287 Fred Keil Reisen im Herbst Nr.287 Aachen 2008 Diese letzte Frage Babucoffies an Berg: " Und was ist die Wahrheit ?", rief in Berg Erinnerungen wach und Bilder, die ihn nachdenklich stimmten. Auch das Beispiel des einmal gefüllten Gefässes gehörte zu diesem angeworfenen Erinnerungskaleidoskop. Er rief Korthaus an um das Treffen der Vier zu beschleunigen. Er wollte zurück zum Leuchtturm an der Ostsee. Dann nahm er Verbindung zu Müller auf. Während dieser den Hubschrauber bereit machte um Berg abzuholen, erklärte Korthaus am Handy, dass er ebenfalls zurück wollte. Es wurde aus seiner Sicht höchste Zeit zu seiner Frau zurückzukehren, die geduldig auf ihn wartete. Am Rand der Wüste nahe der Oase Pricadrom aber ausser Sichtweite der Dorfbewohner, begegneten sich die vier wieder. Auch Nanamurti wollte zurück zu seinem indischen Wohnsitz. Babucoffie hingegen ging in die Oase. Bald kam der Hubschrauber und brachte die Drei nach Abidjan. Von dort flog Nanamurti nach Indien, Berg und Korthaus mit einem Jet Bergs nach Hamburg. Auf dem Flughafen trennten sich die Beiden. Korthaus fuhr mit einem Taxi zu seiner Frau, Berg begab sich in das Büro seiner Gesellschaft. Er blieb dort nicht lange. Schon zwei Stunden später liess er sich von einem Fahrer zum Leuchtturm an der Ostsee fahren. Er kam dort an als es dämmerte. Nebel stieg aus den Büschen am Zufahrtsweg auf. Die Bäume waren bereits teilweise entlaubt. Der Herbst lag in der Landschaft. Berg schloss den Turm auf und ging in die gläserne Turmspitze. Der runde Raum mit den Glaswänden war ihm fremd und auch vertraut. Ein Eindruck, den er nach längerer Abwesenheit auch früher schon gehabt hatte. Er sah hinaus auf das Meer, den Horizont und den verhangenen Himmel. Die Bilder vor seinem inneren Auge kamen ungeordnet hoch, verschwanden, neue kamen, Stimmen, Erinnerungen mischten sich aus verschiedenen Altersschichten in ihm darein. Er liess es so, wie es ablief und wartete auf den Schlaf, jenen Halbschlaf nach der Reise, der ihn zwischen seinen inneren Bewegungen nicht wirklich abschalten liess. Irgendwann schlief er doch ein. Er träumte, und einiges blieb ihm auch bein Wachwerden erhalten. Das Gefühl der Identität mit sich selbst trat offenbar in Situationen auf, die nicht dafür geeignet schienen. Umgekehrt blieb dieses Gefühl aus, wo es mit Sicherheit auftreten sollte. So erging es ihm nach dem Aufstehen im Turm. Nichts mehr war ihm vertraut. Er erinnerte sich, wie er aus dem Krieg nach Hause kam. Sein Zimmer war ihm fremd und zu klein geworden, wie ein Schuh. der dem Zehnjährigen passte und dem jungen Mann als Spielzeug vorkam. Seltsamerweise verränderte sich im Laufe des Vormittags seine Wahrnehmung. Der Raum wurde unspürbar. Bilder schoben sich dazwischen, die er aus lange zurück liegenden Erlebnissen in sich trug. Voraus auf dem Meer entstand eine Röhrenlandschaft. Schwarze Stahlröhren, Schilf nicht unähnlich standen dort wie dichtes Gestrüpp und überragten die niedrigen Wolken. Undeutlich sah er überall sein Gesicht, zurückgeworfen von spiegelnden Flecken in dieser Weite aus Röhren. Projektionen von Bildern kamen und gingen. Er halluzinierte, - so ordnete er selbst es ein, und gestaltete dabei zugleich eine Welt aus Bruchstücken seiner Erinnerungen. So sah seine innere Welt aus, dachte er, unrettbar wachsend und ruhelos, nicht indisch, nicht afrikanisch sondern wachsend ohne Rücksicht auf die Stoffe, die dort waren. Organische Gebilde aus Stahl schienen dem Wasser ähnlich flexibel zu schwimmen. Er sah und erkannte diese ästhetischen Kräfte, die ihn sein ganzes Leben lang dazu trieben Welten zu entdecken und zu erzeugen. Eines Tages wird man Stahl erntem und mit Glasfeldern verwachsen, dachte er. War nicht alles darauf zugestrebt Feuer zu sprühen, Planeten zu infizieren und Musik, die leise Gewalt neben die Explosionen der Granaten zu legen, in der Hoffnung, Kultur und das Gute würden etwas anderes hervor- bringen, vielleicht schöne Gewalt ? Offensichtlich suchten Nanamurti und seine Freunde das Vakuum, eine universale kosmische Bühne, ein endloses Davor. Wollten sie alles nochmal, von Anfang an ? Als Berg am folgenden Abend hinaus in die Dämmerung sah, verschwand in ihm die Trennung zwischen Aussen und innen. Er war beides, Anschaung und Anschauender. Er sah im Spiegel sich selbst, aber in sich selbst, ohne Bild zu sein. Dies ist die letzte meiner Aufgaben, dachte er, ein Bild zu sein, eine Erscheinung zu sein, ein ästheticher Moment ohne Dauer. Dies ist das stille Ziel jeder Erscheinung, schön zu werden und darin zur Ruhe zu kommen. So will alles Erscheinende werden. Nun wusste er, wie es sich anfühlt,- nicht wie es gedacht wird sondern wie es ist. Je mehr er darüber nachdachte, entdeckte er Zustände seines Gefühlslebens, die eine endgültige, aber nur sehr augenblick- hafte Mitteilung hinterliessen, man könnte es Lichtblitz oder Erleuchtung nennen. Wenn er den Glauben an die Gleichung, den verführerischten aller richtigen mathematischen Sätze einmal vergass, so waren diese Momente Feuerwerksblumen gleich, die auf merkwürdige Weise notwendig waren. Ihre Aussagen waren in ihrer Wirkung Gleichungen ohne eine Gleichheit zu tragen. Wie anders sollten die herumlaufenden Lebewesen überleben. In den ästhetischen Höhepunkten lag alles. Vereinzelt tauchte auch vertrocknetes Leben auf. Aber wer weiss, wo nicht auch sie ihren Lebensfaden aufgenommen, und ihre unsichtbaren Tentakeln ausgelegt hatten. Nach tief ererbter Übung war es die Gleichung, die die Einsicht vermittelte oder ein Abbild. Das Verblüffende war, das Einmalige, der Höhepunkt, das absolut Bewegte, leistete es ebenso. Nanamurti und die Atlanter hatten einen tieferen Weg gewählt, der Produktion und Wahrheit verband. Am Ende waren Erscheinungen sinnloser Schönheit, jede für sich vollkommen. Berg und Korthaus hatten eine Sichttelefonverbindung eingerichet. Sie setzten ihre Gespräche damit fort. Eines späten Abends begann Berg mit Korthaus das Gespräch: " Erinnern Sie sich an die Stromtheorie ?" " Aber ja." Berg fuhr fort: " Die ästhetische Produktion als Endpunkt der Erkenntnis lässt die paradoxen Elemente wie in einer Gleichung aufgelöst erscheinen und eine wahre Aussage hervortreten. Das Überraschende ist, dass die inneren Einsichten, die Meditationen, Erleuchtungen ähnlich entstehen. Was halten Sie davon, unter dem Gesichtspunkt der Stromtheorie die Sache zu besprechen?" Korthaus antwortete: " Es ist mir auch aufgefallen, dass in Nanamurtis Philosophie etwas Ähnliches passiert wie wir es kennen. Man sieht eine Gleichung in den Empfindungen. Genauer gesagt, mam spürt so etwas, sieht es als Einicht und Identität, findet aber bei objektiver Analyse doch keine gleichen Seiten in der Gleichung. Sie haben recht, es ist das Grundschema der Produktion in der Stromtheorie. Aber wie kommt das ästhetische Element hinein. Es wäre doch entbehrlich." Berg erwiderte: "Genau das ist es. Wahrheit und Ästhetik sind nicht von- einander abhängig. Es könnte sogar sein. dass sie kontra- diktorisch sind." Korthaus lächelte und sprach: " Eine anarchistische Ader kommt ja ab und zu durch bei Ihnen." Berg nahm die Bemerkung nicht krumm, dazu kannten sich die Beiden viel zu gut. Er antwortete: " Es ist verblüffend, dass der Mechanismus der Objektivität gerade im Durchbrechen produktiv ist. Überspitzt gezeichnet, macht jedes Element was es will, jedes sieht seine Schritte objektiv, als Bestandteil einer Gleichung und doch bleibt es antagonistisch." Korthaus stimmte zu und meinte: " Der ästhetische Höhepunkt kann als Erhöhung einer Spannung gesehen werden. Das heisst, das augenblickliche Potential wird verlassen. Es entsteht etwas Neues, eine Nichtgleichung." Berg meinte:" Es könnte der Ansatz einer logischen Struktur sein, wie Sie es entwickeln, in der das Identische mit dem Nichtidentischen vermittelt wird." Korthaus meinte: " Wir kommen wieder in den Bereich der Stromtheorie." Berg dachte nach und sprach weiter: " Es ist aber unangenehm, dass wir mit dem Begriff des Nichtidentischen etwas hereinbringen müssen, das nicht etwas weiter aufklärt sondern zersetzt. Sie kennen diese Kondens- streifen bei gutem Wetter am Himmel. Die Flugzeuge stossen beständig Abgase und Wasserdampf aus, der Streifen erhält sich ein Stück, weil sich ein Gemisch bildet, dass vor- übergehend sichtbar ist, dann verblasst und sich auflöst. Uns gehts genauso. Ein Stück wird aufgeklärt, es ginge nicht ohne den Begriff des Nichtidentischen. Und genau dieser Begriff zersetzt wieder alles." Korthaus stimmte zu. Korthaus zog sich eine Weile zurück, dann kam er wieder und sprach:" So ganz stimmt das Bild der Zersetzung nicht, es muß sehr erweitert werden. Die Produktion ist ja immer zugleich partielle ungefähre Wiederholung und Umwandlung. Aber sie ist vor allem Überraschung. Es tritt etwas hinzu, wie Adorno gesagt hat. Was sollte hinzutreten, wenn nicht vorher etwas verschwunden wäre. In der Generationenfolge ist es eindeutig. Es dürfen gar nicht ewig lebende Wesen da sein. Aber die Zersetzung, die Nichtidentität geht ja viel weiter. Sie erinnern sich an die Nichtdichtigkeit im Zusammenhang mit den Grenzfunktionen." Berg nickte, Korthaus fuhr fort: " Das Entscheidende ist die Verschränkung und Variabilität formaler Grenzen. Wir erleben immer zugleich Realität und Phantasie, Notwendigkeit und Kreation." Berg meinte: " Gewiß, wir könnten uns gar kein Leben denken ohne die Gleichzeitigkeit der Antipoden. Nicht die Kinder sind naiv, die Wirklichkeit und Phantasie vermengen, sondern die Ausgewachsenen, die jede Separierung buchstäblich nehmen, ihr ein Sein attestieren. Ziehen wir den kreativen Impuls ab, bleibt gar nichts." Berg träumte. Das war nichts Besonderes für ihn. Diesmal erwachte er und dachte über das Traümen nach, weil er mit einem mal wusste, was beim Träumen geschah. Er trat in eine andere Welt ein. Das war ebenfalls schon oft gesagt worden. Ihm kam es aber so vor, als habe er Ensichten gewonnen, die es lohnten festgehalten zu werden. Es gab Neulinge in der Traumwelt und alte Stammbewohner. Außerdem war es nicht eine Traumwelt sondern es passierte etwas ganz anderes. Da jedes Individuum in sich selbst lebt, gibt es soviele Welten, wie es Einzelne gibt. Genau besehen noch mehr, da es fragmentierte Welten gibt, unvollkommene, Splitter usw. Er war in dieser Zeit des Träumens irgendwo gewesen und hatte dabei die Wirklichkeit völlig verloren. Es blieb nicht der schlafende Mensch übrig, wie er in seiner Liegestadt liegt, sondern alle Strukturen der Wirklichkeit werden verlassen. Die Wirklichkeit des Schlafenden nimmt die Position ein, die der Traum für die Wirklichkeit hat. Eine einfache Umkehrung war aber ein schiefes Bild, denn alles wird sozusagen aus den Angeln gehoben. Nun dachte Berg nicht an okkulte, spirituelle und andere Kindereien, sondern an eine nachvollziehbare Interpretation es Lebens, die beides transparent machen sollte: Reale und andere vielleicht mögliche Welten. Es war Berg klar, dass hier wieder Vorstellungen mitspielten, die nur als vorübergehende Hypothese statthaft waren. Die Erlebnisse in der Mikrowelt liessen es möglich scheinen, den Schlafenden vor jedem Eingriff aus der Wachwelt abzu- schirmen. Die Möglichkeit eines äusseren Geschehens relativierte jede Idee einer Traumwelt. Wenn aber die Vermittlung abreisst und der Schlafende nicht mehr angreifbar ist, fällt auch der Vorrang der wachen Realität. Das aber war der entscheidende Punkt. Bald darauf besprach er mit Korthaus diese Idee. Korthaus meinte:"Sie haben recht, dass der Vorrang der objektiven Strukturen darüber entscheidet, ob die Traumwelt nur ein Anhängsel der physikalischen Wirklichkeit ist oder ob es Welten gibt, die ausserhalb der objektiven Welt stehen oder Welten, die ihr vorrangig stehen. Aber ich denke, es kommt nicht zu diesen Antinomien, denn die Nichtdichtigkeit der Grenzen schlägt auch auf den Begriff objektiver Strukturen zurück. Wir können es gar nicht genau sagen, ob Traumwelten mit der Realität kollidieren, es könnte auch alles umgekehrt sein, dass unsere Objektwelt eine hypothetische und wohl auch lebensnotwendige Struktur ist, die in allen möglichen Dimensionen sich weiter erstreckt. Wir haben in der Mikrowelt eine solche Erstreckung gehabt. Sie könnte in einem scheinbar zeitlosen Augenblick unterhalb jeder uns normalerweise erkennbaren Zeit sich endlos erstrecken. Ebenso die Raum- dimensionen. Nichts spricht dagegen, dass sie unbegrenzt sind, qualitativ und quantitativ." Berg war sehr erfreut über diese Ausführungen und meinte: " Die grösste Schwierigkeit liegt im Nahbereich der Vermittlung." "Ja", stimmte Korthaus zu:" denn irgendwie gibt es auch zwischen den Welten Vermittlungen, andernfalls wüssten wir nichts davon." "Oder wir sitzen Chimären auf", sagte Berg. Korthaus sprach: " Die Frage der Notwendigkeit gibt häufig Auskunft ob ein Scheincharakter oder etwas Reales vorliegt. Nur ist die grosse Frage, die Sie aufwerfen, ob die Wirklichkeit des Wachbewusstseins den ausreichenden Überblick gewährleistet, zur Beantwortung dessen, was notwendig und real ist." Berg stimmte zu: " Und da habe ich mehr und mehr Zweifel. Vielleicht kann man es historisch aufhellen." Korthaus erwiderte: " Wenn die Ansprüche nicht zu hoch gesteckt werden. Wir sehen doch nur einen kleinen Ausschnitt, vielleicht bis zur Ent- stehung der Organismen. Das wäre schon viel. Aber weiter ? Kann man von Zielen sprechen, von Motiven, von Leben unterhalb der Ebene des Lebens ?" Berg schlug vor: " Was halten Sie von einer Umkehr der Einschätzungen des Wachseins und des Schlafs ?" Korthaus sprach: " Ja, versuchen wir es." Berg erklärte: " Mit ziemlicher Sicherheit entstehen Lebwesen durch den Aufbau zunächst einfacher Wiederholungen. Sie entstehen von innen, ganz allmählich." Korthaus wandte ein: " Könnte das nicht schon ein Trugschluss sein?" Berg stutzte und sagte:" Gewiss, aber ich wollte es noch weiter verfolgen. Die Lebewesen organisieren sich in sich selbst, zuweilen sind sie nur noch durch Teilung lebensfähig, weil sie vielleicht zu gross werden, oder um den Verfall zu überstehen, ein Aus- tausch der verbrauchten Teile. Dann haben sie dass, was wir Ruhephasen nennen oder Schlaf. Wenn aber diese Phasen als erstrebter Zustand betrachtet werden und das aktive Hinaus- gehen reduziert wird, wenn also die Innenwelt des Organis- musses der Sinn seines Lebens wäre ? - Das Bewusstsein ist an allen wesentlichen Vorgängen des Lebens unschuldig, sagte Nietzsche. Und quantitativ sind die intrazellulären Prozesse gewiss um ein unausdrückbar Vielfaches komplexer als die wachbewussten Steuerungsvorgänge im Gehirn, falls es über- haupt in eine Relation gesetzt werden kann." Korthaus sah Berg an, wiegte den Kopf und meinte: " Wenn es so wäre. Aber es macht den Lebewesen Vergnügen wach zu sein. Die Stellung der Ruhephasen könnte sich bei den verschiedenen Arten sehr unterschiedlich entwickelt haben." Berg antwortete: " Ich weiss, man muss sich naiv stellen um diesen Ansatz durchzuhalten. aber es gäbe dann die Möglichkeit eine andere Realität zu denken,- darauf kommt es mir an." Korthaus nickte und sprach: " Ich verstehe. Diese Gedanken hatten wir bereits früher verfolgt, nur nicht die Konsequenzen zuende gedacht." Berg fuhr fort: " Sehn Sie, das Wachbewusstsein ist unter modernen Gesichts- punkten ein Rückschritt. Die Vielfalt der innerorganischen Prozesse wird nicht bewusst und in den Dienst einiger Informationsbündel gestellt, die den Organismus steuern. Daher kommt die Auffassung, diese etwa 2 Billionen Zellen des gesammten Organismusses dienten dem Ziel, dass wir uns auf Befehl eines Gedankens von A nach B bewegen können. Der Reichtum des menschlichen Körpers ist kaum bewusst. Was wir "Leben" nennen, ist ein ganz schmaler Pfad in diesem Dschungel. Gewiss sind Fehlfunktionen im Wachbewusstsein von besonderer Bedeutung. Wenn es schiefgeht stirbt der Mensch. Aber der Rückschluss ist falsch. Deshalb ist es nicht Sinn und Ziel dieser Billionen Zellen für das Wachbewusstsein da zu sein. Es ist ganz zweifelhaft, ob die Bedeutung, die wir dem Wachbewusstsein und den körperlichen Strukturen zueinander gesehen zumessen, in der uns vertrauten Weise irgend etwas Wesentliches trifft." Korthaus erwiderte: " Ein unheimlicher Gedanke, dass das Leben sich woanders abspielt als im Wachbewusstsein, und doch liegt es nahe." Berg meinte: " Das Wachleben könnte ein Sicherheitssystem sein, welches zwischen Umwelt und Individuum gelegen über Leben und Tod entscheidet, vergleichbar einer Frontlinie im Krieg. Aber dennoch ist diese Grenzlinie für alles Weitere nicht entscheidend. Wir sind wach und agieren wach, und in diesem Zustand ist das Wachbewusstsein das Bedeutendste im Leben. Das In-Sich-Sein könnte gleichwohl Sinn und Zweck der Wach- front sein, oder auch irgend welche anderen Strukturen, die nicht bewusst werden können." Korthaus sprach: " Was aber soll uns das helfen ?, würde ein naiver Geist denken." Berg meinte: " Es ist gut. diesen Gesichtspunkt hinein zu bringen, denn leere Erkenntnis ist fragwürdig. Ich denke, Sie wissen, was ich dazu ausführen würde." Korthaus nickte und meinte: " Brauchen wir nicht noch einmal durchzugehen." Korthaus sprach nach einer Weile: " Die Meditationen Nanamurtis könnten mit unserem Thema eng zusammenhängen. Er will das Innere spüren." Berg meinte: " Ja, ich denke er ist uns einen Schritt voraus. Die Meditation könnte eine Teilhabe an der dem Bewusstsein nicht ohne Weiteres zugänglichen Welt sein. Das Bewusstsein wird erweitert, heisst es." Korthaus antwortete: " Er hat möglicherweise auch die richtige Methode um heraus- zukommen. Wir hingegen produzieren. Damit wandeln wir Neuland in Eigenes um, mit allen Vorteilen und Einschränkungen." Berg meinte:" Man könnte also äusserste Passivität als Gegenpol der Produktion sehen ?" Korthaus zögerte mit der Antwort und sagte: " Ich glaube so einfach ist das nicht. Was ist Passivität ? Wird in der bewussten Handlung nicht nur das millionenfache Bewegtsein der Zellen überlagert ?" Berg erwiderte: " Sie haben recht, es könnte sein, dass wir den wesentlichen Unterschied zwischen Tat und Meditation nicht richtig sehen. Vielleicht sind es die Überlagerungen, die den Unterschied ausmachen." Korthaus sprach nun: " Merkwürdig ist, dass ein wichtiges Kriterium, das Über- leben nicht einfach der einen oder anderen Lebensweise zuzuordnen ist. Wenn man die absterbenden Zivilisationen sieht, beginnt man am produktiven Fortschritt zu zweifeln. Andererseits ist die Entwicklung der Zivilisationen und ihrer Vorstufen notwendig und nützlich gewesen. Es sind viele Primaten verschwunden, und vor ihnen Grossäuger." Berg sprach:" Wenn das produktive Handeln und das Wachbewusstsein ein Lebenswerkzeug mit untergeordneter Bedeutung sind, was ist dann die ästhetische Produktion ?" Korthaus antwortete: " Sie passt nicht ins Bild, denn das Wachbewusstsein würde zugunsten des Innenlebens zurückgenommen, wenn es ein Ein- schränkung wäre." Berg