285 Fred Keil Nr.285 Aachen 2007 Die Insel im Pazifik Einige Zeit war vergangen. Zwei Unterwasserinseln waren im Südpazifik erbaut worden. Die erste gehörte zum Venusprojekt der Weltraumbehörde. Sie war bewohnt von künftigen Astronauten. Die zweite Insel gehörte den beiden alten Freunden, Korthaus und Berg, beide um die Jahrhundertwende zum 20 Jahrhundert geboren - etwas mehr oder weniger. Die Inseln lagen etwa 350 Kilometer auseinander und hatten nichts miteinander zu tun. Da die Vorschläge Nanamurtis und Bernardettes zur Gestaltung der Insel mit dem früher Geplanten sich nicht vereinbaren liessen, wurde die Kooperation mit der Weltraumbehörde zunächst ausgesetzt. An einem kühlen Wintermorgen stieg der Zeppelin der Freunde in der Nähe von Bremerhaven in die Luft. An Bord waren Nanamurti, Bernardette, Korthaus, Berg und die mitlerweile 35 köpfige Besatzung des Zeppelins. Die Fahrt sollte über Panama zu der Unterwasserinsel im Pazifik führen. Der Diskoraum im Zeppelin war des Nachts für Nanamurti und Bernardette zum Treffpunkt geworden. In der Mitte des weitgehendst leeren Saales war die Tanz- fläche. Dort lag ein Teppich ausgebreitet und ein sehr niedriger, asiatischer Tisch. Nanamurti sass im Lotussitz, Bernardette lag seitlich mit abgestütztem Kopf ihm gegenüber. Sie sprach: " Ich einnere mich an Ihre Bemerkung, dass es auch ohne diese Insel möglich wäre. Was wäre ohne sie möglich ?". Nanamurti antwortete:" Es war falsch, das zu sagen. Ich vergesse manchmal die europäische Mentalität." "Aber was wäre möglich ?",beharrte sie. Nanamurti antwortete: " Wachsam zu sein.- Aber ich habe, kurz nachdem ich diese Bemerkung gemacht hatte, meinen Fehler bemerkt... Sie gehen aufwärts in die Welten ein, während ich hinabsteige." Bernardette erwiderte: " Ich erinnere mich an die Gespräche zu diesen Fragen." Nanamurti sprach weiter:" Wenn in der Versenkung die Leere eintritt wird alles völlig still. Aber wir kommen meist zurück in den Lebenskreis. Wir hören und und sehen die hereintretenden Ereignisse. Was machen Sie ?!", er sprach sogleich weiter:" Ringen Sie nicht damit weniger zu spüren, zu sehen, also damit hinabzusteigen ? Und treibt Sie das Karma nicht immer wieder aufwärts zur Tat ?" Bernardette antwortete: " Ja, ich denke so ist es." In jener Nacht, in der Bernardette und Nanamurti im Diskoraum miteinander sprachen, waren Berg und Korthaus auf die Platt- form des Zeppelins gestiegen. Dort standen sie nebeneinander, mit etwas Abstand voneinander und sahen zum Horizont hinaus. Berg sprach zu Korthaus gewandt: " Wir kommen also nie am Ziel an, es sei wir stürzen hinab." Korthaus fragte: " Haben Sie so Nanamurti verstanden ?" Berg antwortete: " Ja, und ich will es anders, ganz anders. Für Nanamurti ist alles ein zeitloses Auf und Ab. Aber wir sind Abenteurer des Geistes. Auch das Auf und Ab ist nur ein artifizielles Produkt, - nicht das interessanteste, erscheint mir." Korthaus war von diesem Gesagten begeistert. Er antwortete: " Sie haben also wieder einen Feldzug vor Augen, hinaus zu einem unbekannten Land." Berg bestätigte es durch Kopfnicken und wandte sich wieder dem Horizont zu. Vor dem sehr schwach aufgehellten Streifen im Norden, dort wo das Sonnenlicht nie wirklich verlischt, standen die beiden wie beinah zeitlose Silhouetten, gespannt wartenden Falken sehr ähnlich und warteten so als warteten sie scheinbar nicht. In der folgenden Nacht flog der grosse Zeppelin in 4000 Metern Höhe auf dem 40 Breitengrad über den Atlantik in Richtung Brasilien. Es war milder geworden. Die beiden Alten standen an der Reeling der Plattform. Berg sagte: " Die Auflösung der Ursache-Wirkungsfolgen hat ungeahnte Konsequenzen. Das ganze Kartenhaus der Naturgesetze stürzt zusammen." " Und die Folgen ?", fragte Korthaus". "Was denken Sie ?," kam die Gegenfrage. Korthaus antwortete: " Sonderbarerweise ist das für das Leben gleichgültig." " Warum ?", fragte Berg. " Nun, es kümmert sich nicht um Identität, es ist nur da, ob wahr oder falsch", meinte Korthaus. "Und was folgern Sie daraus ?" fragte Berg. " Freiheit", sprach Korthaus und fuhr fort", und zugleich Not." Berg meinte: " Ja, so ist es und daran sieht man, dass jede Aussage ihr Paradoxon hat. Es ist immer zugleich das Gegenteil da." " Womit wir wieder am Ausgangspunkt wären: die Möglichkeit des Ja und des Nein", ergänzte Korthaus. Bernardette und Nanamurti trafen sich zur gleichen Stunde im Discoraum. Sie hatten einen Tee zu ihrem Sitzplatz in der Mitte der Tanzfläche mitgebracht. Nanamurti meinte: " Ich verstehe einiges an den Auseinandersetzungen der letzten Monate in den Hochschulen nicht. Bei einem der letzten Vorträge von Korthaus meinte einer der Hörer, ob er, also Korthaus zu den Kreationisten zurückgekehrt wäre, weil er doch Zufall und Naturgesetze nur noch für Modelle der menschlichen Vorstellung halten würde. Haben Sie das verstanden ?". Bernardette musste nachdenken. Durch die transparente Seitenwand des Zeppelins waren rote Streifen des Morgenrots zu sehen. Eine seltene Erscheinung in dieser Höhe. Sie antwortete: " Sie kennen doch die Leute, viele haben die Denkweise von Sektierern. Wenn Sie nicht die Vorstellungen der Darwinisten, der Positivisten restlos teilen, sind Sie verdächtig, dem Gegenlager anzugehören zum Beispiel den Spiritualisten und Obskuranten. Und wenn Sie nicht den Anhängern der Obskuranten oder des heiligen Geistes folgen, sind Sie ein Materialist, seelenlos und des Teufels." "Ja", sprach Nanamurti: "Europa ist komisch, der Nikolaus neben dem Mercedes und die Marssonden neben dem ´höheren Wesen´". Er schwieg eine längere Zeit und sprach dann weiter: " Europa projeziert seine Irrtümer in unsere Denkweisen. Es wurde sogar einmal von einem göttlichen Buddha gesprochen. Andere halten uns für seelenlos, was immer sie damit meinen." Bernardette antwortete: " Es ist meist Machtwille im Spiel: Wenn du nicht meinen Glauben teilst bist du minderwertig." Nanamurti sagte nun: " Der chinesische Denker Lao Tse hat treffend bemerkt, je mehr man spricht umso mehr kommt heraus. Es vermehrt sich die Leere. Das ist der tiefere Sinn des buddhistischen Verlöschen. Ballast abzuwerfen, den Schleier der Maja zu erfahren." Bernardette erwiderte: "Es fällt mir schwer ohne zu denken und die Gedanken etwas zu erkennen. Wenn ich aufhöre in Worten zu denken, habe ich Bilder und Gefühle, die ziellos umherflattern, es sei denn, eine starke Gefühlsregung drängt zum Tun, zum Beispiel Wut oder Liebe." Nanamurti antwortete: " Genau das ist die grösste Schwierigkeit, die unserem Verständnis untereinander entgegen steht. Auf meinen Vortragsreisen tritt es immer wieder auf. Könnte es sein, dass der Europäer seinen Kopf verliert, wenn er die Worte verliert ?" Bernardette erwiderte: " So kann man sagen. Ich frage Sie, wie lebt man ohne Gedanken ?" Nanamurti sagte: " Gedanken haben wir auch, aber andere. Sie können in Bildern denken oder in Musik, in Gefühlen und anderem. Wir denken gar nicht, sondern wir sind es." Bernardette sah ihn fragend an. Er sprach weiter: " Ich sehe ihre Verblüffung. Das Fühlen kommt unserem Denken nahe, aber das hilft Ihnen vielleicht nicht weiter." "Man sagt doch, man habe sich selbst vergessen", sprach Korthaus zu Berg gewandt. Der kam etwas verzögert von der Betrachtung des nächtlichen Meeresspiegels auf die Gesprächs- ebene zurück und nickte zustimmend. Korthaus sprach weiter: " Wenn nun die Inder dieses Sich selbst vergessen meinen mit dem Satz, "Subjekt und Objekt sind eins", so wäre doch nicht unbedingt nur die Versenkung im Lotossitz ein Weg ins Verlöschen". Berg antwortete: " Ja, das denke ich auch. Ein stürmischer Infanterieangriff enthält auch etwas Selbstvergessenes." Korthaus fragte: " Meinen Sie jedes Wegtreten im Wachzustand wäre Versenkung ?" Berg erwiderte: " Es wäre eine genial einfache Lösung des Problems aber.." Korthaus ergänzte:" Es gibt nichts Einfaches. Das Einfache ist auch nur eine Idee." Berg sah wieder hinaus in die Ferne. Korthaus schritt auf der Plattform hin und her. Man sah sein angestrengtes Nachdenken in seiner Art zu gehen. Plötzlich drehte sich Berg um und sprach zu ihm: " Sie haben eben ungewollt eine Invertierung beschrieben und das völlige Abschalten und Verlöschen des Gedankens und des Haftens an etwas erklärbar gemacht." Korthaus ging auf Berg zu und fragte: " Wie das ?" Berg erklärte: " Wenn wir das Verlöschen als Invertierung der Produktion auffassen, dann mögen wir vielleicht nicht vestehen wie es geht, aber es muß gehen. Das Selbstvergessen in der Produktion hier und das Verlöschen in einer völligen Abschaltung dort. Das heisst zwei komplexe Zustände kippen ineinander um. Es ist einfach und dennoch nicht einfach, weil es nur der Schematismus der Invertierung ist, der es als einfach erscheinen lässt. Aber wenn Produktion universal ist, so muß die Invertierung davon auch universal sein. Nanamurtis immerwährendes Loslassen, welches uns komplex und unlogisch erscheint, muß so sein, weil das Gegenstück, die Produktion ebenso ist." Korthaus sah Berg an und meinte: " Das könnte so sein, - ja, es liegt sehr nahe, so die komplexen Zustände in Bezug zu setzen." Berg meinte: " Sie erinnern sich an unsere Diskussionen um das "Dritte" nach Subjekt und Objekt." Korthaus bejahte. Berg fuhr fort: " Wir haben nur einen logischen Zwang verspürt ein Drittes zu denken, aber es ist niemals begreifbar und nicht wirklich, da es sofort wieder in der Polarisierung von Subjekt und Objekt verschwindet. Es tritt nie auf, aber es muß gedacht werden." " Also wäre das Verlöschen, wie wir es sehen auch nie wirklich sondern ein logisches Konstrukt aus unserer Sicht. Und Nanamurti würde umgekehrt unsere Produktion als nie wirklich sehen." Berg meinte: " Ja, es bleibt in der Klarheit verborgen." " Grenzfunktion"? fragte Korthaus. Berg antwortete: "Sehr wahrscheinlich" Von der Unterwasserinsel war aus der Luft nur eine kreisrunde hellere Tönung der Meeresoberfläche zu sehen. Berg hatte den Vorsatz gefasst die Insel nur für wenige Minuten allein zu betreten und dann seine Untersuchungen an einem anderen Ort von seinen Erinnerungen geleitet fortzusetzen. Als Nanamurti davon erfuhr, war er so begeistert, dass er Berg zum Eintritt in die indische Welt beglückwünschte. Korthaus, von Berg inspiriert, nahm sich vor einen Tag lang allein auf der Insel zu verweilen. Blieb noch Bernardette, die nach diesen Vorschlägen beschloss erst mal gar nichts zu planen. Berg zog seinen Taucheranzug mit Luftflaschen und Brille an, bestieg den Seilkorb des Zeppelins und liess sich auf die Wasserfläche oberhalb der Insel herabsenken. Dort schwamm er zur Einstiegsschleuse der Unterwasserinsel, die in einer Luftblase gleich unter der Meeresoberfläche angelegt war. Er wurde von einem Fahrstuhl 20 Meter hinab gefahren und betrat den Randsteg der Hohlblase, die die Insel umschloss. Dieser Steg führte innen an der Hülle der Blase kreisrund um den künstlichen See und die Insel im dessen Mitte herum. An einer Stelle war ein Landungssteg, an dem zwei Schlauch- boote lagen. Mit diesen konnte man zur Insel übersetzen. Das Wasser war spiegelglatt. Die kreisrunde Insel in der Mitte der Blase bestand nur aus einer glatten Betonfläche, die einem Durchmesser von 200 Metern hatte. Berg bestieg ein Schlauchboot und ruderte zur Insel, Über sich sah er die schillernde und transparente Hülle der Luft- blase, die vom dunkelgrün dämmerig durchleuchteten Meereswasser umschlossen war. Als er die Insel betreten hatte, blieb er nur einige Minuten dort stehen, bestieg dann wieder das Boot und fuhr zur Schleuse zurück. Bald darauf wurde er vom Korb wieder zum Zeppelin hochgezogen. Er sagte kein Wort und verschwand in der Bibliothek. Die Andern fragten nichts. Sie kannten sich so gut, dass ihnen jede Frage unpassend erschien. Berg nahm seine Eindrücke mit in seine Schlafkabine, legte sich hin und wunderte sich über die Fülle der Erinnerungen, die nun, wie die Luft ins Vakuum, so in ihn einströmten, dass er kaum alle aufnehmen konnte. Als Kind sass er am Fluß im Sand, suchte nach winzigen Muscheln, die dort zu finden waren, war glücklich über seine Funde und den Sommer, der ihn umschloss wie ein liebevolles Streicheln. Alles war vollkommen. Eine Kugel löste sich von ihm ab und verharrte im leeren Raum. Sogleich aber kam eine andere Szenerie zurück. Ein Mädchen von fünfzehn Jahren, genau in seinem Alter, sass mit ihm im Gras an einem Berghang. Sie sahen ins Tal. Er hatte seinen Arm um sie gelegt. Sie sahen und spürten, was werden könnte. Es war ebenfalls in einer Kugel, die sich ablöste und in den Raum der Insel hochstieg. Nein die Leere der dunkelgrün dämmrig schimmernden Unterwasserblase hatte er nicht vor Augen, es war, als wäre sie nie gewesen. Sie hatte etwas in ihm bewegt und ausgelöst. Staunend fand er sich immer wieder in eine Szenerie seiner Vergangenheit zurück versetzt. Unter Soldaten, der Fahneneid bei eintretender Nacht. Die Gesichter der alten Männer, gezeichnet vom Krieg. Seine Mädchen, eine jede ein versunkenes Paradies. Die Nächte im Arm der liebenden Frauen, das Meer, das Sehnen, das Warten. Und dann: Das große ganze Bild aller Extasen in einem gläsernen Augenblick, einer Ewigkeit des Hier und Jetzt. Bernardette wollte am folgenden Morgen zur Insel hinabtauchen und sie mit der Taucherausrüstung unter Wasser von aussen besichtigen. Die Andern wollten gern, dass sie nicht allein taucht, aber sie erklärte, dass es gar keinen Sinn macht anders als allein zu tauchen. schliesslich betrachtete sie ihre Untersuchung als ein ästhetisches Experiment. Sie wurde früh am Morgen im Tragekorb vom Zeppelin herab gelassen. Ihr Luftvorrat in den Flaschen reichte für etwa 60 Minuten. Sie sah zunächst unter Wasser nahe der Oberfläche die dunkle Hülle der grossen Blase, die die Insel umschloss. Sie konnte vom Innern nichts erkennen. Sie stieg an der Hülle hinab und gelangte bei einer Tiefe von 30 Metern in ein sehr dunkles Dämmerlicht. Weiter als 50 Meter sollte sie mit ihrer Ausrüstung nicht hinabsteigen. Sie fühlte nichts. Sie betrachtete den Fremdkörper der Hülle im Gegensatz zum zur Unterwasserfauna und Flora. Ihr kam es vor als würde sie einen überdimensionalen Behälter inspizieren, der nichts hier unten Sinnvolles vorstellen konnte. Aber sie schwamm langsam um diese Hülle herum. Nach oben blickend sah sie das schwache Licht der Wasserobefläche. Ihr verschwand allmählich das Zeitgefühl und bald darauf auch das Gefühl für ihren Unterwasseraufenthalt überhaupt. Sie erinnerte sich einer nächtlichen Motorradfahrt, die nach mehr als zehn Stunden Fahrt durch halb Europa sie in einen balancefreien Zustand versetzt hatte, bei dem sie fürchtete wegen dieser Art Schwerelosigkeit zu stürzen. Auch damals war die Zeit nicht mehr spürbar. Sogar die Lichtverhältnisse waren jetzt den damaligen auf der nebligen Autobahn vergleichbar. Als der Alarm der Taucheruhr sich meldete, schrak sie auf und begab sich an den Aufstieg. Oben angelangt bestieg sie den herabgelassenen Tragekorb und liess sich zum Zeppelin hinaufziehen. Ähnlich wie vorher Berg zog sie sich wortlos in ihre Kabine zurück. Korthaus war von Berg und Bernardettes Verhalten tief beeindruckt. Er ging zu Nanamurti um mit ihm zu reden. Er traf ihn im Discosaal. Nanamurti sass im Lotussitz auf einer Matte in einer Ecke und hörte ihn nicht. Korthaus wagte es nicht ihn anzusprechen. Er stelllte sich an die Wand ihm gegenüber und wartete. Nach einer Weile sprach Nanamurti: " Reden Sie ruhig, Sie stören mich nicht." Korthaus zögerte, denn Nanamurti bewegte sich nicht. Es war also möglich, dass er Korthaus nicht antworten würde. Korthaus dachte, dass es nicht nötig wäre Antworten zu bekommen. Es ging um die Fragen und das, was er selbst daraus schliessen würde. 