ihr
         linkes Bein. Die beiden Herren waren sehr irritiert, machten
         aber das Beste daraus. Vielleicht dachten sie auch, daß Korthaus
         Sohn hier manipuliert hätte. Diese überraschende Wendung des
         Geschehens führte schließlich zum Stoplern von Korthaus. Die
         Dame mit ihren wallenden Haaren fing ihn auf, die Musik endete,
         und Korthaus junior klatschte Applaus. Er war ebenso überascht,
         hatte jedoch geistesgegenwärtig weiter gefilmt. Er dachte
         vielleicht, das Ganze sei ein Einfall seines Vaters gewesen.
         Als die Kamera abgestellt worden war, gingen die drei Gespenster
         zu Korthaus junior. Berg sagte zu der Dame:" Welch eine schöne
         Überraschung." Korthaus meinte:" Schön, daß Sie gekommen sind."
         Die Dame sagte:" Nehmen Sie es mir übel, daß ich hereingeplatzt
         bin ?". "Nein", meinte Korthaus junior spontan:" Es sah hervor-
         ragend aus: Die Fee rettet die alten Gespenster vor dem Sturz
         ins...," "Junge !", sagte Korthaus streng zu seinem Sohn.
         Berg hatte es aber doch gehört und meinte:" Lassen Sie ihn
         ruhig. Das Beste in unserem Alter ist doch der Spaß an der
         Sache."
         "Sie haben Recht", meinte Korthaus. Der Sohn war etwas
         betreten, weil ihm seine Bemerkung nur herausgerutscht war, und
         er nicht überlegt hatte, welche Wirkung sie haben könnte. Die
         Dame rettete die Situation. Sie sagte:" Kommen Sie alle mit zu
         meinem Wagen. Ich habe etwas zum Picknick mitgebracht." Die drei
         Männer gingen also mit zum Wagen. Die Dame packte eine Decke aus,
         die sie auf dem Boden ausbreitete, danach vier Kissen und eine
         Thermoskanne Kaffe. In einer Schale hatte sie belegte Brötchen
         mitgebracht. 
         Als sie dort so saßen, die Sonne hervorkam, hatte Korthaus
         junior die Idee aus seinem Wagen eine Flasche Cognac und
         ein Koffergerät zu holen. Er stellte es auf, machte Musik und
         reichte die Flasche herum. Es war etwas ungewöhnlich für die
         beiden Herren Berg und Korthaus, aus der Flasche zu trinken.
         Berg aber erinnerte sich:" 1916 lagen wir in einem kleinen Nest
         vor Reims. Irgendwer hatte eine Wagenladung Cognac beschlag-
         nahmt. Die Ladung wurde bei jeder Übergabe leichter. Unser
         Regiment behielt 200 Flaschen, auf der belgischen Seite
         verschwand dann bis auf ein Kistchen mit 20 Flaschen der Rest.
         Die Fahrer dieser letzten Wegstrecke zum Hauptquartier hatten
         es nicht leicht, den Verbleib der Wagenladung zu erklären.
         In ihrer Not bestachen Sie den Lagerverwalter, der die Ladung
         
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         in Empfang nehmen sollte mit den restlichen Flaschen. Er
         schrieb dann in seine Liste einen vom Fliegerbeschuß zerstörten
         Wagen. Glücklicherweise war ein fast völlig zerstörtes Fahrzeug
         noch in der Nähe. Die Kameraden schraubten also die Nummern-
         schilder der Wagen ab. Unsere kamen an den zerstörten Wagen,
         die von diesem an unseren intakten Wagen."
         "Das ist nie herausgekommen  ?", fragte Korthaus junior.
         Berg antwortete:" Wir haben nichts mehr davon gehört."
         Im Laufe der nächsten Stunde hob sich die Stimmung der Runde.
         Die Dame bekam Lust zu tanzen, Korthaus junior bekam Lust
         eben das zu filmen. Die Dame packte sich den Professor, beide
         wankten auf die Wiese und tanzten Fox, Twist und allerlei
         aus den 70er Jahren. Korthaus junior baute die Kamera auf.
         Eine Weile lang ging alles gut, dann aber verlor die Dame auf
         einem glatten Löwenzahn die Balance und rutschte nach hinten.
         Berg wollte sie auffangen, war aber selbst zu sehr wankend.
         Korthaus, ebenfals nicht mehr richtungsstabil, stürzte hinzu.
         Dann stürzten alle Drei. Korthaus junior sah wohin der Fall
         ging und wollte mit einem Satz die Kamera vor den Fallenden
         abschirmen, stürzte aber selbst hin und riß die noch surrende
         Kamera zu Boden. Im gleichen Augenblick fielen die Drei oben
         drauf. Es dauerte ein Weilchen bis sich die Vier wieder hoch-
         gerappelt hatte. Die Kamera war voll Gras und Lehm, lief aber
         immer noch. Korthaus junior erkannte die ungeheure Chance. Er
         filmte den Rest der Mannschaft im Getümmel am Boden weiter.
         Es war ein Bild für ein Bilderrätsel: Was ist das ? Liebesakt,
         Aerobic oder letzter Tanzschrei oder sonst etwas. Korthaus
         selbst wollte nicht unbedingt in dieser Lage gefilmt werden.
         Er war noch nüchtern genug sie zu erfassen. Er streckte die
         Arme aus und rief:" Nicht, nein nicht aufnehmen", was der Sache
         einen neuen Reiz verlieh. Nur der Umstand, daß Korthaus junior
         bewußt war, daß die Tonaufnahme ebenfalls noch funktionierte,
         hinderte ihn an einem lauten Gelächter - denn so weit mochte
         er gegenüber den Herrschaften nicht gehen.
  -      Nach einigen Versuchen sich hochzurappeln kamen die Vier wieder
         auf die Beine. Korthaus war bemerkenswert langsam. Das mochte
         daran liegen, daß die Dame mit ihrem üppigen Busen auf seinen
         Knien gelegen hatte. Ihr Kopf war dabei noch etwas näher an
         seiner Tabuzone angelandet. Aber, alles hat einmal ein Ende,
         wie das Sprichwort sagt. Die Vier saßen daher schon bald wieder
         an der Picknickdecke. "Warum machen Sie eigentlich solchen
         Unfug ?", fragte die Dame. Dabei lächelte sie wie einer, der
         das ganz sympathisch findet. Berg meinte:" Wir tun die
         wichtigste Sache der Welt !"
         "Oh !", meinte sie, "wie denn das ?"
         "Alle Welt ist heute vernünftig. Das begann schon 1871, als
         Bismarck gegen Frankreich ziehen ließ. Dann folgte der ebenso
         vernünftige Feldzug von 1914, und später der etwas weniger
         vernünftige Krieg gegen den Rest der Welt. Heute sind wir über
         alle Zweifel erhaben: Vernünftige Staatsverfassung, vernünftige
         Gesetze, vernünftige Arbeitsplätze, vernünftige Arbeitslosig-
         keit, vernünftige Kunst, vernünftige Familienplanung..."
         Korthaus schaltete sich ein:" Wir sind die letzten Dinosaurier
         der Unvernunft."
         "Sind Sie Anarchisten ?" fragte die Dame.
         Berg antwortete:" Das war eine Mode der 20er Jahre. Übigens war
         das auch eine sehr vernünftige Bewegung gegen die Vernunft der
         Gesellschaft."
         
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         "Dann kamen die Existenzialisten mit ihrer vernünftigen
         Bewegung für die Spontaneität. Sie wurde als Gottheit erkannt,
         die über allen Wassern schwebt", meinte Korthaus.
         Berg sagte:" Es ist enorm  wichtig, die seltenen Tiere zu
         erhalten, das weiß jeder Zoodirektor. Lassen Sie uns noch eins
         darauf trinken!"
         "Oh ja", meinte Korthaus.
         "Vater!", reagierte Korthaus junior mahnend.
         Den berührte es wenig. Die Dame meinte nach einer Weile:
         " Also sind Sie die vernünftigsten Menschen der Welt,
         Sie wollen aus Vernunftgründen die Unvernunft retten."
         "Ja, wir kommen aus diesem Käfig nicht raus, Prosit", damit
         hob Korthaus die Flasche hoch.
         
         Eine tiefe dunkle Winternacht im Turm. Berg saß auf der
         Ballustrade, sah auf das Meer hinaus. Weit draußen tobte ein
         Sturm. Die silbernen Wellenkämme warfen Lichtblitze zum Land
         zurück. Vor dem Turm war Windstille. Wolken schoben sich vor
         den untergehenden abnehmenden Mond. Berg dachte zurück. Er hatte
         sein wahres Alter allen außer Korthaus verschwiegen. Niemand
         außer ihm wußte, daß er damals 1822 mit einem schnellen Segler
         von St.Helena hinweg gesegelt war. Der Tote, den die Getreuen
         ins Grab gelegt hatten, war ein Soldat der kaiserlichen Garde
         gewesen, nicht er selbst. Seine Freunde, die mit ihm über das
         Meer davongeschwebt waren, ruhten lange schon unter der Erde
         von Nordaustralien. Er selbst war bei den Auberigines auf-
         genommen worden und suchte mit ihnen nach jener endgültigen
         Wahrheit, für die die Welt zu klein gewsen war, nach dem
         erleuchteten Satz seines Offiziers in Ägypten:" Mon General Sie
         sind groß, aber die Welt ist zu klein für Sie."
         Er hatte einen Irrtum erkannt, der gleichwohl notwendig gewesen
         war: Die Menschheit zu vereinen, sollte den großen Schritt
         in den Kosmos ermöglichen. Der Schritt war mit der Mondfahrt
         begonnen, - aber das Universum wird im Einzelnen geboren.
         Als der erste Weltkrieg begann, war er auf seinen Segler
         gestiegen und nach Frankreich zurückgekehrt. Kurz vor dem
         deutschen Angriff auf Verdun war er in der Festung eingetroffen
         und hatte als unerkannter alter Mann einige Bemerkungen zur Lage
         gemacht, die von junge Offizieren verstanden worden waren. Und
         Verdun fiel nicht. Dann aber bestieg er wieder seinen Segler und
         fuhr zur dänischen Küste hinauf, später zur Ostsee, wo er diesen
         Turm vorfand, der den Schiffen den Weg wies. Als die deutschen
         Truppen 1940 in Frankreich einmarschierten, bestieg er erneut
         seinen Segler und erreichte als ein unbekannter alter Mann
         Paris. Er gab Ratschläge zur Lage von sich, die von den Generälen
         aufgenommen wurden und dazu führten, daß der französischen
         Nation ein erneutes Blutopfer in der Größe wie das im ersten
         Weltkrieg erspart blieb.
         Aber das Rätsel der Zeit war noch ungelöst, deshalb ging er in
         den Turm zurück, änderte seine Lebensdaten und traf auf
         Korthaus, der ebenfalls eine lange Geschichte hinter sich hatte,
         die älter war, als seine Umwelt ahnte.
         Korthaus kam in der folgenden Nacht in den Turm. Oben im 
         runden Lichtraum, der nun nicht mehr für das Leuchtfeuer
         genutzt wurde, entspann sich folgendes Gespräch. Berg sagte:
         " Du meinst wir sind für die Welt nicht mehr notwendig ?"
         
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         "Ja", erwiderte Korthaus:" Es wächst alles zusammen. Der eine
         oder andere sieht in den Feldzügen von 1796 bis 1815 die
         Vorläufer des Weltstaates, der bald vollendet sein wird, aber
         was sollten wir dazu noch beitragen ?!" Berg runzelte seine
         Stirn und sprach energisch:" Du wirst doch nicht auf einmal
         alt werden ? Natürlich waren die Ereignisse bis 1815 die
         Vorläufer des bald geeinten Eurpoas, aber wir haben noch viel
         zu tun. Glaubst Du denn, es würde mit der gegenwärtigen
         chaotischen Vielfalt der Überbauphantasien der Weltstaat
         möglich werden ? Niemals ! Die Sekten schlagen sich die Köpfe
         ein. Solange dort keine Klarheit ist, gibt es immer nur
         Dompteure und Zirkus, aber keine Weltordnung."
         "Das befürchte ich auch", meinte Korthaus "aber was sollen wir
         tun ?"
         "Das ist sehr einfach. Wir brauchen ein demonstratives
         Individuum, das am Gipfel seines Selbstbewußtseins steht und
         deshalb wieder ins Allgemeine zurück gehen kann."
         "Und deshalb sollen wir verrückt spielen ?"
         "Ich glaube, Du hast einen schlechten Tag", meinte Berg und
         sprach weiter:" Deine Vorliebe für die Stoiker ist Dir nicht
         gut bekommen. Nietzsche hat ja vor diesen Gelüsten gewarnt."
         "Dann soll ich also weitermachen, so frei drauf los wie 1742
         oder 1866."
         "Na ja, es ist schwieriger geworden", meinte Berg " wir müssen
         nun in uns realisieren, was früher ganze Staaten taten."
         "Manchmal denke ich, Du hast Recht", erwiderte Korthaus.
         "Das ist eben zu wenig: manchmal. Dein kleines Preußen war
         immer schon Dein Problem."
         "Du hast gut reden mit Deinen Erfolgen von Ägypten und
         Italien."
         "Ich schlage vor, wir machen Deinen Film fertig. Ich bin schon
         gut hineingewachsen in die Gespensterrolle."
         Korthaus wirkte nun etwas weniger bedrückt. Seine Augen blitzen
         bereits wieder etwas. Dann sagte er:" Wenn Du meinst, das
         wäre ein Weg zur Selbsterkenntnis, - gut, wir machen weiter."
         Auf einem alten Fabrikgelände geschahen bald darauf merkwürdige
         Dinge. Nach Bergs Ideen wurde das Drehbuch für den Gespenster-
         film erheblich geändert. Berg hatte argumentiert, daß der
         individuelle Ansatz, der mit der Therapeutenszene begonnen
         worden war, für das Publikum umkippen würde in ein Gesell-
         schaftsdrama. Deshalb, meinte Berg, sollte besser umgekehrt eine
         Schlacht inszeniert werden, die dann ebenso umkippen würde und
         das Individuum zeigen könnte. Er dachte dabei natürlich an die
         nachnapoleonische Philosophie, die in  der Tat die großen
         europäischen Kriege in individuelle Größe transformiert hatte.
         Korthaus hatte zunächst Einwände. Er verwies auf den Satz
         Napoleons: "Wenn Schwert und Geist aufeinander treffen, dann 
         siegt der Geist."
         Aber Berg wandte ein, daß hier der Krieg der Gespenster schon
         durch das Arrangement deutlich werden würde als Krieg der
         Ideologien. 
         Auf dem Fabrikgelände waren zwei große Abteilungen von
         Statisten in weißen Laken als Gespenster aufgestellt. Die Sonne
         schien warm und es fluchte der eine und andere unter der warmen
         und völlständigen Kopfbedeckung. Berg hatte den bekannten und
         geschätzten Regisseur Windhammer für das Projekt gewonnen.
         Korthaus seinerseits konnte den großen Kameramann Schwetzfuß
         
