Fred Keil
             Psychologische Strukturmodelle von 1974 und 2000   Nr.230
                                                 Aachen September 2000
                                                                 /1
             Einführung
             Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen und
             dem Anhang.
             Der erste: "Psychologische Strukturmodelle und Analysen
             nach Wilhelm Reich" ist von 1974. Der zweite, daran
             anschließend: "Neufassung der psychologischen
             Strukturmodelle" ist von 2000.
             Im Anhang die alte Einleitung von 1974 und die Einzelfall-
             analysen.
             26 Jahre nach den Strukturmodellen stehen mir viele
             neue Einsichten zur Verfügung, die teils auch aus der
             Familie gewonnen wurden, die eine Revision der           
             Strukturmodelle von 1974 sinnvoll werden lassen.
             Das "psychopneumatische" Modell, welches dem alten
             Text zugrunde liegt, ist obwohl zutreffend, doch
             unzureichend und in manchen Bereichen nicht anwendbar.
             Auch der Aufbau des Ichs erscheint mir heute zu
             schematisch und mechanistisch. Völlig neue Begriffe
             werden gebraucht, obschon sie wegen ihrer Nähe zu den
             traditionellen Begriffen der Seele, des Geistes und
             des Bewußtseins problematisch sind. Aber auch
             Begriffe aus der Computerwelt können nützliche Analogien
             herstellen helfen.
             Es ist unerläßlich, den alten Text vor den neuen
             Ausführungen zu lesen. Die hier vorliegende Version
             verzichtet auf die grafischen Hilfsmittel.
             Die Angaben: Graf1.jpg usw. verweisen auf die zum Text
             gehörenden Seiten mit den grafischen Darstellungen.
             Sie sind enthalten im Verzeichnis:  230graf
             Die Sätze in Klammern sind Zusätze von diesem Jahr.
             
             Aachen 21.September 2000




                                1. Teil   Seiten: 1 bis 65            /2
                                          ab Seite 66 bis 87 2. Teil
             Fred Keil (Nr. 75/1 und folgende unten)  Neue Nummer: 230
                                                               
             Psychologische Strukturmodelle und Analysen
             Versuch einer Weiterentwicklung der Arbeiten
             Wilhelm Reichs
                                              Nr.75  Ratingen 1972-1974
                                              Nr.75a Essen    1974
             Inhaltsverzeichnis:
             
             Einleitung  (im Anhang)
             1. Abschnitt: Das Grundmodell
              - Primäre und sekundäre Verhaltensweisen              S. 4
              - Energetisches Gleichgewicht und Selbststeuerung        5
              - Das Reichsche Selbststeuerungsmodell                   7
              - Der biologische Kern                                   8
              - Entstehung des Ichs eines Mitteleuropäers              9
                im 20.Jahrhundert 
              - Verinnerlichung zum muskulösen Panzer                  14
              - Verinnerlichung zum unbewußten Hemmechanismus          14
              - Erwerbung einer rationalen Denkregel                   15
              - Produktion und Reproduktion von Ersatz,                16
                Handlungen,-Bedürfnissen und Reaktionsbildungen 
              - Produktion pathogener Aggression                       16
              - Produktion und Reproduktion der Angst                  18
              - Produktion der sogenannten Perversionen                20
              - Homosexualität                                         21
              - Sadismus                                               24
              - Masochismus und unterwürfiges Verhalten                25
              - Identifizierung                                        25
              - Fixierung                                              26
              - Projektion                                             27
              - Energiehaushalt:                                       28
                    a Energieproduktion u. Versorgung                  28
                    b Entladungsarten                                  29
                    c Stauungszustände                                 30
                    d Auswirkung der Energiestauung auf das            31
                      Verhalten am Beispiel der Vermischung
                      von Aggression und pathogener Aggression 
                    e Energieverbrauch- Bindung- Umlenkung             32
                      der Hemmechanismen 
              - Funktionsweise der Hemmechanismen                      32
                    a allgemein                                        32
                    b Erwerbung von Hemmechanismen in den              36
                      verschiedenen Lebensaltern 
                    c Verstärkung von Hemmechanismen durch             37
                      wiederholte Reproduktionssituationen 
                    d Abschwächung nicht aktivierter                   37
                      Hemmechanismen im Laufe des Lebens 
                    e Die Verhältnisse zwischen:                       37
                      Erwerbung - Verstärkung
                      Erwerbung - Abschwächung
                      Verstärkung - Abschwächung 
               

                                                            230/3a
              - Kompensationsmechanismen: a energiebindende            38
                                          b energiefreisetzende 
              - Rationalisierungsmechanismen                           39
              - Steuerungsprobleme der Denkmechanismen                 40
              - Erwartungshaltungen                                    42
              - Energiespeicherung und muskulöse Panzerung             43
              - "Homo normalis" des  abendländischen Kulturkreises     45
                der Gegenwart 
              - Ideale Ichstrukturen                                   46
              - Funktionsweise der Gesamtpanzerung:                    47
                             a Schichten der Gesamtpanzerung           47
                             b Abwehr und Verschachtelung              49
                             c Überlastung, "Durchdrehen",             50
                               Regression
              - Probleme der "Massenpsychologie"                       52
             ergänzende Aufsätze:
              - Probleme der Verschiedenheit der Ichstrukturen         56
                bei annähernd gleichen...Bedingungen /Lawinenfaktor/
              - Energetisch gleichwertige Handlungsentscheidungen      59
                /gleichwertige Elemente/
              - Steuerungsgruppen                                      61
              - Das "Ich" als Steuerungselement                        63
             2. Abschnitt: Einzelfallanalysen zum Grundmodell im Anhang.
              - Fragestellung zu den Annäherungsimpulsen            
                              zu den muskulösen Panzerungen
                              zu Real- und Lustangst                           
                              zu pathogener Aggression                              
                              zu "perversen" Vorstellungen
                              zu Rationalisierungsmechanismen
                              (einige sind ausgelassen) 
                                                              230/3b
                                 2. Teil
                           Inhalt
             Psychoanalyse und allgemeine Psychologie         S. 66
             Die Sexualität                                      67
             Erbmaterial und Biochemie                           68
             Paralelle Faktoren                                  69
             Entladungsarten                                     69
             Der Produktionsbegriff                              71
             Diffusion und Kristallisierung                      71
             Kombinierte Regulatoren                             72
             Besonderheiten ausgeglichener Regulatoren           73
             Die idealen Ichstrukturen im Licht neuerer Modelle  73
             Der Begriff des Willens                             75
             Das Bewußtsein                                      75
             Das "Gefühl"                                        76
             Psychologische Eingriffe                            77
             "Metapsychologische" Betrachtungen                  78
             Steuerung frei flottierender Energie                78
             Aktive und passive Verarbeitung frei flottierender
             Energie                                             79
             Kognitive Regulatoren                               81
             Willensbildung und "wollende" Regulatoren           82
             Wille und Umwelt                                    83
             Substituierende Denkmechanismen in der
             Willensbildung                                      84
             "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust"          84
             Internalisierte Gesellschaft                        85
             Verzweigungen und zentrale Spitzen                  86
             Analogien des Grundmodells zu den Hirnfunktionen    86

                                                            230/4
             1. Teil: Das Grundmodell
             - Primäre und sekundäre Verhaltensweisen    graf1.jpg
             "Der Mensch braucht, wie alles Lebende, zunächst Stillung des
             Hungers und sexuelle Befriedigung. Die Gesellschaft von heute
             erschwert die erste und verweigert die zweite. Es gibt einen
             scharfen Gegensatz von natürlichen Ansprüchen und bestimmten
             gesellschaftlichen Einrichtungen. In ihm lebt der Mensch,
             folgt bald mehr der einen, bald mehr der anderen Seite des
             Widerspruchs, schließt Kompromisse, die regelmäßig scheitern,
             flüchtet in Krankheit und Tod, oder er rebelliert sinnlos und
             ergebnislos gegen die bestehende Ordnung. In diesen Kämpfen
             bildet sich die menschliche Struktur heraus." /W.Reich
             "Funktion des Orgasmus" K&W S.216
             Deshalb ist das menschliche Verhalten weder natürlich,
             noch Ausdruck ursprünglicher Bedürfnisse. Versuche, die
             Struktur von elementaren Bedürfnissen und primären Verhaltens-
             weisen aus der Beobachtung der jetzt lebenden Menschen abzu-
             leiten, schlagen fehl oder dienen dem Lob aufs Bestehende.
             Ursprüngliche oder primäre Verhaltensweisen können heute nur
             noch bei frei lebenden Säugetieren und rudimentär bei den noch
             lebenden "Primitiven" festgestellt werden. Dennoch gibt die
             Beobachtung der Verhaltensweisen von Säugetieren Aufschluß
             über die Struktur der menschlichen elementaren Bedürfnisse
             und primären Verhaltensweisen. Zwar wurde den Menschen ihre
             innere Struktur von Kultur und Zivilisation gründlich
             zerrüttet, aber bruchstückhaft erhielten sich Ansätze primärer
             Verhaltensweisen. Um die besser zu erkennen, sollen
             Überlegungen zu Tierbeobachtungen hier folgen.
             Der Begriff "primäre Verhaltensweisen" bezeichnet das
             Verhalten, welches ein höheres Lebewesen allen anderen in
             der Regel vorzieht und nur unter äußerlichem Zwang oder
             Krankheit zugunsten anderer, sekundärer Verhaltensweisen
             ablegt. Sichtbar in der Staffelung von Annäherung, Flucht
             und Angriff bei vielen Säugern.
             Für das Säugetier zerfällt die Umwelt in Lust- und Unlust-
             objekte. Den Lustobjekten nähert es sich an, vor den
             Unlustobjekten flieht es. Nicht selten jedoch ist die Flucht
             nicht mehr möglich, so wenn das Tier in die Enge getrieben
             wurde. Daraus folgt in vielen Fällen der Angriff oder dessen
             Vorform, die unkoordinierte aggressive Äußerung. Im Verlauf
             selektiver Prozesse bildeten sich bei vielen Arten Flucht-
             und Angriffsdistanzen. Weil die Fluchtdistanz immer größer
             ist als die des Angriffs, ist Angriffsverhalten immer eine
             Folge vereitelter Flucht. Das Beuteschlagen gehört nicht in
             diesem Sinne zum Angriffsverhalten, weil ein beuteschlagendes
             Tier nicht aggressiv ist. /Ausnahmen, wo generell keine
             Flucht erfolgt sind beobachtbar/ Daher ist die Flucht eine
             primäre, die Verhaltensweise des Angriffs eine sekundäre
             Verhaltensweise. Nun läßt sich bei einigen Tieren auch Angst
             beobachten. Die tritt auf, wenn Flucht und Angriff nicht
             möglich bzw. nicht genetisch entwickelt sind.Z.B. die Angst
             von Hunden bei Gewittern. Angst stellt sich nicht ein, wenn
                                                            230/5
             das Tier fliehen oder angreifen kann. Deshalb ist die Angst
             eine sekundäre Verhaltensweise 2. Grades; die des Angriffs
             dadurch eine 1. Grades. Ausnahmen sind natürlich auffindbar.
             So gibt es Tiere, die nicht angreifen sondern sich totstellen.
             Jedoch gilt die obige Staffelung gerade für die Säugetier-
             arten, die phylogenetisch dem Menschen besonders nahe stehen.
             Wenn trotzdem bei den meisten Menschen nicht auf ein Unlust-
             objekt die Flucht sondern ein Angriff erfolgt, kann das
             zweierlei Gründe haben:
             1.	Das Fluchtverhalten ist abtrainiert, der Mensch empfindet
             Flucht als sinnlos.
             2.	Bei allen Menschen ist nicht die Flucht eine sekundäre
             Verhaltensweise 1. Grades sondern der Angriff. Diese letzte
             Spekulation ist leicht zu widerlegen. Wenn in kritischen
             Situationen, z.B. an der Kriegsfront die Repressionen von oben
             nachlassen, fliehen viele Soldaten. Desertation aber auch
             Panikverhalten weisen darauf hin, daß auch bei den Menschen
             die oben genannte Staffelung der primären und sekundären
             Verhaltensweisen zutrifft.
           Graf1.pcx (14063 Byte) 
             - Energetisches Gleichgewicht und Selbststeuerung,
               die Gedanken Wilhelm Reichs                  graf2.jpg
             Die Lebewesen nehmen Stoffe auf, verarbeiten sie so, daß
             Energiebeträge frei werden und scheiden die nicht verbrauch-
             baren Stoffe und Umsetzprodukte wieder aus. Mit der gewonnenen
             Energie erregen sie die Prozesse, die ihre Lebensfunktionen
             ausmachen. Der Energiebetrag, den die Lebewesen benötigen, ist
             für jedes unterschiedlich. Noch mehr, auch der Energiebetrag,
             den ein einzelnes Lebewesen benötigt, ist nicht immer
             konstant. Für starke motorische Tätigkeit wird im gleichen
             Zeitraum mehr Energie benötigt, als etwa zum Schlafen. Jedes
             Lebewesen benötigt jedoch immer eine Mindestmenge Energie,
             die entweder direkt aus der Umwelt gewonnen wird oder aus, im
             Körper gespeicherten Vorräten stammt. Die Höchstmenge Energie,
             die ein Lebewesen aufnehmen, erzeugen und verbrauchen kann,
             ist ebenso begrenzt. Die Entwicklungsgeschichte eines jeden
             Lebewesens bestimmt die Maximal und Minimalwerte von Energie-
             verbrauch-, erzeugung-, aufnahme. Über- bzw. unterschreitet
             ein Lebewesen seine Maximal- und Minimalwerte, dann sind, je
             nach Dauer und Intensität der Über- und Unterschreitung
             Unlustempfindungen, Krankheit oder Tod die Folge. Lebewesen,
             die voll an ihre Umwelt angepaßt sind, können bezüglich ihrer
             Empfindungen optimal lustvoll leben. Sie haben Proportionen
             zwischen den unterschiedlichen Arten ihrer Energieproduktion
             und ihres Energieverbrauchs entwickelt, die nicht wesentlich
             von der Umwelt gestört werden.
             (Zusatz 1: Eine romantische Vorstellung, die dem Zeitgeist der
             70er Jahre entsprach. Die Geschichte der Evolution kann als
             eine permanente Störungsgeschichte verstanden werden, die die
             Artenwandlungen erzwang. Dennoch ist der Gleichgewichtsgedanke
             erforderlich um den Unterschied zwischen intaktem Sexual-
             haushalt und defektem aufzuzeigen.)
                                                             230/6
             Jede Art der Energieproduktion und des Energieverbrauchs ist
             nur in einer bestimmten Relation zu den anderen Arten von
             Energieproduktion- und Verbrauch des Einzelwesens lustvoll.
             So frißt etwa ein Löwe nur so lange und so viel, bis er satt
             ist. Fressen über dieses Sattsein hinaus wäre unlustvoll,
             also unterläßt er es.  Ebenso begatten sich etwa zwei Hunde
             nicht fortwährend, sondern nur solange sie Lust dazu haben,
             was wiederum durch bestimmte Zeiten begrenzt ist. Dauerndes
             Begatten wäre unlustvoll, aber schlechterdings auch nicht
             möglich. Eine Antilope läuft nicht den ganzen Tag über im
             Galopp herum, sondern nur, wenn sie Lust dazu hat oder gejagt
             wird. Dauerndes Laufen wäre unlustvoll, also unterläßt sie
             es. Beim Menschen soll das nicht gelten, wird von denen
             behauptet, die die "Notwendigkeit" repressiver Trieb-
             regulierung verewigen wollen. Im Verlauf dieser Arbeit werden
             diese reaktionären Vertreter überführt werden.
             Die Bedürfnisse sind nichts anderes als das, wessen die Tiere
             und auch die Menschen bedürfen um lustvoll zu leben und zu
             überleben. Genauer: sie sind Ausdruck dessen, wessen die
             einzelnen Organe bedürfen um ohne Unlustproduktion zu
             funktionieren. Dieser Bedarf der Organe ist, noch
             mikroskopischer betrachtet, der Bedarf der Zellen in ihrem
             organischen Funktionszusammenhang. Doch er ist keineswegs nur
             Bedarf im Sinne des Benötigen, sondern auch Bedarf im Sinne
             eines aktiv zu Äußernden. In der Reichschen Lebensformel:
             Ladung- Spannung- Entladung- Entspannung im rhythmischen
             Wechsel. Beobachtbar beim Einzeller im Rhythmus von Zusammen-
             ziehung /Ladung-Spannung/ und Ausdehnung
             /Entladung-Entspannung/.
             Beim Säugetier ist dieser Rhythmus in andere Ebenen verlagert:
             Nahrungsaufnahme, körperliche Bewegung, sexuelle Reize als
             Ladung- Spannung, und Ausscheidung, sexuelle Befriedigung und
             körperliche Bewegung als Entladung- Entspannung. Die dem
             Organismus adäquate Entladung- Entspannung erfolgt im
             Orgasmusreflex der orgiastischen Befriedigung.
             /Reich: Funktion des Orgasmus/ In der gegenwärtigen
             menschlichen Gesellschaft wird der Lebensrhythmus permanent
             zerstört: Auf der Ladungsseite: Hunger, mangelnde sexuelle
             Reize, mangelnde Bewegung u.a.; auf der Entladungsseite:
             mangelnde sexuelle Befriedigung, Unfähigkeit zum Orgasmus-
             reflex, großenteils auch Frigidität und Impotenz aufgrund der
             aktuellen realen und verinnerlichten Unterdrückungen.
             (Zusatz 2: Dieses Modell ist fehlerhaft: Mangelnde
             sexuelle Reize sind in der Zivilisation nicht zu sehen, aber
             ein Übermaß von Reizen und sexuellen Fehlentwicklungen.)
             So wie die Bedürfnisse eines Lebewesens zueinander in
             bestimmten Proportionen befriedigt werden müssen, damit nicht
             Unlust auftritt, so gibt es ebenso Proportionen des Energie-
             verbrauchs in der Bedürfnistefriedigung, die, wenn sie gestört
             oder zerstört werden, Unlust, Krankheit oder gar den Tod
             folgen lassen. Die Veränderungen der Proportionen sind jedoch
                                                              230/7
             nicht generell unlustvoll, sondern nur, wenn bestimmte
             Schwellen der Intensität und Dauer überschritten werden. So
             kann man durchaus einmal die doppelte Menge des Gewohnten
             essen und dafür nur die Hälfte der gewohnten Zeit schlafen,
             ohne daß dabei Unlust auftreten muß. Würde man aber die
             dreifache Menge essen wollen und vielleicht mehrere Nächte
             nicht schlafen, dann wären Unlustempfindungen die Folge.
             Die Proportionen, innerhalb derer die Bedürfnisse befriedigt
             werden müssen, damit keine Unlust oder Schlimmeres auftritt,
             sind innerhalb gewisser enger Grenzen variabel.
             Wenn ein Lebewesen seine Bedürfnisse innerhalb der
             Proportionen und innerhalb der eben genannten Schwellen
             befriedigen kann, die es mit seiner Entwicklungsgeschichte
             erworben hat, dann befindet es sich im Zustand eines
             innerindividuellen energetischen Gleichgewichts, abgekürzt:
             energetisches Gleichgewicht. Die Fähigkeit, vor allem der
             höher organisierten Tiere, gewisse Schwankungen in der
             Bedürfnisbefriedigung durch entsprechendes Verhalten
             auszugleichen und die Fähigkeit, die Proportionen auch gegen
             gewisse Störungen aufrecht zu erhalten, zeichnet sie aus als
             Selbststeuerungsorganismen. Z.B. können Hamster durch
             Vorratsbildung verhindern, daß sie im Winter hungern. Katzen
             können mittels der ausgeschiedenen Duftstoffe Geschlechts-
             partner auffinden und aufsuchen, obwohl sie Einzelgänger
             sind und ohne diese Fähigkeit nur per Zufall auf Geschlechts-
             partner treffen würden.
             Die Studien zur menschlichen Vorgeschichte haben gezeigt,
             daß auch die Menschen einmal Selbststeuerungsorganismen
             waren. Erst mit dem Aufkommen der privatwirtschaftlich
             patriarchalischen Gesellschaftsformen begann die Zerstörung
             der innermenschlichen Selbststeuerungssysteme. An die Stelle
             der zerstörten Selbststeuerung mußte die zwangsmoralische
             Regulierung treten, nachdem diese als herrschaftliche
             Unterdrückungsinstanz die Selbststeuerung außer Wirkung
             gesetzt hatte. Kern dieser Zerstörung ist die sexuelle Unter-
             drückung, derzufolge orgiastische Befriedigung, also adäquate
             Entladung-Entspannung nicht mehr sein kann.
             (Zusatz 3: Die sexuelle Unterdrückung ist nur ein Aspekt
             aus dem Arsenal der Selbstdisziplinierung der Menschheit.
             Die Todesfurcht, Angst vor Folter, Hunger, Gebrauch von
             Drogen usw. haben ebenfalls eine große Rolle gespielt.
             In der Disziplinierung der rohen Bevölkerung ist wahrschein-
             lich die sexuelle Unterdrückung sekundär gewesen, wie auch
             noch an der geringen Quote von Eheschließungen in den
             einfachen Schichten der Landbevölkerung vor 1830 sichtbar
             wird.)
             Das Reichsche Selbststeuerungsmodell "Genitaler Charakter"
       Graf2.pcx (17596 Byte)     
             In diesem Modell von Wilhelm Reich kommt die biologische
             Energie aus dem biologischen Kern und realisiert sich
             durch Arbeitsleistungen und sexuellen Tätigkeiten.
                                                            230/8
             Reich sieht ein Qszillieren der Energie zwischen beiden
             Bereichen.
             In der "Sexualökonomischen Arbeitsleistung pendelt die
             biologische Energie zwischen Arbeit und Liebesbetätigung
             hin und her. Arbeit und Sexualität sind keine Gegensätze,
             sondern unterstützen einander durch Festigung des Selbst-
             bewußtseins. Das Interesse ist jeweils eindeutig konzentriert,
             getragen vom Gefühl der Potenz und Hingabefähigkeit."
             Reich "Funktion des Orgasmus"S.I6O
             Ins Grundmodell übersetzt, erscheint neben den beiden
             Entladungsbahnen 1 "Motorik" /für Arbeit/ und 2 Sexualorgane,
             eine weitere Bahn 3, die der aggressiven Entladung, basierend
             auf der Reichschen Therie der Bildung von Aggressionen aus
             Sexualunterdrückung.
             Diese Bahn ist sekundär und wird nur bei vielen Tierarten nur
             aktiviert, wenn bei Gefahr Flucht nicht mehr möglich ist.
             Am Lebensrhythmus sind nur die Bahnen 1 und 2 maßgebend.
             Die Aktivierung der dritten Bahn bedeutet eine Störung des
             Pendelns zwischen 1 und 2 . /Es gibt allerdings Tierarten,
             bei denen die Aktivierung der Bahn 3 genetisch vor-
             programmiert ist. Aber auch dann sind entsprechende Unlust-
             objekte zur Aktivierung nötig./
             Der "biologische" Kern
             (Zusatz 4: Seit der Konzeption des "Es" bei Freud ist die
             Welt der Triebe mehr und mehr im Sinne einer dynamischen
             Größe aufgefaßt worden, der eine gewisse Eigenständigkeit nur
             im Verfolgen von Triebzielen und in der Ausformung von
             Schadensfolgen in pathologischen Reaktionen zugestanden wird.
             Reichs Konzeption vom biologischen Kern reduziert diese
             elementare Welt auf organische Grundfunktionen.
             Es sind beinahe mechanistische Konzeptionen, die sich den
             Anschein organischer Komplexität geben.
             Dem entgegen ist jede Körperzelle ein Organismus mit
             vielschichtigen Strebungen und begrenzten Zielsetzungen im
             Sinne von Wachstums- und Vermittlungsaufgaben innerhalb des
             Organismusses. Nietzsches Konstrukt vom "Selbst" als den
             starken Gebieter in uns, meint eine nicht dem bewußten Ich
             identische Instanz, die gleichwohl über Qualitäten verfügt,
             die das Ich auszeichen: Wille, Richtung, Ziele und Konstanz
             der Antriebe. Das Selbst könnte als ein unterbewußter Bereich
             des Ichs oder als ein Konglomerat aus Es und Ichbereichen
             verstanden werden. Es ist nicht in jedem Individuum gleicher-
             maßen deutlich ausgeprägt. Die Frage stellt sich, wie die
             Organisation des Ichs beschaffen ist. Wahrschenlich sind
             verschiedene Mischungen und Polaritäten zwischen den Bereichen
             innerhalb der Person möglich. Sogenannt instinktsicheres
             Handeln verweist auf ein starkes Selbst. Triebbeherrschung
             zugunsten bewußter Ziele verweist auf ein starkes Ich.
             Die Frage stellt sich, ob die Vielzahl der organischen Zellen
                                                              230/9
             nicht überhaupt nur temporär Synthesen zum Ich hevorbringt,
             die dann zugunsten der Überlebenstrategien langfristig als
             eine mit sich selbst identische Organisation interpretiert
             werden. Das "Sehen-wollen" von Gleichartigkeit, könnte ein
             willentlicher Akt sein, der Inhomogenes glättet. Auch dies
             ist eine Entdeckung Nietzsches. Der pathologische Zerfall
             der Persönlichkeit in seinen verschiedensten Gestalten,
             verweist auf ein Bild des Individuums, in welchem viele
             Schaltzentren wirksam sind, die teils über eigene Ziel-
             setzungen und einer Art eigenem Willen verfügen und jeweils
             unterschiedlich unter das Kommando von Ichstrukturen gebracht
             werden.)                                                      
             - Entstehung des Ichs eines Mitteleuropäers im 20.Jahrhundert
             Der eben geborene Säugling verfügt über alle Bedürfnisse,
             die auch ein Erwachsener hat. /kulturelle und andere Ersatz-
             bedürfnisse ausgenommen/. Lediglich die sexuellen sind noch
             nicht im, als normal genannten Primat der Genitalität
             konzentriert.
             Die Einteilung dieser Bedürfnisse wird von seinem Verhalten
             abgeleitet. Das aber wird vom ersten Lebensaugenblick an durch
             die Umwelt beeinflußt. Die Einteilung muß deshalb mit ent-
             sprechender Vorsicht verwendet werden:
             1.	Bedürfnisse nach Nahrung
             2. Bedürfnisse nach sexueller Befriedigung /beim Säugling
                vermutlich primär über den Hautkontakt mit der Mutter/
             3. Bedürfnisse nach Betätigung der Motorik
             Diese drei Gruppen elementarer Bedürfnisse treten immer in
             bestimmten, obschon in Grenzen und je indivuduellem Fall ver-
             schiedenen Proportionen auf. Vom Standpunkt des Lustgewinns
             ist jedoch fraglich, ob beim Säugling, wie später beim
             Erwachsenen, ein Bedürfnis mehr, ein anderes weniger Lust
             vermittelt. Die qualitativen Unterschiede des Lustgewinns
             bei der Bedürfnisbefriedigung der Erwachsenen sind vermutlich
             gesellschaftlich bedingt./z.B. Verlust des Lustgewinns aus
             der körperlichen Bewegung durch den Zwangscharakter der
             Arbeit/ Denkbar, daß dem Säugling alle Bedürfnisbefriedigungen
             als eine untrennbare Lustvermittlung empfunden werden.
             Womöglich werden erst durch die im Erziehungsprozeß
             einsetzenden Triebunterdrückungen die Bedürfnisse als etwas
             qualitativ unterschiedliches hinsichtlich ihres Lustgewinns
             spürbar. Die Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse beginnt
             damit, daß die Mutter den Säugling nur zu bestimmten, von ihr
             festgesetzten Zeiten stillt, oft aber überhaupt nicht und
             stattdessen eine Flasche reicht; daß ferner die Stillzeit nur
             einigen Wochen dauert, /in günstigen Fällen/  weil der Irrtum
             vorherrscht, das Stillen habe nur die Funktion der Nahrungs-
             aufnahme. Jedoch befriedigt das Stillen auch die Bedürfnisse
             nach Nähe und die oralen Partialtriebe. Mit den ersten
             Wahrnehmungen der Sinnesorgane vermitteln sich dem Säugling
             Lust- und Unlustempfindungen, die dazu führen, daß die
             Gefühle sich verbinden mit den Sinneseindrücken,
             die zugleich aufgenommen werden. Von dem
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             Augenblick an, wo die Mutter dem Säugling sich wider seine
             Protestäußerungen entzieht, wird ihm das ihm selbst Äußerliche
             schmerzhaft fühlbar. Es vermittelt die Erfahrung, daß der
             Lustspender nicht mit dem eigenen Organismus identisch ist,
             sondern ein Lustobjekt bedeutet. Ebenso wird erfahren, daß
             die Unlustempfindungen von einem Objekt, einem Unlustobjekt
             herstammen, genauer, von diesem Unlustobjekt verursacht
             werden. Da sich die Mütter aus Unkenntnis und gesellschaft-
             lichem Zwang heraus /Sitte/ nicht bemühen können, die
             Proportionen einzuhalten, in denen der Säugling seine
             Bedürfnisbefriedigung optimal fände, wird das sich anbahnende
             energetische Gleichgewicht im Keim zerstört. Der Entzug der
             Mutterbrust nimmt dem Säugling alle Möglichkeiten, seine
             sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und ruhig weiter zu
             entwickeln. Das bereitet Unlust. Die Reaktion darauf ist
             eine motorische Äußerung, die im Zuge der Koordinierung der
             Körperfunktionen in aggressives Verhalten wider das
             Unlustobjekt umgewandelt wird. Aber der Säugling und das
             daraus sich entwickelnde Kleinkind darf seine aggressiven
             Äußerungen nicht an den Unlustobjekten ausleben. Schon das
             Potestgeschrei wird unbeachtet gelassen oder gewaltsam
             unterdrückt. Das Kleinkind lernt, die aggressiven Strebungen
             in sich zurückzuhalten oder gegen Ersatz- Unlustobjekte zu
             richten. Beides gelingt ihm nur, indem es die realen
             Barrieren verinnerlicht, die der sexuellen Befriedigung und
             der Aggression, die der sexuellen UnterdrUckung folgt,
             entgegengesetzt werden. Mit dem Aufrichten der realen
             Barrieren im Betroffenen selber, der Herausbildung
             psychologischer Barrieren, beginnt der junge Mensch, die
             Sexualunterdrückung an sich selber mitzuvollziehen. Wenn
             er gelernt hat, nicht mehr nach der Mutterbrust zu schreien,
             dann ist das nicht ein Zeichen dafür, daß er den Hautkontakt
             und diese Art der sexuellen Befriedigung erübrigen kann
             sondern, daß er seine sexuellen Bedürfnisse selbst
             unterdrückt. Dieser Selbstunterdrückung folgt die Zerstörung
             der Hautsexualität, ein Schaden, der sich nicht wieder beheben
             läßt. Daraus resultiert die Distanz zum Hautgefühl beim
             durchschnittlichen Erwachsenen. Die zurückgestaute sexuelle
             Energie wird auf mehrere Arten verarbeitet: Ein Teilbetrag
             geht ein in die verinnerlichten Barrieren, die Hemm-
             mechanismen also, ein Teilbetrag wird zur frei flottierenden
             Energie und erzeugt Unsicherheit und Angst; ein anderer Teil-
             betrag wird in motorische aggressive und andere motorische
             Äußerungen umgesetzt.
             Die Art und Weise, wie der größte Teil der Energie umgesetzt
             wird, bestimmt das sichtbare Verhalten. In Fällen, wo der
             größte Energiebetrag zu aggressiven Entladungen umgewandelt
             wird, entsteht der Mechanismus der Produktion pathologischer
             Aggression. In Fällen, wo der größte Energiebetrag mit
             Ersatzlustobjekten entladen wird, entsteht der Mechanismus
             einer Art von Ersatzbefriedigungen,z.B. Kleiderfetischismus.
             In Fällen, wo der größte Energiebetrag in Angst umgewandelt
             wird, entstehen chronische Unsicherheit, Phobien oder ein
             Mechanismus, der unterwürfiges Verhalten hervorbringt. Im
             Normalfall werden alle genannten Mechanismen in der Sozialisat-
             ion erworben; ihre jeweilige Stärke, ihre Größenverhältnisse
                                                             230/11
             untereinander variieren von Fall zu Fall. Mit dem Sauber-
             keitstraining werden dem Kleinkind weitere Schäden zugefügt.
             Es soll nur ins Töpfchen machen und nur zu bestimmten Zeiten.
             Damit dieser Vorgang möglichst schnell von Kind erlernt wird,
             erhält es Lohn und Strafe. Demzufolge versucht es, mit
             muskulösen Verkrampfungen den Blasen-Darmtrackt schneller
             unter seine Kontrolle zu bekommen. Diese Verkrampfungen
             werden meist chronisch. Sie werden als Panzerungen der
             Muskulatur verinnerlicht und entsexualisieren die
             "Analerotik". Die Unterdrückung der Analsexualität geht dem
             einher; damit gekoppelt die Verinnerlichung von Ekelgefühlen,
             die der Erwachsene, selber mit zerstörter Analsexualität
             groß geworden, dem Kind entgegenbringt.
             Unter dem Namen Ödipuskomplex wurde in der Psychoanalyse das
             vielleicht traurigste Kapitel kindlicher Sexualunterdrückung
             zusammengefaßt. Dabei interessiert hier nicht die
             mythologische Ableitung von Freud. Im Alter von etwa 3-4
             Jahren entwickelt sich die Genitalsexualität. Dem folgt
             deren konsequente Unterdrückung. Besonders der Vater fürchtet
             einen Konkurrenten und verstärkt deshalb die Repressionen
             gegenüber dem Jungen. Umgekehrt die Mutter gegenüber der
             konkurrierenden Tochter.
             (Zusatz 5: Diese Freudsche Konstruktion ist nach den eigenen
             Erfahrungen mit Kindern nicht generalisierbar. Der
             "Ödipuskomplex" ist gebunden an die Kleinfamilie, da in
             ihr andere Lustobjekte als die Eltern oft nicht vorkommen.
             Die Grundaussage, daß bereits Kleinstkinder Rivalitäten und
             Angst vor Rivalen haben, ist beweisbar. Andere Teile der
             Freudschen Konstruktion sind selten anzutreffen: z.B.
             Kastrationsangst. Obwohl die vielfach beobachtbare
             Symbiose zwischen Müttern und erwachsenen aber nie erwachsen
             werdenden Söhnen vielfach vorkommt und eindeutig dem Bereich
             der Pathologie zugehört, ist ihre Generalisierung in einem
             Modell der Ichentwicklung nicht brauchbar. Das Grundmuster
             repressiver Sexualentwicklung trifft zu, aber die sozial-
             und lernpsychologischen Aspekte kommen in der Psychoanalyse
             zu kurz.)
             Die Sexualunterdrückung erfolgt so, daß sie nicht unbedingt
             als offene Unterdrückung sichtbar werden muß.
             Die asexuelle Atmosphäre in der Familie, die
             Tabuierung sexueller Verhaltensweisen, das Sprech- und
             Denkverbot hinsichtlich sexueller Regungen wirken ebenso wie
             ausgesprochene Verbote oder die Schläge auf die
             "unartigen Finger". Onanieverbot, Isolation von anderen
             Kindern und den Eltern /getrenntes Bett/, Verinnerlichung
             von Ekelgefühlen gegenüber den Genitalien und dem After
             bilden die Höhepunkte des repressiven Erziehungsprozesses in
             der Kindheit. Die Folgen: Zerstörung der Fähigkeit zur
             orgastischen Befriedigung, besonders die Zerstörung des
             Orgasmusreflexes. Dabei werden die Impotenzerscheinungen des
             späteren Erwachsenen vorprogrammiert; u.a. mangelnde
             Vaginalfeuchtigkeit bei der Frau, erektive oder ejakulative
             Impotenz beim Mann. Die nichtentladbare Sexualenergie wird
             in pathogenen Formen gebunden und entladen. Besonders, und
             das hier in Deutschland auffallend stark, in den Formen
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             pathogener Aggression gegenüber Ersatzunlustobjekten. Man
             findet nichts dabei, daß die Kinder im "Trotzalter" ihr
             Spielzeug zerstören, Verhaltensstörungen wie Daumenlutschen,
             Fingerbeißen, Kopfschlagen im Bett usw. massenhaft entwickeln.
             Die Sexualunterdrückung wird ergänzt durch die Unterdrückung
             der Motorik. Es ist vielfach üblich, das Kind zu bestimmten
             Zeiten ins Bett zu zwingen, im Kindergarten stillsitzen zu
             lassen u.dgl. mehr. Auch die Nahrungsbedürfnisse werden
             repressiv manipuliert. So sind Fälle bekannt, wo die Eltern
             ihren Kindern Essen vorenthalten oder gewaltsam eintrichtern,
             Kinder bestrafen, wenn sie zu "hastig" oder zu "langsam"
             essen. Noch bevor das Kind eines einzigen rationalen Gedankens
             fähig ist, hat es eine Reihe von Hemmechanismen verinnerlicht,
             die mit muskulösen Panzerungen gekoppelt dauerhafte pathogene
             Dispositionen der Ichstruktur verursachen.
             Im Zuge der Entwicklung rationaler Ichelemente werden die
             Hemmechanismen abgekapselt. Das dient dem Schutz vor ihrer
             Auflösung. Die Hemmechanismen sind eine Art Energiebündel,
             deren Lösung einerseits Energie als Angst freisetzt und
             andererseits ein Verhalten ermöglicht, dem elterliche
             Bestrafung folgen würde. Der rationale Teil des Ichs wird
             irrational strukturiert, damit der Unsinn bestimmter Ver-
             und Gebote nicht vom Kind eingesehen werden kann, und damit
             es nicht selbständig die verinnerlichten Hemmechanismen
             aufzulösen lernt. Dem dient die permanente Unterdrückung von
             eigenständigen Aktionen des Kindes. Es wird weitgehendst
             unmündig und unwissend gehalten. Aufkommende Kritik wird mit
             Strafen und Liebesentzug beantwortet. Nur das "brave" Kind
             darf auf Zuneigung der Eltern und Erwachsenen hoffen.
             Das derart sich entwickelnde Ich ist gespalten. Eine Hälfte
             ist unbewußt, bindet in den Hemmechanismen und Panzerungen
             die verbotenen Strebungen und erzeugt "perverse" Symptome,
             die dann ihrerseits wieder zur Legitimation der Unterdrückung
             willkommen sind. Die andere Hälfte ist partiell rational,
             größtenteils irrational strukturiert und bildet das Wachbe-
             wußtsein mitsamt dem latenten Erinnerungsspeicher. Im wach-
             bewußten Teil des Ichs, aber auch im unbewußten Bereich,
             lagern sich Normen ab, die das Kind nicht befolgen kann, aber
             aus Angst gerne befolgen würde. In der Psychoanalyse wurde
             dieser Bereich "Ichideal" genannt. In ihm liegt auch das, was
             man Gewissen nennt. In der "Pubertät" beginnt die Sexual-
             unterdrückung auf intensivierter Stufe von neuem. Die alten
             Kindheitskonflikte werden reproduziert und im alten Sinne
             gelöst. Dabei ist die direkte Unterdrückung heute nahezu
             überflüssig. Die materielle Abhängigkeit der Jugendlichen an
             die Eltern verhindert die sexuelle Befriedigung deshalb, weil
             nirgend ein Raum ist, in dem sie ungestört zusammen sein
             dürfen. Die Verstädterung verbaut auch einen, früher üblichen
             Ausweg: Ins Grüne können die Meisten nicht mehr gehen, weil
             es nichts Grünes mehr gibt. Jugendliche, die im Auto Zuflucht
             suchen, werden nicht selten von eifrigen Wächtern gestört
             und verjagt. Die "Latenzzeit" ist nach Reich eine Folge des
             repressiven Erziehungsprozesses.
             Die vitale Resignation des Kindes nach der "genitalen Phase"
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             wird durch das sich Zurückziehen von jeder sexuellen
             Betätiging nur ertragbar. Die Pubertät ist problematisch,
             weil die zur Vollblüte heranreifende Genitalsexualität
             aufs Brutalste unterdrückt wird. Gerade wenn die Lust der
             jungen Menschen am größten ist, sollen sie ja das Arbeiten
             lernen. Die permanente Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse
             auf allen Stufen der Ich-entwicklung  produziert Ichschwäche
             und aktualisiert die Hemmechanismen und Panzerungen beständig.
             Die frühen Kindheitserlebnisse werden später deshalb ein
             Problem, weil sie von der allgegenwärtigen Repression ständig
             erneuert und ausgebaut werden. Das formt die Ichstruktur im
             Sinne einer Desintegration der rationalen Bereiche. Die
             Spaltung der Ichorganisation endet nicht mit der Erziehung,
             sondern vertieft sich innerhalb der repressiven gesellschaft-
             lichen Verhältnisse notwendig. Die "Bildung" des Ichs ist
             daher in Wahrheit Desintegration der innermenschlichen
             Selbststeuerungssysteme.
             (Zusatz 6: Fehlerhaft ist diese Konstruktion, weil sie die
             Bildung von festen Strukturen in der Ichentwicklung generell
             mit dem Begriff der Repression verknüpft. Aber milde
             Formen dieser Art der "Repression" sind allen Gesellschaften
             gemeinsam. Dennoch ist die spezifische Herausbildung von
             energiereichen Hemmmechanismen mit hohem Agressions- und
             Depressionspotential eine Besonderheit der europäischen und
             abgeschwächt der amerikanischen Zivilisation, die es
             berechtigt, diese an pathologische Strukturen angenähert zu
             sehen.
             Besonders die Abdrängung der Sexualität der Heranwachsenden
             in kriminelle Interpretationsmuster oder in die gesellschaft-
             liche Ächtung und Verdrängung hat mit zu dem "Erfolg"
             geführt, daß die Altbevölkerungen rasant aussterben. Seit
             der ersten Fassung der Strukturmodelle ist das augenfällig,
             und das Thema bis in die Massenmedien abgesunken. Die
             scheinbare Sexualisierung der Gesellschaft ist eine reine
             Ersatzbildung auf der Ebene der Vorstellungen und vom
             Triebgeschehen weitgehend abgekoppelt. In viel rigiderer Form
             als in christlich geprägten Epochen ist heute die Sexualität
             der Heranwachsenden durch falsche Vorstellungen und Normen
             überlagert, sanktioniert, behindert und unterdrückt.)
             Die Ichorganisation wird in den Zeichen so dargestellt:
             Das Individuum ist ein Kreis, in dessen Mitte der
             "biologische Kern" ist, das "Es" von S. Freud.
             Innerhalb des Kreise liegen vom Kern nach außen gesehen
             zunächst die Hemmechanismen, das "Unbewußte" und
             "Verdrängte" des S. Freud, und zuletzt innerhalb der Kreis-
             umfangslinie nahe an ihr die Schichten des Wachbewußtseins und
             die Sensorik.
             Zur Vereinfachung wird aus dem Kreis ein Sektor geschnitten,
             in dem die Schemata dargestellt werden, die im Grunde in
             allen Richtungen vom Mittelpunkt zum Kreisumfang hin erfolgen
             können. Dieser Sektor steht auf seiner Spitze, sodaß unten
             der Kern liegt und oben die Schichten des Wachbewußtseins.
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             - Verinnerlichung zum muskulösen Panzer         graf4.jpg
           Graf4.pcx (9241 Byte)
             Entstehungssituation und Reproduktionssituation
             Entstehungssituation:
             Das Kind möchte Kot ausscheiden. Es darf aber nur ins Töpfchen
             machen. Der Impuls Kot machen zu wollen, wird unterdrückt,
             wenn die Zeit unangemessen erscheint, bzw. bis das Töpfchen da
             ist und das Kind sich draufgesetzt hat, oder bis es mit
             Drohung, Gewalt etc. dazu gebracht worden ist sich drauf zu
             setzen.
             Reproduktionssituation:
             Das Kind hat den Druck von Außen verinnerlicht und den Impuls
             durch muskulöse Verkrampfungen gehemmt und bestimmte Energien
             dadurch gebunden. Dabei erzeugt es selbständig einen
             sekundären Impuls und einen kurzzeitigen muskulösen Panzer.
             Wenn dieser einmal als chronische muskulöse Verkrampfung
             arretiert worden ist, kann die reale Unterdrückung aussetzen.
             Das Kind "hält" selber ein.
             (Zusatz 7: Dieses Beispiel erfaßt nur einen bestimmten
             extremen Typus, der in dieser Form heute nicht mehr stark
             verbreitet ist. Aber jede Situation der Beherrschung von
             Muskeln führt auf Dauer zu bestimmten charakteristischen
             Haltungen. Deshalb können Europäer oft von Amerikanern
             unterschieden werden, da die Sozialisationsprozesse
             in beiden Kontinenten etwas verschieden ablaufen.
             Die Bildung der Mimik funktioniert prinzipiell wie die
             beschriebene Verinnerlichung zum muskulösen Panzer, da
             bestimmte Gesichtsmuskelgruppen die Physiognomoe prägen.)
             Verinnerlichung zum unbewußten Hemmechanismus
             Entstehungssituation und Reproduktionssituation
             Entstehungssituation:
             Die Mutter hat das Stillen des Säuglings aufgegeben. Der
             Säugling möchte aber die Mutterbrust und schreit deshalb. Die
             Eltern werden ungeduldig und schimpfen oder beachten das
             Schreien nicht. Der Säugling erfährt die Verweigerung seines
             Wunsches als reales Hindernis zwischen sich selbst und dem
             Lustobjekt. Der aus dem biologischen Kern kommende Impuls wird
             blockiert und erzeugt den einen sekundären Impuls.
             Reproduktionssituation:
             Der Säugling hat, wie man glaubt gelernt, seinen Wunsch auf-
             zugeben. Er hat das nicht gelernt, sondern das reale Hindernis
             zum unbewußten Hemmechanismus verinnerlicht. Der funktioniert
             wie das reale Hindernis, welches nun fortfallen kann. Der
             Impuls wird vom Kind selbst blockiert und verwandelt in
             den sekundären Impuls.