'Warum sollte ich ihn fragen', dachte Korthaus 'ich weiss vielleicht selbst besser als er, warum die Beiden sich wortlos zurück gezogen haben. Sie sind nur sich selbst begegnet bei der Insel, jeder auf seine Weise. Ist das Nichts nicht der Mittelpunkt im Ich selbst ?' Nanamurti schien zu wissen, was in Korthaus vorging. Er erhob sich und ging zu Korthaus an die Wand, stellte sich neben ihn und sprach. "Wenn die Insel ein Spiegel wird, der das Nichtsein des Ichs zeigt, so hat sie doch ohne Zweifel einen Wert für die Erkenntnis." Korhaus nickte. Nanamurti sprach weiter:" Ich komme Ihnen langsam auf die Spur Ihres Denkens. Sie finden alles in sich selbst, während im indischen Denken alles in der Beobachtung, - Sie würden sagen in den Objekten - gefunden wird. Aber das Ergebnis könnte sehr ähnlich dem Ihrigen sein." Korthaus wartete mit seiner Antwort eine Weile, während die Stille im Raum, gestützt durch das gleichförmige Geräusch der Zeppelinmotoren sich durchsetzte. Dann sprach Korthaus:" Ich stelle mir vor, ich stehe in der Hülle unter Wasser, stelle mir vor die Betonfläche, die Wasseroberfläche in der Luftblase... Muß ich überhaupt noch hinabgehen ?!" Er beantwortete seine Frage selbst: " Auch die Vorstellung und das Vorgestellte sind eins." Nanamurti sah Korthaus erstaunt an und sprach: Aber Sie wissen, dass Sie gehen müssen um zu erinnern !" "Ja", antwortete Korthaus,"aber es gibt Wege die man schon gegangen ist, ganz woanders, und es sind doch die gleichen Wege." Nanamurti lächelte, sagte nichts und verliess den Discosaal um in die Küche zu gehen. Während der Zeppelin in 500 Metern Höhe eine Parkstellung einnahm, lag die Unterwasserinsel unbelebt unter ihm, nur von technischen Geräten überwacht und reguliert. Man sah von oben die 800 Meter grosse Blase als einen Kreis eines scheinbar heller getönten Wassers. Der Einstiegs- schacht zur Insel war kaum erkennbar. Die grossen Aggregate, die den Luftdruck in der Insel regelten und den Fahrstuhl versorgten waren ebenfalls unter Wasser angelegt worden. Die Energie wurde von einem Solarzellenfeld geliefert, welches auf der Insel Ducie, etwa 200 km von der Unter- wasser-Insel entfernt angelegt worden war. Unterwasserkabel lieferten den Strom. Bernardette traf bald darauf Nanamurti und Korthaus in der Küche. Sie fragte die Beiden, ob sie zu einer Veranstaltung mit ihr in die Insel hinabgehen würden. Als Berg hinzu gekommen war, stellte sie ihren Plan vor. Sie würde allein auf der grossen Betonfläche der Insel zu Trommelmusik tanzen. Korthaus, Berg und Nanamurti sollten in Booten vor der Insel zusehen. Die Blase sollte beleuchtet erden, gesteuert durch ein Programm, welches sie selbst komponieren wollte. Die bereits in der Insel angebrachte Beleuchtung erschien ihr ausreichend. Die Vorstellung begann. Bernardette stand in der Mitte der Insel auf der ebenen weissen Steinfläche, selbst ganz in weiss, mit hoch- gestreckten Armen, reglos. Die Trommeln begannen von sehr fern wie ein Meeresrauschen. Der Rhythmus war überlagert von einer langwelligen leichten Beschleunigung, die in ruhigere Abschnitte zurückfiel. Die Boote mit Korthaus, einem weiteren mit Berg und einem dritten mit Nanamurti lagen reglos im Wasser. Bernardette war von dort aus gesehen nur ein weisser Strich auf einer runden Fläche. Berg stand regungslos im Boot, Korthaus in seinem ebenso. Nanamurti sass in seinem Boot im Lotussitz. Bernardette bog langsam ihren Rücken zur Brücke und verharrte dort lang. Ihr Tanz wurde von einer Kamera aufgenommen und nach Australien gesendet, wo die Trommler sassen, inmitten der Wüste in einem grossen Kreis und trommelten. Ihre Töne wurden in der Insel ausgestrahlt. Es war ein Zusammenspiel über ein Drittel der Erde. Bernardette schnellte hoch, flog mit einem Riesensatz, ausgelöst durch einen gleichzeitigen Schlag aller Trommeln, kauerte sich zusammen in eine Lauerstellung, umspült vom Wellenschlag der Trommeln. Das Boot von Berg lag im Westen, das von Korthaus im Osten, das von Nanamurti im Süden des Wassers, welches die Insel im Kreis umschloss. Die Trommeln wurden zu einem zeitlosen Raunen, während Bernardette in einer kaum von fern erkennbaren Lauerstellung verblieb, ein rundes winziges Etwas in stillstehender Zeit. Ein tiefes Brummen der in der Insel eingebauten Transformatoren begann, Laserschranken bauten ein rotschimmerndes Gitter über der Insel auf, und die an der Oberseite der Blase angebrachten, etwa 40 Meter breiten quadratischen Magnetaggregate versetzten Bernardette in die Lage, Sprünge in die Höhe und Weite zu machen, die fast in Vogelflug übergingen. Sie sprang hoch, drehte sich um ihre Achse. Die Trommeln änderten ihren Rhythmus, explodierten beinah und fielen in abklingendes Wellenraunen zurück. - Und obwohl Nanamurti und Berg nicht in den Bau der Magnet- maschine eingeweiht waren und völlg überrascht wurden, verblieben sie in ihrer abgesprochenen Darstellerrrolle regungslos, Statuen gleichend, in ihren Booten. Korthaus sah Bernardette 300 Meter entfernt inmitten der Laserstrahlen als kleine Figur reglos, angestrahlt von den Lichtkegeln der Deckenstrahler. Dabei war er bald in diese Realität versunken, bald in sich selbst. Er spürte die Auflösung der Grenzen zwischen aussen und innen. Nanamurtis Welt erschien ihm verständlicher. Der Unterschied lag in der Produktion der nächsten Vergangenheit. Hier die technische Welt, dort die gewachsene Floro und Fauna des alten Indiens. Nanamurti brauchte nicht mehr. Sie aber, die Entdecker und Ureuropäer wollten wissen wie es wächst. Die Rätsel lösten sich im Tun. Nun wurde ihm auch klar, warum Nanamurti ihn niemals würde verstehen können. Es gab im Sansara kein Ausserhalb, während doch ihm und seinesgleichen alles Ausserhalb war. Berg war abwechselnd in das Raunen der wie von Fern tönende Trommeln versunken und in seine Gedanken und inneren Bilder. Er wunderte sich, dass bei dieser Einsamkeit, die Jeden vom Andern trennte, überhaupt eine Verständigung möglich war. Denn das Individuum, welches Jeder in sich war, lag von Abgründen getrennt jedes in seiner eigenen Welt. Man rief sich zu, dass man sich sähe und sah das Bild des Andern in sich selbst, gemacht von sich selber, und wollte glauben, dass man etwas Gemeinsames erfahren würde. Aber..... er stutzte und dachte weiter, wir produzieren diese Veranstaltung, wir sind hier...sind wir hier ? Er sah zu Nanamurti. Ob er hier war ? Berg war sich nicht sicher. Mit einem Trommelwirbel endete die Vorstellung. Wie abgesprochen ruderte Korthaus mit seinem Boot zur Insel, Bernardette stieg ins Boot und alle vier begannen den Aufstieg zur Wasseroberfläche. Der Zeppelin senkte sich herab, der Sessel zog alle in den Zeppelin. Es war tiefe Nacht. Völlig erschöpft und ohne ein Wort noch wechseln zu können, begaben sich die vier in ihre Schlafkajüten. Der Zeppelin stieg in seine Parkhöhe, schaltete die Motoren aus,- dann war endlich tiefe Ruhe. Nachdem die Vier ausgeschlafen waren und den nächsten Tag halbwegs um Orientierung bemüht verbracht hatten, - denn die Veranstaltung unter Wasser hatte sie durchgerüttelt,- kam in der Abenddämmerung ein Gespräch zustande. Sie sassen auf der Plattform des Zeppelins, die gewölbte farbige Himmelskuppel über sich, die an die Wölbung der Unter- wasserblase erimnerte, obwohl sie ganz anders war. Berg sprach:" Das war also unser Ziel, -wars das ?" Korthaus meinte zu Bernardette gewandt:" Was wars für Sie?". "Furchtbar anstrengend. Das eisenhaltige Trikot für den magnetischen Flug hat mir die Lungen gepresst. Aber es war alles fremd." Berg meinte: " Der ästhetische Höhepunkt hat viel mit Vermehrung zu tun, es ensteht etwas Neues, Fremdes". Dabei lächelte er. Bernardette griff das auf: " Sie meinen eine Frau würde das ebenso sehen können ?" Da keine Antwort kam, wendete sich Korthaus an Nanamurti: " Was sagen Sie ?" Dieser antwortete: " Eine gelungene Demonstration. Mit viel Mitteln das was immer geschieht erkennbar gemacht." Berg fragte: " Ein Erkentnisprozess ?" Nanamurti nickte und sprach: " Wir stehen am Abgrund, und das letzte mögliche Bild sind wir, die am Abgrund stehen,- und dann kommt das Verlöschen." Berg schlug vor:" Was halten Sie von einer Reise zu den Tuamotus zu unserem Freund Kugaratein ?" Korthaus antwortete: " Gern, ich würde mitfahren." Bernardette und Nanamurti wollten ebenfalls mitmachen." Korthaus dachte etwas nach und fragte Berg:" Sie machen ja fast nichts ohne guten Grund, also raus damit." Berg lächelte und sprach: " Fragen Sie Nanamurti." Dieser antwortete: " Ich kann es mir denken, aber ich sage nichts." Korthaus hatte nun das Spielchen durchschaut und meinte: " Auch gut, lassen wir uns überraschen." Am nächsten Morgen stieg der Zeppelin auf seine Reisehöhe von 6000 Metern und nahm Kurs auf den mittleren Pazifik. Die immer währende ungetrübte Sonne dieser Breiten lud ein zum Beobachten und Entspannen. Die Fahrt zu den Tuamotu Inseln dauerte einige Tage. Abends, zu Beginn der Dämmerung waren einige der Vier meist oben auf der Plattform des Zeppelins um die Farben der in Dämmerung übergehenden Himmelskuppel zu betrachten. Am letzten Abend vor der Landung auf dem Tuamotu Archipel waren alle Vier auf der Plattform. Es entwickelte sich ein Gespräch über die Frage, was Berg bezweckte zu den Inseln zu fahren. Bernardette meinte: " Wenn die Einheimischen tanzen, so haben wir das Gegenstück zu der einsamen Vorstellung in der Unterwasserblase." Das bewog Korthaus zu der Vermutung. dass es genau um diesen Kontrast der beiden Vorstellungen ginge. Und dahinter die Frage der Geselligkeit und der Einsamkeit. Berg fühlte sich aber dennoch nicht erkannt. Er sagte: " Sie sind nah dran, aber Sie haben es noch nicht ganz getroffen.." Als sie am anderen Mittag die Insel Kugarateins erreichten, sahen sie aus der Luft bereits sie Blumenkreise, die aus tausenden ausgelegter Blüten bestanden, in denen am späten Nachmittag getanzt werden würde. Am Rand der freien Strandfläche waren lange Tische aufgebaut an denen die Inselbewohner zum Mittagessen Platz genommen hatten. Als der Zeppelin nahe der Katamarane der Einheimschen bis auf wenige Meter über dem Wasser herabsank, kamen die Insulaner zum Strand gelaufen. Die vier Zeppelinfahrer wurden zum Essen eingeladen. Kugaratein ging mit Berg und Korthaus zu einem abseits der grossen Tafel stehenden Tisch. Als das Essen gebracht wurde, begann Kugaratein das Geapräch mit der Frage: " Haben Sie uns etwas mitgebracht von ihrer Reise." Korthaus antwortete: " Ja, unser Schauspiel unter Wasser und viele Fragen." Kugaratein fragte: " Können wir es sehen ?" Korthaus antwortete: " Wenn es Nacht wird können wir unseren Film über dieses Schauspiel auf einer grossen Leinwand zeigen." Kugaratein meinte::" Schön, dann lassen wir uns davon überraschen. Aber was machen wir, wenn die Leinwand lebendig wird." Berg sprach:" Die Tänzer können tanzen oder zusehen." Kugaratein sprach:" Sie werden gerne tanzen" und zu den Beiden gewandt: " Sie können die Leinwand vor den Palmenwald stellen und wir halten eine Fläche frei um die herum wir einen Halbkreis ziehen, - so können wir zusehen und tanzen." Diese Anordnung gefiel allen am Tisch gut. Als Bernardette und Nanamurti ebenfalls zu dem Tisch kamen und von dem Vorhaben unter- richtet waren, zeigten sie sich begeistert. Zunächst aber war der grosse Blumentanz vorgesehen. Es war 3 Uhr Nachmittags. Nanamurti wurde eingeladen inmitten des inneren Blumenk reises Platz zu nehmen. Er setzte sich im Lotussitz dort hin. Um den Kreis herum bildeten die Mädchen einen Kreis, und um diesen herum mit etwas Abstand die Jungen einen weiteren Kreis. An der Seite zum Palmenwald hin sassen die Musiker, die mit Saiteninstrumenten, Flöten und Trommeln spielten. Eine bunte Gestalt, geschmückt mit Palmwedeln und Blüten ging zu Nanamurti und gab mit erhobenen Armen das Zeichen zum Beginn. Dann verschwand er wieder. Die Trommeln setzten ein, die Mädchen tanzten und umwarben die Jungs. Als die Saiten- instrumente einsetzten, nahm jedes Mächen einen Jungen und tanzte mit ihm, während diese Paare zugleich sich im Kreis herum in Bewegung setzten. Die Trommeln wurden heftiger und schneller, und die Gruppen liefen und rannten zuletzt im Kreis um Nanamurti herum. Dann wechselten sie während des Laufs ihre Partner. Zuletzt begannen sie zwei gegeneinander drehende Kreise zu bilden. Die Jungs den äusseren, die Mädchen den Inneren. Atemlos liefen sie, die Trommeln schlugen rascher, dann ein letzter Wirbel und plötzliche Stille. Die Tänzer fielen gleichzeitig zu Boden und verblieben in der Hocke regungslos. Die Saiteninsrumnte traten leise aus der vorrübergehenden Stille heraus. Die Mädchen erhoben sich mit welligen Bewegungen, Pflanzen im Wuchs gleichend. Die Jungs bauten aus ihren Körpern Formen, die an Mauern und Hütten erinnerten. Und wieder bewegten sie sich im Kreis zu den schneller schlagenden Trommeln, zuletzt rennend unter heftigen Trommelwirbeln. Dann abrupte Stille, die vom Beifall der Zuschauer durchflutet wurde. Offensichtlich waren die Inselbewohner von der Ankunft des Zeppelins unterrichtet worden und hatten ihren tänzerischen Auftritt für die Besucher vorbereitet, denn nun kamen die Alten auf die Bühne aus Sand. Sie waren in zwei Gruppen leicht zu unterscheiden. Eine trug schwarze, die andere weisse Gewänder. Die Trommeln begannen. Sie stellten sich in zwei Armeen gleichende Ordnung auf und begannen Scheinkämpfe mit ihren Speeren. Mal waren die Schwarzen vorn und drängten die Weissen zurück, dann wieder umgekehrt. Die Kämpfe wogten hin und her. Dann erschien eine ganz mit roten Blumen geschmückte Frau. Sie trat zwischen die Kämpfenden und trennte sie durch Gesten ihrer erhobenen Arme. Die Saiteninstrumente setzten ein, die Alten legten ihre Speere im den Sand und tanzten um die Blumenfrau herum. Nachdem die Instrumente schwiegen, bildeten die Alten um die Blumenfrau herum einen grossen Kreis. Sie setzten sich auf den Boden, während die Blumenfrau in der Mitte stehend ihre Arme erhob. Auf dieses Zeichen hin kamen die jungen Männer herbeigelaufen. Sie umringten die Blumenfrau und legten Blumen zu ihren Füssen im Kreis ab. Nun erhoben sich die Altem und verliessen den Strand. Die Blumenfrau wurde von den jungen Männern emporgehoben und fortgetragen. Damit war die Veranstaltung beendet. Als die Dämmerung begann setzten sich die Insulaner vor die grosse Leinwand auf der die Unterwasserinsel zu sehen war. Im Halbkreis sassen zuerst die Alten, dahinter die Jungen. Als Bernardettes Tanz zu sehen war, begannen die Jungen auch zu tanzen. Sie waren aber neugierig auf das was hinter der Leinwand war. Nach und nach verschwanden sie im Palmenwald hinter der Leinwand, während die Alten dem einsamen Tanz in der Unterwasserinsel zusahen mit stoischer Geduld. Auch Bernardette verschwand hinter der Leinwand. Berg sah Korthaus vielsagend an. Kugaratein lächelte, als er sah wie Berg und Korthaus sich fragend ansahen. Dann sagte Kugaratein:" Das ist unser Brauch, die Jungen verschwinden nach dem Tanz im Palmenwald. Nanamurti setzte sich zu den Dreien: Korthaus, Berg und Kugaratein an den Tisch. Sie tranken einen Fruchtsaft der angenehm in den Kopf stieg. Jedenfalls überkam nach etlichen Gläschen Korthaus Lust auf ein Tänzchen. Er forderte Kugaratein auf mit zu tanzen. Dieser rief einige Musikantem hinzu und forderte Berg auf mitzumachen. Die Musik setzte ein, die drei tanzten im Dunkel vor der Leinwand und Nanamurti sah zu. Berg hatte dann die Idee einen neuen Tanz zu kreiren. Er ging zum Tisch und tele- fonierte mit dem Zeppelinkapitän. Bald darauf brummte der Zeppelin über dem Strand. Man liess drei Tragestühle an Seilen herab. Berg bestieg einen und forderte die andern zwei auf ebenfalls je einen zu benutzen. Als die drei Narren drin sassen zog der Zeppelin etwas hoch und die Stühle schaukelten einige Meter über dem Sand. Nun schaukelte Berg mit seinem Stuhl und versuchte zur Musik zu schwingen. Die anderen, ebenfalls vom Fruchtsaft beflügelt, schaukelten mit. Die Dorfbewohner kamen nach und nach hinzu. Durch Geflüster von Hütte zu Hütte wusste bald jeder, dass da etwas lief. Schliesslich applaudierten sie den verrückten Schauklern. Später wurde im Mondlicht von den Insulanern der Liebestanz begonnen, aber die drei alten Zeppelintänzer hingen im Halbschlaf in ihren Seilstühlen und träumten schön. Berg, Korthaus, Nanamurti und Bernardette blieben einge Tage bei ihren Freunden auf dem Tuamotu Archipel, dann begaben sie sich wieder auf Reisen. Berg schlug vor zur Unterwasserrinsel zu fahren um ein Experiment zu machen. Sie sollten genau die gleiche Theatervorführung in der Unterwasserblase machen, wie die erste sie gewesen war. Bernardette mochte aber nicht noch einmal im Metalltrikot vom Magneten tracktiert werden. Berg beruhigte sie, indem er darlegte, er wolle vor allem die statischen Bilder der ersten Vorstellung wiederholen. Während der folgenden Tage kam es zu einem bemerkens- werten Gespräch zwischen Korthaus und Berg auf der Platt- form des Zeppelins. Es war eine milde Nacht, die andern schliefen. Korthaus sagte:" Kann es sein, dass Sie etwas beweisen wollen, die Philosophie gegen den Strich bürsten ?" Berg tat erstaunt und fragte zurück:" Sie wissen schon was ich vorhabe ?" Korthaus erwiderte: " Ich kann es mir denken. Das wird etwa so aussehen, dass die Inder sich getäuscht haben, dass die ganze Ontologie oder Seinsphilosophie eitle Schrullen sind undsoweiter." Berg lachte:" Wie sollten Sie es nicht wissen. Aber Sie wissen auch, dass die Notwendigkeit des ästhetischen Höhepunkts damit steht und fällt, dass alles fliesst." "Aber ja", meinte Korthaus:" Heraklit war der Einzige, dem man noch heute eine Wirkung zutrauen kann." Berg sprach:" Seine Gedanken sind die gesammte Geschichte hindurch bestätigt worden. Nun, da wir immer mehr Indizien für die bewegten Strukturen haben und das Feste, das Sein uns mehr und mehr zerrinnt, ist meiner Ansicht nach eine der interessantesten Fragen die nach der Herkunft des Festen." Korthaus meinte:" Ich erinnere mich. Wir haben mal festgestelt, dass es keine Singularität, kein Erstes und nichts Einfaches gibt. Das heisst, dass es kein Festes, kein Sein gibt." Berg antwortete: " Da liegt meine Frage. Wie ist Festes möglich?" Korthaus nickte und sprach," Das ist die Frage. Man nimmt das Feste als sebstverständlich, aber es muss erst gemacht werden." Berg sprach: "Damit sind wir beim Experiment in der Unterwasserinsel. Sollte das Feste nur ein Produkt des Bewegten sein, müsste es in der Wiederholung der Vorführung in der Blase spürbar werden". "Vielleicht ist es auch nur Produkt des Ichs", meinte Korthaus. Berg antwortete: " Dann wären wir am Gegenpol zum Kosmischen Bewusstsein Nanamurtis. Aber Sie wissen wie ich dazu stehe." Korthaus meinte: "Vielleicht können Sie meinem Gedanken näherkommen, wenn man es so sieht: Das Ich als Durchgangs- kanal der Objektivität, und das indische Universum als Durchgangspunkt des Ichs." Berg antwortete: " Daran habe ich schon gedacht. Es wären dann zwei Pole zwischen denen sich alles ereignet, vergleichbar den beiden Polen des Magnetismusses." " Aber ja," stimmte Korthaus zu:" nur dass es diese Pole vielleicht gar nicht gibt und sie nur eine Notwendigkeit sind des denkenden Ichs." Als der Zeppelin die Position der Unterwasserblase erreicht hatte begann der Abstieg der Vier. Er erfolgte genau so wie bei der ersten Vorführung. Als Bernardette zur Insel gebracht worden waren begaben sich die drei Boote in die gleiche Position wie bei der ersten Vorführung. Sie sahen Bernardette aus 300 Metern Abstand als kleine Figur auf der Insel. Sie stand regungslos. Die Trommeln setzten ein, leise und gleichförmig. Aber plötzlich kauerte sie sich hin. Sie stütze ihren Kopf in die Arme