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         gewinnen. Dem Regisseur und dem Kameramann waren allerdings die
         Führung einer Schlacht unbekannt. Berg hatte einige erklärt.
         Als die ertste Szene begann war Korthaus noch im Hintergrund,
         Berg in einer künstlichen Höhle am Rand des Geländes. Ihr
         Auftritt war etwas später geplant. Es gellten Kommandos über
         den  Platz:" Zum Angriff!  Siebtes Reiterregiment vor!"
         Auf der anderen Seite :" Kanoniere Batterie Drei feuern". Der
         typische Theaterdonner begann. Aber noch bevor sich die Schlacht
         entfalten konnte, stürzte Berg in größter Erregung auf den
         Platz, völlig unpassend und unvorhergesehen vom Drehbuch:
         " Halt, Reiter zurück !" Er stellte sich breit vor die heran-
         stürmenden Gespenster mit ihren Holzsteckenpferden auf. Diese
         wichen zurück und stürmten in heilloser Flucht davon. Nun
         tauchte ebenso überraschend Korthaus auf und brüllte zu den
         Kanonieren:" Feuer einstellen ! Ihr trefft die eigenen Leute."
         Der Regisseur Windhammer war aus seiner Schreckstarre erwacht,
         rannte auf den Platz und rief:" Stop, Klappe, aus !" Dann lief
         er zu Berg, bei dem eben Korthaus angelangt war. Berg schimpfte
         wie der TeufeL:" Das ist eine unglaubliche Stümperei. Die
         Reiter reiten in das Granatfeuer, als wäre das Bonbonregen,
         die Kanoniere feuern auf die eigene Infanterie. Das ist der
         größte Sauhaufen, den ich jemals gesehen habe !" Korthaus
         versuchte ihn zu beruhigen.:" Das sind doch alles Zivilisten.
         Wir müssen ihnen erst noch Einiges zeigen ." Berg kam aber noch
         mehr in Rage:" Zeigen Korthaus !, Sie wollen denen etwas
         zeigen,- die Garderobe ja !" Windhammer meldete sich nun:
         " Professor Berg, Herr Korthaus, wir haben genau nach Drehbuch
         gespielt." Berg stutzte und ließ sich von einem Kamera-
         assistenten ein Exemplar des Drehbuchs zeigen." Wer schreibt
         denn sowas, das ist kompletter Unfug." "Das war ich", meldete
         sich Korthaus. "Sie !, wie ist das denn möglich ?" Korthaus
         blickte zu Boden. Berg antwortete an dessen Stelle:" Ah ja,
         verstehe, wieder so ein anarchischer Trick, gewolltes Chaos und
         so weiter. Bitte, bitte nicht in einer Schlacht, vorher und
         nachher meinetwegen."
         Korthaus blieb allerdings wie so oft derjenige der das letzte
         Wort behielt. Die Szene wurde zwar noch einmal gespielt, etwas
         besser, wie Berg meinte, aber Korthaus wollte mit Bedacht den
         zürnenden Berg und das ganze Chaos auf dem Platz in den Film
         einbauen. Wohl war ihm bewußt, daß diese Methode die Freund-
         schaft zu Berg hart belasten würde, denn der war immer noch mit
         Herz und Seele Militär.
         Zwei Nächte später trafen sich die Beiden wieder im Turm.
         Da der Himmel bedeckt war, gab es nichts zu beobachten. 
         Sie saßen im Turmraum und tranken Tee. Berg sagte:" Ich
         glaube, Deine Idee ist recht gut. Das Chaos auf dem Platz
         bei der Gespensterschlacht trifft unser Thema genau. Der
         Betrachter kommt zum Nachdenken warum alles abgleitet und
         zuletzt nach einigen Versuchen doch noch funktioniert."
         "Ist das Dein Ernst ?", fragte Korthaus.
         "Gewiß. Im ersten Moment bin ich immer überrascht, aber es
         ist im Leben so wie im Film: Nichts gelingt auf Anhieb, es wird
         manchmal zuerst komisch und beinahe lustig, dann aber kommt der
         Ernst. Die Frage der Würde. Ich hatte immer gedacht, es dürfe
         keine Entgleisungen geben. Die Krönung 1814, das war eine
         perfekte Installation, wir fürchteten nichts mehr als Formfehler.
         
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         Und doch wäre eine Spur Ironie und Komik gut gewesen. Der Ernst,
         der die Groteske verträgt und doch im Thema verbleibt, erhält
         mehr Gewicht als der pedantisch perfekte Ablauf."
         "Wenn ich mich recht erinnere, hast Du in der Notre Dame kurz
         vor dem Griff zur Krone etwas mehrdeutig gelächelt", meinte
         Korthaus.
         "Dann habe ich es vergessen. Wenn es aber so war, dann gehört
         das zu den Instinkten, man tut ab und zu instinktiv etwas
         das die Sache steigert. - Wie geht es aber jetzt weiter ?"
         Korthaus sagte:" Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl,
         daß wir den Prozeß im Griff haben."
         "Was hältst Du davon", begann Berg:" Draußen unzählige nie
         entstandene Welten. In den Menschen unendlich viel Ungeborene.
         Unsere Worte, nie von anderen gehört - letztlich der Film, nie
         gesehen."
         Korthaus war entzückt. Er ging auf seinen uralten Freund zu,
         umarmte ihn kurz und sagte:" Ja, so ist es. Wir brauchen den
         angewandten Buddhismus oder besser, die Steigerung des Nicht-
         seins in einem absoluten Individuum."
         "Das wäre die fertige Welt ?!"
         "Gewiß !", antwortete Korthaus und sprach weiter:" Es hat aber
         zwei große Risiken. Das erste ist unser Scheitern. Niemand
         bemerkt es, vielleicht nicht wir selbst. Das zweite: Es wird
         nie in der Welt bekannt. Wenn wir es selbst bekannt machen,
         sind wir ebenfalls gescheitert."
         Berg meinte:" Ja, so ist es, besser kann man es nicht zu sagen.
         Was die Risiken betrifft, ich kenne sie alle. Wagram war ein
         Risiko, welches siegreich überstanden wurde, Moskau das
         Gegenteil."
         "Oh ja, ich erinnere mich. Schlesien war mein Wagram."
         "Aber in Moskau mußtest Du nicht scheitern ".
         "Aber ich war auch nicht da", sagte Korthaus, "aber Prag war
         auch eine verlorene Müh."
         Berg wiegte seinen Kopf hin und her und sagte:" Die Buddhismus-
         sache müssen wir noch überwinden."
         "Warum ?"
         "Die Menschheit kennt offensichtlich nur Extreme. Jahrtausende
         lang wurde das Leben exzessiv gelebt. Tote, Orgien, Kriege in
         Massen. Dann kam das Gegenextrem: Buddha. Ich erinnere mich
         an eine Stelle aus dem Pali-Kanon. Buddha kam zu einem Dorf.
         Der Dorfvorsteher beklagte den Tod seiner Frau und seines
         Kindes, die beide im Wochenbett verstorben waren. Der Dorf-
         vorsteher beklagte seinen Verlust und fragte immer erneut,
         warum ?
         Buddha sagte:" Du hast Deine Frau sehr geliebt ?"
         "Über alle Maßen", antwortete jener.
         "Du hast also gelernt sie zu begehren ?"
         "Ja, sehr".
         "Wenn sie aber eine Dir unbekannte Frau gewesen wäre, hättest
         Du sie ebenso beklagt ?"
         "Nein, bestimmt nicht."
         "Hättest Du diese Frau ebenso begehrt ?"
         "Wenn ich sie nicht gekannt hätte, nicht".
         "Du siehst Ortsvorsteher, Du klagst, weil Du deine Frau so
         sehr begehrst. Alles Leiden kommt nur aus dem Begehren".
         Berg sprach weiter:" Nietzsche wollte im großen Typus Mensch
         alle Extreme zugleich verwirklicht sehen. Es wäre ein
         
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         heftiges Leben und Leiden, was aber bejaht wird. Der Buddhist
         will dem Leiden ausweichen und dafür auf das Leben verzichten."
         "Also ein Spagat: Sein und zugleich Nichtsein. Empfinden und
         doch nicht leiden."
         "Das ist sicher schwer. Vielleicht leiden ohne zu leiden, so
         wie es heute aufgefaßt und erlebt wird."
         Korthaus sagte:" Ich verstehe. Vielleicht ein Leiden, daß
         stärkt, ein heroisches Leiden."
         "Vielleicht so oder in etwa so. "
         Als Korthaus am nächsten Abend in der Dämmerung zum Turm ging,
         sah er einen Mann mit einem Kinderwagen am Strand entlang
         gehen. Als er genau hinsah, erkannte er Berg. Korthaus war
         sehr verwundert und wollte nicht in diese Situation eingreifen.
         Vielleicht machte Berg ein Experiment. Er wartete deshalb
         am Waldrand bis Berg am Turmeingang angelangt war. Nun hob
         dieser etwas aus dem Kinderwagen heraus und trug es in den
         Turm. Korthaus wartete noch eine Weile und ging dann ebenfalls
         in den Trum hinein. Die Wendeltreppe war frei, also war Berg
         schon oben angelangt. Als Korthaus in die Turmkammer eintrat,
         sah er Berg auf der Ballustrade hantieren. Er ging zu ihm
         und sagte:" Was machst Du mit diesen Teilen ?"
         Berg antwortete:" Ich habe ein neues Stativ erhalten. Es ist
         ein altes Stativ, das von einem Trödler billig abgegeben wurde."
         "Ich habe Dich gesehen am Strand."
         Berg wirkte etwas verlegen:" Ach so, am Strand. Es war eine
         farbige schöne Dämmerung. Wenn ich das Stativ auf dem Wagen
         erst zum Turm gebracht hätte, wäre die Dämmerung bereits vorbei
         gewesen. Deshalb habe ich alles einfach mitgenommen."
         "Es sah etwas nostalgisch aus."
         "Ja, ich weiß", gab Berg zu, der seinen Freund nicht gut
         beschwindeln konnte und fuhr fort:" Es hat mich an die Zeit
         erinnert, als meine Tochter noch klein war. Wenn man einen
         Kinderwagen in der Dämmerung schiebt und die Augen zu macht,
         .... aber das kennst Du ja."
         Korthaus meinte:" Das ist eine gute Szene für unseren Film.
         Du fährst mit dem Kinderwagen in die Vergangenheit. Wir lassen
         aus dem abgestellten Kinderwagen am Strand Bilder heauskommen,
         die dann bestimmte Szenen einleiten. Dein Angriff auf der
         Brücke von Rivoli zum Beispiel."
         "Aber das interessiert heute niemanden mehr", meinte Berg.
         "Nun, vielleicht nicht als Einzelstück, aber im Kontrast
         bestimmt. Während des Angriffs blenden wir eine Stelle aus
         der Mondfahrt ein, zum Beispiel den Start. Wir zeigen Debus,
         wie er den Startknopf drückt."
         "Also eine Collage."
         "Ja, eine Collage, die durch das Thema verbunden ist."
         Berg überlegte etwas und sagte:" Der Gedanke gefällt mir, aber
         was wird mit den Zuschauern ?"
         "Die Zuschauer schauen halt zu", sagte Korthaus und lächelte.
         Berg war in Gedanken versunken. Irgend etwas beschäftigte
         ihn sehr. Korthaus deutete das so, als wäre Berg nicht ganz
         einverstanden. Deshalb fragte er:" Meinst Du, der Film wäre
         nicht angebracht in unserer Zeit ?"
         Berg erwiderte:" Doch, er ist wichtig. Das gelungene Kunstwerk
         ist sehr wichtig, um nicht zu sagen unschätzbar wichtig.
         
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         - Ich vermisse nur liebgewordene Aktionen."
         "Die Eroberung der Welt ?!"
         "Ich bin bescheidener geworden in den Jahren, die vergangen
         sind, aber ein bißchen Eroberung, so ein kleiner Planet...
         Den Mars !", rief er aus. "Wir  müssen den Mars erobern !"
         Korthaus stutzte und sagte nach einer Weile des Nachdenkens:
         "Ich weiß, was Du sagen wirst, aber sind wir als Astronauten
         nicht etwas zu alt ?"
         "Nicht als Astronauten. Die findet man immer. Aber wir müssen
         das verschlafene Europa wecken."
         "Also Europa und nicht Amerika ?", meinte Korthaus verwundert.
         Berg erklärte:" Der Mond wurde deshalb von den Amerikanern
         betreten, weil die Russen jahrelang in der Raumfahrt voraus
         waren. Nach diesem Mechanismus werden die Europäer zuerst
         den Mars betreten, weil Amerika voraus ist."
         "Das ist aber ein schwieriges Unternehmen."
         Berg streckte sich und sagte:" Nicht für mich !
         Was ist für mich schwierig."
         Korthaus dachte: Da ist wieder der alte Imperator, nicht tot
         zu kriegen, nicht müde zu machen. Und er sagte:
         "General, ich bin dabei."
         In den nun folgenden Wochen entfalteten die beiden Herren eine
         enorme Aktivität. Berg lief mit seinem Handy herum und
         telefonierte beinahe pausenlos. Korthaus kaufte ein großes
         Auto und stellte drei Chaffeure ein. Berg wollte bei der
         gesammten Aktion völlig im Verborgenen bleiben. Korthaus
         erhielt für die Bankkonten von Berg alle Vollmachten. Berg
         war sehr reich. Vielleicht war er der reichste Mann der Welt.
         Zu seinem und Korthaus Schutz wurde ein Sicherheitsapparat
         aufgebaut. Der von Korthaus eingestellte Generaldirektor hatte
         die Aufgabe die verschiedenen Direktoren einzustellen, die
         ihrerseits das Manegement der Firmen kontrollierten, von denen
         Berg Aktien besaß.
         Berg sagte in einer der Nächte im Turm zu Korthaus:
         " Wir müssen über die Medien und Frauen an das Projekt
         herangehen."
         "Warum die Frauen ?"
         "Europa ist ein ziemlich erschlafftes Gebiet. Selbst wenn wir
         über die Medienkampagnen eine starke Nachfrage nach Raumfahrt
         erzeugen könnten, würde doch die Trägheit und Mutlosigkeit
         der europäischen Hochfinanz das Projekt zum Versanden bringen.
         Bei den Frauen geht es um die Ehre, heute heißt es Selbst-
         bewußtsein, verlängerte Jugend usw. Kein Kapitaleigner geht
         über die Wünsche seiner Geliebten oder Ehefrau hinweg."
         "Du überrascht mich", meinte Korthaus und fragte:" Warum sind
         denn die ersten Kontakte auf der diplmonatischen Ebene in
         Madrid zu knüpfen?"
         "Das Selbstbewußtsein der Nationalstaaten mein Freund.
         Deutschland ist zukunftsfremd, wir können dort Motoren und
         übrigends allerbeste Raumtechnologie bauen lassen, aber Iniative
         in dieser Sache ist nicht zu erwarten. Die Deutschen werden
         mit maschinenstürmerhafter Begeisterung alles bremsen, was wir
         brauchen: Gentechnik, Nukleartechnik usw."
         "Und Spanien ?", hakte Korthaus nach.
         "Spanien ist der Stachel für Frankreich. Nur Frankreich kann
         die Begeisterung entwickeln, die Europa mitreißen wird.
         Aber die Grande Nation möchte gebeten werden. Amerika ist für
         