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             (Zusatz 8: Hier ist nicht spezifiziert zwischen dem Abstillen,
             dem ausreichenden Stillen und dem zu stark zeitlich geregelten
             Stillen. Milde Formen des Trainings beim Stillen sind in allen
             Kulturen üblich. Es gibt auch "verzogene" Säuglinge, die
             mit kurzen Stillintervallen die Mutter besetzen wollen. Das
             frühe Abstillen ist problematisch und hat gelegentlich
             sogenannte Oralfixierungen zur Folge. Das zu stark zeitlich
             reglementierte Stillen, ob nun mit Brust oder Flasche, führt
             zu dem oben beschrieben Mechanismus und seinen sekundären
             Impulsen.)
             Der Säugling "verdrängt", in der Sprache der Psychoanalyse.
             "Was ist nun Verdrängung ? Sie ist ein Prozeß, der sich
             zwischen dem Ich und den Strebungen des Es abspielt. Jedes
             Kind bringt Triebe auf die Welt und erwirbt in seiner Kindheit
             Wünsche, die es nicht ausleben darf... Das gesellschaftliche
             Sein fordert nun in Gestalt der Erzieher, daß das Kind diese
             Triebe unterdrücke. Das gelingt dem Kind... oft nur dadurch,
             daß es die Wünsche aus seinem Bewußtsein verbannt, selbst
             nichts davon wissen will." (verdrängt) Reich: "Diamat
             u.Psychoanalyse" S.16
             - Erwerbung einer rationalen Denkregel        graf5.jpg
           Graf5.pcx (11526 Byte)
             Entstehungssituation:
             Der kleine Peter (4J.) spielt mit einem brennenden
             Streichholz. Dabei verbrennt er sich die Finger. Es wird
             daraus der Konflikt, ob er noch ein Streichholz
             ansteckt und wenn, ob er es anders machen wird. Es gelingt
             ihm beim zweiten Male, diesen Konflikt zu lösen, indem er
             das Streichholz anders handhabt, so daß es ihn nicht
             verbrennt.
             Reproduktionssituation:
             Die Erinnerung an die richtige Handhabung des Streichholzes
             führt sogleich zur Erzeugung der richtigen Handhabung des
             Streichholzes. Der Konflikt tritt daher nicht noch einmal auf.
             Es ist eine rationale Denkregel erworben.
             (Zusatz 9: Diese Denkregel ist zunächst bewußt, wird aber
             bei häufiger Reproduktion unbewußt und funktioniert
             automatisch. Ähnlich funktionieren die Kopfrechnenvorgänge,
             wenn sie oft genug geübt worden sind.)
             So lernen die Kinder freilich selten, weil man sie viele
             Erfahrungen nicht machen läßt. Man verbietet und bestraft
             lieber. Die Folge ist dann, daß der Impuls durch einen
             unbewußten Hemmechanismus umstrukturiert wird. In diesem
             Beispiel würde das die Meidung von ähnlichen Situationen
             bedeuten. Das Kind hätte nichts gelernt sondern bloß eine
             Handlungshemmung erworben. Diese wiederun steht späteren
             Lernprozessen als Hindernis im Wege.
             (Z.B. Angst vor der Technik usw.)
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             (Zusatz 10: Das Lebensalter ist für die Erfahrungen von
             größter Bedeutung. Sehr kleine Kinder sollten zunächst vor
             Feuer Hemmungen erwerben und später unter Aufsicht Lern-
             erfahrungen machen. Nicht jede Hemmung führt zu Ver-
             drängungsmechanismen, wenn früh genug rationale Lern-
             prozesse erfolgen.)
             -	Produktion und Reproduktion von Ersatz- Handlungen,-
             Bedürfnissen und Reaktionsbildungen
             /ergänzend die Analysen 1-6/
             Entstehungssituation -  Reproduktionssituation
             Entstehungssituation:
             Der primäre, meist sexuelle Impuls wird an seiner adäquaten
             Entladung durch reale Hindernisse gehindert. Die Energie
             koordiniert sich zum zweiten Entladungsversuch, welcher am
             Hindernis vorbei zur Befriedigung mit Ersatzobjekten führt.
             Dabei wird in der Regel die Befriedigung zur Ersatz-
             befriedigung, d.h. sie ist mehr oder weniger unsexuell.
             Der 2. Impuls kann jedoch auch zu einer körperlichen
             Reaktionsbildung führen, zu welcher kein Ersatzobjekt
             benötigt wird. Z.B. die Ticks, Kopfzucken, Stottern u.dgl.
             können anstelle der sexuellen Befriedigung eine Pseudobe-
             friedigung darstellen. Während die Ersatzbedürfnisse mit
             Ersatzobjekten /Biertrinken usw./häufig als akzeptierte und
             bewußt geförderte Befriedigungsarten integriert werden,
             gelten Ticks als etwas, das man am liebsten loswerden möchte.
             Reproduktionssituation:
             Wenn die Enstehungssituation sich häufig wiederholt, prägt
             die Ersatzlösung der Entladung des 2. Ipulses sich als
             Hemmechanismus ein, der die Ersatzbefriedigung auch dann noch
             hervorbringen läßt, wenn keine direkte Wiederholung der
             Entstehungssituation vorliegt. Mit dem Hemmechanismus wird
             eine ihm zugehörende muskulöse Panzerung erworben, die die
             Funktion hat, die gehemmten Energien körperlich zu binden.

             - Produktion pathogener Aggression
               /ergänzend die Analysen 21-26/               graf6.jpg
        Graf6.pcx (13427 Byte)    
             Entstehungssituation -  Reproduktionssituation
             Entstehungssituation:
             Der 1. Impuls erzeugt ein Verhalten, mit dem sexuelle
             Befriedigung erreicht werden soll. Das wird durch Eltern,
             Erzieher u.a. verhindert, indem Hindernisse vor dem
             Lustobjekt aufgebaut werden. Die Energie wird aggressiv
             umstrukturiert, mit dem Ziel, das Hindernis zu beseitigen
             und dann sexuelle Befriedigung zu erlangen. Wenn das
             Hindernis jedoch zu stark ist, kann diese sexuelle
             Befriedigung nicht stattfinden und die Energie bleibt in
                                                            230/17
             ihrer aggressiven Form. Sie wird nun entweder unterdrückt,
             so daß eine unterschwellige Aggressionsneigung übrigbleibt
             oder aber auf solche Objekte abgelenkt, die keine
             Hindernisse wirksam aufrichten können. Z.B. wird der jeweils
             Schwächere mißhandelt. Diese, ihrem ursprünglichen Ziel
             entfremdete Aggression bleibt länger als die akute
             Entstehungssituation wirksam, weil die sexuelle Befriedig-
             ung nicht stattfinden kann. Es entstehen Energiestauungen,
             die zu psychischen Verhärtungen führen und die Art und
             Weise der Ersatzbefriedigung als Hemmechanismus fixieren.
             Die ziellose Aggression ist die Vorform der pathogenen
             Aggression und zugleich deren Entstehungsgrund.
             Reproduktionssituation:
             Sowohl die unterschwellige, als auch die gegen Ersatzobjekte
             gerichtete Aggression werden zu Ersatzbefriedigungen,
             obschon von Befriedigung nicht mehr gesprochen werden kann.
             Jedoch ist die Aggression, die ausgelebt werden kann,
             frustrationsmildernd; nur in diesem Sinne also Befriedigung.
             Im Sozialisationsprozeß unserer Gesellschaft sind die
             Entstehungssituationen massenhaft gegeben. Die Art und Weise
             der nicht zur sexuellen Befriedigung führenden Aggression,
             wird verinnerlicht zu einem Hemmechanismus.
             Würden die Entstehungssituationen bewußt überschaut, könnten
             diese Hemmechanismen nicht gut entstehen. Aber die
             wesentlichen Entstehungssituationen fallen in die frühe
             Kindheit, einer Zeit, wo das Wachbewußtsein erst allmählich
             entwickelt wird. In den Reproduktionssituationen werden
             die mobilisierten sexuellen Energien genauso verarbeitet wie
             in den Entstehungssituationen. War die Verarbeitung
             hauptsächlich aggressiv, so wird sie es in der
             Reproduktionssituation ebenso. Bei diesem Hemmechanisinus,
             den ich Mechanismus der Produktion pathogener Aggression
             nennen möchte, ist die Reproduktion nicht daran geknüpft,
             ob wirklich die Entstehungssituation vollends wieder
             vorliegt. Pathogene Aggression gegen Lustobjekte tritt auch
             auf, wenn keine, der Entstehungssituation entsprechende
             Hindernisse vorhanden sind. Das macht diesen Mechanismus
             ungeheuer gefährlich. Die Umstrukturierung sexueller
             Impulse zu aggressiven erfolgt bereits beim Auftreten von
             Lustobjekten. Der Grund dafür liegt darin, daß die zur
             Aggression gehörenden Körperhaltungen und Verkrampfungen
             die Sexualapparatur blockieren, wenn nicht die Rück-
             verwandlung aggressiver Impulse in sexuelle erlernt werden
             konnte. Das ist in der "Sozialisation"  dieser Gesellschaft
             nicht möglich. Bei den Tieren sieht das anders aus.
             Sehr oft werden sie in die Lage versetzt, mit ihren
             Aggressionen auch ihr sexuelles Ziel zu erreichen.
             Pathogene Aggression kommt deshalb bei ihnen nicht vor.
             /Laborbedingungen, Domestizierung u.ä. ausgenommen/
             Das Auftreten von Aggression ist nicht an sexuelle
             Frustration notwendig geknüpft. Wenn man Hunger hat, und es
             ist ein Hindernis auffindbar, durch das die Befriedigung des
             Nahrungsbedürfnisses unmöglich gemacht wird, so können
             Aggressionen dazu beitragen, dieses Hindernis zu beseitigen.
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             Pathogene Aggression kann jedoch dabei nicht entstehen,
             weil man nämlich beim Hunger genau weiß, was fehlt. Bei
             den sexuellen Bedürfnissen liegt das ganz anders. Je mehr
             ein Mensch sexuell frustriert wird, umso mehr entrückt die
             Sexualität seinem Blickfeld. Die Blockierung der Sexual-
             apparatur durch aggressive Energien läßt dann kaum noch
             sexuelle Reize spürbar werden. 
             (Zusatz 11: Daß die aggressiven Verhaltensweisen von
             Folterknechten oft pathogener Aggression entspringen ist an
             der sexuellen Zielrichtung derselben erkennbar. Ver-
             stümmelung der Sexualorgane noch bei Toten, ist ein
             eindeutiges Indiz. Aber die imperialistischen Kriege sind
             nur begrenzt aus der pathogenen Aggression abzuleiten.
             (wie Reich es versucht hat) Die kriegerischen Urhorden waren
             ohne Sexualunterdrückung zu praktizieren um Vieles grausamer
             und wilder als die eher zahmen Soldaten der neuzeitlichen
             Kriege. Es müssen daher die sozialen Strukturen und das
             Mitläuferverhalten untersucht werden um der Sache gerecht zu
             werden. Sexualunterdrückung schwächt die Menschen obwohl
             zugleich pathogene Aggressionen gebildet werden und sie
             stärker erscheinen.)
             
             - Produktion und Reproduktion der Angst
               /ergänzend die Analysen 13-17/
             a Produktionsmodelle
             Eine Gefahr tritt auf als Unlustobjekt:
             Das Subjekt ist von einem geschlossenen Hindernisfeld umgeben.
             /Z.B.Kind in der Kleinfamille/ Flucht als Reaktion auf das
             herannahende Unlustobjekt ist nicht möglich. Die zur Flucht
             mobilisierte Energie des a Impulses wird zurückgedrängt und
             erzeugt den b Impuls, der die Aufgabe hat, das Hindernis
             zu beseitigen. Das mißlingt, und der b Impuls wird in den
             c Impuls verwandelt. Der c Impuls setzt sich im Betroffenen
             selber zur Angst um. Das Subjekt versucht mittels Angst-
             reaktionen diese frei flottierende Energie zu binden. Solange
             aber das Unlustobjekt in der Nähe bleibt, wird immer wieder
             neu Energie erzeugt und in Angst umgesetzt.
             Ein Lustobjekt tritt auf:
             Das Subjekt ist von einem geschlossenen Hindernisfeld umgeben
             und kann sich deshalb dem Lustobjekt nicht nähern und mit ihn
             sich befriedigen. Der a Impuls wird deshalb in den b Impuls
             verwandelt, mit dem das Hindernis beseitigt werden soll.
             Das gelingt nicht. Die Energie des b Impulses wird verwandelt
             zum c Impuls, durch den sich die Energie als Angst freisetzt.
             Auch in dieser Situation bleibt die Angst, solange das
             Lustobjekt in der Nähe ist.
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             b. Reproduktionsmodelle
             
             "Realangst"
             Die fortwährende Wiederholung der Produktionssituation hat
             einen Mechanismus entstehen lassen, der die vergeblichen
             Versuche der a und b Impulse dadurch vereitelt, daß sofort
             als c Imupuls Angst erzeugt wird. Da der Mechanismus dem
             Betroffenen nicht bewußt ist, kann er auch dann wirken, wenn
             die Situation nicht genau der Entstehungssituation entspricht.
             Angst tritt hier auch auf, wenn kein geschlossenes Hindernis-
             feld da ist und nur das Unlustobjekt die Reproduktion
             hervorruft.
             "Lustangst"
             Die fortwährende Wiederholung der Produktionssituation hat
             einen Mechanismus entstehen lassen, der Angst erzeugen läßt,
             wenn ein Lustobjekt auftaucht. Unabhängig davon, ob das
             Lustobjekt erreichbar ist oder nicht. Es entsteht also Angst,
             die von außen betrachtet überflüssig zu sein scheint; z.B.
             wenn der Jugendliche Angst hat, sich einem heterosexuellen
             Geschlechtspartner zu nähern, weil in der Kindheit die
             Annäherung an ein heterosexuelles Lustobjekt: Erwachsene,
             andere Heranwachsende, in der Kleinfamilie: der Elternteil,
             nicht möglich war und Angst erzeugte. Nun ist das Hindernis
             nicht da, jedoch erzeugt der Mechanismus die gleiche Angst als
             ob eins vorhanden wäre.
             (Zusatz 12: Dieses Modell ist fehlerhaft, da die Ursache der
             Lustangst nur im Nichterreichen des Lustobjekts gesehen wird.
             Wichtig für das Entstehen der Lustangst ist aber ebenso das
             Training der Lusttabuierung - und Vermeidung, welches sich
             durch die ganze Kindheit zieht und an der auch Schule, Umwelt,
             Medien usw. beteiligt sind. Hier wird die Mangelhaftigkeit
             des Freudschen Ansatzes deutlich. Die aktuellen Einflüsse und
             das Training sind bedeutsamer für die Charakterbildung als
             es im Freudschen Ansatz entwickelt wird.) 
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             Produktion der sogenannten Perversionen
             /ergänzend die Analysen 31-55/
             Wenn primäre Impulse, vor allem sexuelle, blockiert werden
             und einen sekundären Impuls hervorrufen, dann entstehen
             häufig Vorstellungen und Verhaltensweisen, die so widersinnig
             erscheinen, daß man sie als abartig bezeichnet, z.B. die
             Vorstellung, daß der Penis die Frau durchbohrt. Pervers
             wäre das Andersartige. Da die herrschende Moral jedoch die
             Moral der Triebunterdrückung ist, gehört zum Andersartigen
             auch das, was bei den Tieren etwa zum natürlichen Sexual-
             verhalten gerechnet werden kann. Der Perversionsbegriff der
             "öffentlichen Meinung" umfaßt daher sowohl befriedigendes
             Sexualverhalten als auch enorm verzerrte und entsexualisierte
             Ersatzbefriedigungen. Z.B. werden orale Liebestechniken noch
             vielfach ebenso als pervers bezeichnet wie sodomistische
             Liebesspiele. Was pervers ist, kann nicht außerhalb des
             geltenden Moral- und Sittenrahmens definiert werden. Es gibt
             zuweilen Einseitigkeiten, die auffallend sind, z.B. die
             Fetischisten, deren Befriedigung nur durch den Fetisch gelingt
             oder der Homosexuelle, der sich nur mit einem Gleich-
             geschlechtlichen befriedigen kann. Wenn man den Perversions-
             begriff an dieser Einseitigkeit erklären wollte, dann wäre der
             "Normale" ebenso pervers, denn sein Sexualverhalten ist
             mindestens so einseitig wie das der sogenannten Perversen.
             Was perverses Sexualverhalten von natürlichem unterscheidet,
             ist die Verarmung der Sexualität und die Spezialisierung auf
             wenige Arten der Befriedigung. Hier möchte ich vor allem die
             Perversionen untersuchen, die außerhalb des "Normalen" ange-
             siedelt sind, obschon der "Normale" genauso pervers zu nennen
             wäre. Bedeutender noch ist die gesellschaftliche Funktion des
             Perversionsbegriffes. Verarmung wie auch Einseitigkeit sind
             Folgen der Sexualunterdrückung. Diese hat zum Ziel, die
             Menschen dem repressiven Gesellschaftszusammenhang zu inte-
             grieren. Die Perversion des "Normalen" ist diesem Ziel sehr
             dienlich. Daher denkt man nicht daran, das als pervers zu
             bezeichnen. Alle anderen Besonderheiten sind jedoch dem Ziel
             weniger dienlich, daher müssen sie diffamiert und ausgerottet
             werden. An der Perversion, die nicht dem Rahmen des Normalen,
             also nicht der Vermehrung, Kleinfamilie usw. einzugliedern
             ist, könnte das Prinzip der Unterdrückung spürbar und sichtbar
             werden. Der Homosexuelle gefährdet ebenso wie der Fetischist
             durch seine Andersartigkeit den Rahmen des Normalen. Die
             Diffamierung dieser Perversionen hat doppelten Nutzeffekt.
             Einerseits wird die von ihnen ausgehende Gefahr der Aufklärung
             abgewendet, andererseits sind Aggressionsobjekte gegeben,
             die zur Entladung der frustrierten Energien dringend benötigt
             werden. Nicht zu unterschätzen ist der Wert der andersartigen
             Perversionen für die Legitimation der Unterdrückung. Unter
             dem Vorwand, den Verfall der Sitten aufhalten zu wollen,
             wobei u.a. der Homosexuelle ebenso erwähnt wird wie der
             Sodomist, kann die Repressionsgewalt sich verbreiten und ihre
             Positionen ausbauen. 

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             (Zusatz 13: Die hier beschriebene Sichtweise der sexual-
             unterdrückenden Gesellschaft hat mit zur Jugendrevolte
             der sechsziger Jahre geführt, die eine Reihe von Erfolgen
             aufweisen kann: Tolerierung der Homosexualität und Abschaffung
             des § 175 StGB. Herabsetzung des Volljährigkeitalters von
             21 auf 18 Jahren. Abschaffung des Sodomieparagraphen.
             Allerdings kamen die Gesichtspunkte erblicher Vorbelastungen
             und organischer Dispositionen bei den Perversionen zu kurz.)
             - Homosexualität (ergänzend die Analysen 18-20)
             Entstehungssituation -  Reproduktionssituation
             Entstehungssituation: (eine der Möglichkeiten, die bezüg-
             lich der sexuellen Isolation und der Triebablenkung general-
             isierbar ist) Der a Impuls zielt auf sexuelle Befriedigung
             mit dem einzigen heterosexuellen Partner in der Familie z.B.
             als Lustobjekt des Jungen die Mutter. Der Impuls wird unter-
             drückt. Der zweite Entladungsversuch als b. Impuls, führt als
             ebenfalls sexueller Impuls zur Befriedigung mit einem
             homosexuellen Lustobjekt, hier dem Bruder. Vom Standpunkt
             eines eindeutig heterosexuellen Wunsches her, ist das homo-
             sexuelle Lustobjekt ein Ersatzlustobjekt. Fraglich ist aber,
             ob der sexuelle Wunsch generell heterosexuell ist. Es könnten
             ebenso auch bisexuelle Strebungen sein, die aufgrund der
             Behinderung heterosexueller Verhaltensweisen zu homosexuellem
             Verhalten führen. In solchem Falle ist der Bruder kein
             Ersatzlustobjekt; er wird das erst, wenn sich das homosexuelle
             Verhalten als einzig mögliches Sexualverhalten entwickelt und
             der homosexuelle Partner auch die nicht realisierbaren
             heterosexuellen Strebungen befriedigen soll.
             Reproduktionssituation:
             Die Behinderung und Unterdrückung heterosexueller Verhaltens-
             weisen bei gleichzeitiger Möglichkeit verdeckter homosexueller
             Befriedigung hat dazu geführt, daß ein Hemmechanismus ver-
             innerlicht wurde, der auch ohne reale Behinderung hetero-
             sexueller Verhaltensweisen diese blockiert und nur homo-
             sexuelle Befriedigung zuläßt. Die Entstehung des Hemm-
             mechanismusses ist nicht an die erfolgte homosexuelle
             Befriedigung gebunden. Wir finden genügend Fälle, wo kein
             homosexuelles Verhalten möglich war, dennoch aber Homo-
             sexualität auftritt.
             Die Ursachen der Homosexualität:
             Einzelfallanalysen und ethnologische Untersuchungen lassen
             den Satz zu, daß Homosexualität die direkte Folge der
             Unterdrückung bisexueller und heterosexueller Verhaltensweisen
             ist, von einigen sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, wo
             zusätzlich erbliche Ursachen feststellbar sind.
             Die Lebensgeschichten der Homosexuellen sind in vielen Fällen
             einander ähnlich. Bestimmte Idealtypen kommen sehr häufig vor.
             Nachfolgend die zwei häufigst vorkommenden Idealtypen:

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             a Der Homosexuelle hat in seiner Kindheit und Jugend sehr
             unangenehme Erfahrungen mit dem gleichgeschlechtlichen Eltern-
             teil gemacht. Beim Jungen ein strenger, liebloser und
             sadistischer Vater, beim Mädchen eine ebenso geartete Mutter.
             Die Folge davon ist, daß sich negative Identifizierungen
             herausbilden: Der Junge möchte auf gar keinen Fall wie der
             Vater sein, bzw. auf gar keinen Fall ein Mann sein.
             Der strenge Vater hat dabei zugleich, wie man sagt, dem Kind
             "das Rückrat gebrochen." Die positive Identifizierung mit dem
             Vater ist schon deshalb unmöglich, weil immer die Angst akut
             ist, der Vater könne auftauchen und für die sexuelle Handlung
             bestrafen. Ebenso beim Mädchen eine Angst vor der Mutter.
             Negative Identifizierung und verinnerlichte Ängste als Lust-
             ängste lassen deshalb heterosexuelle Kontakte später nicht zu.
             Der Herangewachsene wendet sich gleichgeschlechtlichen
             Partnern zu, weil das weniger Angst bereitet. Zugleich kann
             die Unterwerfung unter den gleichgeschlechtlichen Elternteil
             am Partner wiederholt werden. Wir finden dann bei Männern
             den femininen sich unterordnenden Typ, bei der Frau
             entsprechend maskuline Züge, wobei allerdings das Moment der
             Unterwerfung auch bei der Frau bestehen bleibt. Der
             Homosexuelle diesen Typs bevorzugt hart auftretende, sicher
             wirkende und "starke" Partner. Er spielt im oft vorkommenden
             Rollenverhalten so etwas wie den "schwächeren" Teil der
             beiden.
             b Der Homosexuelle macht mit dem gegengeschlechtlichen Eltern-
             teil böse Erfahrungen. Beim Jungen lieblose Mutter, beim
             Mädchen liebloser Vater. Folge davon ist, daß man einen Vater-
             und Mutterhaß entwickelt, der später auf alle heterosexuellen
             potentiellen Geschlechtspartner übertragen wird. Der Junge
             will keine Frau, weil er gelernt hat, sie zu hassen, das
             Mädchen will keinen Mann aus dem gleichen Grund. Beim oft
             auftretenden Rollenverhalten bevorzugen diese Homosexuellen
             ein ihrem Geschlecht sehr entsprechendes Verhalten und
             erwarten allerdings ein ebensolches auch bei ihrem Partner.
             Bei allen Fällen ist jedoch das Moment der geschlechtlichen
             Isolation in der Kindheit und Jugend das bei weitem
             Wichtigste. Kulturen, in denen es sexuelle Kinderkollektive
             gibt, kennen kaum Homosexualität, wohl homosexuelle
             Verhaltensweisen im Rahmen von bisexuellem Verhalten. Hier
             interessierte allerdings die isoliert auftretende Homo-
             sexualität, also die pathogene Form. Krank ist freilich nicht
             der Homosexuelle, weil er homosexuell liebt, sondern krank
             daran ist, daß er zum bisexuellen Verhalten nicht mehr
             fähig ist. Daher ist der Normale mit seinem isoliert auf-
             tretenden heterosexuellen Verhalten genauso pathogen.
             (Zusatz 14 Die Definition des "Normalen" als ebenso pervers
             ist eine typische Übersteigerung, die dem damaligen
             Stand der Diskussion entsprang.
             Der dauerhaft Homosexuelle ist vom Gelegenheitshomosexuellen
             zu unterscheiden.
             Sehr viele Jugendliche haben vereinzelt homosexuelle Erleb-
             nisse ohne homosexuell zu bleiben. Der dauerhaft Homosexuelle
             bringt wahrscheinlich in der Regel organische Dispositionen

                                                           230/23
             mit, die die Homosexualität begümstigen. Auffallend ist dies
             bei den Fällen, wo heterosexuell lebende Personen homosexuell
             werden und bleiben. Oft haben sie bereits Ehepartner und
             leibliche Kinder gehabt, bevor sie homosexuell wurden.
             Der andere Einwand, im Kriege habe es bei Soldaten keine
             Homosexualität gegeben, obwohl die sexuelle Not besonders
             groß gewesen sei, ist nicht überzeugend, da die Homosexuellen
             stark mit Strafen bedroht waren. Aber besonders Sexual-
             verhalten kann weitgehend durch Strafandrohung unterdrückt
             werden. Hier spielt auch die sinnenfeindliche Religion
             eine vorbereitende Rolle.
             Ein wichtiger Aspekt ist der der Massensuggestion, einfacher
             gesagt: der Mode. Antriebsschwache Frauen und Männer neigen
             dazu sich sexuellen Modeströmungen anzupassen, besonders dann,
             wenn sie wegen magelnder Attraktivität keine Partner im
             "normalen Rahmen" finden. Die gleichen Frauen, die als Mit-
             läufer in den sechsziger Jahren die freie Liebe in esoterisch
             verklärter Form gepriesen hatten, allerdings ohne wirklich
             sexuell aktiv zu sein, liefen später zu den lesbischen
             Femministinnen, als diese in Mode kamen. Noch später fanden
             dann eine Reihe von ihnen in den Hafen kleinbürgerlicher
             Familie zurück.
             Der lernpsychologische Aspekt, der hier allein aufklären kann,
             wurde aus ideologischen Gründen damals von der Psychologie
             in der "sexuellen Revolution" vernachlässigt.)

             Es bedarf jedoch nicht der idealtypischen Fälle um das
             Vorhandensein der Homosexualität in dieser Kultur zu
             begreifen. Jede "normale" familiäre Situation erfüllt die
             Bedingungen der, in den Idealtypen skizzierten Vorgänge.
             Die Kinder und Jugendlichen werden von gleichaltrigen
             potentiellen Geschlechtspartnern isoliert; sexuell radikal
             unterdrückt von allen Erwachsenen und Frühangepaßten.
             Dabei ist die Unterdrückung heterosexueller Strebungen oft
             stärker als die der homosexuellen. Z.B. Geschlechtertrennung
             in den Kindergärten, Schulen, Kirchen, Armeen etc. So werden
             die Eltern zu den einzig möqlichen Sexualobjekten, die
             gegengeschlechtlichen Elternteile zu den einzig möglichen
             heterosexuellen Sexualobjekten. Der frustrierte Vater fürchtet
             im noch nicht so defekten Jungen einen Rivalen, rational
             unsinnig, triebmäßig berechtigt, denn die Zuneigung richtet
             sich eher auf noch ungebrochene als auf zerstörte Naturen.
             Daraus folgt die "ödipale Situation", der Konkurrenzkampf
             zwischen Eltern und Kindern, besonders zwischen Vater
             und Sohn und Mutter und Tochter. Dabei siegt natürlich der
             Stärkere, der Erwachsene.
             (Zusatz 15: Die offene Sexualunterdrückung ist ebenso
             rückläufig wie die Geschlechtertrennung. Die damalige
             Ideologie einer "repressiven Gesellschaft" ist oft mit ihrer
             Kritik über das Ziel hinausgeschossen und hat dabei andere
             Zusammenhänge außer acht gelassen. So ist das Nichterlernen
             von Beziehungen und Annäherungsverhalten heute ein zentrales
             Problem. Auch die Ablenkung durch eine Pseudofreiheit in
                                                         230/24
             der visuellen Darstellung der Sexualität in den Medien,
             besonders im Film, trägt zur Irritation der jungen Generation
             bei. Die aus der Aidsepedemie genährte Kontaktangst wirkt
             in die gleiche Richtung. Die ödipale Problematik wurde
             in der damaligen Psychologie der sechsziger Jahre ganz im
             Sinne Freuds zu sehr in den Mittelpunkt gerückt. Auch deshalb
             wurden die aktuellen psychologischen Zusammenhänge nur
             in Verzerrungen wahrgenommen und vollständig unterschätzt.
             Allerdings hat die Anfeindung der Psychoanalyse aus den Reihen
             der Behavoiristen und der Psychatrie ebenfalls zur überbe-
             tonungen der Freudschen Theorie beigetragen).

             -	Sadismus
             Der Sadismus läßt sich vollkommen als pathogene Aggression
             erklären.  Jedoch decken sich klinische und sprachübliche
             Definition ebensowenig wie die klinische mit dem Modell der
             pathogerien Aggression. Das Dunkel und die Verwirrung um den
             Sadismus hat handfeste politische Gründe. Man steht ja
             politisch vor der Notwendigkeit, bestimmte sadistische
             Handlungen zu veredeln,z.B. der Held fürs Vaterland. Die vom
             Helden Umgebrachten sind in solchem Verständnis bedauerliche,
             unvermeidliche Opfer, die dem "Recht",  der "Nation" etc.
             gebracht werden müssen. Ich erinnere, daß die von Freud
             vorgenommene Korrektur und Umstülpung seiner Sadismustheorie
             lebhaft begrüßt wurde. Subtiler Sadismus erscheint heute
             unentbehrlich. Die Verordnungen, und Gesetze haben neben
             sachlichen Elementen auch immer solche, die geeignet sind,
             sadistische Bedürfnisse systemkonform zu befriedigen.
             (Zusatz 16: Auch diese Ableitungen treffen eher für die
             Deutsche Gesellschaft der 40er und noch der 50er Jahre
             zu, in der "DDR" bis in die 80er. Unterdessen ist der
             Mechanismus des Mitleidseffektes zur Triebbeherrschung
             in den Vordergrund getreten. Mitleid mit potentiellen Opfern
             wird als Vehikel zur Einschränkung der Freiheiten benutzt.
             Nietzsche hat bereits darauf hin gewiesen, daß der Priester
             sein Opfer krank redet und dann die Mittel zur "Genesung"
             anbietet. Die Kampagne gegen "Gewalt" mit ihren überaus
             rigiden Reglementierungsvorschlägen, bis hin zur Demontage
             der elterlichen Gewalt ist an die Stelle der Entfesselung
             sadistischer Triebe getreten, mit denen die Nazis ihre
             Macht auf der Straße begründeten. Mitlerweile werden auch
             Schwerkriminelle in den Katalog der bemitleidenswerten Opfer
             aufgenommen. Der Mörder wird zum Opfer seiner Umwelt
             stilisiert und möglichst bald therapiert oder laufen
             gelassen.)

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             - Masochismus und unterwürfiges Verhalten
             /ergänzend die Analysen 27-30/               graf7.jpg
         Graf7.pcx (20598 Byte)   
             Entstehungssituation:
             Der sexuelle a Impuls wird unterdrückt bzw. erreicht nicht
             das Lustobjekt. Der daraus gebildete b Impuls ist aggressiv,
             wird jedoch ebenso unterdrückt bzw. erreicht nicht das
             Unlustobjekt. Der daraus gebildete c Impuls erzeugt Angst
             und fällt zusammen mit Bestrafung, Selbstbestrafung oder
             Strafandrohung. Wenn körperliche Bestrafung erfolgt, wird im
             Schmerz und den Schmerzreaktionen ein großer Teil der Energie
             verbraucht. Dadurch haben die Prügel eine entladende Wirkung.
             Die Angst nimmt zugleich ab.
             Reproduktionssituation:
             Die häufige Wiederholung der Entstehungssituation hat zur
             Verinnerlichung der Art und Weise geführt, in welcher durch
             körperlichen Schmerz Energie entladen und Angst vermieden
             wird. In den Reproduktionssituationen genügt das Auftreten
             eines Lustobjekts, um die gesamte Entstehungssituation zu
             reproduzieren. Der Masochist möchte geschlagen werden, um
             von der inneren Spannung befreit zu werden. Unterwürfigkeit
             ist die mildere und als normal geltende Masochismusform.
             Bloß liegt die Entspannung nicht direkt im Schmerz sondern
             in einem Verhalten, welches Schmerzen bzw. Unbehagen als
             mildere Form verursacht. Dies nützt zugleich denen, die als
             Unlustobjekte den Mechanismus in Gang bringen.
             In der Zeichnung der Reproduktionssituation erscheint die
             Bildung von zwei Blöcken. Der näher am Kern gelegene Block
             nimmt als Hemmechanismus x die Energie des a Impulses aus,
             verwandelt sie in Aggression. Der direkt darauf liegende
             zweite Block y entsteht zeitlich gleich danach und verwandelt
             die Energie aus Block a in Masochismus.
             
             -	Identifizierung
             Identifizierung beginnt mit dem Nachahmen der Verhaltens-
             weisen, die Lust verschaffen bzw. Unlust vermeiden helfen.
             Wenn z.B. der Vater in Anwesenheit des Kindes zur Mutter
             zärtlich ist, jedoch nicht sexuell sich verhält, übernimmt
             das Kind ebenso ein zärtliches aber asexuelles Verhalten.
             Unterstützt wird das durch Bestrafung, Liebesentzug für
             sexuelle Annäherungsversuche des Kindes gegenüber den
             Eltern, anderen Erwachsenen und Kindern, und zugleich
             Zuspruch für die Reproduktion des elterlichen Verhaltens.
             Das Kind möchte wie der Vater sein, weil dadurch Bestrafung
             möglichst vermieden und Zuwendung erfahren werden kann.
             Es beginnt den Vater nachzuahmen und fühlt sich durch viele
             solcher Nachahmungen schließlich als mit dem Vater in eins,
             identisch.
                                                         230/26
             Die Bindung, welche sich durch die Identifizierung bildet,
             ist jedoch ambivalent. Einerseits ist der Vater der Unter-
             drücker bzw. beide Elternteile, andererseits ist er derjenige,
             der Lust in Form von Zuwendung vermittelt, wenn man "folgsam"
             ist. Deshalb wird nach außen hin gehorcht und nach innen hin,
             wenn es ungefährlich scheint, gehaßt. Das Verhalten ist aber
             durchgängig mehr vom Gehorchen geprägt als von der Ablehnung.
             Diese gefühlsmäßige Identifizierung ist nicht zu verwechseln
             mit der Identifikation aufgrund rationaler Denkprozesse,
             diese erfolgt erst sehr viel später.
             Während diese Identifikation korrigierbar bleibt, weil sie
             bewußt überschaubar ist, ist die gefühlsmäßige Identifizierung
             mit dem Stärkeren, dem Vater oder anderen Vaterfiguren
             unbewußt, etwas Eigenständiges in der Psyche, was den
             Betroffenen dirigiert und dessen Entscheidungen oft ohne
             sein Bemerken bestimmt.
             -	Fixierung
             Wenn ein Hemmechanismus verinnerlicht wird, dann ist das
             nicht nur im funktionellen Sinne eine Umstrukturierung der
             Energie, sondern auch ein Festhalten der Situation, in welcher
             die Verinnerlichung begann. Z.B. hat ein Kind in seinem Teddy
             ein Ersatzlustobjekt gefunden. Es ist nunmehr nicht mehr
             bereit, den Teddy gegen einen anderen, vielleicht neueren,
             einzutauschen, es ist an seinen Teddy fixiert.
             Fixierung an Lust bzw. Ersatzlustobjekte entsteht nur, wenn
             die Erlebnisse mit diesen Objekten energetisch gespeichert
             werden. Diese Speicherung bedarf aber besonderer Energien, die
             dadurch bereitgestellt werden, daß die Befriedigung nur teil-
             weise erfolgt. Die nicht zur Befriedigung verarbeitete Energie
             verankert die Situation mitsamt dem sie bedingenden Hindernis
             vor dem ursprünglichen Lustobjekt als Hemmechanismus in der
             Ichorganisation. Je weniger nun in den Reproduktions-
             situationen Befriedigung erlangt wird, umso mehr Energie muß
             anderweitig gebunden werden, umso stärker der Hemmechanismus
             und die damit gegebne Fixierung. Das ist der Grund für den
             scheinbaren Widerspruch, daß die Partner in den
             frustrierendsten Ehen auch am Festen aneinander kleben. Mit
             der Stärke der gebundenen Energie ist auch die Stärke der
             Unfähigkeit gegeben, die unbefriedigende Situation zu
             verändern.
             (Zusatz 17: Die Fixierung auf eine frühkindliche Entwick-
             lungsstufe ist das zentrale Thema der Freudschen Theorie
             der Fixierungen. Bezüglich der Energiebindung sind sie den
             oben beschriebenen Mechanismen gleich, jedoch bleiben
             sie unbewußt, weil das Bewußtsein des Kleinstkindes diese
             Vorgänge nicht sprachlich und rational speichern kann und
             ihre Auflösung Angst freisetzt. Diese Angst wird durch
             Widerstandsbildung gegen die Bewußtwerdung unterbunden.)