und verblieb so minutenlang in dieser nicht erwarteten Position. Berg war besorgt. Er paddelte mit dem Boot zur Insel und ging zu Bernardette. Sie sah Berg kommen und hob ihren Kopf. Ihr Gesicht war von Tränen überströmt. Berg stand regungslos und wartete. Korthaus und Nanamurti paddelten ebenfalls zur Insel und gingen zu den Beiden. Alle drei standen vor Bernardette und warteten. Nach 15 Minuten erhob sich Bernardette, ging zu Korthaus umarmte ihn wie ein Kind, welches seinen Vater wieder sieht. Dann ging sie wortlos zu Korthaus Boot. Dieser folgte ihr. Die anderen bestiegen ihre Boote ebenfalls und ruderten zurück zum Aufstiegsschacht. Damit war die Veranstaltung gleich zu Beginn schon beendet. Die anschwellenden Trommeln begleiteten die Vier bis sie zum Ausstieg an der Meeresoberfläche hinaufgefahren waren. Als sie wieder im Zeppelin zurück waren, gingen Bernardette und Nanamurti auf ihren Wunsch in die Bibliothek um sich zu besprechen. Nanamurti sagte: "Ich habe Ihre Anstrengung gesehen in der Insel. Sie haben versucht ruhig zu werden, etwas in der Ruhe zu entdecken. Sind Sie zufrieden damit ?" Bernardette antwortete: " Sie haben es richtig gesehen. Aber die Anstrengung war vergeblich. Es gab nichts wieder zu erkennen. Beim ersten Tanz war ich aufgelöst, diesmal aber in mich selbst eingesperrt. Vor mir Abgrund. Am liebsten wäre ich nicht dabei gewesen." Nanamurti meinte: " Der Abgrund ist die Hauslosigkeit, in die Buddha freiwillig gegangen ist." Bernardette erwiderte: " Ich dachte es mir. Was kommt danach ?" Nanamurti schwieg. Zunächst wartete sie auf Antwort. Als er weiter schwieg, wurde ihr dieses Schweigen als Antwort bewusst. Ihr wurde klar, dass hier wieder einmal die Schwelle erreicht war, an der die Führung zu Ende ist. Sie dachte an die Ratlosigkeit Sartres. Offenbar gab es einen anderen Zugang zu Nanamurtis Welt. Sie sprach ihn einfach an: " Gibt es einen anderen Zugang zur Einzelheit ?" Nanamurti sah sie an und sprach: " Ich denke es gibt so viele Wege wie es Welten gibt." Zur gleichen Zeit waren Berg und Korthaus in dessen Büro. Korthaus sprach: " Sie hat etwas Grundlegendes erlebt." Berg anwortete: " Das denke ich auch. Aber es ist erstaunlich, welch ungeheurer Aufwand für uns Europäer notwendig ist. Die Alten hatten das Meer, eine Landschaft oder den Sternenhimmel." Korthaus stimmte zu. Dann sprach er: "Das ist unser Naturell, wir bauen Türme und Marskolonien um schliesslich von aussen nach innen zu sehen." Berg meinte: Die Alten sahen von innen nach aussen. Ich hatte grosse Hoffnungen in die Entdeckung der Vorbudhhisten gesetzt. Einiges davon lässt sich nun realisieren. Aber wir sind noch lange nicht fertig damit. Der Schlüssel liegt in uns selbst." Berg überlegte eine Weile bis er weiter sprach:" Es sieht so aus als hätte Bernardette die heutige Situation in der Blase völlig anders erlebt als die erste Vorstellung auf der Insel. Mir ging es ebenso." Korthaus fragte: " Sie haben damit gerechnet ?" Berg stimmte zu: " Ja, aber ich empfand den Verfremdungseffekt deutlicher als ich es erwartet hatte. "Und Sie ?:" Korthaus antwortete: " Was mich überrascht ist die Zunahme der Verfremdung bei zu- nehmender Ähnlichkeit zwei fast gleichen Situationen. Wollten Sie auf den Vorrang des Ichs hinaus ?" Berg sagte: " Nicht in erster Linie. Es geht um die Bewegung. Die Bewegung wiegt schwerer als das Material." " Geist vor Stoff ?", fragte Korthaus überrascht. " Keinesfalls, die Bewegungen als Geist zu sehen liegt mir fern. Aber Software vor Hardware, das wäre ein Bild, mit allem Vorbehalt. Aber sehen Sie, die Kombinationsmöglich- keiten der Dinge sind begrenzt. Wenn Sie aber die Modulationsmöglichkeiten bewegter Elemente nehmen wird die Zahl der Varianten ungeheuerlich." Berg machte eine Gedankenpause und sprach dann: " Schwierigkeiten macht das Gedächtnis der Dinge, sofern sie durch Wiederholungen überhaupt Dinge werden. Die Chromosomen sind als Speicher bekannt. Aber es geht nicht um irgendeine Aktivierung materieller Speicher. Es geht darum, dass die Bewegungsstrukturen sich erhalten durch Wiederholung. Diese Wiederholungen sind selbst das Gedächtnis der Dinge. In gewissem Grade müssten die materiellen Speicher austauschbar sein, wie sie es in den Computern sind. Aber was passiert, wenn die Bewegungen aufhören. Lebewesen sterben dann ab." Korthaus meinte nun: " Läuft es nicht doch auf ein kosmisches Bewusstsein hinaus ?" meinte Korthaus. Berg antwortete: "Warum sollte man Gespenster sehen, wo es doch um ineinander verschränkte Bewegungen geht. Nur das Individuum und auch das Ich dünnt sich etwas aus. Es wäre dann auch nur ein Moment im Flusse." Damit hatte Berg den Bogen überspannt. Korthaus ging gleich dazwischen: "Damit missverstehen sie das Ich als zenrtraler Durchgangs- punkt gründlich. Es entsteht ein anderes System, wenn das Ich als zentraler zeitloser Punkt steht." Berg lächelte etwas und meinte:" Sie haben recht. - Was geschieht aber, wenn wir diese Verständigung zwischen dem Individualismus, dem Buddhismus, den Ideen der Vorbuddhisten und den Gegen- wärtigen leisten könnten ?" Korthaus antwortete:" Es wäre die völlige Vermittlung, eine Art Stein der Weisen.." In dem er das ausprach, sah er Berg an, dieser ihn, und er sprach weiter: " Wir müssten ihn wegwerfen !" Berg nickte, als hätte er das Gleiche gedacht. Berg und Korthaus wollten schon bald um die halbe Erde zu den Azoren reisen. Es waren neue Funde in der Nähe der Höhlen ausgegraben worden. Überraschenderweise waren intakte Grundrisse von Häusern und Strassen unter einer meterdicken Schlammschicht gefunden worden. Sie versprachen weitere Auskünfte über das Leben der sogenannten Vorbuddhisten oder Atlanter. Als nächstes mussten sie nach Australien fliegen um den Zeppelin für die grosse Reise auszustatten. Nanamurti und Bernardette wollten mitkommen. Sie waren ebenfalls an den Ausgrabungen interessiert. Die Unter- wasserinsel wurde für die Experimente der Weltraumbehörde dieser zur Verfügung gestellt. Es sollten Experimente vor- bereitet werden für die künftigen Weltraumsiedlungen. Bald war der Zeppelin über dem Pazifik in 3000 Metern Höhe auf der Fahrt nach Australien. Und obwohl die vier Philosophenfreunde längst sich des illusionären Charakters der Geselligkeit klar waren, genossen sie die neugewonnene Freiheit, die darin bestand der Einzelheit nun für einige Zeit entronnen zu sein. Es gab einen Tanzabend mit der Zeppelinmannschaft, ein auf- wendiges Gemeinschaftsessen und einen Federballwettbewerb im großen Discosaal. Und am Wochenende eine lange Disconacht, verteilt auf den Saal und die Plattform. Sie tanzen unter freiem Sternen- himmel und vergassen für einige Stunden den Ernst der Gedanken. In Melbourne war die Stunde des Abschieds für Nanamurti und Bernardette gekommen. Nanamurti wollte in seine Heimat nach Indien zurückfliegen, Bernardette wollte gern die nächste Zeit auf den Tuamotu Inseln verbringen. Berg hatte gerade die Flüge für die Beiden geplant. Alle Vier sassen in ihrem Gartenrestaurant vor der Stadt. Es kam zu einem Gespräch über die nächsten Tage. Als sie die organisatorischen Dinge besprochen hatte, wurde Berg zum Telefon gerufen. Er erfuhr dort vom Zeppelinkapitän, dass die geplante Flugroute über Indonesien, Afrika zu den Azoren nicht ohne grosse Gefährdung des Zeppelins geflogen werden konnte. Politische Unruhen im Gebiet Indonesiens mit möglichen Luftkämpfen fremder Streikräfte machten die geplante Fahrt zu einem unkalkulierbaren Unternehmen. Berg fuhr sofort zum Zeppelin und beriet dort mit dem Kapitän und der Flugleitstelle in Hamburg, was getan werden könnte. Als am späten Abend die Vier wieder im Zeppelin versammelt waren, berichtete Berg: " Wir müssen eine ganz andere Flugroute wählen. Wir fliegen zunächst über den Pazifik nach Französisch Guyana, wo wir den Zeppelin neu versorgen. Dannach nehmen wir eine Atlantik- route zu den Azoren. Die Reise über den Pazifik führt uns nur 600 Kilometer an den Tuamotu Inseln vorbei. Bernardette, Sie könnten also mit uns fliegen, wir würden den Bogen zu den Tuamotus machen und Sie dort absetzen, wenn Sie wollen." Bernardette wollte gern. Als der Zeppelin in den milden Pazifiknächten über den scheinbar endlosen stillen Ozean zog, die Sterne der Südsee ähnlich den tropischen Kolibris bunt am Himmel standen und schillernde fliegende Fische den grossen Flugkörper begleiteten, ergab das Geschehen auf der Zeppelinplattform in 3000 Metern Höhe über dem Wasser ein vollkommenes Bild: Die melodische Musik von Radio Hawai verführte die Zuhörer, die vier Freunde und ein Drittel der Mannschaft in ein illusionäres Paradies, welches von der tanzenden Bernardette geöffnet wurde und geeignet war, die Suche nach der Voll- kommenheit für einen unbestimmbaren Zeitraum als erfüllbar zu erfahren. Berg und Korthaus waren in den Raum neben der Pilotenkanzel gegangen, der einen Ausblick in Fahrtrichtung gestattete. Sie waren dort ungestört. Der Zeppelin flog dem langsam aufkommenden hellen Streifen der Vordämmerung entgegen. Berg sprach:" Ich denke wir haben das was möglich ist, gesehen. Was Anderen davon mitzuteilen wäre, ist der Abbau von Vorurteilen und Schutzreaktionen." Korthaus meinte: " Schutz vor der Schweigsamkeit der Inder ?" Berg erwiderte: " Ja, wir haben doch in unseren Gesellschaften Angst vor dem Zurückgehen. Daraus folgt auch Furcht davor weit hinaus zu sehen. Es ist merkwürdig, dass man in die Zukunft hinaus will und auf halber Strecke stehen bleibt. Man sieht bis in den Morgen und will der Gegenwart entfliehen, doch wirklich hinaus zu gehen ängstigt auch. Aber das Hier ist zugleich das Übermorgen, so wie es auch Zukunft ist." Korthaus meinte: " Und Nanamurtis Weg ?" Berg antwortete: " Für uns kam zu begehen, der Weg eines uralten Bewusstseins. Wir brauchen die eruptive Ästhetik...Die stille Auflösung gelingt vielleicht einer anderen Zeit." Korthaus sprach: "Nanamurti kennt den ästhetischen Höhepunkt als Betrachtung." Berg meinte:" Es sieht für uns so aus, aber er produziert seine artifizielle Welt ebenso wie wir. Es ist eine Täuschung den Höhepunkt allein in der Art der Produktion zu sehen, die uns alles bedeutet." Korthaus antwortete: "Nanamurti versteht uns, aber wir verstehen ihn nicht." Berg nickte und sprach: " Was uns hier betrifft sind wir nahe herangekommen an seine Welt, aber unsere Kultur befindet sich noch in der Grund- schule des Lebens. - Ein anderer Zusammenhang verdunkelt den Grund aller Dinge: Der Buddhismus musste zu einer Volksbewegung werden und seiner ästhetischen Wurzeln sich entfremden. Das Ritual des sozialen Lebens, die Notwendigkeit überlagert die lebendige Skulptur, als die man das buddhistische Sein im Augenblick sehen kann. Es ist das Los jeder alten geistigen Bewegung. Deshalb das Zurückgehen, eine Art Ausatmung des Bewusstseins." " Und dann ?",fragte Korthaus. Berg sah Korthaus an und sprach:" Sie wissen es !, dann wieder der Anstieg, das alte Spiel der Brandung, wie sie an den Küsten das Leben der Menschen bestimmt." Nachdem die Beiden vielleicht eine halbe Stunde schweigend an der Reeling der Plattform gestanden hatten, nahm Korthaus das Gespräch wieder auf: " Die Rolle der Ästhetik wandelt sich. Wo Tanz war, entstehen Hochhäuser und grosse Schiffe. Die Inseln werden einmal unseren kontinentalen Siedlungen gleichen. Es sieht doch nach einer allmählichen Verknöcherung aus." Berg stimmte zu: " Gewiss, so beginnen Hochkulturen und so enden sie auch. Aber es gibt Transformationen, die etwas Neues, einen anderen Gang der Geschichte entzünden. Solche grossen Momente der Entwicklung: Das erste beherrschte Feuer, die erste Seefahrt, die erste Stadt, die erste Planetenkolonie." Korthaus fragte: " Sie teilen noch immer den Glauben an den Fortschritt?" Berg erwiderte:" Aber ja, wie ihn Leibnitz hatte: Es wird alles noch viel besser als man es ausdenken kann". Einmal mehr war Korthaus verwundert. Es reizte ihn zu fragen: " Und die Niedergänge ?" Berg kannte dieses Opponentenspiel von Korthaus. Er lächelte und sprach: " Vergessen Sie nicht, dass wir die Niederungen brauchen. - Und der Rest sind:.. Unfälle." Am kommenden Tag waren Berg und Korthaus in ihren Räumen verschwunden. Die nächtlichen Gespräche forderten den Tagschlaf. In der folgenden Nacht trafen sie sich wieder auf der Plattform. Bernardette kam hinzu. Korthaus hatte den Einfall, Bernardette mit dem Ergebnis des gestrigen Gesprächs zu konfrontieren. Nachdem er die Grundgedanken vorgestellt hatte, fragte er: "Was halten Sie davon, dass alles besser wird, ja sogar viel besser, als man es erwarten kann." Bernardette antwortete: " Angesichts der Greuel in der Welt ist das eine fast absurde Idee, - oder?" Nun sah Berg sich genötigt eine Erklärung abzugeben: " Es ist wahr, dass die Geschichte der Gesellschaften schrecklich ist, aber sehen Sie: die, die am Besten zusammen arbeiten erreichen den höchstmöglichen inneren Frieden. Sie leben in den höchst entwickeltesten Staaten, sind am Weitesten in Wissenschaften und Künsten fort- geschritten, und haben die besten Überlebenschancen. Und diese Bedingungen erheben auch das Leben ästhetisch und machen es lebenswert. Deshalb wird sich langfristig alles zum Besten entwickeln, wenn auch mit Rückfällen und Unfällen." Bernardette sah Berg verblüfft an und sprach: " Das hat etwas. Aber das Mittelalter und der neue religiöse Fanatismus. Sind das auch Unfälle ?" Berg meinte:" Ich gebe zu, meine Theorie wird da etwas dünn.. Nun wir werden sehen." Bernardette meinte:" Nanamurti würde vielleicht die Zeit- losigkeit des Jetzt im Augenblick dagegen setzen, in dem alles Unsagbar ist. Die Inder sind deshalb auch jenseits jeder Geschichtlichkeit." Nun sagte Korthaus: " Wenn man das Ich als Mittelpunkt sieht, ist man nahe dran." Berg schaltete sich ein: " Es gäbe auch die Möglichkeit, die Entwicklung des Lebens als fortgesetzte Meditation zu betrachten, ein ästhetischer Prozess, in dem die Auf- und Abstiege ebenfalls zu einer Kugel führen. Und wenn ich es so sehe, mögen wir ja dieses produktive, absurde Leben." Die Beiden anderen stimmten ihm zu. Sie waren an einem jener Augenblicke angelangt, wo die Wege alle in einem Blick sichtbar werden. Die drei standen eine Weile wortlos an der Reeling der Plattform. Dann sprach Korthaus: " Wir leben mit dem Paradoxon Geschichte zu leben und sie meiden zu wollen, und darin uns selbst zu finden. Wie soll das möglich sein?. Vor diese Frage hat uns Nanamurti geführt. Und doch können wir es." Berg meinte: " Wir mögen die Inder nicht verstehen, aber sie verstehen vielleicht nicht, warum wir es können." Bernardette hatte eine Frage auf dem Herzen, die sie in dieser Situation stellen wollte. Sie hatte in der Vergangenheit nicht gewagt, so direkt zu fragen, da die Möglichlichkeit bestand, dass ihre Fragen allein aus ihrer Unaufmerksamkeit entstanden sein mochten. Sie fragte deshalb die Beiden:" Haben Sie eine Aufgabe vor Augen, die mit den Unternehmungen der letzten Wochen gelöst werden könnte." Berg ewiderte: " O ja, aber sie besteht aus mehreren Teilen. Der ganz praktische Teil: Wie kann das Absterben der Hochkulturen verhindert werden ? Der andere Teil: Wie bringen wir das Eruptive und das Zurückgehende in das Leben ein. Bisher finden wir meist nur ein Extrem vor. Und der dritte Teil: Die Rolle und das Geheimnis der ästhetischen Höhepunkte. Dann geht es weiter, -aber es reicht erst mal. Sind Sie damit zufrieden ?" Bernardette antwortete:" Danke, es trifft vieles, was mich bewegt. Ich werde bestimmt weiter fragen." Berg sagte:" Tun Sie es." Am Abend vor dem Tag der Ankunft des Zeppelins hielt Berg auf Wunsch Bernardettes und einger Mitglieder der Zeppelin- mannschaft in der Diskothek eine Rede über den Tod: "Liebe Freunde, wie bereits oft gesagt, ist der Tod eine fast reale und zugleich irreale Geistesschöpfung, die sich der Vertauschung von Subjekt und Objekt, von Ich und Nichtich bedient. Die Folge ist, dass der stark reflektierende Mensch einen Großteil seinen Lebens damit zubringt an dem Geistesgebilde Tod zu nagen und zu arbeiten, nur um fest- zustellen, dass nichts dabei heraus kommt. Ich möchte dazu beitragen mit dieser enormen Verschwendung aufzuhören und zu sehen, was das ist was hier ist. Wir befinden uns immer in jenem Ich im Augenblick welches von innen heraus nicht verloren geht. Sagt ein Anderer, dass im Tod dieses Ich nicht existiert, so berichtet er von einem Wissen, welches er an Objekten erfahren hat, die einmal lebende Menschen gewesen waren und er selbst nicht erfährt. Er ist sich selbst niemals das gestorbene Objekt. Es gibt eine Einrede für das Bewusstsein vom Tod, welche mahnt, dass ohne dieses Bewusstsein die Planung des Lebens der folgenden Generationen mit wesentlichen Gefahren befrachtet bleibt. Dass ferner der Schutz vor einem selbst drohenden Lebensgefahren ohne Todesangst vernachlässigt werden könnte. Das mag sein, aber das Todesbewusstsein bleibt doch immer eine Projektion, mit deren Hilfe Tod vor- gestellt wird. Eine Projektion aus der Welt der Objekte, die das Subjekt nicht erreichen können. Man sieht natürlich die Kräfte schwinden, wenn der mutmassliche Sterbeprozess einsetzt. Ob er es ist, bleibt von innen her unerfahrbar. Aber es bleibt das Bewusstsein des Ichs im Hier und Augenblick, welches zur Idee der Ewigkeit wahrscheinlich beigetragen hat. An dieser Grenze, da das Innersubjektive ewig ist und das Objektive vergänglich, da umgekehrt die Objekte das Einzel- leben überdauern und der Mensch wächst und in sich schwindet, zuletzt für die andern verschwindet, steht das Paradoxon des Ist und Istnicht. Damit komme ich zum Ende: Es bleibt die Nützlichkeit einer Projektion, die man Tod nennt und zugleich das aufgeklärte Bewusstsein des Paradoxons jeglichen vorgestellten