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         diese Kulturnation kein Maßstab. Darin gleichen sie den
         Deutschen. Aber Spanien war ein Weltreich. Wenn dort eine
         Initiative zur Raumfahrt ergriffen wird, geht Frankreich in die
         Offensive. Das ist nichts Neues. Überhaupt, mein Freund, es ist
         alles so geblieben wie es seit dem Ende Roms in Europa war." 
         "Deshalb also die internationale Konferenz in Madrid ?!"
         "Wir vefahren wie Kolumbus: Zuerst das Königshaus und der
         Hochadel. Und dort zuerst die Königin."
         Nun legte Berg ein Bündel von Blättern auf den kleinen Tisch,
         auf dem das Prisma stand, welches den Seefahrern den Weg
         gewiesen hatte. Dann sprach Berg weiter:" Die Spanische Königin
         hat in ihrer Jugend in Paris den Professor B.Y gehört.
         Ich habe ihn durch den Direktor Rouge für unser Projekt
         gewinnen können. Er wird im Beisein des Königspaares die
         Konferenz eröffnen."
         "Und Du bleibst bei dem Leitthema:" Schutz der Atmosphäre".
         "Es ist das Beste. Es ist aktuell, trifft niemanden persönlich
         außer einige unbedeutende Fluoridproduzenten, und es trifft
         die Ängste der Gegenwart: Atemnot und  Budenkoller."
         "Es sieht kompliziert aus", meinte Korthaus.
         "Ja, die europäischen Verträge haben alles komplizierter
         gemacht. Jeder kann jeden behindern."
         In den folgenden Monaten setzte eine weltweite Medienkampagne
         ein, in der der Schutz der Atmosphäre das Leitthema bildete,
         die Raumfahrt aber als Vehikel der Klimaforschung mit in
         das Blickfeld kam. In der Astrologie stand der Mars nun im
         Mittelpunkt. Die Geologen entdeckten ihn für ihre Forschungen
         und die USA holten die ersten Bodenproben mit einer Roboter-
         sonde vom Mars.
         Das Wesentliche geschah aber von der Öffentlichkeit unbemerkt.
         Große Konzerne erhielten neue Vorstände und Direktoren.
         Großaufträge für die Schwerindustrie Spaniens wurden vergeben.
         Deutschland intervenierte in Brüssel wegen dieser Vorgänge.
         Noch immer war das Marsprojekt nicht Gegenstand der Trans-
         aktionen. Der Amerikanische Geheimdienst ahnte allerdings
         etwas. Unverhofft erhielt die Nasa mehr Gelder bewilligt um
         einige Raumfahrtprojekte rascher vorantreiben zu können.
         Korthaus und Berg trafen sich im Turm, der nun streng
         abgeschirmt war. Mehrere Sicherheitszonen waren zu Lande, zur
         See und in der Luft errichtet worden.
         In einer dieser Nächte sprach ein enttäuschter Korthaus zu
         Berg:" Frankreich bewegt sich nicht, Eurpoa bewegt sich
         nicht, Deutschland interveniert wegen der Industrieprojekte
         in Spanien. Was nun ?"
         Berg lächelte und sagte:" Es läuft alles bestens. Aber ich
         habe noch nicht die entscheidende Karte in unserem Spiel
         gelegt."
         "Sag es mir doch !", forderte Korthaus Berg auf.
         "Cloudine von Reims !"
         Korthaus blickte seinen Freund verständnislos an.
         Berg sagte:" Diese Dame ist die Geliebte von P.H. aus Paris,
         dem Bankier und Industriellen."
         "Dem halb Frankreich gehört", ergänzte Korthaus.
         "Und ein Drittel der Wallstreet", fügte Berg hinzu.
         Er legte ein Personendiagramm auf den Tisch. Dort waren
         über mehrere Personen als Zwischenstufen Verbindungen zu der
         
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         Dame hergestellt. Berg erklärte:" Diese Dame war unser
         einzige großes Problem. Sie interessiert sich gar nicht für
         die Raumfahrt."
         "Und diese Dame soll das Marsprojekt über P.H. anschieben ?",
         fragte Korthaus.
         "Sie macht es !", sagte Berg fröhlich.
         "Wie hast Du das gemnacht, - Du hast sie doch nicht ...?"
         "Aber mein Freund, das ist nicht möglich ! Nein, es war ein
         Umweg über Hollywood, über G.C. den Regisseur von "Regenwald".
         Wir haben der Dame für nächstes Jahr eine Hauptrolle gegeben."
         "Und nun interessiert sie sich für den Mars".
         "Sie muß, es gehört zu dem neuen Film. Wir haben sie gebeten,
         die notwendigen Sätze gegenüber P.H. fallen zu lassen."
         "Das genügt ?", fragte Korthaus.
         "Nein, nein, natürlich nicht. Aber nun kommt die spanische
         Stahlindustrie ins Spiel. Wenn er mitzieht, erhält er die
         nächsten zwei Großaufträge. Außerdem befürchtet er, bald seine
         Freundin an Hollywood zu verlieren. Er wird sich mächtig
         anstrengen."
         "Und der Aufsichtsrat ?", fragte Korthaus.
         "Das hat dein Direktor B.H. in Toulouse gemacht, alle
         eingekauft." Korthaus Gesicht hatte sich aufgehellt. Er
         strahlte zufrieden und sagte:" Du schaffst es, ich sehe Du
         schaffst es."
         "Du hast doch nicht gezweifelt ?", meinte Berg verschmitzt
         wie ein sechsjähriger Junge.
         "Nein", log Korthaus.
         Die internationalen Konzerne und Börsen sind in gewisser Weise
         den alten kontinentalen Großmächten vergleichbar. Aber eben nur
         in gewisser Weise. Berg wollte sie Festung für Festung nehmen
         wie 1796 die östereichischen Truppen in Italien.
         Aber es gab Gegenreaktionen. Das Stahlkartell, welches Berg
         zusammengeschmiedet hatte und Frankreich mit Spanien eine
         Weltmachtstellung gab, führte zu heftigsten Reaktionen
         jenseits des Atlantiks. Amerika, Kanada und sogar England sahen
         die Notwendigkeit die Bergschen Bemühungen zu überragen.
         Noch bevor die erste Raketenstufe der französischen Marsrakete
         in Französisch Guyana probelaufen konnte, stand eine
         internatinal unter Amerikas Führung gebaute Rakete startbereit
         zum Flug zum Mars.
         
         Korthaus ging, nachdem er über den Sicherheitsapparat kurz
         vorher davon erfahren hatte, mit bangem Gefühl zum Turm. Er
         wußte, daß Berg das Wort Zweiter oder gar Verlierer nicht
         kannte.
         Es war eine milde Nacht, Neumond und ideal zum Beobachten.
         Als Korthaus oben ankam, kam ihm Berg freudestrahlend
         entgegen, lief auf ihn die drei Schritte zu, für die in der
         Turmspitze Platz war, und rief:
         " Wir fliegen  zum Mars, wir fliegen zum Mars !"
         Korthaus sah aus wie ein Zweitklässler, der eine Aufgabe in
         höherer Mathematik lösen soll.
         "Ich versteh gar nichts !", sagte Korthaus.
         Berg erwiderte:" Ich hoffe Du verzeihst mir. Ich habe nicht
         alles verraten."
         "Was ??", meinte Korthaus entrüstet, aber mit einem Unterton
         nur scheinbarer Entrüstung. "Willst Du sagen, daß Deine
         
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         Rückkehr von Elba nun doch zum Ziele führt."
         "Elba", meinte Berg, leicht grimmig, fing sich aber gleich
         wieder und sprach:
         " Ich kann mich heute nicht einmal über Elba ärgern.
         Also mein Freund, wir zwei, hörst Du, wir zwei Fossilien
         fliegen zum Mars."
         Korthaus sah ihn immer noch verdattert an und forderte dann:
         "Nun los, erzähl es endlich."
         "Du zürnst mir nicht ?"
         "Nein verdammt noch mal, erzähl!"
         Berg setzte sich auf den Stuhl an den Tisch mit der Teekanne,
         nahm die Tasse und einen Schluck daraus und begann genüßlich
         zu berichten:
         "Ich habe in den letzten 180 Jahremn sehr viel Zeit zur
         Analyse gehabt. Es ist alles glasklar: Moskau, Waterloo."
         "Bitte komm zur Sache !", forderte Korthaus ungeduldig.
         "Ich muß schon ausholen", sagte Berg und fuhr fort:
         "Der linear angelegte Feldzug ist tot. Moskau war linear
         angelegt. Wir müssen dual vorgehen. Ich meine nicht einen
         Zweifrontenkrieg. Aber ich erkläre das besser an der jetztigen
         Situation.
         Als ich Dich bat die Gesamtleitung des Projektes zu übernehmen,
         war klar, daß der CIA und alle andere Dienste bald dahinter
         kommen würden. Da Amerika unwiderruflich die militärisch und
         ökonomisch schlagkräftigste Macht ist, wäre Frankreich in
         jedem Fall gescheitert."
         "Du hast das alles inszeniert ?" fragte Korthaus.
         "Ja", fuhr Berg fort:
         " Leider mußte ich auch Dich im Ungewisen lassen. Es gab kein
         Wort, welches nicht abgehört wurde. Ich habe das zweite
         Projekt, welches im Schatten des großen stattfand, mit meiner
         Putzkolonne durchgeführt."
         Korthaus sah aus wie einer, der zum ersten Mal ein Flugzeug
         erblickt. Berg fuhr fort:
         "Diese Putzkolonne hat es in sich. Der Leiter ist ein
         ehemaliger französischer Legionär, die Putzfrauen sind
         Wissenschaftlerinnen. Ich weiß, was Du sagen willst, wieso die
         Dienste nicht dahinter gekommen sind. Ganz einfach, ich habe
         sie alle zu Arbeitslosen gemacht. Alle waren über sieben Jahre
         arbeitslos. Das sind diejenigen Personen, für die sich
         absolut niemand mehr interssiert. Du siehst, auch die Dienste
         können auf ihre Vorurteile hereinfallen.
         Langweile ich Dich ?"
         "Nein, aber wieso werden wir zwei zum Mars fliegen."
         "Also gut", sprach Berg: "ich überspringe den Mittelteil und
         komme zur Gegenwart.
         Es war klar, daß Amnerika sich gewaltig bemühen würde, wenn
         in Europa, speziell Frankreich das Marsprojekt starten würde.
         Ebenso klar war, daß die Amerikaner dann im Wettstreit siegen
         würden und Frankreich letztlich das eigenständige Projekt wüde
         umwandeln müssen in eine internationale Beteiligung. Also
         Frankreich macht nun bei den Amerikanern mit."
         "Aber bitte, wieso fliegen wir zum Mars!", hakte der nun
         ungeduldige Korthaus nach.
         Berg sagte:" Es gibt eine Altersforschung bei der Nasa. Die
         Putzkolonne hat passende Leiter in die Nasa einsetzen lassen
         und uns zwei angeheuert als Astronauten und Testpersonen der
         Altersforschung daran teilzunehmen."
         
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         "Und wie alt sollen wir offiziell sein ?"
         "Nun, ich bin 85 und Du 86 Jahre alt."
         "Berg !, das ist unfair. Haben  wir uns nicht geeinigt, daß
         ich 75 Jahre alt bin", sagte Korthaus leicht grollig.
         Berg wußte, daß Korthaus ihn im Turm nicht mit "Berg"
         anredete, es war also ernst. Deshalb sagte Berg:
         "Bitte, bitte entschuldige, aber das Alter wurde von der Nasa
         festgesetzt. Der das tat, hatte den einzigen Leiterposten, den
         die Putzkolonne nicht besetzen konnte. Der zuständige Wissen-
         schaftler ist nicht austauschbar."
         Korthaus sah das ein und entschuldigte sich:
         "Tut mir leid, aber das ist natürlich klar. Und es ist
         großartig, daß Du es geschafft hast. Also dein zweites Ziel
         der dualen Technik war, daß wir selbst zum Mars fliegen."
         "Es war das Erste, das Zweite war nur zur Ablenkung gemacht.
         Ich bin zwar vernarrt in Frankreich, aber ich sehe doch was
         nicht geht. Und ich will zum Mars!"
         Korthaus war nach einigen Stunden nach Hause gegangen um
         seiner Familie zu erklären, daß er in einigen Wochen für
         2 Jahre verreisen müßte. Frau Korthaus war außer sich:
         "So weit mußt Du gehen mit diesem alten Spinner. 2 Jahre, da
         lebe ich vielleicht nicht mehr. Ich werde nicht auf Dich
         warten !" Sie tobte noch eine Weile lang weiter. Korthaus war
         davon nicht sehr beeindruckt. Aber er fragte sich, ob Berg ihn
         nicht ernsthaft narren würde. Ihm war auf dem Heimweg der
         Gedanke gekommen, daß die Astronauten mehrere Monate lang
         üben müssen, bevor sie starten dürfen. Die Rakete sollte aber
         in knapp zwei Wochen starten. Als Frau Korthaus sich beruhigt
         hatte und er sich zum Schlafen in sein Zimmer zurückgezogen
         hatte, nahm er sein Handy und rief Berg an. Der war noch im
         Turm. Er hatte keine solche Szene zu Hause erlebt, Frau Berg
         war sehr tolerant und verstand sich als Komplize ihres Mannes,
         auch bei der bevorstehenden Marsfahrt.
         "Was ist mit unserem Training ?", fragte Korthaus am Telefon.
         Berg antwortete:" Das habe ich ganz vergessen. Wir müssen
         morgen früh zum Trainer, Robertstraße 7 im Fitneßcenter."
         "Aber das kann doch nicht das Astronautentraining sein ?"
         "Es ist ein Schnellkurs. Der Trainer ist Jan Sinser, der
         dritte Mann auf dem Mond."
         "Wie kommt der hierher ?"
         "Na wie schon, er ist angestellt worden."
         "Von der Putzkolonne".
         "Ja,- sag mal hast Du keine Lust mehr ?", fragte Berg.
         "Oh doch, aber die Familie."
         "Mm, also morgen um 7 Uhr, das sind noch drei Stunden Schlaf,
         Gut Nacht."
         "Aber wie hast Du das ge...", Korthaus merkte, daß Berg auf-
         gelegt hatte. Er fragte sich, wie das alles gehen sollte. Sie
         hätten doch im Astronautencenter in Huston sein müssen. Aber
         Berg dachte nicht daran, dorthin zu fahren. Wie sollte das
         nun gehen.
         Dennoch schlief Korthaus noch zwei Stunden.
         Um fünf vor sieben trafen sich die beiden Freunde an der
         Eingangstür des Fitneßcenters. Korthaus fragte:
         " Wie ist das möglich, wir sind hier."
         "Wo sollten wir sonst sein ?!"
         "Aber das Training in Amerika ?"
         