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             - Projektion
             Die Verdrängung der primären sexuellen Impulse erzeugt
             sekundäre.
             Die sekundären Impulse werden aber nur geduldet, wofern sie
             dem repressiven Systen dienlich sind: konsumorientierte
             Ersatzbefriedigungen, Fixierungen an Führerfiguren, subtiler
             Sadismus usw. Die als sogenannte Perversionen sich meldenden
             sekundären Impulse müssen zum Teil wiederum verdrängt werden.
             Jedoch ist die Grenze zwischen dem, was entladen werden darf
             und dem, was neuerlich verdrängt werden muß fließend.
             Z.B. darf ein Kind gehorsam sein, aber es soll nicht
             "weichlich" sein. Der Mann soll "hart" sein können, aber
             nicht zu aggressiv sein usw. Die Verdrängungen der sekundären
             Impulse sind deshalb mangelhaft, mißlingen aus doppeltem
             Grund: 1. weil nie genau bestimmt ist, wus erlaubt und was
             verboten ist und 2. weil häufig die Energiebeträge des zu
             Verdrängenden so hoch sind, daß sie die Hemmechanismen
             durchbrechen. Das "saubere", "anständige", "ehrbare",
             "tugendhafte" und "ehrliche" Ich kann mit seiner
             "dreckigen", "säuischen", "geilen" Kehrseite nur dadurch
             fertig werden, daß es die einmal bewußt gewordenen
             "Unanständigkeiten" nicht als von sich abstanmmende
             akzeptiert und sie lieber ursächlich am Anderen sieht:
             " Nicht ich bin geil, sondern. der Schwarze". Minderheiten
             sind dazu da, Projektionsleinwände für die durchbrechenden
             sekundären Impulse zu stellen. Unterstützt wird das von
             einem subjektiven Umstand, daß nämlich die "Unanständig-
             keiten" tatsächlich als von weit kommend gefühlt werden,
             weil zwischen den sekundären Impulsen und dem Bewußtsein
             Verdrängungsenergien gelagert sind. Der fühlbare Abstand
             vereinfacht die Projektion. Die Entladungen als Projektion
             sind befriedigend, weil einerseits Energiebeträge verbraucht
             werden und andererseits oft dadurch Aggressionen gegen
             Außenseiter realisiert werden, die ebenfalls befriedigend,
             weil entladend wirken. Doch die "Quellen" des Projezierten
             versiegen nicht, wenn die Projektionsleinwand ausgerottet
             worden ist, wenn alles wieder "sauber" ist. Man braucht dann
             neue Projektionsleinwände. Nach den Juden sind es die
             Kommunisten, die Langhaarigen usw., denn die energetischen
             Quellen liegen im Projezierenden selbst und nicht in seinen
             Opfern.
             Die Projektionen verhindern, daß das Ich seine eigene
             Kehrseite akzeptieren lernt, was wiederum der Aufklärung
             entgegenwirkt und letztlich die Produktion neuer sekundärer
             Impulse fördert. Die Spaltung des Ichs in einen "moralischen"
             und einen "amoralischen" Teil wird durch die Projektion auch
             dort aufrecht erhalten, wo die Auflösung der Spaltung sich
             in energetischen Durchbrüchen ankündet. "Homo Normalis" ist
             ebenso schizophren wie die Schizophrenen der "Psychatrie",
             nur weil es einen mitleren Durchschnitt dieser Spaltung gibt,
             kann sie als normal, und damit als nicht existierend empfunden
             werden. Die Projektion wirkt auflösend dadurch, daß
             projezierte Impulse nicht mehr unterdrückt werden müssen,
             denn "wenn der andere das Schwein ist, warum soll ich nicht
             ausdrücken, auskosten dürfen, wie sehr er ein Schwein ist".
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             Doch der Widerspruch zwischen Stabilisierung der
             Hemmechanismen und Gefährdung durch Projektion ist letztlich
             eingebettet in die Mechanik der Triebunterdrückung, die
             dadurch eine Legitimation erhält. 

             - Energiehaushalt
             a	Energieproduktion und Versorgung
             Bei Lebewesen im Zustand des energetischen Gleichgewichts
             ist die Energieproduktion und die Versorgung kein Problem.
             Vorkommende Störungen können von den Selbststeuerungssystemen
             ausgeglichen werden. Anders beim kultivierten Zivilisations-
             menschen, der mit der Unterdrückung seiner elementaren Bedürf-
             nisse, besonders der sexuellen leben muß.
             Die Energieproduktion läßt sich in zwei Bereiche aufgliedern:
             a	die relativ konstant produzierte Energie, die bei Tieren das
             gesammte "Normalverhalten" ermöglicht.
             b die zusätzlich produzierte Energie, die die Fluchtimpulse,
             Angriffsimpulse aber auch Annäherungsimpulse nach Bedarf
             verstärken hilft.
             Alle Probleme des Zivilisationsmenschen kommen letztlich
             von den Störungen der Selbststeuerungssysteme im Menschen
             durch die verinnerlichten muskulösen Panzerungen und Hemm-
             mechanismen.
             (Zusatz 18: Diese Aussage ist einseitig. Eine Reihe von
             Störungen der Selbststeuerungssysteme sind durch Lärm,
             nervliche Belastungen, Umweltgiftbelastungen, Schädigungen
             des Erbmaterials usw. verursacht und typische Zivilisations-
             schäden.)
             Sowohl die konstant produzierte als auch die zusätzlich
             spontan produzierte Energie wird von diesen psychischen
             Verhärtungen beeinflußt,d.h. gedrosselt  und partiell
             verstärkt. Dabei verarbeiten die lebensgeschichtlich am
             frühesten erworbenen Mechanismen mehr Energie als die
             späteren. Daher auch die Schwierigkeit, das Handeln durch
             vernünftiges Denken zu bestimmen. Die Denkmechanismen sind
             die letzte Schicht in der Ichorganisation, sie erhalten
             Restbeträge der Energie, jene, die trotz zwischengelagerter
             Hemmechanismen und Panzerungen frei verfügbar blieben.
             Die Modifikation der Entladung verändert im Laufe der Lebens-
             geschichte auch die Energieproduktion.Z.B. die dauernde
             Drosselung sexueller Impulse bei asketisch lebenden Priestern
             kann zum völligen Erlahmen der Sexualorgane führen.
             Durch die Bindung und Umstrukturieruncq der Energien wird die
             Energieproduktion mehr und mehr gedrosselt, die Energiever-
             sorgung bestimmter Organe verschlechtert bzw. ganz
             eingestellt. Dabei wird die konstant produzierte Energiemenge
             geringer, der Mensch ermüdet bzw. altert, und die spontan
             produzierte Energiemenge nimmt ab bis solche Spontanproduktion
             ganz aufhört. Die spontan produzierte Energiemenge bestimmt
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             sich aus der Art und Intensität der von außen kommenden Reize,
             /dabei gelten energetische Durchbrüche aus Stauungsenergien
             nicht als spontane Energieproduktion/. Da die Gesamtpanzerung
             der psychischen Apparatur wie ein Filter vor diesen Reizen
             wirkt, bestimmt sich die Energiemenge auch und vor allem aus
             der Intensität, mit der die Gesamtpanzerung die Sensibilität
             für die Reize abschwächt.
             Beide Bereiche der Energieproduktion wirken aufeinander.
             Die Drosselung der konstanten Energiemengen geht einher mit
             der Dämpfung spontan produzierter Impulse, während die
             spontan produzierten Energien die Mengen der konstanten
             Produktion beeinflussen.
             b Entladungsarten                        graf8.jpg
             Im Zustand des energetischen Gleichgewichts erfolgen die
             Entladungen der Energien über zwei große Bahnen: a mittels
             sexueller Befriedigungen, b mittels Selbsterhaltungsaktionen
             der Motorik. Wenn die Entladung über beide oder auch eine
             der Bahnen gestört wird, entwickelt bzw. aktiviert sich eine
             zusätzliche Bahn, die Entladungen als aggressives Verhalten
             ermöglicht. Die Entladungen erfolgen im Rhythmus des
             energetischen Gleichgewichts innerhalb des Wechsels von
             Ladung-Spannung-Entladung-Entspannung, wofern  keine Störungen
             auftreten.
        Graf8.pcx (15181 Byte)   
             Die glatte Entladung wird als breiter Pfeil dargestellt,
             der aus dem biologischen Kern kommt und zur Peripherie
             schießt und heraustritt.
             Die gehemmte Entladung wird dargestellt durch einen breiten
             Pfeil, der auf muskulöse Panzerungen und Hemmechanismen trifft,
             Energie durch Bindung verliert und als schmalerer Pfeil zur
             Peripherie schießt und hinaustritt. Der schmalere Pfeil
             steht für einen schwächer gewordenen Impuls.
             Die Blockierung der glatten ungehemmten Entladung im Menschen
             erfolgt durch die verinnerlichten Mechanismen einerseits und
             durch reale Unterdrückung andererseits. Dabei wird die neue
             agggressive Entladungsbahn fest verankert, mit der aggressives
             und pathogen-aggressives Verhalten produziert wird. Die
             gehemmte Entladung führt zu energetischen Stauungen, deren
             Umfang sich aus der Struktur der Gesamtpanzerung ergibt.
             Wenn Hemmechanismen zusammenbrechen, dann wird nicht wieder
                                                          230/30
             die alte sexuelle Entladungsbahn eingeschlagen, sondern eine
             der aggressiven Entladungsbahn naheliegende. Das weist darauf
             hin, daß die einmal verankerten Blockierungen der Entladungs-
             bahnen nicht wieder rückgängig gemacht werden können, jeden-
             falls nicht durch den Umstand, daß die Situationen sich
             ändern, die die gehemmte Entladung aktiviert hatten.
             Veränderungen der durch Blockierung entstandenen Entladungs-
             bahnen scheinen möglich durch Kompensationsmechanismen,
             /siehe weiter unten/ und solche Eingriffe, die die Basis der
             Hemmung, die Blockierung der Genitalapparatur angreifen bzw.
             auflösen.
             c Stauungszustände
             Die in den Hemmechanismen und muskulösen Panzerungen, also
             in der gesamten psychischen Triebabwehr gebundenen Energien
             sind nicht so konserviert, daß sie das psychische Geschehen
             nun unbeeinflußt ließen. Es wird nicht einmal in nur einem
             einzigen Vorgang Energie umgelenkt, wonach dann Stabilität
             erreicht würde, sondern zur Bindung der Energien in der Abwehr
             sind immer wieder neue Anstrengungen nötig. Die Mechanismen
             sind nur relativ stabil und vermögen den Zustrom der konstant
             und spontan produzierten Energien nur begrenzt zu verarbeiten.
             Es werden immer wieder Impulse freigesetzt, die nicht gebunden
             werden konnten. Wenn diese freigesetzten Impulse "Verbotenes"
             bzw. für den Betroffenen gefährliches Verhalten hervorbringen
             wollen, dann müssen neue Energiespeicher, also neue Hemmecha-
             nismen  gebildet werden, die die Entladung der Impulse in
             dieser gefährlichen Form verhindern. Insgesamt nimmt die Menge
             der gebundenen Energie, der Stauungsenergie, deshalb mit
             zunehmendem Lebensalter auch zu. Das Subjekt nähert sich mit
             jedem neu gebildeten Hemmechanismus mehr dem Starrezustand an,
             der neurotischen Starre bzw. dem Zwangscharakter.
             Die Freisetzung der nicht bindbaren Energien erfolgt vom
             Betroffenen unkontrollierbar. Intensität und Haufigkeit sind
             abhängig von der Menge der mobilisierten Energie und der Auf-
             nahmefähigkeit der Abwehr. Der meistgewählte Weg mit den
             unkontrollierten Ausbrüchen fertig zu werden, ist reaktive
             Arbeitsleistung, die zugleich bestimmte pathogen-aggressive
             Impulse verarbeiten hilft. Die Energiestauung wirkt jedoch im
             Sinne von Abstumpfung und Entsensibilisierung auf die Energie-
             mobilisation zurück. Man wird unempfindlicher gegenüber
             sexuellen und anderen Reizen. Da aber die Menge der Stauungs-
             energie mit der Zunahme der Mechanismen auch zunimmt, werden
             die energetischen Ausbrüche intensiver, oft auch häufiger,
             je umfangreicher die Abwehr wird.
             Es sieht so aus, als würden diese Ausbrüche rascher an
             Intensität gewinnen, als die Abstumpfung die Energie-
             mobilisation herabsetzt. Prototyp dafür ist der Affektmörder.
             Es handelt sich dabei oft um "friedlich" lebende Menschen,
             die plötzlich, scheinbar grundlos einen anderen umbringen.
             Es wurden da zwar die energetischen Ausbrüche durch Ausbau
             der Abwehr verhindert, aber nur bis zu dem Grad, wo ein
                                                          230/31
             einziger intensiver Ausbruch erfolgte und die Abwehr
             zusammenbrechen mußte. Der Zustand der Abwehr läßt sich daher
             von der Menge der gestauten Energie, vom Energiestauungspegel
             ableiten. Wobei das nicht das einzige Moment zur Bestimmung
             der Abwehr ist.
             /Dazu weiter unten die Ausführungen zur Gesammtpanzerung./
             Der Energiestauungspegel bestimmt sich aus drei Größen:
             1. der Menge der konstant produzierten Energie
             2. der Menge der zusätzlich produzierten Energie
             3. der Menge der frei entladbaren Energie und damit der Menge
                der Energie, die in der Abwehr gebunden ist.
             Energiemenge über mehrere Stunden: gestrichelte Linie für den
             Zustand des energetischen Gleichgewichts, durchgezogene
             Linie für den "Normalfall".
             (Zusatz 19: Das Schema zeigt ein Auf und Ab im 6 stündigen
             Wechsel für das energetische Gleichgewicht und für den
             Normalfall eine Spitze in 24 Stunden. Beide Kurven sind
             reine Spekulation. Sie dienen allein der Problematisierung
             der Energieschwankungen.)
             Die komplizierten Verhältnisse der Faktoren, die das
             Stauungspotential bedingen, führen zu scheinbar wider-
             sprüchlichen Ergebnissen. Z.B. scheint ein Widerspruch zu
             bestehen, daß eine hohe Energiemobilisation geringere
             Energieausbrüche verursacht als eine niedrigere Mobilisation.
             Das löst sich auf, wenn bedacht wird, daß die Intensität der
             Energiebindung verschieden ist. Es braucht nur im ersten
             Falle eine umfangreichere Ahvehr vorzuliegen und im zweiten
             eine sehr schwache, dann ist das geklärt. Deshalb müssen bei
             der Analyse der energetischen Zustände unbedingt alle
             Wechselwirkungen bedacht werden.
             d Auswirkung der Energiestauung auf das Verhalten am Beispiel
              d.Vermischung v.Aggression u.pathogener Aggression. graf9.jpg
         Graf9.pcx (13709 Byte)   
             A: Der Fahrer H. wird von einem anderen Fahrer beim Über-
             queren einer Kreuzung angefahren. Die Wagen halten. H. steigt
             aus und brüllt den anderen Fahrer an:" Sie Idiot, wieso
             fahren Sie bei rot mir in die Karre." Der andere brüllt
             zurück:" Sie sind bei gelb schon losgefahren, Sie sind Schuld,
             ich zeig Sie an!" H. zurück:" Auch noch frech werden, Dir
             zeig ichs." Dabei holt er aus und schlägt dem anderen die
             Faust ins Gesicht. H. verfügte über ein hohes Stauungs-
             potential, welches hier als Doppelmechanismus eingezeichnet
             ist. Aus diesem Mechanismus brechen in Form eines breiten
             Pfeils Energien durch, die sich mit den mobilisierten
             aggressiven Energien vermischen und als nun breiter Pfeil
             zur Entladung kommen. Durch den Unfall wird die Energie
             a mobilisiert, die zunächst vom Hemmechanismus aufgefangen
             wird. Der vermag aber nicht diese Energie zu binden und wird
             deshalb aktiviert. Große Mengen Energie werden als pathogene
             Aggression freigesetzt und vermischen sich mit den ebenfalls
             ausbrechenden Energien des a Impulses. Die Energiemenge c
             setzt sich zusammen aus gerade mobilisierter und aus Stauung
             freigesetzter Energie.
             
                                                        230/32
             B  Die gleiche Situation wie in A, jedoch mit Menschen ohne
             Stauungsenergie. Der Fahrer würde im ersten Schreck vielleicht
             schimpfen, dann aber in der Lage  sein, sachlich mit dem
             anderen zu reden. Die mobilisierte Energie a würde ohne
             Zusatz anderer Energien entladen. Dabei käme es nicht zu
             Energieausbrüchen wie in A. Der Pfeil wäre gleichmäßig
             breit.
             e Energieverbrauch -bindung, -umlenkung der
               Hemmechanismen
             y ist der primäre sexuelle Impuls von hier 8 Energieeinheiten.
             In  seine Entladungsbahn ist der Mechanismus zur Erzeugung
             pathogener Aggression eingeschaltet und aktiviert.
             Dieser Hemmechanismus lenkt nun 4 Einheiten als u so um,
             daß aggressivec Verhalten entsteht und nicht das Verhalten,
             welches ohne Umlenkung auftreten würde.
             Der Hemmechanismus braucht für seine Erhaltung und die
             Erhaltung der angekoppelten muskulösen Verkrampfungen
             2 Einheiten, hier als g eingezeichnet. Diese Energien sind
             gebunden und treten nicht mehr in einer Entladungsart auf.
             2 weitere Einheiten die zur Kommunikation der Mechanismen
             untereinander in der Abwehr benötigt werden und als Angst
             Energie freisetzen.
             Hier wurde angenommen, daß der Mechanismus die mobilisierten
             Energien vollständig verarbeiten kann, was aber nicht
             generell so sein muß. Ab einer bestimmten Enerniemenge,
             die ihnen zugeführt wird, treten Auflösungen auf, bzw.
             Übergangsformen. Dadurch verändern sich dann die Relationen
             der Arten der Energieverarbeitung. Ob bei einer Auflösung die
             gebundenen Energien ganz oder nur teilweise mit entladen
             werden, kann ich hier nicht klären. Die Zunahme der
             Ausbruchsintensität bei Regressionen läßt aber den Schluß zu,
             daß zumindest teilweise bei Auflösungen diese Energien
             entladen werden.
             - Funktionsweise der Hemmechanismen
             a allgemein
             Hemmechanismen haben die Funktion primäre Bedürfnis-
             befriedigungen, vor allem sexuelle zu vereiteln. Die
             lebensgeschichtlich ersten Erwerbungen von Hemmechanismen
             liegen in der frühen Kindheit zwischen 0 - 5 Jahren.
             Da das Wachbewußtsein erst allmählich in dieser Zeit
             entwickelt wird, vermag es nicht, die Hemmechanismen seinem
             Bereich zu integrieren. Aber auch solche Hemmechanismen, die
             erworben werden, wenn das Wachbewußtsein entwickelt ist,
             bleiben regelmäßig unbewußt, weil sie ihrer Integration und
             Auflösung Widerstände entgegensetzen. Integration und
             Widerstand gegen Auflösung gehören zusammen für fast alle
             Hemmechanismen, weil sie rational sich nicht legitimieren
             lassen. Woher stammen diese Widerstände ? Hemmechanismen
             lenken primäre Impulse um. Was aber als umlenkende Kraft
                                                           230/33
             wirkt, muß zuerst erzeugt werden. Der reale Druck in den
             Situationen, die zur Verinnerlichung von Hemmechanismen
             führen, bewirkt, daß die primären Impulse aufgespalten
             werden und die in ihnen mobilisierte Energie sich gegen sich
             selbst wendet. Es entsteht eine kreisförmige Energie-
             zirkulation, in der einerseits bestimmte Quantitäten
             gebunden werden, und andererseits eine Kraft gebildet wird,
             die den primären Impuls von seiner ursprünglichen
             Entladungsbahn ablenken kann, wodurch ein neues Verhalten
             entsteht. Diese Kraft, ein Energiebündel, ist kein "geistiges
             Produkt" und auch keine bloße Umstrukturierung im Gehirn
             sondern regelmäßig eine muskulöse Verkrampfung, in der
             Energiemengen gebunden werden können.
             Ein entsprechender Vorgang im Gehirn gehört dazu, weil
             die Steuerung des neuen Verhaltens nicht allein von der be-
             troffenen Muskelpartie ausgehen kann.
             In den Entstehungssituationen erfolgen die Verkrampfungen als
             Schreckreaktionen gegenüber realen Bedrohungen. Die Bedrohung
             bedeutet Energiemobilisation zwecks Produktion von Flucht-
             verhalten. Das ist jedoch bald abtrainiert. Die mobilisierte
             Energie kann zunächst nicht verarbeitet werden und erzeugt
             deshalb als frei flottierende Angst. Die Schreckreaktion und
             die zugleich mit ihr auftretende muskulöse Verkrampfung ver-
             arbeiten die mobilisierten Energien durch Bindung und
             Umstrukturierung, so daß die Angst gemildert wird oder ganz
             schwindet. Die Bindung der Energie ist jedoch nicht von
             Dauer. Es erfolgen energetische Durchbrüche, die wieder
             Angst erzeugen, was eine erneute Reproduktion der Schreck-
             reaktion zur Folge hat, solange bis die Verkrampfungen
             chronisch wirken und eine relative Stabilität erreicht wird.
             Wenn jedoch mehr Energie mobilisiert wird als in davor-
             liegenden Situationen durch Hemmechanismen verarbeitet
             werden konnte, kommt es zu Durchbrüchen und zur Bildung neuer
             Verkrampfungen und neuer Hemmechanismen.
             Die Verarbeitung der primären Impulse durch Hemmechanismen
             und Verkrampfungen hat zur Folge, daß kein Verhalten
             entwickelt werden kann, welches der direkten Entladung des
             primären Impulses entspräche. Daher wird in den
             Reproduktionssituationen die Verarbeitungsweise wiederholt,
             die eingeübt werden konnte: die Umstrukturierung durch
             Hemmechanismen.
             Die Auflösung der Hemmechanismen wird durch zwei Vorgänge
             verhindert, deren erster eben genannt wurde: es gibt keine
             Möglichkeit sich anders zu verhalten, weil ein anderes
             Verhalten nicht bekannt ist. Der schwerwiegendere Vorgang
             ist der Umstand, daß die Auflösung der Energiebündel zur
             Freisetzung von Enengie, also zunächst zur Angst führt.
             Die Angst erzeugt aber genau die Reaktionen, die die Ent-
             stehung der Hemmechanismen bedingten, sodaß am Ende wieder
             das produziert wird, wogegen sich der Versuch richtete.
             Anmerkung zu Freud: Die Freudsche Einteilung in Es, Ich,
             Überich sowie: unbewußt, latent bewußt und wachbewußt, kann
             nicht übernommen werden. Das Freudsche "Es" ist ein
             Konglomerat von primären und sekundären 
                                                          230/34
             Bedürfnisstrukturen. Es hat aber keine Entsprechung in der
             Wirklichkeit.
             (Zusatz 20: Hierzu Zusatz 4 und die Fortsetzung der
             Strukturmodelle von 2000 )
             Unter "Es" sind Prozesse summiert, die funktional getrennt
             werden müssen. Z.B. gehört für Freud der aggressive Impuls
             ebenso zum Es wie der sexuelle. Aber der aggressive Impuls
             gehört nicht zur primären Bedürfnisstruktur, so daß er vom
             sexuellen auch begrifflich geschieden werden muß.
             Nach dem Grundmodell gehört der sexuelle Impuls zum
             biologischen Kern, der aggressive aber zur Ichorganisation
             bzw. bei Tieren zur Organisation der sekundären Verhaltens-
             weisen. Indem Freud beides unter dem "Es" zusammenfaßt,
             verschwindet die Möglichkeit, pathogene Aggression zu
             begreifen. Logischerweise mußte ihm deshalb in seinen Spät-
             schriften alles durcheinandergehen: auch was er selber einmal
             klar sah. Aus der Aggression, die durch Frustration entsteht,
             wurde schließlich der Mythos vom Todes- und Destruktionstrieb.
             Ebenso ist die Konstruktion des "Überich" unbrauchbar. Es
             gibt keine Instanz, die dem Ich gegenübertritt und als eine
             Art zweites Subjekt das Verhalten bestimmt. Gewissen bzw.
             ähnliche, dem Überich zugeschriebene Funktionen setzen sich
             zusammen aus verschiedenen Mechanismen, die dem Betroffenen
             unüberschaubar sind. Der "Gewissensbiß" und das "Überich"
             sind mißlungene Versuche, diese Mechanismen als eine
             separate Instanz zu bregreifen, wobei gerade die Frage der
             einzelnen Funktionen unter den Tisch fällt. Das "Überich"
             wird zum Mythos und trägt als oft verwendete Leerformel zur
             allgemeinen Verwirrung in der Tiefenpsychologie bei.
             
             Entstehung und Funktionsweise der Hemmechanismen
                                                          graf11.jpg
       graf11a.gif (7126 Byte)
       graf11b.gif (8618 Byte)
          Zu 1:
             Der primäre Impuls a richtet sich in der Form von
             Annäherungsverhalten auf das Lustobjekt um mit ihm sexuelle
             Befriedigung zu erlangen. Vor dem Lustobjekt ist aber ein
             HindernIs aufgerichtet, so daß der Impuls a nicht realisiert
             werden kann. Z.B.: Ein Junge von 4 Jahren zeigt gegenüber dem
             Lustobjekt, der Mutter (Zusatz 21: oder einer anderen Frau)
             Annäherungsverhalten. Sobald dieses eindeutig sexuell gefärbt
             wird, unterliegt es der Unterdrückung von Seiten der Eltern.
             Liebesentzug oder Strafandrohung bilden ein Hindernis, welches
             die sexuelle Befriedigung vereitelt. Das Hindernis erzeugt
             also einen Konflikt zwischen sexuellem Wunsch und der zu
             erwartenden Unlust, die folgt, wenn der Wunsch nicht auf-
             gegeben wird.
             Zu 2:
             Der Konflikt K 1 wird hier so bewältigt, daß der sexuelle
             Wunsch und mit ihm der Impuls a verdrängt wird. Diese
             Verdrängung erfolgt dadurch, daß die Energie gegen sich selbst
             gerichtet wird, den a Impuls aufspaltet und einen neuen, vom
                                                           230/35
             ursprünglichen Ziel abgelenkten sekundären Impuls b hervor-
             bringt. Dieser sekundäre Impuls richtet sich als aggressive
             Verhaltensweise gegen das nächstliegende Unlustobjekt. Das
             könnte z.b. der Vater sein.
             Zu 3:
             Die Umstrukturierung des a Impulses zum sekundären b Impuls
             kann sich in der Form eines selbstständigen Hemmechanis-
             musses verankern, wenn die oben beschriebene Situation häufig
             auftritt und das aggressive Verhalten nicht in eine, letztlich
             doch noch erreichbare Befriedigung mit dem Lustobjekt
             einmündet. Wenn sich ein Hemmechanismus verankert hat, kann
             das reale Hindernis abgeschwächt werden oder auch fortfallen;
             es wird dennoch der sexuelle a Impuls zum agggressiven
             b Impuls unstrukturiert. Hier darf der aggressive b Impuls
             nicht realisiert werden. Entsprechendes Verhalten wird durch
             Strafe oder Strafandrohung vereitelt. Wiederum erfolgt eine
             Aufspaltung der Energie, indem der b Impuls sich gegen sich
             selbst wendet. Der Konflikt K 2 zwischen dem Aggressions-
             wunsch und der Strafe, die erfolgen würde, wenn das
             aggressive Verhalten nicht aufgegeben wird, führt hier zur
             Au£gabe des aggressiven Verhaltens. Die Umstrukturierung des
             b Impulses zum c Impuls erzeugt nun unterwürfiges bzw.
             masochistisches Verhalten, welches nicht mehr durch
             Hindernisse an der Realisierung gehindert wird.
             Zu 4:
             Die Umstrukturierung des b Impulses zum c Impuls erfolgt hier
             automatisch durch einen verinnerlichten Hemmechanismus, der
             auch dann unterwürfiges Verhalten erzeugt, wenn die
             Behinderung gegenüber sexuellem und aggressivem Verhalten
             fortgefallen ist. Man sieht zwei Hemmechanismen, die beide
             durch häufige Wiederholung der Entstehungssituationen
             entstanden sind und nun ein Verhalten im Sinne des c Impulses
             erzeugen, obschon ein anderes Verhalten möglich wäre.
             Energetische Entladungsversuche sind die Folge einerseits
             einer Bedürfnisspannung, andererseits eines Anreizes von außen
             oder aus der Person selbst. Dabei werden die in den Entladungs-
             bahnen eingebauten erworbenen Hemmechanismen aktiviert und
             sekundäre Impulse aus den primären erzeugt. Bei den sexuellen
             Impulsen ist leicht festzustellen, welche Hemmechanismen in
             welchen Situationen aktiviert werden. Innere Spannung und
             äußere Anreize stehen zueinander im funktionalen Bezug:
             Je höher die innere Spannung, umso geringer muß der äußere
             Anreiz sein, damit der Entladungsversuch erfolgt; und
             umgekehrt: je geringer die innere Spannung, umso stärker muß
             der äußere Anreiz sein, damit es zum Entladungsversuch kommt.
             Jedoch ist der Entladungsversuch nicht gleichzusetzen mit dem
             Verhalten, weil die Abwehr Energien bindet und dabei nicht
             alle Energie zu sichtbarem Verhalten umgesetzt werden kann.
             Durch die Stauungsenergie bestimmt sich die Größe der inneren
             Spannung nicht mehr allein aus Anreiz und konstant
             produzierter Energie. Bei sehr hohen Stauungspotentialen wird
             der Auslöser relativ unbedeutend, weil schon geringfügige
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             Reize von Außen genügen um Entladungsversuche anzuregen.
             Dabei wirft sich die Frage auf, durch welche Umstände die
             Hemmechanismen aktiviert werden. Einerseits, wie bereits
             ausgeführt, durch die Reproduktionssituationen, aber
             vermutlich auch dann, wenn in der Abwehr solche Mechanismen
             aktiviert werden, die im funktionalen Zusammenhang mit anderen
             Mechanismen stehen. Z.B  würde die Aktivierung masochistischer
             Verhaltensweisen auch zu aggressiven Nuancen führen, wenn es
             einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Masochismus-
             mechanismus und dem Aggressionsmechanismus gäbe.
             Die Hemmechanismen werden eben nicht nur dann aktiviert
             wenn die Entstehungssituatienen reproduziert werden, sondern
             auch, wenn durch den funktionalen Zusammenhang Querver-
             bindungen zu benachbarten aktivierten Mechanismen geschaffen
             werden.
             Die einfache Beobachtung hilft insofern weiter, als zu sehen
             ist, daß in relativ ähnlichen Situationen verschiedene
             Menschen auch verschieden reagieren. Die erste Antwort dafür
             wären Differenzen des energetischen Stauungspotentiales,
             gesetzt es handelt sich beim Vergleich um die Aktivierung
             der gleichen Mechanismen. Der eine mag mehr in sich zurück-
             gestaut haben, der andere weniger. An der Heftigkeit von
             Wutausbrüchen kann man sehen, daß zuweilen einer, der leicht
             aufbraust bei bestimmten Anlässen ruhig bleibt, während ein
             anderer gerade bei diesen Anlässen "hochgeht", mag er sonst
             der ruhigere Typ sein. Es entscheiden da offensichtlich nicht
             nur die Stauungsmengen, sondern auch die Art und Weise, in der
             die Hemmechanismen in der Abwehr eingebaut sind: die Art und
             Weise ihrer Verknüpfungen mit anderen Mechanismen.
             Der erste Aspekt ist der energetische, dieser neue wäre der
             topologische. Nur unter Hinzuziehung des topologischen Aspekts
             können bestimmte Unterschiede im Verhalten begriffen werden.
             Die Größe der Hemmechanismen bestimmt sich also aus:
             1. der Menge der gestauten und umstrukturierten Energie
             2. der topischen Ausdehnung im psychischen Apparat, d.h.
             der Summe der Verknüpfungen, die zur Aktivierung des
             jeweiligen Mechanismusses führen können.

             b Erwerbung von Hemmechanismen in den verschiedenen
               Lebensaltern
             Hemmechanismen können in jedem Lebensalter erworben werden,
             wenn auch die entscheidendsten in der frühen Kindheit
             verinnerlicht werden. Die psychoanalytischen Materialien
             lassen den Schluß zu, daß die in den Hemmechanismen gebundene
             Energiemenge bei angenommen gleichen Entstehungssituationen
             für jedes Lebensalter unterschiedlich ist, zumal ja die
             Ichorganisation mitsamt ihrer Abwehrformation die Dynamik
             der Verinnerlichung jeweils mitbestimmt. Demnach sind dIe
             ältesten Hemnnechanisnen energiereicher als die jüngeren.

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             c Verstärkung von Hemmechanismen durch wiederholte
               Reproduktionssituationen
             In Reproduktionssituationen werden die Mechanismen
             aktiviert und dabei führt der "Erfolg" dieser Aktivierung zu
             einer Verstärkung der Hemmechanismen und des ihnen zuge-
             hörenden Verhaltens. Die Hemmechanismen werden im Laufe
             der häufigen Wiederholungen der Reproduktionssituationen
             energiereicher.
             d Abschwächung micht aktivierter Hemmechanismen im Laufe
               des Lebens
             Hemmechanismen, die nicht in Reproduktionssituationen
             aktiviert bzw. die so selten aktiviert werden, daß ihre
             Abschwächung nicht deutlich gebremst wird, verlieren im
             Laufe der Jahre an energetischem Umfang.
             (Zusatz: 22 Eines der wichtigsten Theoreme der Struktur-
             modelle. Es eröffnet das Verständnis verschiedener, von der
             Psychoanalyse Freuds abweichenden Beobachtungen.)
             e Die Verhältnisse zwischen:
               Erwerbung-Verstärkung
               Erwerbung-Abschwächung
               Verstärkung-Abschwächung
             Die idealisierten Kurven verdeutlichen folgende Hypothesen:
             Je älter der Mensch ist, wenn er einen Hemmechanismus erwirbt,
             um so weniger Energie kann mit ihm gebunden werden. Da die
             Zahl der möglichen Reproduktionssituationen mit steigendem
             Alter abnimmt, gerechnet vom Zeitpunkt der Verinnerlichung
             bis zum Tode, können spät erworbene Hemmechanismen nie so
             große Energiemengen binden, wie entsprechende, aber früher
             erworbene Mechanismen. Dabei vorausgesetzt, daß die Zahl der
             Reproduktionssituationen pro Lebensjahr für jedes ungefähr
             gleich ist. Die in der frühen Kindheit erworbenen
             Hemmechanismen können daher die größten Energiebeträge binden,
             einerseits, weil noch viele Lebensjahre mit vielen
             Reproduktionssituationen folgen können, andererseits, weil
             bereits die Verinnerlichung mit hohen Energiebeträgen erfolgt
             ist.
             Die relativ spät erworbenen Hemmechanismen unterliegen aller-
             dings nicht einer so lange wirkenden Abschwächung wie die früh
             erworbenen. Dafür sind die früh erworbenen energiereicher, und
             die Abschwächung muß lange Zeit wirken, bis sie deutlich
             wird.
             Die Menge der Reproduktionssituationen, bei je ähnlicher
             Intensität der Reproduktion, und damit die Verstärkung der
             Hemmechanismen, kann von der Abschwächung vollkommen
             neutralisiert werden, so daß der Hemmechanismus in jedem
             Lebensalter energetisch gleich stark ist. Das wäre der Fall,
             wenn die beiden Kurven: "Verstärkung" und "Abschwächung"
                                                           230/38
             zugleich zuträfen. Wenn z.B. im Alter von 25  Jahren die
             Verstärkung + 2 Einheiten und die Abschwächung - 2 Einheiten
             betrügen, dann wäre der Mechanismus energetisch unverändert
             geblieben, obschon Reproduktionssituationen durchlebt worden
             waren. Dieser Fall dürfte nur sehr selten vorkommen.
             In der Regel genügen nämlich nur wenige Reproduktions-
             situationen, um zu einer Verstärkung des Hemmechanismusses
             zu führen. Die Abschwächung könnte nur auftreten, wo so gut
             wie nie Reproduktionssituationen vorkommen.
             - Kompensationsmechanismen: a energiebindende   graf12.jpg
Graf12.pcx (20796 Byte)             
      
