Fred Keil Europäisches Gedicht Nr.106 Aachen, Berlin, Saas Fee, Ratingen 1977
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Wir sitzen dann, Freunde und Gehaßte, ermattet beieinander, am Rande der Arena als Sieger und vor uns liegen die Schädel dessen was lebte, gestapelte Wälder und der fröhliche Tanz der Kinder. In einem Wahn ward alles aufgeschlungen, bis auf des Bodens Sand, der Städte Beton und Asphalt. Und selber schon erstarrt, staken wir, wir Sieger, von Arena zu Arena, deren blankgekämpfte Böden endlos aneinanderstehen. Nun sind die Welten alle für uns leer und hinter diesem Warten kommt zu uns nichts, ist gar nichts mehr. Wir tragen Sonne noch in unserem Gestern, deren Wärme Wünsche zu uns zieht. Wären noch die unbekannten Felder des Schauders, noch die Fernen und die Fremden, so wäre uns noch Trost. Zarter Wesen Küsse wecken uns aus grauenhaften Traum. Des Wahnsinns erscheinen alle und jede Bilder, und heftig müssen wir lieben. Dann Lust, in deren Schatten das Grauen zu dir kriecht, dann Trauer, deren graue Wiesen goldene Blitze nach dir werfen, und du, wider alles fest Beschlossne liebst, auch die kleinste Blüte einfach liebst.
2 H.H. Gowa zugeeingnet
Dieses Auge, welches mehr sah als ein ruhigeres Glück zu ertragen vermöchte, das wie gefundene Über-sehen, war doch vielleicht zu Beginn nicht gewollt, Notwendigkeit mehr denn Freude. Wir haben die Last der Sehenden uns aufgebürdet oder ward uns auferlegt ohne Wahl. War ich nicht, wie so manch' ein Kind verspielten Blickes verloren im Antlitz eines Löwenzahnpflänzchens. Stand nicht so früh ein jedes Krabbeltier neben uns, in uns ohne Kluft und Unterschied ? Ich habe die Höhe dieser Einsamkeit nicht gewünscht und nicht erwartet. Doch als uns Kindern das Sinken ausgetrieben wurde um eingegliedert feste zu steh'n, blieb uns da etwas anderes noch zu tun wie hinaufzugehen ? Damit wir entgingen jener Festigkeit der Käfige, die Schmerz des Eingesperrten und Gequälten ist. Ging nicht, wer entgehen konnte solcher Verhärtung notwendig nach oben um erkennend zu bewahren, was unten grünte so sehr und lebte, was nicht mehr durfte zu uns kommen, nicht mehr in uns durfte sein.
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Wir mußten Emigranten werden unserer Welt, in der des Bleibens nur so schwer noch ist und Versucher und Süchtige des Ausdrucks, - mag sein sogar wider besseres Wissen. Denn so war vor jeder Einsicht schon mein gültigstes Empfinden: Einfach ist alles nahe der Freude, Schlichtheit ist das Gewand des Glücks. Und so, deshalb klamm`re ich mich an transparentes Violett der sommerlichen Blumen, warte des Namenlosen, das uns ausfüllt und hinabzieht, dort, da keine Worte möglich sind.