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         "Ach so, das habe ich vegessen Dir zu erklären. Das Training
         in Amerika machen zwei Herren für uns, die uns zum Verwechseln
         ähnlich sind. Sie sind von..."
         "...der Putzkolonne eingestellt worden.", führte Korthaus den
         Satz mit Ironie zuende.
         "Gewiß !"
         Der Astronaut Jan Sinser kam heran und begrüßte die Herren.
         Dann begann das Training. Es war eine gekürzte Fassung des
         Trainings, das die beiden Doppelgänger von Berg und Korthaus
         in Amerika durchgeführt hatten.
         Die Zeit des Training verging im Flug. Pünktlich zur letzten
         medizinischen Untersuchung trafen Korthaus und Berg in Cape
         Canaveral ein. Die beiden Doppelgänger wurden abgelöst und
         verschwanden aus der Gegend. Zur gleichen Zeit startete von
         Französisch Guyana eine Rakete einer Organisation für Abfall-
         entsorgung im All. Dahinter stand ein Direktor von Korthaus
         und dahinter das Kapital von Berg. Diese Firma erledigte im
         Auftrag anderer Regierungen die Entsorgung von Weltraumüll,
         also ausgedienten Satelliten, Raketenteilen usw. in den Erd-
         umlaufbahnen, da diese Teile zur Gefahr für die Raumfahrt
         geworden waren. Zugleich wurden auch Satelliten im Auftrag von
         Instituten und militärischen Organisationen hochgebracht. Berg
         hatte natürlich noch ganz andere Dinge im Kopf als er diese
         Firma aus anderen ähnlichen Firmen zusammengesetzt hatte. Auch
         Korthaus war nicht über alles informniert. Das war keine
         Vetrauensfrage, sondern Korthaus war längst bevorzugtes Ziel
         der Spionage aller möglichen Geheimdienste geworden.
         Inoffiziell, aber mit Unterstützung der Französischen Regierung
         enthielt diese Rakete auch eine Rettungskapsel für die
         internationale Marsrakete. Man war in Amerika darüber nicht
         begeistert, konnte es aber nicht unterbinden. Die Medien
         schwiegen es tot. Über verschiedene Mittelspersonen hatte Berg
         es einrichten können, daß die anderen fünf Astronauten der
         Marsrakete für die geplanten Aktionen von Korthaus und Berg
         geeignet waren. Patrioten und Pedanten waren aussortiert
         worden. Die insgesamt sieben Mitglieder der Rakete waren alle
         verwegene Abenteurer. Der Countdouwn begann: zehn, neun, acht,
         sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, null, Start !
         Die fast 200 Meter hohe Rakete hob ab und erreichte nach
         wenigen Minuten die Erdumlaufbahn. Nach einigen Erd-
         umkreisungen wurde sie an die Raumstation angekoppelt und dort
         nachgetankt. Dann begann dr Flug zum Mars. Er sollte sieben
         Monate für die Hinfahrt und neun Monate für die Rückfahrt
         andauern. Der Aufenthalt war für nur 2 Wochen vorgesehen.
         Während der esten Wochen koppelte sich das parallel fliegende
         Rettungsteil der französischen Rakete an das Raumschiff an.
         Dieses Manöver war nicht im Flugplan vorgesehen. Das
         Leitzentrum in Huston protestierte sehr, aber es war nichts
         dagegen zu machen. Der Kommandant des Raumschiffs wurde per
         Funk von der Erde seines Postens enthoben, aber der neu ein
         eingesetzte Kommandant, der bisherige Stellvertreter war ein
         enger Vertrauter von Korthaus. Er führte die Pläne der beiden
         alten Herren noch besser als der erste Kommandant aus. Man sah
         wohl in Huston, daß die Maßnahmen von der Erde aus nichts
         einbrachten und machte, schon wegen der Medien und des welt-
         weiten Interesses an dem Flug kein Aufheben mehr sondern gute
         Miene zum Spiel. Was blieb auch anderes übrig. Die lange
         
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         Wartezeit im Raumschiff verbrachten Korthaus und Berg oft mit
         Gesprächen. Insofern kehrte die Situatuon wieder, die sie im
         Turm gehabt hatten. Korthaus sagte einmal:
         "Nun sind wir wieder im Turm, es ist fast die gleiche
         Situation." Berg antwortete:
         " Wir tun das Sinnloseste was möglich ist, aber es ist auch
         sehr wichtig. Ein gutes Gefühl so da zu sein und nichts weiter
         zu tun zu haben als zu warten."
         "Einige der Männer neigen zur Langeweile."
         "Ich weiß", antwortete Berg:" aber das wird sich ändern, wenn
         wir am Mars sind. Es ist merkwürdig, dieses Hadern mit dem
         Zeitablauf. Bei Langeweile vergeht sie den Leuten zu langsam,
         bei anregender Tätigkeit zu schnell. Da ist etwas ungeordnet
         in den Köpfen. Der Augenblick ist immer der gleiche. Zeit zu
         haben zum Nichtstun ist doch nichts anderes als den Urzustand
         der Lebewesen und gar der Materie zu erfahren. Die Körper
         kreisen in sich selbst. Ihre Selbstwahrnehmung ist ihr Lebens-
         ziel. Was aber als angenehm gilt: Aktion, Abenteuer ist doch
         Ablenkung davon, so wie das Wachsein Ablenkung ist vom Schlaf.
         Aber Wachsein und Tätigkeit sind Überlebensnotwendigkeiten
         und von Außen bestimmt, also das Unfreieste, was es gibt. Die
         Leute denken es umgekehrt. Das in sich Sein empfinden sie als
         Langeweile und Unfreiheit, das nach außen Gehen als Freiheit."
         "Aber ist dies nicht auch Freiheit ?" fragte Korthaus.
         "Auch, aber eine Freiheit als Mittel zum Zweck. Der Zwerck
         aber ist innen."
         "Sehr extrem, nicht wahr", meinte Korthaus.
         "Ja, so wie Dein Kunstbegriff in etwa."
         Die anderen Astronauten hörten gelegentlich zu, aber meist
         waren sie mit anderen Dingen beschäftigt, sahen Filme an,
         führten Dienst oder schliefen.
         "Sag mal, wie ist denn Dein Eroberungsdrang mit Deiner
         Überlegung zur Freiheit im Innern zu verbinden ?"
         "Wie meinst Du das ?", fragte Berg zurück.
         "Du willst den Mars erobern, ich kann mir schon vorstellen
         wie, sehr wenig innerlich, aber äußerlich, als eigener Staat."
         "Psst," machte Berg,:" das muß noch unter uns bleiben. Du
         weißt es aber so gut wie ich, nicht wahr."
         "Ja, schon."
         "Also reden wir erst später wieder davon ?!"
         "Gut", erklärte Korthaus sich einverstanden. Es war in der Tat
         micht ganz ungefährlich die Bergschen Pläne zu früh zu
         enthüllen. Von der Erde aus drohte zwar keine Gefahr, aber es
         konnte doch der notwendige Nachschub ins Stocken geraten, wenn
         die maßgebenden Leute auf der Erde sich zu sehr düpiert fühlen
         würden von Bergs Eigenständigkeit.
         Die Beobachtung des Weltraums hatte seinen eigenen Reiz. Viel
         deutlicher als von der Erde, waren die Sterne vom Raumschiff
         aus zu sehen. Es war wieder einer dieser langen Tage und
         Nacht-tage als Korthaus noch einmal auf die Langeweile zu
         sprechen kam.
         "Der Mensch ist ein Apparat zur Überwindung von Schwierigkeiten
         die notwendig da sind. Da stimmst Du mir zu ?!"
         Berg erwiderte: "Ja, uneingeschränkt." Korthaus fuhr fort:
         " Und manche werden krank, wenn sie zur Untätigkeit verurteilt
         sind ?"
         "Gewiß".
         
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         "Wie ist es denn möglich, daß Du die Untätigkeit so hoch
         stellst, höher als die Tat ?"
         Berg lächelte und erwiderte:" Ich habe übertrieben. Niemand
         kann immer nur schlafen. Es wäre sein Todesurteil, wenn er es
         müßte. Knochenschwund usw. wären die Folgen neben noch schwer-
         wiegenderen. Aber es ist doch ein Unterschied ob die Tätigkeit
         in der Außenwelt als das Leben verstanden wird und die Wendung
         nach innen unbekannt bleibt. Das ist ebenso tötlich. Der
         Untegang der Zivilisationen ist bestimmt durch diese Einsetig-
         keit verursacht."
         "Also beide zu gleichen Teilen, innen und außen ?" fragte
         Korthaus.
         "Wenn es so einfach wäre. Jeder Mensch lebt anders, jede Epoche
         kennt andere Schwerpunkte. Aber die Wendung nach innen ist auch
         eine Tätigkeit, eine hochsensible.
         Es gibt Balancen die unbekannt sind, aber dennoch lebens-
         wichtig. Für den Höhepunkt sind sie grundlegend. Jedes
         Aufwärtsgehen, ob in Gedanken, im Körpergefühl, in der
         ästhetischen Kreation entsteht auf einer Stufenleiter von
         vorhergehenden Balancen."
         "So sehe ich das auch", stimmte Korthaus zu und fragte:
         "Du bist aber mit dem Marsprojekt eher im Bereich der Tat, ich
         meine der simplen Tätigkeit. Wie ist das möglich ?"
         "Vielleicht täuscht Du Dich. Es ist doch denkbar, daß in beiden
         Dimensionen der Mensch sich steigert. Vielleicht steht der
         großen Tätigkeit auch ein großes Inneres zur Seite. Nur sieht
         man das Letztere nicht."
         "Dann wäre das nach Außen Gleiche doch nicht gleich.", meinte
         Korthaus.
         "Bestimmt ist es so. Manch einer ist gesellschaftlich aktiv
         und fällt damit auf und zugleich innerlich blind, was niemand
         bemerkt. Ein Anderer mag gleichermaßen altiv sein und zugleich
         innerlich auch sehr tätig und reich, und wiederum bemerkt auch
         das nicht jeder."
         "Nicht Jeder ?", fragte Korthaus und gab selbst die Antwort:
         "Die sensibleren und erfahreneren Geister spüren was los ist."
         Berg nickte und wandte sich wieder der Beobachtung der
         Sterne zu.
         Als das Raumschiff mit dem angekoppelten Rettungsmodul
         die Hälfte der Strecke zum Mars zurückgelegt hatte, erkrankte
         der Copilot an einer unspezifischen Grippe. Der ärztlich
         ausgebildete Funktechniker sah keine Möglichkeit ihm zu helfen.
         Das Fieber stieg an und nach acht Tagen verstarb der Kranke.
         Das Leitzentrum auf der Erde bot den Astronauten im Raumschiff
         den Abbruch der Mission an. Das war so vorgesehen im Todesfalle
         eines Mannschaftsmitglieds. Bei der Besprechung der sechs ver-
         bliebenen Astronauten beschlossen diese einstimmig weiter
         zu fliegen. Zwei Wochen später erkrankte der Kommandant des
         Raumschiffs ebenfalls an Grippe. Auch er verstarb nach acht
         Tagen. Bis auf Berg und Korthaus waren die anderen Astronauten
         sehr deprimiert. Sie wollten zur Erde zurück. Es kam zur
         Abstimmung darüber. Die drei noch verbliebenen Astronauten
         stimmten für den Heimflug, Berg und Korthaus dagegen. Jene drei
         vermochten nicht vernünftig zu diskutieren. Sie waren verstört
         und bestanden hartnäckig auf dem Heimflug. Korthaus sagte:
         "Wenn die beiden Verstorbenen einen Virus gehabt haben, so ist
         
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         der einzige Schutz, das Raumschiff sofort zu verlassen, das
         geht aber nicht. Wahrscheinlich ist das Virus schon in uns
         allen und wir müssen abwarten ob es uns erkranken läßt. Die
         Heimkehr wird Monate dauern. Bis dahin sind wir tot oder haben
         das Virus überstanden. Wenn wir es übestehen, können wir auch
         den Mars anfliegen. Wenn nicht, dann ist es gleichgültig ob
         wir auf dem Heimflug sterben oder auf dem Weiterflug zum
         Mars." Berg stimmte dem zu, aber die drei Anderen waren nicht
         mehr logisch beeinflußbar. Sie glaubten, es würde ihnen
         leichter werden auf dem Heimflug zu sterben. Als die Erd-
         station den Stand der Lage erfuhr, gab sie den Befehl zum
         Abbruch der Mission. Das Raumschiff mußte also heimnkehren.
         Die Berechnungen für den Heimflug nahmen einige Stunden in
         Anspruch. Währenddessen erkrankten auch die drei übrigen
         Astronauten an Grippe. 
         Die Bahnberechnungen zeigten, daß die vorzeitige Rückkehr des
         Raumschiffes mehrere komplizierte Manöver erfordern würde.
         Mit dem schweren Fieber des Funktechnikers war der letzte
         Astronaut ausgefallen, der diese Manöver hätte durchführen
         können.
         So flog das Raumschiff mit den drei Schwerkranken, Korthaus
         und Berg weiter zum Mars.
         Der Funktechniker genas in den nächsten zwei Wochen. Er allein
         war aber nicht in der Lage die Landung auf dem Mars und die
         Rückkehr zum Raumschiff im Marsorbit durchzuführen. Die
         Leitstation Huston wollte deshalb das Raumschiff über die Fern-
         steuerung nach der ersten Umkreisung des Mars wieder zur Erde
         zurückführen.
         
         Es kam zu dem entscheidenden Gespräch zwischen Korthaus und der
         Bodenstation in Huston:" Wir zwei, Korthaus und Berg wollen mit
         dem Rettungsmodul auf dem Mars landen und dort bleiben, bis
         die nächste Marsrakete von der Erde eintrifft." Houston
         antwortete:" Wir brauchen eine Bestandsaufnahme des Raumschiffs
         und des Rettungsmoduls". Korthaus gab die vorbereiteten Daten
         in das automatische Lesegerät von wo sie zur Erde gefunkt
         wurden. Nach zwei Tagen kam von der Erde die Antwort. Berg und
         Korthaus konnten auf eigene Gefahr auf dem Mars landen und
         durften dazu die Landefähre benutzen. Diese sollte ohnedies
         nicht zur Erde zurückgebracht werden, dafür war kein Treibstoff
         vorgesehen. Allerdings wurde ihnen vorgerechnet, daß möglicher-
         weise das nächste Marsraumschiff nicht so zeitig beim Mars
         eintreffen würde, daß die Beiden bis dahin überleben könnten.
         Das Kommando für die Operationen auf dem Mars sollte an die
         Europäische Raumfahrtbehörde übergeben werden, weil das
         Rettungsmodul als wichtigster Bestandteil des Aufenthaltes auf
         dem Mars von Frankreich bereitgestellt worden war.
         Die Marsrakete erreichte zur berechneten Zeit nach einer
         Flugdauer von acht Monaten und zwei Tagen den Marsorbit.
         Die beiden noch kranken Astronauten waren auf dem Weg zur
         Genesung. Da aber der Kommandant und der Copilot ausge-
         fallen waren, sollte das Raumschiff mit den drei Astronauten
         ohne Berg und Korthaus wieder zur Erde zurückkehren.
         Das Rettungsmodul wurde vom Raumschiff getrennt und landete
         ferngesteuert auf dem Mars. Berg und Korthaus bestiegen die
         Landefähre und verabschiedeten sich von den drei Astronauten.
         