             A: In diesem Modell würde sexuelles Annäherungsverhalten
             auftreten, daß jedoch durch den  Hemmechanismus zu pathogen
             aggressivem Verhalten umstrukturiert wird. Erfahrungen und
             Einsichten haben jedoch hier dazu geführt, daß das Verhalten
             begrenzt gesteuert wird und nicht gemäß der b Richtung
             pathogen aggressiv bleibt. Das Verhalten wird durch
             Kompensation der b Richtung in die c Bahn gelenkt und ist
             dadurch weniger aggressiv aber etwas mehr sexuell gefärbt.
             Der Kompensationsmechanismus bindet Energien, so daß die
             Entladung c gegenüber der b Entladung energetisch schwächer
             ausfällt. Das ist Z.B. gegeben, wenn man "sich beherrscht",
             also einen bevorstehenden Aggressionsausbruch in sich
             zurückhält oder in seiner Aggressivität bremst.
             Der Hemmechanismus bindet Energien, so daß die b Entladung
             schwächer ist als die a Entladung. Die Kompensation bindet
             weitere Energien, so daß es sich um eine energiebindende
             Kompensation handelt.
             (Zusatz 23: Wenn der dem Aggressionsmechanismus aufgesetzte
             Kompensationsmechanismus energetisch schwach in Relation zum
             Aggressionsmechanismus ist, wird die Ablenkung vom
             aggressiven Verhalten schwächer ausfallen, als bei einem
             relativ energiereichen Kompensationsmechanismus.)
             B:	Hier die Fortsetzung der unter A begonnenen Kompensation.
             Es wird ein größerer Energiebetrag der b Richtung gebunden
             und dadurch die Entladungsrichtung noch mehr der ursprüng-
             lichen sexuellen angenähert. Das Verhalten ist sexuell
             -aggressiv. Z.B. da gegeben, wo pathogen aggressive Aktionen
             sehr stark sexuellen Charakter tragen: Schläge auf den Po
             oder aggressiv gefärbte Zärtlichkeiten: Kratzen beim
             Streicheln.
             - Kompensationsmechanismen: b energiefreisetzende
             C: Hier würde sexuelles Annäherungsverhalten auftreten,
             wenn nicht der Hemmechanismus in der a Entladungsbahn läge.
             Das Verhalten ist der b Bahn gemäß pathogen aggressiv, aber
             durch Erfahrungen und Einsichten zur c Bahn kompensiert. Diese
             Kompensation färbt aber das aggressive Verhalten nicht nur
             sexuell wie in A und B, sondern es finden tatsächlich sexuell
             befriedigende Aktionen statt, so daß ursprünglich im
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             Hemmechanismus gebundene Energien freigesetzt und entladen
             werden können. Der Kompensationsmechanismus bindet keine
             Energien zusätzlich sondern setzt Energien frei. Es handelt
             sich daher um eine energiefreisetzende Kompensation.
             D: Hier die Fortsetzung der unter C begonnenen Kompensation.
             Das Verhalten ist eindeutig sexuell und lediglich noch etwas
             aggressiv gefärbt. Dabei werden die im Hemmechanismus
             gebundenen Energien in sexuellen Entladungen fast gänzlich
             verbraucht. Das ist gegeben, wenn durch Erziehung bedingte
             sexuelle Blockierungen abgebaut werden konnten und sexuelle
             Befriedigung möglich ist. Die Entladung der c Bahn ist
             energiereicher als die der b Bahn, wenn auch noch schwächer
             als die der ursprünglichen a Bahn.
             - Rationalisierungsmechanismen
             Die Rationalisierungsmechanismen sind die Teile der Abwehr,
             die in den bewußten Bereich der Ichorganisation hineinragen
             und dem Betroffenen als rationale Denkmechanismen, also als
             "normaler" Teil seines Ichs vorkommen. Sie haben die Funktion,
             die von den Hemmechanismen gesteuerten Handlungen und
             Vorstellungen dem bewußten Bereich akzeptabel bzw. notwendig
             erscheinen zu lassen. Hier sieht man einen Rationalisierungs-
             mechanismus, der dem Hemmechanismus "pathogene Aggression"
             aufgesetzt ist und die aggressiven Handlungen und
             Vorstellungen dem bewußten Teil des Ichs als etwas rational
             Notwendiges vorstellt. Z.B. ein sexuell unbefriedigter junger
             Mann trifft täglich an seiner Arbeitsstelle im Büro eine
             hübsche junge Frau. Er wagt aber nicht sie anzusprechen.
             Seine Lust auf diese Frau wird nun durch den verinnerlichten
             Hemmechanismus der pathogenen Aggression in Haß umgewandelt,
             der jedcch nicht offen ausgelebt werden kann. Der junge Mann
             verwandelt seine Aggressionen in subtile Sticheleien und
             solche Aggressionen, die im Rahmen des Büros erlaubt sind.
             Wenn die junge Frau sich vertippt, dann schreit er sie sehr
             heftig an usw. Der Rationalisierungsmechanismus vermag, die
             ihm aufkommenden Zweifel zu zerstreuen, ob sein Verhalten
             angemessen ist. Der junge Mann sagt dann zu sich selbst
             vielleicht:" Gestern hab ich ihr noch ruhig gesagt der Brief
             an Y wäre sehr wichtig und muß vollkommen fehlerfrei sein,
             und heute hat sie dennoch einen dicken Fehler gemacht.
             Nachdem ich sie angeschrien habe ging es ohne Fehler. Die
             braucht ab und zu eine feste Hand."
             Der Rationalisierungsmechanismus rationalisiert die vom
             Hemmechanismus gesteuerte Handlung. Dadurch wird die pathogene
             Entladungsbahn verstärkt, denn es sind ja mit der
             Rationalisierung Gründe gefunden, die die pathogene Handlung
             rechtfertigen.
             Mit der Zeit können deshalb die pathogenen Entladungen
             verstärkt stattfinden. Es kommt vielleicht zum Ausbau des
             entsprechenden Hemmechanismusses der "pathogenen Aggression".
             Im Modell der vorigen Seite ist die Entladung auf der a Bahn
             durch den Hemmechanismus blockiert. Es finden deshalb die
                                                              230/40
             Entladungen auf der aggressiven b Bahn statt. Mit der
             Erwerbung des Rationalisierungsmechanismusses kann die
             Entladung der b Bahn intensiviert werden. Das heißt hier, daß
             die Umformungen der sexuellen Impulse zu pathogener Aggression
             dem bewußten Teil der Ichorganisation mehr und mehr rational
             berechtigt erscheinen. Dadurch können situationsbedingte oder
             anderweitig vorhandene Hemmungen gegenüber aggressiven
             Aktionen abgebaut und das Verhalten im aggressiven Sinne
             verstärkt werden. Die Entladungen unter dem Einfluß eines
             Rationalisierungsmechanismusses finden auf der c Bahn statt,
             als eine dynamisch verstärkte Aggression. Wenn das Verhalten
             der b Bahn ambivalent war, das heißt hier, daß noch sexuelle
             Komponenten vorlagen, so führt die Verschiebung der Entladung
             zur c Bahn dazu, daß die sexuellen Teile mehr und mehr ver-
             schwinden und das Verhalten eindeutiger aggressiv wird.
             Im Gegensatz dazu der Kompensationsmechanismus: Er bewirkt,
             daß die Entladungen der ursprünglichen a Bahn angenähert
             werden, was hier bedeutet, daß das Verhalten die aggressiven
             Komponenten verliert und sexuell wird.
             Rationalierungs- und Kompensationsrmechanismen gibt es nicht
             nur als Überbau zum Hemmechanismus der pathogenen Aggression.
             Auch alle anderen Hemmechanismen können rationalisiert
             bzw. kompensiert worden. Der Mechanismus der pathogenen
             Aggression ist der erste Hemmechanismus in der menschlichen
             Lebensgeschichte überhaupt, weshalb er relativ einfach im
             Modell erklärt werden kann. Die anderen Hemmechanismen sind
             komplizierter in der Abwehr eingebaut. Sie tauchen deshalb
             hier nicht als Beispiele auf. Das wird erst möglich, wenn die
             nachfolgenden Ausführungen zur Verschachtelung der Abwehr,
             der Schichten in der Ichorganisaticn usw. besprochen worden
             sind.
             - Steuerungsproblene der Denkmechanismen
             Bewußtes begriffliches Denken erwerben sich die Menschen
             unseres "Kulturkreises" und auch darüber hinaus erst, nachdem
             bereits muskulöse Panzerungen und Hemmechanismen verinnerlicht
             worden sind. Der Aufbau der Ichorganisation erfolgt nicht
             gemäß den Bedürfnissen der Menschen, sondern vor allem gemäß
             den Bedürfnissen der repressiven Gesellschaft. Daher ist die
             Ichorganisation nicht rational strukturiert, sondern es gibt
             nur partiell rational strukturierte Bereiche, eine mehr oder
             minder entwickelte oberflächliche rationale Schicht. Der
             Ausbau dieser Schicht wird in erster Linie durch die verinner-
             lichten Hemmechanismen verhindert; je nach Klassenlage kommen
             dazu die Einflüsse der Manipulationsindustrien. Die Hemmechan-
             ismen verstärken jeden sie berührenden Gedanken energetisch
             negativ oder positiv. Ein Gedanke der ein einem Hemmechanismus
             konformes Verhalten hervorbringt, wird mit positiven Gefühlen
             besetzt, ein Gedanke der die Produktion des Hemmechanismusses
             einzuschränken droht, wird durch Ängste unterbunden bzw. in
             seiner Richtung umgekehrt oder aber "kalt", d.h. er geht den
             Betreffenden nichts mehr an, bleibt für das Verhalten
             unwirksam. Das geht einher mit vielfältigen Verdrängungs-
                                                            230/41
             und Rationalisierungsprozessen, die den Eindruck erwecken, es
             handele sich um rationale Gedanken und rationale Handlungen
             des Menschen. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich dann, daß es
             sich um eine Scheinrationalität handelt bzw. eine Rationalität
             der perfekten Anpassung. Der gesellschaftliche Widerspruch
             zwischen elementaren Bedürfnissen und der Verweigerung ihrer
             adäquaten Befriedigung, führt im "psychischen Bereich", also
             im Menschen selber ebenso zu Widersprüchen, so daß tatsächlich
             auch solche rationalen Mechanismen entwickelt werden, die die
             Befriedigung dieser elementaren Bedürfnisse anstreben. Es
             zeigt sich dabei häufig, daß die richige Einsicht nicht in die
             Tat umgesetzt werden kann. Der Grund dafür ist, daß die Denk-
             mechanismen energetisch viel schwächer besetzt sind als die
             Hemmechanismen. Dafur gibt es wiederum Gründe: Einerseits,
             weil die Denkmechanismen in der Regel erst sehr spät erworben
             werden und daher die Energieversorgung dwrch die zwischen-
             gelagerte Abwehr erschwert wird, andererseits, weil die
             rationalen Denkmechanismen nicht über Energiereservate
             verfügen wie die Hemmechanismen, nämlich in Form der
             muskulösen Panzerungen.
             Dennoch entwickeln viele Menschen Methoden, mit denen auch
             solche schwer durchsetzbaren Gedanken in die Tat umgesetzt
             werden können. Eine dieser Methoden ist die Bildung von
             Kompensationsmechanismen. Es werden behutsam solche
             Erfahrungen gemacht, die die energetische Basis der Abwehr
             unterhöhlen. Dabei ist jeder Schritt so klein bemessen, daß
             er gegen die inneren Hemmungen doch durchgesetzt werden kann.
             Eine andere Methode ist die Zuhilfenahme der Abwehr selbst.
             Bestimmte Hemmechanismen werden aktiviert um die Funktion
             anderer zu unterbinden. Das geschieht in der Regel so, siehe
             Modell B nächste Seite, daß der Betroffene sich in eine
             Situation begibt, die den Hemmechanismus, der abzubauen ist,
             zunächst nicht aktiviert. In dieser Situation wird dann ein
             anderer Hemmechanismus aktiviert, der verhindert, daß der
             abzubauende in Aktion tritt.
             Zum Beispiel hier B: Gehard hat Hemmungen Mädchen anzu-
             sprechen oder sich mit ihnen zu treffen. Trotz seiner 25 Jahre
             hatte er noch keinen sexuellen Kontakt mit ihnen. Der Grund
             dafür ist ein starker, auf Lustangst aufgebauter Mechanismus,
             in A und B: M 1, welcher pathogene Aggression hervorbringt,
             wenn Lust mobilisiert wird. Wofern er diese Aggressionen
             unterdrükt, entsteht Angst. Diese Angst bringt Ihn stets dazu
             wegzulaufen, wenn sich eine Gelegenheit bietet, mit einem
             Mäddchen Kontakt zu bekommen. Es kommt eines Tages über sein
             Problem zu einem Gespräch mit einem engen Freund. Dieser nimmt
             ihn daraufhin mit zu einem Tanzlokal. Im Laufe des Abens kommt
             es zur "Damenwahl", bei der auch Gerhard zum Tanz aufge-
             fordert wird. Da er Angst hat sich ungeschickt zu benehmen,
             lehnt er die Aufforderung ab. Dadurch entsteht Empörung unter
             seinen Tischnachbarn, so daß Gerhard die zweite Aufforderung
             zum Tanz annimmt. Er kommt mit dem Mädchen beim Tanzen ins
             Gespräch, was ihn sehr ermutigt.
             Gerhard hat gespürt, daß es eine Chance für ihn bedeutet,
             wenn er mit dem Freund in das Tanzlokal geht. Der Denkmecha-
             nismus D im Modell A, bewirkt eine Beeinflussung der Richtung
                                                           230/42
             b. Das Vorhaben selbst hat natürlich nicht in dem Maße Angst
             erzeugt wie der unmittelbare Kontakt zu einem Mädchen.
             M 1 wird daher nIcht voll aktiviert. Gerhard konnte auch nicht
             wissen, daß er gezwungen sein würde, seine Ängste später
             völlig zu überwinden. Als es zur Aufforderung zum Tanz kommt,
             wird die Abwehr M 1 aktiviert, jedoch wird bei der zweiten
             Aufforderung aufgrund der Empörung der Nachbarn ein zweiter
             Hemmechanismus M 2 aktiviert, welcher ein Verhalten im Sinne
             der Abwehr und M 1 unmöglich macht weil Gerhard Angst hat
             noch einmal unhöflich aufzufallen. So wird er gezwungen seine
             Angst zu überwinden. Der Hemmechanismus M2, welcher Angst vor
             unhöflichem Auffallen erzeugt, steuert gegen den Hemmechanis-
             mus M1, welcher die Fluchttendenz beim Herannahen des Mädchens
             erzeugte. Das Verhalten wird nun im Sinne des Denkmechanis-
             musses D geprägt, der zum Inhalt den Wunsch hat, mit einem
             Mädchen Kontakt zu bekommen. Dieser Denkmechanismus allein
             wäre energetisch zu schwach gewesen, um die Angst aus M1 zu
             überwinden. Erst die "Abwehr gegen Abwehr Steuerung" durch
             M2 gegen M1 vermag die Energien umzulenken.
             - Erwartungshaltungen
             Lernen, Verhaltensänderungen und etwas Erwarten können,
             gehören zusammen. Beim Lernen und den Verhaltensänderungen
             wird die Mitwirkung der unbewußten Bereiche der Ichorgani-
             sation nicht ohne weiteres sichtbar. Es scheint, daß wir
             hauptsächlich bewußt lernen und bewußte Erfahrungen machen,
             und demzufolge unsere Erwartungen auch bewußte Erwartungen
             wären. Das ist aber nicht so. An einfachen Beispielen wird
             das sichtbar: Der Eine ist beim nächtlichen Gewitter sehr
             ängstlich und zeigt entsprechende ängstliche Erwartungs-
             haltungen, ein Anderer fürchtet sich aber kaum. Jede
             Erwartungshaltung für sich betrachtet, könnte als bewußte
             Erwartung verstanden werden. Eine von beiden ist aber
             irrational, weil die äußeren Anlässe, wie hier im Beispiel,
             gleich waren. Entweder verhält sich hier der Ängstlichere
             rational oder aber der andere. Warum dieses verschiedene
             Erwartungsverhalten bei den gleichen äußeren Anlässen ?
             Davon ausgehend, daß bei diesem Beispiel beide die gleichen
             praktischen Erfahrungen mit Gewittern gemacht haben, muß der
             Unterschied in den Betroffenen selber zu suchen sein.
             Rasches Auftreten von Angst weist auf viel frei flottierende
             Energie hin, und das wiederum bedeutet hohes energetisches
             Stauungspotential. So wäre hier die Antwort möglich:
             Der Ängstlichere verfügt über ein höheres energetisches
             Stauungspotential als der Furchtlosere in Verbindung mit
             einem Mechanismus, der relativ große Energiemengen zur freien
             Energie, also zur Angst freisetzt. Das könnte ein "Realangst-
             mechanismus" sein, wie ich ihn auf Seite 18 besprochen habe.
             Ein anderes Beispiel könnte gerade das Umgekehrte zeigen, daß
             nämlich der Ängstlichere mit seiner Angst sich den objektiven
             Anlässen am Angemessendsten verhält und der Furchtlosere
             irrational ist, weil er die Gefahr z.B. nicht einschätzen
             kann. Das Erwartungsverhalten wird also immer von zwei Seiten
                                                        230/43
             bestimmt; einerseits der äußere Anlaß und andererseits die
             innere Beschaffenheit des Betroffenen. Je mehr nun die Abwehr
             die Erwartungshaltung bestimmt, umso mehr treten äußere
             Anlässe relativ in den Hintergrund, und das Verhalten
             erscheint übertrieben oder völlig irrational. Die Dynamik der
             Erwartungshaltung wird deshalb keineswegs nur von bewußten
             Einschätzungen und realen äußeren Anlässen bestimmt, sondern
             eben maßgeblich von der Art und Weise, in der die Abwehr
             Einschätzungen färbt und beeinflußt. Mehr noch, auch die
             qualitative Beschaffenheit der Erwarturgshaltung wird von der
             Abwehr maßgeblich bestimmt. Das geht soweit, daß die Abwehr
             beim Einen etwas aufkeimen läßt, was beim Anderen überhaupt
             nicht auftritt, bei gesetzt gleichen Anlässen. Ich denke an
             die Spinnenphobie. Das Auftreten einer Spinne erzeugt panische
             Ängste und damit Erwartungen, die objektiv irrational sind.
             Die Abwehr bestimmt, was ich erwarte und wie ich die
             Ereignisse verarbeite. Sie bestimmt auch das, was für mich
             Realität ist. Dadurch bekommt das Erwartungsverhalten für die
             Analyse der Psyche eine große Bedeutung, weil in ihm sich die
             gesammte Abwehr aktiv nieder schlägt.
             
             - Energiespeicherung und muskulöse Panzerung
               /ergänzend die Analysen 7-12/
             Die Hemmechanismen, als in Gehirn angelegte Steuerungsgruppen
             verstanden, können nur sehr begrenzte Energiemengen direkt
             speichern. Wilheln Reich entdeckte die Energiespeicher für
             die Hemmechanismen und die gesammte psychische Abwehr in den
             muskulösen Verkrampfungen, die die verschiedensten Muskel-
             gruppen betreffen können. Die muskulösen Verkrampfungen können
             die Energiemengen binden und verarbeiten, die bei der Unter-
             drückung und Verdrängung der elementaren Triebimpulse frei
             werden. "Rasch hellten. sich einige entscheidende Fragen der
             Seele-Körper Beziehung auf: Die charakterlichen Panzerungen
             erscheinen nun als funktionell identisch mit muskulärer
             Hypertonie. Der Begriff "funktinell identisch"  den ich neu
             einführen mwßte, besagt nichts anderes, als daß muskuläre und
             charakterliche Haltungen im seelischen Getriebe dieselbe
             Funktion haben, einander ersetzen und gegenseitig beeinflußt
             werden können. Im Grunde sind sie nicht zu trennen, in der
             Funktion identisch. Annahmen, die sich durch Vereinheitlichung
             von Tatsachen ergeben, führen sofort weiter. Wenn die charakt-
             erliche Panzerung, sich durch die muskuläre Panzerung und
             umgekehrt ausdrücken lassen konnte, dann war die Einheit der
             seelischen und körperlichen Funktionen im Prinzip erfaßt und
             konnte damit praktisch lenkbar werden. Von nun an konnte ich
             mich dieser Einheitlichkeit beliebig oft praktisch bedienen.
             Reagierte eine charakterliche Bremsung auf psychische Beein-
             flussung nicht, so nahm ich die entsprechende körperlich-
             muskuläre Haltung zu Hilfe und umgekehrt. Kam ich an eine 
             störende körperlich-muskuläre Haltung schwer heran, so
             arbeitete ich an ihrem charakterlichen Ausdruck und konnte
             sie lockern." /W.Reich :Funktion des Orgasmus S.233/
             Für das Grundmodell ist daraus die Konsequenz, daß Hemmechan-
             ismen und muskulöse Panzerungen als direkt zusammengehörend
                                                         230/44
             dargestellt werden müssen. Z.B. für den Mechanismus pathogene
             Aggression:
             funktionell identisch
             Andererseits, wenn die Gesammtpanzerung gezeigt werden soll,
             müssen die muskulösen Panzerungen zusammenhängend unterhalb
             der Schicht der Hemmechanismen gezeigt werden. Denn vom
             topischen Gesichtspunkt her gehören sie nicht in dieselbe
             Schicht wie die Hemmechanismen. Z.B. bei der Darstellung einer
             Abwehr, die sich aus drei Hemmechanismen zusammensetzt:
             topisch getrennt
             Die muskuläre Panzerung ist segmentär, also ringförmig ange-
             ordnet.
             "Bezeichnen wir den ersten Panzerring als den okulären, den
             zweiten als den oralen Panzerring. Im Bereiche des okulären
             Panzersegments handelt es sich um eine Kontraktur und Immobil-
             isierung aller oder fast aller Muskeln am Augapfel, der
             Augenlider, der Stirne, der Tränensäcke etc... Ich fasse also
             als Panzersegnente diejenigen Organe und Muskelgruppen
             zusammen, die miteinander in funktionellem Kontakt sind, die
             einander in der emotionellen Ausdrucksbewegung mitzureißen
             vermögen. Die segmentäre Anordnung der Panzerung verläuft
             immer und ausnahmslos quer, niemals längs des Rumpfes...
             Das zweite oder orale Panzersegment umfaßt die gesamte Kinn-,
             Schlund-, und obere Nackenmuskulatur inklusive des Mundring-
             muskels...
             Die Panzerung des dritten Segments bedient sich wesentlich der
             tiefen Halsmuskulatur, des Platysmas und der Mm.sternocleido-
             mastoidei.
             Das vierte Panzersegment: Die Brustpanzerung drückt sich in
             Hochhaltung des Knochenapparats und in Unbeweglichkeit des
             Brustkorbs aus... An der Panzerung des Brustkorbes beteiligen
             sich sämtliche Interkostalmuskeln, die großen Brustmuskeln
             /Pektorales/ , die Schultermuskeln (Deltoiden) und die
             Muskelgruppe an und zwischen den Schulterblättern /Latissimus
             dorsi/.
             Das fünfte Panzersegment verläuft als Kontraktionsring vorne
             über die Magengrube, den unteren Teil des Brustknorpels, die
             untersten Rippen nach hinten zu den Ansatzstellen des Zwerch-
             fells, also zum 10. bis 12. Brustwirbel. Es umfaßt wesentlich
             das Zwerchfell, den Magen, den Solarplexus mit der davor-
             liegenden Pankreasdrüse, Leber und zwei in jeden Falle
             deutlich vorstehenden Muskelsträngen längs der Wirbelsäule an
             den untersten Brustwirbeln.
             Das sechste Panzersegment: Der Panzer des Beckens umfaßt in
             den meisten Fällen so gut wie alle Muskeln am Becken. Das
             Becken als ganzes ist nach hinten gezogen und steht hinten
             hervor. Der Bauchmuskel oberhalb der Symphyse ist schmerzhaft.
             Ebenso die Adduktoren der Oberschenkel, die oberflächlichen
             ebenso wie die tiefgelegenen. Der Afterringmuskel ist
             kontrahiert, der After deshalb hochgezogen..."
             Auszug: Wilhelm Reich "Von der Psychoanalyse zur Orgonbio-
             physik" in "Charakteranalyse" K&W 191 Seiten:485/511

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             - "Homo normalis" des abendländischen Kulturkreises der
                Gegenwart                              graf14.jpg
          graf14a.gif (9413 Byte)
          graf14b.gif (16116 Byte)     
             Das Modell W.Reichs
             Das Subjekt ist als Kreis dargestellt, in dessen Mittelpunkt
             der biologische Kern liegt. Um ihn herum liegen weitere
             Kreise, die das System der Panzerungen in Gestalt von
             Schichten darstellen.
             Der primäre Impuls a kommt aus dem biologischen Kern, wird
             in den muskulären Panzerungen gebunden, umstrukturiert,
             aufgespalten und teilweise freigesetzt als:
             sekundärer Impuls b, dessen Richtung von der ursprünglichen
             Richtung des primären Impulses abgelenkt ist und ein
             neurotisches Symptom erzeugt, dazu als frei flottierende
             Energie Angst.
             Im repressiven Erziehungsprozeß erwirbt das Individuum eine
             Vielzahl von muskulösen Panzerungen, Hemmechanismen und
             Denkmechanismen /dieser Begriff ist nicht von Reich/.
             Alle zusammen bilden als gemeinsam funktionierendes Ganzes
             die "Psyche". Das Schema gilt jedoch nicht nur für
             "psychisch Kranke" sondern ebenso für den "Normalfall".
             "Die seelische Erkrankung ist eine interirdisch wirkende
             Endemie der Bevölkerung. Die gesamte Menschheit ist seelisch
             krank." Reich w.o S.nn
             (Zusatz 24: Von Nietzsche stammt der Begriff des Menschen als
             des relativ kranken Tieres, der hier anklingt. Allerdings
             ist der Rekurs auf eine "gesunde Menschheit", die Reich in
             seinem Text :"Der Einbruch der Sexualmoral" postuliert
             allenfalls von polemischem Wert. Abgesehen von einigen
             romantischen Südseeidyllen scheint die gesamte menschliche
             Vorgeschichte kaum "gesünder" verlaufen zu sein. Es ist hier
             wie mit dem "Urkommunismus" von Engels eher an Kontrast-
             bildung, denn an Tatsächlichkeit zu denken. Dies schmälert
             nicht die Gültigkeit der Reichschen Analyse des faschistoiden
             Zwangscharakters, der sich in der ersten Hälfte des letzten
             Jahrhunderts in der Tat endemisch ausbreitete und Roosevelt
             dazu brachte, von einer gefährlichen Epedemie zu sprechen,
             die einzudämmen sei. Diese Gefahr ist nicht gebannt und kann
             jederzeit wieder aufflackern.)
             Hier das Reichsche Modell in seiner, ans Grundmodell
             angepaßten und differenzierten Gestalt.
             Die Schichten sind durch Lücken unterbrochen, sodaß Blöcke
             entstehen. Innerhalb des Kreises, unterhalb der Oberfläche
             des Subjekts, direkt an der Peripherie die Schicht der
             Denkmechanismen, die ich neu eingeführt habe.
             Das gemeinsam funktionierende Ganze bildet den Charakter:
             "Der Charakter besteht in einer chronischen Veränderung des
             Ichs, die man als Verhärtung beschreiben möchte. Sie ist die
             eigentliche Grundlage für das Chronischwerden der für die
             Persönlichkeit charakteristischen Reaktionsweise. Ihr Sinn
             ist der Schutz des Ichs vor äußeren und inneren Gefahren.
                                                           230/46
             Als chronisch gewordene Schutzformation verdient sie die
             Bezeichnung "Panzerung". Sie bedeutet klarerweise eine
             Einschränkung der psychischen Beweglichkeit der Gesamtperson.
             Diese Einschränkung ist gemildert durch nichtcharakterliche,
             also atypische Beziehungen zur Außenwelt, die wie freige-
             bliebene Kommunikationen in einem sonst geschlossenen System
             anmuten. Es sind "Lücken" im "Panzer", durch die die
             libidinösen und sonstigen Interessen je nach Situation gleich
             Pseudopodien ausgeschickt und wieder eingezogen werden. Der
             Panzer selbst ist aber beweglich zu denken. Seine Reaktions-
             weise verläuft durchwegs nach den Lust-Unlust-prinzip. In
             unIustvollen Situationen nimmt die Panzerung zu, in lust-
             vollen lockert sie sich. Die libidoökonomische notwendige
             Verhärtung des Ichs erfolgt im wesentlichen auf der Grundlage
             dreier Vorgänge: Es identifiziert sich mit der versagenden
             Realität in Gestalt der versagenden Hauptperson. Es wendet die
             Aggression, die es gegen die versagende Person mobilisierte
             und die selbst Angst erzeugte, gegen sich selbst. Es bildet
             reaktive Haltungen gegen die sexuellen Strebungen, indem es
             deren Energie nun in seinem eigenen Interesse zu ihrer Abwehr
             verwendet.
             Der erste Vorgang erfüllt die Panzerung mit sinnvollen
             Inhalten. Der zweite Vorgang bindet vielleicht das
             wesentlichste Stück aggressiver Energie, sperrt einen Teil
             der Motorik und schafft dadurch das hemmende Element des
             Charakters. Der dritte Vorgang entzieht den verdrängten
             libidinösen Antrieben gewisse Quantitäten an Libido, so daß
             ihre Durchschlagskraft vermindert wird."
             Reich:"Charakteranalyse" S.174/177
             Die Panzerung erfolgt durch drei, sich teilweise ergänzende
             Arten von Mechanismen:
             1. Denkmechanissnien, davon hauptsächlich Rationalisierungs-
             mechanismen, die im Sinne der Hemmechanismen arbeiten.
             2. Hemmechanismen, die ihrem Bewußtwerden Widerstände ent-
             gegensetzen und daher unbewußt arbeiten.
             3. muskulöse Panzerungen, die einerseits Energien binden und
             andererseits die Genitalapparatur blockieren und dadurch
             orgastische Befriedigung verhindern. Außerdem werden diese
             Energiespeicher nach Bedarf aktiviert, und zwar in der Regel
             nach dem Bedarf bestimmter Bereiche der Abwehr.
             
             - Ideale Ichstrukturen
             Massenpsychologische und gruppendynamische Prozesse lassen sich
             sich unter zuhilfenahme idealer Ichstrukturen besser als ohne
             solche analysieren. Bezüglich der unbewußten Bereiche der
             Ichorganisation stellt der "Normale" unseres Kulturkreises
             und unserer Gegenwart einen Typ dar, der als Idealstruktur
             der Abbildung A entspricht. Wir finden hier eine dünne, wenig
             ausgeprägte rationale Schicht. Das Verhalten wird wesentlich
             vom unbewußten Bereich, den Hemmechanismen und muskulösen
             Panzerungen gesteuert. Die wenigen Denkmechanismen, die
             rational strukturiert sind, sind innig mit der Abwehr verfilzt
             und in der Regel mehr von dieser geprägt als von autonomen
             Denkprozessen. Die primären sexuellen Impulse, aber auch
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             rational begründbare Aggressionen und Fluchtimpulse werden von
             der Abwehr aufgefangen, gehemmt und umstrukturiert. Das
             "Normalverhalten" des "Normalen" ist nur möglich durch diesen
             spezifischen Aufbau seiner Ichorganisation. So sind also die
             Kombinationen der großen Mechanismen, ihre Stärke und topische
             Ausdehnung individuell verschieden, aber die wichtigsten
             Funktionen und das Endresultat, das "Normalverhalten", sind
             kollektiv verbreitet. Der "Normale" kommt deshalb seinem Ideal
             sehr nahe.
             Der hier aufgezeichnete Typ B kommt nicht vor. Es besteht
             Grund zu der Annahme, daß es diesen Typ einmal gegeben hat.
             /Reich:"Einbruch der Sexualmoral"/ Er ist etwa das, was in
             der Psychoanalyse als genitaler Charakter bezeichnet wurde.
             Aber nur in etwa, denn den genitalen Charakter sah man in
             der Psychoanalyse als einen tatsächlich vorkommenden Typus an,
             der Typus B hingegen existiert nicht. Wir finden in ihm eine
             breite rationale Schicht, die das Verhalten bestimmt. Es gibt
             keine Hemmechanismen und Panzerungen. Dieser Typ könnte nur
             in einer völlig freien und nichtrepressiven Gesellschaft
             leben. Als erläuternde Idealvorstellung hilft er, den
             "Normalen" besser zu erkennen und das Anzustrebende sichtbar
             zu machen.
             -	Funktionsweise der Gesantpanzerung
             a Schichten der Gesamtpanzerung: Kreis mit dem biologischen
               Kern in der Mitte und den Schichten der Panzerungen. Innen
               Schicht 1, darauf 2 und darauf 3 usw.
             Die psychische Abwehr mit ihren Hemmechanismen und muskulösen
             Panzerungen bewirkt eine Abpanzerung des Individuums gegenüber
             eigenen Triebwünschen und von außen kommenden, diese Wünsche
             fördernde Reize. Diese Gesamtpanzerung wird funktional
             erschlossen durch das Modell der Mechanismen einerseits und
             durch die Analyse, wie diese einzelnen Mechanismen zusammen-
             wirken andererseits. Die Mechanismen stellen sich im Modell
             der Gesamtpanzerung dar als Schichten, die den biologischen
             Kern nacheinander umschließen. Die Mechanismen sind ja keine
             Blöcke, die neben sich Raum für Energieentladungen ließen,
             sondern Schichten, die die Verarbeitung der Energien im Sinne
             der Hemmechanismen erzwingen. Diese Schichten werden in der
             Lebensgeschichte abgelagert, ähnlich den geologischen
             Ablagerungen in der Erde. Dieses Modell zeigt eine Gesamt-
             panzerung mit 4 Schichten. In der Regel verfügen die Menschen
             wohl über weit mehr Schichten. Hier aber die entscheidensten:
             Die erste frühsterworbene Schicht 1 ist bereits als
             Mechanismus zur Erzeugung pathogener Aggression besprochen
             worden. In ihr werden sexuelle Impulse in aggressive
             verwandelt. Die zweite Schicht lenkt nun diese aggressiven
             Impulse in den Betroffenen zurück und erzeugt dadurch
             unterwürfiges Verhalten. Diese Schicht ist als Masochismus-
             mechanismus besprochen worden. Die Umstrukturierung der
             Energien in den unteren Schichten gelingt meist nicht
             vollständig. Es erfolgen energetische Durchbrüche, die durch
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             Verzerrung aufgrund der Einwirkung der unteren Schichten oft
             sogenannte Perversionen hervorbringen. Diese müssen wiederum
             im Betroffenen zurückgestaut werden. Das besorgt die Schicht
             drei. An das Verhalten werden die verschiedensten
             Anforderungen gestellt, die nur erfüllt werden können, wenn
             die grob strukturierten Energien den Erfordernissen des
             angepaßten Verhaltens gemäß weiter verändert werden. Das
             besorgen die übergelagerten Schichten. Hier die 4. Schicht.
             In ihr werden Ersatzbefriedigungen fixiert und die durch-
             brechenden Energien in konformes Verhalten umgesetzt.
             Bei den wirklich lebenden Menschen endet die Gesamtpanzerung
             nicht bei der 4. Schicht. Es folgen mehrere andere, wovon
             die Schicht bedeutend ist, die als Anknüpfung zu den
             Denkmechanismen und dem bewußten Bereich der Ichorganisation
             wirkt. Hier finden sich die Rationalisierungsmechanismen und
             verschiedenste Zwischenformen von Hemm- und Denkmechanismen.
             Hier das gleiche Modell wie auf der vorigen Seite:
             Die Schichten der Gesamtpanzerung verfügen über ihre eigenen
             Energiespeicher;d.h. zu jedem neuerworbenen Verhalten gehören
             neu erworbene muskulöse Verkrampfungen. Die hier gewählte
             funktionale Darstellung zeigt deshalb Hemmschicht und
             muskulöse Panzerung als Block zusammen. Wenn das Modell
             topisch aufgebaut wird, müßten die Panzerungen der Muskulatur
             alle unterhalb des M 1 eingezeichnet werden. Der
             ursprüngliche a Impuls wird zuerst von M 1 umstrukturiert
             und dem M 2 zugeführt. Dabei verbleiben bestimmte Energie-
             mengen als Bindeenergie im M 1. Die dem M 2 zugeführte
             Energie wird unstrukturiert und dem M 3 zugeführt. Dabei
             verbleiben wiederum bestimmte Energiemengen als Bindeenergie
             im M 2. Die Pfeildicke nimmt ab, was diese Energieabnahme
             deutlich machen soll. Die vom M 3 umstrukturierte Energie
             wird dem M 4 zugeführt, wobei wiederum Bindeenergien
             zurückbleiben. Die von M 4 umstrukturierte Energie erzeugt
             ein Verhalten, welches als Entladung e hier eingezeichnet
             ist. Die Kommunikation der Mechanismen untereinander wird
             durch die Energien f besorgt, die von den Mechanismen abge-
             geben werden. Nicht eingezeichnet sind die durchbrechenden
             Energien und die zur Angst freigesetzten. Diese können hier
             vernachlässigt werden, weil in der Regel in einer
             funktionierenden Gesamtpanzerung Angst nicht permanent
             auftritt, sondern nur zu bestimmten Anlässen.
             Die Größe der Mechanismen soll zeigen, daß unterschiedliche
             Energiemengen in ihnen verarbeitet und gebunden werden.
             Dabei ist noch ungeklärt, in welchem Verhältnis diese Größen
             zueinander stehen. Auch das Verhältnis zwischen der Menge der
             umstrukturierten und der Menge der gebundenen Energien ist
             noch nicht geklärt. Da die muskulösen Panzerungen die meiste
             Energie zu binden vermögen, sind wahrscheinlich die untersten
             Mechanismen die energiereichsten und haben vermutlich
             besonders viel Bindungsenergie gegenüber der unstrukturierten
             Energiemenge.

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             b Abwehr und Verschachtelung
             Reich machte bei seiner Arbeit die Erfahrung, daß die einzeln
             analysierten Verdrängungsvorgänge immer im Sinne der Gesamt-
             panzerung arbeiten. Dabei wird oft eine verdrängte Regung
             freigegeben um die akut gefährdete zu decken. Z.B. wird ein
             Mensch aggressiv, der es nie zulassen würde, daß man ihn dabei
             sieht, wie er aggressiv ist. Wenn aber etwas für ihn akut
             Wichtigeres gefährdet ist, dann tritt sogar das Verdrängte
             selber in den Dienst der Abwehr. Dieses noch Gefährlichere
             könnte in diesem Beispiel die Aufdeckung sexueller Wünsche
             sein. Das kann noch weiter gehen: Wenn es z.B. zur Verdeckung
             von akut "gefährlichen" Strebungen nicht anders geht, wird
             sogar der sexuelle Wunsch aufgedeckt. So kommt es in der
             Analyse vor, daß der eine den anderen sehr haßt. Um diesen
             Haß zu verdecken werden womöglich Strebungen eingestanden,
             die sonst selbst verdrängt werden. Wenn nun die "Bedrohung"
             vorbei ist, ist das "Eingeständnis" auch wieder vergessen.
             Das Ziel der Abwehr ist ein Gesamtverhalten, welches als
             bestimmter Charaktertyp erworben wurde, und mit dem sich leben
             läßt. Dieses angepaßte Überleben wird durch die Haupt-
             mechanismen energetisch abgesichert und ermöglicht:
             Umstrukturierung zu aggressiven und masochistischen Impulsen.
             Wenn jedoch diese Gesamtabwehr gefährdet wird, kann es zur
             partiellen Auflösung auch des einen oder anderen Haupt-
             mechanismusses kommen. Im obigen Beispiel wird für den Moment
             der aggressiven Haltung der Mechanismus "Masochismus"
             ausgeschaltet. Die Abwehr ist also geschachtelt und ihre
             Elemente arbeiten in den vielfältigsten Kombinationen
             zusammen. Das oberste Ziel der Abwehr: Anpassung im Sinne
             eines als überlebensfähig erfahrenen Charaktertyps wird auch
             um den Preis der partiellen Ausschaltung bestimmter Abwehr-
             elemente verfolgt. Je differenzierter die Elemente der Abwehr,
             umso anpassungsfähiger der Charaktertyp. Am widerstand-
             fähigsten ist dabei die Abwehr, die eng mit intellektuellen
             Prozessen verfilzt ist und wo es eine große Anzahl von
             Rationalisierungsmechanismen gibt. Da jeder Mensch von einer
             Menge realer Bedrohungen umgeben ist, wird abwehrendes
             Verhalten auch von daher zur Überlebensnotwendigkeit. Ich
             rechne  dieses Verhalten nicht zur "Abwehr". Es ist jedoch
             den wenigsten gegeben, die Welt zu durchschauen, in der sie
             leben. Demzufolge vermischen sich die Abwehrhaltungen
             untereinander. Sogenannt reales Abwehrverhalten vermischt
             sich mit dem aus der psychischen Abwehr kommenden. Was
             "real" sei, wird undurchsichtig. Es gelingt nicht zu trennen,
             welche Gefahr von außen und welche von innen kommt. Das
             kennzeichnet die "Normalpsyche" als pathogene Psychostruktur.
             Wenn z.B. beim Geschlechtsverkehr Impotenz auftritt, dann
             weiß der Betroffene oft nicht: "Hab ich Angst vor dem
             verinnerlichten Vater, oder ist die Angst berechtigt, weil
             in jedem Moment der Nachbar klingeln kann."
             Wenn auch die Angst sogleich verdrängt wird, weil es z.B.
             zum Rollenbild des Mannes nicht paßt, Angst zu haben, dann ist
             das Ganze restlos unverständlich. Der Betroffene sucht sich
             eine beliebige Begründung:" Anstrengender Tag gewesen, zuviel
             Kaffee getrunken oder ähnliches". 

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             (Zusatz 25: Gerade diese Verschachtelung und der Einsatz
             der Hemmechanismen zugunsten eines charakterlich einheit-
             lichen Verhaltens, weist auf die Fehlerhaftigkeit der Theorie
             der Verdrängung hin. Es ist vielmehr ein einheitlicher Wille
             am Werk, der sich aber vor den Anderen tarnt, um seine
             Vorteile leichter zu erlangen. Auch der Hinweis, daß der
             psychisch Kranke sich selbst schadet, ist nicht schlüssig.
             Kranksein kann sich auszahlen und mitunter mehr den eigenen
             Zielen dienen als "Normalverhalten". Das wahre Ziel ist meist
             Machtgewinn, wie es Nietzsche diagnostizierte.
             Auch ist es kein Widerspruch zu diesem Sachverhalt, daß die
             Mechanismen in der Kindheit erworben wurden und den
             Betroffenen gegenüber "Gesunderen" benachteiligen. Gerade
             das Vorspiegeln von "Verdrängungen" und "Hilflosigkeit"
             ist zum Machtmittel geworden und wird beibehalten, da eine
             Umorientierung nicht gewünscht wird bzw. nicht für möglich
             gehalten wird und oft nicht möglich ist. Auch ererbte
             Veranlagungen spielen dabei eine Rolle.)