sprach weiter: " Oder aber, die ästhetische Produktion verbindet die Welten. Ich möchte gern ein Objekt bauen, das diese Rolle der Vermittlung übernimmt." Korthaus forderte Berg auf: " Wissen Sie schon wie es aussehen wird ?" Berg antwortete ohne zögern:" Ja, ein Wald aus Stahlröhren über dem Meer." "Wie gross ?", fragte Korthaus. Berg antwortete: " Einige Kilometer breit und etwa 100 Meter hoch." Korthaus lag eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge, er unterliess es aber. Berg ahnte, dass eine Bemerkung fällig war: " Nur zu, sagen Sie es." Korthaus antwortete: " Immerhin nicht so hoch wie die geplante Pyramide." Diese Pyramide war Bergs ewig unausgeführtes Lieblingsprojekt, eine 8 Kilometer hohe Pyramide. Berg antwortete gutgelaunt: " Der Wald hat einen Haken. Was immer eingebaut wird, es kann nicht mich sondern immer nur Uneingeweihte überraschen. Die Aufgaben müssen getrennt gelöst werden, einerseits die Überraachung, andererseits die Produktion. Besser wäre sie fielen zusammen." Diese Einsicht war kein guter Einstieg in die neue Planung. Korthaus sprach unumwunden seine Bedenken aus: " Es scheint mir die Gefahr zu bestehen, dass eine weitere Unterwasserinsel entsteht, eine Art Wiederholung von Dagewesenem." Berg meinte: " Ja, so ist es, die alte Methode hat sich erschöpft. Mir selbst war etwas komisch zumute, kaum dass ich die Ideen gehabt hatte. Und doch glaube ich an die Macht der Verfremdung. Diese Art Gespräche zu führen ist ja sehr bequem und ein anderes Umfeld erscheint nur Dekoration. Aber es ist nicht so. Es kommen auch andere Gedanken zustande. Schon der Turm hat das gezeigt und schliesslich die Unter- wasserinsel." Korthaus stimmte zu und sprach: " Mir scheint auch unsere Videoverbindung hat etwas Interessantes." Berg meinte: " Ich habe den Verdacht, dass diese Art der Unterhaltung eine eigene Art der Aufklärung bewirkt. Es fehlen die ausser- sprachlichen Einflüsse weitgehend. Die Unterwasserinsel hatte eine Verfremdung, davor der Mars und zuletzt die Wüste auch. Aber die Bauten und Produktionen bildeten nur einen Faden im Labyrinth der Gedanken, das Wesentliche kam von anderen Stellen herein." Korthaus sagte. " Eine alte Einsicht von Lao Tse: was ergriffen werden soll zerrint, was erreicht werden soll flieht." Berg meinte: " Ja es ist so. Es könnte der Schlüssel der ästhetischen Momente sein, sie treten scheinbar spontan auf und sind selten als Ziel zu erreichen." Korthaus antwortete: " Es liegt im Wesen nichtidentischer Elemente, dass sie sich selbst verfremden." Berg verabschiedete sich von Korthaus, zog seinen Mantel an, setzte seine Wollmütze auf und ging die Wendeltreppe des Turms hinab in die Nacht hinaus. Der Strand lag im Dunst der späten Nacht, im Osten kündete sich die Dämmerung an. Berg ging nahe am Wasser durch den fast abgetrockneten Sand nach Norden. Er dachte an die Umkehrungen der Wahrnehmungen. Der Strand im Morgengrauen als Bühne, seine Zeppelinplattform als Haus zwischen Wolken, die Nähe zu den Eingeborenen Afrika, die Fremdheit im Gespräch mit Vertrauten, Überall die potentiellen Umkehrpunkte, Invertierungen, Distanzen und Auflösungen. "Ein Mensch, der sehr lange lebt, wird sich so sehr wandeln, dass er seine Identität immer neu erfindet und manchmal vergisst, wer er früher gewesen war. Und das ist der Punkt, wo kein Vorteil mehr zu finden ist, der dieses Leben aus- zeichnet vor einer Generationenfolge, die die gleiche Zeit- strecke mit 2 oder mehr Generationen durchlebt. Das heisst, die Weisheit ist ebenso in den Bücher zu finden, in denen die Leben mehrer Generationen eingefangen sind, als in einem Uralten, der dies in sich enthält. Aber enthält er es ?" Berg zweifelte daran. Das Vergessen früherer Lebensabschnitte zeigte die Grenze dieser Möglichkeiten. So dachte Berg, während er in der Ferne die Brücke nach Fehmarn sah. "Die Klugheit ist aber kein in einer Bibliothek eingefangenes Leben oder Produktion, sondern ein Lebewesen in Aktion hat sie, besonders dann, wenn es in der Erfüllung seiner Aufgaben ist. Welche Aufgabe habe ich ? In einem bestimmten Lebens- abschnitt geht alles von selbst, die Aufgaben sind da und werden bearbeitet. Nach der Lösung der Aufgaben verliert sich das Vermögen sie zu bewältigen. Deutlich an der Vermehrungs- fähigkeit. Das gleiche gilt auch für den Geist. Allerdings ist das nichtsprachliche des Geistes vielleicht vorwiegend nur in einem langen Leben des Wesens summierbar." Berg dachte in dieser Weise über Vor und Nachteile eines langen Lebens nach, obwohl es natürlich ein müssiges Unterfangen war, einen Vergleich zu ziehen. Es gab unfrucht- bare Generationenfolgen und unfruchtbare Lebens- verlängerungen. Wie alles was denkbar ist, so tritt auch alles irgendwo auf. Die Furcht vor der leibhaftigen Verblödung hat schon Marc Aurel bewegt und manche Weisen hielten es für besser, dass der Körper vor dem Geist sich auflöst als umgekehrt. Es hatte eine erfrischende Wirkung für Berg so am Rand der Resignation, diese leicht streifend, Abstand zu nehmen von den Erfolgen und den Höhenzügen der verflossenen Zeit, denn die Niederungen werden gebraucht, um wieder hinauf zu sehen. "Weltsprache oder Weltreligion ?" Berg dachte an die Schwierigkeiten einer Weltgesellschaft."Rom war multireligiös und zu einer Mittelmeergesellschaft zusammen geschlossen. Die frühen orientalischen Staaten waren über den Monotheismus zu Staaten gebildet worden. Würde der Welthandel über den Streit der Religionen hinweg helfen? Was war zu tun ?" Berg hatte eine Spur gefunden. Die Produktion im weitesten Sinn war immer zugleich Neuland und Verengung. Sichtbar an jeder beliebigen Grosstadt. Die Freiheit verlangte die Erhaltung der Infrastruktur, also die Bereitschaft in bestimmter Weise zu arbeiten und zu leben. Die Kunst zeigte zuweilen in plötzlichem Aufleuchten eine utopische Synthese: das Notwendige war Freiheit. Aber wie man im Fusionsreaktor bislang nach der Zündung wieder ins Aus fiel, so auch im ästhetischen Akt. Es sah so aus, als ginge es nicht anders: Anstieg, Eruption und Schluss." Berg ging weiter, dachte nach: " Wie wäre es im Zentrum der Eruption zu leben ? Eine Mikrowelt im Mittelpunkt ästhetischer Explosion ?, - nicht denkbar." Er beschloss mit Korthaus zu sprechen. Am folgenden Tag besprach er mit Korthaus seine neuen Ideen. Er sass vor der Kamera, Korthaus war auf dem grossen Bild- schirm. Berg sprach: " Der Sinn des Lebens, nicht nur eine Chimäre, beinahe der Wille zur Macht." "Wie das?" fragte Korthaus überrascht. Berg antwortete: " Der Superorgasmus, darauf zielt alles hin. Sehn Sie, wenn es nur ein Machtwille wäre, dann fragt sich, warum geht er neben dem Weg ins Grosse auch ins Kleinste?. Das macht keinen Sinn." " Vielleicht doch", widersprach Korthaus:" Die Verkleinerung ist ein Überlebensmittel. Wie bei den Computern so ist auch in der Natur die Miniaturisierung eine Verbesserung." Berg meinte:" Da ist ist möglich, aber wo ist der Selektionsdruck, der die Verkleinerung notwendig macht ? Wir haben übrigens die darwinistischen Mechanismen längst diskutiert, sie sind allesamt sekundär. Die Verkleinerung scheint aber primär." Korthaus sprach: " Das ist wahr.- Was hat das mit dem Superorgasmus tun ?" Berg antwortete: " Wir sind Opfer unserer Marhematik. Wir sehen jede Zahlen- summe qualitätslos. Aber jede Zahl hat in Wirklichkeit eine bestimmte Grösse, vestehen Sie." Korthaus antwortete: " Verückt aber bestechend. Von kleinen Zahlen sind grössere Summen zu erwarten als von grossen. Sie meinen doch ihre Baugrösse ?!" " Ja", antwortete Berg und fuhr fort: Die immer dichter Schichtung der Zellen, der DNA, der Neuronen, die immer komplexer werdenden Mikrostrukturen machen Sinn, wenn man bedenkt dass der Orgasmus ein Summenphänomen ist von sehr vielen Mikroteilchen. Dasselbe möglicherweise auch auf der Ebene der Elementarbeisteine und tiefer darunter der Quarcks und ihrer Vorstufen. Wir können zwar Zahlen beliebig dicht mathematisch denken aber wirkliche Zahlen nicht, sie haben reale Repräsentanten, sonst werden sie unreal. Jede Summe ist eine physikalische Grösse mit entsprechender Wirkung. Deshalb sind die 200 000 Neuronen eines menschlichen Gehirns zu mehr Extase fähig als die 2000 Neuronen eines Fisches. Im Grossen ist es unmittelbar sichtbar. Erst eine bestimmte Menge kosmischer Materie vermag eine Sonne zu bilden, die zu einer Supernova fähig ist. Die kleineren Ansammlungen bleiben unfruchtbar oder erwärmen sich wie Jupiter, der nie explodieren wird." Korthaus übernahm bei diesem Gespräch die Rolle des Widerparts, er sprach: " Sie nähern sich prinzipiell dem Gedanken des Urknalls an. Aber noch bedenklicher, auch dem Monotheismus. Wir hätten im Superorgasmus die absolute Singularität vorgezeichnet." Berg reagierte ziemlich gelassen und antwortete: " Gewiss, das trifft alles zu . Aber vergessen wir nicht die Stromtheorie. Der Superorgasmus ist das Hinzutretende in seiner letztmöglichen Vorstellung, nichts Reales sondern das konstruierte Dritte. Es ist nicht ein Ereignis sondern eine Strömung Hin Zu, vielleicht eine Strahlung, die nicht gerichtet ist." Korthaus atmete auf und sagte: " Mir wurde ein bisschen bang bei ihren Ausführungen." Berg erklärte: " Das ist leicht zu verstehen, wenn man es funktional sieht: Es werden aus der Bewegung Zentren und Verfestigungen gebildet, die sich im ästhetischen Höhepunkt belohnen und reproduzieren. Dies auf allen denkbaren Arten, da der Zweck nicht Vermehrung ist sondern in sich selbst liegt. Die unantastbare Schönheit gehört auch dazu, obwohl sie sinnlos ist. Umgekehrt: Motiv, Ziel und Sinn sind nicht entbehrlich. Der Kosmos käme nie über die Müllhalde hinaus. Andererseits ist keine Singularität möglich. Erstens fehlt das Motiv, dann die Fähigkeit. Auf dem Weg zur Singularität strangulieren die Wesen sich selbst. Daher die Teilung, Ausbreitung und Vermehrung. Übrigens platzen die Wesen, wenn sie nichts abgeben." Korthaus meinte: " So wäre es haltbar. Wie aber lässt sich verhindern, dass ihre Konstruktion nicht völlig sich selbst aufhebt? Das Nichtidentische nagt ja auch an den Begriffen." " Das ist die Aufgabe jeden Wesens selbst. Indem es ihm gelingt sich zu stabilisieren, eine Art Lebensbalance für eine Weile aufrecht zu erhalten, erhält es den Kosmos mit aufrecht. Da das alle Wesen tun, entsteht ein vorüber- gehendes Dasein." Korthaus war einverstanden. Er nickte und sah vor sich hin, in Gedanken versunken. Kurz darauf sprach er zu Berg: " Das Freudsche Lustprinzip. Wie kommen Sie in diese Fahr- wasser?" Berg antwortete:" Es sieht nur so aus. Es liegt mir völlig fern die Welt im Widerstreit von Lust- und Realitäts- prinzip zu sehen. Die ästhetischen Höhepunkte sind die Realität. Sie folgen keinem Prinzip sondern bestärken sich durch sich selbst. Auch der so sehr überschätzte Gegensatz zwischen Lustgewinn und Realitätsnähe ist nur als bürger- liches Sicherheitsdenken zu begreifen. Ästhetische Höhepunkte sind die angestrebte Hölle. Freiheit und Notwendigkit sind untrennbar legiert. Die Schön- heit ist der Wellenschlag, der dem kosmischen Einschlag folgt. Dann kommt der ängstliche, halb erwachte Stadtmensch und sortiert es, in der Hoffnung der Einschlag möge ihn und seine kleine Stadt verfehlen. Dafür lässt er Blumen in sein Zimmer, Gemälde und das Theater." Korthaus sagte: " Die Schönheit als Vorspiel ?" Berg meinte: " Auch diesen Gefallen erweist uns niemand. Der bürgerliche Roman mit seinen ewig ausbüchsenden Weibern belehrt darüber. Der brave Postbote war auch Gesandter der Hölle. Eine Rangfolge der Verbrechen gilt bloss für die Justiz." "Also ist alles gleichwertig.", meinte Korthaus. Berg nickte und sprach: "Bedingt, im Vakuum. Aber niemand kann es sich erlauben so zu leben. Man muss Stärkere, Schwächere, Kranke, Gesunde usw. unterscheiden. Der Haken daran ist die Enge, die immer mit den Unterscheidungen zusammen auftritt. Am Ende steht die Massenneurose. Sie lässt die Gesellschaften verschwinden." " Und der Tod, der auf der Gegenseite lauert, im Nicht- oder falschunterscheiden. Cendrars macht aus dem irren Mörder versuchsweise den Gesunden, mit dem Resultat einer mörderischen Blutspur," fügte Korthaus hinzu. Berg sagte:" Die alte indische Philosophie war uns auch darin voraus, sie kennt das vorsichtige Unterscheiden ohne Religionsfanatismus. Ihre Moralität war in das Weltbild eingebaut. Wir haben sie nur in Wahngebilden verpackt und im Hokuspokus erfahren. Und die Gegenströmung, die bürger- liche Liberalität hob an mit grossen Vorhaben: Trennung von Staat und Kirche, Gleichheit, Brüderlichkeit Freiheit. Unbewusst nahm die deutsche Version die Zukunft vorweg: Die Begriffe, Brüderlichkeit und Gleichheit wurden ersetzt durch Einigkeit und Recht. Sie war inkonsequent im Voraus, und so ist die bürgerliche Gesellschaft denn auch weltweit geworden." Berg und Korthaus trafen sich an einem der späten Herbsttage im Turm. Korthaus hatte einige Fragen, die er bei einem Strandspaziergang besprechen wollte. Es war ein diesiger Vormittag als das Taxi mit Korthaus vor dem Turm ankam. Berg begrüsste ihn und ging mit ihm zu einem Tee in den runden Raum der Turmspitze hinauf. Dann sassen sie dort beim Tee. Berg begann:" Sie sprachen davon, dass die Bildtelefonunterhaltung nicht weiter führt. Ich habe zuweilen ähnlich gedacht. Die Verfremdung durch dieses Medium ist manchmal nützlich, zuweilen auch lästig." Korthaus antwortete: " Ja. " Nachdem sie eine Weile über praktische Dinge gesprochen hatten, zogen sie ihre Wettermäntel an und verliessen den Turm. Sie gingen zum Strand in Richtung Brücke. Zunächst sprach keiner von Beiden. Es schien auch überflüssig zu sein, etwas zu sagen. Als die Beiden in Sichtweite der Fehmarn Brücke waren, blieb Korthaus stehen, Berg dann auch und Korthaus begann: " Das Absurde lässt mich nicht mehr los. Sehen Sie die Ästhetik ist sinnlos, die Ideen ebenfalls. Und obwohl es im Detail der artifiziellen Tätigkeiten und der leitenden gesellschaftlichen Ideen manch Nützliches gibt, bleibt das Absurde tragend." Berg antwortete: " Unter diesem Gesichtspunkt, den Sie hier ins Spiel bringen, ist es interessant Platos Ideen und Demokrits Atomlehre zu betrachten. Wissen Sie das Sokrates in seinen Gesprächen mit Kriton von der kleinen Lüge spricht, die zugunsten des Gesellschaftslebens eingeführt werden müsste ?" Korthaus antwortete: " Die Frage der Götter?" " Ja. Er baute die Scharlatanerie fest ins staatliche Gefüge ein, ein tragender Pfeiler aus Lehm sozusagen. Es muss also eine Notwendigkeit vorgelegen haben mit solchem Material zu bauen." Korthaus antwortete: " Das trifft das Problem des Absurden, der Ästhetik und der Notwendigkeit absolut." Berg meinte: " Die Antworten auf die Fragen sind immer noch so unerfreulich wie sie seit der Antike sind." Korthaus wandte ein: " Einerseits, aber wo bliebt die Anarchie, wenn es anders wäre ?" Nun war Berg sehr überrascht: " Sie als Verfechter der Anarchie?" Korthaus antwortete: " Gewiss nicht, aber alles was ist, ist zunächst Objekt. Und nachdem das bewusst ist, kann man daran arbeiten." "Also berührt das Absurde auch hier wieder die Freiheit, - eine Idylle wird das jedenfalls nicht."fügte Berg hinzu. Als die Beiden wieder im Turm zurück waren, setzten sie nach dem Essen ihre Gespräche fort. Korthaus meinte: " Ich habe eine Idee, warum der Begriff der Ästhetik mit dem des Ziels und dann des Sinns verwandt ist." Berg sprach: " Vielleicht auch dem Grund der Religionen? " Korthaus erklärte:" Gewiss, Ziele und Religionen haben gemeinsame psychologische Notwendigkeiten zum Grund. Ich denke an die Grenzfunktionen, die eine Beschränkung ungerichteter Energien erläutern. Kein Wesen lebt ausserhalb der Grenzfunktionen und jedes erfährt sie universal, da andere Wesen ebenso begrenzt sind. Daraus ergeben sich Ziele, die den Sinn der Handlungen bilden. Da aber diese Sinnbildungen ebenso den Grenzen unter- liegen wie die Ziele, würde der Sinn verloren gehn, wenn die Grenzen wegfallen. Das wäre logisch gesehen, der Fall wenn, man die verschiedenen beschränkten Ziele alle zusammen betrachtet in einem Bild. Es kann also nicht hier und real sein und wird deshalb projeziert in eine andere religiöse Welt. Nur dort kann ihr Sinn gegeben werden, weil es nie zur Realitätsprüfung kommt. Solches Denken kann den Schritt aus der Beschränkung des Einzelnen hinaus nicht leisten. Es macht aus Allem eins. Dieses eine hat dann stets ein menschliches Gesicht, eine Partikularität, die als Singularität aufgefasst wird." Korthaus fuhr fort:" In Sartes Entwurf durch sich selbst kommt all das zum Ausdruck. Der Akt der Freiheit inmitten des Absurden." Berg entgegnete: " Aber es ist offensichtlich, dass Sartre sehr verallgemeinert hat. Wer entwirft sich selbst ? Eine sehr kleine Zahl von Leuten, denen es möglich war überhaupt ein Problem darin zu sehen." Korthaus sprach: " Man kann es auch so verstehen, dass jedes Wesen durch sein besonders Sein sich entwirft. Allerdings wäre es damit nah verwandt dem Schicksal, also nicht unbedingt der Freiheit." " Wie er in "Die Fliegen" ungewollt aufgezeigt hat," ergänzte Berg. Nach einer Weile sprach Berg weiter: " Die Nähe des Begriffs der Schönheit zum Begriff der Lust ist eine Einseitigkeit, die das Absurde einschränkt." "Wie das ?" fragte Korthaus. Berg fuhr fort: " Werbung, Vermehrung, Macht, Verführung, ein Netz, dass in vielerlei Hinsicht verflochten ist und eine Ordnung vertritt, die den Lebewesen Dauer verleiht. Wiederholung und Dauer sind unentbehrliche Eckpfeiler, auch wenn sie nur ungefähr sind, was sie sein sollen." Korthaus antwortete: " Das Doppelgesicht der Freiheit. Sie tritt als ästhetischer Höhepunkt auf und beugt sich den Notwendigkeiten. Die Grenzen treten mit der Freheit zusammen in die Welt." Berg sprach: " Ja, so ist es. Deshalb hat der Buddhismus die einzig mögliche Schlussfolgerung gezogen: Das Nirvana." Korthaus fragte: " Was denken Sie darüber, dass trotz der Vermeidung jeder Festlegungen empirischer Art der Begriff des Nirvana mit seinem Ungeborenen, Nichtalternden, Leidlosen, als der höchst mögliche Zustand gesehen wird ?" Berg antwortete: " Ich habe es lange nicht verstanden, denn rational ist das nicht. Es gleicht ja logisch gesehen dem Tod. Was soll daran erstrebenswert sein ?. Die Medition hat mir das Geheimnis aufgedeckt. Es ist der Urzustand des Universums, der gespürt wird und der nicht das ist, was wir unter Tod denken. Der Tod ist das Ende eines Subjekt gesehen von anderen als ein Objekt. Das Ungeborene ist weder Subjekt noch Objekt, kein Nichts, kein Partikulares." Korthaus fragte: " Was Sie da entwickeln lässt den unendlichen Optimismus der Buddhisten verständlich erscheinen. Leibnitz ist vielleicht der Sache nahe gekommen mit seiner `Besten aller Welten`". Berg antwortete: "Es könnte sein, daß er es gespürt hat. In meiner Kindheit hatte ich neben der Furcht vor dem Tod auch solche Stunden erlebt, in denen mir der Gedanke an die Zeit vor meinem Leben als ein angenehmer