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         Dann wurde die Landefähre abgekoppelt und setzte zur Landung 
         an jener Stelle an, wo auch das Rettungsmodul niedergegangen
         war. Die Rakete im Marsorbit flog zurück zur Erde.
         Das Rettungsmodul war beim Auftreffen auf dem Marsboden
         in richtiger Standposition aufgeklappt. Es war von Anfang
         an als Station gedacht und nur nebenbei als Rettungsmodul.
         Es war ein auffaltbarer Iglu mit 20 Metern Durchmesser,
         enthielt Nährböden und Pflanzen, Aquarien und Fische. 
         Als die Landefähre aufgesetzt hatte, stiegen Korhaus und Berg
         in die Raumanzüge und gingen zu dem Iglu, der nur etwa
         200 Meter entfernt stand. Die Folie war durchsichtig, sodaß
         die Beiden die Marslandschaft betrachten konnten. Der ockerrote
         Sandboden war mit Geröll bedeckt. Die Sonne ging unter. Die
         Atmosphäre war fast schwarz mit einem leichten Schimmer, der
         von dem sehr dünn verteilten Gas der Atmosphäre verursaacht
         wurde. Nacvh einigen Stunden konzentrierter Arbeit hatten
         die Beiden die Station aktiviert und die einzelnen technischen
         Aggregate in Betrieb genommen. Neben einem Sonnensegel wurde
         die Energie von einem aüßerlich kleinen Kernreaktor geliefert.
         Als die Marsnacht begann, saßen die Beiden an einem Tisch und
         tranken Tee. Korthaus sagte:" Wir haben es geschafft."
         Berg antwortete:" Ja, es ist eine noch bessere Ausgangsposition
         als jene, die wir hätten, wenn alles ohne die Krankheiten
         verlaufen wäre."  
         "Wird man wegen der Todesfälle die weiteren Flüge verzögern ?"
         "Ich denke schon. Wichtig ist es, ob die drei Anderen gesund
         zur Erde zurückkehren. Wenn nicht, dann werden wir hier nicht
         mehr wegkommen."
         "Willst Du zurück ?", fragte Korthaus.
         "Nein, aber stell mir die Frage in zwei Monaten noch einmal,
         dann kann sich alles geändert haben."
         "Wie lange können wir ohne Hilfe hier aushalten ?"
         "Ich habe das Modul für 1 Jahr berechnen lassern. Aber es wird
         wesentlich länger gehen."
         "Warum ?", fragte Korthaus.
         Berg erwiderte:" Ich bin sicher, daß wir die biologische
         Regenerierung voll in Gang bringen, mit Tomaten..."
         "Mit Tomaten ?"
         "Ja, und Fischen und alles was wir brauchen."
         Korthaus sah Berg ungläubig an und sagte:" Das heißt, Du hast
         mir wieder einiges vorenthalten, denn auf zwanzig Meter ist
         das nicht denkbar."
         "Ist es nicht, aber ich konnte nicht alles sagen. Wir sind
         ständig überwacht gewesen. Das ist erst jetzt, nachdem wir die
         Landefähre verlassen haben vorbei."
         "Nun mach es nicht so spannend", forderte Korthaus.
         Berg erklärte:" Wir bauen in den nächsten Wochen mehrere große
         Plastikiglus auf. Dort werden wir Landwirtschaft betreiben und
         Sauerstoff gewinnen. Stück für Stück wird unsere Welt größer
         werden." Nun erhob sich Berg, ging zu einem Vorratsschrank
         und holte eine Flasche Cognac heraus:" Jetzt werden wir erst
         einmal feiern."
         "Die Eroberung des Mars", sagte Korthaus.
         "Wir trinken auf Neufrankreich". Damit hob Berg das gefüllte
         Glas und prostete Korthaus zu.
                                                    215/45
         
         An einem der folgenden Tage sah man Korthaus und Berg als
         Gemüsegärtner. Berg setzte Kartoffeln, Korthaus säate Möhren.
         Die Lampen waren in dem Gewächsiglu angeschaltet, durch die
         Folie war der rostbraune Marssand zu sehen. Der Himmel war
         eigentümlich dunkel mit einem unmerklichen Lichtschimmer.
         Korthaus sagte:" Wie fühlst Du Dich als Gemüsegärtner ?"
         "Was bedeutet Deine Frage ?"
         "Nun, es hat nicht so viel mit Rivoli zu tun."
         Berg kam aus seiner gebückten Haltung hoch und sagte: "Mehr
         als es aussieht, viel mehr ! Wir haben den Mars erobert."
         "Ohne Zweifel, General !"
         "Aber ?", fragte Berg zurück. Korthaus war zum Schabernack
         aufgelegt, aber er wollte Berg nicht verärgern. Deshalb sagte
         er:" Wir sind doch beide etwas mehr Stil gewöhnt. Eine kleine
         Krönung.."
         "Korthaus !", sagte Berg etwas entrüstet.
         Dieser erwiderte:" Entschuldige, aber ich habe wirklich
         Interesse an einem großen Auftritt."
         Berg war etwas versöhnlicher gestimmt und meinte: "Wie sollen
         wir das machen ?" Korthaus meinte:
         "Ich habe ein doppeltes Spiel vor. Wenn wir die Krönung zum
         Kaiser des Mars durchführen, dann müßte auch genügend Publikum
         dabei sein."
         "Unbedingt", bekräftigte Berg.
         "Also mit einer Übertragung zur Erde und 3 Milliarden
         Zuschauern."
         Berg lächelte versonnen vor sich hin und meinte leise:" Was
         wäre das für ein Tag".
         "Wir müssen es etwas modifizieren. Also ich denke, wir tarnen
         die Krönung als Dreharbeiten zu einem Film."
         Berg nahm Korthaus spontan in die Arme: "Ein Geniestreich ! -
         und dann verkünden wir die Verfassung."
         Korthaus hatte da seine Bedenken, sagte aber nur:" Wie lange
         brauchen wir zur Vorbereitung.?"
         Berg antwortete:" Ich brauche vier Tage für die Proklamation
         und den Verfassungstext. Wie lange brauchst Du ?"
         Korthaus meinte:" Ich baue einen Thron draußen in der Ebene.
         Wir benötigen eine Krone, die auf den Raumanzughelm paßt."
         "Wie bitte ?", meinte Berg.
         "Du mußt die Zeremonie schon überleben, oder wie soll es ohne
         Dich weitergehen."
         Berg fiel nun ein, daß draußen keine Luft zum Atmem war und
         lenkte ein: "Natürlich, mit Helm, bedauerlicherweise."
         
         Zwei Tage waren vergangen. Berg hatte konzentriert an den
         Texten für die Verfassung und die Proklamation gearbeitet.
         Dann bekam er Bedenken. Beim Nachmittagstee sagte er zu
         Korthaus:" Mir sind Bedenken gekommen. Wenn wir meine Krönung
         durchführen ist alles was bisher im Verborgenen geschah offen-
         sichtlich. Ich werde in das ewige Spiel der politischen Kräfte
         hineingezogen. Wir werden vielleicht als Separatisten
         angesehen, vielleicht als Verrückte, wer weiß."
         "Was willst Du tun ?"
         "Wir bleiben im Turm." antwortete Berg.
         "Das wird nicht lange gehen. Wenn wir hier durchhalten bis das
         Versorgungsschiff kommt, werden neue Kolonisten eintreffen.
         Es wird hier munter zugehen."
         "Ich weiß. Das ist immer so. Jeder Turm ist vorläufig. Zur
         
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         Ostsee können wir nicht mehr zurück. Aber wir haben ein Jahr
         Zeit bis das nächste Schiff kommt, dann vielleicht noch
         einmal zwei Jahre. Also mindestens ein Jahr. Danach ziehen
         wir um in einen anderen Turm."
         "In welchen ?"
         Berg antwortete:" Europa."
         "Den Jupitermond ?"
         "Den oder einen anderen", erklärte Berg:" Dort werden wir
         mehrere Jahre Zeit haben." 
         "Aber die Mitteilung. Es gibt doch gar keine Vermittlung mehr
         bei unserer Arbeitsweise," meinte Korthaus.
         "Doch, wir hinterlassen die Schriftplatten aus Ton. Wir haben
         eine unsichtbare Schule für die Zukunft. Wir teilen uns den
         Generationen des übernächsten Jahrtausends mit."
         "Aber die Heutigen könnten doch auch brauchbare Schüler sein",
         wandte Korhaus ein.
         "Bestimmt, aber wir könnten nicht weiter machen. Es gibt
         keinen Turm im Licht der Öffentlichkeit."
 CD     "Wie wäre es, wenn wir den Film weiter drehen würden ?",
         fragte Korthaus.
         "Ja, machen wir weiter."
         An einem der folgenden Tage baute Korthaus in der Nähe
         der Iglus seine Kamera auf. Berg hatte einen elektrischen
         Meißel mitgebracht. Ein großer Felsbrocken von etwa 12 Metern
         Höhe sollte mit Inschriften und Reliefs versehen werden.
         Vor dem fertig gestellten Monument sollten die Gespenster
         wieder auftreten. Nach Korthaus Drehbuch gehörte die Real-
         ebene, hier die Arbeit am Stein mit zur Handlung. Es gab
         ständig Verwandlungen von realen Personen in Gespenster und
         umgekehrt, eben so wie es im wirklichen Leben auch ist.
         Die Arbeit in den Raumanzügen war mühselig. Es vergingen
         einige Wochen harter Arbeit. Korthaus löste Berg regelmäßig
         bei der Steinmetzarbeit ab. Es wurden sehr schöne üppige
         Frauenkörper in den Stein gemeißelt. Erläutert wurden sie
         mit fremdartig wirkenden Zeichen, die Berg aus ägyptischen
         Quellen übernommen und umgewandelt hatte.
         
         Dann kam die erste Gespensterszene, die auf dem Mars
         spielte. Berg und Korthaus hatten sich weiße große Laken
         über die Raumanzüge gezogen. Sie sahen nichts mehr, aber
         ein Trick half ihnen weiter. Korthaus stellte mit unverhülltem
         Kopf die Kamera auf automatische Aufnahme, ging dann zu Berg
         stellte sich in Position und verhüllte seinen Kopf. Berg,
         ebenfalls mit verhülltem Kopf, hob beide Arme. Korthaus
         erschrak, fiel zu Boden. Berg hob ihn auf, aber Korthaus fiel
         wieder um. Dann machte Berg ein Zeichen mit beiden Armen und
         Korthaus verschwand nach dem Drehbuch von der Bildfläche, -
         letzteres wurde mit einem Bildschnitt gemacht, der erst später
         erfolgte. Es war das Thema der Begegnung von großen und kleinen
         Geistern. Der Große versucht den Kleinen zu sich hinauf zu
 -       ziehen, der Kleinere ist dem nicht gewachsen und geht zugrunde.
         Unterdessen hatten die beiden alten Herren auf der Erde
         große Aufmerksamkeit geweckt. Es hatte niemand für möglich
         gehalten, daß sie in der Lage sein würden in den Plastikiglus
         zu überleben. Die Französische und die Amerikanische Regierung
         hatten sich über den Status der kleinen Kolonie auf dem Mars
         
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         geeinigt. Sie wurde Neuterra genannt und Korthaus konnte sich
         Erster Präsident von Neutarra nennen. Berg wünschte nicht
         mit einem Amt betraut zu werden sondern blieb im Hintergrund.
         Die Putzkolonne, die für Berg die wesentlichen Vorbereitungen
         durchgeführt hatte, konnte die Rolle Bergs auch weiterhin
         verbergen. Es war nun vorgesehen schon bald mehrere Raumschiffe
         zum Mars zu schicken um die Station mit Nachschub zu versehen
         und eine dauerhafte Kolonie zu begründen.
         An einem der Marstage saßen die Beiden in dem Wohniglu und
         besprachen die weiteren Schritte. Korthaus meinte:" Wir
         haben es geschafft. Die Marskolonie wird zur Dauereinrichtung
         gemacht und wir bleiben mit unserer wahren Rolle verborgen."
         Berg erwiderte:" Es ist so gekommen, wie es besser nicht sein
         kann. Viele junge Leute wollen nun zum Mars. Der Umstand, daß
         zwei sehr alte Männer in der ersten kleinen Marsstation
         überleben, hat die Bedenken zerstreut und die Ängste weg-
         geblasen. Vor allem ist der ästhetische Ausdruck in den
         Mittelpunkt gerückt. Hier sind keine Schätze zu holen. Ohne
         die ästhetischen Höhepunkte würde jede Raumfahrt bald er-
         löschen. Was sollte man auf fremden Planeten finden wenn
         nicht sich selbst."
         
         Vier Monate waren vergangen. Die Astronauten in dem Raumschiff
         das zur Erde zurück flog, waren gesund. Berg erwartete die
         Landung einer unbemannten Versorgungsrakete, deren Start
         bereits vier Monate nach dem Abflug des bemannten Raumschiffs
         erfolgt war. Das Gemüse in den Iglus wuchs gut, der Wasser und
         Lufthaushalt waren intakt.  
         "Hast Du eine Überraschung vor ?", fragte Korthaus, als
         die Beiden sich wieder einmal über das erwartete Versorgungs-
         raumschiff unterhielten.
         "Welche Überraschung ?", fragte Berg und lächelte.
         "Was weiß ich, aber irgend etwas hast Du vor,"
         Als endlich das Raumschiff zur Landung auf dem Mars ansetzte,
         gab es tatsächlich eine große Überraschung. In ein Kilometer
         Höhe faltete sich das Landemodul auseinander und öffnete einen
         Rieseniglu aus Plastik, der sich auf vielen kleinen Brems-
         raketen zu Boden senkte. Er hatte über zweihundert Meter im
         Durchmesser. Er setzte fast lückenlos mit seiner Unterkante
         im Sandboden auf.
         "Nun haben wir einiges zu tun", meinte Berg:" Das Iglu muß
         zum Boden hin abgedichtet werden, dann die Büsche pflanzen.."
         "Wir zwei allein ?", fragte Korthaus etwas erschrocken.
         "Ach wo", antwortete Berg. Das Abdichten machen die Dichtungs-
         maschinen. Wir müssen sie nur an unseren Stromkreis an-
         schließen. Die Büsche müssen wir aber selbst setzen."
         "Aber wie wollen wir die alle mit Wasser versorgen ?", fragte
         Korthaus."
         "Sie versorgen sich selbst. Jeder hat eine Wasserreserve in
         einem Behälter und eine Dunstabsaughaube, also einen eigenen
         Wasserkreislauf."
         "Wird das ausreichen ?"
         "Nicht allzu lang. Wir müssen Wasser von den Polen bekommen."
         Bevor Korthaus fragen konnte, fuhr Berg fort:" Es kommen noch
         weitere Versorgungsschiffe mit den entsprechenden Automaten.
         Aber ab der Nummer vier und allen weiteren kommen Mannschaften
         
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         mit hierher, dann ist unsere Ruhe vorbei."
         "Und dann, sind wir dann die Vorarbeiter."
         "Nein, dann fliegen wir weiter oder zur Erde zurück."
         "Also, bei aller Freundschaft, ich muß zu meiner Frau zurück.
         Sie wird es nicht akzeptieren, daß wir weiter hinaus fliegen."
         Die folgenden Wochen waren mit viel Arbeit verbunden. Die
         beiden alten Herren leisteten Erstaunliches. Manchmal zogen
         sie sich auch voreinander zurück. Korthaus hatte einen
         kleinen Iglus unter dem großen hinter den Büschen bekommen.
         Berg wohnte weiter in der ersten Baugruppe Iglus, die durch
         einen Gang mit dem neuen Rieseniglu verbunden war, der aus
         einer Plastikröhre bestand. Die Ähnlichkeit des Lebens der
         Beiden mit Robinson und Freitag auf Ihrer Insel war ver-
         blüffend. Mit dem zweiten Versorgungsschiff kamen Hühner
         und Schafe auf den Mars.
         Berg und Korthaus trafen sich täglich zum Tee zu einer
         Stunde, die zu dem gehörte, was sie Nachmittag nannten.
         Berg bemerkte eine seltsame Veränderung an Korthaus.
         Deshalb fragte er ihn:" Was ist los, Du bist so oft bei
         den Schafen. Seit wann interessierst Du Dich für Schafe ?"
         "Korthaus fühlte sich ertappt. Er gab sich einen Ruck und
         erwiderte:"Wir haben eine junge Frau in den Büschen."
         "Wie bitte, noch mal !"
         " Es ist so ! , sie ist als blinder Passagier mit den Schafen
         hergekommen."
         "Sie hat Dir den Kopf verdreht und nicht die Schafe."
         "Was denkst Du, ich bin doch nicht verkalkt. Sie lebt bei den
         Schafen."
         "Ich vestehe, Wasser, Nahrung usw., sie könnte gar nicht
         anderswo überleben. Seit wann ?"
         "Vorgestern. Ich wollte noch nichts sagen. Vielleicht bin ich
         verrückt", meinte er nicht ganz ernsthaft,:" und die Dame ist
         nur ein Schaf."
         "Stell sie vor !", forderte Berg ihn auf und fuhr fort:" Wie
         ist sie in das Raumschiff hinein gekommen und wie hat sie
         das nur ausgehalten ?", meinte Berg.
         "Sie hat sich mit einem Schaf ausgetauscht. Das heißt, sie war
         vor dem Start der Rakete in einem Schafsfell versteckt. Die
         Packer haben sie für ein schlafendes Schaf gehalten. Dann hat
         sie Fernsehen geguckt. Die Schafe hatten einen Apparat in
         ihrem Modul."
         Berg fragte:" Aber warum ?"
         "Warum ?, das fragst Du. Warum bist Du hier."
         "Du hast recht", gab Berg zu:" andere haben vielleicht
         ähnliche Ambitionen wie wir. Aber es ist doch erstaunlich,
         allerhand. Ich möchte sie so bald wie möglich kennenlernen."
         "Sie war ziemlich ängstlich, ob sie Schwierigkeiten bekommt,"
         meinte Korthaus und fuhr fort:" es sollte eine Überraschung
         werden. Sie ist wegen mir hier."
         "Wie das ?"
         "Sie kennt mich als Regisseur. Ein Freund aus Hollywood hat
         es ihr gesagt."
         "Und dafür diese beschwerliche Reise zum Mars ?"
         Korthaus sagte:" Sie ist auch wegen der Raumfahrt hier, ein
         seltenes Interesse bei Frauen."
         "Oh, ich kenne einige, die sich interessieren.", meinte Berg.
         