             c Überlastung, "Durchdrehen" und Regression     graf17.jpg
             Wenn sehr hohe Energiebeträge gestaut oder mobilisiert werden,
             kann die Steuerfähigkeit der Gesamtpanzerung eingeschränkt
             werden oder die Steuerung partiell oder total ausfallen. In
             der psychoanalytischen Theorie wird das als Regression
             bezeichnet. Dabei meint man, daß ein älteres, früher
             erworbenes Verhalten an die Stelle des Verhaltens tritt,
             welches aufgrund von Überbelastungen nicht mehr möglich ist.
             Der Begriff der Regression kann aber zusätzlich auch solches
             Verhalten meinen, das noch nicht früher dagewesen ist,
             gleichwohl aber nur aufgrund der Aktivierung früher erworbener
             Persönlichkeitsschichten möglich ist. Z.B. in der Freudschen
             Theorie gibt es die Regression zur oralen Phase. Das heißt,
             daß in der Regression der Betroffene vielleicht an den Fingern
             beißt und damit ersatzweise eine Befriedigung sich verschafft,
             die der oralen Phase in der frühkindlichen Sexualentwicklung
             entspricht. Diese Regression ist möglich, auch wenn der
             Betroffene in davor liegenden Lebensphasen nicht an den
             Fingern gebissen hatte.
             Übertragen ins Grundmodell ist die Regression der Ausfall
             relativ spät erworbener Hemmechanismen, also relativ "oben"
             liegender Abwehrschichten, so daß "tiefer" liegende, lebens-
             geschichtlich früher erworbene Mechanismen das Verhalten
             bestimmen. Wenn wir einen Menschen vor uns haben, der durch
             unterwürfiges Verhalten sich auffällig macht, dann kann er in
             der Regression plötzlich sehr aggressiv werden. Da der für das
             unterwürfige Verhalten entscheidende Mechanismus dem
             Mechanismus der "pathogenen Aggression" übergelagert ist, wird
             das Verhalten aggressiv, wenn dieser übergelagerte Mechanismus
             ausfällt.
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             Denn die letztmögliche Regression ist die zum pathogen
             aggressiven Verhalten. Theoretisch ist zunächst nicht
             zwingend, warum nicht auch diese Schicht
             regredieren soll und warum nicht am Ende sexuelles
             Annäherungsverhalten entsteht. Die Lösung findet sich darin:
             Bei der Regression fallen sehr hohe Energiebeträge an, so daß
             die wesentlichen Steuerungselemente auch des Bewußtseins
             ausfallen. Die Verarbeitung dieser Energien gelingt nur, indem
             sie sofort teilweise in muskulösen Verkrampfungen gebunden
             werden und dadurch eine gewisse Stabilisierung erfolgen kann.
             Diese Verkrampfungen blockieren die Genitalapparatur, erzeugen
             Gefühle des "Eingeengtseins" und damit Aggressivität.
             Dazu kommt, daß der Anlaß zur Regression oft etwas Furcht-
             erregendes ist , sodaß die Entladung der Energie in
             aggressiven Aktionen das einzig Mögliche bleibt. Ein noch
             weitergehender Ausfall der Steuerung führt letztlich auch zur
             Regression der zielgerichteten pathogenen Aggression. Das dann
             folgende Verhalten ist dem epileptischen Anfall ähnlich:
             Entladung der Energien in ungerichteten muskulösen Zuckungen.
           Graf17.pcx (13118 Byte)
             Zwei verschiedene Regressionen einer Abwehr von vier Schichten
             1. Schicht M1 l Mechanismus zur Erzeugung pathogener Aggression
             2. Schicht M2   "          unterwürfiges Verhalten
             3. Schicht M3   "          Fixierung von Ersatzbefriedigungen
             4. Schicht M4   "          Koordinierung des Gesamtverhaltens
             Zu R1:
             Hier ist nur der M4 ausgefallen. Das Verhalten ist nicht mehr
             koordiniert und daher atypisch. Es wird geprägt von M3, so daß
             die fixierten Ersatzbefriedigungen in den Vordergrund treten.
             Das könnte z.B. "Freßlust" sein, wenn das Essen eine
             entwickelte Ersatzbefriedigung darstellen würde.
             Zu R2:
             Hier sind in der Regression M4, M3 und M2 ausgefallen.
             Es erfolgt ein aggressiver Ausbruch, auch dann, wenn der
             Betroffene wie man sagt, ein friedfertiger Mensch wäre,
             der "keiner Fliege etwas zu Leide tun kann".
             Neben diesen auffälligen Regressionen sind auch solche
             möglich, wo die Steuerung des Wachbewußtseins intakt bleibt
             und das Verhalten wie bei R2 zwar aggressiv wird, nicht aber
             spontan als Ausbruch, sondern auf längere Zeit verteilt.
             Es ist schwer, solche Regressionen zu erkennen, da sie den
             Übergang zum "Normalverhalten" darstellen.
             Das Normalverhalten wird bestimmt von der Struktur der Abwehr.
             Da diese aus einer Vielzahl verschiedener Hemmechanismen
             besteht, die mehr oder minder alle energetisch besetzt sind,
             ist das Verhalten in den seltensten Fällen nur von einem
             einzigen Mechanismus geprägt. Der Masochist z.B. zeigt immer
             auch aggressive Tendenzen, wenn sie auch sehr schwach
             ausgeprägt sein mögen. Ebenso ist im pathogen-aggressiven
             Verhalten immer die sexuelle Komponente des ursprünglichen
             sexuellen Impulses auffindbar. Nicht zuletzt der sexuelle
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             Charakter der Folter belegt das. Unter diesen Sachverhalten
             betrachtet ist das Problem der Regression nicht so sehr
             Ausnahme als vielmehr Regel. Nur die augenfälligsten
             Regressionen stechen vom "Normalverhalten" deutlich ab.
             Daher benannte man in der psychoanalytischen Theorie
             zunächst nur diese Ausnahmen mit dem Begriff der Regression.
             Verwandt der Regression ist, hier Modell R3, in dieser
             Theorie notwendig das ambivalente Verhalten. Wenn jedes
             "Normalverhalten" von immer zugleich mehreren Mechanismen
             gebildet wird, dann ist das Verhalten auch immer ambivalent.
             Aber auch das ist natürlich nur in Extremfällen auffällig
             und sichtbar. Denn das "Normalverhalten" wird in der
             psychoanalytischen Theoriebildung ja dem pathogenen
             Verhalten entgegengesetzt, d.h., es wird vorweg eine
             qualitative Differenz zwischen "normal" und "pathogen"
             angenommen, ohne den Beweis dafür erbringen zu können.
             Nur aufgrund dieser ungeprüften theoretischen Annahme wird
             das Ambivalenzproblem zu einem natürlichen Fakt.
             So wie bei Freud Liebe und Haß immer sollen zusammen
             auftreten, wird daraus in anderen Theorien die Gewißheit,
             Liebe und Haß wären zwei unablösbar im Organismus verankerte
             Urtriebe./Dazu Freud: Todestriebtheorie/
             Das ambivalente Verhalten z.B. als gleichzeitiges Auftreten
             von Liebe und Haß ist jedoch nur möglich, wenn das
             betreffende Individuum vorher eine repressive
             Verinnerlichung des Mechanismusses "pathogene Aggession"
             durchgemacht hat. Da auch dieser Mechanismus nie restlos
             die anfallenden Energien umstrukturieren kann, kommen neben
             aggressiven auch stets sexuelle Restenergien zum Durchbruch.
             Hier im Modell vermischen sich als a sexuelle Impulse
             mit b den pathogen-aggressiven Impulsen zum ambivalenten
             Verhalten a+b. Je Fall verschieden kann dabei entweder die
             aggressive oder aber die sexuelle Komponente überwiegen.
             -	Probleme der Massenpsychologie
             Die Aufteilung in "Individualpsychologie" einerseits und
             "Massenpsychologie" andererseits kann nur als methodisches
             Hilfsmittel gelten. Andernfalls werden gerade die Probleme
             verschleiert, die in der kapitalistischen Gesellschaft an
             erster Stelle stehen. Im bürgerlichen Wissensbetrieb gibt es
             u.a. eine Fachrichtung "Sozialpsychologie", eine weitere der
             "allgemeinen Psychologie"; es gibt "Tiefenpsychologie" und
             vieles andere. Die Folge ist, daß die Aufspaltung nicht mehr
             das methodisch notwendige Übel bleibt, sondern zum Vehikel
             der Verschleierung und Heuchelei wird. So ist für Freud das
             Verhältnis Unterdrücker-Unterdrückter eine Frage der Welt an
             sich und alles weitere eine der politischen Meinung. Nicht
             besser in der "Gruppendynamik", die vielerorts der
             Reintegration partiell Unangepaßter dient. Das vorliegende
             Grundmodell ist zwar schwerpunktmäßig "individual-
             psychologisch" ausgelegt, aber der "soziale Hintergrund",
             nämlich die Existenz von mindestens zwei Klassen, die
             Existenz von Ausbeutung und Unterdrückung, sind dem Modell
             immanent. Daher würde die auf dem Grundmodell aufbauende
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             "Massenpsychologie" einige ihrer kardinalen Kategorien dem
             Grundmodell entnehmen müssen. Ich möchte hier nicht mehr
             als Ansätze zeigen. Entgegen einer früheren Ansicht meine
             ich nun, daß das Grundmodell nicht einfach auf soziale
             Prozesse sich anwenden läßt. Es muß vielmehr dazu sehr
             erweitert werden, was sinnvoll nur geschehen kann, wenn die
             praktischen psychologischen Versuche und Diskussionen, in
             denen wir stecken, in diese Erweiterungen eingehen.
             Die Idealstruktur des "Homo normalis" ist zugleich ein
             psychologisch als auch soziologisch anwendbares Modell.
             Die Frage, was nun aus solchen "Normalen" werden mag, wenn
             Krisen auftreten, und die weitere Frage: wann und unter
             welchen Bedingungen Faschisten daraus werden; das sind
             politisch höchst akute Fragen, zu deren Beantwortung ich
             einige Überlegungen vorstellen möchte. Zugleich sollen sie
             verdeutlichen, wie aus dem Grundmodell eine
             "Massenpsychologie" entwickelt werden könnte.
             Der "Normale" verfügt als Erwachsener über eine ausgeprägte
             psychische Abwehr und damit über ein bestimmtes energetisches
             Stauungspotential. Innerhalb gewisser Grenzen hat der
             "Normale" es gelernt, mit den Stauungspotentialen zu leben.
             Dazu mußte er ein kompliziertes System von Hemmechanismen und
             Denkstrukturen entwickeln, die den Erfordernissen der
             "Alltagssituationen" gemäß die Energien den sozial
             gewünschten Zielen zuführen. Die Energien werden also auf
             verschiedenste Weise so verarbeitet, daß der Zusammenhalt
             der kapitalistischen Gesellschaft gewährleistet bleibt. Das
             gilt prinzipiell für alle repressiven Gesellschaften. Es
             wäre ein Irrtum anzunehmen, daß beim Wegfall bestimmter
             kapitalistischer Strukturmerkmale eine repressive Gesellschaft
             nicht existieren könnte. Die Verarbeitung der Energien
             erfolgt: 1. durch Bindung in der Abwehr, 2. durch Wendung
             gegen sich selbst, 3. durch reaktive Arbeitsleistung,
             4. durch sozial geduldete Aggressionen und Ersatz-
             befriedigungen, 5. durch sozial anerkannte psychische
             Schwächen und "Krankheiten".
             Die Bevölkerung als Gesamtes betrachtet verfügt über ein
             energetisches Stauungspotential, aus dem sich ein mitleres
             durchschnittliches Stauungspotential ableiten läßt. Auf dem
             gleichen Wege können die energetischen Prozesse der
             Idealstruktur vom "Normalen" analysiert werden. Die
             verschiedenen Arten der Energieverarbeitung bedingen
             verschiedene soziale, also gesellschaftliche Verhältnisse.
             So ist anzunehmen, daß die Mitglieder der herrschenden
             Klasse ihre pathogene Aggression weniger durch unterwürfiges
             Verhalten kompensieren müssen als Arbeiter oder Angestellte.
             Allerdings hat die "Sitte" und allgemein akzeptierte
             "Moral" zu einer Angleichung der Verinnerlichungsprozesse
             geführt. Die "demokratischen" westlichen Staaten haben ein
             hohes Niveau der Produktion erreicht, so daß warenbezogene
             und warenabhängige Ersatzbefriedigungen als Entladungsart
             eine hervorragende Rolle spielen können. Staaten, die einen
             geringeren "Lebensstandart" aufweisen, stehen vor
             zusätzlichen Problemen. Die bewährteste Art, anstelle von
             warenabhängigen Ersatzbefriedigungen das mitlere energetische
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             Staaungspotential auf dem gesellschaftlich nützlichen
             Stand zu halten, ist die Gestattung der Entladung pathogener
             Aggressionen an inneren und sonstigen "Feinden", ist die
             Installation des Faschismus. Nicht zufällig ist der
             "Lebensstandart" in Griechenland, Brasilien oder im Iran
             sehr niedrig. Der ökonomische Zusammenhang z.B. für Brasilien
             ist die Ausbeutung dieses Landes durch die USA mithilfe der
             faschistischen Herrscherclique in Brasilien selbst. Der
             Faschismus erweist sich in zweierlei Weise als nützlich.
             Einerseits kann die Ausbeutung ohne Rücksicht auf den
             "Lebensstandart" erfolgen, andererseits werden durch das
             aggressive soziale Klima alle möglichen Repressionsorgane
             benötigt, personal aufgefüllt und legitimiert.
             Einschränkung des Konsums, Zunahme der Unterdrückung durch
             den "Staat", die Polizei usw., Gestattung pathogen-aggressiver
             Aktionen gegenüber "inneren Feinden", Förderung repressiver
             Erziehung und des entsprechenden sozialen Umgangs, sind die
             wichtigsten ineinander greifenden Momente der Faschisierung.
             Wenn der "Normale" im "demokratischen Wohlfahrtsstaat" etwa
             dem Modell F 1 entspricht, so der gleiche Mensch unterm
             Faschismus dem Modell F 2. Es erfolgt im Faschismus ein
             dauerndes Pendeln zwischen einem Verhalten, das dem Modell
             F 1 entspricht und einem, das dem Modell F 2 entspricht.
             Es finden massenhaft Regressionen statt, die jedoch sozial
             erlaubt sind, durch Führeridentifikationen gesteuert werden
             und deshalb niemandem als etwas Besonderes auffallen.
             Wenn die Faschisierung über längere Zeiträume durchgesetzt
             werden kann, gehen bestimmte Elemente der F 1 Struktur
             verloren. In Ländern mit sehr niedrigem "Lebensstandart"
             gibt es beim Pendeln natürlich keine Ersatzbefriedigungen
             der d Richtungen. Für den Zustand im Hitlerdeutschiand kann
             man annehmen, daß das Pendeln überhaupt im Laufe der Jahre
             aufgehört hat, denn der Kriegszustand und die Hatz auf die
             Juden erlaubten es ja, permanent aggressives Verhalten zu
             zeigen.
             F 1:
             a Impulse bestehen hier nur aus sexuellen Impulsen und solchen
             aggressiven Impulsen, die aufgrund von Mangelzuständen erzeugt
             werden. Diese a Impulse werden in M 1 umgewandelt zur
             pathogenen Aggression. Ein Teil dieser pathogenen Aggression
             darf in b: subtilen systemkonformen und sozial anerkannten
             Aggressionen entladen werden. Das sind z.B. Kontroll-
             funktionen, Bestrafungen. Der Hauptteil der pathogenen
             Aggression wird von M 2 zu unterwürfigem Verhalten
             verarbeitet, welches als c Entladung ebenfalls in sozial
             anerkannter Weise erfolgt, z.B. Bescheidenheit, Gehorsam
             gegenüber Vorgesetzten, Schuldbewußtsein für Fehler,
             schlechtes Gewissen. Der Hauptanteil der Energie wird jedoch
             weiter verarbeitet in M 3 und M 4 zu systemkonformen
             Ersatzbefriedigungen, z.B. das Autofahren, Fernsehgucken,
             Rauchen, Trinken, Sachen kaufen, Putzen. In einem Land mit
             "hohem Lebensstandart" wird der größte Teil der Energie
             derart entladen, hier als mehrere d Richtungen gezeichnet.
             Der Mechanismus D ist Stellvertreter für die rationale
             Schicht. Der Mechanismus R ist Stellvertreter für die
             Rationalisierungsmechanismen.

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             F 2:
             Hier der gleiche Mensch wie im F 1 Modell. Im Unterschied dazu
             finden die Entladungen fast ausschließlich als pathogene
             Agressionen statt, hier b'. Alle anderen Steuerungselemente
             sind ausgefallen. Die Rationalisierungsmechanismen stellen
             den "logischen" Zusammenhang für den Betroffenen her. Die
             Steuerung der Ausbrüche erfolgt im personengebundenen
             Faschismus durch die Führerfiguren, mit denen der Betroffene
             sich identifiziert.
             (Zusatz 26: Der Regressionsbegriff ist hier zu weit aus-
             gedehnt. Regression ist ein Phänomen welches sich durch
             Verlust der Kontrolle über das Ich auszeichnet. Hingegen
             sind die hier beschriebenen Verhaltensweisen in totalitären
             Staaten gleichwohl von geordneten Ichstrukturen geleistet.
             Dies macht sie auch so gefährlich, da sie den kranken Kern
             perfekt verdecken.)


                                   ---------------
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             ergänzende Aufsätze   Fred Keil, Essen 6.2.74
             Probleme der Verschiedenheit der Ichstrukturen, bei annähernd
             gleichen sozialen und psychologischen Bedingungen.
             /der "Lawinenfaktor"/
             Ich möchte das Problem dieser Gedanken mit einem Bild zeigen:
             In einem Betrieb sind zwei gleich alte Arbeiter, in ähnlicher
             Funktion eingesetzt, verdienen das gleiche und haben genau
             gleiche Familiensituationen. Nehmen wir an, sie wären beide
             verheiratet und hätten beide keine Kinder. Eines Tages beginnt
             in dem Betrieb eine Aktion für einen "wilden Streik". Einer
             der Genannten schließt sich den Akteuren sofort an, der andere
             aber hält sich zurück und äußert sich ablehnend zu dem
             Vorhaben. Warum diese Verschiedenheit des Handelns ? Der
             Ökonom wüßte hierauf keine brauchbare Antwort, weil die
             ökonomische Situation der Genannten völlig gleich ist.
             Psychologisch betrachtet bieten sich sogleich mehrere
             Lösungsmöglichkeiten. Die einfachste wäre, daß der eine,
             der dem wilden Streik sich anschließt, eine weniger
             autoritäre und weniger repressive Erziehung genossen hat als
             der andere. Eine weitere Erklärung wäre schon subtiler:
             Daß nämlich der eine eine stärkere sexuelle Hemmung
             verinnerlicht hat als der andere und auf diesem Wege der eine
             eben über ein höheres energetisches Stauungspotential verfügt
             als der andere. Das alles wären Fragen, die durch mühevolle
             analytische Arbeiten geklärt werden könnten.
             Verlassen wir jetzt dieses Bild und denken wir an einen
             anderen schwierigen Fall, zu dessen Auflösung diese Gedanken
             beitragen sollen: Wir haben vor uns zwei Mädchen, beide etwa
             gleich alt, beide in einer ähnlichen ökonomischen Lage und
             beide mit ähnlichen Erlebnissen und damit auch mit ähnlichen
             verinnerlichten Hemmechanismen. In diesem Beispiel möchte ich
             konstruieren, daß sie im weitesten Sinne auch über eine
             ähnlich strukturierte Abwehr verfügen. Wenn das Verhalten der
             beiden Mädchen in ähnlichen Situationen auch ähnlich ist,
             bereitet das keine Schwierigkeiten bei der Analyse. Es kommt
             aber vor, daß das Verhalten völlig verschieden ist. Man
             könnte, wenn ich den Unsinn nicht längst abgelegt hätte,
             annehmen, daß diese Verschiedenheit auf der Entscheidungs-
             möglichkeit eines wie immer gearteten "freien Willens" beruhe.
             (Zusatz 27: Der "freie Wille" ist kein "Unsinn", aber in
             Fällen wie diesem nicht relevant.)
             Da jedoch das Handeln von der Abwehr bestimmt ist, fällt das
             sowieso flach. Das eine Mädchen reagiert in einer Situation,
             wo ein Koitus begonnen wird so, daß ihre Beine zusammen-
             schnellen, und dieser Reflex immer wieder auftritt, wenn der
             Junge seinen Penis in ihre Vagina einführen will. Das andere
             Mädchen reagiert überhaupt nicht mit einem solchen Reflex
             sondern läßt den Penis in sich hinein. Aber ihre Vagina wird
             nicht recht feucht, sondern in bestimmten Wallungen mal etwas
             feucht um dann wieder nahezu trocken zu worden. Gesetzt eben,
             daß beide Mädchen eine gleiche Entwicklung ihrer Psycho-
             struktur durchgemacht haben, was die wichtigsten Mechanismen
             betrifft, so stellt sich die Frage nach den Ursachen, die
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             diese beschriebene Verschiedenheit des Verhaltens hervorrufen.
             Ich möchte zur Klärung des Problems bewußt solche Fälle nicht
             meinen, wo durch die Situation diese Verschiedenheit begründet
             wird, oder aber in der Lebensgeschichte wichtige Situationen
             zu finden sind, die aber nicht bekannt wurden. Ich möchte zur
             Lösung des Problems folgendes Modell anbieten von dem ich
             hoffe, daß es sich praktisch bewähren wird:
             Es gibt keine völlig einander gleichen Situationen. Das ist
             eigentlich klar. Aber das Problem liegt darin, daß einander
             ähnliche Situationen im einen Falle zu gleichen
             psychologischen Folgen führen, im anderen Fall jedoch zu
             verschiedenen. Ich denke dabei an eine besonders autoritäre
             Erziehung zweier Geschwister. Beide wurden zu "Duckmäusern".
             Im anderen Fall denke ich an eine ebensolche Erziehung in
             einer anderen Familie. Ebenfalls zwei Geschwister, aber
             einer von beiden wird aufsässig und später zum Revolutionär,
             der andere zum Duckmäuser. Die ähnlichen Situationen erweisen
             sich mal als identisch in ihrer Wirkung und mal als nicht-
             identisch. Da ich an Zufall nicht glauben kann, maß ich
             schließen, daß es in den ähnlichen Situationen Momemte gibt,
             die in jedem Fall verschieden darüber entscheiden, ob zwei
             ähnliche Situationen gleiche Wirkungen oder aber verschiedene
             hervorbringen. Diese Momente sind zunächst unbekannt, ihre
             Wirkung jedoch die einer Lawine.
             Das soll folgendes Bild illustrieren: Zwei mal zwei Mädchen,
             zwei Zwillingspaare in zwei gleichen aber voneinander
             getrennten Familien. Folgende ähnliche Situation:
             Das Mädchen A in der ersten Familie nascht trotz Verbot an
             der Schokolade, die die Mutter im Wohnzimmerschrank versteckt
             hat. Dabei wird es ertappt und von der Mutter auf die
             Finger geschlagen. Die langfristige Folge ist, daß das
             Mädchen gehemmt wird, mit ihren Fingern zu malen, zu hand-
             arbeiten u.dgl. weil eine Identifizierung der Handarbeit mit
             dem Naschen stattfindet und die Angst vor einer neuerlichen
             Bestrafung reproduziert wird. Also hier Reproduktion eines
             Realangstmechanismusses, der sich in der Fingeraktivität
             reproduziert.
             Wiederum eine wie oben beschriebene Situation. Das Mädchen B
             in der ersten Familie nascht, die Mutter schlägt es auf die
             Finger. Langfristige Folgen: Das Mädchen schlägt ihrerseits
             gerne anderen Kindern auf die Finger. Hier also Umwandlung
             der Energien des Mädchens zu einer pathogenen Aggression, die
             an Ersatzobjekten entladen wird. Dabei dient die Reproduktion
             der Ursituation als Entladungsauslöser. Zugleich können
             Identifizierungen mit der Mutter gebildet werden. Das Mädchen
             ist in den Reproduktionssituationen selber die bestrafende
             Mutter. Überspitzt formuliert: Das eine Mädchen erwirbt durch
             die Bestrafung hemmende Momente, die auch die Identifikation
             mit der Mutter hemmen, während das andere Mädchen Momente der
             Identifikationsverstärkung erwirbt. Zwei ähnliche Situationen
             also, mit einem nahezu entgegengesetzten Ergebnis. In der
             zweiten Familie ähnliche Situationen wie die oben genannten,
             aber bei beiden Mädchen die gleichen Folgen. Das heißt,
             beide Mädchen bilden pathogene Aggression und identifikations-
             verstärkende Momente. Die Ursache der Verschiedenheit in der
             ersten Familie liegt also in der verschiedenen Verarbeitungs-
             weise der Situationen, also  begründet in Differenzen der
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             psychischen Strukturen. Die Schwierigkeit ist nun, daß eine
             analytische Rekonstruktion, wie sie in diesem Bild möglich
             war, normalerweise nicht gelingt, wenn wir Erwachsene vor
             uns haben, deren Erinnerung nicht ausreichen kann, solche
             Entstehungssituationen so detallliert aufzurollen. Eine
             weitere Schwierigkeit ist, daß, je weiter wir lebensgeschicht-
             lich zurückgehen, die zum Zeitpunkt der Entstehungssituation
             vorhandene Psychostruktur relativ zum späteren Zeitpunkt un-
             differenzierter ist. In einem Zahlenbild: Gäbe es im Alter von
             3 Jahren vielleicht 2 Millionen Variationsmöglichkeiten, in
             denen Energie verarbeitet werden kann, so sind es im Alter
             von 5 Jahren vielleicht 6 Millionen Möglichkeiten. Da aber
             jede der realisierten Möglichkeiten bestimmte, differenzierte
             Folgen hat, sind diese Folgen umso drastischer, je früher
             der Prozeß stattfindet. Kompliziert wird das Ganze durch den
             Umstand, daß die Gewichtigkeit der Möglichkeit bezüglich der
             auf ihrer Realisierung aufbauenden Prozesse je nach Zeitpunkt
             verschieden ist. Z.B. kann eine Ohrfeige jetzt mehr anrichten
             als eine halbe Stunde später, weil vielleicht jetzt ein
             anderer energetischer Zustand vorherrscht als eine halbe
             Stunde später. Es ist also nicht nur offen, welche Möglich-
             keiten entscheidend zur Ursache psychostruktureller
             Veränderungen werden, sondern auch die Frage, ob eine
             Möglichkeit überhaupt Folgen hat, ist von der akuten
             psychischen Situation abhängig. Zurück zur Ohrfeige: Es ist
             möglich, daß die Ohrfeige bei dem Kind X in einer Situation
             die Verankerung des Masochismusmechanismusses einleitet,
             die gleiche Ohrfeige beim gleichen Kind aber zu einem anderen
             Zeitpuhkt diese Verankerung nicht einleitet, gesetzt die Ohr-
             feige wurde nur einmal gegeben. Die Momente, die also die
             Verschiedenheit der Folgen bei ähnlichen Situationen bedingen,
             sind wiederum nicht festgelegt, obschon ich annehmen möchte,
             daß es da bestimmte Dominanzen gibt. Ich denke, daß eine
             Ohrfeige immer bedeutender sein wird für die psychische
             Entwicklung als zB. der Schreck, wenn ein Auto neben dem
             Betroffenen unvermittelt hupt. Der Effekt, den diese
             zunächst unbestimmten, zumindest aber variablen Momente
             hervorrufen, ist oft größer, als das Ergebnis, welches die
             wohlbekannten Entstehungssituationen hervorrufen, obschon
             dieser Effekt nur möglich ist, weil es die Entstehungs-
             situationen der einzelnen Mechanismen gibt.
             Ich möchte den variablen Momenten, um sie von den anderen
             abzuheben, einen Namen geben. Da der Effekt dem eines
             Schneeballs gleicht, der zur Lawine anwachsen kann unter
             geeigneten Bedingungen, nenne ich diese Momente
             den "Lawinenfaktor". Mit diesem Namen möchte ich künftig
             operieren, damit nicht immer wieder die ganze eben beleuchtete
             Problematik aufgerollt werden muß.
             Als nächstes wäre das Verhältnis des "Lawinenfaktors" zu den
             großen Entstehungssituationen zu untersuchen.

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             Fred Keil, Ratingen 9.2.74
             Energetisch gleichwertige Handlungsentscheidungen
             /gleichwertige Elemente/
             Der "Lawinenfaktor" kann z.B. gegeben sein, wenn in einer
             bestimmten Situation zwei energetisch gleichwertige
             Handlungsentscheidungen möglich sind. Ich nehme z.B. an,
             das Kind Y möchte sexuell gefärbte Zärtlichkeiten austauschen.
             Durch die allgemeine Situation, in der es steckt, ist das
             nicht möglich. Angenommen, es befände sich in einem unserer
             bekannten Kindergärten. Das Kind wird sich eine Ersatz-
             befriedigung suchen, bzw. zu einer sadistischen,
             masochistischen oder körperlichen Reaktionsbildung
             als Ersatzhandlung greifen.
             (Zusatz 28: Diese Situation ist in dieser Form fehl-
             konstruiert, da Kinder iu diesem Alter noch häufig zu
             prägenitalen Befriedigungen finden. Die Bildung von
             pathogener Aggression ist hier unwahrscheinlich. Sie
             könnte, wenn alle Befriedigungsmöglichkeiten unterdrückt
             werden.)
             Da böte sich dem Kind an, im Sand zu spielen und durch den
             sanften Reiz des Sandes auf der Haut eine gewisse prägenitale
             Befriedigung zu bekommen. Es könnte aber auch eines der
             mitgebrachten Bonbons essen und dadurch über die Lippen eine
             orale Befriedigung bekommen. Bezüglich des zugrunde liegenden
             primären Bedürfnisses können die beiden Möglichkeiten der
             Ersatzbefriedigung energetisch gleichwertig sein. In solchem
             Fall  pflegt der Betroffene zu zögern, zu welcher Möglichkeit
             er greifen soll. Man denke an eigene Erfahrungen, wo man
             "hin und her" gerissen ist, weil die Entscheidung nicht
             einfach gelingt. Energetisch gleichwertig deshalb, weil diese
             im Beispiel genannten Möglichkeiten ja nur in einer
             bestimmten Situation, genauer, nur in einem bestimmten
             energetischen Zustand gleichwertig sind. In anderen
             Situationen mag es dem Kind überhaupt nicht schwerfallen,
             sich zu entscheiden. Nehmen wir an, das zugrunde liegende
             Primärbedürfnis wäre Bedürfnis nach Reizung der Haut. Das
             Kind würde den Sand dem Bonbon vorziehen.
             Allgemein: Energetisch gleichwertige Handlungsentscheidungen
             sind nur möglich, wenn es sich um Handlungen handelt, die
             eine Ersatzbefriedigung bewirken sollen, nicht jedoch, wenn
             es um die adäquate und umweglose Befriedigung primärer
             Bedürfnisse geht. Auch das ist klar. Wenn das Kind seine
             Bedürfnisse unmittelbar befriedigen könnte, d.h. es fände
             Gelegenheit mit einem anderen Zärtlichkeiten zu empfinden,
             dann wäre keine Entscheidungsmöglichkeit gegeben, weil ja
             die Befriedigung des primären Bedürfnisses eine spezifische
             Befriedigung ist. Da die Ersatzbefriedigung nur annähernd
             Ersatz bietet, und vor allem Nichtbefriedigung bedeutet, sind
             die Möglichkeiten der Ersatzbefriedigungen zahlreich.
             Den gleichwertigen Handlungsentscheidungen liegen gleich-
             wertige Elemente zugrunde. Die Schwierigkeit liegt darin,
             daß diese Elemente nur in ganz bestimmten Situationen
             gleichwertig sind. Deshalb bekommt der "Lawinenfaktor" den
             Charakter des Zufälligen. Denn das entscheidende Moment,
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             welches nun den Ausschlag gibt, welche der möglichen
             gleichwertigen Entscheidungen realisiert wird, kann selber,
             für sich genommen, unscheinbar sein. Das auslösende Moment
             ist in der Regel nur in bestimmten Situationen bedeutsam. Es
             kann für alle anderen Situationen gänzlich unbedeutend sein.
             Die "gleichwertigen Elemente" können relativ stabil werden,
             wenn nämlich die Hemmechanismen energetisch gleichstark
             angelegt sind, die die Ersatzbefriedigungen steuern. Dabei
             ist es unwahrscheinlich, daß die Hemmechanismen verschiedener
             psychischer Schichten einander gleichwertig werden. Z.B. liegt
             ja der Mechanismus der pathogenen Aggression eine Schicht
             tiefer als der Masochismusmechanismus. Die beiden Mechanismen
             werden deshalb kaum zu gleichwertigen Elementen, da sie nicht
             energetisch gleichstark sind. Anders solche Mechanismen, die
             in der gleichen Schicht liegen: Mechanismen zur Erzeugung und
             Steuerung prägenital sexueller Ersatzbefriedigungen oder
             Mechanismen zur Steuerung pathogener Aggression auf reale
             Objekte, also Mechanismen, die das Ziel der Aggression
             bestimmen, nicht die aggressive Energie selber hervorbringen.
             Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Mechanismen, die
             einander gleichwertig werden können. Die gleichwertigen
             Elemente können durch ein Minimum psychischer Energie
             realisiert bzw. nicht realisiert werden. Geringfügige Anlässe
             können die letzte Entscheidung bestimmen, welche der
             Möglichkeiten realisiert wird und welche nicht. Wird diese
             Entscheidung unbewußt getroffen oder von Anlässen bestimmt,
             die der Betreffende nicht bemerkt, dann ist diese Entscheidung
             nicht die seine sondern eine des sogenannten Zufalls, d.h.
             die Entscheidung wird von Dingen bestimmt, die gerade in der
             Nähe sind. Wenn jedoch die gleichwertigen Elemente als Zweifel
             und Unsicherheit bewußt werden, dann ist eine bewußte
             Entscheidung möglich. Da die gleichwertigen Elemente aus
             energetisch stark besetzten Mechanismen bestehen können,
             die relativ zu den Denkmechanismen energetisch viel stärker
             sind, tritt dann der seltene und scheinbar widersprüchliche
             Fall ein, wo große Energiemengen von sehr viel geringeren
             gesteuert werden können.
             Die Steuerbarkeit ist gegeben, weil die zu steuernden Energien
             gleichwertig sind, also eine geringe Differenz gegeneinander
             haben. Diese Differenz ist energetisch offensichtlich
             schwächer als die Energie des gerade steuernden Denkelementes.
             Ich möchte annehmen, daß immer, wenn bewußt große
             Energiemengen gesteuert werden und z.B. nicht "Abwehr gegen
             Abwehr-Steuerung" vorliegt, die energetische Differenz der
             gleichwertigen Elemente untereinander geringer ist als die
             Energie des steuernden Elementes. Das bedeutet für alle die,
             die sich durch bewußte Prozesse verändern wollen:
             Je mehr energetisch gleichwertige Elemente in der Ichstruktur
             aufgebaut werden können, umso mehr bewußte Entscheidungen
             sind möglich. Diese bewußten Entscheidungen ermöglichen
             praktische Erfahrungen, die wiederum die Ichstruktur zu
             verändern vermögen.

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             Fred Keil, Essen 15.2.74
             Steuerungsgruppen                          graf18.jpg
             Die Überlegungen zu den gleichwertigen Elementen gestatten mir
             die Formulierung von Gedanken, die ich bisher nicht präzise
             ausdrücken konnte. Dazu muß ich den Ansatz meiner Arbeit noch
             einmal zeigen: Es geht  um das Ausschalten der psychischen
             Abwehr und die Realisierung der primären Impulse, so wie sie
             ursprünglich sind. Kurz: Es geht um die angemessene
             Befriedigung der elementaren Bedürfnisse, vor allem der
             sexuellen.
             Dem steht die Abwehr mit ihren Hemmechanismen und Panzerungen
             entgegen. Im Grundmodell habe ich bereits geschrieben, daß die
             Aufhebung eines Hemmechanismusses Freisetzung von Energien be-
             deutet, die nur dann gesteuert werden können, wenn ihnen
             mindestens ebenso energiereiche Impulse gegenüber stehen. Das
             muß ich präzisieren. Die Kompensation  eines Hemmechanismusses
             gelingt nur, wenn die bei der Auflösung des Hemmechanismusses
             anfallenden Energien ohne Angstproduktion verarbeitet werden
             können. Eine relativ kleine Energie vermag nie eine relativ
             dazu größere Energie zu steuern, ausgenommen wenn die
             Steuerung in einer Weise erfolgt, die der Richtung des
             primären Impulses entspricht. Aber den aus den Hemmechanismen
             freigesetzten Energien müssen mindestens ebensolche Energie-
             mengen gegenüberstehen, um jene erstens überhaupt freizu-
             setzen und zweitens zu steuern. Wenn mit der Freisetzung
             zugleich eine Entladung der primären Richtung möglich wird,
             sind keine Energien zur Steuerung nötig, wohl aber zur
             Freisetzung bzw. Kompensation des Hemmechanismusses.
             Woher kann nun diese Fähigkeit kommen, Hemmechanismen
             aufzulösen bzw. zu kompensieren ? Oder: Wie kommt der
             rationale Gedanke  dazu, der doch energetisch relativ schwach
             ist, die großen Energiemengen zu steuern ? Da gibt es
             mehrere, bereits besprochene Möglichkeiten: Abwehr gegen
             Abwehr-Steuerung und den "Lawinenfaktor".
             Allgemeiner: Die Steuerung und Freisetzung der gebundenen
             Energien gelingt dadurch, daß Energien bereitgestellt werden,
             die den Durchbruch der von den Hemmechanismen aufgestellten
             Barrieren vor den primären Impulsen ermöglichen.
             
         Graf18.gif (7289 Byte)
             Diese, den Hemmechanismus ausschaltenden Energien stammen in
             der Abwehr gegen Abwehr-Steuerung aus anderen Hemmechanismen,
             Modell Y. Es handelt sich dabei um energetisch gleichwertige
             Elemente. Der bewußte Bereich kann mit seinen relativ geringen
             Energien steuern.
             Schwieriger ist nun zu begreifen, wie die Steuerung erfolgt,
             wenn keine Abwehr gegen Abwehr-Steuerung möglich ist und
             keine gleichwertigen Elemente bestehen. Da die Energien nur
             von mindestens gleich großen Energien gesteuert werden
             können, müssen gleichwertige Elemente zu finden sein. Wenn
             man seine ganzen Energien zusammennimmt um einen schweren
             Schritt zu tun, wird der gesammte rationale und bewußte
             Bereich der Ichorganisation "zusammengenommen", energetisch
             gebündelt und der Abwehr gegenübergestellt, Modell Z.

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             Beispiel: Im Cafe sitzt ein Junge, der eine Frau ansprechen
             möchte. Mobilisation des Impulses a. Sofort werden eine Reihe
             von Hemmungen aktiviert, hier als Hemmechanismus 1. Der Junge
             nimmt seine Energie zusammen, bündelt also seine rationalen
             wachbewußten Bereiche und erreicht dadurch die Fähigkeit
             aufzustehen, zu der Frau zu gehen und sie anzusprechen.
             Diese Bündelung stellt sich ihm subjektiv dar als intensives
             Nachdenken und Überlegen in dessen Vollzug die rationale
             Schicht sich bündelt und koordiniert.
           
             1.	Mobilisierung eines primären Impulses a.
             2. Verhinderung der b Entladung durch die gemischte
             Steuerungsgruppe: KE  koordinierte = rationale Schicht und
             AA, die Abwehr gegen Abwehr-Steuerung mittels des
             Hemmechanismusses H 2 gegen den großen Hemmechanismus.
             Energetische Größen: Großer Hemmechanismus: 12 Einheiten,
             H 2: 9 Einheiten,  KE:: 10 Einheiten. Daraus folgt ein
             Verhältnis: 13:12, ein Überschuß von 1 für die Steuerung.
             Darstellung P: Der große Hemmechanismus liegt in der Ent-
             ladungsbahn a tief im Subjekt. Der Mechanismus H2 liegt
             oberhalb des großen Hemmechanismusses, während die
             koorodinierte rationale Schicht innerhalb der Kreis-
             pheripherie in vielen Blöcken verteilt liegt und gebündelt
             wird.
             Die Koordinierung der Denkmechanismen in der rationalen
             Schicht kann nur zum Erfolg führen, wenn die koordinierten
             Energien mindestens etwas stärker sind als die Energien, die
             der Hemmechanismus seiner Auflösung als Widerstand
             entgegensetzt. Die Frage ist noch offen, ob diese
             Widerstandsenergien quantitativ mit den gesammten im
             Hemmechanismus gebundenen Energien identisch sind. Ich gehe
             vorerst davon aus, daß sie es sind.
             Im Modell Z der Vorseite sähe das so aus:
             Der Hemmechanismus mobilisiert Widerstandsenergien von 6
             Einheiten. Die Koordinierung der Denkmechanismen mobilisiert
             Energien von 7 Einheiten. Der energetische Überschuß von
             1 Einheit dient der Steuerung des Verhaltens und der
             Bestimmung der Entladungsrichtung. Es ist wieder so etwas
             wie "gleichwertige Elemente" vorhanden. Ich nehme an, daß
             keine Addition der Energien von Abwehr und Gegensteuerung
             stattfindet, also nicht 7 + 6 Einheiten, aber auch keine
             Neutralisation 7 - 6 Einheiten. Das bleibt jedoch noch
             offen.
             Es lassen sich daher zwei Möglichkeiten von Steuerungs-
             gruppen unterscheiden:
             1. Abwehr gegen Abwehr-Steuerung
             2. Steuerung durch Bündelung der rationalen Schicht.
             

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             Als 3. ist eine Kombinierung von beiden Fomen denkbar.
             Die Abwehr-gegen Abwehr-Steuerung setzt immer unter Mitwirkung
             rationaler Gedanken ein. Andererseits könnte die rationale
             Schicht Elemente der Abwehr benutzen zur Steuerung gegen
             andere Hemmechanismen. Diese gemischte Steuerung sähe aus wie
             Modell P oben.
             Fred Keil, Essen Juni 74
             Das "Ich" als Steuerungselement
             Ich beziehe mich auf einige, zuvor entwickelte Gedanken:
             a. Die Steuerung des Verhaltens beim "Jetztmenschen"
                wird  begreifbar als Produkt der Steuerung durch
                spezifische Hemmechanismen und muskulöse Panzerungen.
             b. Das sogenannte normale Verhalten ist regelmäßig nicht so
                beschaffen, daß eine Zuordnung zu einem oder wenigen
                Mechanismen ausreichen würde. Vielmehr ist es kompliziert
                zusammengesetzt aus dem oft auch gleichzeitigen
                Funktionieren der verschiedensten psychischen Elemente.
                Regelmäßig sind an der Steuerung muskulöse Panzerungen,
                Hemmechanismen und rationale Schichtelemente beteiligt.
             c. Die bei der Steuerung gerade akut wirkenden psychischen
                Elemente habe ich als Steuerungsgruppe definiert.
                Folgerung:	Wiederkehrendes Verhalten bedeutet wieder-
                kehrende Steuerungsgruppen. Standartverhalten wäre demnach
                der andere Ausdruck des Agierens von Standartsteuerungs-
                gruppen.
             Die subjektive Empfindung des Ichs kennt zwei Extremformen:
             a.	Das Gefühl der Ichidentität und der Ichkonstanz bzw.
                das Gefühl der Ichidentitat innerhalb der dem Ich
                integrierbaren Veränderungen.
             b. Dazu als Gegenpol: Das Gefühl der Ichkrise, des
                Identitätsverlustes.
             Die Beobachtung der Ichkonstanz führt zu dem Paradox, daß
             subjektives Konstanzgefühl und starke Wandlungen des
             Verhaltens zusammenfallen können. Es gibt offensichtlich
             Veränderungen in den Steuerungsgruppen, die vom subjektiven
             Ichgefühl nicht als Veränderungen registriert werden.
             /Ich denke an das Verhalten der "braven Familienväter" an der
             Kriegsfront/ Das Ich kann deshalb mit der jeweils agierenden
             Steuerungagruppe nichtidentisch sein.
             Wenn wir die Steuerungsgruppen topologisch auffassen, dann
             bedeutet das, daß der "Ort" des Ichs wandelbar ist.
             Steuerungsgruppe und Ich können einander sowohl identisch
             als auch nichtidentisch sein.