Seins, das immer ist und nicht ist. Man kann daher von überflüssigen Vorstellungen sich frei machen, so wie man es mit Alpträumen, Lügengeschichten und neurotischen Kreisbahnen auch macht- beziehungsweise kann man es versuchen." Berg setzte sich zu den anderen an den U-förmigen Konferenz- tisch. Bernardette fragte Berg: "Woher kommt der Horror vor dem Tod, selbst bei einem klaren Bewusstsein, welches alles das weiß, was mit den Projektionen und Ängsten zusammenhängt?" Korthaus antwortete: "Wenn wir sehen, dass mit der zunehmenden Einflußnahme des wachen Bewusstseins auch die Fähigkeit zu Projektionen wächst, ist die Zunahme der Angst nicht verwunderlich." Nun sprach wieder Berg: "Es ist seltsam, dass die tiefe Verankerung der Furcht, wie sie auch Tiere kennen, bei uns immer zugleich mit hartnäckigen Vorstellungen verknüpft ist, an deren Ende der Tod steht. Es gibt Schriftsteller, die spekuliert haben, dass es früher Menschen gegeben habe, die den Tod als einen erstrebenswerten Übergang gesehen hatten. Aber diese Einstellung müsste zum Aussterben solcher Menschen führen. Es sind also jene am Leben geblieben, deren Lebenstriebe fern jeder Klugheit sich immer durchsetzen. Es sieht auch so aus, wenn man bedenkt, dass extrem Leidende, Gefolterte, Kranke mit grosser Mehrheit um ihr Weiterleben kämpfen. Wenn man weiter bedenkt, wie gräss- lich Schmerzen sein können, so muß der projezierte Horror vor dem Tod auf jeden Fall mächtiger sein, damit die Lebenstriebe überwiegen." Korthaus sprach nun: "Gesetzt, das Nichtsein wäre ein Nirvana, ein Paradies, so könnten wir uns das Leben dieser Wahrheit nicht erlauben. Wir würden allesamt von der Erde verschwinden." Bernardette meinte: "Also können wir unserem Denken nicht die Steuerung anver- trauen, und es ist besser von der Todesangst geplagt zu werden als von der Vernunft gedrängt in ein vielleicht zu frühes Ableben." Einige nickten ihr zustimmend zu. Berg widersprach: "Das gilt nicht für Jeden. Der alte Mensch, der aus der Vermehrung ausgeschieden ist, kann mit seinem Ableben nichts zum Aussterben beitragen. Die Frage ist: Wird Todesangst verdrängt, wie es manche sehen, oder gibt es Todesangst für den nicht, der den Tod als Projektion durchschaut. Beides wäre möglich. Aber bestimmt ist es für eine Generationen-Linie gefährlich, sich den Luxus einer Befreiung von Todesangst zu erlauben." Das Gespräch ging noch einige Stunden weiter. Einige Mit- glieder der Mannschaft verliessen die Runde, einige blieben dabei bis zum Morgengrauen die Zeppelinmotoren anliefen und der Tag begann. Der Zeppelin langte am Vormittag bei der Insel an, auf der Kugaratein und sein Stamm lebte. Berg, Korthaus und Bernardette liessen sich am Strand absetzen und begaben sich in das Dorf. Kugaratein empfing sie an der langen Tafel, an der die Mahl- zeiten eingenommen wurden. Er sass dort und lachte: " Sie sind wieder zurück ! Kommen Sie, wir haben Sie schon erwartet." Bald kam ein Gespräch zustande, welches Bernardette mit der an Kugaratein gerichteten Frage begann: " Was geschieht nach dem Tod?" Kugaratein antwortete. " Wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon." Bernardette fragte:" Und Ihre, wie ist Ihre darüber?" Kugaratein antwortete." Ich habe mehrere zugleich. Die mir liebste ist, dass wir in den unzählbaren Seelen der Wellen, der Palmen, der Tiere weiterleben ohne noch der Mensch zu sein, der man gewesen war. Aber auch die Stille ist eine Vorstellung, die mir gefällt." "Und Todesangst ?" fragte sie. Kugaratein antwortete: " Wir haben Angst vor Gefahren, Schmerzen und Verlusten, aber Todesangst nicht. Denn der Tod ist ein Übergangspunkt, die Idee von Lebenden. Wir haben Lebensangst. Vor dem, was nach dem Übergang kommt, habe ich keine Angst, denn was nicht ist, kann auch nicht unangenehm sein. Wir kennen es ja aus der Vorgeburtszeit. Es hat noch keiner von unangenehmen Dingen berichtet aus jener Zeit. Weilich aber entweder gar nichts werde oder aber in die Welt anderer Wesen mich auflöse, kann ich nichts Unangenehmes erwarten." Bernardette sagte nun zu Kugaratein, dass sie gern auf der Insel bleiben möchte. Kugaratein war einverstanden. So kam es, dass am kommenden Morgen Berg und Korthaus sich von den Insulanern verabschiedeten und zum Zeppelin zurückkehrten. Gegen Mittag hob der Zeppelin ab und nahm Kurs auf Südamerika. Pamala, die Frau Kugarateins hatte Bernardette schon bei deren ersten Besuch der Insel in ihr Herz geschlossen. Sie kümmerte sich deshalb mit grosser Anteilnahme um sie. Als sie zum Tisch kam wo Bernardette mit Kugaratein sass, begrüsste sie sie:" Hallo Bernardette, komm mit ich zeige Dir Dein kleines Haus und die freien Männer. Du suchst Dir einen aus und dann tanzen wir." Sie streckte ihre Hand aus, Bernardette nahm sie und ging mit Pamala ins Dorf. Banduk, ein Mann von 30 Jahren war ihr Freund, Begleiter und Liebhaber bei ihrem ersten Besuch gewesen. Sie suchte ihn auf. Er war damit beschäftigt Netze für die Fischerei zu reparieren. Vor seiner kleinen Hütte stand er an einem Tisch und knüpfte völlig in seine Arbeit versunken an einem Netz. Bernardette ging zu ihm, legte eine Hand auf seine. Er sah auf und strahlte sie an. Pamala war gegangen, Bernardette stellte sich neben ihn und sah ihm zu. Er zögerte, sah den interessierten Blick von ihr und arbeitete weiter, unkonzentriert zunächst, dann wieder völlig in die Tätigkeit versunken. Berg und Korthaus waren auf der Plattform in einem Gespräch vertieft. Der Zeppelin flog in 3000 Metern Höhe in Richtung Südamerika. Der Ozean lag spiegelglatt im Dämmerlicht. Korthaus sprach: " Haben Sie auch den Eindruck der Ziellosigkeit aller Unter- nehmungen in der letzten Zeit ?" Berg antwortete: " Ja und nein. Denn obwohl das alles ziellos ist, scheint es mir der innere Kern ästhetischer Höhepunkte zu sein." Korthaus antwortete: " Und die Täler, Wüsten und Ebenen zwischen den Höhepunkten?" Berg antwortete: " Auch, ebenso." Korthaus sprach: " Das ist doch das Leben der Vorbuddhisten, beides zu sein, oder ?" Berg antwortete: " Ja, die Invertierungen vollständig zu sehen,- ich denke wir sind nah dran." Er dachte nach, sah zum Horizont und sprach: " Ich habe es geahnt. Kennen Sie das, wenn sie als Kind zum ersten Mal sahen, wie der Mond scheinbar mitwanderte, wenn man vor den Häusern einer Strasse oder einer Baumnreihe ging und alles davonzog, nur der Mond ging dahinter mit uns ?" Korthaus antwortet :"Ja, es war eine verblüffende Entdeckung." Berg fuhr fort: " So ist es auch mit unseren vielschichtigen Bedürfnissen: Erkennen, Ruhe finden, Rätsel sehen, Höhepunkte und Schmerzen, Erobern und Abschied nehmen. Das sind unsere Monde, die mit uns wandern. -- Und obwohl es Lösungen gibt, sind sie doch ein Paradoxon, gültig ebenso wie nichtig." In der folgenden Nacht trafen sich Korthaus und Berg wieder auf der Plattform des Zeppelins. Unten leuchteten Algenfelder, oben standen kristallklar wie auf einem Rußblatt die Stern des äquatorialen Himmels. Berg sprach: " Nachdem wir uns seit einigen Jahrzehnten unterhalten, ist mir erst jetzt klar geworden, dass die Sprache und das Sprechen keinesfalls nur oder vorrangig der Kommunikation unter mehreren dienen." " Wie das ?", fragte Korthaus erstaunt. Berg antwortete: " Mir kam gerade eine Erinnerung hoch, eine im Grunde harmlose Sache: Im Sand des Strandes liegt eine Echse in der Sonne. Ab und zu bewegt sich irgendein Teil von ihr; wie zur Selbstbeschäftgung. Vorher hat sie sich satt gefressen. Aber sie verdaut und beschäftigt sich mit sich selbst. Kühe machen das auch sehr gern. Sie sprechen mit sich selbat in ihrer Art, in einer Körpersprache, die nur für sie selbst da ist. Dem gleichen Zweck dienen auch unsere inneren Bilder und Selbstgespräche. Die heutige Sprache wird daher Reste jener Urselbstgespräche enthalten und am Leben erhalten. Die sozialen Funktionen sind darin einge- wachsen. Aber haben diese einen Vorrang ?. Wer dient wem, die Sprache der Selbstverständigung oder dem Erhalt von Gemeinwesen ? Es ist ja schon oft gesagt worden, der Einzelne diene der Gemeinschaft. Ich denke, was der einzelne tut, muß er tun, weil es so gewachsen ist." Korthaus meinte: " Ich ahne worauf Sie hinaus wollen." Berg antwortete: Wir brauchen Beides, die Sprache als Vermittlung innerhalb der Gemeinschaften, und das Selbstgespräch, der Kern des Einzelnen." Korthaus fragte: " Der Buddhismus als eine Lehre vom Selbstsein ?" Berg meinte: " Ja,- aber zugleich will man ins All sich auflösen. Eine seltsame Sache." "In der Tat, die Lehre erscheint einfach und zutreffend und zugleich voller Widersprüche." setzte Korthaus hinzu. Berg schwieg eine Weile und fuhr fort:" Die Vorbuddhisten standen vielleicht an jener Schwelle, da die Sprache als Verständigung innerhalb der Gemeinschaft die Selbstsprache so sehr überlagerte, dass diese fast verschwand. Deshalb ist es auch sinnvoll gewesen, Ruhe und Produktion zugleich zu entwickeln. Dann kam mit den Buddhisten eine Art Notwehrakt gegen die Überwucherung durch die Zivilisation, der Ausstieg aus der Welt des Tuns. Aber um den Preis der Selbstauf- lösung. Der Buddhist löst von innen her auf, der Mensch in der Gemeinschaft von aussen. Aber dem Paradoxon gemäß, dass immer zugleich auch das Gegenteil geschieht, führt die Selbstauflösung zugleich zum Selbst und die Produktion nährt und befriedigt das Selbst, und vernichtet es schließlich auch." Korthaus nickte und sagte nichts. Das Gespräch wurde in der folgenden Nacht durch Korthaus eröffnet: " Ich versuche ein Gesammtbild: Die Welt aus buddhistischer Sicht ist objektiv beschrieben, geschieht aber immer im Ich, aus westlicher Sicht, weil die wichtigen Grundkräfte im Einzelnen liegen: Bewusstsein, moralische Triebkräfte usw. Aber diese Kräfte werden ins All projeziert. Das All des Buddhisten ist ein All im Ich, aus meiner Sicht gesehen." Berg meinte: " Sehr plausibel. Es könnte sein. Aber denken Sie an die Widersprüchlichkeit unserer rationalen Objektivität. Sie braucht gar kein Ich, wäre aber ohne Subjekt nicht lebens- fähig. Denn woher sollten ästhetische Impulse kommen? Die Physik kann nichts damit anfangen. Das Nichtidentsche, Ungefähre, der Mangel an definierbaren echten identischen Grössen in unserer naturwissenschaftlichen Sicht ist gewiss so schwerwiegend für die Gültigkeit des Weltbildes wie für die indische Phikosophie die Projektion psychologischer Strukturen ins Weltall." Korthaus stimmte zu: " Unsere Unwägbarkeiten liegen nur an anderer Stelle als die der Budhhisten. Wir sind erfolgreich damit in bestimmten Bereichen und leben psychologisch verstanden noch auf den Bäumen, während die indische Philosoohie in anderen Bereichen erfolgreich ist und den technischen Strom der Geschichte seit Jahrhunderten nicht mehr bestimmt." In jenen Tagen und Nächten des Pazifikfluges erhielt Berg eine bedeutsame Information durch seinen privaten Nachrichtendienst, "Putzkolonne" genannt. In Brasilien gab es den Biologen und Philosophen Coraboda, der sich mit Arten, besonders von Primaten befasste, die scheinbar ohne offenkundig selektive Einflüsse ausgestorben waren. Aber auch das Verschwinden von Hochkulturen beschäftigten ihn. Er hatte einige neue Ideen veröffentlicht. Berg schlug deshalb vor, nach der vorgesehenen Zwischenlandung des Zeppelins in Guyana den Forscher in Brasilien aufzusuchen oder ihn nach Guyana einzuladen. Als der Zeppelin in Guyana gelandet war, buchten Berg und Korthaus einen Flug nach Rio. Sie landeten dort planmässig und fuhren mit einem Taxi zur Wohnung von Coraboda. Dessen Haus lag im Süden in einer Vorort- siedlung. Hinter dem kleinen Haus war ein Garten. Dort trafen sie den Forscher beim Umgraben des Gartens. Berg begrüsste ihn:" Guten Tag, wir wollen Ihnen einige Fragen stellen und hoffen damit etwas weiter zu kommen bei unserer Suche nach den Philosophen der Zeit vor Buddha." Coraboda schüttelte den beiden Besuchern die Hände und lud sie ein an einem kleinen Tisch im Garten Platz zu nehmen. Er sah sie fragend an. Korthaus begann: " Aus unserer Sicht ist die Wende zum Buddhismus vor 2600 Jahren ein Niedergangssymptom mit dem Erfolg der Rettung einer alten Kultur vor dem Untergang. Erst die Mongolen haben dann über 1000 Jahre später die indischen Kulturen beinahe vernichtet. Aber möglicher- weise hat erst die Verdrängung des Buddhismusses durch die hinduistische Restauration den Boden für diese Nieder- lage bereitet. Unsere Frage ist: kann das Absterben der Kulturen durch geistige Bewegungen verhindert werden ?" Coraboda antwortete:" Das sind viele Fragen auf einmal, die hinter nur einer Frage versteckt sind. Ich versuche die bedeutendste zu verstehen: Geistige Bewegungen könnten vielleicht elementare Prozesse in Gemeinwesen steuern.- Habe ich das so richtig verstanden." Korthaus bejahte. Coraboda fuhr fort: " Sie kennen den Gedanken der Selektion. Man nimmt an, dass zivilisatorische Prozesse die Menschen verweich- lichen und damit für selektive Einflüsse anfällig machen. Die Geschichte gibt dem Recht. Babylon, Alexandria, Rom sind zugrunde gegangen, weil sie sich nicht wehren konnten. Denken Sie an die Besetzung Galliens durch barbarische wandernde Stämme. Die Frage ist, war ein biologischer Grundprozess dafür die Ursache ? Man nimmt es an. Ich sehe die Dinge ganz anders. Denn es gibt auch Hinweise auf eine geistige Ermüdung, die vielleicht noch etwas früher einsetzt als die körperliche Decadenz." Korthaus und Berg nickten dazu, weil sie einige von Corabodas Ideen bereits gelesen hatten, während des Flugs nach Rio. Coraboda fuhr fort: " Ein altes Sprichwort sagt: Der Fisch stinkt am Kopf zuerst.- Wir wissen nicht den Ursprung der Werdenskräfte. Aber ihr Erlahmen wird sichtbar in bestimmten biologischen und geistigen Manifestationen. Grosswuchs führt zur Trieb- erlahmung. Wenn nicht alles täuscht sind die Riesensäuger so verschwunden. Fehlende literarische Schöpfungen haben die Decadenz in Rom massgebend gefördert oder gar hervor- gebracht. Es ist das Gebiet der Mutationen, welches hier ins Spiel kommt. Aber da es sich auch um geistige Kreationen handelt, wäre ein umfassenderer Begriff besser." Berg schlug vor:" Ästhetische Expressionen vielleicht." Coraboda griff das auf: " Das wäre eine Möglichkeit. Die Mutation im darwinistischen Sinn wird überbewertet. Der Zufall scheint überhaupt nur scheinbar bedeutend. Es sind bei genauer Untersuchung meist komplexe Wachstumsprozesse im Spiel. Ich vertrete die Ansicht, dass der Motor der Niedergangsbewegungen neben äusseren Veränderungen, also klassischer Auslese, vor allem im fehlerhaften Denken, also einer Art Denkunfällen oder Hirnfehlschaltungen liegt. Sie werden sich wundern. Aber es ist nicht allein unser Sprachdenken ein Denken. Es geht um die von Zentren, rudimentären Gehirnen und hoch entwickelten Gehirnen verwendete Sprache der Neuronen, die an ihren inneren Strukturen scheitert, oft aus Gründen, die ihn ihrer eigenen Wachstumslogik liegen. Dieses Fehlschalten, zum Beispiel verursacht durch Über- fluss an Nahrung, Mängel im Gleichgewicht zwischen weib- lichen und männlichen Exemplaren, Schonung vor Klima und anderen Belastungen, führt zur Veränderung des Denkens und der Selbststeuerung. Man hält die Welt für friedlich und wird vom hochgerüsteten Fernnachbarn überrascht. Die Indiander durch die Europäer, die Konstantinobler durch die Sarazenen usw. Hier kommt die kreative Expression ins Spiel. Die Erfindung der mit dem Napalm verwandten Feuerspritze der Konstantinobler hat die Angriffsflotten zerstört und den Untergang mehrmals abgewendet. Sehen wir die Flexibi- lität der Weichtiere gegenüber den Gepanzerten. Außer- halb ihres engen konventionellen Lebensraums sind die Echsen, Nashörner ziemlich wehrlos. Selbst kriegerische Wildheit ist der viel höher entwickelten sublimierten Wildheit der Waffenproduktion und der Phantasie der List völlig unterlegen. Der psychologische, raffinierte Typus, der sich selbst beherrschen kann, wenn die tödlichen Bedrohungen nahen, schlägt den wilden, heranstürmenden Eingeborenen. So hat Cäsar Gallien bekommen." Die beiden Zuhörer waren sehr überrascht von einem Natur- wissenschaftler etwas Derartiges über den Vorrang geistigen Wachstums zu hören. Berg meinte:" Sie sagen das, was mir oft in völlig gleicher Weise durch den Kopf ging." Auch Korthaus stimmte zu. Er sprach:" Es bleibt das Verhältnis von Überschuss und Logik. Überlebt der Erfolgreiche wegen seiner besseren Logik ?" Coraboda meinte:" Ich dachte lange Zeit, es sei so. Aber sehen wir die Vermehrung der Bäume. Sie leben von der unglaublichen Überproduktion ihrer Früchte. Sie nähren alle möglichen Tiere, einige von diesen tragen die Samen in ihrem Verdauungstrakt ins Ziel während sie die meisten einfach verzehren. Das spricht für den Vorrang der Produktion, übertragen auf den Geist: den Vorrang der Ideen. - Wenn Sie so wollen: Vorrang der artifiziellen Produktion." Nun waren die beiden Besucher beinahe fassungslos. Coraboda sagte das, was sie selbst genau so gedacht hatten. Coraboda sah die Beiden an und entnahm ihrer Reaktion, dass er fortfahren möge. Er sprach daher: " Es gibt einen schwerwiegenden Grund für die Annahme eines Vorrangs der Kreation vor der Logik. Logik ist ein System von etwas Konventinellem, Erprobten. Man weiss aber erst im Nachhinein ob das Erprobte ausreicht. Ein Indianer des 17. Jahrhunderts mit seiner, für sein Denken optimalen Kampf- tüchtigkeit hätte nie erdenken können, welche für ihn völlig unlogischen Verhaltensweisen und Techniken ihn zerstören könnten. Er hatte bildlich einige hundert Ideen in seinen Verhaltensweisen und Waffen eingewachsen, der europäische Eroberer tausende. Der üppige, kreative, wenn man will unlogische Typus überlebt. Das Konservative, Logische unterliegt langfristig