Zustand, als Freiheit, erschien und sich auch so anfühlte. Ich hab es auch auf das Nach-dem Leben übertragen und es ebenfalls als angenehm empfunden." Korthaus fragte: " Ist der Buddhimus optimistisch?" Berg antwortete: " Er betont das Leiden. Damit erinnert er an das Christentum. Aber er kennt die Erleuchtung durch sich selbst. Das ist revolutionär. Die Religionen sind umgekehrt, sie lehren die Abhängigkeit von Göttern. Besonders einzigartig steht der Buddhismus mit seiner Lehre vom Nirvana, welches auch als Zustand der Lebenden verstanden werden kann. Ja, ich meine die tiefere Struktur des Buddhimus ist opimistisch. Immerhin ist der beste aller Zustände erreichbar. Die Ausrichtung auf das Mitgefühl spricht ebenfalls dafür." Korthaus meinte: " Gewiss ist auch die Freiwilligkeit bemerkenswert. Der Buddhismus legt freiwillige Beschränkung nahe, nicht durch Verbot oder Strafe." Berg fuhr fort: " Natürlich sind klassisch religiöse Elemente in ihm enthalten, aber man sieht doch überall die Rationalität durchkommen. Er ist von Philosophen entwickelt worden." Korthaus erwiderte: " Die Vorbuddhisten waren vielschichtiger. Sie kannten die Bewegung, das Wachstum. Damit waren sie eindeutig optimistisch." Berg stimmte zu: " Nietzsche lag vielleicht richtig damit, den Buddhismus als Ausdruck einer müden Hochkultur zu verstehen." Korthaus sprach: " Sollte es so gewesen sein, wie wir vermuten, dann bleibt es noch im Dunkeln, warum die Vorbuddhisten verschwunden sind." Berg lächelte nahm den Tee und sagte: " Sind sie es ?!" Korthaus griff das Gespräch nach einer weiteren Tasse Tee wieder auf: " Es ist doch merkwürdig, dass die antike Wende zum Objekt und zur Produktion in Europa wieder aufgeblüht ist und dabei das vergeistige Element so sehr verloren hat, dass wir nicht einmal eine Ahnung haben, wie der Blick nach innen beschaffen war und sich mit der Produktion vereinbaren liess. Die Vorbuddhisten sind nicht nur rätselhaft, in der Frage, wie tief ihre Produktion in das Universum eingriff sondern auch, wie ihr Blick nach innen beschaffen war." Berg antwortete: " Sie sagen es. Für uns sind es absolut zwei Welten. Aber ich denke diese Trennung von Leib und Seele, die sich im Mittelalter bis ins Pathologische verselbstständigt hat, ist ein direkter Ableger der Trennung zwischen innen und aussen." Korthaus sah indirekt seinen subjektiven Idealis- mus bestätigt: " Wenn alles im Ich ist, dann wäre diese gesammte Problematik lösbar." Berg widersprach: " Darüber sind Sie längst hinaus. Stromtheorie, Grenz- funktionen, die Vorbuddhisten,- alles spricht gegen Ihre Konstruktion." Merkwürdigerweise begehrte Korthaus nicht aus. Er nickte leicht, fasst unmerklich und schwieg. Berg fuhr fort:" Sie haben trotzdem das Wesentliche getroffen. Das Ich ist die entscheidende Instanz, auch wenn sie in vielerlei Hinsicht abhängig erscheint. Ohne Ich kein Bewusst- sein, keinen Ort, keine Zeit." Korthaus fragte: " Was bleibt übrig für nichtichliche Bereiche ?" Berg sprach: " Mit dieser Frage haben Sie etwas aufgeworfen, was den subjektiven Idealismus unausweichlich notwendig macht. Innerhalb der Identitätslogik wäre daraus kein Entkommen." Korthaus lenkte nun ein: " Das ist auch genug. Die ins Nichtidentische hinausragenden Begriffe lassen die Systeme zerfasern, wie Wolkengebilde. Aber sie sind notwendig. Ohne die festen Gebilde wäre kein Halten." Hier stimmte Berg zu. Korthaus blieb einige Tage bei Berg im Turm. Eines Morgens während des Frühstücks holte Berg zwei Feldstecher, reichte einen Korthaus und sprach: "Kommen Sie mit zum Fenster." Er ging vor, und dann richteten Beide die Gläser Richtung Kieler Bucht. Dort sahen sie am Horizont die Silhouette eine grossen Schiffs und mehrerer kleiner. Berg sprach: " Ich habe eine Überraschung für Sie. Dort der dicken Brocken ist der Flugzeugträger Sidney 2. Ich habe ihn mir von den Australiern ausgeliehen. Daneben sind Passagierfrachter, die unsere Gäste zu uns bringen. Wir können nun den Hubschrauber nehmen und zu dem Träger fliegen. Heute Abend, bei Einbruch der Dunkelheit machen wir ein wenig Discofete." Korthaus lachte: " Sie werden nie erwachsen Berg. Ich tanze wohl auch gerne. Wer kommt denn ?" Berg sagte:" Nun, Bernardette, Kugatarein, die halbe Inselbevölkerung der Tuamotu Insel von Kugatarein, Babucoffie, einige Tänzer von Pricadrom und Nanamurti,- alle eben." "Toll, sagte Korthaus, das ist großartig." Sie bestiegen den Hubschrauber, der bereits früh am morgen angekommen war und flogen zu dem Flugzeugträger. Dort an Deck wurden Sie vom Kapitän und den Offizieren begrüsst. Sie gingen zusammen in die Kantine. Dort entwickelte sich ein Gespräch zwischen dem Kapitän, Berg, Korthaus, Babucoffie und Nanamurti. Die anderen waren noch nicht eingetroffen. Korthaus fragte: " Was machen Sie mit Ihrem Schiff hier in der Ostsee ?" Der Kapitän antwortete: " Das war leicht. Wir mussten hier in die Werft und einige Umbauten machen lassen. Daher konnte Berg uns zu dem kleinen Ausflug nach hier überreden." Am Abend waren alle eingetroffen. Einige Schiffe waren um den Träger herum vor Anker gegangen und hatten Flutlicht- strahler an grossen Masten eingeschaltet. Das Rollfeld des Trägers war als grosse Tanzfläche eingerichtet worden und hell beleuchtet. Die Musik begann. Korthaus, Bernardette, Babucoffie, die Tuamotubewohner und viele andere tanzten. Die Australier hatten eine Trommlergruppe gesandt. Zunächst ging es völlig durcheinander. Dann, bei einem bestimmten Stück liessen die Tänzer in der Mitte einen grossen Kreis frei, in dem Korthaus und Bernardette verblieben. Die beiden wussten, dass sie nun zu einer Duonummer aufgefordert waren. Sie tanzten im Rhythmus der Trommel und flogen über die Fläche dahin, Vögeln gleich. Dann wieder strömten die Leute hinzu und alle tanzten zusammen und durcheinander. Berg sass mit dem Kapitän auf der Kommandabrücke und sah von oben dem Treiben zu. Nanamurti hatten einen Kreis für sich. Er sass dort regungslos in Lotussitz. Afrikanische Rhythmen, dann indische Sitharmusik, später amerikanischer Hip-Hop, es ging quer durch die Musikprovinzen. Sie tanzten bis in den Morgen hinein. Plötzlich stürmten dutzende der Tuamotumädchen auf die Brücke und brachten Berg Blumen. Alles war voll von Blumen gestreut. Auf dem kürzeren Rollfeld waren Tische aufgebaut. Dort konnten die Gäste essen und trinken. Gegen Mittag verliessen die letzten das Schiff. Der Flugzeugträger fuhr weiter Richtung Nordsee und von dort nach Australien. Als Berg und Korthaus am frühen Abend wieder im Turm zurück waren, begann Korthaus das Gespräch mit der Frage: " Was haben Sie da experimentiert ?" Berg lächelte und sprach: " Was denken Sie ?" " Raus damit!", meinte Korthaus. Berg antwortete: " Wenn Sie die Aufgabe hätten 200 ausgerissene Mäuse einzufangen, was würden Sie tun ?" Korthaus sah Berg verwundert an. Berg antwortete selbst: " Sie würden alles einsammeln was in dem Raum vorhanden sein kann, in dem die Ausreisser sich befinden. Gewiss hätten Sie am Ende alle im Sack." Korthaus sagte: " Nun verraten Sie noch, welche Mäuse Sie meinen." Berg antwortete:" Unsere Mäuse, die durch unsere analytischen Netze schlüpfen." Korthaus nickte, als hätte er gewusst, was gemeint war. Berg sprach weiter: " Wir kommen in der Grundfrage nichtidentischer Grössen nicht zum Ende. Es geht alles auseinander. Die losen Ende unserer Hypothesen flattern im Wind." " Also ergreifen Sie das ganze Wetter", meinte Korthaus. Berg antwortete: " Kreative Aktionen, spontane Impulse, Feste, Irrtümer, Ausreisser, alles will erfahren, erprobt, durchlebt werden. Wenn Sie es absurd finden, so bedenken Sie, dass ich es auch absurd finde." Korthaus sprach: " Der indische Weg reicht Ihnen also nicht aus ?" Berg antwortete: " Gewiss nicht. Aber auch der europäische reicht nicht aus. Wir sind wieder ganz am Anfang. Was unsere ganz eigenen Fragen betrifft, haben wir überall weisse Flecken auf den Landkarten." Korthaus lächelte, nickte zweimal und sprach: " Glück gehabt, nicht wahr ?" Der Ton in Korthaus Satz reizte Berg zu einer bissigen Bemerkung: " Meinen Sie, es gäbe eine Möglichkeit das Ich zu retten ?" Korthaus antwortete ganz unschuldig: " Nun, wenn alles sich so fügt, wie es soll." Berg wechselte nun die Ebene und sprach völlig ernsthaft: " Es macht mich stutzig, dass immer das handelnde Individuum die Färbung der Dinge bestimmt. Vielleicht gibt es etwas zwischen dem Ich und den Naturgesetzen, was wir noch nicht entdeckt oder übersehen haben" Korthaus antwortete: " Ich denke, dass man zu diesen Konstruktionen gelangen muss." Berg fragte: " Etwa so wie man zu den Grenzfunktionen mit einer gewissen Notwendigkeit gelangt ?" "Ja", sagte Korthaus. Nun sagte Berg: " Sie bringen mich mit dem Gedanken von etwas, das zwischen den Begriffen liegt, auf das Problem der Nichtidentität aller definierten Grössen. Wir haben nirgendwo einen verlässlichen Ausgangapunkt, der es erlauben würde die Welt aus identischen Bausteinen aufzubauen. Immer ist die identifizierende Leistung des Ichs die letzte und auch einzige Instanz der Konstruktion der Objekte. Deshalb hat Ihre alte Auffassung, alles könne nur als Ich und im Ich sein etwas Zwingendes." Korthaus kannte diese Interpretation. Die Beiden hatten sie schon vielfältig untersucht. Seit das Nichtidentische in den Mittelpunkt ihrer erkenntnistheoretischen Bemühungen getreten war, gab es grosse Annäherungen zwischen den Vorstellungen der Beiden. Am folgenden Morgen, während die Beiden frühstückten, sprach Korthaus zu Berg: " Was halten Sie von einer Fahrt mit Pferden und Wagen entlang der Küste ?" Berg antwortete: " Gern, haben Sie ein besimmtes Ziel im Auge?" Korthaus ant- wortete:" Nein." Berg kannte im Nachbarort einen Bauern von dem die Beiden einen Wagen mit zwei Pferden geliehen hatten. Berg rief ihn an. Sein Sohn war im Haus. Er versprach, Wagen und Pferde zum Turm zu bringen. Sie sollten gegen Mittag reise- fertig sein. Der Bauer kam um 14 Uhr mit einem Pritschenwagen, der einen Kutschbock hatte. Zwei schwere Pferde zogen ihn. Das war eine kluge Lösung, denn die Fahrt durch das Watt kostete Kraft. Der Wagen hatte Luftreifen und kugelgelagerte Achsen. Es war eine bessere Lösung als die hohe Kutsche mit Holzrädern, die die zwei schon benutzt hatten und die leicht im Schlick stecken bleiben konnte. Der Bauer fuhr mit einem von Bergs Fahrrädern zu seinem Hof zurück. Die Beiden, Berg und Korthaus bestiegen den Kutschbock und fuhren los. Es war klar, die Sonne wurde von den vielen nassen Stellen im Sand gleissend zurück geworfen, der letzte Nebel verschwand ,und am weithin sichtbaren Horizont fuhren Schiffe in Richtung Kieler Hafen. Der Wagen rollte gemächlich in Richtung Süden. Licht und Schatten tanzten im Küstensaum und verbanden sich mit Lichtblumen von Sekundendauer, deren Existenz vergänglich wie jede und doch unwiderruflich war. Mehr ist nicht das einzelne Leben, dachte Berg. Und das, was mehr ist, ist gehäufte Erinnerung. Hat jemand einen Weg gefunden ihren Verlust zu ersetzen oder auch nur die Wandlugen zu überstehen ? Mehr nicht als diese Überzeugung, zu sein, was man war und ist,- mehr ist nicht. Zuweilen ist es leicht wie Lichtspiele und manchmal furchtbar. Korthaus holte ihn in den scheinbar sich selbst gewissen Augenblick zurück: " Wie weit eine kleine Reise ist." Berg antwortete: " Unendlich weit. Man verliert sich nur deshalb nicht, weil man glaubt, dass es wirklich ist, wie es ist." Während der Wagen von den Pferden ohne Eile gezogen durch den Sand rollte, setzte die Vordämmerung ein, und das tiefstehende Sonnenlicht durchleuchtete tausende brennend rotgelber Buchenblätter. Berg hielt den Wagen an und sprach zu Korthaus: " Ich würde gern etwas verweilen." Korthaus antwortete: " Es ist mir recht." Berg fragte: " Sie kennen doch diese Kunstrichtung der sechsziger Jahre: 'Minimal Art'". Korthaus nickte. Berg fuhr fort: " Man ist den umgekehrten Weg gegangen, sozusagen ins Kleine, Feine. Deshalb frage ich mich: " Woher haben wir die Bevorzugung des Grossen ?" Korthaus antwortete:" Meinen Sie? " Berg fuhr fort: " Ich dachte immer zuerst an die grossen Ereignisse beim Eintritt in eine andere Landschaft. Hier standen die Goten, bevor sie in den Süden wanderten. Als wir in Nordafrika waren, gedachte ich zuerst der Römer und Karthager. Danach kommen dann Bilder und Erinnerungen des Mikrokosmos. Hier habe ich gestanden, als junger Mann und die Sterne angesehen, und den Grossen Wagen als Gesprächspartner projeziert." Korthaus meinte:" So sind wir, und mit uns die Kulturen der menschlichen Geschichte, bis auf die Ausnahmen, besonders die Buddhisten." Berg fragte: " Evolution ?" Korthaus antwortete: " Die Evolution ist es immer. Aber es ist auch immer das Wetter, ganz gleich wie es ist." Berg verstand die Anspielung und erwiderte: " Sie haben recht, Begründungen, die alles erklären, erklären nichts." Korthaus sagte: " Vor der Frage eines Ziels oder Sinns stehen wir immer wieder. Und wenn, wie in manchen Fällen nur ein Lichtspiel zu finden ist, wie vorhin die Spiegelungen des Sonnenlichts im Watt, verfallen wir ins Gegenextrem. Wahrscheinlich ist aber immer etwas von Ziel, Sinn und Freiheit in jeder Regung." Berg antwortete: " Ich stimme ihnen zu. Wir haben mit dem Ungefähr, den Grenzen und Nichtdichtigkeiten, aber auch im Nichtidentischen einige Hinweise gefunden, dass es so auch sein muss." Sie standen mit dem Wagen eine längere Zeit in Gedanken versunken am Strand. Dann fuhr Berg mit dem Gespräch fort: " Wir befinden uns aber offensichtlich in einer Wandlung. Früher habe ich das dringende Bedürfnis gespürt, etwas Dauerhaftes zu errichten." Kortkaus sprach: " Ja, so erging es mir auch." Berg fuhr fort: " Dann kam das Bedürfnis etwas Wesentliches zu entdecken, etwas Wichtiges zu hinterlassen. Aber niemand will eine fertige Welt, so wie man auch die Möbel der Altvorderen selten übernimmt." Korthaus fragte: " Und das hat sie verdriesslich gestimmt ?, - mich hat es jedenfalls verärgert." Berg sprach: " Gewiss. Aber wenn man weiterdenkt, so ist der ewige Neuanfang der Generationen die beste Lösung. Man wird ziemlich ahnungslos geboren und lernt dazu, und entdeckt eine neue Welt." Korthaus meinte: " Es ist aber auch gefährlich. Wie viele Fehler werden wiederholt, wieviele Katastrophen, Kriege und Leiden müssen ständig neu durchlebt werden." Berg meinte: " Das dachte ich auch, aber es so paradox, dass alles das in Kauf genommen werden muss. Es gibt da gar keine Wahl." Korthaus stimmte zu:" Wahrscheinlich ist die wahre Hölle nicht etwas Feuriges oder Dynamisches sondern die Erstarrung, der zugestellte Raum." Die Beiden packten Brote und Kaffee aus. Nachdem sie mit ihrem Essen fertig waren wurde es dunkel, der Mond schimmerte durch die neblig, diesige Atmosphäre. Die beiden setzten ihr Gespräch fort. Korthaus sprach: " Wenn es eine langfristige Perspektive des menschlichen Lebens gäbe, wie sähe sie aus?" Berg griff die Frage auf und antwortete: " Wenn wir die bisherige Entwicklung verlängern, an der wir mit der Marsbesiedlung mitgewirkt haben, dann wären weitere Besiedlungen von Planeten zu erwarten." Korthaus fragte: " Denken Sie, Nietzsche hatte recht, als er das Individuum als Endpunkt sah ?" Berg antwortete: " Schwer zu diskutieren, aber wenn ich frage, ob der einzelne Organismus einen Endpunkt bildet, denke ich es, wird weiter gehen. Organismen werden verwachsen wie vorher die Einzeller zu Vielzellern." "Eine schaurige Vorstellung, miteinander verwachsene Organismen." Berg meinte: " Das Pflanzenhafte ist für unseren Bewegungsdrang kaum vorstellbar, aber wo wir laufen, fliessen beim Baum Säfte." Korthaus dachte laut weiter: " Die Atlanter hatten Fähigkeiten entwickelt, mit denen man vielleicht andere Lebensformen hervorbringen konnte. Letztlich sind es jedoch immer ähnliche Strukturen, mit denen die Lebewesen sich erhalten." Berg antwortere: " Es sieht so aus, dass alles in die Breite geht, ganz entsprechend der Strahlung, die als Kugel sich ausbreitet. Also haben wir das Streben zur Bildung von Individuen, Gesellschaftspyramiden, Geflechten wie bei Pilzen usw. nacheinander oder gleichzeitig in uns," Der Pritschenwagen war mit einem Wasserbehälter, Eimern und Futtersäcken beladen. Die Beiden versorgten die Pferde, zündeten die zwei Kerosinlampen an und fuhren gegen 5 Uhr langsam in Richtung Turm zurück. Korthaus meinte: " Der Rückweg hat immer etwas Vertrautes. So tief sitzt uns das Vorwärtsdenken in den Knochen. Ich denke Nanamurti wird den Rückweg ebenso empfinden wie den Hinweg." Berg meinte: " Damit hat er auch recht. Nur die Erinnerung gaukelt uns Sicherheit und Bekanntheit vor. Gewiss ist es auch in der Übung einer Sache berechtigt. Aber was wird daraus? Wir verlieren mehr als unser halbes Leben durch Rückwege und Schlaf, die wir irrtümlich nicht für so bedeutend wie Hinweg und Aufwärtsbewegung halten." Korthaus sprach: " Der Anfang vom Ende: Man spezialisiert sich auf Erfolg, dann auf Erwerb und Macht um zuletzt zur Neurose zu gelangen, dem perfekten Käfig. Adorno hat so etwas wohl gemeint, als er sagte, das Gefängnis hätte seine Schrecken verloren. weil aussen und innen sich stark angeglichen hätten." Nachdem der Wagen eine Weile Richtung Turm zurück gefahren war, sprach Berg zu Korthaus: " Diese Angleichungen der Erlebnisse zeigen drastisch die Notwendigkeit der Kunst." Korthaus fragte: "Sie meinen auch die Artefakte?" Berg antwortete: " Ausdrücklich! denn in der Welt der Vorherrschaft der Dinge sind die Artefakte als Dinge widerstandsfähiger als der ästhetische Höhepunkt, der rasch verlischt. Die Marsreise war so ein Artefakt. Aber heute, was ist daraus geworden?." Korthaus sagte:" Sie denken an das Einkaufscenter in der Marshauptstadt." Berg erwiderte: " Ja, es ist sehr irdisch geworden auf dem Mars. Aber so ergeht es allem, es ist fremd und wird vertraut." Einge Tage später reiste Korthaus wieder ab. Er fuhr zu seiner Frau zurück, die sehr erfreut war, ihn nach so kurzer Zeit wieder zu sehen. Er wurde sehr rührig in den nächsten Tagen. Er nahm Kontakt auf zur grössten Feuerwerksfirma in den USA, zur Weltraumorganisation und einer Reihe anderer Firmen. Seine Frau fragte ihn eines Abends: " Was wird das für ein Projekt." Er antwortete: " Ich reise nicht zum Mond und werde nicht lange weg sein, es wird ein Feuerwerk auf dem Mond. Es wird von hier aus gezündet, und ich werde nicht reisen müssen." Sie antwortete: " Das ist schön. Dann werde ich diesmal nicht lange warten müssen." Er sprach: " Es wird teuer. Vielleicht können wir die Planung zusammen machen machen. Sie stimmte zu. Es wurden in den folgenden Wochen einige hundert Tonnen Feuerwerkskörper zum Mond gebracht. Dort wurden sie um einem Kreis herum aufgebaut, der fast ein Fünftel der von der Erde sichtbaren Mondoberfläche umfasste. Es würde das grösste Feuerwerk werden, das jemals da gewesen war. Korthaus verlor durch die Kosten dafür fast sein ganzes Vermögen. Es war ein philosophisches Experiment, geplant