                                                              230/64
             Die Rationalisierungsmechanismen sind eine Möglichkeit, das
             Gefühl der Ichidentität trotz sich wandelnder Steuerungs-
             gruppen zu begreifen. /Was nicht paßt, wird rationalisiert
             bzw. umgedeutet oder verdrängt/  Ganz sichtbar greift das
             Subjekt vom Zustand des Ichgefühls her in sein Verhalten ein.
             Identitätskrisen führen zu Stabilisierungsversuchen, die
             sowohl als bewußte Aktionen als auch nichtbewußte Um-
             strukturierungen der Steuerungsgruppen stattfinden. Es ist
             also nicht primär das Maß psychologischer Wandlungen,
             welches das Identitätsgefühl bestimmt, sondern die im
             Ich registrierten Empfindungen hinsichtlich Ichgefährdung
             und Ichstabilisierung. Deshalb können starke Wandlungen
             innerhalb der Steuerungsgruppen dazu geeignet sein, daß
             keine Steuerungseingriffe vom jeweils akuten Ich her
             stattfinden.
             Was aber bringt das Ich dazu, gesetzt es wird als gesondertes
             psychisches Element wirksam, in die Steuerung einzugreifen ?
             Wir kennen das Frustrationsniveau. Es muß ein Befriedigungs-
             niveau auch angenommen werden, d.h. das Maß der verarbeiteten
             Lust ohne Lustangstproduktion.
             Frustrations-und Befriedigungsniveau werden vom Ich dann
             wahrgenommen, wenn Überschreitungen stattfinden. Das ist
             je Subjekt verschieden. Gemeinsam aber ist allen, daß das
             Übeschreiten dieser Niveaus Identitätskrisen herbeiführt und
             umgekehrt, daß das Gefühl der Ichidentität nur gegeben sein
             kann, wenn die Niveaus eingehalten werden.
             /Natürlich werden diese Niveaus nach Maßgabe der subjektiven
             Erfahrungen allmählich verändert/
             Allgemein: Das akute, gerade bewußte Ich greift in die
             Steuerung als gesondertes Element ein, wenn
             1. Identitätakrisen beginnen und zugleich
             2.	Eine Identität dieses Ichs mit der jeweils akuten
             Steuerungsgruppe nicht möglich ist.
             Für alle anderen Fälle muß angenommen werden, daß das Ich
             mit der Steuerungsgruppe identisch ist und gerade bei der
             jeweils steuernden seinen "Ort" hat.
             Steuerungsgruppe und Ich als Steuerungselement sind demnach
             ein Spezialfall, der sich hauptsächlich sichtbar in den
             Identitätskrisen macht.
             Das Ich ist demnach einerseits die Resultierende der
             aktivierten psychischen Elemente und andererseits auch
             selber steuerndes Element, häufig sogar steuernd gegen
             aktivierte Steuerungsgruppen.
             Wenn z.B. einer sich "beherrscht", dann ist das genau der
             letztgenannte Fall: die aktivierten Steuerungsgruppen werden
             vom Steuerungselement "Ich" an der Realisierung des
             vorbereiteten Verhaltens gehindert.
             Auch das Auseinanderfallen von "Ich" und Steuerungsgruppe kann
             als integraler Bestandteil der psychischen Struktur vorkommen.
             Demnach wäre dieses Auseinanderfallen nicht unbedingt der
             Identitätskrise gleichzusetzen.
             Das subjektive Ichgefühl könnte nach dem Gesagten auch bei
             sich stark verändernder Umwelt und stark wechselnden
             Steuerungsgruppen konstant bleiben. Andererseits könnten
             Identitätskrisen auch auftreten bei der Deckungsgleichkeit
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             von Steuerungsgruppe und "Ich", wenn z.B. die Umwelt sich
             drastisch verändert.
             Das Maß im psychischen Geschehen wären die Frustrations-
             niveaus und Befriedigungsniveaus, also in der Psyche
             verankerte Relationen von Subjekt und Umwelt aus der
             jeweiligen Geschichte des Subjekts.
             (Zusatz 29: Vergleichsprozesse spielen sich auch ab im
             Bereich bewußter Vorgänge. Die Erwartungshaltung 
             setzt Vergleiche voraus. Ebenso in der Motivation in der
             Auseinandersetzung mit einem Gütemaßstab.
             Deshalb sind Ichkonstanz und Ichkrise auch völlig unabhängig
             von den energetischen Zuständen möglich, als Prozesse
             im Bereich des Bewußtseins.)
             ------------ Ende des Teiles von 1974 ----------------
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                                 2. Teil
             Neufassung der psychologischen Strukturmodelle
             Psychoanalyse und allgemeine Psychologie
             
             Die zwischen der Psychologie und der Psychoanalyse
             aufgerissenen Gräben, aber auch die innerhalb der
             psychologischen Spezialgebiete, ganz zu schweigen von
             der Psychatrie, haben etwas Absurdes und Vorwissenschaft-
             liches.
             Die vorliegende Arbeit von 1974 steht ganz im  Bereich
             der Psychoanalyse. Hier sind Erweiterungen angebracht und
             die wertvollen Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie
             und anderer psychologischer Fachrichtungen aber auch der
             Hirnforschung einzubringen.
             Die Psychoanalyse steht im Bann der Jahrhundertwende mit
             ihrer fast fanatischen Verketzerung der Körperlichkeit
             und Sexualität. Das macht ihre Stärke und auch ihre
             Schwäche aus. Reich ging dann noch einen Schritt weiter
             und postulierte einen sexualbejahenden Urkommunismus mit der
             ausdrücklichen Absicht einen Kommunismus der Gegenwart
             zu befördern.
             Was bleibt von der Psychoanalyse, ist unterdessen auch
             durch Forschungen anderer Disziplinen untermauert.
             Die Prägephasen bei höheren Wirbeltieren haben eine
             Entsprechung auch in der menschlichen Entwicklung, wenn
             auch abgemildert.
             Schäden und Versäumnisse in den ersten Lebensmonaten
             sind auch in der menschlichen Entwicklung prägend für das
             ganze Leben. Schäden aus Traumata der Kleinstkinder sind
             schwer zu beheben. Sexualunterdrückung des Kleinstkindes,
             das bedeutet die Störung der vorgenitalen Entwicklungen der
             Partialtriebe, sind ohne Zweifel Hauptursachen in der
             Entstehung von pathogenen Aggressionen.
             Aber danit erschöpft sich das Prägealter nicht. Kinder,
             die ohne sprechendes Umfeld aufwachsen, erlernen dies später
             nur noch unvollständig und unter größten Mühen.
             Falsch wird die Psychoanalyse dann, wenn die aktuellen
             situationellen Gegebenheiten zugunsten des Rückgriffs
             auf frühkindliche Ereignisse vernachlässigt oder,
             was oft der Fall ist, übersehen werden. Vieles, was auf
             frühkindliche Schäden verweist ist später erlernt und
             durch jahrelanges Training verfestigt worden. Besonders die
             Massenpsychosen verweisen auf derartige Prozesse.
             Die Verhaltenspsychologie kann hier erhellend wirken.
             Die Gegensätze zwischen dieser und der Psychoanalyse sind
             nicht von der Sache her gegeben sondern entspringen
             vorwissenschaftlichem Glaubenseifer, der nur danach fragt,
             ob das "Richtige" geglaubt wird.

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             Die Sexualität
             Der Stein des Anstoßes, den die Psychoanalyse Freuds ins
             Rollen brachte, war die Sexualität der Person und
             besonders des Kleinstkindes und Kindes. Die Schüler
             Freuds hielten dem allgemeinen Druck der Empörung
             verständlicherweise nicht stand und beeilten sich, die
             Psychoanalyse zu "bereinigen".
             Wilhelm Reich attestierte den Nazis und Faschisten
             eine verbogene pervertierte Sexualität und wurde
             dafür konsequenterweise verfolgt, seine Bücher verbrannt.
             Schließlich wurde in seiner Theorie der emotionalen
             Pest die gesammte Zivilisation für krank befunden.
             Aus einem Abstand von über 50 Jahren seit Zerfall der
             Diktaturen in Westeuropa, kann das Thema sachlicher
             abgehandelt werden.
             Die Körperzellen sind definitiv unterscheidbar in die
             Keimzellen und die sekundären Körperzellen. Von diesen
             gehören einige Gruppen dem Sexualapparat im engeren Sinne
             an. Wenn Sexualität allgemein als Organlust aufgefaßt
             wird, verschwimmt der Begriff der Sexualunterdrückung.
             Es ist außerdem zu bedenken, daß der Lustaspekt im Lebens-
             prozeß einer neben anderen ist und keineswegs der Einzige.
             Sexualunterdrückung ist für die Bindung von Energien je nach
             Kultur und Epoche bedeutsam, aber andere Formen der Unter-
             drückung können Ähnliches leisten. Dies mindert nicht
             die Wirkung der seltsam verbogenen Einstellung zur
             Sexualität, die immer noch unter dem Einfluß christlicher
             Ideologie, - der Islam zieht am gleichen Strang,- steht.
             Interssanterweise haben zwei Großstaaten der Erde: Indien
             und China keine Probleme mit der Entvölkerung. Beide
             Staaten sind nicht von rigiden religiösen Ideologien
             geprägt. Andere Faktoren: fehlende Altersversorgung usw.
             mögen ein Rolle spielen, aber auch im römisch besetzten
             Griechenland verschwand die Bevölkerung, und gewiß gab
             es keine soziale Alterssicherung.
             Hier dürften paralell wirkende Faktoren die Ursachen
             sein. Genetische Ermüdung, nervliche Überlastungen im
             Sinne der Spenglerschen Idee von der Wachheit sind gewiß
             ebenso bedeutsam.
             Gerade aber die Kernaussage, das Verdrängte sei unbewußt
             und nicht mehr für das Bewußtsein erreichbar, ist frag-
             würdig und in vielen Fällen definitiv unzutreffend. Sartres
             Bemerkung über einen Freund und Psychoanalytiker, daß
             dieser die Praxis aufgab, weil er die Lügengeschichten
             über angeblich Verdrängtes nicht mehr ertragen wollte,
             ist symptomatisch.
             Heuchelei trifft das Wesentliche des Verdrängungsbegriffs.
             Obschon sehr einzelne Trauma nie mehr zum Bewußtsein
             erhoben werden können, weil sie körperlich manifest und
             chronisch geworden sind und ihre Auflösung die Existenz
             gefährden würde, so gilt dies doch nur in seltensten Ausnahmen.
             Dem "Verdrängenden" ist durchaus bewußt was er verdrängt und
             warum er es verdrängt. Jede andere Aussage stellte sich in
             dutzenden realer Fälle in der Vergangenheit als Lüge und
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             Heuchelei heraus. Fixierungen in den Entwicklungen von
             Kleinstkindern können nicht bewußt werden, da diese
             selbst noch kein entwickeltes Sprachbewußtsein haben.
             Aber der Rückschluß auf eine generelle Unbewußtheit des
             Verdrängten ist nicht einzusehen. Gerade die Widerstands-
             bildung, die beim Angreifen des Verdrängten auftritt,
             - ausgenommen die frühkindlichen Prägungen - spricht für
             eine willentliche Abwehr und Heuchelei.
             In Hemmechanismen gebundene Energien mögen in Entstehungs-
             situationen frühkindlicher Entwicklungsstufen entstehen,
             aber die Bindung von Vorstellungen und Bildern, die sich im
             Laufe des Lebens in Reproduktionssituationen bilden,
             sind dem Bewußtsein zugänglich, wenn nicht aus oft vorder-
             gründigem Eigennutz die Aufklärung behindert wird.
             Einer der wichtigsten Grundsätze der Strukturmodelle:
             Keine jahrelange Erhaltung von Hemmechanismen ohne
             ihre Auffrischung in Reproduktionssituationen, löst
             eine Reihe von speziellen Problemen. Der aus der Psycho-
             analyse kommende Satz von der Priorität der Entstehungs-
             situation wird widerlegt. Damit fällt auch die Unantastbar-
             keit des Verdrängten. Entweder die Entstehungssituation
             bleibt ohne Reproduktionen, so verblaßt der Defekt im Laufe
             der Jahre, oder aber, es folgen Reproduktionssituationen, die
             den Defekt erhalten und vetiefen. Da diese aber in Lebens-
             abschnitte mit entwickeltem Sprachbewußtsein fallen, sind
             sie nicht als Verdrängtes im Sinne der Psychoanalyse
             zu verstehen.
             Der Verdacht drängt sich auf, daß mit der Theorie des
             Vedrängten die Psychoanalyse dem Publikum akzeptabel gemacht
             werden sollte. Denn wo Heuchelei ist, erscheint danach Wehr-
             losigkeit. Wo böser Wille waltet, erscheinen schlimme
             Lebenserfahrungen Gründe abzugeben.
             Erbmaterial und Biochemie
             Gefühlskälte, Euphorie und Depression sind oft bedingt durch
             Störungen des Hormon - und Stoffwechselhaushalts.
             Diese haben häufig genetische, vererbbare Ursachen. Die
             oberflächliche Sexualisierung der Gesellschaft steht in
             seltsamen Kontrast zur Rückläufigkeit der Spermienproduktion
             der jüngeren Generation und dem Absterben der euro-
             amerikanischen Altbevölkerungen.
             Pathogene Aggression könnte durchaus auch mit Mangelzuständen
             des hormonellen Systems erklärt werden. Demnach könnten
             der fanatische wie auch der faschistoide Typus seine
             Aggressionsbereitschaft aus den hormonellen Defiziten beziehen
             neben der Stauung sexueller Energien. Auch Störungen des
             limbischen Systems könnten bei Massenmördern und ihren Helfern
             vorliegen.
             Vieles spricht für diese Annahme. Auffallend ist die Trieb-
             und Antriebsschwäche des besprochenen Personenkreises.
             Manische Gegenreaktionen zu endogenen bedingten Depressionen,
             aber auch Paranoia sind oft anzutreffen, auch dies würde
             ins Bild passen.


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             Paralelle Faktoren
             Je stärker der offensichtlich psychisch beschädigte Typus
             vom unauffälligen Normaltypus - was immer das ist - ab-
             weicht, umso zutreffender sind die Modelle der Energie-
             umlenkung und Regression. Umgekehrt folgt daraus, daß
             die Energiemodelle unzureichender werden, wenn die
             "Normalpsyche" betrachtet wird. Der völlig bewußt lebende
             Typus, der sein Gefühlsleben kontrolliert und dennoch
             umfassend seinen Bedürfnisse lebt, verfügt über eine
             energiereiche Struktur sogenannter Denkmechanismen, die
             das Triebgeschehen weitgehend steuern.
             Auffallend und auch verwirrend ist, daß die ins pathogene
             Spektrum gehenden psychologischen Typen durch paralell
             wirkende Störungen geprägt sind. Endogene Depression
             tritt häufig zugleich mit rigider Sexualerziehung in
             der Kindheit auf, bei gleichzeitig wirksamer Aggressions-
             unterdrückung oder Demobilisierung. Daher ist der Anteil
             der Faktoren oft schwer bestimmbar. Jedenfalls weist das
             häufige Scheitern therapeutischer Bemühungen darauf hin, daß
             der Anteil organischer Dispositionen bedeutend ist.
             Lernpsychologische Faktoren wirken ebenfalls oft paralell.
             Der aggressive Typus ist nicht nur sexuell rigide erzogen
             sondern er lernt auch an entsprechenden Vorbildern und
             Situationen, die sein Verhalten bestärken. Eine Art
             Aotokonditionierung ist bei fanatischen Typen unüber-
             sehbar.
             Hier spätestens wird der Begriff des Steuerungszentrums
             unentbehrlich und der in ihm anklingende des Willens.
             Eine gewisse Willensfreiheit ist nicht aus der Welt zu
             schaffen, kaum anders könnten entgegengesetzte Ent-
             wicklungen bei an sich gleiche Typologien entstehen,
             die aber offensichtlich anzutreffen sind.
             Die Rolle der gleichwertigen Elemente weist auf die
             energieökonomischen Möglichkeiten solcher Entscheidungen
             hin. Allerdings ist der "Wille" auch durch die gleichen
             Bedingtheiten der Energieökonomie begrenzt. Vieles
             läßt sich "beherrschen", nicht aber alles und jedes zu
             jeder Zeit.
             Entladungsarten:
             Neben den Hemmechanismen müssen komplexe Verhaltens-
             sequenzen angenommen werden, die als Entladungsbahn
             aktiviert werden. Stichwort Charakterpanzerung:
             Hier können als Energiespeicher auch mineralische
             oder hormonelle Reserven angenommen werden.
             Stoffwechseleigenarten dürften in der Charakterbildung
             eine wichtige Rolle spielen. Die Rede von der "Kalt-
             blütigkeit" weist darauf hin.

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             Klimatische und genetische, Faktoren müssen ebenso
             berücksichtigt werden wie die historischen Faktoren, die
             im "sozialen Umfeld" wirksam werden.

             Die Gesichter sind Ausruck des Charakters. Verstellungen und
             sogenannte Masken erschweren aber ihre Entschlüsselung, sind
             für den kundigen Leser jedoch auch entlarvend. Der in den
             Analysen Reichs zugrunde liegende Typus ist von anderen
             Typen abgelöst worden, wie der vergleichende Blick mit den
             Fotodokumenten der 30er und 40er Jahre zeigt, obschon er noch
             immer vorkommt und vermutlich massenhaft reaktiviert werden
             könnte. Vereinfacht gesagt: Der zwangscharakteliche Typus mit
             seinen bestimmten auffälligen muskulösen Verkrampfungen und
             Hemmechanismen ist nicht mehr der verbreiteteste Grundtypus
             sondern neue Typen sind entstanden, deren  Struktur von
             anderen Formen der Energieverarbeitung bestimmt wird, obwohl
             auch in diesen neueren Typen die Mechanismen der pathogenen
             Aggression und der Unterwürfigkeit installiert werden.
             Neue Formen der Energiebindung und vor allem der Unter-
             bindung von Energieproduktionen müssen untersucht werden.
             Sie sind noch nicht ausreichend erhellt sind, da die
             merkwürdige Erschlaffung und Unfruchtbarkeit in Europa in
             den letzten zwei Jahrzehnten neue dramatische Formen
             angenommen hat. Sie sind nicht mit dem Grundmodell erklärbar.
             Nervliche, hormonelle und andere Stoffwechselstörungen kommen
             als mögliche Mitverursacher in Frage. Selbst die Rolle der
             rigiden Sexualmoral ist in dieser Situation nicht mehr die
             gleiche wie in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts.
             Was sich vor unseren Augen abspielt, erinnert an das
             Erschlaffen früher Kulturen in der vorantinken Geschichte.
             Insofern sind auch die Relationen zwischen sogenannten
             psychologischen und biologischen bzw. physiologischen
             Ursachen zu untersuchen. Spenglers Hypothese von der
             zivilisatorischen Erschlaffung durch Wachheit, das heißt
             durch die nervliche Konstitution, gewinnt eine neue Bedeutung.   
             Die Lernpsychologie des Fötus und des Kleinstkindes ist
             zeitgleich mit der Strukturierung der Hirnzellen, ihres
             Absterbens und ihrer Verschaltungen, ihrer Dendriten
             und Synapsenbildung. Daher sind in diesen Entwicklungs-
             phasen bereits Erwerbungen und Schädigungen möglich, deren
             Korrektur mit psychogischen Mitteln sich äußerst
             schwierig gestaltet, wenn nicht aussichtslos bleibt.
             Die Bildung bestimmter Zellen, die die Produktion der
             Hoden bestimmen, wurde untersucht und befunden, daß
             Defizite massenhaft auftreten und ihren Anteil haben an
             einem allgemeinen Rückgang der Spermienproduzktion in den
             hochzivilisieten Ländern, mindestens USA und Westeuropa.
             Ähnliche Schäden können auch für Frauen vermutet werden, es
             wird wahrscheinlich darüber bald Material gefunden sein.
             Viele Prozesse der tiefenpsychologischen Dynamik lassen sich
             daher nicht mehr erschöpfend aus dem Grundmodell erklären.
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             Vielmehr ist zu untersuchen, welche Lernprozesse in den
             frühesten Lebensphasen die Psychloge des späteren Erwachsenen
             bedingen.
             So kann der Verlust adaäquaten Paarungsverhaltens grund-
             sätzlich auf mehrere Art und Weise interpretiert werden.
             Das Grundmodell zeigt die Interpretation aus psycho-
             dynamischer Sicht, der eine bestimmte soziologische
             Konstruktion zugeordnet wird. Die Lernpsychologie zeigt
             Lerndefizite, die unbeschadet der psychodynamischen
             Konstitution in der Lage sind, Paarungsverhalten deutlich
             zu stören.
             Die physiologische Sicht zeigt wiederum Störungen, die aus
             Wachstumsdefiziten herrühren, die ihrerseits aus dem
             soziologischen Umfeld zu bergreifen sind. Dieses selbst
             bedarf einer politischen und darüber hinaus eine umfassenden
             philosophische Interpretation.
             Der Produktionsbegriff
             Bereits die Reichsche Interpretation der Masseneurose verweist
             auf eine metapsychologische Ebene: die der Gesellschaft.
             Die Lernpsychologie zieht daraus die Konsequenz und inter-
             pretiert die Entstehung des Individuums als Lernen und
             Verhaltenserwerbungen. Der scheinbar biologische Automatismus,
             mit dem sich die Evolution in Gang hält, hat verdeckt, daß
             menschliche Gesellschaften Produktionsprozesse sind und
             die den den Evolutionsmustern teils völlig entragenden.
             Die Gegenwart, die gezeichnet ist vom Schwinden
             noch vorhandener Instinktmuster und sogenannter Automatismen,
             zeigt deutlich den Produktionscharakter hier und beim
             Fehlen der Produktion: die Verödung und Unfruchtbarkeit,
             auch im übertragenen Sinne, dort. Mehr denn je hängt die
             menschliche Entwicklung an der Produktion des Menschen durch
             sich selbst, bis hinab in die individuelle Entwicklung, vom
             Fötus beginnend bis zum alten Menschen.
             Das Bewußtwerden dieser Zusammenhänge ist noch nicht auf
             breiter Grundlage geschehen, es zeigen sich Ansätze, die
             sowohl in den Institutionen, wie auch im politischen Handeln
             weiter zu entwickeln sind.
             Diffusion und Kristallisierung
             Membranen lassen bestimmte Stoffe diffundieren und sperren für
             bestimmte andere Stoffe den Durchgang. Dieses Bild soll dem
             Verständnis bestimmter Störungen dienen.
             Die Beobachtung der freilebenden Primaten zeigt instinkt-
             gebundenes Verhalten, welches von sozialen Strukturen nicht
             wesentlich gestört wird. Schimpansen vermehren sich durch
             polygam-sexuelles Verhalten. Das Regulativ ist die Auswahl
             und Menge der Spermien einerseits und die völlige Blockierung
             der weiblichen Sexualorgane während der Säuglingsphase
             der Neugeborenen andererseits.
             In der Frühgeschichte der Menschheit bilden sich Inszest-
             und Heiratstabus heraus, die sich bis zur strengen Monogamie
             fortentwickeln. Dem paralell verschwimmt bei den Weibchen die
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             Zeit der sexuellen Unzugänglichkeit bis sie fast völlig auf-
             gehoben wird. Diese Prozesse sind begleitet von Störungen
             vielfältiger Art. Die starke Vermehrung der Menschheit seit
             dem vorletzten Jahrhundert kommt vorwiegend aus den
             Errungenschaften der Medizin und Nahrungsproduktion, der
             damit rückläufigen Mütter-und Säuglingssterblichkeit.
             Dieses Phänomen hat die prinzipielle Paralellität mit dem
             untergehenden römischen Reich lange verdeckt.
             Offensichtlich sind die Rhythmen innerhalb der zivilisierten
             Gesellschaften andere als die in "rückständigen" Gebieten.
             Nervliche Belastungen aller Art sind vergleichbar den
             Schwingungen, die die Funktion der Membranen stören und sie
             teilweise unbrauchbar machen. Das Gleiche gilt für die
             Kristallisation. Flüssigkeiten, in denen Kristalle sich
             bilden, lassen geordnete Großkristallbildung nicht zu, wenn
             sie heftig geschüttelt werden. Auch dieses Bild kann
             Störungen verdeutlichen. Offensichtlich sind aber auch
             elementare Prozesses des interzellulären Stoffwechsels
             von solchen Störungen betroffen. 
             Diese Zusammenhänge muß die Psychologie berücksichten
             und in die Modelle einbeziehen.
             Die Bildung von Hemmechanismen kann verstanden werden als
             eine Verklumpung von Hirn- und Körperregionen innerhalb eines
             lockerenm Kristallgitteraufbaus. Dies ist nur als Bild zu
             verstehen. Aber verschiedene Arten von Stoffwechselstörungen:
             verkrampfte Atmung, hormonelle Dissonanzen, bei Männern
             z.B. ein Überschuß an Frauenhormonen bei Frauen ein Überschuß
             an Männerhormonen bzw. Defizite in der geschlechtstypischen
             Hormonproduktion spielen eine Rolle im psychischen Geschehen.
             Offensichtlich haben die zivilisatorischen Einflüsse und ihre
             Schäden eine organische Basis.
             So wird erklärbar, warum der medizinische wie auch der
             psychologisch-therapeutische Ansatz nur selten Erfolg
             bringen. Beide Manifestationsarten stützen sich gegenseitig.
             Wird die endogene Depression medikamentös behandelt, ver-
             bleibt eine depressive psychische Verfassung weiterhin
             wirksam und das entsprechende Verhalten wirkt, wenn auch
             gemildert fort, um beim Absetzen der Medikamente wieder voll
             auszubrechen. Umgekehrt verschafft die psychologische
             Therapie nur eine vorübergehende Linderung, da die organische
             Basis sich bald wieder durchsetzt.
             Kombinierte Regulatoren
             Offensichtlich finden in der Entwicklung der Menschen
             auch solche Prozesse statt, die nicht als Bildung von
             pathogenen Hemmechanismen und muskulösen Panzerungen aber
             auch nicht als Denkmechanismen aufzufassen sind.
             Die an Instinktmuster der Primaten angelehnten Verhaltens-
             weisen sind Regulatoren, die Elemente aller bisher ent-
             wickelten Mechanismen enthalten. So ist das Werbungs-
             verhalten unmittelbar vor einer geschlechtlichen Vereinigung
             durch mehrere Prozesse geformt:
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             1. Bewußte Steuerung des Verhaltens, der Gliedmaßen, der
                Mimik usw. Reizaufnahme über das Sehen, Hören usw.
             2. Hormonelle Kontaktaufnahme über den Geruchssinn und
                entsprechende Anregung der Hormonproduktion.
             3. Partielle Blockierung von Muskelpartien und Bewegungs-
                abläufen zwecks Einhaltung bestimmter Annäherungs-
                formen und Abläufe.
             Der größere Teil dieser Prozesse ist erlernt und als Über-
             formung älterer Instinktmuster aufzufassen.
             Eine ähnliche Strukturierung ist in jedem Verhalten zu er-
             warten, aber die Einwirkung der einzelnen Bestandteile
             werden verschieden schwach oder stark ausfallen. Reine
             Rechentätigkeit z.B. dürfte unter schwacher hormoneller
             Aktivierung, aber starker motorischer Kontrolle stattfinden.
             Stark motiviertes Lernen von Kindern bei nur schwacher
             Dirigierung von außen führt zur forcierten Bildung von
             Dendriten und Synapsen und einer hohen Durchsichtigkeit
             des auf diesem Erlernten aufbauenden Verhaltens.
             Ich nenne diese Elemente, bestehend aus erlernten Inhalten,
             Verhaltensweisen und Körperhaltungen: kombinierte
             ausgeglichene Regulatoren. Sie sind verwandt den bereits
             1974 vorgeschlagenen Steuerungsgruppen: Steuerung durch
             Bündelung der rationalen Schicht. Im grafischen Modell
             können sie als Netzwerk von Verknüpfungen dargestellt
             werden, das sich von den tieferen Schichten des Subjekt bis
             zur Peripherie hin entwickelt. Dieses Netzwerk ist nicht
             durch "Verklumpungen" in Hemmechanismen und Panzerungen
             gestört.
             Im einer alle bisherigen Modelle übergreifenden Grafik
             ist die 1974 entwickelte Struktur mit ausgeprägten
             Mechanismen zur Erzeugung pathogener Aggression und
             unterwürfigem Verhalten ein Spezialfall, den ich als ein
             System unausgeglichener Regulatoren bezeichnen möchte.
             Das Gesamtich besteht in der Regel aus beidem Arten von
             Regulatoren.
             Besonderheiten ausgeglichener Regulatoren.
             Während die Hemmechanismen und Panzerungen sich vertikal
             in die oft hoch energiereichen Entladungsbahnen einschalten,
             sind die ausgeglichenen Regulatoren auch stark horizontal
             verknüpft, wie dies in den Modellen von 1974 bei den
             Denkmechanismen dargestellt wurde. Dieser starken Ver-
             knüpfung entsprechen die umfangreichen und miteinander
             verschalteten Dendriten und Synapsen.  
             Die idealen Ichstrukturen im Licht neuerer Modelle
             Das Ich ist ein Steuerungszentrum, welches als Mittelpunkt
             wachbewußten Lebens aufgefaßt wird. Es ragt hinab bis an den
             biologischen Kern und ist selbst eine Verlängerung dieses
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             Kerns, sofern es primäre Verhaltensweisen realisiert.
             Es setzt sich zusammen aus tiefer liegenden Trieb-
             repräsentanzen, Hemmechanismen, muskulösen Panzerungen,
             Repräsentanzen von Sinneseindrucken, Gedächtnisstrukturen
             und Denkmechanismen. Ferner wirken in ihm ausgeglichene
             und unausgeglichene Regulatoren und Steuerungsgruppen.
             Manche dieser Elemente sind doppelt benannt und in sich
             verschachtelt. So sind Hemmechanismen zugleich auch Trieb-
             repräsentanzen, aber nicht alle Triebrepräsentanzen sind
             auch Hemmechanismen und Panzerungen. Hormonelle Funktions-
             zusammenhänge einschließlich der beteiligten Organe sind
             auch Triebrepräsentanzen.
             Offensichtlich ist das Ich im Sinne einer mit sich
             identisch gedachten Größe eine Hirnzellenverschaltung,
             die in jedem Individuum sehr unterschiedlich aufgebaut
             wird. Es ist die eigentlich indivduelle Instanz im Subjekt.
             Es agiert innerhalb von Steuerungsgruppen, die selbst
             sehr unterschiedlich zusammengesetzt sind.
             Es gibt Ichformen, die bedeutend von Denkmechanismen und
             ausgeglichenen Regulatoren bestimmt sind, und andere, die
             von pathologischen Panzerungen und Hemmechanismen dominiert
             werden. Außerdem vermag das Ich offensichtlich zu "wandern"
             also Steuerungsgruppen zu wechseln. Auch diese Art der
             Flexibilität ist sehr unterschiedlich entwickelt.
             Hartnäckig neurotische Formen dürften wenig flexibel
             sein. Andere Formen sind äußerst flexibel.
             Die Art und Weise dieser Flexibilität ist ebenfalls je
             Individuum verschieden. Es gibt oberflächlich flexible
             Formen und tiefer angelegte flexible Strukturen.
             Eines der zentralen Kriterien der Flexibilität und Stabilität
             des Ichs ist sein Verhalten gegenüber energetischen
             Vorgängen, auch und besonders sein Verhalten gegenüber
             frei flottierender Energie.
             Frei flottierende Energie, auftretend mit Erregungen aller
             Art erzeugt sehr häufig Angst. Dies umsomehr, wenn sie
             nicht baldigst gebunden und verarbeitet wird. Häufige
             Formen der Verarbeitung sind Aggressions- und Depressions-
             ausbrüche sowie somatische Symptome.
             Die Stärke des Ichs und die Quantität dieser Energien
             stehen in Zusammenhang. Jedes Individuum produziert in
             unterschiedlichen Situationen frei flottierende Energie
             und diese wiederum in unterschiedlichen Stärken.
             Ein relativ schwaches Ich kann sich durchaus als stabil
             erweisen, wenn die mobilisieten Energien so schwach
             sind, daß sie bald gebunden oder verarbeitet werden können
             ohne das Ich zu destabilisieren. Individuen, die aus
             konstitutionellen Gründen nur niedrige Energiepotentiale
             produzieren, sind relativ stabil hinsichtlich der Angst-
             produktion, verraten ihre Schwäche aber in geringer
             Belastbarkeit und Flexibilität.

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             Der Begriff des Willens
             Komplexe Regulatoren zeigen eine Art Eigenleben, welches
             sich weit über automatische Prozesse erhebt. Sie "wollen"
             bestimmte Ergebnisse erreichen und steuern oft das Wach-
             bewußtsein. Im Unterschied zu Automatismen regenerieren
             sie sich nach Störungen und expandieren. Die wesentlichen
             Eigenschaften des Lebens: Reproduktion, Regeneration,
             Expansion und "Wille", also gerichtete, zielbewußte,
             "intelligente" Aktionen sind oft anzutreffen.
             Daher bedarf das Modell von 1974 einer Ergänzung. Die dort
             formulierte Abschwächung von Hemmechanismen durch Nicht-
             aktivierung im Laufe der Zeit gilt nicht generell. Sofern die
             Mechanismen in solche "wollenden" Regulatoren eingebunden
             sind, vermögen sie zu überdauern und zu expandieren.
             Das Bewußtsein
             Bewußtsein ist der Wortbedeutung nach: Sein, welches von sich
             weiß, ein be... also beisich wissendes Sein.
             In diesem Sinne muß jedem Seienden ein Wissen von sich
             selbst zugeordnet werden, weil sämtliche Eigenschaften
             bei allen seienden Dingen vorhanden sein können, obwohl sie
             nicht unbedingt von uns erkannt werden müssen.
             Weiß ein Molekül von sich, daß es ist ?
             Es reagiert auf seine Umwelt, hat Reaktionsvarianten zur
             Verfügung, wenn auch in nur schmalster Bandbreite.
             Es erhält sich mittels seiner Funktionalität, bis es von
             überlegenen Strukturen aufgelöst wird. Im Rahmen seiner
             Reaktionen, die nicht getrennt und unterschieden werden können
             von Aktionen, ist es zu gerichtetem Verhalten fähig.
             Das Lebende ist nur eine besondere Form des Toten, sagt
             Nietzsche. Aber die durchgängige Aktivität aller Dinge,
             ihr "Nichttotes" berechtigt es zu sagen: Das Tote ist nur
             eine besondere Form des Lebens.
             Da es wohl Seiendes innerhalb von Zeitstrecken gibt, ein
             Sein jedoch nirgendwo, ist der Begriff des Bewußtseins auch
             in seiner Wortbedeutung ideologisch. Er suggeriert eine
             der Zeitstrecke überragende Dauer, die nicht vorhanden ist.
             Wahrscheinlich ist der Begriff religiöser Spekulation ent-
             nommen, in der ewige Größen postuliert werden und dem
             Gefühl, daß der aktuelle Augenblick, das Jetzt ohne Dauer
             zu sein scheint.
             Was bleibt an Besonderem an diesem Begriff, z.B. als
             "menschliches Bewußtsein ?" Es könnte die Wachheit sein.
             Ist Unterbewußtes nicht "wach" ? Sind Atome nicht "wach"?
             Auch der Begriff der Wachheit ist beinahe eine Tautologie.
             Die Nichtwachheit gibt es nirgendwo. Der Gegensatz von
             "wach" und "schlafen" ist eine Naivität. Es handelt sich
             dabei um verschiedene Aktivierungsniveaus des Gehirns.
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             Auch der "Schlaf" ist "Wachheit", nur eine andere Art.
             Mancher hat die Erfahrung gemacht, daß das Gehirn im Schlaf
             komplexe Lösungen vorbereitet, die dazu führen, das am
             Tag darauf eine schwierige Aufgabe leicht gelöst wird.
             Die scheinbar chaotischen Bruchstücke von Träumen sind
             nur zufällige Resultate von Durchbrüchen ins Gedächtnis,
             sodaß sie erinnerbar werden. Der Arbeitsprozeß als Ganzes
             im "schlafenden" Gehirn bleibt verborgen.
             Menschliches Bewußtsein im Gegensatz zum "Menschen als
             ganzer Körper" wird verstanden als eine steuernde Region im
             Gehirn, der eine zentrale Bedeutung zugeordnet wird.
             Diese Bedeutung kommt aus der verbindenden Funktion
             des "Bewußtseins" zur "Umwelt". Diese Definition
             ist kritisch, denn die nichtbewußte Sensorik und die
             reflexartig arbeitenden Funktionen der Motorik sind
             auch direkt mit der Umwelt verbunden.
             Bewußtsein soll den Menschen den Eindruck erwecken, der
             jeweils Einzelne sei eine handlungsfähige mit sich selbst
             identische Einheit. Aber diese Definition trifft auf
             alle Lebenseinheiten zu, vermutlich auch auf Moleküle
             und Atome.
             Das einzig Besondere am Bewußtsein ist seine Definition als
             ein besonderes Sein, welches die Interaktionen zwischen dem
             Körper und einer produzierten, angepaßten Umwelt kommandiert.
             Bewußtsein umschreibt einen Wachstumsprozeß, ein Werden
             von Organisationsstrukturen und objektiven Produkten.
             Es ist ein "Bewußtwerden" nicht ein "Bewußtsein".
             Das so Gesetzte, die pure ideologische Produktion ist
             nichts Besonderes. Sämtliche Begriffe sind ähnlich beschaffen.
             Anders: Die Besonderheit des "Bewußtsein" ist Behauptung
             und Erzeugung einer Rangfolge, also Produkt. Sie
             repräsentiert keine Wirklichkeit oder Wahrheit sondern
             tätige Veränderung.
             Diese Ideologie ist notwendig, sie ist Bestandteil
             von Überlebenstechniken oder anders: Ausdruck von
             Aktivitäten im Rahmen von Lust- und Realitätsprinzip.
             Insofern ist Bewußtsein nichts "Seiendes" oder "Daseiendes"
             sondern ein Körperbestandteil, eine Art Software bestimmter
             Hardwareregionen des Gehirns und der zugeordneten Körper-
             bestandteile.
             Das Gefühl des "Ich" in der "Welt" gehört ebenso dazu.
             Es ist purer Schein oder eine Art "Kulissenproduktion"
             und dennoch unentbehrlich.
             Das "Gefühl"
             Der Bereich der Gefühle verhält sich insofern anders
             als "Denken", als er nahe am Riechzentrum sitzend
             offensichtlich eine "historische" Dimension aufweist,
             in der Instinktmuster ältester Art wirksam werden.
             Das "limbische System", welches als Hauptsitz der
             Gefühle erkannt worden ist, ist in hohem Maße chemisch
             und biochemisch aktiv und hängt mit der Hormonproduktion
             eng zusammen.
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             Viele Schäden, die in Denkstörungen sichtbar werden, basieren
             möglicherweise auf Schäden des "limbischen Systems".
             Aus nächster Nähe habe ich das Absterben des Denkens
             verfolgt bei Menschen deren "Riechzentrum" geschädigt war.
             Kokain und Alkoholgenuß, wahrscheinlich auch Nikotin
             vermögen in diesem Bereich schwere Schäden hervorzurufen.
             "Gefühlskälte", "Euphorien", manisch-depressive Zustände
             und andere "psychische" Schäden treten in verschiedensten
             Kombinationen neben, aber auch ohne Organschäden, Krebs
             u.a.auf.
             Sowohl das"Ich" als auch "Wille" und "Bewußtsein" solcher
             Kranken sind deutlich verändert, was darauf hinweist,
             daß diese "Instanzen", falls es solche gibt, ihren "Sitz"
             auch im limbischen System haben.
             Philosophisch extreme Lebensformen, etwa strenger Buddhismus,
             Mönchstum aller Religionen, politisch-manisches Denken
             bei Tyrannen usw. könnten pathologischen Formen der
             oben benannten Strukturen entsprechen. Es ist keineswegs
             nur eine Art kranken Denkens, sondern die regelmäßig auf-
             tretende Unfruchtbarkeit weist auf tieferliegende, u.a.
             auch Schäden des hormonellen Stoffwechsels hin.
             Die "Gefühle" sind eng verflochten mit "Denken", möglicher-
             weise sind sie in gemeinsamen , noch zu definierenden
             Strukturen aktiv und verwachsen. "Reines" Denken und
             "reines" Fühlen sind wahrscheinlich Illusionen, die
             auf sozialen Konventionen und ihnen folgenden Täuschungen
             beruhen. Auffallend ist, daß Menschen mit spezialisiertem
             Denken häufig einem gemeinsamen Typus unter "hormonellem"
             und "emotionalem" Gesichtspunkt gesehen, angehören.
             Priester aller neuzeitlichen Religionen gleichen sich
             untereinander auffallen, aber auch Programmierer,
             Mathematiker, bildende Künstler usw.
                                              
             Psychologische Eingriffe
             Für die Psychologie stellt sich die Frage der Eingriffs-
             möglichkeit immer wieder in neuem Licht dar, wenn neue
             Erkenntnisse der Medizin, Biologie und Chemie u.a. relevanter
             Wissenschaften erworben wurden. Allerdins sind die Grenzen
             zwischen psychologischen und biologisch-medizinischen
             Eingriffen teilweise durchlässig. Wenn ein Depressiver auf
             Rat des Arztes oder Psychologen Sport betreibt und seine
             Ernährung umstellt, daneben psychologisch auf diese Tätig-
             keiten und andere notwendige Verhaltensänderungen hin vor-
             bereitet und auch zur Ausführung derselben gebracht wird, so
             ist dies auch eine Beeinflussung der Stoffwechselvorgänge,
             die über psychologische Maßnahmnen hinausgehen. Ebenso
             verhält es sich mit der Sexualtherapie, die beim Beginn
             des Sexualverkehrs, der einer psychologischen Beeinflussung
             gefolgt ist, die hormonellen Gegebenheiten indirekt verändert.
             Unzureichend ist psychologische Behandlung häufig, weil
             sie nicht in existenzielle Bereiche des Patienten hinein-
             ragt. Dies hat verschiedenste Gründe. Eine Gruppe solcher
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             Gründe liegt in Mängeln der Bindungen und elementaren
             Befriedigungen, aufgrund von sozialer Isolation, wie
             fehlendem Partner u.Ähnlichem. Die Therapie stößt daher auf
             objektive Grenzen. Andere Gründe sind die Ausklammerung
             der philosophischen Dimension, z.B. ungelöste Lebens- und
             Sinnfragen, die psychologisch-immanent nicht beantwortbar
             sind. Diese Gruppe von Gründen ist nicht ausreichend in
             der Forschung und Praxis problematisiert, teils fehlt auch
             das Bewußtsein dieses Problemkreises völlig.
             "Metapsychologiosche" Betrachtungen
             Im Verlauf der Theoriebildung zeigen sich ab und zu Sack-
             gassen, die den Rekurs philosophischer Theorien erforderlich
             machen. Das "Ich" als "Steuerungsgruppe" wird sich nur
             erhellen, wenn das oben Entwickelte einbezogen  und bis zum
             Ende verfolgt wird. Der Nietzsches Gedanke des Macht-
             willens ist hilfreich, weil er  die Beobachtung dahin lenkt,
             daß jede Lebensform seine Macht erweitern will, also
             möglichst schrankenlos wächst. Dies scheint für Regionen
             im Gehirn zuzutreffen. Sowohl pathologische Mechanismen
             aber vermutlich auch die gesammte Ichorganisation wachsen,
             so weit es ihnen überhaupt möglich ist.
             Die Steuerung des menschlichen Lebens durch ein vernünftig
             arbeitendes Ich ist nach wie vor Programm der Aufklärung.
             Interessant ist der Hinweis Nietzsches, daß man selbst
             noch auf dem eigenen Kopfe gehen soll, wenn anders es nicht
             weiter geht. Jene berühmte Stelle in seinem "Zarathustra"
             deutet an, was einem Ich bevorsteht, welches ein
             vernünftiges Regiment des Individuums anstrebt. Das "Ich"
             muß sich ausweiten, seinen Zugriff auf Energiepotentiale
             erweitern um letztlich das Individduum weitgehendst zu
             gestalten.
             An dieser Stelle ist das Modell weiter zu entwickeln, welches
             als Steuerung durch Denkmechanismen und Steuerungsgruppen
             begonnen wurde.