und wird verdrängt. Ist es logisch und vernünftig für einen prähistorischen Menschen mit Baum- stämmen auf das gefährliche Meer zu fahren ? Nein. Der Gewinn kam erst viel später hinzu und unverhofft. Ist es logisch teure Raketen zum Mond zu schicken ? Nein, der Gewinn ist noch nicht abzusehen. Und war es logisch von einem Cirano Mondfahrten und Sonnenfahrten zu phantasieren ? Bestimmt nicht. Und doch hat alles das unter anderem das Gleichgewicht der Grossmächte hervorgebracht in Gestalt der Raketenrüstung und der Atomwaffen." Er machte eine Pause und lud die Beiden zum Essen ins Haus ein. Es war angefüllt mit Tierpräparaten, Mikroskopen, einem Computermikroskop und einer schönen Steinesammlung. Nach dem die Drei gegessen und weniger anstrengende Gedanken ausgetauscht hatten, griff Berg das Gespräch wieder auf: " Ich denke, sie teilen unser Unbehagen an den deterministischen und darwinistischen Interpretationen in der Wissenschaft." Coraboda antwortete: " So ist es. Die Formenfülle und die ungeheure Komplexität verlangen nach sehr viel tieferen Modellen als jenen, die an Maschinenvorbildern und mathematischer Logik orien- tiert sind. Wir bekommen ein Zeitproblem, wenn Auslese und Zufälle die Evolution erklären helfen sollen. Es gibt natürlich Fälle, die mit jenen einfachen Modellen begreifbar werden. Aber wieviele Milliarden Jahr müsste das Leben existieren um derart erklärt zu werden. Anders wird es, wenn zwei Komponenten hinzu kommen: Multible Lernvorgänge. Jede Zelle hat ein Leben lang Zeit zu lernen. Es sind bildlich hunderte Millionen von Microcomputern im Gehirn pausenlos dabei Lösungen zu erarbeiten. Und was ebenso wesentlich ist, spielerische Varianten zu erzeugen. Davon gehen viele zugrunde, gewiss auch durch Auslese, aber es bleiben auch viele lebensfähig. Die zweite Komponente sind gestalterische Triebkräfte, die nach unbekannten Motiven, Erwerbungen und Störungen geformt werden. Es hat ja jede Zelle ein eigenes Ich, vielleicht sogar jedes Molekül." Korthaus meinte nun: " Es besteht doch die Gefahr einen Weltgeist zu suchen oder ein kosmisches Bewusstsein." Coraboda antwortete: " Natürlich, der vereinfachende Kurzschluss ist überall möglich, meist um den Preis weiterer Erkenntnis. Es ist kein Zufall, dass solcherart denkende Gemeinschaften unproduktiv sind. Zuerst erlahmt die Phantasie, dann der Wille zur Differenzierung, und zuletzt vegetieren sie sich zu Grunde." Es stellte sich im Laufe des Gesprächs heraus, dass die Drei nahe beieinander mit ihrer Philosophie lagen. Gegen Abend beschlossen sie sich zu trennen und am anderen Tag ihr Gespräch fortzusetzen. Als Berg und Korthaus in ihrem Hotel angekommen waren und bei einem Tee sassen, begann Korthaus: " Was meinen Sie dazu, liegt Coraboda nahe an einer Erklärung der Ästhetik ?" Berg antwortete: " Ja, er könnte sogar einen Vorrang der äshetischen Impulse gemeint haben." Korthaus fragte: " Kommt Ihnen das nicht seltsam vor?" " Was meinen Sie genau ?" Korthaus fuhr fort: " Die ästhetischen Höhepunkte sind von den Kräften im Universum die uns nächststehenden. Elektrische Feldkräfte, Gravitation, Formwandel stehen uns vergleichsweise ferner." Berg wurde etwas misstrauisch und fragte: " Wollen Sie auf einen Vorrang des Ichs anspielen ?" Korthaus erläuterte:" Nein, diesmal nicht. Es könnten Grenzfunktionen sein." Berg fragte: " Also eine Folge subjektiver Projektionen an der Grenze unserer Wahrnehmungen?" Korthaus antwortete: " Ja, möglicherweise." Korthaus fragte Berg nach einer Weile des Nachsinnens: " Wenn das so weitergeht, dass die Interpretationen elementarer Prozesse unter dem Einfluss von Grenzfunktionen stehen, bleiben die entgegengesetzten Intpretationen unvermittelt daneben bestehen, als zweite hinter der ersten. Warum neutralisieren sie sich nicht?" Berg antwortete: " Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Es ist die gleiche wie beim Paradoxon, warum verschwindet es nicht in einer Neutralisation ?" "Und ?" Berg antwortete: " Ich weiss nicht,- wir können nicht anders." Ein melancholisches Lied erklang unter den Palmen des Archipels. Die Frauen pflückten singend Blumen für den Vollmondtanz: " Lachend laufen deine Kinder über den Strand, sammeln bunte Muscheln. Lachend laufen Kinder über den Strand und sammeln Krebse. Singend gehen sie zu ihrem ersten Tanz, jedes zu seinem Liebsten. Und du selber singend ihr Hochzeitslied zählst die abendlichen Untergänge des Alters." Als das Lied zuende war, meldete sich der Sprecher des Radiosenders: " Und nun, bevor wir die schönen Tuamotus verlassen, einige Worte von Kugaratein, dem Dorfvorsteher." Die Stimme von Kugatarein war zu hören: " Irgendwo hoch in den Lüften sind unsere Freunde Berg und Korthaus in dem grössten Luftschiff der Welt unterwegs. Wir grüssen euch Zwei." Berg und Korthaus waren seit einigen Minuten in ihrem Hotel angekommen und hatten in ihrem Zimmer das Radio eingeschaltet. Als sie die Sendung von den Tuamotus gehört hatten sprach Korthaus:" Sie vermissen uns." Berg meinte: " Die Insel ist ein schöner Platz für den Ruhestand, was meinen Sie ?" Dabei grinste er schelmisch. Korthaus antwortete:" O ja, wann aber ?" Berg meinte: " Später, wir haben noch viel zu tun." Korthaus lachte still in sich hinein und fragte: " Zum 110. ?" Berg antwortete: " Legen Sie noch einen hunderter drauf." Korthaus wurde ernst und sagte: " Nachdem wir alle Gedanken hinaus verfolgt haben bis zum Rand aller Gedanken und aller dazu gehörenden Undenkbarkeiten. Was haben wir zu tun ?" Berg meinte: " Das meinen Sie doch nur rethorisch." Korthaus antwortete: " Ja, sie kennen mich zu gut. Ich weiss auch schon was Sie antworten." Berg meinte: " Das wiederum weiss ich auch bereits. Wenn es ein ästhetisches Ereignis wird..." Korthaus sprach: " Wenn wir alt genug werden, gehen wir auf und ab, von Figur zu Figur, Leere zu Höhe eben den Gang der Generationen." Berg sagte: " Unter diesem Gedankenkreis kommt mir die Ablösung der Alten durch die Nachfahren völlig logisch vor. Warum sollte die Verjüngung anders verlaufen als der Wechsel von Tag und Nacht." Berg nickte, erhob sich und sagte im Weggehen: " Das erscheint mir sehr sinnvoll. Vielleicht nehmen wir uns noch einige Sorgen weg, - und anderen auch." Am anderen Tag begaben sich Korthaus und Berg wieder zu Coraboda. Es war Mittagessenszeit. Sie assen daher alle drei zusammen. Kurz darauf kam ein weiterer Gast ins Haus. es war der Mathematiker Horsen aus Spanien. Bald darauf begann eine Diskussion unter den Vieren. Coraboda begann: " Sie kennen die genetische Stabilität der Inseken und daneben die erstaunliche Elastizität der Säugetiere. Als Drittes die Menschen. Alle möglichen Tendenzen sind im Vergleich dieser Gruppen untereinander erkennbar. Die Fliegen haben sich seit mindstens 100 Millionen Jahren nicht mehr verändert und haben überlebt. Die gepanzerten Tiere haben sich ungleich rascher entwickelt und haben auch überlebt. Die Menschen haben ihre Zusatzwerkzeuge völlig ausgelagert. Statt eines Stosshorns wie die Nashörner es haben, benutzen wir Speere und Gewehre. Man sieht aber, dass ein Kriterium wie das der Flexibilität keinesfalls garantiert, dass die Art langfristig überlebt. Die Insekten haben ja ihre Flexibilität ziemlich gründlich abgebaut und überleben dennoch. Also entweder ist das Selektionsmodell nur in in komplexen Zusammenhängen wirksam und zwar je verschieden nach Art oder aber die Formwandlungen beruhen im Wesentlichen auf anderen Mechanismen als Mutation und Auslese, sofern man Mutation als Zufallsentstehung deutet." Berg fragte nun:" Worauf wollen Sie hinaus." Coraboda meinte: " Spiel,- auf das Spiel, und zwar ein Spiel im Sinne der Vermeidung von Wiederholungen. Ein Spiel der Kreation, nicht des Wettbewerbs, wer bei den Wiederholungen gewinnt." Korthaus meinte:" Ästhetische Impulse ?" Coraboda antwortete: " Möglich." Nun sprach der Mathematiker Horsen: "Ich bin oft gefragt worden, ob man mit mathematischen Modellen eine Regelmässigkeit in der Biologie messen kann. Die gleiche Frage stellt sich auch den Astrophysikern. Nein !, man kann es nicht. Es gibt keine ganzen Zahlen im Universum und nicht in der biologischen Welt. Es gibt Wahrscheinlichkeiten. Sie sind wertvoll für unsere Technik, für den Lauf der Evolution nicht, denn ein einzelner abweichender Wert verbirgt manchmal eine künftige unvorher- sehbare Entwicklung. Warum sind die Bahnen der Planeten nicht teilbar durch ganze Zahlen ? Warum haben Insekten nicht vier sondern sechs Beine? Wieso sind Menschen als Zweibeiner lebensfähig?. Das lässt sich fortsetzen. Mein Freund", er sah zu Coraboda:" kann das für sein Gebiet bestätigen." Coraboda fuhr fort:" Für all das gibt es keine reduzierten Modelle sondern nur einen halbewegs vernünftigen Schluß: Spiel !" Korthaus stimmte zu: " Sie kommen zu den gleichen Schlüssen wie wir. Allerdings gibt es das Auftreten von Systemen, die Ziele verfolgen. Es gibt biologische Motivationen und astronomische Balancen." Coraboda meinte: " Ja, so ist es. Dies zusammen mit der Nützlichkeit in bestimmten Systemen: Werkzeuge heute, Spezialorgane gestern, verdunkelt den Blick auf das Ganze." Coraboda wandte sich nun an Horsen:" Miguel, willst Du den beiden Freunden aus Europa das Gesammtbild aus unserer Sicht einmal darlegen ?" Der Angesprochene antwortete: " Sie wissen, dass wir die Evolution als Resultat spielerischer Lernprozesse ansehen. Damit gewinnen wir für die Entstehung der Varianten genug Erprobungsmöglichkeiten. Aber nur die Entstehung einer einfachen Greifbewegung verlangt dann noch einige Milliarden Jahre und einige hundert Millionen Generationen. Soviel Zeit ist nicht vorhanden. Wir brauchen daher tausende von Sternengenerationen und Planetengeburten. So lange wird dieses Universum nicht bestehen können. Gesetzt aber, unsere astrophysikalischen Modelle sind falsch, dann sieht das anders aus. Die Photonen- leben sind unsere nächste Grenze. Wir haben dann 1 mal 10 hoch 72 Jahre Zeit." " Und meinen Sie das reicht ?" fragte Korthaus. Horsen antwortete:" Keinesfalls, es sei, die Protonen vermehren sich." Berg war sehr erstaunt und auch erfreut, seine Idee vom belebten Universum wiederzufinden. Er sagte aber nichts sondern hörte zu. Horsen fuhr fort: " Wir müssen bei jedem Teil, ob Proton, Molekül oder Organismus ein steuerndes Zentrum und eine Rückkoppelung zur nächst kleineren und nächst grösseren Existenzebene vermuten, also als Ganzes betrachtet ein Bewusstsein annehmen. Anders sind Lernen und Wachstum nicht denkbar." Nun sagte Korthaus spontan:"Die Inder hatten recht." Berg wandte ein: " Aus indischer Sicht ja, aus unserer nicht." Warum, denken Sie das?",fragte Coraboda. Berg antwortete: " Wir sehen ein kosmisches Bewusstsein als eine Art Superich. Aber damit irren wir wohl. Es ist bestimmt etwas ganz anderes gemeint." Horsen nickte zustimmend. Berg sprach weiter: "Wir haben noch nicht das Instrumentarium um die Buddhisten zu verstehen." Horsen meinte:" Mein Freund ist dabei, für sein Gebiet an geeigneten Werkzeugen zu arbeiten. Eine Astrobiologie könnte uns helfen." Coraboda sprach: " Wir sind noch nicht soweit. Es gibt ein grundlegendes Problem. Wir finden keine a gleich a entsprechende Grösse im Mikrokosmos. Was wir untersuchen bleibt von unserer konstruierenden Wahrnehmung geprägt. Es gibt ein Leck im Identifizierten. Der Elefant ist kein Elefant." Berg sah Korthaus an und dieser Berg. Soviel Ähnlichkeiten im Denken überraschte sie. Nun sagte Korthaus:" Wenn Sie wollen stelle ich Ihnen die Stromtheorie vor. Sie könnte das bisher Gesagte ergänzen." Die anderen nickten ihm zu. Er sprach weiter: " Betrachtung und Produktion sind einander ähnlich. Sie sind Erzeugung von Hirnproduktionen, die etwas Neues hervorbringen. Da keine getreue Kopie des jetzt Vorhandenen möglich ist, kommt immer etwas hinzu. Es ist eine Flut nichtidentscher Prozesse, die zu etwas Verwertbarem und Wiedererkennbarem gedeutet werden. Das heisst, ein Strom wird erzeugt, der Zielen zuströmt." Horsen sprach: " Das ist ein wunderbares Modell. Dem folgend kann eine letzte definierbare Grösse oder ein letztes Teil im Kleinsten nicht gefunden werden, selbst dann nicht, wenn es möglich gedacht würde." Nun meinte Coraboda: " Das Wachstum könnte mit dieser Theorie ebenfalls erklärt werden. Wir sehen überall Ausdehnung, Vermehrung, Zunahme." Berg sprach nun: " Damit wäre der Kältetod des Universums hinfällig. Es gäbe keine Verdünnung, die zur Abkühlung führen würde." Coraboda wandte ein: " Das Urknallmodell wurde ja nicht weltweit akzeptiert. In der Sowjetuinon gab es andere Vorstellungen." Berg stimmte zu und ergänzte: " Die Buddhisten sprechen vom anfangs- und endlosen Sansara." Die Herren tranken einen Tee. Dann ergriff wieder Horsen, der Mathematiker das Wort: " Wenn die Annahme zutreffen würde, dass die Licht- geschwindigkeit nicht überschritten werden kann, und wenn das Universum zunimmt, dann wird irgendwann ein Abbruch der Wechselwirkung zwischen den am weitesten auseinander- gedrifteten Galaxien entstehen. Es wird ein eigenes Universum entstehen." Coraboda meinte: " Das wäre auf der Linie des Gedachten. Das Universum würde sich vermehren. Es wäre ein Lebewesen wie jedes Tier auch. Dazu braucht man keinen Geisterglauben haben. Es würde sich wahrscheinlich nicht um die kleine Welt der irdischen Lebewesen kümmern, nicht einmal ihre Existenz kennen". Berg stimmte zu: " Es könnte auch einfacher aufgebaut sein als etwa wir es sind." " Ja", meinte Coraboda: "das wäre denkbar." Horsen schaltete sich nun ein: " Aber denken Sie an die Zunahme der Nichtidentifizierbarkeit. Es sind doch Veränderungen bis zur Unerkennbarkeit sehr wahr- scheinlich. Wenn wir Korthaus Idee folgen, bringen wir immer ein Drittes hervor, in welches die Produktion von Subjekt und Objekt eingeht. Es wird nicht das daraus, was dem Ausgangs- punkt entspräche." Berg griff das Gesagte auf: " Es wäre durchaus möglich, dass der Überhang an nicht- identischen Prozessen durch die Steuerungsleistungen erst eine Eingrenzung erfährt. Es wären die Produktion der Wiederholungen und des Festen eine Leistung der Steuerungen und diese die Grundlage der Entstehung der uns bekannten Welt." Korthaus platzte dazwischen: " Und das sagen Sie ?" Berg lächelte: " Ich bin keinesfalls beim Ich als Mittelpunkt angelangt. Aber es gibt schon Verbindungen zu solchen Vorstellungen." Coraboda war neugierig geworden, deshalb fragte er Korthaus: " Sie sehen einen Vorrang des Ichs ?" Korthaus antwortete: " Gewiss, ausser dem Ich gibt es nichts, was Bestand hat. Aber ob nun jedes Ich nur Eins ist, das mag ich nicht mehr ohne Fragezeichen vertreten." Coraboda meinte: " Sie liegen also nicht sehr weit auseinander?" Berg erwiderte:" Es wechselt oft, mal begegnen wir uns und mal nicht." Korthaus sprach nach einer kurzen Besinnungspause: " Wir kommen nicht um das Paradoxon herum: Je vollständiger die unsererseits gezogenen Grenzen des Möglichen hinaus- verlegt werden, umso mehr sehen wir uns selbst wiederkehren, in einer umfassenden Projektion. Es gibt da nur zwei Richtungen, die eine zur Wiederkehr des vorhandenen Zusammen- hangs von Welt und Ich, die andere zur Neutralisation, zum Nichts." Coraboda meinte:" Aber die Formkreationen haben in diesem Bild keinen Platz." Korthaus stimmte zu: " Das ist wahr. Es mangelt an der Ästhetik." Berg schaltete sich ein: " Es ist ein tiefgreifender Mangel in der Verwendung sprachlicher Vermittlungen, - ich denke an Worte und Zahlen dabei -, dass es konservative vom Vergangenen geprägte Mittel sind. Ästhetische Expressionen wären anders. Aber was können sie mitteilen?" Korthaus griff die Frage auf: " Ich denke, diese Mitteilungen sind überall zu sehen, aber um welchen Preis ?" Coraboda meinte: " Sie kennen die Entfremdungstheorie, eine zweite Wirklich- keit, von der die erste überformt wird. Jede von ihnen hat ihre Abgründe." Berg griff den Gedanken auf: " Es gab ja diese Bewegungen zurück zur Natur, aber dass sind Fata Morganen gewesen. Auch das Bild einer aufgehobenen Ent- fremdung ist zweite Wirklichkeit." " Und doch ist es mehr," meinte Korthaus." " Ja, es ist alles zusammen in einem Bild gesehen, kreative Wandlung einer Innenwelt in einer produktiv veränderten Gesellschaft", stimmte Berg zu. Coraboda meinte: " Ästhetik in der Maske der Notwendigkeit?" Korthaus nickte und sprach:" Ja, es gibt den Gedanken, die technische Ent- wicklung für den Hauptstrom ästhetischer Prozesse zu halten. Ich bin nicht sehr angetan davon, denn der ästhetische Höhepunkt kann sich nur im Prozess der Selbstempfindung realisieren. Wird das Ich ausgeblendet, was bleibt dann ?" Berg antwortete:" Ich könnte mir auch ein Selbst ohne Ichbewusstsein denken." Korthaus sprach: " Ich auch, aber es wäre eben dann das Ich, welches ich meine, ein umfassendes das sprachliche Bewusstsein über- greifende Ich. Wenn Sie es Selbst nennen wollen..." Es gab keine durchgehenden Übereinstimmungen zwischen den Vieren, sondern punktuelle Gemeinsamkeiten und ein unter allen Vieren funktionierendes theoretisches Gerüst. Die Gespräche der vier Philosophen wurden in den folgenden Tagen fortgesetzt. Schliesslich erinnerte Korthaus an die Ausgrabungen auf den Azoren und schlug vor, abzureisen. Als der Zeppelin Guyana verlassen hatte und über dem Atlantik in östlicher Richtung flog, hatte Berg bereits ein neues Projekt ausgedacht. In seinem Büro besprach er es mit Korthaus: " Der Tatsachenboden mit seiner gelebten Geschichte braucht eine Zukunft. Also bauen wir etwas, sind Sie dabei?" Korthaus meinte: "Natürlich, erzählen Sie." Berg begann: "Stellen Sie sich einen Wüstenstreifen an der Sahelzone vor, in der Nähe einer Siedlung, in der einige tausend Menschen wohnen können. Wir laden aus allen Staaten der Erde Kinder ein. Sie