als grandioses Happening. Die Spezialisten für den Aufbau auf dem Mond wurden zur Mond- station geflogen und montierten die Anlage in den folgenden Wochen. An einem klaren Januarabend bei zunehmendem Mond startete Korthaus das Feuerwerk. Die schmale Sichel des Mondes stand bereits niedrig am Horizont, war aber auch in Stadtgebieten noch sichtbar. Korthaus befand sich bei Berg auf dem äusseren Ring des Turms. Plötzlich erstrahlte für einige Sekunden im dunklen Teil des Mondes ein heller Kreis. Die Menschen, die dieses Ereignis beobachteten, dazu gehörten auch Millionen von Fernseh- zuschauer weltweit, waren starr vor Staunen. Dann erlosch der Kreis und ein im Kreis laufender Punkt erleuchtete. Hunderte Kilogramm Leuchtfeuerwerk wurde dort in jeder Sekunde verbrannt. Der Leuchtpunkt wurde zur Linie und bildete dann wieder einen Kreis. Dann wechselten die Farben. Ein blutroter Ring bedeckte fast den ganzen Dunkelteil des Mondes. Das Schauspiel endete mit einer riesigen kugeligen Feuerwerks- explosion im Zentrum des Kreises. Berg sah Korthaus an und sprach: " Das ist Ihnen gelungen. So leicht wird keine grosse Über- raschung möglich sein, die schwerer wiegt als Ihre." Korthaus lächelte und sprach: " Die eigentliche Arbeit kommt noch." Berg meinte: " Bestimmt, damit rechne ich." Korthaus fuhr am anderen Tag zu seiner Frau zurück. Die Übertragungsrechte für das nächtliche Schauspiel auf dem Mond hatten mehr Geld eingebracht als erwartet, sodass Kort- hausens finanzielle Lage sich wieder deutlich gebessert hatte. Mit Berg hatte er verabredet eine Pause in ihren Experimenten einzulegen. Sie gehörte zu Korthaus Plan dieses grossen ästhetischen und philophischen Experimentes. Abgesehen von den unbekannten philosopischen Abenteuern, die in der menschlichen Geschichte bereits durchgeführt worden waren, war dieses gewiss eines der teuersten gewesen. Korthaus erachtete die Verfestigung der Erinnerung an das Ereignis durch ein vorübergehend gewöhnliches Leben für nötig, damit das expressive und philosophische Neuland erschlossen werden kann. Korthaus hatte ein Gefühl im Bauch, dass ihn abwarten liess. Berg hingegen machte seine Spaziergänge am Strand und dachte über das Geschehene nach. Eines Tages klingelte bei Korthaus das Telefon. Es war Bernardette. Sie wollte ihn sehen. Er traf sich mit ihr in einem Cafe in der Innenstadt. Sie sah jung und begeistert aus. Sie fragte ihn:" Kommst Du mit mir in mein Zimmer?" Er sagte ja und wunderte sich, dass sie hier ein Zimmer hatte. Sie fuhren in ihrem Wagen los. Sie hatte das Zimmer für einen Monat von einem Studenten gemietet, der zu seiner Familie gefahren war. Es waren keine Worte nötig. Nachdem sie mit- einander geschlafen hatten, sagte sie:" Ich habe Deine Feuerwerksveranstaltung gesehen. Dann wollte ich Dich unbedingt sehen. Ich sehe diese bunten Feuerblumen auf der Dunkelseite des Mondes, oft vor mir." Sie sprach weiter: " Ich habe das Gefühl einer Veränderung,, die alles betrifft, auch Dich." Korthaus fragte:" Gibt es etwas Bestimmtes, dass sich für Dich verändert hat ?" Sie sah zum Fenster hin und antwortete:" Es hat mich so verwirrt, und an Gefühle erinnert, wie ich einmal gewesen war. Ein grenzenloser Optimismus, als wir uns nach meiner Entdeckung als blinder Passagier auf dem Mars zum ersten Mal sahen. Und die Kindheit, das Ungewisse um mich herum, Die Luft voll Abenteuer und Furcht." Korthaus verstand sie. Sie fuhr fort: " Die ersten Begegnungen mit Beethoven, mit grossen Kunstwerken haben etwas Ähnliches in mir bewirkt." Korthaus schlug vor: " Was halten Sie von einem Besuch im Turm?" " Bei Berg ?" fragte sie. "Ja." Die Beiden fuhren am anderen Morgen mit ihrem Auto zur Ostsee. Korthaus hatte Berg telefonisch informiert. Es fiel etwas Schnee. Das niederdeutsche Flachland lag unter einer Schneedecke. Die Wälder waren bereits weiss, die Strassen aber noch schnee- und eissfrei. Am frühen Abend nach Einbruch der Dunkelheit kamen sie am Turm an. Bald sassen die Drei beieinander. Bernardette berichtete von ihren Stimmungen, die nach dem Feuerwerksschauspiel sich eingestellt hatten. Berg sagte dann: " Nach dem Mondschauspiel habe ich ähnliche Gedanken gehabt wie bei der Unterwasserinsel. Der reine Luxus dieser grossen Artefakte steht mit dem Gegenteil, den existenziellen Notwendigkeiten in einem inneren, wenn auch verdeckten Zusamenhang. Sie sind nicht nur Kristallisationspunkt und Kern der Erinnerung sondern Lebenstrieb und Urgrund der Wahrnehmung." Bernardette meinte: " Diese Doppelheit sehe ich auch, aber wie hängt es zusammen, das ist die Frage." Berg antwortete:" Einige Zusammenhänge haben mit dem ästhetischen Höhepunkt, den Wiederholungen, dem Nichtidentischen und dem Hinzutretenden zu tun." Korthaus schlug vor: " Vielleicht können wir das weiter aufklären." Berg sprach: " Überall wo Lebewesen und selbstständige Objekte, wie Moleküle, Atome, Elementarteilchen usw. auftreten, sind Wiederholungen existentiell. Sie allein würden aber nur einen statischen Zustand erklären können. Das Unberechenbare, Hinzutretende ist ebenso existentiell. Wie anders sollte man über Lebensformen und Gestaltungen reden können." Korthaus sprach:" Ich möchte das weiterverfolgen." Berg forderte ihn auf: "Nur zu." Korthaus sprach weiter: " Beide Begriffe können aus dem Blickwinkel der Notwendigkeit betrachtet werden. Das Leben weicht der Erstarrung aus, die in den Wiederholungen lauert und bringt etwas hervor, dass als Ausbrechen, Kreation und Hinzutretendes vestanden werden kann. Dieses selbst ist ästhetisches Ereignis, welches in neue Wiederholungen eingeht, weil es nach dem unausweichlichen Verlöschen ins Ältere zurückfallen würde. Es bleibt durch den Übergang von Teilen des Neuen in Wiederholungen etwas in ihnen erhalten." Bernardette sprach: " Das ist einleuchtend. Und wenn die Begriffe unter dem Gesichtswinkel des Überschusses betrachtet werden?" Berg forderte sie auf: " Was denken Sie ?" Sie sprach weiter: " Dann geht es nur mit der Konstruktion des Hinzutretenden. Irgendwoher kommt etwas, das zur ästhetischen Eruption drängt. Wir sagen Hinzutretenes. Es ist immer notwendig und überflüssig zugleich." "Allerdings wäre der Kosmos bereits verstopft von Neuem, wenn wir nur von Hinzutretendem ausgehen, welches notwendig in Wiederholungen, der Urform des Festen eingehen würde," sagte Berg. Korthaus fragte: " Und wie verhindern Sie das ? Vielleicht indem alles nur Schleier der Maja ist, im Ich veranstaltet durch das Ich ?" Berg war diese Anspielung längst vertraut. Korthaus spielte sie nocheinmal durch um Bernardette einen weiteren Gedanken vorzustellen. Berg übernahm das. er sagte: " Das Ich wäre nur das grosse singulare X, von welchem wir uns bereits getrennt haben, wenn auch mit Schmerzen." Dabei lächelte er etwas und sah zu Korthaus hin. Dieser fuhr fort: " Das Nichtidentische, das in allen Bestimmbarkeiten auftretende Unbestimmbare." Berg fragte: " Sind Sie nun ernsthaft mit dem Loslassen des Ichs versöhnt?" Bernardette sah etwas ratlos ob dieser Wendung zu den Beiden und fragte:" Haben Sie gegensätzliche Positionen ?" Korthaus antwortete:" Ich kann da nur für mich antworten. Wir waren sehr gegensätzlich." Berg sprach mit einem schalkhaften Unterton: " Wie man es sieht, vielleicht war es nur etwas Philosophengezänk." Berg hatte Essen bestellt. Der Lieferant klingelte bald darauf. Sie assen und tranken etwas. Dann setzten sie ihr Gespräch fort. Bernardette sprach: " Wenn Sie erlauben würde ich gern über den Buddhismus sprechen." Die Beiden nickten. Bernardette fuhr fort: " Die Aufmerksamkeit, die der Buddhismus fordert, scheint mir über die sprachliche Verarbeitung, die wir ständig vornehmen in gewisser Weise hinaus zu sein." Korthaus fragte: " Wie sieht das aus ?" Bernardette sprach weiter: " Der Buddhist meditiert, verarbeitet das Erlebte in einer Art Selbstgespräch und Selbsterfahrung, während wir meist mit sprachlich gestützten Gedanken arbeiten. Dann reden wir, natürlich in unserer Sprache, mit Gesten unterlegt, mit anderen. Ohne Zweifel beraten wir über das weitere Vorgehen und Handeln. Der Buddhist handelt durch seine Meditation. Er braucht die andern nicht." Berg meinte: " Gewiss ist es so. Das Bild ist sehr gut. Man versteht, warum aus dem buddhistischen Indien keine Eroberer kamen." Bergs Auffassung, dass es sich um ein eingeschränktes Leben handele kam wieder durch. Bernardette fragte: " Wäre eine friedliche Gesellschaft nicht wünschenswert?" Berg antwortete: " Natürlich streben wir danach sie einzurichten. Aber sich dabei zu vergreifen und List für Frieden zu halten, ist gefährlich." Bernardette fragte: " Verstehen Sie, warum der Buddhismus die Abwendung vom Leben anstrebt?" Korthaus stellte die Gegenfrage: " Denken Sie an die radikalste Form?" Sie antwortete: " Ja, sie wollen keine Kinder haben. Die Befreiung von der Abhängigkeit von materiellen Gütern und äusseren Erlebnissen finde ich teilweise einleuchtend, da das Leiden vielleicht verringert wird. Aber eine Art kollektiver Selbstmord, wie man das gewollte Aussterben der eigenen Linie nennen kann, ist absurd." Berg sprach: " So sehe ich es auch. Es ist auch der Grund für die Suche nach den Vorbuddhisten gewesen." Bernardette sagte: " Wir haben einmal darüber gesprochen, dass der Gedanke der Seelenwanderung daraus entstanden sein könnte, dass man die Vererbung eigener Eigenschaften auf die Kinder manchmal vermisst, sie aber in anderen Kindern wiederfindet. Als ob die Vererbung der Seelen nicht an die Blutsverwandtschaft gebunden wäre." Korthaus sprach: " Ich erinnere mich. Auch wenn der Buddhismus sich von der Seelenwanderung emanzipiert hatte, ist die buddhistische Konstruktion doch der hinduistischen verwandt. Offen bleibt aber, woher die Abwendung vom Leben kommt, zumal das vorbuddhistische Indien lebensfroh gewesen war." Bernardette sagte:" Genau das ist die Frage." Berg meinte: " Nach allem was wir mit Grund von den Vorbuddhisten gedacht haben, sind Versenkung und Lebensfreude vereinbar, aber der lebensverneinende Aspekt ist scheinbar von anderswo hergekommen." Korthaus gab zu bedenken: " Es könnte auch ein Missverständnis vorliegen." Berg schlug vor zu dritt eine Fahrt durch das Watt zu machen. Bernardette war begeistert. sie sagte: " Das ist ein toller Kontrast zu den Tuamotus, vom Sommer in den Winter." Die Fahrt war für den nächsten Nachmittag geplant. Korthaus und Bernardette übernachteten im nächsten Dorf in einer winzigen Familienpension. Am folgemden Tag trafen sich die Drei am Turm. Der Pferdewagen war bereits da. Berg kam hinunter, dann fuhren sie los. Sie sassen alle drei auf dem Kutschbock, Bernardette in der Mitte zwischen Berg und Korthaus. Es war klar und mild. Der Schnee der vergangenen Tage war geschmolzen. Die Drei sprachen lange nichts. Jeder ging seinen Gedanken nach. Bernardette wurde bewusst, dass ein Teil ihrer Person im Norden geblieben war. Ihr Leben auf den Tuamotus war zu leicht für diese Landschaft, aber umgekehrt hatte ihr Freund im Pazifik mit seiner freien Gesellschaft erst das in ihr geweckt, was ihr erlaubte hier hin zurück zu kommen und über die Gründe und Abgründe der Zeit zu meditieren. Man will das Eine und lebt das Andere, genauso aber auch umgekehrt. Und ohne Korthaus hätte sie es nicht geschafft in fremde Gemein- schaften sich einzuleben. Der Ureurpäer vermag viel, wenn er die Gemeinsamkeiten erkennt, die unter den Kulturen schon früh gewachsen waren, in den grossen noch teils unbekannten Kulturen vor den bekannten Kulturen. Sie fuhren eine Stunde lang schweigend am Wasser entlang. Weil die Pferde im Sand nur langsam voran kamen, waren sie am späten Nachmittag noch nicht an dem Dorf angelangt, wo sie das Pferd unterbringen konnten, Essen und eine Übernachtungs- möglichkeit fnden würden. Nebel stieg auf, die Landschaft verlor ihre Konturen, die Horizontlinie löste sich auf. Der Eindruck von Zeitlosigkeit entstand. Bernardette fühlte sich zwischen den beiden Freunden an ihre Kindheit erinnert, an sonntägliche Spazier- gänge duch die Wiesen und Felder des Bergischen Landes. Sie begann zu singen: " Wo die Wälder noch rauschen, die Nachtigall singt, die Berge hoch ragen, der Amboss erklingt. Wo im Schatten der Eiche die Wiege mir stand, da ist meine Heimat mein Bergisches Land. Da ist meine Heimat mein Bergisches Land. Die Beiden nickten ihr aufmunternd zu, also sang sie weiter. Etwas später hielt Berg den Wagen an und versorgte die Pferde. Dann assen sie etwas und tranken Tee. Bernardette fragte Berg: " Geht es Ihnen auch so, dass Erinnerungen in einer Umgebung, die zu Ihnen passt, traurig machen?" Berg nickte und sprach: " Ja, - ohne das ständige Vergessen würde das Leben im Laufe der Jahre sehr schwermütig. Andererseits wäre ohne Erinnerung gar nichts." "Aber es passt natürlich nichts", meinte Bernardette und sprach weiter:" Nebel, Flachland, Winter. Meine Erinnerung an das Bergische Land hat mit Sommer, Bäumen, der Wupper und Bergen zu tun. Trotzdem ergänzt es sich, wie es Farben zuweilen tun." Berg sprach: Das ergeht mir manchmal ähnlich. Als junger Mann hatten wir Samstagsnachts unsere Dorffeste. Wenn alle tanzten und tranken, das Festzelt voller Lärm war, sass ich manchmal da und gedachte der Ruhe der Erschöpfung der Überlebenden und der Toten auf den Schlachtfeldern. Dann fuhren sie weiter. Endlich sahen sie in der Dämmerung ein altes Haus im Nebel aufsteigen. Als sie näher heran waren, sahen sie die Lichter von Fenstern und Eingangs- tür. Der Bauer kamm heraus und nahm die Pferde, um sie in den Stall zu bringen. Innen war eine kleine Kneipe, in der die Arbeiter und die Familie des Hofs sich versammelt hatten. Die Drei bestellten ein Essen und redeten mit den Leuten. Für die Nacht gingen die Drei in ein Zimmer unter dem Dachboden mit alten Betten und einfachen Decken. Die Leute unten verliessen bald die Kneipe und gingen in ihre Zimmer und Wohnungen. Es wurde stockdunkel im Haus und völlig ruhig, da alle sehr früh am Morgen aufstanden und zu ihrer Arbeit gingen. Die Drei standen ebenfalls früh auf, noch vor der Dämmerung. Gegen sechs Uhr waren sie beim Frühstück unten in der Kneipen- Küche, die alles war: Wohnzimmer, Kneipe und Küche. Sie besprachen ihr Vorgehen und beschlossen weiter zu fahren. Bald darauf waren sie wieder am Ufersaum unterwegs. Sie kamen an die Brücke nach Fehmarn und fuhren unter ihr durch weiter. Gegen Mittag machten sie Rast. Sie kochten und assen und liessen die Pferde ausruhen, die eine Pferdedecke übergehängt bekamen. Dann fuhren sie weiter. Die Sonne kam etwas durch den Dunst hervor. Das Wasser lag glatt und unbewegt. Ausser den Pferden und dem Wagen war nichts zu hören. Korthaus erzählte von seinen Jugendjahren, Bernardete erzählte vom Leben der Tuamotuinsulaner. Als es dämmrig wurde, fragte Korthaus: " Haben Sie schon eine Übernachtungsmöglichkeit vorgesehen." Berg antwortete: " Gewiss, wir sind bald da." Sie sahen ein diffuses Leuchten am Horizont. Es schien wie ein Abenrot. Das war nicht möglich, denn die Sonne war längst völlig verschwundem. Als sie näher kamen sahen sie etqws, das wie Schilf aussah und rot leuchtete. Korthaus wusste mit einem mal Bescheid und wurde dennoch sehr überrascht. "Sie können es nicht lassen. Wie alt sind Sie ?" richtete er an Berg die Frage. Bernardette verschlug es die Sprache. Als aie näher heran kamen sah man schilfähnliche Stahl-und Glasröhren von etwa 10-20 Metern Höhe. Ein Schilfwald aus Stahl und leuchtendem Glas. Berg hielt den Wagen an. Die Drei sahen diesen Wald, der eine Breite von etwa 500 Metern hatte und schwiegen. Nach einer Weile fragte Bernardette Berg: " Sie ?" " Ja, und viele gute Techniker und Arbeiter." Bernardette meinte:" Ein Zauberwald ?" Korthaus sprach: " Er wird nie erwachsen." Bernardette meinte: " Ja, gottseidank." Dann sprach Berg: " Wenn wir näher heran sind, finden wir eine kleine Bucht mit einem Ruderboot. Wir fahren dann in das kleine Waldschlösschen." Der Schilfwald war zu vier fünfteln ins Wasser gebaut der Rest stand im Sand des Küstensaums. Bald waren sie da. Neben der Bucht stand eine Hütte mit Stall. Das Pferd wurde versorgt und im Stall untergebracht. Dann gingen sie zum Boot und ruderten in eine Waldschneise hinein. Das ganze Arreal erinnerte an einen brennenden Urwald. Plötzlich kamen sie an eine Lichtung, die aber eine im Wasser war. In ihre Mitte stand auf Säulen eine gläsene Halbkugel, die in rot und blau strahlte. Eine Treppe mit Landungssteg im Wasser führte hinauf. " Mein Zauberschloss."sagte Berg und wies zu dem Bau hin.. Sie banden das Boot fest und gingen die Treppe zum Eingang des Gebäudes hinauf. Es war aus Stahl, Holz, Glas und Bambus gebaut. Überall waren Leuchtkörper montiert. Alles war halb durchsichtig und bunt, nicht unähnlich einigen Spielpalästen in Vegas. Die Eingangshalle führte zu mehreren Nebenräumen. Durch die Glaswände sahen sie Tänzerinnen von den Tuamotus und Trommler aus Australien. Nun setzen die Trommeln ein und die Tänzerinnen tanzten. Berg führte die Zwei in den Raum. Dabei sahen sie dass die Personen auf Bildschirmen dargestellt wurden, die aber einen 3D Effekt hatten, sodass die Illusion wirklicher Darsteller perfekt war. Berg führte die Beiden zu einer Art Bahnstation, deren glatte Fahrröhre aus einem unterirdischen Tunnel heraus kam. Plötzlich zischte es, eine Druckwelle kam aus dem Tunnel, eine fensterlose, bombemähnliche Röhre glitt heraus und hiel an. Dieses seltsame Gerät hatte eine verdeckte Tür, die sich nach dem Halt öffnete. Heraus kamen Kugatarein, der Mann Bernardettes, dann die Tänzerinnen von den Tuamotus. Korthaus und Bernardette sagten nichts. Die Ankömmlinge umarmten Bernardette und begrüßten Berg und Korthaus. Dieser führte sie in einen Raum, der zugleich Speisesaal und Gesellschaftsraum war. Er war mit Glaswänden abgegrenzt. Die tragenden Röhren waren zu sehen. Als alle Platz genommen hatten, sprach Berg: "Schön, dass ihr hier seid, es hat geklappt. Die Röhren- verbindung zwischen Paris und der Ostsee hat funktioniert. Es ist das größte Bauprojekt der Geschichte. Die Röhren sollen später einmal unter den Meeren alle Kontinente verbinden. Vorerst sind sie aber für den extraterrestrischen Einsatz vorgesehen. Ich habe es nicht erfunden und nicht alleine bauen lassen, sondern alle Raumfahrtbehörden von Amerika, Russland, Europa und Japan waren daran beteiligt. Es ist der Prototyp einer Anlage, die bald die zwei grossen Mondstationen unter dem Mondboden verbinden wird, und später auf dem Mars ebenso eingesetzt werden wird." Es entstand eine Diskussion zwischen Berg, Korthaus, den mitlerweile heran gereisten Ingenieuren und den Bewohnern der Tuamotus. Dann gab es Essen, dannach Tanz, Musik und für die Ruhe- suchenden eine Bootsfahrt durch den Röhrenwald. Von der Küste kam der Bauer mit seinem Sohn, der die Pferde versorgen und mitnehmen wollte. Korthaus sprach zu Berg:" Die Überraschung ist Ihnen doppelt gelungen. Sie sind also wieder ganz Europäer und auf ihre Art Eroberer." Berg