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         "Aber welche würde schon diese Strapaze auf sich nehmen. Und
         es ist auch gefährlich gewesen."
         "Ja, es ist eine großartige Leistung, sag ihr das. Und sag
         ihr auch, sie hat nichts zu befürchten. Ich bin ein großer
         Freund des Films."  Korthaus erklärte:
         " Morgen fangen wir mit den Dreharbeiten an."
         "Für den Gespensterfilm ?", fragte Berg.
         "Ich denke es läßt sich in den Film einbauen. Es wird die
         ungewöhnliche Geburt der Schönheit aus einer Frau in der
         Steinskulptur."
         Berg konnte am anderen Tag von seinem Iglu aus die Proben
         von Korthaus und Bernadette beobachten, so hieß die junge
         Frau. Sie war eine hervorragende Tänzerin. In Paris hatte
         sie Auftritte gehabt, zuerst im Lido, dann in der Oper.
         Sie trug nun ein weißes Gewand. Ihr dunkelbraunes Haar fiel
         lang bis über die Schulterblätter hinab. Sie tanzte in der
         Nähe der Büsche bei den Tierställen und Gemüsebeeten auf einem
         kleinen Platz, den Korthaus frei gemacht hatte. Korthaus kam
         nun in der Rolle eines Zauberers auf den Platz. Er trug einen
         spitzen Hut und einen langen Stab in der Rechten. Er verbeugte
         sich vor Bernadette, küßte ihrer Hand, drehte sich im Kreis.
         Dann unterbrach er die Einstellung und richtete die Kamera auf
         die Steinskulptur. In der nächsten Einstellung stand
         Bernadette vor dieser Skulptur. Mit einem leichten Sprung war
         sie auf dem Platz und tanzte mit Bewegungen der Arme, die wie
         bei einem Vogel im Flug schwangen. Berg war begeistert. Er
         klatschte in die Hände, was von den Beiden Anderen nicht
         gehört werden konnte. Nun sprach Korthaus mit ihr. Sie
         zögerte, sagte etwas, Korthaus sprach weiter, und dann gingen
         beide auf den Iglu von Berg zu. Dieser ging ihnen entgegen und
         sagte:" Wunderbar junge Frau !, wunderbar ! Ich sehe die Szene
         vor den Augen: Sie werden vom Stein in Leben verwandelt und
         fliegen frei wie ein Vogel davon ."
         Berg servierte den Beiden Tee. Die junge Frau wurde bald
         unbefangen. Sie sah, daß Berg sie für ihre wagemutige Tat
         bewunderte und keine Schwierigkeiten wegen ihrer unerlaubten
         Reise zu erwarten waren. Korthaus mußte noch verschiedene
         Dinge aufraümen, die mit den Aufnahmnen zu tun hatten. So
         waren Berg und Bernadette allein. Berg sagte:
         " Wie haben Sie das durchgehalten acht Monate allein mit
         den Schafen ?"
         "Ich habe an ihn gedacht. Seitdem er bei unseren Drehabeiten
         zu Gast war."
         "Sie sind wegen Korthaus hier ?"
         "Ja".
         "Sie wollen mit ihm drehen ?"
         "Ja, aber ich habe nicht geglaubt, daß er hier drehen würde".
         Berg wurde klar, daß sie wegen Korthaus hier war und nicht
         um einen Film zu drehen. Sie war offensichtlich verliebt.
         Deshalb fragte er:"Sind Sie verliebt ?"
         "Was ist Liebe ? - aber ich bin wegen ihm hier, ich habe
         Dreharbeiten in den Staaten abgebrochen, weil ich ihn sehen
         muß. Er hat so viel mitzuteilen. Ich habe ihn in Hollywood
         einmal reden hören über die Kunst, das Vergängliche, den Tod.
         Ist eine geistige Faszination Liebe ? Er ist auch ein
         attraktiver Mann, das schon..."
         
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         Berg mochte nicht weiter in  sie dringen. Er fühlte sich
         etwas unwohl, sich so weit vorgewagt zu haben. Deshalb lenkte
         er das Gespräch in eine andere Richtung.
         Distanz war etwas Wichtiges, wenn so wenig Raum zur Verfügung
         stand wie in dieser kleinen Siedlung, in der die Drei nun
         lebten.
         Bernadette richtete sich einen kleinen Iglu unter dem Großen
         ein, der von den beiden Männern aufgebaut worden war.
         Zwischen den drei getrennten Wohnbereichen bestand eine
         Telefonfunkverbindung. Wenn sich einer mit dem Anderen
         treffen wollte, rief er vorher an und fragte, ob es passend
         wäre.
         An diesem Tag waren Berg und Korthaus wieder beim Tee
         zusammen. Bernadette hatte sich zurückgezogen. Sie wußte, daß
         die beiden Herren ihr tägliches ungestörtes Gespräch
         brauchten. Obwohl sie oft eingeladen wurde, nahm sie nur
         solche Einladungen an, die nicht in diese Zeit des Nach-
         mittagsgespräches fielen.
         Berg fragte Korthaus:" Welche Beziehung hast Du zu dieser
         Frau ?"
         Korthaus erwiderte." Ich bewundere sie wie eine Sternengöttin.
         Sie hat unseren ganzen Aufenthalt in eine Sphäre gehoben, die
         ich nicht gekannt habe..  Ob ich sie liebe ?", fragte Korthaus
         sich selbst als ob Berg diese Frage habe stellen wollen:
         "Ich dachte, ich wüßte auf solch eine Frage eine Antwort. Es
         ist eine große Zuneigung, eine Faszination, ein Gefangensein
         von ihrer Atmosphäre. Ich würde mich selbst betrachten als
         hätte ich unter ihrem Einfluß eine andere Identität gewonnen.
         Wenn das Liebe ist, gut. Aber für mich ist es viel mehr.
         Wenn man liebt, ist es doch eine bestimmte Person, ein Ich
         welches liebt. Ich weiß nicht was das ist mein Ich. Es geht
         alles auf in dieser neuen Welt, die durch Sie hier auf diesem
         Planeten entstanden ist. Es wäre ohne den Mars vielleicht
         ganz anders. Ich habe noch nicht mit ihr geschlafen...
         Ob es mein hohes Alter ist ? Ich denke nicht. Diese
         Verzauberung, die sich mit uns ereignet ist schrecklich und
         furchtbar ergreifend schön. Wir sehen uns an und verschwimmen
         ineinander."
         Berg hatte zugehört und sah nun selbst etwas anders aus als
         vorher. Er sagte:" Daß Du das schildern kannst ist
         beeindruckend." 
         Die nächsten Wochen waren mit den Dreharbeiten ausgefüllt.
         Auch Berg wurde oft hinzu gezogen. Er sprach gelegentlich
         mit Korthaus über dessen Zuneigung zu Bernadette.
         " Was ich da beobachte ist für mich völlig neu", meinte
         Berg:" Ihr arbeitet zusammen in einer Weise, wie ich sie
         in der Armee gesehen habe. Ich habe nur die Welt erobert,
         aber Du die Frauen."  Korthaus erwiderte:
         " Liebe fliegt nicht einfach hinzu. Das erscheint oft so.
         Selbst wenn zwei sich sofort verlieben, ist es ihr Wesen
         welches sich ihnen mitteilt. Ihre Geschichte, ihr Lernen und
         Fühlen ist darin enthalten, etwas mit langen Zeitstrecken, die
         in diesem Augenblick wirksam werden, ähnlich dem Vulkan,
         dessen Spannung sich lange vor dem Ausbruch aufgebaut hatte.
         Aber die tiefste Zneigung kam mir stets in der gemeinsamen
         
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         Produktion. Es können Kinder, die Künste oder eine gemeinsame
         Empfindung sein und manches Andere. -
         Es gibt auch eine Liebe der Tat."
         
         Korthaus begann zu komponieren. Er hatte in seinem Computer
         ein Programm aktiviert, welches ein Klavier und andere
         Instrumente simulierte. Da Berg und Bernadette von den
         Stücken begeistert waren, wurden sie ab und zu über Laut-
         sprecher übertragen und waren dann in allen Iglus zu hören.
         Aber auch tänzerisch wurde Korthaus aktiv. Schließlich war es
         so weit, Bernadette und Korthaus luden Berg zu einem Ballett
         ein, welches Korthaus und Bernadette tanzten. Die von Korthaus
         komponierte und aufgezeichnete Musik lief dazu. Die
         Choreographie war von Bernadette geschrieben worden. Korthaus
         hatte den Tanz gründlich trainiert. Bernadette korrigierte
         ihn dabei. Die Rolle der Regie war dann vertauscht. Aber nicht
         nur dann. Auch der Gespensterfilm wurde unter Bernadettes
         Einfluß zu etwas Neuem.
         
         Der Marsaufenthalt wurde allmählich zu einer Veranstaltung
         ästhetischer Happenings und Artefakte. Berg bekam große Lust
         diese Entwicklung auf der Erde bekannt zu machen. Als ewiger
         Lausebub und verkappter Bürgerschreck wollte er möglichst
         viele Zuschauer haben und sie verblüffen. Deshalb schlug er
         den beiden Anderen vor, das Tanzstück zur Erde zu übertragen.
         Dort war man über die einseitigen Nachrichtensperren, die
         von Korthaus und Berg nach ihren Bedürfnissen verhängt wurden,
         nicht glücklich. Nun, da Berg ausführliche Berichte in
         Aussicht stellte, war man bereit fast jedem Wunsch vom Mars zu
         entsprechen. Berg wünschte eine globale Sendung über einen
         Tag auf dem Mars. Man wünschte auf der Erde von den
         Marssiedlern einen Plan über das, was gezeigt werden sollte.
         Berg plante unter den Abschnitten des Sendeplans:
         Wissenschaftliche Berichte, den Großteil der Tagesstunden ein.
         Mit diesen Berichten wollte Berg alle überraschen. Er dachte
         nicht daran, diese Stunden mit wissenschaftlichen Berichten
         auszufüllen derart, was man auf der Erde darunter erwartete.
         Er plante, nach kurzem Bericht über die biologische
         Regeneration in den Iglus, das Tanzstück von Bernadette und
         Korthaus zu senden. Dann wollte er ein philosophisches
         Gespräch zur Kunst bringen, dann den bereits abgeschlossenen  
         ersten Teil des Gespensterfilms und danach einen Vortrag 
         von Korthaus, warum die Kunst die Mutter der Wissenschaften
         sei.
         Am Tag der ersten Übertragung saßen Berg und Korthaus vor
         dem Mikrofon und der Fernsehkamera. Berg zeigte Filmaus-
         schnitte von der Arbeit in den Gewächshäusern und Tierställen.
         Dann gingen die Aufzeichnungen weiter mit der Steinskulptur,
         und völlig übergangslos wurde der Film von Korthaus gezeigt.
         In Houston war der Berater des Präsidenten der USA einge-
         troffen und sah mit den Anderen der Raumfahrtleitstelle die
         Übertragung vom Mars. Die Begeisterung bei diesen Leuten
         kannte kein Ende, als sie sahen, daß die für so schwierig
         eingeschätzten Regenerationsprobleme nun vollständig bewältigt
         worden waren.
         
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         Als die Kamera die Steinskulptur zeigte und Korthaus mit der
         jungen Frau ins Bild kam, deuteten die Herren in Houston dies
         als Einschub eines Filmes, den die Besatzung auf dem Mars zur
         Entspannung von der Erde mitgebracht hätte. Dann kam die
         Stelle des Korthaus Films, die damals auf der Erde gedreht
         worden war. Das Bild verriet aber nicht, wo das Dargestellte
         war, ob auf dem Mars oder der Erde. Im Hintergrund der
         Gespensterdarbietung sah man das Wasser eines Sees. Der Chef
         des Kontrollzentrums in Houston rief:" Sie haben Wasser auf
         dem Mars, sie haben es !", und klopfte dem hohen Gast aus dem
         Weißen Haus auf die Schultern. Dieser verfiel ebenfalls der
         Illusion der Bilder und der Suggestion durch den Anderen.
         "Sehen Sie diese neuen Schutzanzüge !", meinte ein Techniker
         und deutete auf die Laken der Darsteller im Film. " Wohl gegen
         UV-Strahlung entwickelt". "Und so leicht.", meinte ein
         anderer. "Wußten Sie von diesen Anzügen ?", fragte der Berater
         des Präsidenten. "Nein", antwortete des Chef von Houston:" die
         stammen wahrscheinlich aus Frankreich. Die Station ist in
         Frankreich gebaut worden." Im Verlaufe der Darstellung wurde
         nun klar, daß die junge Frau offensichtlich auf dem Mars dabei
         war. Der Berater des Präsidenten griff zu seinem Handy und
         teilte dies dem Präsidenten mit: "Wir haben eine neue Lage,
         die Franzosen haben die erste Frau auf dem Mars." Der
         Präsident, der ebenfalls über seinen Fernseher die Übertragung
         gesehen hatte, meinte:" Warum haben unsere Dienste das nicht
         erfahren ? Das wird Komsquenzen haben ! Zunächst werden wir
         offiziell einen Glückwunsch zum Mars und zur Französischen
         Regierng senden ".
         Die Sendung vom Mars gewann nun an artistischer Höhe, daß
         jedem auf der Erde deutlich wurde, hier bietet sich
         ein Schauspiel und es geht nicht um einen wissenschaftlichen
         Bericht.
         Korthaus war zu sehen, wie er vor der Steinskulptur stand,
         die ihn überragte, den Blick zur Frau in Stein gewandt.
         Er sprach:
           "Wesen aus Sternengeburten und Sternentoden
           zusammengeschmiedet in den Augen zeitloser
           Sehnsucht. In den Spiegeln des Ichs und eines Nochnicht- ich
           eingesunken und verloren.
           Schönheit, Freiheit und raubendes Tier des Dschungels.
           Geglättete Extase, stufenlose Haut und Glut.
           Und Erkennen fremder Verschmelzung, Einssein im Vielsein,
           Geborgen im zerfließenden Strom scheinbarer
           Strecke der Zeit.
           Nur Funken und Eruption eines Schon- nicht- mehr,
           Nahen, Verzehrenden.
           Und doch hier, als Feuer einer anderen Form, die
           im orgiastischen Zerplatzen des Meinseins mehr wird, 
           alles wird, - und aus dem Tal wieder hinauf will, 
           immer wieder ins Licht."
         