wohnen mit ihren Eltern in dieser Siedlung und gehen dann für einige Stunden hinaus in die Wüste und zeichnen in den Sand. Sie gehen einigen abgesteckten Bahnen nach, die einen grossen Kreis bilden, der von sternförmigen Bahnen durchschnitten wird. Am Ende sind alle diese Bahnen mit ein- geritzten Zeichen geschmückt. Dann gibt es eine Verlosung von Preisen. Wenn dieses grosse Spiel beendet ist, die Leute wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, bauen wir ein Gebäude um diesen Kreis herum und bewahren die Zeichen vor dem wetterbedingten Zerfall. Später könnten dann Wege gebaut werden, die den Besuch der Zeichenbahnen erlauben." Korthaus dachte nach, dann sprach er:" Sie überraschen immer wieder. Es hat die Dimension der Olympiade." Berg antwortete: " Aber eine ohne Medaillen." Korthaus sprach weiter: " Ich bin gern dabei. Aber das was dazu gehört, wird aufwendig." "Ja" , sagte Berg, "es wird auch sehr teuer. Wir brauchen eine aus dem Boden zu stampfende Infrastruktur. Allein die Wasserversorgung wird ein grosses Vorhaben." " Aber wird man es uns erlauben, als Europäer so weitgehend in Afrika aktiv zu werden?", fragte Korthaus. Berg antwortete: " Gewiss nicht, wir werden verdeckt vorgehen und einige Persönlichkeiten für eine Spielolympiade gewinnen müssen." " Erklären Sie es genauer." Berg fuhr fort: " Sinnlos erscheinende Veranstaltungen sind nicht immer will- kommen, wir brauchen einen grossen Mantel, der unsere Absichten verbirgt, - und uns auch." " Aha", meinte Korthaus. Berg fuhr fort: " Wir stehen im Schatten der Kinderolympiade und stiften einen Spielpark." "Und nebenbei entsteht dann das Zeichenspiel ?", fragte Korthaus. " Ja, so nebenbei. Die Hauptarbeit geschieht hinter den Kulissen. Wir brauchen die Uno und eine Menge geeigneter Kontakte", sagte Berg. Ungewöhnlich früh am Morgen begegneten sich Berg und Korthaus beim Frühstück in der Passagierküche des Zeppelins. Berg begrüsste Korthaus mit den Worten: "Guten Morgen, was machen Sie hier so früh ?" Korthaus antwortete :" Ihre Pläne haben mich beschäftigt. Wir müssen darüber reden." Berg meinte: " Ich dachte es mir, ich habe ebenfalls über Nacht daran gearbeitet". Korthaus begann: " Was ist ihr Motiv ?" Berg antwortete genau so knapp wie die Frage gestellt worden war: " Die Abenteuer der Kinder und die Verfremdung einer un- möglichen Dauer der Kunstwerke." Korthaus erwiderte: " Ich verstehe, aber die Kinderolympiade, dass heisst ehr- geizige Eltern, Nationalismus, usw. wie soll das mit Ihren Zielen zusammenpassen?" Berg antwortete: " Sie treffen es auf den Kopf. Es geht nicht. Ich habe vor, die Motive getrennt zu verfolgen. Die Kinderolympiade muss von geeigneten Leuten vorbereitet werden. Sie wird nicht das nächste Projekt werden. Bleiben wir im Verborgenen und sammeln die von den Kindern in Afrika im Sand gemalten Bilder und verraten wir niemandem etwas davon." Korthaus nickte, nahm einen Tee ass an seinem Brötchen und dachte nach. Nach einer Weile sprach er: " Wenn wir mit dem Zeppelin in Afrika landen, ist es mit dem Verbergen vorbei." Berg meinte: " Und eine Motorradfahrt?" Korthaus sah hinüber zu Berg, blinzelte mit den Augen, als habe er das erst zu entschlüsseln. Dann rief er: " Wunderbar, am Besten gleich !" Berg meinte: " Wir müssen zuerst zu den Azoren, wir werden erwartet !" Der Atlantik war von Wolken verhangen. Die Beiden standen am späten Abend auf der Plattform des Zeppelins und sahen in den diesigen Raum hinaus, der weder einen Horizont noch eine andere Begrenzung mehr zeigte. Korthaus sagte: "Je länger ich darüber nachdenke, was die Inder mit dem Nichts gefunden hatten, umso mehr denke ich, dass es nicht so etwas war, wie dieser diesige Raum und auch nichts, was irgendwie damit vergleichbar wäre." Berg stimmte zu und sprach: "So sehe ich es auch. Wenn ich mir aber vorstelle, unsere nächsten Ziele würden in einer Vision in eben diesem Raum projeziert, auf dieser Bühne, so würde das schon möglich sein. Wenn ich mir denke, es wären nicht wir mit unseren zu- künftigen Projekten sondern nach innen gewendet, die Bewegungen des inneren Mikrokosmos, die selbst zu grossen Projekten sich ausbilden, dann gäbe es eine Brücke,- eine schwache aber nur." Korthaus sagte: " Ja, das ist es, wir planen ins Grosse, und die Inder hören das, was redet, wenn das Grosse zurücktritt und der Mikro- kosmos zur Welt wird." Er stockte und fügte hinzu: " Das ist auch wieder sehr theoretisch, oder ?" Berg antwortete: " Vielleicht hilft es Ihnen, dass ich genauso wenig damit weiter komme wie Sie." Korthaus sprach: " Mir fällt Marc Aurel ein mit seiner Mahnung sich mit Unberechenbarem nicht zu sehr zu befassen und einen klaren Kopf zu behalten." Berg antwortete: " Sie sagen es, bleiben wir wer wir sind und lassen Sie es uns Sorge der Andern sein, zu sein, was sie sein wollen." Die Tage bis zur Ankunft auf den Azoren waren mit Terminen ausgefüllt. Während Korthaus Foto und Filmmaterial von der Ausgrabungsstätte studierte, besprach Berg in Video- konferenzen seine Konzerngeschäfte, und mit afrikanischen Regierungen die vorgesehenen Bauten am Rand der Sahelzone. Er war neben Philosoph, Abenteurer und Künstler auch einer der ganz grossen Industriellen. Diese letztere Eigenschaft gab ihm die Möglichkeit, die kostpieligen ästhetischen Experimente zu finanzieren. Einige Stunden vor der Landung besprachen die Beiden ihr weiteres Vorgehen an der Ausgrabungsstätte. Korthaus sagte: " Es gibt einige Fundorte, die aus dem Rahmen fallen. Ich denke es sind astronomische Anlagen. Die in bestimmten Winkeln in die Erde eingegrabenen Röhren könnten Luft- teleskope gewesen sein. Eine weist zum Sirius im Frühling, allerdings zu einer Position, die er vor erwa 10 000 Jahren eingenommen hatte." " Das versunkene Atlantis", meinte Berg. Korthaus fragte: " Sehen Sie einen Zusammenhang zu den Höhlenfunden, die wir zur Stufe der Vorbuddhisten gerechnet hatten?" Berg antwortete:" Eher nicht,es könnte sein, dass die neuen Funde noch weiter zurück liegen. Was halten Sie von einer Rekonstruktion einiger Röhren bei uns zu Hause. Wir könnten ohne Zeit, - und Wetterprobleme damit experimentieren." Korthaus antwortete: " Ja, das würde uns einige Schwierigkeiten ersparen. Die neuen Fundorte liegen in der Höhe des Meerwasserspiegels, das heisst, die Röhren stehen meist unter Wasser." Als die Beiden bei der Fundstelle eingetroffen waren und die Röhren besichtigt hatten, wurden sie von einem der Geologen zu einer merkwürdigen Steinwand geführt. Etwa in Augenhöhe eines 1.80 m grossen Erwachsenen waren Bilderzeichen eingraviert, deren Entschlüsselung noch nicht gelungen war. Darunter waren entfernt ähnliche Zeichen in weniger geordneten Weise und oberflächlicher eingeritzt worden. Berg meinte:" Es sieht aus wie Kinderzeichnungen. Vielleicht haben sie gespielt als die obere Zeichenreihe gemacht wurde. Überraschenderweise bewegten sich die Zeichenreihen nach rechts folgend aufeinander zu und bildeten schliesslich einen chaotisch anmutenden Streifen gemischter Zeichen. Die dünn geritzten waren von den andern aber noch unterscheidbar. Die obere Zeichenreihe war nach unten gewandert, die untere geringfügig nach oben. Korthaus sagte: " Kommt das nicht ihrem Vorhaben entgegen, Zeichen in spielerischer Entstehung?" Berg bejahte. Nach einigen Stunden machten die Beiden eine Pause. Sie sassen an einem der Tische neben den Wohnzelten der Archäologen und ihren Helfern. Korthaus fragte: " Was verfolgen Sie mit dem Projekt in Afrika. Warum die Kinder ?" Berg antwortete: " Ich vermute einen Zusammenhang zwischen dem Hinausehen, der nach vorn gerichteten Aufmerksamkeit und der ästhetischen Produktion. Die Inder sehen hinaus in der Versenkung. Eine Aufmerksamkeit ohne den Blick zurück in die Geschichte,- obwohl immer die Geschichte des Körpers und des Gedächtnisses mitspielen muss. Ich denke, wir können diese Aufmerksamkeit in der freien Kreation finden. Wer anders als die Kinder sollte das leisten ?, die afrikanischen stehen dem vielleicht besonders nah. Sind sie nicht allem Unmittelbaren näher als wir?" Korthaus antwortete: " Das ist möglich. Ich habe einige Monate in einem kleinen Dorf in Ghana gelebt. Auch die Erwachsenen dort spielten gern. Die Männer waren von den Kindern kaum zu unterscheiden. Können Sie sich vorstellen wie die Fussball spielen ?" Berg meinte:" Halten sie Regeln nicht ein ?" Korthaus antwortete: " Das wäre das Mindeste. Sie spielen mit den Kleinen so als ob sie schon grosse wären. Manchmal hat das verheerende Folgen. Aber andererseits gibt es nirgendwo Kinder, die so früh alles wissen und vieles können. Ich meine, sie wissen wirklich alles. Das Beste wäre, wir laden das ganze Dorf zu ihrem Kunstexperiment ein." " Das ganze Dorf ?", fragte Berg. Korthaus antwortete: " Die Frauen werden wohl zusehen und lachen, ja sie werden natürlich lachen, wenn wirklich mit Stöcken in den Sand geritzt wird." Berg konnte nicht mehr still sitzen. Er war längst mit seinen Gedanken woanders. Da er durch die vielen Gespräche sich der Gleich- wertigkeit aller seiner Handlungen versichert hatte, hielt ihn nichts mehr in der Welt der Vergangenheit zurück. Er sprach zu Korthaus: " Was halten Sie davon mit unserer Wüstenfahrt zu beginnen ?" Korthaus meinte: " Gern, von mir aus sofort. Aber es gibt Einiges zu bedenken." Berg sah ihn erwartungsvoll an. Korthaus erläuterte: " Es gibt viele Begehrlichkeiten, die durch motorisierte Touristen geweckt werden können, besonders wenn man Sie erkennen würde. Mindestens müssen wir schmutzig sein und mit alten heruntergekommenen Motorrädern fahren. Geld sollten wir auch nicht mitnehmen, nur ein wenig Kleingeld." Berg lächelte: " Aber ja, es ist nicht unsere erste Reise durch wilde Gebiete, erinnern Sie sich ?" Korthaus sprach: " Ja, natürlich, Sie wissen das alles. Es geht mir immer so durch den Kopf. Bei jeder Unternehmung eine Checkliste." Da der Zeppelin für die Reise ins Innere Afrikas nicht geeignet war, wurde er von Berg nach Hamburg gesandt. Ein gecharterter Hubschrauber brachte die Beiden zur Elfenbein- küste, wo sie sich auf die Reise in den Niger vorbereiteten. Berg mietete in Abidjan ein Büro und liess dort seine Nach- richtenverbindungen aufbauen. Ein Überwachungsteam wurde dort eingerichtet, welches den Weg der Beiden mit Satelliten überwachen sollte um im Notfall den Beiden helfen zu können. Dazu wurde ein Hubschrauber bereitgehalten. Dann verschwanden die Beiden bildlich gesagt von der Bildfläche. Sie mieteten sich, ärmlich gekleidet, Abenteurern gleichend in einem Haus in einem armen Viertel in Abidjan ein, welches als Hotel geführt wurde, aber eher einer grösseren Hütte glich. Sie rasierten sich nicht, wechselten ihre abgewetzte grüne, ehemals militärische Bekleidung nicht mehr, kauften zwei alte französische Motorräder, und waren nach einigen Erprobungs- fahrten bereit zur Reise ins innere Afrikas. Als die Beiden abgefahren waren, kamen einige Jungens gelaufen und wollten mitfahren. Korthaus setzte einen auf das Gepäck, welches auf den Hintersitz geschnallt war. Als Berg, der voran fuhr, das sah, liess er ebenfalls einen Jungenn aufsitzen. Allerdings wollten noch weitere auf- steigen. Schliesslich fiel Korthaus mit dem Motorrad um, als einer von der Seite aufzuspringen versuchte. Als Berg sah das, hielt er an, stellte das Motorrad ab und half Kort- haus hoch. Die Jungs standen da, etwas schuldbewusst und warteten. Berg meinte zu Korthaus: " Am Besten wir fahren einzeln mit den Jungs eine Runde." Korthaus sah das genaus so. Er machte ihnen mit Händen und Füssen und einigen französischen Worten klar, dass jeder drankommt. Sie sollten sich aufstellen und der Reihe nach mitfahren. Etwa 1 Kilometer vor ihrem Standort war ein Schild aufgestellt. Bis dort und zurück sollte eine Runde gehen. Sie fuhren also los, jeder mit einem der 8-13 jährigen auf dem Beifahrersitz, oben auf dem Gepäck. Die Kinder lachten riefen, klatschten in die Hönde, so dass bald die Anwohner der Häuschen kamen und sich das Schauspiel ansahen. Und es kamen immer mehr Kindar hinzu. Eine der Mütter bewachte die Warte- schlange, die immer länger wurde. Berg und Korthaus sahen die Kinder. Als sie zum 4 Male wieder zwei andere aufluden, sagte Berg zu Korthaus: " Wie lange werden wir das durchhalten?" Korthaus antwortete: " Bis der Sprit verfahren ist." Berg meinte: " Wir müssen vorher weg sein, denn wenn wir zurück müssen zur Tanktelle und wieder hier vorbeifahren, ist das ganze Viertel hier versammelt. Dann kommen wir hier nicht mehr weg." " Wieviel sind es noch? " fragte Korthaus." " Bis jetzt,- ich denke 20 etwa", antwortete Berg. Korthaus schlug vor:" Lassen Sie uns noch zehnmal fahren, und dann unauffällig die Zündkerzen halb abziehen. Wir tun so, als ob wir etwas reparieren müssten, und wenn die Beifahrer weg sind, hauen wir ab." Sie fuhren also diese Runde bis zum Schild und zurück zu den wartenden Kindern, bis nach zehn weiteren Runden der vor- getäuschte Schaden an dem Wendepunkt beim Schild auftrat. Da hatten die beiden aber die Mentalität der Jungs falsch eingeschätzt. Als die Maschinen nach der Kurve am Schild streikten, lief einer der beiden Mitfahrer zum nächsten Haus und holte die Familie darin zu Hilfe. Korthaus rief Berg zu: " Jetzt los, so lange es noch geht." Berg steckte die Kerzen auf, während die ganze Familie des letzten Beifahrers von Berg heranlief. Die Beiden brausten los, hupten zum allgemeinen Vergnügen noch mehrmals, winkten und verschwanden im Staub der Landstrasse. Als Berg und Korthaus eine Stunde durch die Kakaoplantagen gefahren, machten sie eine Pause. Sie tranken etwas. Korthaus sprach: " Werden wir wohl in Niger anlangen ?" Berg lachte: " Diese Frage wollte ich Ihnen auch stellen. Irgendwann ja, denke ich". Eine kleine staubige Wolke am Horizont, aus der Richtung ihres Abfahrtortes kommend, näherte sich ihnen. Es war ein uralter Lastwagen. Als der Wagen bei den Beiden an- gekommen war, stieg ein schwarzer Mann aus mit weissem Haar, und gleich hinter ihm ein Junge von etwa sechs Jahren. Er sah unglücklich aus. Einige Tränen hatten ihre Spuren im staubigen Gesicht hinterlassen. Er sah zu Boden. Der Mann, vielleicht der Grossvater des Jungen, sagte zu den Beiden: " Er ist unglücklich", und zeigte auf den Jungen:" alle Brüder sind mit Ihnen gefahren, nur er nicht. Er kam zu spät." Der Alte zögerte und sagte dann: " Ich auch nicht." Berg machte eine einladende Handbewegung und liess den Mann auf dem Gepäck aufsteigen. Korthaus nahm den Jungen und setzte ihn auf seinen Hintersitz. Als sie gerade losgefahren waren, zeigte der Alte aufgeregt nach hinten in Richtung seines Dorfs. Berg hielt an. Der Mann sagte": Bitte zurück, seine Brüder müssen ihn sehen. Sie glauben ihm nicht, dass er mit Ihnen gefahren ist." Korthaus hielt neben Berg. Dieser sagte zu Korthaus:" Wir müssen zurück, der junge Mann muss von seinen Brüdern gesehen werden." " Wollen Sie zurück?" Berg stellte die Gegenfrage: " Wollen Sie zurück?" Korthaus erwiderte: " Wir können den kleinen Mann doch nicht unglücklich machen !" Damit wendete er in Richtung des Dorfs, Berg machte es auch, und die vier fuhren also den holprigen Weg zurück. Die Dorf- bewohner standen alle, wirklich alle an der Strasse. Korthaus rief Berg zu:" Das wird eine Katastrophe !" Berg hatte ihn nicht verstanden, er rief: " Was ist ?" Korthaus hielt an, Berg daneben. Die Beifahrer stiegen ab und wurden wie Volkshelden gefeiert. Berg und Korthaus mussten lachen, obschon nun ein neues ernstes Problem auftrat. Sie mussten in die Stadt zum Tanken zurück. Zunächst wurden sie zum Essen eingeladen. Das Hirsegericht schmeckte vorzüglich, die ganze Familie, und das halbe Dorf sass an einem langen provisorischen Tisch. Schliesslich sagte Berg zu Korthaus: " Am Besten wir fahren bald los und sehen zu dass wir das Dorf Cornese noch vor der Nacht erreichen. Wir probieren unseren Notfallplan eimal aus und lassen uns mit dem Hub- schrauber Sprit bringen." Korthaus meinte: " Ich glaube auch, das ist das Beste. Wenn wir wirklich in die Stadt zurückfahren, müssen wir hier wieder vorbei und kommen nicht weg. " Der Alte, der den Lastwagen gefahren hatte, wollte zu Fuss zu seinem Wagen zurück, das waren etwa fünf bis sechs Stunden Marsch durch die endlosen Plantagen. Berg sagte zu ihm : "Kommen Sie mit uns, wir müssen sowieso dorthin." Der kleine Junge, der mit dem Lastwagen gekommen war, wollte auch wieder mitfahren. Diesmal liess der Alte das nicht zu. Er dachte vielleicht daran, dass die anderen Kinder dann eben- falls wieder Motorradfahren wollten. Berg und Korthaus waren erleichtert, dass sie ohne erneutes Rundenfahren loskamen. Es wurde Zeit. Unter den Kindern wurde gerade darüber gesprochen, wer aus dem Dorf noch nicht gefahren war. Berg und Korthaus gelang es gerade noch rechtzeitig mt dem alten Lastwagenfahrer abzufahren, bevor die Kinder sich an den Motorrädern versammelten um mitgenommen zu werden. Nach knapp einer Stunde langten die Motorradfahrer bei dem Last wagen an, verabschiedeten sich von dem alten Afrikaner und fuhren in Richtung Cornese ab. Die Geröllstrasse liess sie nicht zügig voran kommen. Als die Dämmerung begann, waren sie noch achtzig Kilometer von Cornese entfernt. Sie hielten an, Berg telefonierte mit dem Überwachungsteam. Ein Hubschrauber sollte Sprit heran bringen. Als die Nacht anbrach uund die sternenklare Himmelswölbung die Landschaft zu einem Kunstwerk verwandelte, kam der Hubschrauber heran- geflogen und brachte Benzin. Bald darauf flog er wieder weg. Die Beiden packten ihre Schlafsäcke aus, und wenig später schliefen sie ein. Die Tiere des Waldes und der Savanne begaben sich in der Nacht auf Futtersuche. Erfreut über die Abwechslung durchwühlten Siedie Gepäktaschen der