nickte und antwortete: " Ja, so ist es. Ich werde mich wohl nicht mehr ändern. Und Sie ? Ihr Feuerwerk auf dem Mond ?" Nun lachte Korthaus und sprach: " Wenn Sie sich nicht ändern, wie sollte ich es je können ?" Nach dem Essen fragte Berg die Beiden, Bernardette und Korthaus: " Was halten Sie von einer Probefahrt mit dem Röhrenflugzeug?" Die Beiden wollten mitmachen. Berg sprach: " Wir könnten nach St.Nazare fahren. Dort ist morgen eine Ausstellung alter Dampfmaschinen. Wir fliegen in der Röhre zunächst mit 400 km/stunde unter der Ostsee, dann unter der Nordsee mit 2facher Schallgeschwindigkeit. Die Fahrt wird etwa 1 Stunden dauern, die meiste Zeit kosten Beschleunigung und Abbremsen." Korthaus fragte: " Wie ist das möglich in einer Röhre so schnell zu fahren ?" Berg erklärte: " Wir fahren nicht sondern fliegen in einem Magnetfeld. Das ganze System ist ein Linearmotor, sehr ähnlich dem Transrapid, ohne jeden Kontakt zur Röhrenwand. Das Besondere ist der Unterdruck. In einer Luftröhre wäre keine hohe Geschwindigkeit möglich." Korthaus sagte: " Jetzt verstehe ich das Prinzip. Es wäre im Freien kaum möglich die Schallgeschwindigkeit zu erreichen." Berg meinte: " Es wäre teuer und gefährlich. Die Röhre wird auf 3mb Druck leergepumpt. Ausserdem wird hinter dem Fluggerät ein Über- druck aufgebaut, sodass ein zusätzlicher Schub entsteht." Korthaus fragte: " Und wie schnell wird es unter der Mondoberfläche werden?" Berg antwortete: " Etwa 10 000 km/stunde." Und unter dem Atlantik?" Berg antwortete:" Nicht ganz so schnell, etwa 2200 km/stunde." Als die drei an der Station des Geräts angekommen waren und das bombenähnliche Gefährt sahen, fragte Bernardette ängstlich: "Und wenn wir steckenbleiben?" Berg lächelte:" Dann sterben wir den Raumfahrertod. Aber Sie werden da drinnen vergessen wo Sie sind. Wir können 3D Filme während der Fahrt sehen oder die zeitsynchrone Simulation einer Reise durch die oberirdische Landschaft." Als sie in dem Fahrzeug Platz genommen hatten, sahen sie vorn einen Mann mit Kopfhörern sitzen. Es war der Techniker und Funker. Berg erläuterte: " Die Verbindung nach aussen geht über das Magnetfeld." Als das Gerät losfuhr, spürten die Mitfaherer die Beschleunigung, aber kein Ruckeln. Die Scheiben leuchteten auf.Sie sahen das Meer, als ob sie an der Oberfläche sehr schnell voran gleiten würden. Dabei verlief die Wasserlinie in der Fenstermitte. Bernardette meinte zu Korthaus: " Die Illusiion ist perfekt, als ob es Fenster wären obwohl es Bildschirme sind. Sagen Sie Berg, reisen wir nun oder sind wir in einer Simulation der Reise.?" Berg antwortete: " Dafür ist nur der Zielort ein Beweis, den wir in 57 Minuten ereichen." Nun zeigte Berg ein Schaltpult im Mittelgang auf einer Konsole und schaltete es mit Armbewegungen ein. Dabei war kein Kontakt nötig. Es ging offenbar mit optischen Sensoren. Er fragte:" Wollen Sie fliegen, Auto fahren oder reiten ? " Bernardette wollte Auto fahren. "Nun sagen sie noch von wo nach wohin soll die Fahrt gehen?" Bernardette fragte Korthaus. Sie wählten dann eine Autofahrt von Lübeck nach Paris. Berg macht sie darauf aufmerksam dass, die Zeit nicht ausreichen würde um bis Paris zu kommen, höchstens bis vor Hamburg, und auch dass furchtbar schnell. Nun meinte Bernardette:" Dann eben nur ein Stück, aber bitte nicht schneller als 110 Kilometer. Augenblicklich erschien die taghelle Landschaft bei Lübeck auf den Bildschirmen. Sie fuhren scheinbar auf der Autobahn. Auch die Geräusche waren überzeugend. Nur die Beschleunigung eines Autos fehlte. Über diese Dinge vergassen sie, wo sie sich befanden. Dann waren sie bereits im Bremsvorgang vor dem Ziel. Der Röhrenbahnhof St.Nazare war gebaut wie ein moderner Pariser U-Bahnhof. Neben dem Eingang war ein Bistro. Die Drei setzten sich unter das Vordach. Es war mildes Wetter, deutlich wärmer als die Ostseeküste. Korthaus fragte Berg: " Man hat doch etwas Nützliches dabei im Auge gehabt, als diese Simulationsmaschinen in das Röhrenflugzeug eingebaut wurden." Berg antwortete: " Ja natürlich, man hat um das Simulationsprojekt herum gebaut." Bernardette horchte auf: " Das war die Hauptsache? Aber wozu?" Berg antwortete: " Das Leben in den Mond- und Marsstationen bringt einige unerfreuliche psychische Effekte mit sich. Die Reizarmut besonders der Augen führt zu Schwächungen und Stimmungs- schwankungen. Es wurde mit Fernsehen und anderen Bild- übertragungsmitteln dagegen gearbeitet. Diese Simulations- maschine geht darüber hinaus. Sie wird in nächster Zukunft interaktiv ablaufen können. Heute haben wir die Reiseoptik gewählt, aber es war ein Film. Die nächste Generation der Geräte wird formbare Landschaften darstellen, die durch die Stimmungen des Betrachters beeinflusst werden." Bernardette fragte: " Heisst das, wenn ich traurig bin, fahre ich durch Regen?" Berg antwortete: "Ja, das kann man sagen. Aber man wird die Geräte auch nicht- synchron einsetzen, z.b. bewusst antagonistisch." "Also es wird die Sonne hervorkommen, wenn ich traurig bin." Berg sagte: " Zum Beispiel so, ja." Korthaus sagte:" Ich erinnere mich an ein Gespräch über die Generationenraumfahrt." Bernardette meinte:" Sind es die Langzeitfahrten, in denen ein Menschen- leben nicht ausreicht ?" Berg antwortete: " Ja. Sie werden die grösste Herausforderung überhaupt. Es ist im Augenblick nicht denkbar, dass Menschen das psychisch verkraften, abgesehen von den biologischen Grenzen, die wirksam werden. Die Enge wird unerträglich. Die Simulations- versuche haben die gleiche Wichtigkeit wie die Pflanzungen im Raumschiff." Bernardette war unwohl bei dem Gedanken an eine weitgehend manipulierte Umwelt. Sie sprach: " Ich finde es grässlich in einer völlig von Programmen gesteuerten Umwelt zu leben." Berg antwortete: " Das ist ein immer wiederkehrendes Gefühl. Es gab die Maschinenstürmer, Romantiker, Tierschützer, heiligen Krieger usw, denen die Furcht vor dem Neuen gemeinsam ist." " Aber das ist doch eine andere Sache," wandte Bernardette ein. Berg antwortete: " Gewiss ist zwischen dem Unwohlsein in einem fensterlosen Hochhaus und dem "Zurück zu Fanatismus" ein qualitativer Sprung. Denken Sie aber daran, dass es schon grössere Fortschrittstrauma gegeben hat als die Raumfahrt." " Welche zum Beispiel ?",fragte Bernardette. " Das Feuer, die Eroberung Amerikas." Bernardette überlegte das Gesagte. Dann hellte sich ihr grübelndes Gesicht auf und sie sprach: " Daran habe ich gedacht. Wenn man die sozialen Veränderungen nach der Beherrschung des Feuers betrachtet. Das ist sicher in manchen Folgen katastrophal gewesen." Korthaus sagte nun: " Das denke ich auch. Ganze Arten und Zwischenstufen zwischen den Menschen und Affen veschwanden." Berg meinte: " Man kann die Verdrängung der Natur durch bewusst inszenierte, also sozusagen künstliche Umgebungen bedauern, aber es sind doch seit unvordenklichen Zeiten ablaufende Prozesse. Bisher wurden sie unterbewusst inszeniert, heute wird mehr und mehr Planung vorgeschaltet. Aber der Gartenpavillion der Romantiker steht dem Röhrenflugzeug näher als der "Natur". Sie bestellten etwas zu Essen und führten das Gespräch fort. Korthaus sprach:" Genau betrachtet ist der Unterschied zwischen Natur und Kultur nur begrenzt nützlich. Die Verall- gemeinerungen sind Antiaufklärung. Wir können uns gar keinen Menschen in der Vorgeschichte denken, der nicht schon "künstlich" lebte. Der Unterschied liegt meist in der Frage der Bedrückung. Bedrückendes wird leicht auf Unnatürliches zurück geführt, Angenehmes mit Natur assoziiert. Das ist meist nur Ideologie." Berg bekräftigte Korthaus und ergänzte: " Die Beengung durch Kultur liegt in der Struktur des gemeinschaftlichen Lernens, welches Kultur im Wesentlichen ist. Aber wir betreten Neuland. Die Bewohner der ersten grossen Station im Erdorbit haben trotz der räumlichen Beengung wenig von Enge berichtet sondern vor allem von der Weite des Raums und der artifiziellen Erscheinung der Erde." Bernardette sagte: " Der Gedanke ökologischer Gleichgewichte, harmonischer Verhältnisse usw. sind zu allen Zeiten im Bewusstsein stark gewesen." Berg antwortete: " Ja, sie sind auch notwendig. Aber sind sie je verwirklicht worden?" Korthaus sprach: " Es scheint als wären sie stets Korrekturversuche gewesen. Alles was man vom Menschen weiss ist, dass er sich ausdehnt." Bernardette meinte: " Und die Balance in bestimmten Biotopen, im Wasser zum Beispiel?." Berg meinte: " Sie kommen ausgeglichenen Zuständen nahe. Und trotzdem fressen die Grossen die Kleinen und die Kleinen die Grossen, wie an den Bakterien zu sehen ist. Möglicherweise sind Expansion und Schrumpfung die häufigsten Prozesse. Man sieht in Asien die Bevölkerungsexpansion und in Europa das Absterben der Alteuropäer." Nach dem Besuch der Ausstellung reisten die Drei wieder mit dem Röhrenflugzug zur Ostsee zurück. Dann fuhren sie mit dem Pferdewagen zurück zum Turm. Korthaus und Bernardette begaben sich in die Pension. Berg blieb im Turm. Es war sehr spät geworden. Berg ging ruhelos hinter den Scheiben auf und ab. Er wollte mit Korthaus reden, aber zunächst war das nicht möglich. Aus seiner Erinnerung kamen ihm stimmungsmäßig ähnliche Sitationen hoch, darunter eine aus den Nächten als junger Mann, wo er dann zu Farben und Pinsel griff und ein Bild malte. Es war kein bedeutendes Bild, aber der ganze Vorgang war für ihn auf seltsame Weise Aufklärung über sich selbst. Er sah, dass es ein produktives Vorbeigehen an einer bilderlosen Unruhe gibt, die so erscheint, als ob etwas getroffen worden wäre, eine Art Ziel. Es war eine frühe Erfahrung darüber, wie einander fremde und unpassende Teile eines Puzzles der Gefühle mit einem Mal eine Melodie ergeben, die als Erfüllung erscheint, eine emotionale Fata Morgana, in der Rolle eines Ziels. Seit er selbst uralt geworden war, was selbst schon wieder eine eigene Epoche ausmachte, kannte er diese Zustände. Neu war für ihn, dass der Buddhismus in der Selbstversenkung produktiv war, innere Bilder und Synphonien zeigte, die ebenfalls zum Ziel geworden waren. Und doch war alles vorübergehend. Notwendig kam danach Ermattung, Zerstreuung und am Ende Zerfall. Dieser unvermeidliche Sturz ins Unverbundene, mit einander gleichgültigen Teilen war die Sperre vor dem, was man Nirvana nannte, falls nicht auch das wieder eine falsche Vor- stellung gewesen war. Er hatte es erfahren, das Unaussprechliche, - und doch blieb es ungewiss. Was weiss Erinnerung wirklich ? Eine weitere Aufgabe war ihm bewusst geworden: Die Ideen, die Fragen, Erfindungewn eines langen Lebens zeigten Neuland und machten es zu Bekanntem. Das Verhängnis war, wie Rilke es blosslegte, dass Erdachtes sich kreuz und quer ins Gesicht legt und Sperren errichtet. Und es ist auch ein Abgrasen, Ödland hinterlassend wie Heuschreckenüberfall. Kultur hat ein Schattengesicht, es verdaut Wildes zu Ordnung Das könnte ein Motiv liefern für anarchistische Impulse, die sinnlos auftauchen und Chaos wollen. " Das Vergessen", dachte Berg, "es ist mit Sterben und Verlöschen die andere Seite des Gebirges, welches Voran- schreiten heisst. Jahre sind nur dem Aufstieg gewidmet worden." Berg dachte:" Eine produktive Sache müsste auch ohne Ruhm für sich wertvoll sein. Wäre sie durch den Ruhm vor allem wertvoll, so wäre nicht klar, was mit ihr selbst ist. Wieviele berühmte Werke wurden wertlos, nachdem ihre Zeit vorbei war. Und was nützt die Meinung anderer, sind sie doch meist weniger einer Einschätzung fähig als der Produzent selbst. Es muss also jeder Artefact aus sich heraus wertvoll sein, dass heisst, nur der Urheber ist intersssant. Wenn aber der Urheber den Wert nicht erkennt, was hilft ihm Ruhm, So läuft es alles auf Selbstbestätigung hinaus. Falls man sich vergreift und in Richtung Grössenwahn entgleitet, kommt die Stunde der Wahrheit irgendwann , das Gebäude fällt zusammen, - oder es kommt der Wahsinn. Wenn man Glück hat, übersteht man die Gefahren, aber meist wird man nur Opfer von irgend etwas." Er würde mit Korthaus darüber sprechen. Er hatte sich vor diesen Gefährdungen durch Verbergen ent- zogen. Er hatte seine Manager, die an seiner Stelle die Urheber spielten, weil die grosse Berühmtheit von dem Publikum überwacht, so dass kein freier Schritt mehr möglich ist. Was war aber das Ziel, Nützlichkeit ?, Neuland, mensch- liche Zwecke. Das ist der Punkt des Nachdenkens, wo man aufhören muß. Nietzsche fiel ihm ein: Was viel bedacht wird, wird bedenklich." Das Alles war nicht nur ein forschender Geist, der sich gedrängt fühlt, sich selbst zu erkennen, sondern auch die grosse lebendige Hochspannung. Er dachte:" Solange mich das alles heimsucht und verfolgt, ist alles in bester Ordnung." Derart beruhigt begab sich Berg zu Bett. So wie heute, kurz vor dem Schlaf, kamen ihm verschiedene Erinnerungen hoch, die zu bestimmten Abschnitten gehörten. Zuweilen lebte er dann eine Zeitstrecke lang in einer Art Wiederkehr von Teilen dieser vergangenen Zeit. Er war 17 Jahre alt, in anderer Zeit war er 26 Jahre alt, dann 40 Jahre, dann 60 usw. Meist gab es markante Anhaltspunkte. Verluste oder Gewinne, künstlerische Erfindungen, politische Weichen- stellungen und Krieg. Er war ein Kämpfer, aber die sinn- vollste Form war ihm der Kampf mit dem Schattenreich unter dem Ich. Eine gewonnene Shlacht erhob ihn, aber die Nieder- ringung gemeiner Gefühle formte ihn und hinterliess Grösse. Als Liebhaber trat er beiseite, als Eroberer liess er die Länder bleiben was sie waren, und als Gestalter erfand er andere Lebensformen, die ganz die seinen blieben, da er sie weitgehend verbarg. Wer wäre mit ihm gegangen ? Es blieb unbeantwortet. Er stand wieder auf, zog sich an, ging hinaus an das Meer und spazierte durch die Nacht in die Vordämmerung hinein. Der grosse Wagen im Zenith war noch einige Minuten lang sein Begleiter. Berg sprach: " Na alter Freund, wir haben uns ewig nicht mehr gesehen. Aber jeder war ohne den Andern unterwegs durch die Zeit. Und doch war unsere Freundschaft gegenwärtig. Wir leisteten uns etwas, das nur aus Projektion bestand. Das war viel, sehr viel. Plötzlich blieb er stehen, sah sich um ob irgend ein Mensch in der Ferne oder Nähe zu sehen war und begann zu tanzen. Er schritt mit einer Art Storchenschritt, wirbelte um seine Achse, ging in die Hocke. sprang mit ausgebreiteten Armen in die Luft, machte Seitwärtsschritte und passte seinen Rhythmus den Wellen an, die recht klein waren. Wenn das Korthaus gesehen hätte, es wäre eine Revolution ihrer Freundschaft geworden. Es hatte sich eine unausgesprochene Teilung ihrer Rollen entwickelt, Tanzen gehörte nicht zu seiner. Er hatte unverhofft die Stiumulation eines Hochgefühls wieder- entdeckt, was wahrscheinlich im indischen als Yoga des Feuers beschrieben wurde Eine Entdeckung, die ihn damals sehr begeistert hatte. Die Dämmeung wich dem Tag. Ausser Puste setzte er sich ins Gras und hatte Bilder vor Augen, Erinnerungen an Liebes- geschichten, erregende Augenblicke am Übergang zwischen bangem Warten und dem fast schon beschwörenden Erwidern seines Anschauens in ihren Augen. Da die Liebe ausserhalb der Verschmelzung für ihn zum Wesentlichen, aus Projektion bestand, und die Dinge selbst zum Leben erweckt werden konnten, dachte er daran, bei der nächsten Wiederbegegnung mit seinen jugendlich verliebten Gefühlen, den dazu gerade passenden Gegenstand zu seiner Königin zu machen. Darüber allerdings würde er schweigen. Den kommenden Tag verbrachten Berg, Korthaus und Bernardette im Röhrenwald. Bei Tag sah alles ganz anders aus. Man konnte aus einiger Entfernung ein Schilfdickicht in ihm sehen. Aber es glänzte metallisch im Licht. Am späten Nachmittag verabschiedeten sich Korthaus und Bernardette von Berg und fuhren in Korthaus Stadt zurück. Berg ging am frühen Abend zum Turm. Von dort aus sah er den Untergang der Sonne und die Schiffe auf ihrer Fahrt zum Kieler Hafen. Er nahm sich vor am nächsten Morgen zur deutsch-holländischen Grenze zu fahren. Er erinnerte sich an ein Importgeschäft, in dem er bereits mehrmals auf Figuren aufmerksam geworden war, die aus Indien, China und Afrika stammten. Er wollte sein Projektionsexperiment machen und eine Figur in sich selbst beleben. Er fuhr mit dem Taxi zum Kieler Bahnhof. Sein gerade begonnenes Experiment war eine diskrete Angelegeheit und nichts für seinen Flug und Fahrdienst. Als der Zug im Hamburger Hbf eine Stunde Aufenthalt hatte, ging er in die Geschäfts- und Eingangshalle. Er wollte einen Kaffee trinken. Plötzlich blieb sein Blick inmitten des Gewimmels an einer Figur hängen, von der man nur den Kopf aus der Verpackung herausragen sah. Es traf ihn wie ein Blitz. Die Figur wurde unter erheblichen Mühen von einem Mann getragen. Berg ging ihm nach. Er stand dann an einem Gleis und wartete auf einen Zug. Berg ging zu ihm und sprach: " Guten Tag, ich interessiere mich für ihr Kunstwerk, welches Sie bei sich haben." Der Mann sah ihn zunächst verwundert, dann aber erfreut an. Berg sprach weiter: " Gibt es die Möglichkeit eine solche Figur zu kaufen?" Der Mann antwortete: " Eine ähnliche ja,die gleiche nicht." Berg fragte: " Also diese würde meinem Freund gefallen. Sie könnten einen hohen Preis erhalten." Der Mann antwortete: " Das ist leider nicht möglich." Berg überlegte und sagte: " Und wenn Sie den dreifachen Preis bekämen ?" Der Mann stutzte, überlegte und fragte: " In bar ?" " Gewiss, wieviel bekommen Sie ?" Der Mann überlegte und antwortete: " Der Einkaufspreis war 1000 Euro, also 3000.