3
Wenn Liebende wir vollkommen waren, sehnende Sehnsucht rief und tragend ihrer Töne Wagen uns trugen dorthin - dorthin. Das dann danach brach immer Flügelspitzen, alle fielen trostlos traurig in den Staub der Suche. Rufend immer sind die Augen der Liebenden, doch der Töne Bögen enden an der Enge Schritt. Und im Gleichmaß solchen Unglücks wurden vergeblich alle Wege, die wir gingen, der Suche, ob Flug ob Schritt. Und eine Weit der Dinge schob sich dazwischen - überall, wohl auch schützend, doch vor allem trennend vom Anderen, das sich entzieht der sicheren Ordnung und als Bedrohung heransteigt unserer gehegten Räume, die aus Angst wir dicht und dichter verschließen, bis wir völlig umgestülpt Eingesperrtheit dann als Glück verspüren. Doch kein Wesen läßt auf Dauer sich täuschen, und der pressenden Bindung losreißen die Körper. Nur ist Befreiung für sie nicht vorgesehen von ihrer natürlichen Herkunft, und so stürzen augenlos sie vorbei, in Irrtum und Qual, Vernichtung und Krieg. Später wird Friede, der so falsch ist wie der Kräfte Glück und Erschöpfung, die sieh zeigt wie Seligkeit. Doch innen, auf den verbrannten Stätten der Gefühle, staut sich erneut der Strom irregeführten Lebens, um wiederum das Elend über sich und alle zu ergießen. Diese verzweiflungsvollen Gezeiten schufen die Werte von Zweck und Sinn und die Figuren des Weltenbilds, welches uns vor der Hoffnung, der unermüdlichen auch die fernsten Tore fest verschließt und uns aussetzt einem Raum ewigen Grauens. Das tiefe unaussprechlich Liebende zerbricht in den Klippen des Rohen der Welt, und silbern vertiefte seelige Nächte an greller Fühllosigkeit zersplittern. Und wer nicht, der liebte, fand sich umstellt von Verboten und niedergedrückt von der Einsicht, daß das so Zarte unter Grobem wertlos sei.
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Ihm dem Brutalen zu widerstehen, ohne sich anzufreunden mit den Gesetzen der Macht, ist zuviel für ein warm sich Geregtes, das dann lieben muß, was unvermeidlich steht. So wird es kühl, dann kalt, dann alt und durch sich selbst betrogen.
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Dies zu verstehen, daß etwas quält und völlig sinnlos ist, trieb zur dauernden Untersuchung, deren Sätze Bild des Draußen sind. Doch blieb der Bruch und trennend tiefer rissen die Klüfte und fremder erschienen des Lebens Gestalten uns Isolierten, denn Draußen ist nur ein Bild der Selbstheit. Noch gaukeln wir Realität uns vor im Spiegelkabinett unzählbaren Irrtums, noch ist das Außen fremd, sind wir uns selber Fremde, und was in der Angst wir als Fremdes zerstören, ist die Zerstörung von uns selbst. So noch wüten wir gegen unsere Körper, die Vielfalt der lebenden Wesen und ersticken als Schatten atmendes Licht. Doch endlich, doch einmal abgewandt dem Wahn dessen was ist, ward die Grenze zum Wahren überschritten, und wie das Dorf entschwindet im Rücken des Wanderers, versinkt des Wirklichen Schattenreich im Unwesentlichen. Ein Wir könnte sein das Getrennte und der Erde Arme lägen schützend uns vor eigenen Schatten der Einsamkeit. Nicht Hier macht einsam, noch das Fremde einer verlorenen Nacht. Nur immer zwei können für sich verloren sein: ein Gestern, ein Morgen, ein Maß für ein Messen. Sie sind der Ruhe nie sich selbst genug, nie wolkenloses tiefes Schweigen und auch besättigte Gestalt nie ganz, des Himmels steigendes Gefieder nie vollkommen.
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Mir war, daß ich staunend mich fand in einem Unbekannten, sah fremde bizarre Tiefen, Abgrund und im Unbestimmten Freudeperlen schillern und schauderte vor Glück. War sprachlos noch, doch bald entstanden Worte, Vertrautes stieg hoch aus den Tiefen und wuchs zum nur Bekannten. Stand später fest inmitten lauter Sicherheit. Nichts mehr von Zauber blieb, nur Ton des Schwindens manchmal. Hier beim Gespür des Wandels warf ich mich suchend und klammernd hinaus, heftete Sehnsucht ans Feste und hoffte auf Bleiben, doch hielt in den Händen geschaffene Form, nur Bilder des Abschieds.
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Was einmal Gestalt ist und bleibend ein einziges Mal, brächte zu dem was war mich zurück. Nach vergeblichem Wünschen vergaßen wir den Ursprung und die Symbole wurden zu einem zweiten Glück. Verschließen die Sicht mit ihrem zweiten Zauber und halten gefangen und halten gefangen noch im Sturz des Wagnis. So stehn wir beladen an jeder Schwelle zum Unbestimmten und können nicht Eins sein im Veränderlichen. Wünschen zu treiben und treibend zu sinken, doch fallen in Armut stets zurück. Darum die Tat steigt wieder auf nach Halt und klammert erneut uns ans Feste.