beiden Motorrad- fahrer und versuchten von den Gliedmassen zu fressen. Mit einem Fluch schreckte Korthaus hoch. Berg wurde ebenfalls sogleich wach. Er holte einen kleinen Kocher aus dem Gepäck und zündete ihn an. Die Flamme vertrieb tatsächlich das Kleingetier. Nach einer Weile fielen die zwei in einen Halbschlaf. Mit Beginn der Dämmerung wurden sie wach. Es war sehr kalt geworden. Sie rappelten sich hoch und liefen auf der Stelle. Korthaus kochte Kaffe, Berg machte eine Büchsen- suppe warm. Dann packten sie ihre Sachen zusammen und fuhren nach Norden. Die Waldzone wurde durch Savanne unterbrochen. Bald brannte die Sonne auf die Köpfe der Beiden. Die Hüte verhinderten einiges, aber die Nasen röteten sich. Berg hatte kleine Papphütchen für die Nasen eingepackt, die sie sich aufsetzten. Als sie etwa 90 Minuten gefahren waren und gerade eine Pause einlegen wollten, kam ihnen ein Karren entgegen, der von einem Esel gezogen wurde. Sie hielten an, boten dem Mann auf dem Karren ein Stück Brot an. Dieser gab ihnen eine Frucht. Berg fragte nach der nächsten Siedlung. Es gab in etwa 80 Kilometern Entfernung eine kleine Siedlung und einen Krämerladen sowie 3 Palmen, 4 Büsche und drei Hütten. Hocherfreut setzten sie sich wieder auf die Motorräder und fuhren los. Der Mann auf dem Karren fuhr in die Richtung der Stadt Abidjan weiter. Einer der Männer des Überwachungsteams in Abidjan sah über die Satellitenbilder die Veränderungen im Sand, die von den Motorrädern durch das Rundenfahren mit den Kindern entstanden waren. Am Wendepunkt bei dem Schild am Dorfausgang waren die Fahrrinnen tief eingegraben. Er sagte deshalb zu seiner Kollegin:" Haben Sie das gesehen ?" Sie guckte auf den Bild- schirm und nickte. Er sprach weiter:" Sollen wir das alles speichern und später den Beiden zeigen ?" Sie meinte: " Ja, gute Idee, vielleicht wird es noch gebraucht." Er sagte: " Ich mache auch Aufnahmem von den älteren Fahrspuren, sieht interessant aus." Ein Rinderkarren, der von Norden kam und nach Abidjan wollte, war im Sand stecken geblieben. Zwei junge Afrikaner bemühten sich vergeblich ihn rauszuziehen. Berg und Korthaus hielten an, legten die Maschinen ab und fragten, ob sie helfen könnten. Die beiden Männer freuten sich, und bald zogen alle vier an der Deichsel. Es klappte nicht. Korthaus schlug vor mit den Motorrädern zu ziehen. Sie hatten aber kein Seil. Einer der Männer hatte die Idee sich rückwärts auf den Bei- fahrersitz einer Maschine zu setzen und die Deisel mit den Händen zu halten. Der Versuch endete damit, dass der junge Mann vom Sitz heruntergezogen wurde als Korthaus die Maschine anfuhr. Er sass dann mit der Deichsel im Sand. Grosses Gelächter der beiden Afrikaner. Nun setzen sich drei auf den Motorradsitz. Vorn Korthaus, dann der eine und dann der zweite. Dieser hielt die Deichsel, der mittlere hielt den hinteren. Korthaus band mit dem Gürtel den Kordelgürtel des mittleren an seinem fest. Dann fuhr er an. Das Hinterrad drehte durch. Berg versuchte mit Sträuchern das Rad fest- zusetzen. Schliesslich ging es, der Karren kam wieder frei. Die beiden jungen Männer sprangen vor Begeisterung herum. Einer von ihnen holte eine kleine Trommel und trommelte las. Der andere sang dazu. Sie holten eine Flasche und ein uraltes Handy vom Karren. Berg nahm das Fladenbrot und bot es den Beiden an. Diese liessen ihre Flasche rund gehen. Sie enthielt einen starken Schnaps von undefinierbarer Herkunft. Als die Beiden die Marsellaise sangen, machten Berg und Korthaus mit. Je leerer die Flasche wurde, umso munterer die jungen Männer. Berg und Korthaus allerdings wurden allmählich müde. Glücklicherweise ging die Sonne unter, sodass sie ohne Gefahr einen Sonnen- brand zu bekommen schlafen konnten. Sie merkten nicht, dass die beiden Männer bei Eintritt der Dämmerung mit ihrem Karren davonfuhren. Mitten in der Nacht wurde Berg wach. Kurz darauf auch Korthaus. Da der Mond kurz vor Vollmond stand, war es hell genug um Kaffee zu kochen. Berg meinte: " Wir kommen ja sehr langsam voran, aber was solls." Korthaus meinte:" Zwischendurch vergesse ich den Grund unserer Reise. Es ist ja recht viel, was hier passiert." Berg meinte: " Ja in der Tat, ich kann mich daran gewöhnen." Bald darauf schüttete Berg den Kaffe auf, setzte sich zu Korthaus ins Gras und sprach: " Wissen Sie, mein Büro könnte ich ganz gut missen." Korthaus meinte:" Aussteigen ?" Berg erwiderte: " Das sind wir ja schon seit ewigen Zeiten, aber ich denke manchmal an die alten Eskimos, die in die Schneewüste hinaus gehen und nicht wiederkommen." Korthaus meinte: " Ja, ich denke auch daran, aber wir haben Aufgaben." Berg antwortete: " Das ist es, wir brauchen Nachfolger. Bis es so weit ist, müssen wir weiter machen." Korthaus hatte seine ironische Ader drauf und sagte:" Wie Heine mal sagte: sie wollen noch ein bisschen weiter leben, ein bisschen heisst hier ewig." Berg holte Kompass, Karte und Taschenlampe und sprach zu Korthaus:" Sehen Sie, hier soll ein Pfad sein, aber sehen Sie den hier draussen ?". Korthaus sah sich um, es war nirgend ein Weg zu erkennen. Er schlug vor: " Ich sehe nichts, wollen wir warten bis es hell wird ?" Berg meinte: " Oder nach dem Kompass fahren ? Die Temperaturen sind jetzt angenehmer als am Tag." Korthaus stimmte dem letzten Vorschlag zu. Sie suchten einen markanten Punkt in der Land- schaft. Ein auffälliger Felsbrocken lag in ihrer Fahrt- richtung. Bevor sie losfuhren, fragte Korthaus: " Wissen Sie, was das für ein Getränk war ?" Berg antwortete: " Nein, ich denke ein Obstschnaps." Korthaus nickte. Sie fuhren los. Im Mondlicht blinkte etwas. Korthaus hielt an. Es war die Flasche Schnaps der beiden Afrikaner. Sie war noch zu einem Drittel gefüllt, vielleicht ein Abschiedsgetränk. Berg hatte noch nicht bemerkt, dass Korthaus fehlte. Dieser wollte gerade die Flasche öffnen. als er sah, wie der Abstand zu Berg immer grösser wurde. Er steckte die Flasche in seine Jackentasche und fuhr Berg hinterher. Berg hatte sich umgedreht und wartete auf Korthaus. Als dieser angekommen war, holte er die Flasche aus seiner Jacke, öffnete sie und setzte sie an. Berg war erstaunt. Als ihm Korthaus aber die Flasche hinhielt, setzte er sie ebenfalls an und trank. Das verblüffte Korthaus ebenfalls. Berg gab die Flasche zurück und sagte:" Wir müssen das Rezept erfahren." Korthaus meinte:" Jas, das müssen wir unbedingt." Am Horizont war die kleine Siedlung zu sehen. Berg meinte:" Wir trinken am Besten hier noch etwas." Korthaus fragte:" Was ist los ?" Berg antwortete:" Es schmeckt vorzüglich." Die Beiden waren rasch beschwipst, da der Alkohol von vorher noch im Blut war. In einem klaren Moment nahm Korthaus die Flasche an sich, sah, dass noch ein Schluck drin war und sprach: " Stop, wir brauchen den Rest, wie sollen wir jemals die Zusammensetzung erfahren." Berg stimmte zu und sagte: " Sie sage es, der Hubhibschrauber soll sie in Sicherheit bringen." Er konnte nicht mehr völlig klar sprechen. Die Beiden taten etwas Vernünftiges, legten die Motor- räder ab und setzten sich, an sie angelehnt, in den Sand. So dämmerten sie vor sich hin, während es draußen eben- falls dämmerte. Als gegen 10 Uhr die Sonne heiss brannte, standen sie auf und kamen mit Mühen wieder zum Fahren. Als sie die kleine Siedlung vor sich sahen, kamen die Bewohner alle auf sie zugelaufen. Beide Fahrer dachten, es wäre ein Narrenspiel von Sonne und Alkohol, das ihnen diesen Empfang vorgaukelte. Vollends glaubten sie an Halluzinationen, als der erste von den Ankommenden ihnen eine Flasche eben jenen Schnapses zur Begrüßung übergab, den sie gerade getrunken hatten. "Es ist passiert !", rief Korthaus erschrocken. Berg war wesentlich nüchterner als Korthaus. Er hielt die Maschine an und rief zu Korthaus:" Es ist alles echt, nur keine Sorge." Korthaus hielt an, legte die Maschine ab und ging mit dem ersten Bewohner und Berg den anderen entgegen. Es wohnten etwa 20 Leute in der winzigen Siedlung. Der Älteste erklärte ihnen, wieso ihre Ankunft bereits erwartet worden war. Die jungen Männer, deren Karren sie aus dem Sand gezogen hatten, telefonierten mit ihrem alten Handy zur Siedlung. Der Älteste besass auch eins. Die Vorliebe der Beiden für den Fruchtschnaps war ebenfalls per Handy mitgeteilt worden. Es gab einen Schuppen, den der Älteste stolz öffnete. Darin war eine Destillieranlange aufgebaut, die zwar provisorisch und dennoch funktionsfähig war. Die Früchte, die dort vergoren und destilliert wurden waren Kiewis, Feigen und Kokosnüsse. Korthaus fragte den Alten, wieviel Anteile von den einzelnen Sorten genommen würden. Der Alte machte eine Handbewegung und sagte:" Wie's kommt, mal mal so. " Einer der Wenigen, die nicht den beiden Fahrern entgegen gegangen waren, sass vor einer Hütte und war eingenickt. Der Alte stellte ihn vor: "Das ist Bibo, er heisst natürlich anders. Er nennt uns Bimbos, wenn er voll ist. Deshalb nennen wir ihn Bibo. Der Gemeinte hob den Kopf. Ein verwittertes, versoffenes Gesicht blickte nach oben. "Hallo", sagte er, "kommt ihr aus meinem schönen France ?" Berg antwortete:" Aus der Südsee." Der Sitzende liess den Kopf nach vorn fallen und nickte wieder ein. Korthaus fragte: " Ist er immer so ?" Der Alte antwortete: " So klar wie heute ist er nicht immer." Berg holte aus seinwm Gepäck zwei Klappmesser und schenkte sie dem Alten. Dieser lud die zwei zum Essen ein. Es gab Bananenbrot und Schnaps. Bald sassen jung und alt am Boden beieinander. Die Sonne stieg hoch, der Schnaps schmeckte und die Beiden Motorradfahrer wurden heiterer, ganz so wie die übrigen Bewohner auch. Die Kinder sprangen und balgten sich. Einige Männer sangen, ein anderer trommelte, zwei junge Frauen tanzten und priesen ihre Formen an. Berg wollte allerdings nicht noch mehr Zeit im alkoholisierten Zustand verbringen. Er sagte zu Korthaus: " Ich will hier weg." Korthaus meinte: " Aber gern", erhob sich und fiel um. Also blieben die Beiden, erzählten, lachten und schliefen irgendwann ein, so wie sie sassen. Das war nicht ungewöhnlich an diesem Platz. Es gab noch einige andere Männer, die im Sitzen eingeschlafen waren. Spät in der Nacht wurde Berg wach. Er weckte Korthaus: " Kommen Sie !, wenn wir nicht losfahren, kommen wir nicht hier weg. Morgen früh gibt es Frühstück, und es wäre unhöflich, dann abzufahren. Dann gibt es Schnaps..." Korthaus fuhr fort:" Dann sind wir blau... also los, von mir aus." Sie liessen die Maschinen an und fuhren, ohne sich umzudrehen los. Sie fuhren Richtung Norden zur Grenze von Bukina Faso. Nach zwei Stunden machten sie eine Pause. Berg bestellte den Hubschrauber an einen Punkt,der 50 km weiter nördlich lag. Dann sprach er zu Berg: " Mit Verstand getrunken, ist es leicht weise zu sein." Dabei grinste er. Berg antwortete:" Das sagten die Alt- vorderen schon, es will gelernt sein das Saufen. Es waren auch viele der grossen Künstler recht professionelle Trinker. Aber das ist auch schon fast Nostalgie. Heute hilft man nach mit Pillen, Koks usw." Ebenfalls ironisch meinte Korthaus: " Die grossen Talente sterben aus." Dann assen sie Brot und Käse, es waren die letzten ihrer Vorräte. Berg wurde ernst: " Wir bekommen die Baugenehmigungen nicht. Müller wollte uns anrufen, wenn die Regierung in Niger zustimmt." " Was ist da los ?" fragte Korthaus. Berg meinte: " Ich habe Vermutungen. Die an Niger grenzenden Staaten werden sich benachteiligt fühlen und die Bauinvestitionen auf die Verteilung der Entwicklungshilfe anrechnen." Korthaus ergänzte:" Also werden sie das, was in die Bauten reingesteckt wird der Regierung abziehen wollen." "Ja", sagte Berg:" und die wird nicht mitmachen.... "Berg stockte und sagte: " Ich habs, ich weiss, wie wir die Kürzungen verhindern." Er sah Korthaus an. Korthaus sah, dass er wieder etwas Verrücktes plante. "Und was?", fragte er Berg. Der erklärte: " Wir bauen am Rand der Oase Nur-bey eine grosse Sandburg. Sie wird anonym gestiftet." Eine Sandburg ?",fragte"Korthaus. Berg fuhr fort: " Ja, ein Bau, der mit viel Sand und sehr wenig Zement gebaut wird. Natürlich wird er nie bezogen. Wir fahren dahin, fahren in an und er fällt zusammen, und wir müssen ihn ersetzen, Schadensersatz." " Sehr gut," meinte Korthaus. Berg sprach weiter:" Wir klagen gegen die Zahlung in der Hauptstadt, wir verlieren und bieten als Vergleich unsere Projektbauten an. Nebenbei noch etwas Schmerzensgeld für den Innenminister, für Infrastrukturauflagen usw." "Perfekt", meinte Korthaus. Der Hubschrauber stand am vorgesehenen Treffpunkt in der Mittagsonne. Berg und Korthaus besprachen mit Müller ihren Plan. Die Maschinen wurden aufgetankt. Die Grenze von Bukina Faso wollten sie nach zwei Tagen erreichen. Die Motorräder hatten zwei Zusatztanks, die ebenfalls gefüllt wurden. Beide Maschinen waren schwer beladen. Der Wetter- bericht war ungünstig. Es sollten Wirbelwinde aufkommen. An der Grenzstation, die sie sich als Etappenziel vorgenommen hatten, war eine Tankstelle. Wenn alles gut ging würden sie erst in zwei Tagen wieder den Hubschrauber rufen müssen. Als sie gegessen hatten und alles weitere geklärt war, flog der Hubschrauber wieder fort. Die Beiden bestiegen die Maschinen und fuhren los. Sie kamen bis zum Abend 200 km voran. Dann aber blieb Korthaus stecken. Berg zog ihn raus. Wenig später war es passiert, beide Maschinen staken im Sand fest. Korthaus meinte: " Wir sind zu schwer, wir kommen nicht mehr voran." Berg holte eine Karte aus dem Gepäck und sah, dass über die nächsten 40 bis fünfzig Kilometer diese extrem weiche sandige Ebene reichte. Deshalb schlug Berg vor: " Wir sollten uns vom Benzin in den Zusatztanks und von einigen Litern Wasser trennen." Korthaus war der gleichen Ansicht. Aber das Ablassen des Benzins musste vor dem Frei- schaufeln der Motorräder erfolgen. Es bestand die Gefahr, dass es in Brand geriet und sie mitten drin steckten. Berg wollte eine lange Rinne ziehen und das Benzin kontrolliert verbrennen. Die Beiden zogen eine fast 100 Meter lange Rinne zur nächsttieferen Mulde hin. Es wurde darüber Nacht. Dann liessen sie das Benzin ablaufen. Das Freischaufeln der Maschinen war mühseelig. Dann waren sie wieder frei.Berg zündete das Benzin an. Die Flamme raste zur Mulde und ent- zündete das dort teils eingesickerte Benzin. Es gab ein seltsames Schauspiel. Die Feuerwand explodierte, Sand flog in Fontänen hoch. Die Beiden fuhren so schnell es ging nach Norden. Als die Beiden etwa 2 Stunden gefahren waren, machten sie eine Rast. Sie kochten Kaffee und assen Brot. Die Dämmerung kündete sich mit einem roten Streifen im Osten an. Korthaus fragte:" Gefällt Ihnen dieses Leben ?" Berg antwortete: " Ja, es ist etwas ganz anderes, als das was bisher passierte." " Welche Konsequenzen hat es für ihre Philosophie ?" Berg antwortete:" Nun, man kann in den Spiegel sehen und sich selbst erkennen. Ist es nicht so, dass man sich selbst erkennen will ?" Korthaus erwiderte: " Ja, das steckt dahinter. Man muß alles erfahren um sich selbst zu erkennen. Und doch ist es ein Erkennen, das nichts mit dem Erkennen von Objekten zu tun hat. Es gibt keine logischen Schlüsse." Berg stimmte zu: " Ja, es ist schon eigenartig. Man empfindet etwas, eine Landschaft einen Weg, lässt sich darauf ein, vergisst sich, und dann tritt man wieder ein in sein altes Leben voll von Erinnerungen, Selbstbildern und Gewohnheiten und ist ein Anderer geworden." Korthaus meinte: " Mm.. - für mich relativieren sich die Ziele. Ich könnte durchaus noch eine Weile darauf verzichten in Niger anzukommen - oder überhaupt irgendwo anzukommen." Sie sahen zum Horizont hinaus und schwiegen. Eine geraume Zeit später meinte Korthaus zu Berg: " Das war doch ein nostalgischer Rückfall ?" "Was meinen Sie ?", fragte Berg. Korthaus antwortete: " Die Idee mit den alten Eskimos. Sie gehen ins Eis um dort zu sterben. Sie gehen doch nur um den Jüngeren nichts mehr weg zu essen." " Was gefällt Ihnen daran nicht ?", fragte Berg mit einem Grinsen, sodass Korthaus wusste, dass Berg eine Auseinander- setzung provozierte. Korthaus erläuterte: " Erinnern Sie sich an unsere Gespräche über die Zeit ? Es gibt keinen bevorzugten Augenblick. Das heisst doch, man lebt in jeder Zeitstrecke seines Lebens gleich. Sie könnten genauso gut 12 Jahre alt sein statt 98 oder 102. Wenn Sie das Abschiednehmen projezieren, vergessen Sie den Augenblick, das Hier. Und man weiss nicht einmal ob diese Projektion überhaupt eine Realität hat und mehr als Einbildung ist." " Und die Testamente ?", fragte Berg ironisch. Korthaus meinte: " Die erhalten ihr Gewicht, weil sie viel zu spät gemacht werden. Bei einem Zwanzgjährigen kämen gar keine Abschieds- gefühle auf." "Sie wollen also 20 sein ?", fragte Berg. Korthaus antwortete: " Oder 8 oder 40, wie Sie wollen. Sehen Sie, würde diese Wüste irgendwie anders sein, wenn Sie wirkich 20 wären ?." " Sie haben recht, ich habs längst vestanden. Aber als Opponent komme ich doch noch zurecht, oder ?" Korthaus stimmte zu:" Ja, bestimmt. Und es bleibt ja nicht aus, dass man sich wiederholt." Berg meinte: " Dann gibt es doch einen Unterschied, ob man 20 oder 102 ist ?", - mm, die Wiederholungen sind es." Korthaus meinte: " Sie wissen aber auch, dass jede Neurose aus Wiederholungen besteht. Was hindert uns am Vergessen ? Das gesammte Generationenspiel ist doch eine Übung im Vergessen." Berg nickte und sah gedankenverloren zu den nächsten Hügeln hin. Nach einer Weile sprach Berg: " Was halten Sie von einer 5. Grundkraft?." Korthaus fragte zurück:" Wird eine gebraucht?" Berg antwortete: " Ja, es gibt die Hypothese einer dunklen Materie. Ich sehe aber ein noch grösseres Problem, als die fehlende Materie im Universum, welches eine neue Kraft erfordert. Erinnern Sie sich an die Stromtheorie?" Korthaus antwortete: " Ja, sie vermittelt