- " Berg sagte: " Ich muss das Geld noch abheben, können Sie einen Moment warten ?" Der Mann sprach: " Mein Anschluss kommt in 20 Minuten." " Und der nächste?" fragte Berg. Der Mann antwortete: " Zwei Stunden später." Berg zog sein Portemonaie aus der Tasche, gab dem Mann 500 Euro und seine Visitenkarte und sprach: " Das als Pfand für Ihre Wartezeit und meine Karte, falls ich nicht zeitig von der Bank zurück bin." Dem Mann kam die Grosszügigkeit Bergs unheimlich vor. Er las die Karte. Dort stand:" Prof.Dr.Berg, Direktor der Viso Bergbau Gmbh." Der Mann war beruhigt. Berg ging zur nächsten Bank, holte das Geld, während der Zug des Mannes mit der Figur abfuhr. Der Mann wartete aber. Dann kam Berg zurück. Als der Handel perfekt war, rief Berg zwei Hilfen zu sich und liess die Figur zu einem Lasttaxi brinen. Er beendete die Zugreise, und da er die Reise zur holländischen Grenze nicht mehr machen mußte, fuhr er mit dem Taxi und der Figur zum Turm zurück. Er liess sie im Erdgeschoss des Turms abstellen. Als er allein war, sah er das Gesicht der Figur an. Es war das einer schlanken etwa 30 jährigen Afrikanerin mit europiden Zügen. Es wirkte ernst, in sich gekehrt und ruhig. Als er die Verpackung abwickelte sah er den Säugling, den sie gerade stillte. Sie trug ein Tuch, das vergoldet war. Die Beine waren ungewöhnlich lang. Da er bereits einmal eine Afrikanerin mit solchen Beinen gesehen hatte, wusste er, dass sie authentisch abgebildet war. Es war eine Bronce, die sehr realistisch und schlicht in den Linien gebildet war. Er versuchte nur den Eindruck aufzunehmen. Ohne Zweifel war er in ihren Bann gezogen. Am kommenden Morgen nahm er eine unten im Turm stehende Schubkarre und fuhr mit der Figur zum Wasser. Das war nur einige Meter weit vom Turm entfernt. Er stellte sie in den Sand mit dem zur Seite geneigten Gesicht in Richtung Meer. Dann setzte er sich in ihre Nähe mit etwas Abstand in den Sand, sodass er sie als Ganzes betrachten konnte. Nähergehen heisst Ferne zu bekommen und umgekehrt wird Distanz zur Nähe. Deshalb sah er an der Figur vorbei aufs offene Meer. Im peripheren Gesichtsfeld nahm er die Illusion einer nicht regungslos erstarrten Gestalt wahr. Er dachte, dass überall ähnliche Zusammenhänge zugrunde liegen. Auch ein Liebhaber oder eine Liebhaberin lösen sich in Weltraum auf beim Blick in die Augen, mit Rilkes Bild gesagt. Am nächsten kommen Freiheitsimpulse dem Anderen, dessen Freiheit in der Spannung der Distanz sich erwidert sieht. Der Erfolg des Films ist das Darüberhinfliegen, das dem Realistischen nahe kommt in der Bewegung. Während die Erstarrung der Figur als Falle zuschnappen kann, entzieht der Film durch die Wegnahme des eingefrorenen Bildes der Verfestigung die Grundlage, da wo er gelingt. "Nirgendwo so deutlich wie in der Faszination zeigt sich das Unbekannte, Unlogische, Freie", dachte Berg. " Haben die Inder das gedacht mit den Vorstellungen des Ungeborenen ? Etwas das noch nicht da ist, kann werden. Es ist der Eintritt ins Artifizielle und nicht der Austritt, wie der Todeskult des Christentums es sieht. Es würde mich nicht wundern, wenn das Nirvana als Gegenstück des Jenseits der Christen gedacht werden würde, wenn man es begriffe ", dachte Berg. "Und wir haben es eingeholt in unsere Welt. Wir übersetzen Ungeborenes mit Gestorbenem. Das naturwissenschaftliche Bild ist ein listiger Nachfolger des christlichen. Es lehrt die Unentweichbarkeit, den totalen Käfig. Er scheint auch etwas dichter geschlossen zu sein als der alte, der mit der Hölle noch einen zweiten Weg übrig liess." Er spürte, dass er die Figur nicht direkt betrachten wollte, denn sie würde erstarren. Es blieb der in ihm selbst einlegte Eindruck, der auch erstarren würde, wenn er nicht sofort losgelassen wird. "Richtig verstanden gemahnt die Figur ans Leblose einer in sich selbst konservierten Erinnerung. Nichts anderes ist das Leblose." Korthaus rief Berg an um ihm mitzuteilen, dass er Bernardette zum Flughafen Paris Ch.de Gaulles bringen würde. Sie wollte zu den Tuamotus zurück fliegen. Anschliessend wollte er zum Turm kommen. Berg liess die Figur in den runden Beobachtungs- raum des Turms hochbringen. Dann verfolgte er seine Versuche weiter. An einem Nachmittag ging er zum Strand und setzte sich an die Stelle, wo er mit der Figur gewesen war. Es gelang ihm den Gesammteindruck wieder zu beleben, den er mit der Figur hier gehabt hatte. Es war eindeutig so, dass die Erinnerung so stabil war wie die zugrunde liegende Ursituation. Er vermutete dass sie sogar stabiler war als diese. Warum war das so ? Er dachte, es hinge mit der Arbeitsweise des Bewusstseins zusammen. Die im Kopf nachgestellte Ursituation beanspruchte vollständig seine Aufmerkamkeit. Alles Wesentliche wurde intern produziert und halluziniert, während in der Ursituation alles von aussen kam und die Aufnahme dieser Eindrücke Variablen unterlag. Die Verengung zur Neurose spielt sich nicht von ungefähr in den Wiederholungssituationen ab. Berg war aber mit Selbsttäuschungen vertraut. Deshalb glaubte er, dass die Wiederholung keine war. Sie war nicht nur durch das Fehlen der Figur keine sondern auch, weil in der Vorstellung alles, was der Wiederholung an Aktuellem fehlte durch Dichtung und Uminterpretation geleistet wurde. Die Rolle der Artefacte wurde deutlich. Sie waren die Kristallisationskerne des Ichs, welches nichts vorfindet als den unermüdlichen Prozess des Wiedererkennens in scheinbar beständigen Bezügen. Der Wille zum Festen gehörte ebenso dazu wie der Wandel, der sich als Wiederkehr erkennt. Auch hierin war der Buddhismus tiefer angelegt als alles was die europäische Kultur bis zu Beginn des 20.Jhd hervorgebracht hatte: In der "Hauslosigkeit" der Buddhisten, die lange vor der Relativitätstheorie und dem Begriff des "Nichtidentischen" ausgedacht worden war, zeigte sich die Wiederholung als notwendige Projektion. Wie kaum ein anderes Werk war die Figur Quelle der Selbst- erfahrung. Korthaus war noch nicht zum Turm zuückgekehrt. Er hatte sich am Flughafen entschlossen mit zu den Tuamotus zu fliegen und von dort nach einem kurzen Aufenthalt zurückzufliegen. "Die Anwesenheit der Mutter, der Frau und des Kindes nimmt der Welt das Bedrohlichste, obwohl es weiterhin gegenwärtig ist", dachte Berg. "Das Christentum hat mit der Aufnahme dieser Symbole allen anderen Religionen etwas voraus gewonnen. Es ist das grosse "Als ob". Der Gedanke der Unsterblichkeit bekommt einen etwas wahrscheinlicheren Ton, sehen wir doch den Wandel der Generationen und die Fortdauer des Lebensdurstes." In den folgenden Tagen bemerkte Berg eine atmosphärische Verwandlung. Der Turm erschien bewohnt und nicht nur Widerspiegelung des Innenlebens seines Bewohners. Die folgenden Tage waren mit einem merkwürdigen, ihm aber vertrauten Effekt belastet: Die Figur wurde zur blossen Sache, ein Zeichen dafür, dass er zu sehr seine Aufmerksamkeit in ihre Richtung gelenkt hatte. Er nahm sich deshalb Arbeit vor, die er an den zwei Bildschirmen machen konnte. Es war lange her, dass er seine Geschäftstätigkeit in den Turm hinein gelassen hatte. Diesmal war es ein Kunstgriff, mit dem er zu der Figur, zu seiner Philosophie und der jüngsten Vergangenheit Distanz legen wollte. Es gelang ihm auch mühelos. An einem Morgen kam Korthaus mit dem Wagen zum Turm. Er traf Berg inmitten einer Videokonferenz vor, deshalb ging er rasch wieder hinaus zum Strand. Dort war es neblig und sehr kalt. Korthaus machte die Erfahrung, dass es auch in der Wieder- begegnung so etwas wie Fremdheit gab. Er glaubte einen Moment lang die Hauslosigkeit zu verstehen, die mit Einsamkeit und Alleinsein nicht richtig beschrieben ist. Es gab für ihn mindestens zwei Arten dieser Hauslosigkeit, einmal das frische ständig ins Neuland führende Hiersein, in dem manches, was bekannt war, eine neue fremde Seite zeigte. Und dann gab es das Einsamsein inmitten der Abwesenheit jeglicher Vetrautheit. Die Frage war ob diese zweite Art ein Erbe seiner europäischen Geschichte war. Bald darauf verwarf er diesen Gedanken wieder. Es war möglich, es umgekehrt zu sehen. Europa hatte das Neuland betreten. Alles war fremd und neu geworden, während die Einsamkeit den Weisen der alten Kulturen eigen war. Völlig grundlos freute sich Korthaus über den Anblick eines Schiffsmastes im Nebel. Es war das unverhoffte Auftreten des "Yogas des Feuers", welches er zum ersten Mal auf der Zeppelinplattform in einer der Nächte über dem Pazifik erlebt hatte. Im Gegensatz zu den indischen Meistern konnte er es nicht so dosieren, wie er es vielleicht wollte. Andererseits wich er vor solchen euphorischen Regungen zurück. Er war wie Berg ein Kind jener Kultur, die auch die Psyhoanalyse geschaffen hatte. Als er nach einer Weile zum Turm zurück ging, sah er Berg am Turm auf ihn warten, ein Mann mit Mantel, Schaal und Wollmütze. Korthaus ging auf ihn zu, schüttelte ihm die Hand, und beide gingen in den Turm hinein. Oben angekommen erzählte Korthaus von seinem euphorischen Erlebnis am Strand. Berg meinte:" Wir sind den Belohnungs- ritus nur gewöhnt mit realen Anlässen. Es fällt uns schwer einen Selbstzweck darin zu sehen." Korthaus stimmte zu: " Es wäre so etwas wie Drogenkonsum, grundlose Euphorie." Berg sprach: " Ich frage mich schon längst, was die anderen Kulturen da machen, wenn sie den Belohnungsmechanismus aus- hebeln und zum blossen Vergnügen sich in verschiedene externe Zustände versetzen." Korthaus lächelte und sagte: Wir sind irgendwie Preussen, da hat alles einen vernünftigen Grund. Aber das Leben ist unvernünftig. Die Frage ist, ob es am Besten so bleibt." Berg erwiderte:" Sie haben recht, wir müssen noch viel lernen. Es spielt sich nicht alles zwischen spartanischer Vernunft und üppiger Anarchie ab. Was die Inder betrifft, was machen die da mit ihrem inneren Feuer ?" Als die Beiden im Turm ihr Gespräch fortsetzten, war Berg an der Reihe die Anwesenheit der Mutterkindfigur zu erklären. Korthaus griff das auf um zu einer damit zusammenhängenden Frage zurück zu kehren: " Wenn Symbole, Projektionen und Artefakte das Gleiche leisten können wie das Tun, dann wären uns die alten Kulturen weit voraus. Sie führen ebenso in den Kosmos wie unsere Raum- fahrten, aber um welchen Preis gelingt es uns ?. Haben sie nicht recht damit, in der Versenkung ihren Körper zu verlassen?" Berg meinte: " Genau dieser Frage galt die Figur. Es ist nicht dasgleiche, das wissen Sie so gut wie ich. Allerdings war der Unterschied mir schon bewusst, bevor ich die Figur hier hin brachte. Alle die Begegnungen mit Nanamurti, dem alten Indien und den Atlantern hatten für mich immer ein und dasselbe Resultat: Sie weisen in eine innere Welt, die wir in unserer äusseren nicht erfahren." Korthaus fragte: " Und wo steht die Figur ?" Berg sprach: " Sie könnte dazwischen stehen." Korthaus meinte: " Aber wir finden nichts." Berg meinte: " Die Alten fanden auch nichts, aber sie wussten es, während uns noch Ernüchterungen bevorstehen." Am anderen Morgen fuhren die Beiden mit den zwei Pferden und dem Wagen zum Watt hinaus. Von fern sahen sie die Röhren der Station. Berg hielt den Wagen an und sprach zu Korthaus: " Manchmal kann ich den Bewegungsdrang gar nicht mehr verstehen, der mich um die ganze Welt getrieben hatte." Korthaus erwiderte: " Es ist auch eine Jahreszeitfrage, jedenfalls für mich. Warten wir das Frühjahr ab und sehen was dann kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Motorräder dann einfach im Schuppen stehen bleiben. Wie lange sind Sie nicht am Watt entlang gefahren ?" Berg meinte: " Ich erinnere mich an eine sternenklare Julinacht. Da waren Sie, die Leute von der Technischen Hochschule." " Ich erinnere mich auch", warf Korthaus ein. Berg fuhr fort: " Diese schöne Studentin. Ich mußte sie endlos am Strand entlangfahren, bis sie schliesslich mitspielte und in ihr Zimmer wollte." Korthaus lächelte: " Das ist aber schon weit zurück, die Motorräder waren ja gerade erst erfunden." Berg tat entrüstet: " Soo lange ist es nicht her." Korthaus lachte und meinte: " Immerhin, es waren die ersten Maschinen mit luftgefüllten Reifen." Berg nickte gedankenverloren. " Es ist alles nicht das, was es ist", sprach Berg. Korthaus nahm den Tee, sah hinaus auf das Meer, dann zu der Broncefigur und antwortete: " Es sind die Invertierungen: Ästhetik wird notwendig und Notwendiges verschwindet." Berg stimmte zu. Ihr Gespräch drehte sich um Überschuss, Ästhetik und Notwendigkeit. Berg sprach: " Gewiss würde keiner der heute Lebenden je geboren sein, wenn nicht die Expressionen der Alten ständig den Weltenlauf umgebogen hätten." Korthaus sagte: " In den Stationen auf dem Mars wird der gesammte Zusammen- hang deutlich. Wir brauchen Freiräume, Kreationen und Unbestimmtes." Berg fragte: " Sie denken an die Unfruchtbarkeit, die Ermüdungen usw." Korthaus nickte und sagte: " Das ganze Ausmass des Schwindens ist mir früher nie klar gewesen, obwohl die Geschichte Beispiele zeigt." Berg meinte: " Man hätte es sehen können: Rom, mit seiner Vielfalt und Decadenz, seinen Künsten, Provinzen und Einflusszonen, dennoch ermüdend." Korthaus sagte: " Viel haben wir nicht erfahren oder ?" Berg fragte: " Sie denken an Afrika, Indien, die Buddhisten und Vorbuddhisten." Korthaus nickte. Die Tage vergingen mit Spaziergängen, Pferdewagenfahrten und Kurzreisen nach Kopenhagen, Hamburg, Lübeck und anderen Städten. Als die Beiden eines sonnigen Nachmittags in einem Cafe der Lüneburger Altstadt sassen, meinte Korthaus: " Wenn die Exclusivität der Sprachwelt überschätzt werden sollte,- Hundefreunde würden das gewiss unterstützen, - hätte es den philosophischen Vorteil, dass wir sehr viel mehr vom Leben wissen würden, als es erscheint. Genetisch gesehen sind wir sowieso noch mit Würmern äusserst nah verwandt." Berg sprach: " Das ist einleuchtend. Die Besonderheit entfernt uns nicht nur vom Boden der Natur sondern entfremdet ja auch. Aber haben wir Grund zu solcher Annahme ?" Korthaus antwortete: " Sind Tiere artifiziell?" Berg meinte: " Gewiss." Korthaus meinte: " Aber eingebunden in ihre gewachsenen Grenzen." Berg nickte und sagte: " Die Frage ist, wie weit ist unser Denken durch unsere Besonderheiten bestimmt. Wäre es nicht von ihnen bestimmt, so ständen wir immer noch sehr nah an allen Lebewesen. Aber wenn es von den Besonderheiten bestimmt wird, wie sollte es noch im Tier- und pflanzenreich Einsichten gewinnen ?." Korthaus erwiderte: " Gesetzt es gibt das alles gar nicht, was wir Einsichten nennen, sondern es sind alles nur Bilder, die man zu verstehen glaubt." Berg meinte: " Dafür spricht vieles. Die häufigste Begegnung unter den Lebewesen ist das Gefressenwerden. Da finden sich alle in einer Welt wieder." Plötzlich schlug Berg sich aufs Knie: " Das ist es doch! Wir haben das zerstörerische Element vergessen. Es gibt in den Stationen keine Fresspyramiden. Wir lassen Krankheiten, Bakterien, Raubtiere, raubtierhafte Sitten, alles auf der Erde." Korthaus schüttelte den Kopf und widersprach:" Glauben Sie das eine Grippeepedemie nützlich wäre.?" Er hatte es kaum ausgesprochen, da nahm er es wieder zurück: " Sie sagen es !, das Prinzip fehlt." Berg meinte: " Uns fehlt zum Himmel die Hölle, symbolisch gesagt." Korthaus schlug vor, drei Arbeitsgruppen zu bilden. Eine sollte die Grundlagen erforschen. Dazu gehörten Überbau- probleme, psychologische und soziale Strukturprobleme, philosophische und erkenntnistheortische Grundlagen. Die zweite Gruppe sollte Erdstudien mit Gegenmassnahmen durchführen, bevor diese auf die Stationen übertragen werden könnten und dann simultan zu den Erdstudien in den Stationen fortgesetzt würden. Die dritte Gruppe sollte die Koordination aller theoretischen und praktischen Arbeiten und ihre Einbindung in die politischen realen Gegebenheiten leisten. Berg meinte, es wären bereits viele Studien in Arbeit, es sollte eine Konferenz gemacht werden, die zunächst die Bündelung der vorhandenen Studien durchführen liesse. Korthaus war einverstanden. Berg beauftragte sein Hamburger Management mit der Vorbereitung einer solchen weltumspannenden Videokonferenz. Korthaus aktivierte seine Kontakte in aller Welt. Da Berg seinen Turm mit allen erforderlichen Nachrichtenmitteln versehen hatte, konnte Korthaus ebenfalls im Turm arbeiten. Die Konferenz begann bald darauf und erstreckte sich über fünf Termine innerhalb von fünf Wochen. Anschliessend begannen die Forschungsgruppen mit ihren Projekten. Berg und Korthaus trugen ihren Teil im Bereich Organisation und Erkenntnis- theorie bei. Es wurde wärmer. Die Beiden besprachen ihre Arbeit bei den Spaziergängen am Meer und den Pferdefahrten am Strand. Berg meinte bei einem dieser Spaziergänge: " Die Kontrolle der Erdstationen über die Mars- und Mond- siedlungen ist ein immer noch nicht gelöstes Problem." Korthaus erwiderte: " Ja, die Kontrollen sind bisher notwendig, denn alles ist sofort existenzgefährdent, der kleinste Streit kann zur Störung elementarer Systeme führen. Aber der Einbau von Sicherungen vermehrt immer wieder die Kontrollen." Berg fragte: " Was halten Sie von dem Privatprojekt auf der Marssüd- hälfte?" Korthaus antwortete: " Es bietet die Chance freiheitlicher Räume." Berg spach: " Ja, die Chancen sind da, wir haben es deshalb auch unterstützt." Korthaus meinte: " Ohne ein bestimmtes Mindestraumvolumen und eine hohe Population sehe ich aber kein wirkliches Vorankommen. Man hat zwei Kinos, 6 Künstler, ein Theater usw. und 2000 Menschen. Es scheint noch viel zu überschaubar zu sein, was auf der Nordstation geschieht." " Ich weiß", sagte Berg:" dabei ist es unsere grösste. Wir werden Geduld haben müssen. Erinnern Sie sich an die Spielplatzproblematik?" Korthaus nickte. Berg fuhr fort: " Wir müssen das ganze Schulsystem ändern, damit die Kinder wissen, was sie spielen können und was nicht. Zündeln zum Beispiel, ein beliebtes Kinderabenteuer ist sehr gefährlich. Hier geht um ein Haus und einige Menschenleben, wenn Kinder zündeln. Dort ist es für die gesammte Anlage existenzbedrohlich, um nur ein vergleichsweise harmloses Beispiel zu nehmen. Denken Sie an Gewaltverbrechen, Attentate Sabotage usw. Alles ist auf dem Mars viel gefährlicher als auf der Erde. Andererseits sind die rigiden Kontrollsysteme mit schwer zu bändigenden Folgen gekoppelt. Die Marsklaus- trophobie ist eindeutig nicht heilbar, die Stickangstphobie ebenso. Es gibt auf dem Mars keine weichen Übergänge. Damit gleicht das soziale Feld den arktischen und antarktischen Stationen." Korthaus sprach: " Denken sie nicht, dass die philosophisch-soziologischen Ausbildungssemester Abhilfe schaffen ?" Berg meinte: " Ja, ich hoffe es. Aber es dauert seine Zeit. Nehmen Sie die Gewaltenteilung. Die unzähligen Regulationen brauchen entsprechende Überwachungen und Sanktionen. Mit etwas Glück findet ein Mars-Richter die passende Sanktion, aber oft ist sie formal korrekt und in der Wirkung kontrapunktiv. Trotz, Achtungsverlust usw. haben mitunter gänzlich uner- wünschte Folgen. Andererseits sind rigide Vorgehensweisen dazu geeignet eine Herde Lämmer heranzuzüchten. Dann gibt es Aphatie oder Demotivierung, Phobien, Phanthasiearmut usw." Einige Wochen später erhielten die Beiden Besuch von einem wichtigen Mann der Marsverbindungsbehörde. Er fuhr mit einem Wagen vor und wurde in den Turm gebeten. Bald sass er oben am Tisch und übergab Berg und Korthaus je eine Mappe. mit den Worten: " Sie haben es geschafft, das Leerprojekt wird gebaut." Berg klappte seine Mappe auf. Sie war gefüllt mit Skizzen und Kopien behördlicher Urkunden. Das "Leerprojekt" war eine grosse, teils unterirdische Anlage auf dem Mars, die aus Höhlen und Röhrensystemen sowie Kunststoffkuppeln bestand. Es hiess Leerprojekt, weil es einer noch unerforschten Landschaft nachkonstruiert war. Siedler würden dort beginnen eine Stadt aufzubauen mit Industrie, Wohn und kulturellen Anlagen. Es war ein teils für private Aktivitäten frei- gegebenes Projekt in dem auch die staatliche Komponente weitgehend von den Siedler gestaltet werden sollte. Langfristig sollte die Siedlung autark und unabhängig von der Erde werden. Der Zeitrahmen der ersten Phase der Erbauung war mit 80-100 Jahren angesetzt. Es sollte aber danach weiter gehen. Berg und Korthaus erhielten mit diesem Material des Bevoll- mächtigten eine Einladung zum Röhrenflugbahnhof nach St.Nazaire, wo in einer Veranstaltung der Start gegeben werden sollte für den Baubeginn einer Röhre nach New York. In wenigen Jahren sollte eine unter dem Atlantik verlaufende Verbindung zwischen Europa und