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Ist nicht Musik der Tod der Stille, und ist nicht jedes, wie durch uns der Schall bewegt, so wie Musik. Ist dieser Tod nicht der des Allergrünten unserer inneren Wälder und der Sprösse, die üppig einmal alle Fugen wollüstig füllten, alle, der verwegensten Orte. Die Blumen wuchsen in kleinster Krume, Birken drängend auf noch an steilem Hang. Grün war alles, tief und wie die Adlergipfel hoch und überall. Keines von freier Gestalt wartet der Dauer, keines wartet auf freieren Raum, trägt in sich Wunsch und Ziel zugleich, ist erfüllt und frei. Wir aber prägen den Ton des endlos Hohlen herbeigezogenen Todes. Wir schreiten fort damit, bis uns das Blaue wolkenoben sich blättert in einem letzten Herbst. Die Stille stürbe dahin mit ihren frohen Laubgestalten, und wir auch in die Gräber müßten folgen.
7
0 Weib! was blieb von mir, wenn nicht Dein Lächeln zu mir fand. Hilflos vor Dein Angesicht leg' ich meine Welt, die entfernt von Dir leer mir wird. Es blieb vielleicht die Tat und immer andere Schrecken. Doch lebte ich wirklich, wann Du mich nicht in Dir geborgen ? Sieh ! ich vermag nicht bei mir selbst zu sein, als nur in Deinem Schoß. Die Berge der Wellen heben empor sich und sinken hinab. Die Wesen steigen hinauf und gehen zu Tal. Vergeblich bauen schützende Wälle die Müden, deren Wunsch das ewig oben ist. Schmerz entsteht, wo Lebendes sich selbst bezwingt und halten will was nicht zu halten ist. Die Jahre sind - da wir begannen in Jahren zu rechnen nenne ichs' so - blühend gegangen, keines kehrt wieder und was erstarb, wird nicht zur Freude neu erweckt.
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Doch dicht daneben, der Rechnung auf Jahr und Sicherheit, ruht Lust des Abschieds, wartend der fallenden Mauern unserer Art. Und Aufstieg ists zugleich der fremden Wesen, die doch beinah'... würden wir nur vermögen zu sehen. Ferner wandert mein Ruf, ein jeder 0 Weib. Dort auch, gebärend die Sterne, hörest Du mich, liebend und aller Wesen Mutter. Und fühlten wir's, so gingen nahe wir an unsere letzten Tore und würden öffnen sich.
8 Anne zugeeignet
Brennend hier sind alle Blumen aus den Pooren meiner Haut glühend blau erwacht, flammend jede hier. Sie versprechen: Nie wird Leid sein, es steh' außen als erloschenes Bild. Deine Lippen, samtig rot reden nie von Schmerzen mehr. Wie das schwindende, immer uns fliehende Glück bleibend sei, ist Geheimnis, und die Blumen all, wie sie welken nie dahin.
Wie wird die Nacht vertraut, da ich nicht da mehr sei ? Bin ich ein Tagbild nur im Wellenspiel, das in der Nacht verlischt ? oder tiefer lichter, wären der Lüste helles Licht selber dunkle Fee der Nacht ? Und wie wir innen uns verglühen, ist es der Schwärze Brennen ? Wie wird, was nach der Dämmerung ist vertraut, wo wir dann zu uns fänden und doch nicht wüßten, daß wir sind. Muß Abschied sein von uns, um nicht im starren Bild nur festzuhaften ? Und wären die Arme der Dunkelheit geöffnet nur dem, der gerne sich verliert ? Vielleicht sind lange schon wir in der Nacht zu Hause, doch wie die glücklichen Schätze, die wir im Traum erwarben, vor dem Erwachen fliehen, so geh'n wir aus der Nacht hinaus und können nichts erinnern.
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