         Die Skulptur erwachte, die junge Frau trat in ihrer
         verzauberten Schönheit scheinbar aus dieser hinaus in den
         Sand des Mars.
         Wie Berg waren auch manche Zuschauer auf der Erde noch
         versunken in den steinernen Frauenkörper der Skulptur.
         Zuerst nahmen sie die Bewegung der jungen Schönheit wahr, als
         ob der Stein zu Leben erwacht wäre. Dann die warmen, lebenden
         
         
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         Brüste, die seidigen Haare, das unverhüllte der Schenkel. Nun
         erst durchzuckt die Wahrnehmung der Nacktheit das begehrende
         Bewußtsein mancher Männer. Und in diesem Augenblick, sehr
         rasch, legt Korthaus das weiße Gewand um die Formen ihres
         Körpers.
         Erst jetzt tritt der Wandel völlig ins Bewußtsein und
         hinterläßt im Mann ein sich selbst entfremdetes Gefühl.
         
         Die junge Frau setzte sich auf einen Stein, Korthaus
         schritt auf sie zu, gab ihr die Hand. Sie erhob sich, drehte
         sich im Kreis, stand still. Korthaus wich etwas zurück,
         wie geblendet von ihrem Anblick. Dann sprach er:
           "Deine Augen tragen mühelos das niedersinkende Licht,
           bergen zartes Anschaun, senden sanfte Fingerkuppen
           auf die fiebrig aufgeblühte Haut,
           die Dich sucht und wartet auf die trinkenden Lippen
           und das Aufgehn Deiner großen Liebessonne -
           Göttin des Lichts."
         
          Nach der Sendung des Films trat eine Funkstille ein, die
         Berg bewußt eingerichtet hatte, auf der Erde aber als
         technisches Problem gedeutet wurde.
         Es kam wenig später zum Gespräch zwischen den Dreien
         auf dem Mars. Berg sagte:" Es war grandios, überwältigend."
         Korthaus lächelte, die junge Frau lächelte ebenfalls sehr
         zufrieden. Korthaus fragte:" Wie geht es weiter ?"
         Berg erwiderte:" Wir lassen die Eindrücke des Films auf der
         Erde nachwirken. Die Techniker werden etwas verunsichert
         sein über den Mangel an wissenschaftlichen Daten, die
         Wissenschaftler warten, ob nicht endlich die vesprochenen
         Berichte gesendet werden. Aber die Menschen werden eine
         Sehnsucht erfahren, die nicht abschätzbare Folgen haben wird."
         Bernadette verstand es sofort, Korthaus meinte zweifelnd:
         "Wird man die Station weiter ausbauen und interessiert am
         Mars bleiben ?"
         Berg erwiderte:" Mehr als denkbar ist. Jede nur
         wissenschaftliche Sendung hätte uns nicht weiter geholfen.
         Wenn sie herausfinden, daß hier kein Wasser ist, wird die
         Raumfahrtbehörden der Mut verlassen, die Politiker werden
         zögern. Nun aber, nach dieser Sendung werden die Völker selbst
         zum Motor der Raumfahrt werden.
         Es sind die Sehnsucht und die Liebe, die das Große in der
         Welt hervorbringen. Es wird Umfragen geben..."
         "Von Dir bereits vorbereitete Unfragen ?", meinte Korthaus
         verschmitzt."
         "Oh ja, und die Politik wird von der Strömung in den Völkern
         mitgerissen werden. Sie werden jedes Geld ausgeben können, was
         zu bekommen ist und mehr."
         "Also ist die Kunst die Mutter der Wissenschaften ?", meinte
         Korthaus fragend.
         "Ja, die große Kunst ist es. Die Sehnsucht geht dem
         Wissenstrieb voran. Mit den Steinen und dem Sand hier ist gar
         nichts anzufangen. Aber diese Bühne, deren Magie nun auf
         der Erde einwirken wird, zieht sie in ihren Bann, so wie Euch
         und wie mich."
         "Was machen wir morgen ?", fragte Korthaus.
         
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         Berg schlug vor:" Wir zeigen die Teile Deines Films, die
         heute nicht zu sehen waren, die Gespenstertherapie und
         den Tanz beim Picknick im Grünen."
         "Du meinst, sie sehen sich das auf der Erde an."
         "Meinst Du nicht", kam von Berg die Gegenfrage.
         "Warten Sie nicht auf wissenschaftliche Berichte ?", fragte
         Bernadette.
         "Ja, aber die sind der Sendestörung zum Opfer gefallen.
         Wir haben ja eine mehrstündige Störung." erwiderte Berg.
         "Aha, dafür die Abschaltung und diese sogenannte Störung"
         Berg erklärte:" Wenn wir auf dieser Höhe der Darastellungen
         Berichte von physikalischen Parametern auf dem Mars bringen,
         schlafen uns die Leute ein, dann war alles umsonst.
         Aber wir müssen die Techniker bei Laune halten.
         Ich habe etwas vorbereitet."
         Am anderen Tag schalteten Berg und Korthaus den Sender wieder
         ein. Die Herren in Houston hörten die Stimme von Berg:
         "... Damit ist die Darstellung der Biokulturen in Iglu 3
         beendet."
         Man glaubte auf der Erde, der voran gegangene Bericht sei der
         Funkstörung zum Opfer gefallen. Nun sah man einen weiteren
         Film mit den Szenen von Korthaus und Berg, die noch nicht
         gezeigt worden waren. Vor dem Hintergrund eines verfallenen
         Gebäudes tanzten zwei sehr alte Herren mit überzeugendem
         Schwung, hoben die Beine, wirbelten im Kreis, schlugen Rad,
         machten Spagat sogar. Vor den Bildschirmen auf der Erde
         vergaßen die Menschen, daß es alte Männer waren. die dort
         tanzten. Der Altersforscher der Nasa meinte, es sei die
         gesunde Marsumgebung. Möglicherweise würde sogar die Lebensuhr
         rückwärts laufen. Vielleicht war der ewige Jungbrunnen
         entdeckt. Die Verblüffung war überall auf der Erde groß.
         Was Berg beabsichtigt hatte trat ein, man war fasziniert und
         wollte mehr davon sehen. Die Wissenschaftler, die ihre
         Enttäuschung kaum verbergen konnten, weil die Berichte noch
         fehlten, wurden von den anderen, den Leitern, Managern,
         Politikern einfach mitgerissen. Sie waren plötzlich nicht mehr
         so wichtig. Das Volk der westlichen Welt wollte zum Mars,
         am Liebsten alle auf einmal - oder doch fast alle.
         Noch während die nächsten Versorgungsraketen für den Mars
         in Cape Canaveral und Französisch Guyana startklar gemacht
         wurden, fand in Paris eine denkwürdige Begegnung statt.
         Die Staatsmänner der größten Staaten der Erde, die armen
         ausgenommen, waren zusammen getreten um ihr weiteres Vorgehen
         am Mars abzusprechen. Unglücklicherweise waren unter den
         Politikern der zweiten Riege einige Kunstbanausen und
         Miesepeter, die als graue Eminenzen beinahe mehr Einfluß
         hatten, als die Staatsoberhäupter selbst. Da es um Männer
         ohne Profil ging, die hinter den Kulissen wirkten, heißen
         sie nur A, B, C, usw.
         A sagte:" Es ist nicht mehr zu verantworten. Es gibt keine
         Ergebnise vom Mars. Es gibt das teuerste Amateurspieltheater
         das denkbar ist. Die Gelder werden für wichtigere Dinge
         gebraucht." B untersützte den A: " Unsere Interkontinental-
         raketen sind ein Sicherheitsrisiko geworden. Wir müssen sie
         modernisieren und die Atomsprengköpfe erneuern, es fehlt
         aber das Geld. Wo ist es ?, auf den Raumbahnhöfen in den
         
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         sinnlosen Marsraketen." C fügte hinzu:" Unsere Bevölkerung
         wird unruhig, wir können unseren Militärbeitrag nicht mehr
         finanzieren, es muß Schluß sein mit dem Marsprojekt."
         Nun hatte der Französische Präsident einen schweren Stand.
         Der Hinweis auf die Zustimmung in der Bevölkerung für die
         Marsstation klang hilflos. Ähnlich erging es den anderen
         Staatsoberhäuptern. Die Deutschen sagte nichts, da sie
         ohnehin gespart hatten mit ihrem Engagement am Mars. Das Ende
         vom Lied war die Einberufung einer großen internationalen
         Sparkommission, die von genau denen geleitet werden sollte,
         die das Marsprojekt begraben wollten.
         Glücklicherweise war eine Dame aus Bergs Putzkolonne bei der
         Besprechung anwesend. So gelangten die neuen Nachrichten
         über Funk zum Mars. Berg war etwas still geworden, als er
         die Nachricht von der Konferenz in Sachen Mars las.
         Korthaus alledings schien diesmal weit weniger betroffen. Er
         sagte:"Darf ich dich erinnern:" Der Zweck heiligt die Mittel".
         Berg meinte:" Was hast Du vor ?"
         Korthaus machte: "psst" und schrieb die Antwort auf einen
         Zettel, denn er befürchtete, daß auch hier die Gespräche
         abgehört würden und dann den entspechenden Leuten auf der Erde
         zukommen könnten. Auf dem Zettel stand: "Es gibt Leben auf
         dem Mars." Berg stutzte, dann überlegte er und nickte mit dem
         Kopf, - Korthaus hatte freie Bahn.
         Einige Stunden später ging Korthaus mit einem Spaten und
         einem Eimer voll Moosgeflecht, welches aus einem Anbauiglu
         stammte, hinaus in die freie Marslandschaft. Der Raumanzug
         machte seine Schritte schwerfällig. Berg und Bernadette
         standen hinter der durchsichtigen Hülle des großen
         Plastikiglus und sahen zu. Bernadette sagte:" Geht er jetzt.."
         Berg unterbrach sie: "Psst, schreiben !" Bernadette
         verstand. Sie schrieb auf einem Zettel:" Geht er jetzt
         das Moos vergraben ?" Berg nickte zustimmend. Dann schrieb
         er: "Das ist das Leben auf dem Mars, welches er in einigen
         Tagen finden wird."
         Korthaus vergrub nun das Moos im Sand. Dann kam er zurück.
         Berg lächelte, Bernadette lachte und Korthaus machte:
         "Psst !", wegen der Abhörgefahr.
         Einige Tage später ging Korthaus wieder zu der Stelle hin,
         an der er das Moos vergraben hatte. Er grub es aus und nahm
         es mit in den großen Iglu. Dort gab es ein kleines Labor.
         Er legte das Moos in eine Schale und diese unter ein
         Mikroskop. Dann wurde die Erde angerufen. Von dort aus
         konnte das Labor bedient werden. In der Nähe von Houston
         war die Auswertungsstelle. Zwei Wissenschaftler analysierten
         das Moos. Der Eine sagte zum Anderen:" Warum legen sie Moos
         unter den Spektrographen ?" Der Andere erwiderte:" Es geht
         nicht um das Moos. Das ist nur als Nährboden verwendet worden.
         Gehen wir zum Elektronenmikroskop."
         Die Untersuchungen dauerten einige Tage. Plötzlich rief der
         Eine:" Hurra, wir haben sie, Viren vom Mars !" Der Andere kam
         herbei gelaufen und sah ebenfalls auf den Bildschirm. Was er
         sah, ließ ihn stutzen. Diese sogenannten Marsviren waren ihm
         bekannt. Er wollte sagen: Du irrst Dich. Aber schlagartig
         wurde ihm die schwierige Lage seines Labors bewußt. Die
         Kürzung der Kosten des Marsprojekts war überall zu hören. Er
         
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         verschluckte seinen Satz und meinte:" Du hast es, zum Teufel
         Du hast es ! Aber wir sollten sicher gehen." "Wie meinst Du
         das ?", fragte der Andere. "Nun, wir färben Sie ein. Niemand
         glaubt an den Mars, wenn alles so aussieht wie auf der Erde."
         "Eine gute Idee." So kam es, daß Leben auf dem Mars entdeckt
         wurde. 
         Korthaus und Berg saßen wieder bei ihrem Nachmittagstee.
         Korthaus meinte:" Du bist sicher, daß wir nicht mehr abgehört
         werden ?"
         "Ja, ich war auch schon vorher sicher, aber dieses neue
         Gerät aus dem deutschen Labor hat es bestätigt. Wir können
         ungeniert reden."
         Korthaus sagte:" Wir können jetzt nicht mehr feststellen, ob
         es Leben auf dem Mars gegeben hat. Unser Eingriff hat alles
         durcheinander gebracht."
         "Ich denke nicht. Seit Spuren von Aminosäuren im Orion Nebel
         entdeckt wurden, ist mit Leben überall zu rechnen. Die
         Frage ist, ob das Leben überall den gleichen genetischen Code
         entwickelt. Es gibt eine Theorie von einem alten Engländer. Er
         meint, das Leben hätte sich zentral entwickelt und sei vor
         Jahrmilliarden bereits in einer Art Sporenverbreitung in alle
         Teile des Universums gelangt. Er meint, Superviren wären
         überall hingelangt und hätten dort das Leben entzündet."
         "Ist das wahrscheinlich ?", fragte Korthaus. Berg erwiderte:
         "Vielleicht nicht. Leben könnte auch an verschiedenen Stellen
         spontan entstehen. Leben ist nichts Besonderes, nur eine
         besondere Form des Toten." "Nietzsche ?!", meinte Korthaus.
         Berg erwiderte:" Ja, aber es ist auch unwichtig. Noch kaum
         jemand aus den Reihen der Wissenschaft hat bemerkt, daß es
         völlig egal ist wo Leben entstanden ist und wie es definiert
         wird. Die einzige interessante Frage ist doch die, ob der
         Einzelne in seiner Einzelheit der Endpunkt der Entwicklung ist
         oder ob es so etwas gibt, was die Inder Kosmisches Bewußtsein
         nennen." "Du und eine Gottheit ?", fragte Korthaus.
         "Das hat nichts mit Religion zu tun, wie ich es untersuche.
         Ein Bewußtsein über den Einzelnen hinaus wäre nicht ein
         "Höheres Wesen", sondern nur eine andere Form des Individuums.
         Es hätte auch nicht mehr Macht über etwas Anderes. Sieh mal
         die Einzeller im Vergleich zu den Vielzellern. Die Vielzeller
         sind keine höheren Wesen als die Einzeller, sie sind nur
         neuere Entwicklungen. Es ist das Unbegreifliche, welches
         hinter diesen Spekulationen steht. Wenn man sieht, wie
         jede Generation das Ererbte und das Aufgespeicherte sich
         aneignet und seinen Erzeugern ähnlich wird. Es könnte schon
         eine einfache Fortsetzung eines Bewußtseins sein, welches
         nicht wirklich beendet ist."
         "Eine Trostvorstellung !", meinte Korthaus.
         "Nur scheinbar", widersprach Berg und fuhr fort:" es ist ja
         das Persönliche, welches wir sind, das nicht zu retten ist.
         Das Überdauernde, das Allgemeine geht uns nicht wirklich
         etwas an. Jede Freude, jede Angst sind mit dem Persönlichen
         verknüpft, während das Allgemeine als eine Sammlung von
         Werkzeugen genutzt wird. Deshalb bedrückt es auch kaum
         jemanden, wenn ihm vom Allgemeinen etwas fehlt. Der
         geschichtslose Mensch ist so eine Art Mensch-tier, aber es
         bedrückt ihn nicht, obwohl er oft am Mangel seines Wissens
         zugrunde geht."
         