Nordamerika hergestellt werden. Korthaus sah am nächsten Morgen die Sonne zum Turm herein scheinen und sprach zu Berg: " Das ist ein glücklicher Umstand. Was halten Sie davon mit den Motorrädern zum Atlantik zu fahren?" Berg antwortete: " Aber ja, am Besten wir fahren bald los." Ähnlich dem Gleitfliegen ist das Motorradfahren ein Gefühl, dass sich dem Nichtfahrenden nicht vermitteln lässt. Zwei seltenen Vögeln nicht ungleich fuhren sie auf der Autobahn Richtung Frankreich. Sie fuhren durch das Ruhrgebiet über Aachen durch Belgien Richtung Paris, unterbrochen nur durch kleine Pausen. Die Bäume an den Strassenrändern wurden durch die Bewegung zu einem Eigenleben erweckt, dass durch die geringen Abstände zu den Fahrzeugen mitsamt dem Geschehen am Himmel zu einem Schauspiel erweckt wurde, dass ganz allein für die Beiden aufgeführt wurde. Da die Hüter der Gesundheit jedem Ohne- helmfahrer einen Obulus abnehmen möchten, flatterten nicht, wie in den Gründungsjahren der Motorradfahrerei die Haare im Wind,- es wäre ausnahmsweise auch zu kalt geworden - , aber die Fliegerhelme waren leicht und kaum lästig. Sie hatten sie aus den 20er Jahren gerettet. Wenn sie die Ohrenklappen aufschnürten flogen diese mit den Haaren zusammen im Wind. Als sie spät am Abend in einem alten Studentenhotel nahe der Sarbonne ein kleines Zimmer nahmen und sich auf die Nachtruhe vorbereiteten, meinte Korthaus zu Berg: " Ich bin geschafft. Es ist nicht mehr so leicht wie vor 40 Jahren. Berg antwortete: " Ja, der Zahn der Zeit. - Morgen könnten wir das Loiretal hinab fahren. Dort gibt es nahe Chambord eine Bauernkommune aus den 70 er Jahren. Vielleicht sitzen sie dort noch immer bei Gitarre und Rotwein am Lagerfeuer und braten kleine Fische." Die Beiden hatten grobe Wurst, Wein und Bagette mit aufs Zimmer gebracht. Abgesehen von ihren verwitterten Gesichtern war es ganz das Bild fahrender Studenten der siebziger Jahre. Sie waren auch damals schon alt gewesen, aber mit den jungen Leuten durch die Länder gezogen, allerdings inkognito. Früh am nächsten Morgen fuhren die Beiden aus dem Quartier ab. Es war noch dunkel. Die Maschinen tuckerten unermüdlich los. Die zu schwachen alten Lichtanlagen lieferten ein funzeliges Licht. Der Wind kam frisch von Südwesten. Bald waren sie am Ufer der Loire. Nebel lag über den Mäandern, einige Hähne krähten. Die kleinen Orte waren noch verschlafen ruhig bis auf die Bäcker, die schon tätig gewesen waren. Sie hielten an und kauften einige Bagette für die Bauern und Studenten, die sie besuchen wollten. Die Fahrt das Tal der Loire hinab glich einem morgend- lichen Flug. Dann waren sie da. Der Hof war noch nicht erwacht, nur die Hühner liefen schon herum. Berg ging mit Korthaus um das Gebäude herum. Dann kam aus einem Schuppen ein Mann heraus und fragte, was sie wollten. Berg erzählte von seiner Bekanntschaft mit der ersten Mannschaft des Hauses aus den siebziger Jahren. Der Mann lachte und erzählte ihnen, dass er damals noch ein Kind gewesen war und seine Mutter noch hier wohnen würde. Die drei machten ein Feuer und kochten Kaffee. Belustigt erklärte der Mann , dass die andern noch im Rausch lägen, den sie bei ihrer gestrigen Fete erworben hatten. Das Lamento weckte die Bauersfrau, die Mutter des jungen Mannes. Sie erkannte Berg wieder. Sie war etwa 50 Jahre alt. Nach der stürmischen Begrüssung waren alle andern im Haus auch wach. Sie standen um Berg und Korthaus und ihre Maschinen herum, zusammen 12 Bewohner, und einige Gäste. Sie hörten Berg zu, der vom Schicksal der anderen Kommunen an Rhein und Rhone erzählte. Dann gab es Frühstück. Sie sassen auf der Wiese neben dem Haus an einer der Feuerstelle und backten das Brot auf. Während Berg im Liegestuhl in der Sonne eine Zigarette rauchte und Korthaus mit den grösseren Kindern Motorrad fuhr, sprach Berg zu den andern: " Der Zigarettenrauch und seine flüchtigen Rauchformen erinnert mich an die unendlichen Universen Leibnitzens. Alle sind wie die flüchtigen Bilder, die jeder Gegenstand nach Aristotoles Vorstellung ständig aussendet in unzähl- barer Menge. Jeder eine eigene Welt eigener Wesen. Eine unendlich dicht gepackte Welt ineinander geschachtelter Wesen, keins von Dauer, keins passiv. Eine Sphäre von Stimmen und Instrumenten, Orkane quirlender Töne, Synphonien und Solostücke. Jedes vermehrt sich unendlich vielfältig, verschränkt sich, entflechtet und verwirkt sich, bildet neue Wellenkämme, neue Zentren, zerfällt, zerstrahlt, begegnet sich, verschmilzt, zerfliesst, isoliert sich, tritt heraus, tritt zurück." Aus einem Fenster klang das Beatlesstück:" Here comes the sun..." Eine Gitarre kam hinzu, ein Schlagzeug. Kaum einen Atemzug brauchten die jungen Leute um ihre Instrumente zu holen und mitzuspielen. Irgendwoher kamen Mädchen. Sie tanzten. Eine Ente fuhr in den Hof, Blumenkinder stiegen aus, die Hippieszene war zurück. Am gleichen Abend gingen Korthaus und Marie-Anne, die Bauersfrau auf ihren Wunsch am Ufer der Loire spazieren. "Es fehlt ihnen die Leichtigkeit", sagte sie im Zusammenhang mit der Generation ihrer Kinder und fuhr fort: " Bernard ist entweder leichtsinnig oder depressiv. Er hat seinen Führerschein verloren, jetzt trinkt er noch mehr. Weisst Du noch, als ihr vor 40 Jahren hier an kamt mit euren Maschinen. Ihr wart ja schon damals skandalös alt für uns. Dann diese Geschichte im Busch."- Sie kicherte. Er erinnerte sich an diese kleine stürmische Affaire mit ihr. Aber sie war bedrückt. Die Kinder waren in die Städte gegangen, aufgeschluckt vom Establisment, teils gescheitert und alle verloren. Als Korthaus von den techischen Projekten erzählte, meint sie:" Du warst ja schon damals ein Wanderer zwischen den Welten. Wir hatten uns erschrocken, als wir sahen, woher Du und Berg gekommen wart." Korthaus sprach:" Berg war unglücklicherweise als Konzernchef bekannt." " Ein Boss als Hippie", erwiderte sie. " Korthaus sagte:" Er bringt durch sein Dasein alles in Bewegung. Das gehört eben nicht in eine Person, aus der Sicht der Leute: Romantiker, Literat, Militär und technischer Pionier." Sie berichtete nun von einigen Kommunen, die den Neubau- siedlungen weichen mussten. Es war protestiert worden, und es gab vereinzelt Erfolge, aber die Szene verschwand. Korthaus meinte: " Der Strukturwandel ist manchmal bedenklich. In meiner Kindheit lebten wir von Feld und Garten, Geld spielte nur eine Nebenrolle. Heute braucht man für alles Geld, und dort wo es fehlt ist Not oder die soziale Verwaltung. Auch aus diesem Grund schwindet die Freiheit." Sie fragte: " Ist Berg nicht frei ?" Korthaus antwortete: " Ja, aber er hat auch mehr Probleme. Jedes Jahr kommen neue hinzu." Sie sagte: " Was unsere Szene betrifft, ging die innere Freiheit wohl schon vor dem Bauboom verloren. Als die ersten Kommunen verdrängt wurden, waren sie schon geschrumpft und klein- bürgerlich geworden. Das hat mehr geschmerzt als die erzwungene Umsiedlung." Korthaus meinte: " Sieh mal die Marssiedlung. Das gab es noch niemals." Sie nickte nachdenklich, legte ihren Arm um seine Hüfte und ging mit ihm zum Hof zurück. Am folgenden Abend gingen Berg und Marie-Anne wieder zur Loire. Sie fragte: " Was hat Berg damit gemeint, andere Freiheit auf dem Mars?" Korthaus antwortete: " Er glaubt, dass die Jugendbewegung der sechsziger, die Nouveau Art, und die Französiche Revolution wiederkehren können." Marie-Anne meinte: " Ist er noch immer Romantiker ?" Korthaus erklärte: " Er ist ein sehr gründlicher Pragmatiker. Bei ihm hat alles logische Gründe." " Ist die Kunst logisch ?" fragte sie. Korthaus erwiderte: " Nicht unbedingt. Berg ist schwer zu durchschauen. Die Mars- siedlung würde Dir gefallen. sie ist ein eigenständiger Staat mit einem eigenen Rechtsraum, mehr römisch-republikanisch als 21.Jahrhundert." "Aber frei ?" fragte sie. Korthaus antwortete: " Berg ist anders als die Leute je waren, kein Hippie, kein französischer Revolutionär und auch kein Römer. Aber er hat von allen etwas." Im Garten trafen sich Berg, Korthaus und einige zum Kaffetrinken. Der Mann von Marie-Anne, Robert fragte Berg: " Neue Freiheit ? wie sieht das aus?" Berg antwortete: " Wettkampf statt Krieg, Spiel statt Fesselung." Robert fragte:" Die Spontiphilosophie, keine Monogamie ?" Berg erwiderte: " Es ist Absicht darin, nicht von "Polygamie statt Monogamie" zu sprechen. Es ist ein zentrales psychologisches Problem. Bindung kippt um in Fesselung. Es lässt sich aber steuern. Die nicht monogamen Bindungen, Freundschaften, gleich-und heterogeschlechtlichen sind alle von gleichen Gefährdungen betroffen. Wenn man die Familienbindungen sieht, findet man sie da auch. Erinnert Ihr euch an die Therapiegespräche der Krefelder Kommune?" Marie-Anne sagte: " Der polygame Despot ?" Berg sprach: " Ja, man sah Mechanismen, die aus monogamen Bindungen bekannt sind: Unterdrückung und Fesselung. Im Marsprojekt gehören auch Bindungen ausserhalb der persönlicher Verhältnisse zu Bereichen möglicher Fesselung: Machtpyramiden, Regelwerke, Verwaltungen usw." Korthaus meinte: " Die neue Freiheit könnte man auch als Tendenz zur Anarchie auffassen." Berg lachte: " Wenn die Menschen das könnten, aber er ist wie jedes Tier, gebunden in seiner Evolution. Man meint ja unter Anarchie oft das Bild zerrütteter Wesen und Gemeinschaften, die bildlich gesagt um sich schlagen." "Oder als Schimpfwort für Hippies", warf Robert ein. Berg sprach: " Wenn man die bekannte Geschichte der Staaten sieht, ist jede neue Freiheit eine Frage des Trainings. Der Strassen- verkehr ist besonders nützlich für das Trainieren von Regeln. Einige Institute, die sich mit den Fragen der Mars- gesellschaft befassen, untersuchen die Vorgeschichte kulturellen Trainings. Zugleich verbreitet sich mit ihm aber auch ein Teil der Verwaltung sozialer Strukturen. Freiheit und Bindung hängen fast untrennbar zusammen." Korthaus meinte: " Denken Sie an Hegel mit seiner Auffassung, Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit ?" "Gewiss, aber Hegel ist kompromittiert: Der preussische Staat als Sinn der Weltgeschichte. Das hat er wohl ernst gemeint. Aber Brecht hatte recht: Seid nicht so schwach und so verweicht, denn Geniessen ist bei Gott nicht leicht.- Auch das will trainiert sein." Der Aufenthalt Bergs in der ehemaligen Kommune an der Loire war nicht nur Nostalgie sondern auch ein Teil jener Bemühungen, die dem zukünftigen Leben auf dem Mars dienen sollten. Berg und Korthaus konnten wegen ihres hohen Alters ihrer schillernden Vorgeschichte und ihrer jung gebliebenen Denkungsart manche Dinge auf tiefere Weise erkennen als andere. Nebenbei lief das Experiment ihrer eigenen philosophischen Perspektive: Erkenntnis, Notwendigkeit, Produktion, Zufall und Ästhetik sollten in einer Struktur gelebt werden. Es war irgendwie auch ein grosses Spiel. Eines Abends gingen Berg und Korthaus zur Loire, setzen sich ins Gras und sahen schweigend der Landschaft in ihren Wandlungen innerhalb der Dämmerung zu. Dann sprach Korthaus: " Ich finde es seltsam, wie die Tage und Wochen schneller verfliegen, je älter ich werde. Dennoch wird der ausgesuchte Augenblick der Betrachtung scheinbar tiefer und länger dauernd." Berg erwiderte: " Neurologisch gesehen ist das Phänomen geklärt, aber Sie wollen wahrscheinlich auf mehr hinaus." Korthaus antwortete: " Natürlich. Es geht um den uralten Verdacht, dass das Bewusstsein weniger bedeutsam ist als man es glaubt Und auch das Ich ist betroffen." Berg meinte: " Ja, es ist uns schwer erträglich den Mittelpunkt anders als im "Ich" zu sehen. Und doch ist das "Selbst" für mehr die entscheidende Grundlage als das Ich es sein kann." " Deshalb wollte Freud es zum Ich machen," meinte Korthaus. Berg ergänzte: "Die Versenkung der Inder wollte vielleicht das Gegenteil um dann im "Erkenne dich selbst" wieder dasselbe zu wollen." Korthaus sprach weiter: " Was halten Sie davon einen Selbstserhaltungsimpuls darin zu sehen"? Berg antwortete: " Des Ichs ?" Korthaus erklärte: " Auch, aber ebenso eine evolutionär gewachsene Selbsterhaltung. Die Idee der Unterscheidung in lebende und "tote Materie dient ebenso der Abgrenzung des Menschen von seiner Umgebung wie die Unterscheidung zum Tier. Man braucht sie um sie fressen zu können und man braucht die Todesidee um nicht durch leichtsinnige Experimente zu sterben, die zugleich das Erfolgsprinzip sind. Deshalb gilt die nicht organische Umwelt als tote Welt." Berg stimmte zu. Korthaus fuhr fort: " Eine Ideologie, die das Nichtmehrsein verharmlost, etwa durch die Betonung lebendiger Elemente in der anorganischen Stoffebene und in Mikroprozessen wäre gefährlich. Für Lebewesen mit eng begrenzter Nachwuchszahl, mehr als für die Insekten und Bakterien. Letztere brauchen keine Lebens- und Todesideologie." Berg meinte: " Ich erinnere mich an die Diskussionen über die Gründe der Todesängste." Korthaus fragte:" Erstaunlich ist die Bedeutung kausaler Zusammenhänge. Der Determinismus gewinnt an Gewicht und doch scheint auch das Zufällige bedeutender zu werden." Berg antwortete: " Das verwundert mich auch. Es gibt keine Entscheidung, die das Eine oder Andere bevorzugen würde." Nun sagte Korthaus: " Deshalb komme ich wieder auf das Ich zurück. Wenn das Ich seine Welt komponiert, wäre die Ausbreitung aller Strukturen, auch solcher, die antagonistisch zueinander stehen erklärbar. Für das Ich würde jede Eigenschaft stärker auftreten, wenn es erstarkt und umgekehrt. Etwa so, wie man alle Geräusche schwächer aufnimmt, wenn man schwerhörig wird." Berg meinte: " Das ist plausibel, aber es kann ein interner Prozess des Gehirns sein, der die Objektivität interpretiert und dennoch nicht konstituiert." Korthaus fragte: " Halten Sie das konstituierende Ich für einen Trugschluss ?" Berg antwortete: " Es ist eine Frage, wie weit eine Produktion des Ichs reichen kann. Teile seiner Welt produziert es, manches kann es nicht produzieren. Von vielen Erscheinungen war bis vor wenigen Jahrzehnten nichts bekannt. Das Ich ist an ihrer Enstehung unschuldig. Wie weit die Kompositionskraft reicht ? Es wäre ja denkbar, dass die Kompositon die Entstehung ist und ausserhalb des Ichs alles in unbestimmbare Fragmente zerfällt, vielleicht sogar unbestimmbare Objekt." Korthaus meinte: Sie überraschen mich." Berg sagte:" Ich nähere mich Ihnen nur scheinbar. Das Unbestimmte lässt durchaus eine konkrete Objektivität zu, die uns aber verschlossen ist. Wir wären wieder an der Grenze zum Nichtidentischen angelangt." " Das war ein Widerspruch," sprach Korthaus und fuhr fort: " Konkrete Objektivität in einem nichtidentischen Begriff." Berg antwortete: " Sie haben recht. Wir sind aber auch in einer misslichen Lage. Das Nichtidentische verweist wieder auf das Ich als Mittelpunkt." Korthaus meinte: " Ist es auch mit dem "Aber ", Sie wissen was ich damit meine." " Ob Leibnitz recht hatte mit seinen fensterlosen Monaden ?" Korthaus sagte: " Irgendwie ja und doch wieder das " Aber." Berg hatte plötzlich eine Eingebung: " Und wenn das "Aber" nichts anderes ist als die Nichtdichtigkeit der Grenze?" Korthaus stimmte zu: " Es wäre die einzige Wechselwirkung, die zwischen Objektivität und Subjekt möglich ist." Bald darauf, während des Abendessens sagte Korthaus zu Berg: " Wollten wir nicht zur Küste ?" Berg antwortete: " Ja, ich habe es nicht vergessen. Seit die Untersuchungen zur Marsbesiedlung sich um die Probleme der Freiheit und Rechtsordnung drehen, bin ich versucht mich ab und zu im Ziellosen zu vergraben." " Sie verdrängen ?", fragte Korthaus. Nun fragte Marie-Anne: " Wollt Ihr weiter reisen ?" Berg antwortete: " Ja, es wird Zeit." Und zu Korthaus gewandt: " Nein ich verdränge nichts, sehen Sie es als Experiment. Das zufassende Element war in meinem Leben immer dominant. Nun ist es geradezu ein Hindernis. Was ich bisher zur Lösung der Marsprobleme tun konnte, habe ich in Afrika gelernt und lerne es vielleicht auch in einer gewissen Rückkehr zur Ziellosigkeit der Freiheitsströmungen der sechsziger und siebziger Jahre." Korthaus antwortete: " So gehts mir auch. Man muß ausbrechen und beiseite treten und doch nicht untergehen." Am anderen Morgen waren Korthaus und Berg wieder mit ihren Motorrädern auf den Strassen an der Loire unterwegs. Einige Kilometer vor St. Nazaire machten sie am Ufer der Loire Rast. Sie setzten sich auf die Wiese und tranken ihren Kaffee. Berg meinte: " Die Philosophie krankt an einer gewissen Einseitigkeit: entweder sie ist zu systematisch oder zu chaotisch. Die Lebensweise der Philosophen ist zugleich ihre Begrenzung. Wie lange hat es gedauert um den Idealismus zu entwickeln ? und wie lange wird es noch dauern dessen Fesseln abzulegen, die er mitgeliefert hat zu den erworbenen Fähigkeiten, die Welt insgesammt zu sehen." "Ich habe Sie schon verstanden. Man muss zwei Wege zugleich gehen um vorwärts zu kommen." Berg nickte und antwortete: " Die Organismen können das, sie fressen sich auf, vermehren sich, sterben an Giften, und wachsen dennoch daran. Nur das Bewusstsein muss noch manches erlernen. Es ist noch jung." "Noch jung ?", fragte Korthaus. Berg sprach: " Vielleicht 1-2 Millionen Jahre, während die Organismen mindestens eintausendmal so viel Zeit hatten." Vom Fluss her hörten sie Musik. Ein flacher Motorkahn mit einer Kapelle und einer Tanzfläche trieb gemächlich die Loire abwärts. Einige winkten ihnen zu. Korthaus erkannte Marie-Anne unter den Tanzenden. Das Schiff trieb auf ihre Uferseite zu. Sie winkten einladend. Berg sah Korthaus fragend an, der nickte. Also krempelten die Beiden ihre Hosenbeine hoch, nahmen ihre Schuhe in die Hände und staken durch das seichte Wasser auf das Schiff zu. Sie gingen an Bord. Unmittelbar vor der Flussmündung war eine kleine Anlegstelle. Berg und Korthaus liessen sich dort absetzen. Sie mussten zurück um ihre Motorräder und ihr Gepäck abzuholen. Berg sprach zu Korthaus: " Sie haben auch nicht daran gedacht, als wir einstiegen, dass alle Sachen am Ufer liegen blieben." Korthaus erwiderte: " Ich hab es auch vergessen. Auf dem Boot allerdings habe ich eine Absicht ihrseits für möglich gehalten." Berg lachte und sprach: " Sie überschätzen mich." Marie-Anne kannte einen jungen Mann, der am Anlegesteg sein Boot liegen hatte. Es war ein schnelles Rennbot. Berg und Korthaus stiegen ein, der Mann fuhr los, jedoch zu schnell, sodass Berg schlecht wurde. Korthaus versuchte sich bemerkbar zu machen, vergeblich. Glücklicherweise waren sie nach einigen Minuten an der Abfahrtsstelle bei dem Gepäck angelangt. Als die Beiden mit ihren vollbepackten Motorrädern in St.Nazaire einfuhren, standen an den Strassen viele Menschen mit kleinen Fähnchen. Sie schienen auf etwas zu warten. Berg und Korthaus fuhren zum grössten Hotel, stellten ihre Motorräder ab und gingen hinein. Der Bauamtschef erkannte sie trotz ihres Äusseren. "Monsieur Berg, Monsieur Korthaus, ich begrüsse sie! " Berg und Korthaus gingen nach einigen Worten in ihr Zimmer und zogen sich um. Es war höchste Zeit vor der Bevölkerung zu erscheinen. Als sie fertig waren, führte der Bauamtschef sie zu einer offenen Limousine, mit der sie durch den Ort fuhren. Die Leute erkannten sie, die beiden winkten aus dem offenen Wagen. Am Rathaus spielte eine Kapelle, die Bevölkerung klatschte, als sie ausstiegen und vom Bürgermeister begrüsst wurden. Berg ging nach ihm zum Rednerpult und sprach seine Grussworte. Es wurde ein wichtiger Teil des Röhrenbahnhofs eingeweiht. Die Einweihungsfeier mit anschliessendem Essen, die Presse- termine und Vorstellungsbegegnungen gingen bis in den Abend. Sobald als möglich verabschiedeten sich Berg und Korthaus, zogen ihre Strassensachen an und fuhren mit den Maschinen fort in Richtung Paris. Um die Presseleute irrezuführen verschwanden sie aus dem Hinterausgang und liessen vorne die Limousine abfahren. Es war bereits dunkel geworden. Sie fuhren an der Loire entlang bis zum Haus ihrer Freunde in der ehemallgen Kommune. Marie-Anne hatte ein Essen bereitet, das aber von den Beiden nicht so gewürdigt werden konnte, sie es verdient gehabt hätte. Sie waren noch zu gesättigt von dem Festessen in St.Nazaire. In der Nacht gingen Korthaus und Marie-Anne zur Loire spazieren. Korthaus sprach: " Geht es Dir auch so, Du suchst eine Aufgabe zu erfüllen, gerade wenn der Zustand ruhig und vollkommen scheint ?" Marie-Anne nickte und antwortete: " Ja, es ist ein immer wiederkehrendes Hin und Her. Dann gibt es diese Sehnsucht nach Ruhe und Dahintreiben." Korthaus meinte: " Berg ist ruhiger geworden, ich aber auch. Und doch ist mir unvorstellbar, dass es aus den sechszigern noch immer Überdauernde gibt, die einfach so leben wie damals." Marie-Anne antwortete: " So ganz freiwillig ist das nicht. Ich glaube wir eignen uns nicht zum Buddhisten." Korthaus sah zum sternenklaren Himmel hinauf, den Grossen Wagen und den Saturn. Er sprach: " Weisst Du was ich erfreulich finde?", er antwortete sich selbst:" Dass es überhaupt keine Lösungen gibt." Marie-Anne war überrascht und fragte: " Bist du noch immer Symphatisant der Anarchisten?" Korthaus antwortete: " Nicht nur. Ich mag noch immer die Erinnerungen an die studentischen Dachmansarden im Quartier, ja. Aber nachdem die weissen Flecken unerforschter Gebiete auf den Landkarten verschwunden sind und bald auch auf dem Mars verschwunden sein werden, kam schon manchesmal die Furcht auf vor der Enge der bürgerlichen Perfektion.