             Steuerung frei flottierender Energie
             Die Mobilisation von Energien, die Auflösung von Hem-
             mechanismen und Panzerungen erzeugen frei flottierende
             Energien, die teils in Adrenalinausstoß, hormonellen Schüben
             und anderen körperlichen Erregungen Ausdruck finden.
             Die Steuerung, der Verbrauch und die Bindung dieser Energien
             durch ein vernünftig strukturiertes Ich, ist die Grundlage
             für vernünftiges und kreatives Handeln. Die Erläuterung
             der Begriffe: Vernunft und Kreation kann hier nicht er-
             folgen. Aber in jedem Falle sind elemantare biologische
             Verhaltensweisen dabei mit zu denken.
             Das Ich kann diese Leistungen nur erbringen, wenn es für
             die verschiedenen Erregungsarten trainiert worden ist. Die
             einmalige Einsicht in die Ursachen der Erregungen reicht
             meist nicht aus. Das läßt sich am Beispiel der Nikotinab-
                                                            230/79
             hängigkeit erläutern. Häufig äußern starke Raucher, daß
             sie die Schädlichkeit des Rauchens einsehen, aber nicht den
             Griff zur Zigarette unterlassen können. Anders ist das, wenn
             die Einschränkung des Rauchens trainiert wird. Zunächst
             trainiert er ein selbstgestelltes Rauchverbot für die
             Spaziergänge draußen, dann ein Rauchverbot für bestimmte
             Tageszeiten und zuletzt vielleicht ein Zigarettenlimit
             pron Tag. Diese Art Training ist relativ aufwendig, allerdings
             häufig langfristig erfolgreicher als das abrupte völlige
             Aufgeben des Rauchens, dem die Rückfälle oft folgen.
             Das Training des Ichs bezüglich verschiedenster Erregungen
             kann an Alltagssituationen aber auch durch Simulationen
             vollzogen werden. Ich erinnere mich an ein frühes Training
             gegen die Furcht vor Dunkelheit und unbekannten nächtlichen
             Landschaften. Ich begab mich im Alter von 19 Jahren
             gelegentlich nachts in den Wald und weitete dies immer mehr
             aus, bis ich dann die Nächte allein in Frankreich und
             Spanien im Freien aushalten konnte.
             Vorstellungen bestimmter Situationen, die Erregungen
             verursachen, können ebenfalls ein Art Training durch
             Simulationen bewirken. 
             Das Ich stellt in allen Trainigsformen Verknüpfungen her,
             sowohl intern zwischen den Neuronen als auch solche des
             Zugriffs zu körperlichen Regionen. Bewußte Herzschlag-
             verlangsamung, die von den Yogis berichtet wird, geht in
             diese Richtung. An Nahkampf gewohnte Soldaten, aber auch
             Jagdflieger haben es gelernt, die Erregung und die Angst-
             produktion unter Kontrolle zu halten und vernünftig zu
             reagieren.
             Die Ausweitung der rational-bewußten Steuerung des "Ichs"
             bedeutet zugleich auch eine Eindämmung älterer instinkt-
             gebundener Reaktionen. So wird der Fluchtimpuls durch
             Beherrschung ebenso überformt wie auch der sexuelle Angriff
             durch "sittengemäßes" Verhalten.
             Offensichtlich birgt dies eine Reihe von Risiken, die
             dort augenfällig werden, wo das Verhalten sich zum Nachteil
             des Individuums verändert. "Todesmut" und Furcht vor Nähe
             sind offensichtlich Folgen von Instinktschwäche. Sie
             beruhen allerdings meist auf der Wirkung pathogener
             Mechanismen, seltener auf dominanten Steuerungsgruppen
             des "Ichs". 
             Aktive und passive Verarbeitung frei flottierender Energie
             Unausgeglichene Regulatoren eignen sich zur Verarbeitung
             frei flottierender Energie, wenn die produzierten Energien
             in Aktivitäten verbraucht werden können, die auf das Potential
             verinnerlichter Panzerungen und Hemmechanismen zurückgreifen
             können. Pathogene Aggression wird durch entsprechende
             Handlungen sowohl verbraucht wie auch gebunden und aus
             Mechanismen entbunden. Fanatischer Mut zeigt diese Vor-
             gänge deutlich. Alledings ist die Flexibilität gering und
             an spezielle Situationen gebunden.
             Ausgeglichene Regulatoren eignen sich zur Verarbeitung
             frei flottierender Energie, wenn die produzierten Energien
                                                              230/80
             in passiven Reaktionen der Selbstbeherrschung gebunden
             werden können. Dies bedeutet eine erhöhte Ernergiebesetzung
             des gesammten Denkapparats, aber auch erhöhte Nervosität und
             motorische Unruhe. Die Folge ist, daß verschiedene, als
             Bedrohung empfundene Gedanken sich verstärken und weitere
             Energie freisetzen. Das Potential frei flottierender Energie
             steigt zunächst, (einer der Gründe, warum intelligente
             Menschen furchtsamer erscheinen als andere) bis es durch
             systematische intellektuelle Denkarbeit abgebaut wird.
             Die Gefahr wird durchdacht, die Situationen reihenweise
             simuliert und in kleinen Einheiten Enegie gebunden und
             abgebaut. Dies setzt eine breit angelegte Struktur voraus.
             Die in der Antike nicht selten anzutreffencen Selbstmorde
             hochentwickelter Geister in aussichtslosen Lagen folgten
             starker Denkarbeit. Alle möglichen Varianten wurden durch-
             gespielt und zuletzt der Freitod relativ kühl vollzogen.
             Die Denkelemente verarbeiten bestimmte Quantitäten Energie.
             Vereinfacht betrachtet kann eine Organisation mit vielen
             verknüpften Denkelementen hohe Energiebeträge verarbeiten,
             eine mit wenigen Elementen niedrige Beträge.
             Aber auch die Qualität der Verknüpfung entscheidet über
             ihre Fähigkeit Enegie zu verarbeiten.
             Die elementare Todesangst ist mit der Mobilisation hoher
             Energiebeträge verbunden, ebenso die elemenare Furcht vor
             sexueller Konkurrenz. Denkelemente, die so beschaffen sind,
             daß sie Reaktionsvorschläge für die verschiedensten
             sumulierten Situationen der Bedrohung erzeugen, können
             hohe Energiebeträge verarbeiten und Verhaltensmuster
             bereitstellen, die geeignet sind, die Gefahr zu bestehen.
             Das äußerliche Bestehen ist hier nicht interessant sondern
             das innere Bestehen, das heißt, Vermeidung falscher
             unkontrollierter Reaktionen und Regressionen.
             Die Energie ist als hypothetisches Konstrukt nicht für
             alle Funktionen des Gehirns brauchbar. Schon die Annahme,
             daß hohe Energiebeträge und die Zahl der Denkelemente
             korrelieren, ist nur begrenzt verifizierbar.
             Offensichtlich haben die Denkelemente Zugang zu Mechanismen,
             die bestimmte Stoffwechselreaktionen auslösen. Diese
             sind wiederum energiereich oder energiearm. Dennoch sind
             die Mehrzahl der Verhaltensweisen nicht psychologisch
             erklärbar ohne Energiemodelle.
             Schon von der Geburt an werden Denkelemente und Mechanismen
             erworben, die im günstigen Fall steuerbar im ungünstigen
             nicht steuerbar sind. Diese Mechanismen sind nicht nur,
             wie im 1. Teil des Grundmodells entwickelt, pathologisch
             sondern elementare Bausteine des Gehirns. So ist z.B. die
             Tötungshemmung offensichtlich in tiefangelegten Mechanismen
             verankert. Viele kleine und kleinste Mechanismen werden
             erworben, mit denen komplexe Verhaltensweisen reguliert
             werden. Sie sind wahrscheinlich fast alle geeignet bewußt
             bzw. der Kontrolle des "Ich" integriert zu werden.
             Den Begriff der Hemmechanismen habe ich bisher nur ver-
             wendet um pathologische Prozesse zu beschreiben. Aber
                                                                230/81
             die kleineren an die Denkelemente gekoppelten Mechanismen
             lösen ebenfalls Prozesse aus, die Reaktionen hemmen.
             Die bisher entwickelten Hemmechanismen sind Spezialfälle
             innerhalb einer größeren Gruppe allgemeiner Hemmechanismen.
             
             Diese unspezifischen Hemmechanismen sind in allen Regulatoren
             aufzufinden. Im Gegensatz zu den großen pathogenen Hemm-
             mechanismen bringen nicht alle muskuläre Reaktionen hervor.
             Manche von ihnen bewirken den Abbau von Hormonen und Boten-
             stoffen und hemmen damit bestimmte Verhaltensabläufe.
             Ebenso umgekehrt: Besondere Stoffe werden ausgeschüttet,
             die ebenso hemmende Wirkungen haben.
             Die Einwirkungsmöglichkeiten des Denkens sind nicht nur
             bestimmt durch die Differenzierung der Denkelemente sondern
             vor allem durch die Anknüpfungsmechanismen zur organischen
             Basis. Deutlich wir dies, wenn hochqualifizierte Wissen-
             schaftler in extremen psychologischen Sitationen hilflos
             werden und ihr Denken ihnen nicht weiter hilft.
             Der Begriff der Klugheit enthält diffus die Vorstellungen
             der Fähigkeit klug zu handeln und schwierige Situationen so
             zu meistern als ob viele qualitativ hochwertige Denkelemente
             aktiviert würden. Hingegen ist der Begriff der Intelligenz
             weniger an diese Fähigkreiten geknüpft.
             Kognitive Regulatoren
             Ich möchte die Denkmechanismen, die mit "Nicht- pathogenen-
             Hemmachanismen" und in die Tiefe gehenden Steuerungs-
             mechanismen verknüpft sind als "kognitive Regulatoren"
             bezeichnen.
             Steuerungsgruppen enthalten in jeweils unterschiedlichsten
             Anordnungen ausgeglichene und unausgeglichene Regulatoren,
             Denkmechanismen, kognitive Regulatoren, Hemmechanismen
             und muskulöse Panzerungen.
             Die Entwicklungen des Fötus bis zur Geburt und des Säuglings
             und Kleinkindes bis zum 6. Lebensjahr formen wesentlich
             den Menschen und entscheiden darüber, welche Mechanismen
             den Charakter bilden.
             Der Zusammenhang zwischen Sexualunterdrückung, Unter-
             drückung der Motorik, der Phantasie, Liebesentzug,
             neurotische Verhaltensweisen der Eltern, wie z.B.
             Waschzwang und der Anlage pathogener Mechanismen wurde
             im ersten Teil der Modelle dargelegt.
             Ein Zusammenhang zwischen Zuneigung, Förderung kindlicher
             Selbständigkeit, Zutrauen, Freizügigkeit und der Anlage
             ausgeglichener Regulatoren und kognitiver Regulatoren
             ist zwingend anzunehmen.
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             Willensbildung und "wollende" Regulatoren
             Zielgerichtete und "gewollte" Handlungen sind sowohl im
             Bereich fanatischer wie auch ausgeglichener Charakteren zu
             finden. Der fertige Mensch ermöglicht nur schwer eine Analyse
             der Zusammensetzung des Willens, da die Entstehungsgeschichte
             häufig unerkennbar ist und in der Vergangenheit liegt.
             Der Wille zum Kranksein, insbesondere zum Drogenkonsum
             ermöglicht es, Wille in der Entstehung zu beobachten.
             Inwieweit solche Beabchtungen auch auf den "Normalfall"
             angewendet werden können, muß später dargelegt werden.
             Zunächst sind Genuß, Entspannung, soziale Anerkennung,
             Flucht vor Spannungen und Ängsten Motive des Drogenkonsums.
             Die Zusammensetzung der Gründe variiert, der Lustgewinn
             scheint aber im Vordergrund zu stehen.
             Manche Drogen hinterlassen einen unangenehmen Absturz des
             Wohlbefindens, der Kater bei Alkohol gehört dazu. Dennoch
             wird dies in Kauf genommen, wenn die Wiederholung des
             Drogengenusses gewollt wird. Lange vor körperlicher Ab-
             hängigkeit an die Droge entwickelt sich der Wille, sie zu
             konsumieren.
             Die wollenden Regulatoren sind Denkelemente und Mechanismen,
             oft verknüpft mit Panzerungen, die sich expansiv verhalten.
             Sie verknüpfen sich mit anderen Denkmechanismen  und
             besetzen zunächst vorrübergehend die Steuerungsgruppe, in der
             das "Ich" vorwiegend aktiv ist. Häufig findet sich in den
             Anfangsstadien dieser Entwicklung der Vesuch, diese Be-
             setzung des Ichs abzuschütteln. Vorsätze tauchen auf, wie
             etwa den Drogenkonsu nicht zu wiederholen oder herbzudrücken.
             Die Expansion erfolgt auf verschiedenen Ebenen.
             Im Bereich der Denkelemente werden logische und pseudologische
             Verknüpfungen gebildet. Die Gefahren werden hinwegbewiesen
             oder verharmlost, soziale Vorteile überbewertet. So ist
             es ein sozialer Vorteil, wenn der Kokainanhängige in den
             Dauertanznächten mithilfe des Kokakins wach bleiben kann und
             vor den potentiellen und realen Partnern eine gute Figur
             abgibt. Im Bereivch der Panzerungen finden durch den
             Drogengenuß Entspannungen statt, die wiederholt werden
             möchten.
             Das vorläufige Ausbleiben schwerer Schäden durch Drogengenuß
             wird so interpretiert, daß die Warnungen vor Drogengebrauch
             als unrealistisch oder als zweckentfremdet ideologisch
             interpretiert werden.
             Besonders gefährlich ist der Umstand, daß der Drogenabhängige
             erstmals ein stabiles Ich zu erwrben scheint. Dies gilt
             auch für Gruppen mit politschen Fanatismus. Das Absetzen der
             Droge bzw. die Abkehr vom Fanatismus gefährdet das gerade
             sich bildende Ich. Bislang ist das sogenannte "Krankheits-
             bewußtsein" der vermutlich einzige Weg, den Drogenkonsumenten
             dazu zu bringen, die Ichgefährdung, verursacht durch das
             Absetzen der Droge, zu ertragen und zu tolerieren.
             

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             Wille und Umwelt
             Willensbildung und Motivation gehören zu jenen Prozessen des
             Einzelnen, mit denen er seine Position in seiner Umwelt
             konstruiert. Zugleich wird das Individuum durch seine Welt
             geformt. Es sind wechselseitig durchdrungene Prozesse, in
             denen auch nichtpsychologische Vorgänge der Umwelt
             psychologisch wirksam werden. Das Individuum wird von
             politischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und ver-
             schiedensten anderen Prozessen beeinflußt und geprägt. Die in
             der Umwelt wirksamen Mechanismen werden teils ins Individuum
             integriert und geben Muster ab für psychologische Vergleichs-
             prozesse. Das Muster des ökonomischen Vorteils wird im Ich zur
             Suche nach psychologischen Vorteilen erweitert und dem Ich
             integriert. Aber auch die prinzipielle Verwandschaft der
             "seelischen" Energieökonomie mit der gesellschaftlichen
             Ökonomie wird funktionalisiert.
             In der Psychoanalyse wurde auf die Übertragung von Vater-
             figuren zu gesellschaftlichen Institutionen hingewiesen.
             Umgekehrt werden gesellschaftliche Machtverhältnisse auf
             familiäre -  und andere Gruppenstrukturen übertragen.
             In der kurzschlüssigen Ableitung von Klassenbewußtsein aus
             Klassengegensätzen klingen diese Verflechtungen zwischen
             Individuum und Umwelt an.
             Das sich entwickelnde Ich reflektiert sich vor sich selbst
             in der Gestalt eines Selbstbildes. Dies ist meist doppel-
             gesichtigt. Einerseits sieht es sich so, wie es glaubt von
             anderen gesehen zu werden, andererseits sieht es sich so,
             wie es im Licht eigener Ideale für sich erscheint.
             Beide Vergleichsarten können zu einem positiven sich selbst
             bestärkenden oder zu einem sich selbst anzweifelnden Resultat
             führen. Aus beiden möglichen Positionen wird die Willens-
             bildung beeinflußt. Manche psychologische Fehlhaltungen
             kommen nicht aus der internen Lebensgeschichte, traumat-
             ischen Erlebnissen, Hemmechanismen und Panzerungen, sondern
             aus Konklikten um das Selbstbild. Phobien sind häufig mit
             dieser Problematik verknüpft.
             Konfklikte um das Selbstbild sind einerseits internalisierte
             aber auch akute soziale Konflikte und andererseits Aktivierung
             psychischer Mechanismen, die mit jenen in Wechselwirkung
             treten.
             Der in diesem Sinne soziologische Ansatz verhilft zur Klärung
             einer Reihe von psychischen Konflikten, die sich in der
             Psychoanalyse als "Widerstand" des "Unbewußten" darstellen.
             Oft steht die Scham hinter diesen "Widerständen" vor der Auf-
             deckung dieser Selbstbildkonflikte. Unter andern im Bereich
             der echten oder eingebildeten Impotenz ist dies vorzufinden.
             
             Der Mensch als gesellschaftliches Wesen wird von den
             gesellschaftlich erworbenen Institutionen, Traditionen,
             Gedächtnisspeicher und dem gesellschaftlichen Getriebe ins-
             gesammt geformt. Sein Wille ist davon bestimmt, sowohl
             in opportunen wie auch oppositionellen Verhaltensweisen
             und internen Funktionen seiner "Psyche".
             Individuelle Strebungen und Aufklärung finden ihre Grenzen
             in der Gefährdung oder gemeinten Gefährdung seiner
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             Person in der Gesellschaft und in der Struktur der Abwehr
             und Panzerung, die sich als konservatives Element seiner
             Auflösung entgegen stemmt.
             Aber auch besondere Denkprozesse zeigen die Eigenschaften
             von starren Elementen.
             Substituierende Denkmechanismen in der Willensbildung
             Im ersten Teil des Grundmodells wurde die Abwehr gegen Abwehr
             Steuerung besprochen. In ihr werden Elemente der Panzerung
             substituiert. Sie treten in den Dienst gewollter Veränderungen
             des Verhaltens. Die Rationalisierungsmechanismen zeigen eine
             umgekehrte Funktion: Denkmechanismen treten in den Dienst der
             Abwehr und der konservativen Verhaltensmuster. Im Bereich der
             Willensbildung werden ebenfalls Denkmechanismen substituiert,
             sodaß Willensänderungen verhindert oder ins Gegenteil verkehrt
             werden. Diese Mechanismen zeigen sich, wenn ein Mensch mit
             weitgesteckten Zielen diese aufgibt, sei es durch Krankheit
             oder aus Überdruß. Oft versucht er mit den neu gewählten
             Zielen alte Bedürfnisse und Willensrichtungen zu befriedigen.
             Die Aufdeckung der substituierten Ziele ist nicht ausreichend
             für die Veränderung der zugrunde liegenden Strebungen. Der
             Wille selbst muß in seiner Urform deutlich und seine
             Entstehungsgeschichte aufgedeckt werden. Allerdings ist damit
             zu rechnen, daß er nicht veränderbar ist. Häufig werden die
             substituierten Ziele gar nicht in ihrer Verwandtschaft zu den
             früheren Zielen erkannt. Der  Manager, der "aussteigt" und
             in Afrika Papageien züchtet, wird zum Unternehmer und lebt
             letztlich wieder ähnlich wie vorher.
             Während Rationalisierungsmechanismen rational klingende
             Begründungen liefern, mit denen die Nichtveränderung einer
             Haltung akzeptabel gemacht wird, treten die substituierenden
             Mechanismen als Willensakte auf, die neue Ziele anstreben
             und damit den Eindruck einer wirklichen Veränderung des
             Verhaltens hervorrufen. Das Verhalten und die Umgebung werden
             gewechselt, aber die alten Willensrichtungen weiter verfolgt.
             "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust"
             Dieses berühmte Zitat betrifft eine verbreitete Erfahrung.
             Es sind nicht nur zwei sondern mehrere Seelen möglich, die im
             Individuum spürbar werden.
             Übertragen ins Grundmodell: Der Ort des Ichs ist wandelbar.
             Solange das "wandernde" "Ich" sich nicht zwischen konkurrier-
             enden Mechanismen befindet, ist es eine "Seele", die das
             Individuum spürt. Aber bereits das gleichzeitige Auftreten von
             Furcht und freudiger Erwartung, Liebenden eine bekannte Er-
             scheinung, kann zu diesem Gefühl von zwei Seelen in der Brust
             führen. Ebenso die Versuchung, mit einer verbotenen Handlung
             einen Gewinn erzielen zu können. Der "Gewissenskonflikt" ist
             ebenso geeignet zu einer solchen Empfindung zu führen.
             Dies weist daraufhin, daß die Steuerungsgruppen im Individuum
             wechseln. Solange das Ich beim Wechsel der Steuerungsgruppe
             keine aktiven Elemente in der eben verlassenen Steuerungs-
                                                       230/85
             gruppe hinterläßt, ist das Gefühl des einen Ichs vorhanden.
             Bleiben aber Reste in der alten Gruppe aktiv, so kommt es zu
             dieser Doppelheit der "Seelen".
             Bei der Betrachtung extremer Handlungen fällt auf, daß diese
             offensichtlich aus anderen Ebenen des Ichs energetisch
             versorgt wrden, wie dies im Mechanismus der pathogenen
             Aggression verdeutlicht wurde. Sobald das "Ich" sich mit
             diesen Handlungen identifiziert, wird es pathologisch. Dieses
             kranke Ich liegt in einer anderen Schicht der "seelischen"
             Organisation. Das bedeutet, die Willensbildung vermag
             neben einem horizontalen auch einen vertikalen Wechsel vor-
             zunehmen. Wenn das pathogene Ich neben dem "Alltagsich"
             bestehen bleibt, eine Situation die unter Kriegszuständen
             häufig ist, können zwei verschiedene oder auch mehrere
             Willenszentren sich bilden. Möglicherweise sind sie mit
             der Schizophrenie in den Grundzügen verwandt.
             Das Individuum besteht aus konkurrierenden Steuerungsgruppen,
             es ist ein Versammlung von "Ichen" und "Willenszentren",
             die aber in der Regel des zivilisierten Alltags durch interne
             psychische Rangordnungen geordnet aktiviert werden und den
             Anschein von nur einem Ich in einer Person erwecken.
             Internalisierte Gesellschaft
             Die Herkunft und Verarbeitung frei flottierender Energie
             ist eine Schlüsselproblematik im psychischen Geschehen.
             Häufig sind Aufklärung, Selbstkontrolle und Veränderungen
             des Ichs deshalb unmöglich, weil gesellschaftliche Kräfte-
             lagen internalisiert und wirksam sind. Das beginnt bei der
             Sprache. Sie ist nichts anderes als Medium der Gesellschaft
             im Individuum, welches der Einzelne für seine eigenen Zwecke
             operationalisiert. Dies ist aus strukturellen Grunden viel-
             fach nicht ohne weiteres möglich. Bereits die Syntax mit
             ihrer Subjekt-Verb-Objekt Struktur legt Relationen und
             Aussagen fest, die bestimmte, für das Individuum ein-
             schränkende Folgen haben.
             An erster Stelle stehen die Mechanismen, die durch die
             Religionen ideologisch verankert werden. Sie sind nicht
             Gegenstand dieser Arbeit. Nächst diesen Mechanismen liegen
             die "aufgeklärten" Auffassungen zu den Grundfragen des
             menschlichen Lebens. Ein Beispiel: Der Darwinismus mit
             seinen Theoremen von der Überlegenheit der Stärkeren
             wird als Überlegenheit des Stärkeren in der Gesellschaft
             internalisiert und präformiert die Handlungen des Einzelnen.
             Er unterläßt aus Furcht viele Handlungen, weil er glaubt
             die internalisierten Muster repräsentierten eine un-
             überwindliche Gegebenheit. Hierhin gehört die interessante
             Beobachtung, daß unter extremen Situationen oft wenige
             Bewaffnete eine große Zahl von Gefangenen beherrschen und
             letztlich der Vernichtung zuführen können.
             Der Grundmechanismus ist aber nicht durch Rebellion zu
             enthebeln, wenn auch einzelne Erfolge solcher Rebellionen
             vorgekommen waren. Zentral ist die Furcht vor dem Tod,
             die eigentlich erwartete Schmerzangst ist. Die Armeen
                                                               230/86
             Cäsars, die vielleicht die todesmutigsten Soldaten hatten,
             die es bisher in der Geschichte gab, waren durch oft
             lebensgefährliche Belastungen im Marsch und Drill an den
             Schmerz gewohnt. Zugleich war die stoische Ideologie vor-
             rangig. Weder war der Schmerz etwas zum Fürchten noch
             das Nichtmehrsein, welches mit Spekulatinen über ein Leben
             in jenseitigen Welten nicht befrachtet war.
             Das Tabu der Selbsttötung, noch von Friedrich dem Großen
             der Freiheit untergeordnet, ist Disziplinierungsinstrument
             mit der Absicht die Todesfurcht zu verankern.
             Lao Tse hat die Rolle der Todesfurcht in seiner Philosophie
             für Herrscher deutlich gemacht:
             " Fürchtet das Volk nicht den Tod, wie will man es mit dem
             Tod schrecken ? Wenn man macht, daß das Volk den Tod stets
             fürchtet, und wir können den, der Schreckliches tut, ergreifen
             und töten, - wer wagt es ?...
             Lasse das Volk den Tod schwer nehmen und nicht in die Ferne
             ziehen."
             Verzweigungen und zentrale Spitzen
             An der Todesfurcht läßt sich das Phänomen der Verzweigung
             beobachten. Der Schmerzangst als Spitze mit ihrem ideolog-
             ischen Pentant, der Todesfurcht, sind verschiedenste Ängste
             in vielfachen Verzweigungen angekoppelt. Eine solche Struktur
             dürfte für viele zentrale "Spitzen" zutreffen.
             Das Kappen der Spitzen führt nicht zur dauerhaften
             Veränderung, wenn die Verzweigungen bestehen bleiben. Es ist,
             als ob Spitzen nachwüchsen. Das Training der psychologischen
             Selbstbeherrschung ist bildlich wie ein Umstellen der
             einzelnen Schalter der verzweigten Äste zu verstehen. Wenn
             viele Vezweigungen umgeschaltet sind, bleibt die Spitze übrig,
             die ihrerseits ein "Nachwachsen" der Verzweigungen bewirken
             kann. Der Prozeß von Training und Simulation ist unter
             quantitaivem Gesichtspunkt dann effekitv, wenn er viele
             Umschaltungen vornimmt. Zugleich ist die Kappung der Spitze
             durch Erkenntnis und Training erforderlich.
             Dies entspricht dem Bild der Denkmechanismen, die erst
             in großer Zahl, synchron wirkend, über ausreichende
             Energiebeträge verfügen um bewußte Eingriffe zu ermöglichen.
             Analogien des Grundmodells zu den Hirnfunktionen
             Das Feuern der Neuronen und die Produktion von Transmitter-
             stoffen und Gedächtnismolekülen ist unter quantitativem
             Gesichtspunkt von gleicher Bedeutung wie die Energieproduktion
             im "Grundmodell". Auch dort gilt, daß größere Mengen produ-
             zierter Energien darüber entscheiden ob, wie und was im
             Organismus erregt und gesteuert wird. Es drängen sich
             funktionale Analogien auf: Starke Mobilisation sexueller
             Energien führen mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso zu
             sexuellen Vorstellungen und Handlungen wie starke Aus-
             schüttungen von Sexualhormonen. Denkmechanismen werden
             wirksam, wenn sie mit vielen anderen zusammen wirken und
                                                              230/87
             sich energetisch verstärken. Analag dazu setzen sich jene
             Gedanken durch, deren Erinnerungsmoleküle in den Ribosomen-
             fabriken der Zellen massenhaft hergestellt werden.
             Wo aber liegen die "wollenden" "Spitzen" des Grundmodells im
             biologischen Prozeß des Gehirns ?
             Anhang
                                                         230 Anhang/1
             Einleitung von 1974
             Die vorliegende Arbeit möchte nicht als "wissenschaftlicher
             Beitrag" zu einer, wie auch immer verstandenen Fachdisziplin
             Fsychologie gelten. Dazu erscheint mir die vorherrschende
             "Wissenschaftlichkeit" viel zu sehr Vehikel der Beherrschung
             von Menschen durch Menschen zu sein. Der positivistische,
             systemfromme Ansatz, bald jeder im gängigen Wissenshetrieb
             gepflegten Disziplin immanent, kann weder übernommen noch
             kritiklos ignoriert werden.
             Es geht weder um "wertfreie Forschung" noch um "Erkenntnis als
             solcher". Kernproblem dieser Psychologiearbeit ist das Elend
             des gesellschaftlichen Status quo, insbesondere wie er sich
             niederschlägt in der psychischen Verfassung der Menschen
             selber. Dieser Ansatz impliziert den Versuch, einen Beitrag
             zur Veränderung der Menschen zu leisten, die darauf abzielt,
             daß wir frei und glücklich leben können.
             Wäre "objektive" Wissenschaft wirklich derart möglich, wie
             Positivisten beteuern, brauchten Reflexionen zum Instrument-
             arium von Erkenntnis hier nicht folgen. Weil aber einem
             Unterbau vertraut wird, dessen Stringenz zu belegen nicht
             mehr für nötig gehalten wird, folgt die im Fachdisziplinären
             verbleibende Forschung einem irratinalen Fundament.
             Gängige Praxis wurde, die Reflexionen dort abzubrechen, wo
             wissenschaftliche Forschungsergebnisse in gesellschaftliche
             Veränderungen umgesetzt werden müßten, die den gesell-
             schaftlichen Trends zuwider laufen. Der Hinweis, dann
             begönne die Sache der Politiker, legitimiert jenen Abbruch
             nicht rational, sondern gehört zum Ausdruck eines Mechanismus
             von Unterordnung: Wer die Macht hat gibt den Ton an. Damit
             hebt sich aber Wissenschaftlichkeit substantiell selber auf.
             Was sachimmanent logisch strukturiert ist, wird dem Handeln
             derer überantwortet, die auf Weltanschauung und Gewissens-
             freiheit sich berufend, ihre Klasseninteressen bloß wahr-
             nehmen. Die Produkte rationaler Forschung vermögen daher
             nicht, die Welt rational zu gestalten, befördern vielmehr das
             geordnete Chaos auf jeweils entwickeltere Stufen.
             Fachbegrenzte Forschung kann, den positivistischen
             Implikationen ihrer Struktur und Anwendung nur entgehen, wenn
             sie übers Fach hinaus geht und ihre Voraussetzungen und
             Wirkungen selber reflektiert. Allgemein gilt: Jede fach-
             begrenzte Forschungsarbeit strukturiert sich nach positiv-
             istischen Voraussetzungen, wofern nicht in ihr erkenntnis-
             theoretische Reflexionen jene negieren.
             Das aber ist gleich dem Auftrag, Forschung müsse die ihr zuge-
             wiesenen Reservate verlassen und Rationalität in
             gesellschaftliche Veränderungen übersetzen.

                                                       230 Anhang/2
             Positivistische Forschung ist immament diszipliniert von den
             vorgeblich objektiv gültigen Gesetzen der Logik. Dem darf der
             kritische Gedanke nicht sich anpassen. Der Hinweis, ohne unter
             einander vereinbarte Denkregeln wäre keine Grenze mehr zur
             Spinnerei zu ziehen, sticht nicht. Zwar ist auch kritisches
             Denken keine vollends freie Bewegung, muß dem ihm Nicht-
             identischen folgen, wohin es sich unkontrolliert noch immer
             bewegt. Die Logik im Denken ist aber in die Dialektik vom
             Allgemeinen und Besonderen eingebettet, realisiert sich im
             jeweils Konkreten bündig. Nicht aber kann von konkret
             Gedachtem etwas wie allgemeine Denkregeln ausgesiebt werden.
             Das Allgemeine ist in den historisch vermittelten Denk-
             elementen deren Substanz; nicht aber muß die Besonderung ihrer
             spezifischen Bewegungen wieder zum Allgemeinen gesetzmäßig
             sich auflösen lassen. Die realen Antagonismen lassen ein für
             alle gleichermaßen gültiges Denken nicht zu, solange es
             kritisch aufs Konkrete zielend jene begreifen und aufzulösen
             helfen möchte. Das Bedürfnis, mittels allgemeiner Denkregeln,
             etwa solcher, wie sie in positivistischer Logik und
             "Wissenschaftstheorie" sedimentiert sind, Sicherheit vor
             dem Abgleiten ins Uferlose zu finden, kommt einerseits aus den
             verinnerlichten Machtansprüchen der Herrschenden an die
             Wissenschaft, andererseits von der gegenwärtig vorherrschenden
             Ichschwäche, nicht aber vom Rationalen selbst. Die affirmative
             Haltung vieler Positivisten ist ihrem Denken nicht bloß
             aufgesetzt, sondern zeigt die Verflechtung von Triebstruktur
             und Denken sowie deren Prägung durch das Vorwaltende. Jener
             lag falsch, der meinte, die Gedanken aber wären frei. Das
             Reich der Freiheit existiert nirgends inmitten realer
             Unfreiheit. Wer ewig in Ketten leben muß, denkt auch ent-
             sprechend.
             Der Objektivitätsanspruch ist Mittel, mit dem die system-
             frommen Wissenschaftler kritische Arbeiten diffamieren und
             ausschalten möchten. Die Gleichsetzung des, nach
             philosphischem Sprachgebrauch vom Subjekt unabhängigen
             Objekts mit dem, was sich durch Arbeit verobjektivierte, soll
             an der Basis möglicher Reflektionen überhaupt den Status quo
             zementieren. Objektives ist Produkt der Vermittlung von
             Subjekt und Objekt, pragmatischer: Produkt menschlicher
             Arbeit. Im Objektivierten sind die Aktivitäten sowohl des
             Objekts als auch des Subjekts fusioniert, denn das Objekt
             ist nicht "passiv", der in der Technologie lebende Mensch ist
             nicht von ihr ungeformt. Jedoch nicht nach Maß einer irgend
             gearteten Freiheit oder Regel, sondern strukturiert von der
             Geschichte der Vermittlung und dem, was daraus kann möglich
             werden: Der Erstreckung in die Zukunft. Objektivieren kann
             sich immer nur, was über das einzelne Individuum hinaus in
             allen eine Basis findet, sonst bleibt es bei verschiedenen
             subjektiven Sichtweisen. Jedoch ist diese Basis bis heute
             beschränkt auf einige physiologische und psychische Gemeinsam-
             keiten der Individuen. Über das was man "grün" nennt, dürften
             kaum Zweifel aufkommen, wohl aber z.B. darüber, ob die gegen-
             wärtigen Herrschaftsstrukturen objektiv notwendig sind. Für
             das Erstgenannte haben die Individuen eine gemeinsame Basis,
             beim Letztgenannten fehlt sie aber. Dennoch soll im Telos der
                                                        230 Anhang/3
             Positivisten auch dort Notwendiges objektiv vorwalten, wo
             keine gemeinsame Basis sondern antagonistische Klassen
             bestehen: in der Frage der Herrschaft von Menschen über
             Menschen. Nun kann aber das vorgeblich Notwendige von Herr-
             schaft nur als ein Objektives postuliert werden, von dem
             vorweg die künftigen Aktionen der Unterdrückten wider ihre
             Unterdrücker abgezogen werden. Das geschieht so:
             Objektives und zukünftig erwartetes Objektives wird dem
             Objekt gleichgesetzt, mit dem Hintergedanken, daß ins Objekt
             nicht sich eingreifen läßt. Also müßte ein mit diesem
             identifiziertes Objektives ebenfalls sich dem subjektiven
             Eingriff entziehen. Unterschlagen wird geflissentlich, daß im
             Objektiven bereits subjektive Aktionen eingelagert sind.
             Das wären allerdings nur Aktionen der Beherrschung, wenn die
             Unterdrückten den ideologischen Schwindel glauben würden
             und passiv dem "Objektiven" gegenüber blieben.
             Mit dem Nachweis, das "objektive Erkenntnis" durch die realen
             gesellschaftlichen Antagonismen unmöglich wird, schwindet auch
             die unbedingte Gültigkeit des auf bloße Identität von Begriff
             und Sache sich stützenden Identitätsdenkens. Denken ist
             geprägt von seiner Nichtidentität mit der "Sache" oder "Wirk-
             lichkeit". Diese ist ein Gewordenes und Werdendes, also
             Bewegung in allen ihren Elementen, nicht aber Wiederholung
             von einmal Dagewesenem. Dort, wo Wiederholungen sich melden,
             sind sie verursacht durch die Identifizierung des Subjekts:
             diese ist aber Produktion innerhalb von Nichtwiederholbarem
             innerhalb der Geschichte. Jede Bewegung kann nur bemessen
             werden durch das ihr Entgegengerichtete; ein zumindest
             partiell Erstarrtes. Der Wandel aller Momente von Erkenntnis
             folgt daraus zwingend, sollen sie nicht in der Erstarrung, in
             ihrer Eigenart als Maß, nicht beizeiten unpassend und unwahr
             werden. Kein Moment im Denken kann von allen anderen als
             Unveränderliches oder ewig Gültiges abdestilliert werden. Nur
             bewegte Denkmodelle können, wenn auch nichtidentisch dem
             Äußerlichen, irgend Äquivalente erzeugen zu diesem. Die
             Elemente des Denkens müssen den realen Bewegungen gemäß
             verändert, negiert und durch neue Elemente ersetzt werden.
             Damit wird das Erkenntnisinstrumentarium ein bewegtes Modell,
             dessen Konstellationen seiner Elemente zueinander oft nur über
             geringe Zeiträume dem "Wirklichen" äquivalent also "wahr"
             sind. In der Konstellation der Elemente des Denkens bedeuten
             das Verschwinden, die Wandlung, der Ersatz eines Einzigen oder
             Hinzunahme eines neuen, daß alle anderen sich auch verändern.
             Die ganze Konstellation muß dann umstrukturiert, womöglich
             auch aufgegeben werden.
             All dessen unbekümmert werden in positivistischer Methode
             Elemente und Teilprozesse aus dem Ganzen herausgelöst,
             analysiert und bestimmt, als ob diese nach ihrer Herausnahme
             noch das Gleiche wären wie vorher. Zwar realisieren sich z.B.
             in psychologischen Experimenten immer bestimmte wiederer-
             kennbare Bewegungen. Doch die aus solchen Einzelergebnissen
             zusammengesetzten Erkenntnisse treffen nur selten die
             wirklich geschehenden Dinge. Gerade komplexe psychologische
             Prozesse, etwa die Produktion der Angst, lassen sich nicht aus
             zusammengestückelten Ergebnissen von Einzelexperimenten
                                                       230 Anhang/4
             erklären. Was die Produktion der Angst verursacht, ein
             gestörter Libidohaushalt, eine bestimmte Lebensgeschichte und
             andere komplizierte Prozesse, kann nicht experimentiell
             rekonstruiert werden. Daher ist diese "empirische"
             Wissenschaft unfähig, brauchbare Modelle zur menschlichen
             Psyche zu erstellen. Es reicht meist nur zur Bestätigung von
             Dingen, die wir sowieso schon wußten. Der Verdacht scheint
             mir begründet, daß brauchbare Aussagen zur Psyche auch gar
             nicht gewünscht werden. Die positivistischen Methoden sollen
             wohl eher als Klarheit herausfinden, wie Menschen besser
             sich abrichten lassen.
             Gegen die psychologisch frisierten Herrschaftsprogramme wendet
             sich die von Wilhelm Reich formulierte Einsicht, daß der Kern
             psychologischer Beherrschung in der zwangsmoralischen
             Regulierung der elementaren menschlichen Bedürfnisse, ins-
             besondere der sexuellen zu finden ist:
             " Der zwangsmoralische Standpunkt der politischen Reaktion
             sieht einen absoluten Gegensatz zwischen biologischem Trieb
             und gesellschaftlichem Interesse. Zufolge dieses Gegensatzes
             beruft sie sich auf die Notwendigkeit der moralischen
             Regulierung, denn, so heißt es, würde man die
             "Moral aufheben" dann würden die "tierischen Triebe" alles
             überfluten und das "Chaos herbeiführen".....
             Ist also Moral notwendig ? Ja, insofern Triebe in der Tat das
             gesellschaftliche Zusammenleben bedrohen......./aber/ die
             Moral entstand zunächst nicht aus dem Bedürfnis, gesell-
             schaftlich störende Triebe zu unterdrücken, denn sie war vor
             diesen asozialen Trieben vorhanden. Sie entstand in der
             Urgesellschaft aus bestimmten Interessen einer sich ent-
             wickelnden, ökonomisch mächtig werdenden Oberschicht, die
             natürlichen an sich die Sozialität nicht störenden
             Bedürfnisse zu unterdrücken./a/
             Die Berechtigung ihrer Existenz erhielt die zwangsmoralische
             Regulierung in dem Augenblick, als das, was sie erzeugt hatte,
             das gesellschaftliche Leben tatsächlich zu gefährden begann.
             Die Unterdrückung der entsprechenden Befriedigung des
             Nahrungsbedürfnisses etwa erzeugte erst die Neigung zum
             Diebstahl und diese wieder machte die moralische Regel
             notwendig, daß man nicht stehlen dürfe."/b/
             Die Mechanik der Triebunterdrückung kann erst durchbrochen
             werden, wenn sie im wesentlichen erkannt worden ist.
             Das erfordert eine klarere als bisher mögliche Einsicht in
             das, was in uns und unserer Psyche vorgeht. Ein Stück von
             solcher besseren Einsicht möchte ich mit dieser Arbeit
             gewinnen helfen.
             (Zusatz Sept.2000: Der Versuch, dem objektiven Ansatz zu
             entrinnen konnte hier nicht gelingen, wenn auch die Kritik
             am Wissensbetrieb berechtigt bleibt. Auch die Theorie des
             Nichtidentischen bleibt unentbehrlich, damit die
             Produkte des Denkens nicht mit einem Spiegelbild der
             Wirklichkeit gleich gesetzt werden. Der subjektive
             philosophische Ansatz wie er in der "subjektiven Perspektive"
             Jahre später entwickelt wurde, führt im Bereich der
             Psychologie wieder hin zu objektivierbaren Sachverhalten.)
             