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         "Welchen Sinn hat denn diese Spekulation, wenn es kein Leben
         nach dem Tod gibt ?", fragte Korthaus.
         "Es ist in allen Spekulationen dasselbe, ein Teil der
         Menschheit hofft auf Beweise für ein Überleben des eigenen
         Todes, ein anderer Teil will die Gespenster aus dem Leben
         vertreiben", antwortete Berg: "Sie verfolgen alle das gleiche
         Ziel: ohne Angst zu leben."
         "Wir beißen uns die Zähne aus, mit den Gedanken an das Ende
         des Lebens. Aber an das, was vor dem Leben war, denkt man
         kaum oder wenn nur so nebenbei", meinte Korthaus.
         "Das ist das Merkwürdige, obwohl es verwandt ist, das Vor
         und das Nach dem Leben, beschäftigt sich der Mensch nur mit
         dem Danach. Vielleicht ist es ein Lebenstrieb so zu denken."
         "Wie meinst Du das ?", fragte Korthaus.
         Berg erwiderte." Man will um jeden Preis leben für immer.
         Die Frage des Todes verlöre viel von ihrem Schrecken,
         wenn man an die Zeit vor der Geburt denkt, da war nichts
         Erschreckendes. Der Schreck ist immer ein Sich-selbst-
         erschrecken. Man stellt sich irgendwie noch lebend vor, wenn
         man an das Todsein denkt. Man kann nur irgendwie lebend an das
         Todesein denken. Denn ein Todsein gibt es nicht. Man ist ein
         Nicht-sein im Todsein, wie sollte man so etwas denken können.
         Der Gedanke müßte einfach erlöschen, wenn man an das Todsein
         denkt. Genau dies passiert nicht. Man stellt sich vor, man ist
         als Toter so etwas wie ein Schwerstkranker, man sieht, hört
         und kann nichts tun. Das ist Unsinn, aber es funktioniert so.
         Der Schrecken wird durch eine Halluzination erzeugt."
         Korthaus sagte nun:" Mir kam vor einiger Zeit eine Idee, Es
         wäre doch denkbar, daß das Todesbewußtsein die verfeinerte
         Form des tierischen Überlebenstriebes ist."
         "Wie meinst Du das ?", fragte Berg.
         Korthaus erläuterte:" Tiere, die nicht restlos fanatisch für
         ihr Überleben kämpfen werden durch die Evolution aussortiert,
         sie verschwinden einfach, das heißt, sie sind schon
         verschwunden. Der Mensch kann mit seinem Denken das Nichtsein
         des Todseins, das Illusionäre der Angst durchschauen. Er
         könnte also prinzipiell völlig furchtfrei werden. Am Ende
         würde er seinen Überlebenstrieb schwächen und zugrunde gehem."
         Berg meinte:" Das ist mir auch einmal so in den Kopf gekommen.
         Vielleicht gibt es deshalb keine Menschen, die mit ihrem
         Denken konsequent wider ihre Instinkte leben können."
         "Sie wären längst ausgestorben", meinte Korthaus.
         "Aber", fügte er hinzu:" es wäre auch eine neuartige Form
         des Bewußtseins denkbar. Ein Mensch, der in jungen Jahren
         furchtsam ist und sich vermehrt, könnte im Alter furchtfrei
         werden und die Dinge durchschauen ohne seine Linie zu
         gefährden."
         "Vielleicht", meinte Berg:"aber es könnte auch sein, daß der
         ältere Mensch dann dem jüngeren viel zu früh die Furcht nimmt.
         Vielleicht wird er dann sehr früh zu leicht gegenüber
         dem Tod." Korthaus wiegte seinen Kopf etwas, und meinte:
         "Auch das ist möglich."
         Bernadette hatte das Gespräch ungewollt mitgehört.
         Eine für Notfälle installierte Mikrofonanlage war angesprungen
         und hatte es in alle Iglus übertragen. Kurzentschlossen ging
         
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         sie zu den Beiden. Verwundert sahen die Herren sie kommen.
         Sie sagte:" Es tut mir leid, ich war Ohrenzeuge. Die
         Mikrofonanlage ist angesprungen." Korthaus lachte und meinte
         zu Berg:" Nun haben wir sogleich eine Testmöglichkeit ob das
         reife Bewußtsein die Jugend gefährdet."
         Bernadette sagte leicht amüsiert:" Ich denke, nur der Ältere
         ist gefährdet bei seinen Gespensterkämpfen. Wenn man jung ist,
         denkt man nicht oft über diese Dinge nach, und wenn, so werden
         sie bei der ersten Regung der Begierde weggefegt."
         Berg meinte:" Sie hat Recht, wir haben das Wichtigste
         vergessen: die Triebe. Man braucht keine Furcht zum Überleben,
         jedenfalls nicht so viel wie wir vorausgesetzt haben."
         Korthaus meinte nun:" Mir war es auch so, als hätten wir etwas
   CD    Wichtiges vergessen, bei unserem Gespräch."
         Bernadette hatte gelächelt bei diesem Satz. Nun wurde sie
         ernst und sagte:" Es ist furchtbar hier. Es gibt kein
         Publikum, keine jungen Männer, keine jungen Frauen, keine
         Kinder, keine Disko, kein Club, nur Sand und drei Menschen
         allein."
         Berg meinte:" Wenn ich es richtig sehe, Du hast recht. Wir
         müssen den Zustand schnellstens ändern."
         "Was heißt schnellstens ?", fragte Bernadette etwas gereizt.
         Berg erwiderte:" In einigen Tagen kommen die ersten Raketen
         mit neuen Leuten an. Sie bringen Iglus mit und viel Gerät.
         Auch Stereoanlagen, dicke Boxen usw."
         "Was für Leute ?", fragte Bernadette mißtrauisch, als wollte
         sie sagen: Techniker, trockene Programmierer, ebenso
         trockene Biologen. Korthaus schaltete sich ein:
         " Das können wir genau feststellen, komm mit.-" Er führte
         Bernadette zu einem Terminal und schaltete ihn ein. Er suchte
         den Katalog heraus, in dem die neuen Mannschaften, die zum
         Mars kommen würden, aufgeführt und abgebildet waren.
         Dann kamen die Fotos. Es waren Künstler, Freaks und andere
         Ausgeflippte dabei. Benadette war entzückt. Sie fragte:
         "Wie ist das möglich ?", alles interessante Leute. Diese
         Mannschaften und Piloten, bestes Material."
         "Das hat die...", wollte Berg sagen, und Korthaus sagte
         gleichzeitig:" Die Putzkolonne gemacht."
         Bernadette lachte, ging zu Berg umarmte ihn stürmisch, gab
         ihm einen Wangenkuß und sagte:" Toll, ganz toll."
         Berg lächelte und meinte:" Man muß ja etwas lernen. Wozu wird
         man sonst über hundert Jahre alt."
         "So alt ?" fragte Bernadette.
         "Nun ja".., meinte Berg und freute sich, daß sie nicht auf die
         Idee gekommen war, er ginge schon an die hundert Jahre. Denn
         er war ja schon fast zweimal hundert Jahre alt, was er für
         sich behielt.
         
         Korthaus ging zu Berg zurück während Bernadette noch einmal
         zum Terminal ging und weitere Bilder ansah. Korthaus fragte
         Berg: "Was wird denn aus dem Turm, wenn hier das bunte Leben
         beginnt ?" 
         "Es könnte so wie auf Elba werden. Dort waren viele Leute auf
         engem Raum, aber ich lebte manche Stunden zurückgezogen. Der
         Turm ist ein Lebensstil." 
         " Also nicht nach dem Jupitermond Europa entfliehen ?", fragte
         Korthaus. Berg lachte und sprach:" Wer hat denn hier den Tanz
         und die Expression hineingebracht ?" 
         
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         "Also willst Du in die Diskothek !", stellte Korthaus fest.
         " Du doch auch. So ganz allein wollte ich nicht in den
         Weltraum fahren. Irgendwie macht die Musik jung", erwiderte
         Berg. Korthaus meinte:"Kommen Dir alte Leidenschaften
         zurück ?" Berg spielte den Ahnungslosen, konnte ein Grinsen
         aber nur knapp unterdrücken und sagte:" Wie meinst Du das ?"
         "Ein Tonbandgerät kannst Du überall hin mitnehmen. Nur für
         die Musik brauchen wir keine Disko", sagte Korthaus.
         Berg winkte Korthaus an sein Ohr heran und sagte:" Weiber,
         viele scharfe Weiber." Korthaus drehte sich erschrocken um
         ob nicht Bernadette etwas gehört hatte. Dann sagte er
         ebenfalls leise:" Wenn Du so redest, geht es bald wieder in
         Richtung Osten."
         "Symbolisch gesehen ja. Aber im Weltraum ist Osten überall",
         antwortete Berg.
         "Was hast Du vor ?" Berg ging ganz dicht an Korthaus Ohr und
         machte: "Psst, wird nicht verraten."
         "Was wird nicht verraten ?", fragte Bernadette, die wieder zu
         den Beiden gegangen war ohne daß diese es bemerkt hatten.
         Berg fing sich sofort und antwortete: "Bin ich schon ein Fall
         für die Pension ?" Bernadette lachte und sprach:
         "Eure ewigen Sorgen um die ewige Jugend. Ich meine, Einer geht
         von den Windeln anschließend direkt in die Rente, ein Anderer
         nie." Korthaus sagte:" So ist sie, immer liebenswürdig."
         Der letzte Tag auf dem Mars hatte begonnen, an dem die
         Drei allein unter sich waren. Vier Raumschiffe von der Erde
         waren in die Marsumlaufbahn eingeschwenkt und bereiteten
         ihre Landemodule vor. In einem der Raumschiffe war Elonga,
         ein junger Pilot aus Afrika, der zur internationalen
         Mannschaft gehörte, die nun die Marskolonie erweitern sollte.
         Bernadette hatte in den letzten Wochen über Bildtelefon
         mit ihm Kontakt aufgenommen. Sie war ebenso von ihm
         begeistert, wie er von ihr. Korthaus war von gemischten
         Gefühlen gerüttelt.
         Ihm war klar, daß seine Romanze mit Bernadette ihrem
         Ende entgegen ging. Selbst wenn sie später noch mit ihm
         zusammen sein würde, hätte dies eine andere Bedeutung.
         Berg und Korthaus saßen in dem ersten kleinen Iglu zusamnen
         und tranken Tee. Obwohl Berg keinerelei Fragen gestellt
         hatte, begann Korthaus: "Abschied ist immer wieder schwer.
         Als wir in den Turm gingen, hatte ich geglaubt, diese Art
         des Abschiedes nicht mehr erleben zu müssen und erleben
         zu können. Diese  Melancholie habe ich seit 1920
         nicht mehr gespürt."
         Berg erwiderte:" Ohne diesen Abschied wäre aber alles was
         vorher war, nicht gewesen."
         "Ja, - es ist auch nicht so, daß ich eine anderer Entwicklung
         unseres Lebens wünschen würde. Früher wollte ich immer etwas
         Besseres, wenn der Abschied nahte. Heute ist der Abschied das
         Bessere."
         Berg sagte:" Wir haben aber noch einige Tage Zeit für den
         neuen Anfang."
         " Berg !, wir müssen uns an das Sie gewöhnen, wenn der Turm
         verlassen wird."
         Berg antwortete: " In diesem besonderen Fall hat der Turm
         uns verlassen. Morgen steht, synmbolisch gesagt hier kein
         Stein mehr auf dem Anderen."
         
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         Korthaus blickte in die Ferne. Mit einem ganz anderen neuen
         Ausdruck in seinen Augen sagte er:
         "Wenn es wieder losgeht, Mon General, ich bin dabei."
         Die folgenden Tage waren von einer unerhörten Emsigkeit
         geprägt. Korthaus und Berg mußten 14 Stunden täglich bei der
         Organisation des Ausbaus der Station mitarbeiten. Da sie die
         einzigen waren, die alles Bisherige auf dem Mars übersehen
         konnten, war es ihnen nicht möglich, sich so einfach aus dem
         Staub zu machen. Der Leiter der Raumschiffflotte hatte jeden
         vorzeitigen Start einer Rakete untersagt und sogar eine
         Bewachungsmannschaft für die beiden Herren abgestellt. Sie
         waren einfach unentbehrlich. Der Aufbruch in einen neuen Turm,
         wie sie es sich vorgestellt hatten, war vorerst unmöglich
         gemacht. Aber in Gestalt von Bernadette gab es ein weiteres
         unkalkulierbares Hemmnis. Sie sprach an einem der Abende mit
         Berg:" Was ist ist in ihn gefahren Berg ?"
         "In Korthaus ?".
         "In eben den !"
         "Er nimmt Abschied."
         "Aha, er nimmt Abschied. Das wird ihm nicht gelingen", sagte
         sie.
         "Warum nicht ?"
         "Weil ich ihn brauche", erwiderte Bernadette.
         "Was sagt ihr neuer Freund dazu ?"
         "Hören Sie mir gut zu Berg. Ich habe von der ausschließlichen
         Zweisamkeit vor einigen Jahren Abschied genommen. Wenn
         Korthaus meint, er müsse jetzt dem neuen Mann ausweichen und
         mich vergessen, so werde ich das nicht einfach mitmachen."
         "Was wollen Sie tun", fragte Berg.
         "Ich gehe zu ihm und sage ihm, was ich will."
         Am Ende des Gesprächs ging sie in den Iglu, in dem Korthaus
         sich aufhielt. Da die beiden Iglus, der von Berg und von
         Korthaus unter einem neuen großen Iglu eingerichtet waren,
         hattem sie eine gemeinsame Lufthülle, die der Übetragung von
         Schallwellen hilfreich ist. Berg hörte, wie sie bei Korthaus
         anlangte und schimpfte wie ein Rohrspatz. Korthaus war kaum zu
         hören. Berg dachte, da hat er nun auf dem Mars eine ähnliche
         Situation wie auf der Erde mit seiner Ehefrau. Das Ende vom
         Lied war, daß Korthaus gehorchte. Ob er wollte oder nicht,
         sie ließ ihn nicht los. Der junge Mann, mit dem sie nun häufig
         zusammen war, hatte die Beziehung von Korthaus und Bernadette
         bereits akzeptiert, zumal er wußte, wer sie war,
         und was sie war.
         In jenen Tagen gab es ein großes Fest im Diskoiglu. Berg und
         Korthaus tanzten ebenso wie Bernadette und ihr Elonga. Spät
         im Morgengrauen, soweit man auf dem Mars davon sprechen kann,
         gingen Korthaus und Berg noch einmal in Bergs Iglu.
         Berg sagte:" Nun ist es Zeit Abschied zu nehmen."
         "Wieso ?", fragte Korthaus.
         Berg erwiderte:" Sie müssen zu ihrer Frau zurück, Bernadette
         und Elonga wollen auch zur Erde. Ich habe hier noch zu tun.
         Sie sind kein Mann des Turms, dafür sind Sie noch zu jung."
         Korthaus meinte:" Sie wollen allein weiter machen ?"
         "Ich werde Sie gewiß wieder brauchen. Es wird nicht sehr lange
         dauern, bis es soweit ist."
         "Verraten Sie mir, was sie tun ?"
         
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         " Was ich mache, weiß ich noch nicht genau, aber wie ich es
         mache. Auf dem Südpol des Mars wird eine Pumpstation für das
         Wasser der Polkappe eingerichtet. Ich werde dort eine Weile
         allein sein und gewissermaßen in den Turm zurückgehen.
         Es ist so vorgesehen, daß der Betrieb der Station nur eine
         Aufsichtsperson benötigen wird. Die vorgesehene Mannschaft
         wird etwas abseits untergebracht sein und mich in Ruhe
         lassen."
         "Wie haben Sie das hingekriegt ?"
         "Die Putzkolonne..."
         Korthaus sagte lachend fast gleichzeitig:" Die Putzkolonne
         hat es vorbereitet."
         "So ist es, -  adio mein Freund."
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