- Und nun macht man die Entdeckung, dass mit jedem gelösten Problem zwei neue entstehen." " Denkst du an Rilke: Wir odnens es zerfällt, wir ordnens wieder und zerfallen selbst." fragte Marie Anne. Korthaus antwortete: " Ja, mit entgegen gesetzter Bewertung. Es ist doch wunderbar, die völlig gewisse Undurchdringlichkeit des Werdens." Marie Anne lachte: " Ich erinnere mich, die Philosophie des Verführers." Die Silhouette eines der Loireschlösser hob sich vom nächtlichen Himmel ab. Berg war allein losgegangen, stand auf einer Brücke und sah in die vom Mond aufgehellte Nacht hinaus. Er dachte an die Geschichte dieser Landchaft, die immer noch lebendig war,scheinbar belebt von den Spuren der menschlichen Arbeit. Sie war in den Kunstwerken eingefangen, und obwohl Ideen und Stein nicht für sich lebensfähig sind wurden sie es in den Artefakten doch. Marie-Anne und Korthaus hatten ihre Verliebtheit wieder entdeckt. Sie verbrachten teilweise die Tage und Nächte miteinander. Eines Morgens beim Frühstück zu Zweit meinte Marie-Anne: " Der Frühling ist erst jetzt wieder Frühling. Ich war lange ganz auf mich geworfen. Es ist fast ein Wunder, wenn ich auch dieses Wort nicht mag, dass du hier bist als wären nur einige Tage vergangen seit dem Herbst, an dem sich unsere Wege trennten." Kortaus antwortete: " Als wir in Afrika waren und durch die Wüstennächte fuhren, dachte ich, es gibt mehr Königinnen ausserhalb der Frauenwelt als wir erwarten. Auch die Nächte können zu einer Fusion werden." Marie-Anne wunderte sich nicht. Sie lächelte. Dann sprach sie: " Du siehst, keine Spur Eifersucht. Man kann auch die bösen Dämonen zähmen, mit der Zeit." Korthaus meinte: " Du hast auch früher mehr gewusst als alle anderen." Sie antwortete: " Du irrst Dich, Frauen wissen dass, aber sie wollen nicht." Korthaus antwortete: " Nicht zwei Seelen wohnen in einer Brust. Es gibt auch Zersplitterungen und Felder auf denen zugleich scharenweise genussüchtige Seelen heranwachsen." " Die gleichzeitige Liebe, ich weiss." antwortete Marie-Anne. "Aber es ist natürlich auch nicht ganz vollständig, manche Sehnsucht entspringt dem Mangel. Der Einsame lebt Wahrheit und Täuschung zugleich, denn die Begegnung zweier Liebender ist durch nichts zu ersetzen, und zugleich ist sie oft der Anfang zu einem Irrweg, der auf gefährliche Weise lebens- untüchtig macht. Wie viele überstehen den Verlust eines langjährigen Partners". " Das hast Du schön gesagt, und obwohl ich auch ahne was dir in Afrika widerfahren ist, der Andere ergreift uns ganz, oder?" Korthaus gab ihr als Antwort einen Kuss. Am anderen Tag beim Frühstück vor dem Haus sagte Berg zu Korthaus:" Ich habe in den letzten Tagen hier eine Fülle von Erinnerungen aus der bewegten Zeit der sechsziger gehört, die für unsere Marsversuche sehr fruchtbar sein können. Ich möchte deshalb so bald als möglich ein einsames Fleckchen aufsuchen und das Material auswerten. Danach wird es dann dem Marsprojekt zukommen." "Wohin wollen Sie ?" fragte Korthaus. Berg antwortete: " Was halten Sie vom Zentralmassiv?" Korthaus sagte: " Ja, gern, wann ?" Berg antwortete: " Übermorgen früh." " Gern." Le Puy war ihr nächstes Ziel, aber unausgesprochen war es nur eine Richtung. Wie von ihnen schon mehrmals durchgeführt, lag das Hauptziel darin, herumzuschweifen und Erkenntnisse zu sammeln. Es standen dann die Projekte der Weltraumfahrt und der Zivilisaton im Hintergrund, obwohl gerade sie die Experimente des Geistes motivierten. In einem Bistro an der RN 144 von Mont Lucon nach Clermont Ferrant erläuterte Berg seine Ideen: " Die gesellschaftlich-sozialen Experimente in den Kommunen der sechsziger Jahre waren neben Revolte gegen die kleinbürgerliche Welt auch Resultate erkenntniskritischer Diskussionen. Die bürgerlichen Ehen begannen sich aufzulösen. Die Arbeit als Lebensziel wurde in Frage gestellt, der Reiz decadenter Bedürfnisse wurde von allen gesellschaftlichen Schichten entdeckt. Das Gewissen schärfte sich mit der Aufdeckung der Greueltaten der Elterngeneration, woraus das romantische Zurück seine Nahrung erhielt. Dann kam, was kommen musste: die Korrektur der Utopie durch Schwäche. Man nahm sein Weiblein und schlich sich beiseite, wie seit Generation eingeübt. Man war zu schwach für eine ideale Libertinage. Und je mehr man die kommunistischen Versuche durchschaute und im Versagen vor den selbst gestellten Forderungen den listigen, schmuddeligen Untergrund der Seele erfuhr, umso leichter begab man sich zurück hinter die schützenden Mauern der bürgerlichen Ordnung." Korthaus stimmte ihm durch Kopfnicken zu. Dann fragt er: " Haben Sie durch diese Reise etwas für das Marsprojekt gewonnen ? Berg erwiderte: " Eine Überraschung. Der Rückgriff auf ein Stück Geschichte scheint notwendig. Man sieht im Wiederkehrenden früherer Lebenabschnitte die Strecke, die man durchmessen hat. Immer vor jedem Weggehen sieht man sich um, was man war, um zu erfahren was möglicherweise werden wird." Berg sprach weiter:" In mancherlei Stimmungen gleicht die Lage zu Beginn der Marsreisen jener der Jugendbewegung der sechsziger Jahre. Eine Begeisterung für Experimente mit Menschen, freie Liebe, Beziehungsversuche, Suche nach Unentdecktem. Ähnlich waren auch die Psychoanalyse, die magnetischen Experimente der Jahrhundertwende und der Existenzialismus. Was Nietzsche von den vetrocknenden Geanken gesagt hat, gilt auch hier. Ich sehe eins der grossen Probleme in der Frage ob Verjüngungen des Bewusstseins hervorkommen." Korthaus antwortete: " Ich finde ebenso problematisch, dass diese Aufgabenstellung keine Rolle spielt." Berg meinte: " Ja, man hält alles für blosse Organisationsfragen." Korthaus fragte nach einer Weile: " Wann werden Sie in Berlin bei unserer Veranstaltung vor den Astrophysikern und Astronauten sprechen?" Berg antwortete: " Ich denke für Ihren Teil ist eine gute Lösung gefunden." Korthaus erwiderte: " Afrika, unsere Motorradfahrten, die Steinplatte.- Auch den betrunkenen Babucoffie?" Berg stutzte und sprach: " Ich glaube, das wird ein Problem der Akzeptanz. Sie werden uns vielleicht nicht ganz ernst nehmen. Andererseits, wenn ich mit der theoretischen Geschichte anfange, hängt das Afrikaabenteuer in der Luft. Sie werden ein Psychogramm aus uns machen." Korthaus sagte: " Das ist von Anfang an in beiden Versionen schwierig. Sie oder ich zuerst, es passt nicht." Berg meinte: " Sie werden jede Unbefangenheit verlieren, wenn sie mit meinem Vortrag im Kopf ihre Schilderungen hören." Korthaus hatte eine Idee: " Babucoffie!" Berg war begeistert: " Wir laden ihn ein. Soll er zuerst erzählen, sie danach und zuletzt ich." Damit waren für die Tage nach ihrem Aufenthalt im Zentralmassiv die Weichen gestellt. Babucoffie würde zu ihnen stossen, so hofften sie, und mitmachen. Schliesslich kamen sie in Le Puy am Eingang des Zentralmassivs an. Sie fuhren die Serpentinen zu den alten Dörfern hoch, deren Häuser aus Geröllsteinen geschichtet waren. Zuwelen fielen sie in sich zusammen. Die Beiden begrüssten die zwei alten Famlien, von denen nur die Gross- elterngeneration übrig geblieben war. Es war eins der vielen winzigen Dörfern mit ihren kargen kleinen Feldern. Sie bestanden fast nur aus Geröll und einer dünnen Schicht Erdkrume, die aber est durch mühseliges beiseite tragen der Geröllbrocken zutage kam. Viele niedrige Mauern wurden aus dem Geröll aufgeschichtet. Zum einen als Windschutz zum andern, um sie aus dem Weg zu schaffen. Fast ständig wehte ein rauher Wind. Das Haus, in dem sich die zwei niederliessen, war schon lange unbewohnt. Überall Staub und Rattendreck. Berg nahm einen Besen und fegte das Erdgeschoss, Korthaus holte aus dem ersten Stock zwei Matrazen. Dann kam Monsieur Moulin und brachte Bagette, Wurst und Wein. Moulin war auch ein Kriegsveteran, ungefähr im Alter von Berg. Die Frage war, ob überhaupt in dem Dorf noch ein Bewohner lebte, der unter 70 Jahre alt war. Moulin knipste eine einzeln baumelnde Lampe an:" Voila!" Berg staunte: " Sie haben Licht! seit wann ?" Moulin machte eine Handbewegung, was soviel hiess wie: ich weiss nicht genau. Dann sassen die drei am Tisch in dem einen Raum, der das ganze Erdgeschoss ausmachte und assen zusammen. Vom verwilderten Gestrüpp hörte man die Zigallen. Berg fragte: " Kommt der Techniker von Clermont noch in dieser Woche ?" Moulin machte wieder diese Handbewegung: weiss nicht. Korthaus meinte: " Wäre es mit Müller nicht besser gegangen?" Berg sagte: " Aber nein, wir bekommen ein französisches Telefon von einer französischen Gesellschaft und mit französischem Personal." Korthaus meinte sarkastisch :"La grande Armee." Berg horchte auf. In dieser Frage sah er alles ganz eng und ganz genau : " Die Grosse Armee war die am besten geführte Armee der Welt. Wagram! Es gab niemals vorher oder nachher ein Manöver wie die Aufspaltung des österreichischen Zentrums durch Artillerie im infanteristischen Einsatz." Korthaus meinte: " Ja, gewiss, das habe ich nicht vergessen. " Moulin fand das wohl amüsant. Er sagte: " In Kroatien gibt es noch Strassen von 1811, aber wir haben jetzt Strom und demnächst Telefon. Telefon !" Er kicherte. Korthaus wunderte sich, dass Berg nichts notierte, weder Notebook noch Zettel auspackte. Er sprach ihn bei einer dieser Mussestunden im Garten an: " Sie wollten Auswertungen machen ?!" Berg war amüsiert: " Aber ja, ich bin fast fertig." Korthaus sah ihn fragend an. Berg sprach: " Ich hab mich etwas ungeschickt ausgedrückt. Es ist eine völlig innere Auswertung und genau genommen intuitiv. Was uns fehlt ist die ziellose und doch zwischen Kreation und Produktion liegende Welt, die es uns ermöglicht nicht in den eigenen Planungen zu ersticken." Korthaus kannte das Thema. Berg fuhr fort: " In Berlin werden wir so etwas wie ein Wissenshappening machen." Korthaus sah ihn irritiert an. Berg meinte: " Ich weiss noch nicht genau, aber es wird irgendwie mit Improvisation und Psychologie zu tun haben. Immerhin sollen einige der Hörer von uns vorgeschlagen werden für die 2. Plangruppe." Diese 2. Plangruppe war eine Idee Bergs. Sie sollte die für das Marsprojekt eingerichtete Koordinierungs- kommision beraten und auf dem Mars eine Korrekturstelle bilden, die eine Ausgleichsinstitution werden würde, und mehr: Es ging um die Erhaltung produktiver Unordnung, eine integrierte Anarchie. An einem der Abende, als Moulin gegangen war, fragte Korthaus: " Sie nehmen mir meine Zweifel nicht übel ?" Berg lachte und antwortete: " Ich würde mich wundern, wenn Sie keine hätten. Sie zweifeln, dass die Erkentnisse eines Generals für das Mars- projekt und die 2.Plangruppe ausreichen würden." Korthaus meinte: " Ausreichen würden sie schon, aber wie ?" Berg meinte: " Wir brauchen auch dabei Profis. Wie sollte ein napoleonischer Feldzug das leisten? Ich habe an Beyermann gedacht." Korthaus sprach: " Beyermann, das ist stark. Es gibt keinen Satz, kein Schauspiel und keinen Film von ihm, der zu irgendetwas taugte. Seine Witze sind abgeschmackt, die Höhepunkte ohne Spannung." Berg ergänzte: " Vor allem geht bei ihm alles schief. Seine letzte Feuer- werksnummer kostete das halbe Dach der Dorndorfer Gemeinde- halle." "Verraten Sie was Sie vorhaben?" fragte Korthaus." Berg antwortete:" Er soll die Leute durch die Sendung führen, in der unser Vortrag eingebaut wird. Vor uns tritt der Rosen- strauchzirkus auf, und nach uns auch. Die Manege wird verkleinert und die Zirkusnummern reduziert. Dann hat Beyer- mann noch etwas Spielraum für die Biberstock-Ausstellung." " Die Fettwanne und ähnliche Objekte ?!" " Keine Ahnung," sagte Berg:" er hat freie Hand." Als die Telefontechniker anrückten war es mit der Ruhe erst mal vorbei. Berg hatte Bildschirme und Computeranschlüsse bestellt um Videokonferenzen zu führen. Korthaus benötigte ebenfalls einen Arbeitsplatz. Er übernahm die Aufgabe Psychologen zu bestellen, die in Berlin die Teilnehmer an Bergs und Korthaus Vortrag beobachten sollten. Es gab einen grossen Fragekatalog, von deren Ausgang die Entscheidung beeinflusst wurde, wer in der 2.Plangruppe arbeiten würde und an welcher Stelle, im irdischen Kontrollzentrum oder auf dem Mars. Fachleute waren bereits ausreichend gefunden worden aber krisenfeste, ideenreiche, charakterfeste und ungewöhnliche Persönlichkeiten mussten herausgesiebt werden. Die Berliner Veranstaltung gehörte zu einer der Testreihen, die für die Besetzung der 2.Plangruppe vorgesehen waren. Die Zeit verging wie im Flug, wie es heisst. Wenn nicht der Termin in Berlin gewesen wäre, hätten die Beiden in ihrem Dorf mit Moulin die Zeit verbracht und dabei allerlei vergessen. Eine plötzlich eintreffende Polizeianordnung, die unverhofft eines Morgens auftauchte, änderte alles. Berg und Korthaus wurden kurzerhand wegen einer unerlaubten Geldtransaktion verhaftet und nach Paris verbracht. Da der Präsident der Republik in Afrika unterwegs war, das Anwaltbüro Bergs Urlaubsferien hatte, war Hilfe nicht in Sicht. Die Beiden wurden im 1.Arr. untergebracht, nicht hinter Gittern aber mit Hausarrest. Als sie dort in ihrem Doppelzimmer eingetroffen waren, sich mit Telefon und PC hatten versorgen lassen, sagte Korthaus zu Berg: " Wissen Sie was los ist ?" Berg antwortete: " Keine Ahnung, gar keine." Korthaus hatte einen ganz feinen Verdacht und fragte: " Hat Beyermann irgendeine Vollmacht von ihnen bekommen ?" Berg stutzte und meinte: " Denken Sie?" " Rufen Sie Müller an." Berg sagte: " Der ist auch in Urlaub. Alle sind weg, nur die Einsperr- truppe ist da." Sie mussten im Hausarrest bleiben, während in Berlin die Veranstaltung ohne die Beiden ablief. Einige Tage später war eine bekannte Pariser Anwaltskanzlei, durch einen ausnahmsweise nicht im Urlaub befindlichen Anwalt vertreten, endlich vorstellig. Berg instruierte ihn. Der Anwalt telefonierte, und wenig später kam eine Delegation aus dem Elysee mit betretenen Gesichtern und unendlichen Entschuldigungen herein. Das Zimmer war vollgestopft mit ordensbehangenen Obermuckels. Die Auflösung der Hintergründe der Verhaftung war simpel. Beyermann hatte dem Büro von Berg die Vollmacht von Berg für eine Bezahlung von Rechnungen vorgelegt und dabei einige Kommastellen vertauscht. Statt 200 000 Euro waren 200 Millionen angefordert worden. Da Müller abwesend war, machte ein Vertreter die Abwicklung. Da dieser aber gerade im Weggehen war, unterschrieb er noch und übertrug einer Lehrkraft den Rest der Arbeiten und die Versendung der Schriftstücke. Es merkte daher keiner, der Einblick hatte, dass etwas schief lief. Dieser Lehrling kannte nicht die Meldebestimmungen für Geldtransfers dieser Grössenordnung, die Abgleichung mit den früher schon genehmigten Projekten war fehlerhaft, und so gab eins das Andere. Verhängnisvoll war der Eifer eines Finanzkommissars, der Berg nicht kannte und daher keine Ahnung hatte, wen er da verhaften liess. Ein Persönlicher Referent des Präsidenten kam nun auch buchstäblich mit dem Jet aus Afrika herbei geflogen. Unterdessen war in Berlin die Veranstaltung, auf der Berg und Korthaus sprechen sollten, ohne sie durchgeführt worden. Als Berg mit Berlin Telefonkontakt aufnahm, stellte sich heraus, dass die Veranstaltung mit Beyermann ein voller Erfolg geworden war, besonders was den ausgefallenen Vortrag von Korthaus und Berg betraf. Die Improvisation, mit der die Lücke ausgefüllt worden war, ein Psychologievortrag eines Professors für gleichgeschlechtliche Beziehungen aus Hamburg, hatte eine Vielzahl psychologischer Überraschungen gebracht, die für die Aussagekraft der Testergebnisse sehr nützlich geworden waren, vielleicht mehr noch, als wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Insofern waren Berg und Korthaus einverstanden mit dem Gang der Entwicklung. Korthaus fragte: " Holen wir Berlin nach ?" Berg meinte: " Mir ist nach einer langen Motorradfahrt zumute in den Süden." Also bestiegen sie ihre Motorräder, liessen alle ihre überflüssigen Sachen verpacken und nach Hamburg versenden und fuhren los. Auf Wunsch der Beiden und um eine Gelegenheit zur Entschuldigung der Behörden zu liefern - man bestand darauf etwas Gutes zu tun - liessen sich die Beiden von der angebotenen Motorradescorte des Präsidenden der Republik über den Aussenring der Pariser Autobahn auf die Route nach Süden begleiten. Ein schönes Bild: Vorn nebeneinander Berg und Korthaus. Dann erstes Paar: zwei blauweisse Gardisten mit alten BMW Krädern. Dann zweites Paar: zwei rote Gardisten mit zwei alten BMW Krädern. Dann eine Schwadron Kräder mit blauen Uniformierten, insgesammt 72 Stück. Die Strassen waren frei, die seitlichen Zufahrten gesperrt. Die Haare der Beiden Alten flatterten unter ihren Fliegerkappen im Wind. -------