             /a/ dazu: Reich "Einbruch der Sexualmoral" Raubdruck
             /b/ zitiert aus: Reich "Die sexuelle Revolution" E V

                                                         230 Anhang/5
             
             Einzelfallanalysen zum Grundmodell von 1974
             Zum Aufbau: Die Analysen sind weitgehendst der Abfolge im
             Grundmodell angeglichen. Jeweils mehrere Analysen folgen einer
             Fragestellung. Unter der Nr.der Analyse ist jeweils das
             Material, die Situation u. dgl. aufgeschrieben und davon
             abgesetzt erfolgt die Auswertung. Die Trennung in Material
             und Auswertung soll das Analysieren des Lesers erleichtern
             und vor allem andersartige Ergebnisse ermöglichen.
             Natürlich ist schon die Auswahl der Analysen und die
             Zusammenstellung des Materials der gesamten Arbeit angepaßt
             und den Zielen untergeordnet.
             Fragestellung:
             a	wie werden die Impulse des Annäherungsverhaltens
             umstrukturiert?
             b	welche sekundären Impulse werden durch diese
             Umstrukturierung erzeugt?
             c	wie werden die sekundären Impulse verarbeitet
             und neuerlich umstrukturiert?
             Nr .1
             Die beiden Kleinkinder Peter, 4 Jahre alt und Rainer, 2 Jahre
             alt, sitzen im Ehebett der Eltern und spielen mit dem Bettzeug
             und ihren Gliedmaßen. Die Eltern sind im anderen Raum und
             helfen beim Tapezieren des Wohnzimmers. Es ist etwa 10.00 Uhr
             morgens. Die Kinder müssen bis gegen Mittag im Schlafzimmer
             bleiben. Peter spielt mit seinem Penis und Rainer sieht zu.
             Da kommt Peter auf den Einfall, Rainer solle seinen Penis
             in den Mund nehmen. Rainer will das tun, wird jedoch von der
             ins Zimmer tretenden Mutter daran gehindert. Die Mutter sieht,
             daß die Kinder an ihren Genitalien spielen, schlägt die
             Kinder auf die Finger und sagt: "Das ist bah, damit spielt
             man nicht!" Erschreckt lassen die Kinder ihr Spiel sein und
             spielen wieder mit dem Bettzeug, nachdem die Mutter den Raum
             wieder verlassen hat. Sie werfen sich heftig die Kopfkissen
             an den Kopf und Rainer fängt an zu weinen, weil Peter ihm mit
             dem Bettlaken die Füße zusammengebunden hat, so daß es
             schmerzt. Die Mutter wird vom Geschrei ins Zimmer gerufen und
             schlägt Peter auf die Finger und schimpft: "Du darfst Rainer
             nicht quälen, wenn ich das noch einmal sehe, gibts Haue !"
             Nachdem die Mutter den Raum wieder verlassen hat, legen sich
             die Kinder unter ihre Bettdecken und wiegen ihren Kopf
             rhytmisch von einer Seite zur anderen. Dabei halten sie sich
             ein Tüchlein an die Lippen, welches sie leicht an der
             Oberlippe reiben.
             Auswertung:
             Zunächst wird der sexuelle Annäherungsimpuis vom Erscheinen
             der Mutter blockiert. Das Schimpfen der Mutter blockiert den
             Impuls auch  noch nach ihrem Fortgehen. In Peter wird der
             nichtentladbare Impuls umgewandelt zu einer motorischen
             Aktion, die bereits aggressive Färbungen hat. Der Bruder wird
             vom Lustobjekt zum Ersatzunlustobjekt. Peter konnte die
             Aggression, welche auf die Versagung des sexuellen
                                                         230 Anhang/6
             Befriedigungswunsches folgte nicht gegen den Unterdrücker,
             gegen die Mutter richten und wendete daher die nun abgelenkte
             Aggression wider ein Ersatzunlustobjekt, hier der Bruder.
             Es erfolgt eine Umstrukturierung des sexuellen Impulses
             zu einer Aggression, die jedoch vom eigentlichen Ziel
             abgelenkt werden muß. Weil diese Aggression nicht primär
             einer Bedrohung folgt, sondern dem unterdrückten sexuellen
             Impuls entstammt, und weil sie kein Ziel findet, welches die
             Befriedigung des sexuellen Wunsches noch erreichen ließe,
             ist das bereits eine pathogene Aggression. Diese darf aber
             auch nicht realisiert werden, weil wiederum durch die Mutter
             eine Unterdrückung, diesmal des sekundären aggressiven
             Impulses stattfindet. Es erfolgt deshalb eine neuerliche
             Umstrukturierung der Energien zu einer prägenitalen
             Ersatzbefriedigung mittels Lippenreizung durch das Tüchlein.
             Es findet eine Rückverwandlung der pathogenen Aggression
             statt zu einer sexuellen Befriedigung, die jedoch nur als
             gedämpfte und genital entsexualisierte Befriedigung möglich
             ist. Unterstützt wird sie durch das  Wiegen des Kopfes,
             was die an sexuelle Lust erinnernden Schwebegefühle
             verstärken hilft.
             Nr.2-3 /ausgelassen/
             Nr. 4
             Peter, 5 Jahre alt, versucht ein Stück Gummischlauch in die
             Vagina von Monika, 2 1/2 Jahre alt, einzuführen. Rainer, 5
             Jahre alt, machte den Vorschlag dazu; tat es aber nicht
             selbst, weil er Angst hatte, dafür bestraft zu werden.
             Außerdem steht Franz, 4 1/2 Jahre alt dabei. Alle Kinder
             befinden sich in einem Ziergestrüpp vor dem Mietshaus, in
             dem Peter wohnt. Monika schreit, als ihr Peter beim Versuch,
             den Gummischlauch einzuführen Schmerzen zufügt. Die Kinder
             nehmen davon aber keine Notiz. Peter probiert weiter und
             Monika schreit lauter. Nun bekommt Rainer Angst, daß sie von
             Erwachsenen gehört werden könnten. Er rät deshalb,
             aufzuhören. Jedoch sind die Kinder bereits von Nachbarn
             gehört und zum Teil gesehen worden. Diese Nachbarn haben aber
             die Kinder nicht aus dem Gebüsch geholt, sondern gingen zu
             den Eltern von Peter und Monika. Die Mütter der Beiden eilen
             herbei und scheuchen die Kinder aus dem Gebüsch. Monika
             erhält von ihrer Mutter sogleich einige Ohrfeigen; Peter
             wird am gleichen Abend von seinem Vater verprügelt. Rainer
             bekommt einige Tage Hausarrest und Franz wird gedroht,
             er komme in die Fürsorge. Die Eltern äußern Abscheu und
             Empörung: "Pfui, daß du so etwas tust, hätte ich von Dir
             nicht gedacht"; oder: "Bah!, solche Schweinereien machst
             Du !" und andere ähnliche Äußerungen.
             Auswertung:
             Durch den Zuspruch Rainers zeigt Peter ein genitalsexuelles
             Annäherungsverhalten, daß jedoch schon eine verdrängte Form
             darstellt, weil Peter anstelle seines Penis den
             Gummischlauch benutzt. In dem Verhalten der Kinder ist
             kaum Zärtlichkeit. Es gibt unterschwellige Aggressionen,
                                                      230 Anhang/7
             die als Folge der sexuellen Beschränkung auftreten und darin
             sichtbar werden, daß die Kinder die Schmerzensschreie nicht
             beachten. Den Kindern ist auch klar, daß das was sie tun
             als "verboten" gilt, denn sie haben das Ziergestrüpp für
             ihre Spiele ausgesucht, welches ihnen einen gewissen Schutz
             vor dem Entdecktwerden bietet. Zärtlichkeit, sexuelles
             Annäherungsverhalten und sexuelle Befriedigung sind für die
             Kinder nichts zusammengehörendes, sondern treten zersplittert
             auf. Die bei allen Kindern praktizierte sexualunterdrUckende
             Erziehung hat in den Kindern diese Zersplitterung erzeugt
             und desweiteren Ekelgefühle und pathogen-sexuelle
             Verhaltensweisen entstehen lassen. Die Reaktionen der Eltern
             bestärken die bereits vorhandenen pathogenen Dispositionen,
             indem den Kindern Hilfe verweigert und Aufklärung vorent-
             halten wird. Andessen Stelle tritt Bestrafung und Ekel-
             bezeugungen, was die pathogenen Dispositionen weiter
             befestigen hilft. Die Kinder lernen nicht Sexualität als
             Zärtlichkeit zu erleben, sondern Sexualität als aggressiv
             gefärbte "Perversion". Die aus der sexualunterdrückenden
             Erziehung produzierten pathogenen Verhaltensweisen dienen
             dieser Erziehung nun wiederum als Vorwand für die üblichen
             Repressalien. Es entsteht ein Kreislauf von Sexualunter-
             drückung- Erzeugung pathogenen Verhaltens, neuerlicher
             Sexualunterdrückung, Verstärkung des pathogenen Verhaltens,
             der den Betroffenen überhaupt nicht bewußt wird.
             Wie Reich bemerkte, ist hier praktisch zu sehen: Die
             Sexualunterdrückung produziert zuerst das, was sie dann mit
             Recht meint, unterdrücken zu müssen.
                         
             Nr.6          Nr.5 /ausgelassen/
             Der fünfzehmjährige Rainer fragt den zwölfjährigen Max, ob
             er mit in den Keller kommen wolle, um mit der zwölfjährigen
             Ute "etwas auszuprobieren". Alle drei Kinder gehen in den
             Keller. In einer dunklen Nische angelangt, hebt Rainer Utes
             Rock hoch, zieht ihr Höschen herunter, knöpft seine Hose auf
             und versucht, seinen Penis in Utes Vagina zu stecken. Das
             gelingt nicht, weil sein Penis schlaff bleibt. Er streichelt
             mit seinem Penis Utes Vagina und hört damit nach einer
             Weile auf. Er fragt Max, ob er es nicht auch versuchen
             wolle, es sei sehr schön. Max öffnet nun seine Hose und
             streichelt ebenso mit seinem Penis Utes Vagina. Plötzlich
             kommt ein Hausbewohner die Kellertreppe herab. Erschreckt
             laufen die Kinder in den Kellerflur hinein. Der Hausbewohner
             sieht aber noch, daß Ute ihren Rock herunterzieht und
             das Höschen zwischen den Knien hat. Er geht sofort zu den
             Eltern Utes und erzählt, was er gesehen hat. Die drei Kinder
             werden von ihren Vätern kurz darauf in die Wohnungen gerufen
             und gewissermaßen verhört. Rainer erhält von seinem Vater
             Prügel und die Mutter von Ute redet dieser ein:
             "Gell, Du bist mit ihnen gegangen ohne zu wissen, was die
             wollten. Sie haben Dich sicher gezwungen mitzutun, wars so
             nicht." Nun drohen die Eltern von Ute und Max, die Fürsorge
             zu benachrichtigen, weil sie ihre Kinder als Opfer der
             Verführung durch Rainer betrachten. Sie verbieten ihnen den
             weitern Umgang mit Rainer und reden mit dessen Familie kein
             Wort mehr.

                                                         230 Anhang/8
             Auswertung:
             Das sexuelle Annäherungsverhalten von Rainer und Max ist
             durchaus zärtlich. Da sie jedoch nicht anders behandelt
             werden, als wenn sie eine aggressiv-sexuelle Handlung gemacht
             hätten, werden die Grenzen zwischen pathogener und
             natürlicher Sexualität von den Eltern verwischt. Durch die
             Bestrafung auch des zärtlich-sexuellen Verhaltens fördern
             sie in den Kindern die Umstrukturierung der sexuellen
             Impulse zur pathogenen Aggression. Zugleich bilden die
             Eltern von Ute und Max in den Kindern Projektionsmechanismen
             aus, indem sie nämlich ihnen einreden, die "Schweinereien"
             kämen von Rainer und sie waren bloß "Opfer" von dessen
             Verführungskünsten geworden. Die Kinder übernehmen diese
             Projektion, weil sie dadurch der Bestrafung entgehen, die
             erfolgen würde, wenn sie für "schuldig" befunden würden.
             Situationen wie diese analysierte sind dazu geeignet die
             Projektionsmechanismen zu verbreiten, die sich massen-
             psychologisch als Haß auf Minderheiten zeigen. Der Kern
             ist der Kunstgriff, daß die eigenen verdrängten Strebungen
             einem anderen zugeschrieben werden. Indem dieser andere
             verfolgt und bestraft wird, kann die eigene Frustration
             entladen werden und das Verdrängte teilweise durchbrechen,
             denn die "Schweinereien" des anderen darf der Projezierende
             ja ausdenken ohne selber unangenehme Folgen befürchten zu
             müssen. Er sagt ja nur das, was diese anderen an
             "Unanständigem" tun.
             Fragestellung:
             a wie werden muskulöse Panzerungen eintrainiert?
             b welche Verhaltensweisen werden dadurch ausgelöscht
               und welche neu erzeugt?
             c weiche Funktionen haben die muskulösen Panzerungen
               im Individuum, in der Erziehung und in der Gesellschaft?
             Nr. 7 /ausgelassen/
             Nr. 8
             Alltägliche Prozedur in einem ev.Kindergarten einer Großstadt.
             7.50 Uhr bis 8.00 Uhr. Die Kinder werden von den Eltern
             abgeliefert und im großen Gemeinschaftssaal an die Gruppen-
             tische gesetzt. Die Kindergärtnerinnen sorgen mit
             Schmeicheleien, Drohungen und Ohrfeigen dafür, daß alle Kinder
             still sitzenbleiben bis eine Kindergärtnerin mit dem
             Morgengebet beginnt. Die Kinder müssen das Gebet laut mit-
             sprechen, den Kopf senken und die Augen schließen.
             Anschließend wird ein Lied gesungen und geübt. Die
             Kindergärtnerin spricht den Liedertext stückweise vor und die
             Kinder sprechen ihn gemeinsam mach. Dann singt die Kinder-
             gärtnerin vor und die Kinder singen nach. Störende Kinder
             werden von einer anderem Kindergärtnerin in den Nebenraum
             zur Kindergartenleiterin geschickt, wo sie eine Strafpredigt
             oder Ohrfeigen empfangen. Nachdem diese Prozedur beendet ist,
             dürfen die "braven" Kinder hinausgehen und spielen. Die
                                                        230 Anhang/9
             Störer müssen noch einige Minuten stillsitzen, dürfen nicht
             reden oder aufstehen. Gegen 11.30 Uhr werden die Kinder
             erneut in den Saal geschickt und auf die Stühle gesetzt.
             Sie singen wiederum ein Lied und sprechen ein Abschlußgebet.
             Bei schlechtem Wetter werden die Kinder in Spielräume
             geschickt, wo sie unter dauernder Reglementierung durch die
             Kindergärtnerinnen mit vorfabriziertem Spielzeug, nicht aber
             z.B. Farben, Knetgummi usw. spielen. Aggressive Ausbrüche der
             Kinder werden bestraft durch "Stillsitzen", Ohrfeigen oder
             Benachrichtigung der Eltern. Zuweilen werden "aufsässige"
             Kinder zu Küchenarbeiten herangezogen.
             Auswertung:
             Die Disziplinierung der Kinder erfolgt neben direkter Bestraf-
             ung wesentlich durch das Einüben muskulöser Verkrampfungen.
             Dafür das Stillsitzen vor und nach dem Spielen. Das dient der
             Vorbereitung auf das spätere "Schulleben", wo ja noch länger
             stillgesessen werden muß. Kreative Beschäftigungen, z.B. 
             Malen sind nicht erwünscht, ebenso, wie das ja später in
             Schule und Beruf nicht erwünscht ist. Die Kinder werden durch
             die chronischen Verkrampfungen affektlahm und "brav", also
             zu dem, was sie werden sollen.  
             Nr.10-13 /ausgelassen/
             Fragestellung:
             a wie werden Realangst und Lustangst produziert ?
             b welche Verhaltensweisen werden dadurch ausgelöscht und
               welche neu erworben ?
             c welche Funktion haben Real- und Lustangst im Individuum,
               in der Erziehung und in der Gesellschaft ?
             Nr.14
             Die Mutter zweier Kleinkinder backt Pflaumenkuchen. Die
             Kinder nehmen ab und zu eine Pflaume, bis die Mutter sagt:
             "Nun ist Schluß! Ihr eßt mir noch alle Pflaumen für den Kuchen
             weg ." Die Kinder unterlassen daraufhin das Naschen. Nach
             einer Weile fragt Gerhard: "Mutti, darf ich noch eine Pflaume
             haben?" "Nein !" antwortet die Mutter, "wenn das der Nikolaus
             sieht, gibt er euch was mit der Rute !" Aber kann der Nikolaus
             uns denn jetzt sehen?", fragt Gerhard. Darauf die Mutter:
             "Der Nikolaus kann euch immer sehen. Er sieht jede Dummheit,
             die ihr macht, auch wenn ihr meint, ich könnte das nie
             herausbekommen." "Mutti erzählt der Nikolaus dir denn alles,
             was wir machen?" "Ja, der Nikolaus erzählt mir alles, was ihr
             gemacht habt."
             Auswertung:
             Hier wird künstlich Angst erzeugt, um die Gefügigkeit der
             Kinder zu erreichen. Der Nikolaus, der alles sieht, mit den
             Interessen der Eltern verbunden, übernimmt die Aufpasser-
             funktionen, die die Eltern zuweilen nicht ausüben können,
             wenn sie nicht anwesend sind. Die "Dummheiten" sind natürlich
                                                       230 Anhang/10
             jene "Bah" Handlungen, von denen die Kinder wissen, daß sie
             strikt verboten sind. Die Angst der Kinder vor der Rute des
             Nikolaus ist übertragene Realangst vor den Prügeln der Eltern,
             die jedoch in eine Ebene verlagert werden, wo es kein
             Verstecken geben kann. Die Kinder bekommen das Gefühl
             vermittelt, daß nirgendwo ein Entrinnen vor der elterlichen
             Kontrolle und den elterlichen Forderungen möglich ist.
             Real- und Lustangst werden im Nikolausmythos verschmolzen.
             Je größer die Lust, umso näher die Rute und umso stärker
             die dann folgende Angst. Die Kinder werden dadurch
             verunsichert und ihre Spontaneität eingeschränkt. Weil der
             Nikolaus überall hinsieht, ist die Lähmung durch die
             Angst eine alles umfassende. Auch die ansonsten sichere
             Toilette ist kein sicherer Ort vor dem Blick des Nikolaus.
             Da jedoch die Sexualunterdrückung auch in der Toilette
             weiterwirken soll, ist der alles sehende Nikolaus notwendig.
             Die Mythologisierung der Eltern zum "Übervater" bildet den
             Grundstock für die beim Erwachsenen übliche Ehrfurcht vor den
             "Übervätern" Staat, Behörde und Führer. Das ist im Sinne der
             ökonomischen Ausbeutung erwünscht, denn auch die steht und
             fällt mit den Ängsten der Ausgebeuteten.
             Nr.15
             In einem Selbstbedienungsladen spricht Michael (22J.) Susanne
             (17J.) an und äußert den Wunsch sie kennenzulernen. Beide un-
             terhalten sich und setzen das Gespräch außerhalb des Geschäfts
             in einem Cafe fort. Sie vereinbaren, sich zu einem bestimmten
             Zeitpunkt zu treffen. Wie vereinbart, treffen sie sich auch.
             Susanne erklärt, daß eine feste Freundschaft zu ihm nicht
             möglich sei, weil sie einen festen Freund habe, den sie nicht
             verlieren wolle. Sie sagst, sie wäre zwar etwas in ihn
             /Michael/ verliebt, aber die feste Freundschaft wäre auch
             sehr angenehm und auch viel solider, als es eine Freundschaft
             mit ihm /Michael/ je werden könne. Michael hatte bereits
             eine andere Dauerfreundschaft, die er neben einer eventuellen
             neuen beibehalten wollte, was er auch sagte.
             Michael und Susanne trafen sich deshalb nicht wieder.
             Einige Wochen nach diesem Treffen sehen sich beide zufällig
             im Bäckerladen. Susanne ist sehr erschrocken als sie ihn
             erblickt und erzählt ihm von diesem Schreck kurz drauf vor
             dem Laden. Sie sagt, sie habe aus unerklärlichen Gründen bei
             seinem plötzlichen Anblick Angst bekommen. Die beiden trennen
             sich und sehen sich nicht wieder.
             Auswertung:
             Die feste, solide, d.h. monogame Freundschaft geht hier dem
             Mädchen vor die neue Verliebtheit. Dahinter könnten wirt-
             schaftliche Überlegungen stehen, etwa eine geplante Heirat.
             Susanne hat Angst, weil ihre Zuneigung zu Michael ihre feste
             Beziehung gefährden könnte. Das ist im Fall des Erschreckens
             im Bäckerladen nicht ganz einfach zu durchschauen. Warum
             sollte Susanne sich erschrecken, da doch mit Michael
             ausgemacht war, sich nicht wieder zusammen zu treffen?
             Das plötzliche Auftauchen von Michael im Bäckerladen mobili-
             siert in Susanne spontan sexuelle Annäherungsimpulse. Das
             geschieht schneller, als  die Erinnerung wirksam werden kann,
                                                     230 Anhang/11
             nach der abgemacht war, sich nicht wieder zu treffen. Diese
             nobilisierte Lust kann nicht adäquat entladen werden. Aber
             auch andere Formen der Verarbeitung entfallen. Z.B. kann sie
             nicht aggressiv sein, weil keine Objekte dafür da sind. Die
             Situation läßt nur einen Ausweg zu: freisetzen der Energie
             ohne Verarbeitung in einer Ersatzreaktion und damit Auftreten
             von Angst. Es ist also keine Realangst, die hier sichtbar
             wird, sondern Lustangst. Reale Bedrohung liegt nicht vor,
             aber offensichtlich Annäherungsimpulse.
             In den monogamen Ehen ist Lustangst ein verstärkender Faktor
             für die Realängste. Immer wenn das Auftauchen eines potentiel-
             len außerehelichen Geschlechtspartners eine reale Bedrohung
             der Ehe darstellt, so daß reale Ängste erzeugt werden, er-
             folgt die Verstärkung eben der Ängste durch die Umwandlung
             der mobilisierten Lust in Lustangst. Beide Angstformen ver-
             stärken wiederum die Anhänglichkeit an dem festen Partner.
             Unter dem Aspekt, daß der Zusammenhalt der Ehen gesellschaft-
             lich gewünscht ist und gefördert wird, erweist sich Lustangst
             als ein nützliches Bindemittel. Es liegt nicht allzu fern, daß
             die sexuell aufreizenden Moden gerade deshalb gesellschaftlich
             wohlwollend toleriert werden, weil sie Lustangst zu mobilisie-
             ren helfen und daher indirekt zu Bindemitteln werden können.
             (Zusatz 26: Die Hauptfunktion der Mode ist Ersatzbefriedig-
             ungen zu verschaffen.)
             Nr.16-20 /ausgelassen/

             Fragestellung:
             a wie entsteht pathogene Aggression?
             b welche Verhaltensweisen werden dadurch ausgelöscht
               und neu erworben?
             c welche Funktion hat pathogene Aggression im Individuum,
               in der Erziehung und in der Gesellschaft?
             Nr.21
             Waltraud H. (28 J.) hat Besuch bekommen von Wolfgang (26 J.)
             und Bärbel (29 J.). Alle drei und der Sohn von Waltraud sitzen
             am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Die drei "Erwachsenen"
             unterhalten sich, ohne sich um Dieter (4 J.) zu kümmern.
             Der steht nach einer Weile auf, geht zu Bärbel, die ihn auf
             den Schoß setzt. Er streichelt ihr Haar, während die drei
             "Erwachsenen" sich weiter unterhalten ohne sich um ihn zu
             kümmern. Dieter versucht Bärbels Aufmerksamkeit zu gewinnen.
             Sie spricht zu ihm ein paar Worte, führt dann das Gespräch
             aber wie vorher mit den "Erwachsenen" weiter. Nun wird Dieter
             immer unruhiger, so daß die Mutter sagt: "Laß doch Bärbel in
             Ruhe essen." Plötzlich zieht Dieter Bärbel kräftig am Haar.
             Bärbel sagt:"Au, setz dich sofort auf deinen Platz zurück!"


                                                      230 Anhang/12
             Auswertung:
             Dieter möchte zu Bärbel zärtlich sein und auch von ihr
             Zärtlichkeiten bekommen. Bärbel erkennt und beachtet das
             aber nur sehr flüchtig und ungenügend. Dieter ist
             enttäuscht. Die in ihm mobilisierten Energien finden keine
             adäquate Entladung. Sie werden in muskulösen Spannungen
             gebunden und als aggressive Tat entladen. Dieter verwandelt
             den sexuellen Impuls in einen pathogen aggressiven. Dafür
             wird er gerügt. Diese Situation steht für viele andere.
             Das Kind erhält Aufmerksamkeit für die pathogene Ausdrucks-
             form, nicht für die natürliche. Diese Aufmerksamkeit ist
             dann meist negativ: Strafe. Sow wird die Umformung sexueller
             Impulse in pathogen aggressive von den "Erziehern" erzwungen.
             Die Unterdrückung der pathogenen Aggression führt zum
             Training von unterwürfigem Verhalten. Das Verhalten der
             "Erzieher" erreicht die Unterdrückung der sexuellen Impulse,
             Produktion pathogener Aggression und unterwürfiges Verhalten.
             Das sind nicht gerade zufällig Produkte die andernorts
             erwünscht sind: pathogene Aggression in den Kasernen, den
             Betrieben, in leitenden Funktionen, Defizit an natürlichem
             sexuellen Verhalten als erwünscht in Schule, Kirche und Ehe.
             Unterwürfiges Verhalten als erwünscht und willkommen zur
             ökonomischen Ausbeutung.
             Nr.22
             Hauptschule D. in W. Unterricht in der 7.Klasse. Frank (13J.)
             liest unter der Bank ein "Tarzanheft". Der Klassenlehrer er-
             tappt ihn dabei, nimmt ihm das Heft ab und schimpft ihn aus.
             Frank ist wütend und möchte am liebsten den Lehrer verhauen.
             Aber das geht nicht, weil der der stärkere ist. Er unterdrückt
             seine Wut. Kurz drauf ist Pause. Auf dem Schulhof wird Frank
             versehentlich von Kurt (12 J.) angestoßen. Frank stürzt sich
             wütend auf ihn und. schlägt ihm die Faust ins Gesicht. Die
             Aufsicht kann eine weitere Schlägerei verhindern.
             Auswertung:
             Die Aggression von Frank gegen den Lehrer ist eine natürliche,
             denn der Lehrer ist reales Unlustobjekt, welches man zu ver-
             nichten trachtet. Diese Aggression kann nicht realisiert wer-
             den, sie wird unterdrückt vom Betroffenen selbst, weil der
             Lehrer der Stärkere ist. Auf dem Schulhof findet sich ein
             passender Anlaß, diese Aggression an einem Ersatzunlustobjekt
             zu entladen. Diese Entladung ist pathogen, weil sie sich
             nicht gegen das Unlustobjekt richtet und daher nicht zur
             Befriedigung des vereitelten Befriedigungswunsches führen
             kann. Da Frank unter der Sexualunterdrückung groß wird,
             verfügt er immer auch über gestaute sexuelle Energien, die
             bei Anlässen wie dem auf dem Schulhof mit entladen werden
             als pathogene Aggression. Unter der Sexualunterdrücküng wird
             es keine Aggressionen geben, die nicht auch durch gestaute
             sexuelle Energien verstärkt würde. Es ist deshalb äußerst
             schwierig auszumachen, welche Quantitäten der Energie im
             Einzelfall durch das Unlustobjekt mobilisiert werden und
             welche aus dem Reservoir der gestauten Energien stammen.


                                                  230 Anhang/13
             Nr. 23
             Notiz in einer Serie zur Aggression der Zeitschrift Konkret:
             Bankdirektor überfährt in Paris einen Studenten dreimal
             hintereinander, weil der ihm eine Parklücke vor der Nase
             weggeschnappt hatte.
             Auswertung:
             Das Mißverhältnis zwischen Ärgernis und "Bestrafung" des
             Verursachers weist darauf hin, daß die Aggression hier nicht
             allein von Energien gespeist wird, die der Student mobilisiert
             hat, sondern daß sich gestaute und mobilisierte Energien
             vermischen. Die Frage ist nun nicht, woher diese Energien,
             denn das ist leicht begreifbar unter der permanenten
             Sexualunterdrückung. Ineressant ist, warum gerade in solch
             einer Situation derart große aggressive Energiemengen frei-
             gesetzt werden. Der Student gehört jener Minderheit an, die
             heute teilweise die Funktion des "inneren Feindes"
             übernehmen muß. Die Aggressionen erscheinen gegen solche
             "Feinde" prinzipiell berechtigter, so daß damit ein aus-
             lösender Faktor gegeben ist, der beispielsweise nicht da-
             gewesen wäre, wenn der Verursacher ein älterer Angestellter
             gewesen wäre.
             Nr. 24
             Eine Kindheitserinnerung: Im Jahre 1955 war ich 8 Jahre alt.
             Der Wiederaufbau hatte noch nicht alle Trümmer beseitigt, so
             daß wir Kinder in verwilderten Gärten, zerstörten Sportanlagen
             und Häusern spielen konnten. In der Nähe meines Elternhauses
             existierten drei betonierte Tümpel, die urspränglich einem
             kleinen Naturpark angehörten. Oft spielte ich dort mit meinem
             Freund Werner und anderen. Wir suchten Kaulquappen, Regen-
             würmer und vor allen bunte Feuersalamander. Eines Tages haben
             wir auch Regenwürmer und Salamander mit unseren Taschenmessern
             in Stücke geschnitten. Dabei waren zwei Empfindungen so stark,
             daß sie noch heute für mich deutlich erinnerbar sind.
             Die erste eine angenehme, die vom Anfassen des glitschigen
             Salamanders herrührte, die zweite eine Art Ekel vor diesem
             Glitschigen und verstärkt vor dem zerstückelten Salamander.
             Nach solchen sadistischen Spielen traten zuweilen auch Schuld-
             gefühle auf. Im Laufe der Zeit wurden diese so stark, daß ich
             solche Spiele aufgab und andere Kinder daran zu hindern
             versuchte.
             Auswertung:
             Das angenekime Gefuhl, wenn ich den glitschigen Salamander
             anfaßte war ein ähnliches wie das, wenn ich von der Mutter
             gebadet wurde und sie unter anderem auch meinen Penis
             einseifte. In der Tat haben ja auch optisch ein nasser Penis
             und ein Salamander Ähnlichkeiten. Der Salamander fühlte sich
             so an, wie mein eingeseifter Penis. Der Salamander weckte
             sexuelle Impulse und Assoziationen zum Baden durch die Mutter.
             Diese Impulse werden gleich nach ihrem Auftreten zurück-
             gehalten und zu muskulösen Verkrampfungen also Stauungs-
             energien gebunden. Es passierte dasselbe bei den Salamandern
                                                        230 Anhang/14
             wie beim Baden, mit dem gleichen Resultat, nämlich der
             Verdrängung der mobilisierten sexuellen Energien  Während
             aber beim Baden eine andersartige Entladung nicht möglich ist,
             liegt das bei den Salamandern anders. Sie können zu Ersatz-
             unlustobjekten werden, weil keine Bedrohung das verhindern
             kann. Der Salamander wird vernichtet, weil die Energien als
             pathogen aggressive Impulse gefahrlos dadurch entladen werden
             können. Der Salamander hat Lust mobilisiert und dadurch
             zugleich Unlust, weil ja die Lust keine Befriedigung findet.
             Also ist er ein Unlustobjekt, welches man zu vernichten
             trachtet. Dieses Salamanderbeispiel steht für viele
             sadistische Handlungen.
             (Zusatz 27: Die Verdrängung sexueller Regungen ist nicht aus-
             reichend zur Erklärung des Sadismus, da sexuelle Versagungen
             in vielen Formen unvermeidlich sind und nicht regelmäßig
             zum Auftreten aggressiver Handlungen führen. Das Lernen von
             Aggressionen spielt eine wichtige Rolle. Nicht realisierte
             sexuelle Wünsche werden häufig in sexuellen Ersatz-
             befriedigungen realisiert, z.B. Essen und trinken. Die
             Umwandlung in pathogene Aggression wird durch bestimmte
             sexuelle Unterdrückung bestimmter, meist genitaler Impulse
             geleistet. Eine sexualverneinende, die Sexualität herab-
             setzende Atmosphäre hehört in der Regel dazu.)
                          
             
             Nr.26          Nr. 25 /ausgelassen/
             In einer Straßenbahn: "Unerhört" Sie haben keinen
             Fahrausweis. Wie können sie sich unterstehen ohne Fahrausweis
             in dieser Straßenbahn zu sitzen..." Hier wird der Kontrolleur
             von der angesprochenen jungen Frau unterbrochen: "Sie haben
             das Recht von mir 20 Mark Strafgebühr zu kassieren. Sie
             haben aber nicht das Recht, mir eine Moralpredigt zu halten
             oder ihre Aggressionen an mir loszuwerden. Hier sind die
             20 Mark!" Der Kontrolleur schwieg betroffen.
             Auswertung:
             Die sachliche Lage verdeckt nur zu leicht, daß der Kontrolleur
             übers Ziel hinausschießt und die Situation benutzt seine
             pathogene Aggressionen loszuwerden. In diesem, an sich
             seltenen Fall wird das durchschaut und vereitelt. Vielfach ist
             das anders. In allen Lebensbereichen benutzen "Vorgesetzte"
             und die, "die was zu sagen haben" ihre Position, ihren
             Energiehaushalt auf Kosten des jeweils Schwächeren zu
             regulieren. Das kommt so oft vor, daß der Schluß möglich ist,
             die Hierarchien und Unterordnungsverhältnisse hätten auch die
             Funktton, je nach Status die Entladung pathogener Aggression
             zu gestatten.
             Fragestellung:
             a wie entsteht unterwürfiges Verhalten?
             b welche Verhaltensweisen werden dadurch
               ausgelöscht und neu erworben?
             c welche Funktion hat unterwürfiges Verhalten im
               Individuum, in der Erziehung und in der Gesellschaft?

                                                       230 Anhang/15
             Nr. 27
             Wilfried hat trotz Verbot durch die Mutter vom Zucker gegessen
             und dabei den Boden bestreut. Die Mutter steckt den Jungen zur
             Strafe ins Schlafzimmer und schließt ab. Der Junge schreit und
             stampft wütend mit den Füßen auf den Boden. Dabei ruft er:
             "Ich will raus, sofort hier rausl" Nach einer Weile kann die
             Mutter den Lärm nicht mehr ertragen. Sie geht vor die Tür des
             Zimmers und sagt zu Wilfried: "Wenn Du so ungezogen bist,
             kommst Du heut den ganzen Tag nicht raus, wenn Du aber ver-
             sprichst brav zu sein und mich schön bittest die Tür aufzu-
             machen, dann laß ich Dich raus und Du kannst spielen gehen."
             Der Junge wird still. Einige Minuten später ruft er:
             "Mutti, ich will wieder artig sein, laß mich doch bitte wieder
             raus." Die Mutter öffnet die Tür und läßt den Jungen hinaus.
             Auswertung:
             Wilfried war wütend, weil er sich zu hart bestraft fühlte.
             Doch sein Protest bringt ihn in die Gefahr noch mehr bestraft
             zu werden, denn die Mutter droht, daß er den ganzen Tag
             eingeschlossen bliebe, wenn er nicht artig wäre. Der Junge
             unterdrückt seinen Protest in dem Augenblick, wo ihm klar
             wird, daß durch Unterwerfung die Freiheit wieder zu erlangen
             ist. Es mag sein, daß der Junge in dieser Situation die
             Unterwerfung heuchelt. Wenn jedoch häufig Unterwerfung nötig
             ist, wird aus der Heuchelei ein Verhalten, welches durch-
             gängig den Betroffenen prägt. Situationen wie die beschriebene
             sind dazu geeignet, den Hemmechanismus zur Produktion von
             unterwürfigem Verhalten zu injizieren. Der Betroffene merkt
             davon nichts, er erfährt nur, daß Unterwerfung das kleinere
             Übel ist. Dabei wird mit der Zeit dem Betroffenen unerkennbar,
             ob die Unterwerfung generell sinnvoll ist, oder ob nicht
             vielleicht Angriff oder Weigerung in manchen Fällen Erfolg
             haben könnten.

             Nr.28-32 /ausgelassen/
             Fragestellung:
             a wie entstehen "perverse" Vorstellungen ?
             b Welche Funktion haben sie im Individuum,
               in der Erziehung und in der Gesellschaft ?
             Nr.33
             Der vierzehnjährige Rolf hat eine Lehre in der Dekorations-
             abteilung eines Kaufhauses begonnen. Am Frühstückstisch der
             Abteilung hört er folgendes Gespräch zwischen den Dekorateuren
             H. und S. Beide sind ca. 30 Jahre alt und seit 8 bzw.6 Jahren
             verheiratet.
             H:" Die rote D. hab ich gestern mit einem Mann gesehen. Der
             war mindestens doppelt so alt wie sie."
             S:" Die hat doch einen Vaterkomplex und außerdem kommen die
             Jüngeren nicht mit ihr klar."
             H:" Warum denn nicht, ist die so aktiv?"
             S:" Die hat doch einen irren Nännerverschleiß. Die ist so
                                                         230 Anhang/16
             routiniert, daß die eine Zigarette "dabei" raucht."
             H:" Vielleicht ist die noch nicht kräftig genug gebürstet
             worden."
             S:" Verderben Sie unseren Kleinen nicht." (gemeint war Rolf)
             H:" Der weiß doch auch schon was los ist. Die sind doch heute
             viel weiter als wir damals."
             S:" In der Theorie vielleicht, aber in der Praxis?"
             H:" Jedenfalls ist die Rote bestimmt aktiv."
             S:" Die saugt bestimmt jedem das Rückenmark aus." (Gelächter)
             Auswertung:
             Sexualität als Kampf:"saugt jedem das Rückenmark aus." Dieses
             Gespräch steht für viele, die man in jeder Kneipe zuweilen
             hören kann. Die unbefriedigten Männer finden eine gewisse
             Ersatzbefriedigung darin, daß sie ihre "perversen" Gedanken
             artikulieren. Die Verzerrung ins Aggressive ist dabei so gut
             sichtbar, wie die Diffamierung der Frauen, der Lustobjekte
             nämlich, die nicht erreicht werden können, weil die Ehe u.a.
             das verhindert. Daher werden die Lustobiekte zu Ersatzunlust-
             objekten, auf die man Haß hat. Die verdrängten und verzerrt
             durchbrechenden Sexualimpulse sind in den ausgedrückten
             verdeckten Wunschvorstellungen sichbar. Die "aktive" Rote.
             Sie wird so gedacht, wie man selbst sein möchte, aber nicht
             sein kann. Indem sie aktiv gedacht wird, kann mit den Gefühlen
             kokettiert werden, wenn sie nämlich im die eigene Richtung
             hin aktiv würde, wenn sie also in Richtung H. und S. aktiv
             würde. Weil das aber nur als Koketterie, nicht jedoch als
             Praxis gelingt, schlägt es um in Haß. In ihm werden die
             Frustrationen sichtbar darüber, daß man aus dem eigenen
             monogamen Käfig nicht heraus kommt, auch nicht durch Lust-
             objekte wie die Rote, die offenbar nicht in solch einem
             Käfig steckt. Die "Perversionen" sind hier, wie oft gekoppelt
             mit der Projektion der eigenen unterschwelligen Wünsche auf
             den anderen. Jedoch wird der Wunschinhalt verkehrt: Die
             Frustration verwandelt den eigenen sexuellen Wunsch in den
             sexuellen Wunsch des anderen, aber als etwas Abzulehnendes
             und Widerliches.
             Fragestellung:
             a Wie entstehen Rationalisierungsmechanismen ?
             b Welche Funktion haben sie im Individuum, in der
               Erziehung und in der Gesellschaft ?
             Nr.34 /ausgelassen/
             Nr.35
             Gerhard, 8 J., kommt gegen 17.00 Uhr vom Spielen auf der
             Straße zurück in die elterliche Wohnung. Der Vater ist gerade
             von der Arbeit zurückgekommen und sehr wütend auf den Jungen,
             weil ihm ein Nachbar gesagt hat, Gerhard hätte in der Schule
             zum Lehrer gesagt, er solle auch seinen Mund halten, nachdem
             der Lehrer gesagt hatte, er solle seinen Mund halten. Als
             Gerhard zur Türe hereinkommt, wird er vom Vater mit ein paar
                                                         230 Anhang/17
             heftigen Ohrfeigen empfangen. Dabei schimpft er: "Du Lümmel,
             ich werd Dir deine Frechheiten schon austreiben. Was hast Du
             Dir dabei gedacht?" Der Junge weiß nicht, warum er geschlagen
             wird. Er weint laut und gibt keine Antwort. Erst nach einer
             Weile meint er unter Tränen: "Was hab ich denn gemacht ?"
             Der Vater will ihn erneut ohrfeigen, aber die Mutter hindert
             ihn daran. Erst jetzt erfährt der Junge, warum er geschlagen
             wurde. Er beteuert aber, nicht er sondern ein anderer Junge
             hätte besagten Satz zum Lehrer gesagt. Der Vater wird noch
             wütender, weil er dem Jungen nicht glaubt. Die Mutter reagiert
             besonnener und erreicht, daß man am andern Tag den Lehrer
             fragen will, wer wirklich den Satz gesagt hat. Es war tat
             sächlich ein anderer Junge. Warum der Nachbar, dessen Sohn
             in der gleichen Klasse sitzt, auf Gerhard gekomaen war, weiß
             niemand. Der Vater entschuldigt sich jedoch nicht bei seinem
             Sohn, sondern meint am Abendtisch: "Lieber einmal zu viel als
             einmal zu wenig. Ein paar Ohrfeigen haben noch keinem ge-
             schadet. Wer weiß, was Du alles anstellst, wovon wir nichts
             erfahren. Dann waren die Ohrfeigen eben dafür."
             Auswertung:
             Der  Vater weiß, daß er seinen Sohn zu Unrecht schlug. Aber
             er kann sich nicht entschuldigen, weil das zu seinem Selbst-
             verständnis nicht paßt, was er von sich hat. Er rationalisiert
             die Ohrfeigen, indem er sie dadurch rechtfertigt, daß der
             Junge etwas tun würde, was er nicht weiß. Es wird mühelos
             eine durch nichts gesicherte Annahme zum vorgeblich rationalen
             Grund einer ungerechtfertigten Handlung. Die Rationalisierung
             gibt so der irrationalen Reaktion einen rationalen Grund.
             Solche Rationalisierung, die das Gegenteil hervorkehrt von
             dem, was wirklich war, zerstört die Fähigkeit zur Selbstkritik
             und führt deshalb zur Einschränkung der Denk- und Erkenntnis-
             fähigkeit.
                    ------------- Ende der Analysen --------