zwischen Subjekt und Objekt und beschreibt den Produktionsstrom als Wirklichkeit. Es gibt demnach keine Identität sondern immer etwas neues, das für Bekanntes gehalten wird. Und damit nicht alles völlig in alle Richtungen verpufft, dass überhaupt etwas Festes möglich ist, verlangt die Theorie mach mindestens einer Richtung, die man Strom nennen kann." Berg ergänzte das Gesagte: " Der Strom verhält sich aber als Strahlung. Deshalb muss die Richtung ebenfalls produktiv erhalten werden. Aber das sagt sich so. Doch wie wird es geleistet ? Wir bilden Querver- bindungen. Aber wie sehen sie aus ?" " Und dafür die 5. Grundkraft", fragte Korthaus ?" Berg er- läuterte: "Sie wäre der Schwerkraft ähnlich, eine Art negative Strahlung, eine Dichtetendenz wie die Schwerkraft." Als sie wieder losgefahren waren, kamen sie zu einem grossen Tal. Es war der Form nach ein Urstromtal, welches sich bis zum Horizont erstreckte. Nun sahen sie, dass sie bis hierher auf einer Hochebene gefahren waren. Einige Kilometer nördlich floss mitten durch dieses Tal ein kleiner Fluss, der von einem grünen Uferband eingefasst war. Gleich daneben begannen Maisfelder. Viele Vögel schwärmten über ihnen. Die Beiden suchten eine Möglichkeit zur Abfahrt. Zunächst war überall nur der steile Abfall ins Tal zu sehen. Berg meinte zu Korthaus: " Wir müssen eine Stelle suchen, in der es nicht so steil ins Tal geht wie an den Felsabhängen." Sie fuhren deshalbetwas zurück und suchten nach einer geeigneten Stelle. Als sie 20 Kilometer gefahren waren, sahen sie vor sich ein weiteres Urstromtal, welches zu dem ersten hin führte. Dessen Abhang war nicht steil sondern eine schwach geneigte von Wiesen und Gestrüpp bewachsene Fläche. Sie sahen Reiter und Wagen in der Ferne, die ebenfalls nach Norden zogen.Korthaus riet zur Vorsicht. Berg meinte, sie könnten im Ernstfall eines Konflikts einfach davon fahren, weil ihre Maschinen nicht von Pferden eingeholt werden könnten. Als sie dem Treck näher gekommen waren, wurde auf sie geschossen. So sah es jedenfalls aus. Berg und Korthaus rissen ihre Motorräder herum und fuhren in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Tatsächlich waren sie bald ausser Sichtweite. Sie hielten an. Berg fragte: " Wie wollen wir vorgehen ? Wir müssen an der Karawane vorbei. Es ist die einzige Stelle, die eine Abfahrt ins Tal ermöglicht." Korthaus meinte: " Was halten Sie von einer nächtlichen Überraschung.? Der Mond geht gegen 2 Uhr unter. Wenn wir an den Leuten vorbei- fahren, können sie uns nicht einholen, wir sind zu schnell." Berg meinte:" Vorausgesetzt, die Böden sind im Tal nicht zu lehmig." Korthaus stimmte zu und schlug vor: " Erinnern Sie sich an den Abwurf der Knallfrösche in Äthiopien ?" Berg antwortete: " Ja, also müssten wir über Abidjan etwas organisieren." Er nahm das Handy und versuchte Abidjan zu erreichen. Es gab aber keine Verbindung. Auch die nächsten Telefonierversuche gelangen nicht. Die Beiden waren ratlos. Schliesslich meinte Berg:" Was halten Sie von einem Versuch ohne Unterstützung?" Korthaus antwortete: " Es wird wohl nicht anders gehen." Berg breitete die Karte aus, auf der zu sehen war, dass im gegenüber liegenden Teil des Urstromtals eine Geröllebene begann, die leicht anstieg. Er zeigte Korthaus den mutmass- lichen Pfad, der zum Norden Richtung Grenze führte. Sie beschlossen, bis zur Nacht noch einige Vorbereitungen zu treffen und legten ihre Route fest. Abwechselnd schliefen sie noch etwas unter ihrer Plane, die einen dürftigen Schatten bot, während immer einer der Beiden wachte. Als der Mond nahe am Horizont stand und die Dunkelheit in den Mulden schon fast perfekt war, bestiegen die Beiden ihre Motorräder und fuhren los. Etwa eine Stunde bevor die Beiden ihren Angriff zur Flucht nach Norden begannen, war Müller vom Überwachungsteam in Abidjan zu dem Entschluss gekommen, den Beiden aus der Luft zu Hilfe zu eilen. Sie hatten das Feuer gesehen, welches Berg und Korthaus gezündet hatten und auch die Schiesserei gesehen, die dazu geführt hatte, dass die Beiden wieder nach Süden zurück weichen mussten. Es war vor der Fahrt abgesprochen worden, im Gefahrenfall dieser Art mit Leucht- und Knall- munition einen Luftangriff zu fliegen, der mit dem Schock- moment den Beiden Luft verschaffen sollte. Unterdessen hatten Berg und Korthaus sich auf einem Gürtel am Tank einige Leucht- granaten bereit gelegt, die sie nun während ihres Angriffs abwerfen wollten. Die Motoren heulten auf, die ersten Leucht- kugeln flogen, und die Beiden fuhren direkt auf die Karawane zu. Die Leute dort wurden wach und stieben hektisch auseinander. Kein Schuss fiel, aber der Hubschrauber traf nun ebenfalls ein und warf Knallbomben und Leuchtkugeln. Die Ebene wurde von Lichtblitzen erhellt und von Donnerschlägen erschüttert. Berg und Korthaus sahen die Unterstützung aus der Luft, sahen aber nicht, dass einige der in Deckung gerannten Leute weisse und französische Fahnen schwenkten. Müller und seine Besatzung sahen die Fahnen wohl. und machten Anstalten bei den Leuten zu landen. Berg und Korthaus, die das nicht erkannten, fuhren mit Vollgas durch das Karawanenlager und verschwanden in Richtung Norden. Müller landete kurz darauf, verliess den Hubschrauber und sprach mit den Leuten. Sie hatten nicht auf Berg und Korthaus geschossen , sondern Begrüssungsschüsse in die Luft gefeuert, nicht unüblich für die Savannenbewohner. Das konnten die Beiden aber nicht wissen. Als sie den Geröllhang auf der anderen Seite des Urstromtals hochgefahren waren, hielten sie an und drehten sich um. Zu ihrer grossen Überraschung sahen sie den gelandeten Hub- schrauber und daneben die Manschaft mit den Karawanenleuten in einem offenbar vertraulichen Palaver. Berg nahm das Handy, rief Müller an, erreichte ihn auch und fragte, was los ist. Der antwortete: " Kommen Sie zu uns, das sind alles Bewunderer von Ihnen." Berg verstand gar nichts. Er rief zu Korthaus: " Kommen Sie mit !" und fuhr den Geröllhang wieder hinab, auf den Hubschrauber und die Leute zu. Die Afrikaner klatschten als die Beiden heran kamen. Da es langsam dämmerte, wurde ein grosses Frühstück vorbereitet. Müller hatte im Hubschrauber Vorräte und Benzin mitgebracht. Bald war eine provisorische Tafel aufgebaut. Ein Grill wurde angemacht und Schnaps ausgeschenkt von jener gefährlichen Sorte, die zumindest zeitweise die Reisepläne der Beiden Fahrer irritierte. Als sie alle beisammen sasssen, teils auf Matten, teils im Sand, Fladenbrot mit Hirse assen und den Kokosfrucht-Schnaps dazu tranken, meinte Korthaus zu Berg: " Wollen wir gleich den heutigen Tag gleich als Urlaub ein- planen oder erst nur wenig von dem guten Schnaps naschen, um zuletzt doch hier zu bleiben und am Abend erst zu trinken ?" "Sie haben recht, besser jetzt als später, und vielleicht ist er ja am Abend weg." Das war ein wichtiges Argument, denn nur halb beschwipst zu sein und nicht mehr fahren zu können, das war von beidem nichts, nicht Reise nicht Rausch und zu nichts nütze. Es wurde in Verbindung mit der Hitze eine kurze Feierei für die beiden. Sie schliefen einfach irgendwann inmitten des Palavers ein. Müller klappte zwei Sonnenschirme auf und ver- hinderte damit Schlimmeres. Zum Abendessen wurden die Beiden wach. Sie waren verkatert. Der Grund war vielleicht auch in einer Zutat des Schnapses zu finden. die sie zum ersten Mal getrunken hatten. Berg fragte Müller, und der fragte den Ältesten der Karawanen- fahrer. Es waren in dem Gebräu Schalen von Heuschrecken vergoren worden, die ein bestimmtes bitteres Aroma ver- mittelten. Ob es aber der Grund war ist unklar, denn die Hitze, in der die Beiden geschlafen hatten, war als Grund des heftigen Katers ebenso möglich. Nach dem Essen spielten Trommeln und Flöten zum Tanz. Korthaus meinte:" Der Tanz treibt die bösen Geister aus, sagen die Einheimischen, also wird er auch den Kater ver- treiben." Berg antwortete: " Das wäre zu wünschen. Vielleicht können wir noch in der Nacht weiter fahren." Korthaus ging zu den andern und tanzte mit. Berg untersuchte den Zustand der Motorräder, tankte und lud Lebensmittel auf. Trotz des unvermeidlichen Katers fuhren Berg und Korthaus am späten Abend los. Weit im Norden, in Lune Bire, einem winzigen Dorf in einer winzigen Oase des mittleren Niger waren die ersten Bautrupps eingetroffen, die Müller im Auftrag Bergs bestellt hatte, um ein rundes Gebäude zu bauen, in dem die Sandspiele der Kinder stattfinden sollten. Die drei Dorfchefs und zugleich Dorfältesten hatten aber bereits Pläne für das Gebäude. Es sollten dort Mäuserennen stattfinden, die ersten Meisterschaften des Dorfs und später sogar nationale Meister- schaften. Die Vorliebe Bergs und Korthaus für den Kokos- schnaps hatte sich dank der überall verbreiteten Handys längst herumgesprochen. Deshalb hatten die Dorfbewohner begonnen, Schnaps zu brauen und zu sammeln, hatten die Nach- bardörfer mit in diese Produktion eingespannt und hofften, dass die beiden Bauherren zugunsten der Mäuserennen das neue Gebäude freigeben würden. Der Schnaps war als Motivitationshilfe gedacht. Berg und Korthaus fuhren zügig durch die Felder und Geröll- ebenen Norden. Sie kamen an der Grenze zu Burkina Faso an, fanden dort auch eine Tankstelle, die aber ohne einen Tropfen Benzin war. Die Handvoll Bewohner des Postens hatten aber in Kenntnis der Ankunft der beiden Alten, die sie wegen ihres hohen Alters und ihrer Rüstigkeit sehr verehrten, bereits vor gesorgt. Zwei mit je zwei Rindern bespannte Wagen waren extra zu dem Zweck besorgt worden, die Motorräder weiter zu transportieren, wenn sie wegen Benzinmangels nicht mehr weiter fahren konnten. Zwei junge Männer waren als Kutscher bereit, die Wagen zu fahren. Berg und Korthaus wurden begrüßt, die Rinderkarren wurden vorgestellt und die Motorräder verladen. Nun war aber kein Sitzplatz auf den Wagen mehr frei. Berg und Korthaus hatten die Wahl zu Fuß zu gehen oder sich auf die, auf den Wagen hoch aufgeschnallten Motorräder zu setzen. Letzteres taten sie. Wie Denkmäler thronten sie oben auf den Wagen und Motorrädern, zunächst zur Probe, wagten aber nicht das Gesicht zu verziehen, denn jedwedes Nicht-ernstnehmen dieses grossen Geschenks hätte bei den Einheimischen Unmut hinterlassen. Sie blieben bis zum andern frühen Morgen bei den Leuten, assen, lachten und tanzten und sahen zum ersten Mal ein Mäuserennen mit Wüstenmäusen und anderen Kleintieren. Denn das wurde nicht so eng gesehen. Echsen und kleine Ratten durften auch mitlaufen. Besonders die Kinder hatten eine Riesenfreude. Ein kleiner Junge mit einem bunten Vogel war auch dabei, aber der lief nicht in der Bahn sondern immer wieder zu seinem kleinen Freund zurück. Der war aber nicht glücklich darüber. Ein mittelalter Mann gewann mit seiner Maus das Rennen und bekam einen Becher besonderen Schnapses, von dem die Beiden Wüstenfahrer aber nicht kosteten. Sie wollten in nüchternem Zustand abfahren. Dann fuhren sie los, jedoch waren nun die Falschen nüchtern. Die beiden Karrenlenker waren sehr betrunken und fuhren nach grossem Abschiedspalaver nicht etwa nach Norden sondern nach Westen, was zunächst von Berg und Korthaus nicht bemerkt wurde. Korthaus rief:" Stop ! wir sind verkehrt !" es half nichts. Berg sprang vom Motorradsitz herunter, warf sich todsmutig in die Zügel und dann, endlich kam bei dem jungen Burschen an, dass die Richtung verkehrt war. Nachdem die beiden Karren die nördliche Richtung gefunden hatten, beobachtete Berg von seinem luftigen Sitz aus mit dem Kompass die Richtung. Im Laufe der nächsten Stunden drifteten die Tiere wieder Richtung Westen ab. Der Grund konnte das Wasser der vielen kleinen Seen sein, welches von den Tieren gerochen wurde. Bis zum nächsten Abend waren sie nicht weit gekommen, sodass bei der nächsten Rast von Korthaus der Gedanke geäussert wurde, den Hubschrauber zu bestellen und Benzin bringen zu lassen. Aber wie sollte das geschehen ohne die beiden Karrenlenker zu beleidigen ? Berg meinte: " Wir lassen uns die Kanister an einem Punkt bestellen, den wir morgen erreichen können und finden dort zufällig die Kanister. Dann können die beiden Männer wieder zurück zu ihren Familien fahren." So wurde es gemacht. Am nächsten Morgen waren an einem Hügel rote Planen zu sehen, unter denen Benzinkanister lagen. Erfreut hielten sie an, füllten das Benzin in die Tanks, liessen die Motorräder von den Wagen herab und zündeten sie probeweise. Sie liefen. Die beiden jungen Männer erhielten von Berg und Korthaus zwei Handys geschenkt, dann trennten sie sich. Die Hitze wurde immer heftiger, je weiter die Beiden nach Norden kamen. Die Savannenlandschaft wurde von Geröll- und Sandwüste abgelöst. Als sie an eine Felswand gelangten, die etwas Schatten gab, hielten die Beiden an. Sie tranken etwas und setzen sich so dicht als möglich an die Wand in den schmalen Streifen Schatten. Berg sprach zu Korthaus: " Mir kam Ihre Venusbeschreibung aus der Erinnerung zurück. Der Verfremdungseffekt ist überall gleich. Also schlossen Sie auf die Allgegenwart des Ichs." Korthaus nickte, Berg fuhr fort: " Sie kennen auch den Satz von Krishnamurti" Der Beobachter und das Beobachtete sind eins." Korthaus fragte: " Und Ihre Schlussfolgerung ?" Berg antwortete: " Wenn man es zusammen nimmt, kommt man zu einer Singularität, die nicht möglich ist. Wenn aber jeder Zustand das Dritte ist, welches der vorherigen Produktion von Subjekt und Objekt entstammt, dann wären alle insofern gleichartig, weil sie nichtidentisch sind, Teil im Strom. Sie wären aber keine Singularität. Wir könnten also alle Wege gehen und blieben im Strom, und blieben zugleich völlig nichtidentisch. Der Buddhismus löst das Problem, indem er darin eingeht und alles der Auflösung überlässt. Wenn wir also unsere Reise abbrechen oder verändern würden, blieben wir ebenso im Strom wie bei erreichen des Ziels." Korthaus meinte: " Das alles fällt zusammen mit dem Augenblick als ästhetischer Höhepunkt - sie sind alle gleich-wertig." Berg war von dieser Schlussfolgerung überrascht. Er sagte: " Aber ja, ob Reise oder Rückkehr, Mäuserennen oder Sand- happening, es sind ästhetische Momente." Korthaus fragte: " Was machen wir mit dieser Befreiung " Berg meinte: " Am Besten mit Vorsicht angehen, nicht zu viel davon." Berg sprach damit aus seiner Seele, und die war auf Tat, Erfolg und Ziel ausgerichtet. Mit Korthaus war es ebenso, nur mit anderen Zielen. Daher nahm Berg das Gespräch zum Anlass, nun forciert das Reiseziel in Niger zu erreichen. Er sagte zu Korthaus: " Wir müssen voran kommen, die Zeit der Sandstürme naht. Wenn wir da hinein gelangen, kann uns auch kein Hubschrauber helfen. Was halten Sie von verdeckten Tankdepots, die wir auf unserer Route einrichten lassen ?" Korthaus konnte es nicht lassen seinen Sarkasmus anzubringen: " Wollen wir nicht mehr die landesüblichen Transportmittel einbeziehen ?" Berg antwortete amüsiert:" Sie meinen die komfortablen Ochsenkarren ?" Korthaus erwiderte: " Und Kamele..." Berg sagte nichts mehr. Er bestieg die Maschine, sah auf den Kompass und fuhr los. In der folgenden Nacht fuhren die Beiden weiter. Im Abstand von 150 Kilometern wurden vom Hubschrauber aus Abidjan Benzintanks deponiert, die über einen jeweils angebrachten Sender ihre Position auf Bergs Gerät sichtbar machten und auch rasch gefunden wurden. Daher waren die Motorräder wesentlich leichter als vorher. Sie kamen schnell voran. Ein fester Boden über dutzende Kilometer inmitten der Wüste erlaubte schelles Fahren. Der Sternenhimmel stand hell über ihnen. Sie fühlten sich wohl beide ähnlich, schwarzen Vögeln in der Nacht gleichend, suchend und dem Ziel zustrebend. Wenn da nicht Müdigkeit und die Versorgung mit Lebensmitteln und Benzin gewesen wären, hätten sie den Zustand nicht beenden wollen. Aber die Gluthitze des Tages war schwer zu ertragen. Ab 11Uhr spätestens suchten sie Schatten auf und verblieben darin bis 17 uhr, wenn möglich schlafend. Sie waren, als Bild und Film von aussen gesehen ein seltsames Kunstwerk aus Mensch und Landschaft. Im Morgengrauen einige Tage später kamen sie auf einer Hochebene an. Am Ende davon sahen sie im Tal den Anfang einer Tiefebene mit einer kleinen Oase. Dort war der Grenzposten zwischen Bukina Faso und Niger. Er war von Soldaten bewacht. Es gab zwei Grenzhütten, jede Seite der Grenze hatte eine. Sie fuhren an einer schwach abschüssigen Stelle ins Tal hinab. Die Büsche unterbrachen die Wüste, die schwer erkennbaren Pfade waren fest und gut befahrbar. Die Maschinen und die beiden Fahrer waren völlig zugestaubt. Sie waren vom Sand kaum noch zu unterscheiden. Als sie am ersten Grenzhaus ankamen, staunten die Soldaten. Sie fragten, woher sie gekommen wären. Als die Beiden sagten, sie kämen von der Elfenbeinküste, sahen sie die Beiden verwundert an und fragten, wie das möglich sei. Was sollten sie antworten ? Sie zeigten auf die Maschinen und die Zusatztanks. Nachdem man zu der Auffassung gekommen war, dass man sie passieren lassen könnte, schenkten die Beiden dem Chef der Station ein Handy, worauf sie einen dankbaren Verehrer gefunden hatten. Die Grenzwächter gegenüber sahen das und nahmen die Beiden freundlich in Empfang. Der Chef dieser Station erhielt so- gleich ebenfalls ein Handy geschenkt, sodass auch auf der Seite des Niger ebenfalls eine wohlwollende Stimmung eintrat. Die winzige Oase beherbergte einige Familien und 16 Kinder. Diese versammelten sich bei den Maschinen und wollten mit- fahren. Berg und Korthaus waren aber zu erschöpft um den Kindern ihren Wunsch zu erfüllen. Deshalb sagten sie ihnen, dass sie zunächst etwas Ruhe bräuchten. Berg hatte beim letzten Kontakt mit dem Hubschrauber einige Blechmäuse mit- bringen lassen, mit denen Rennen gefahren werden konnten. Sie besassen Räder und einen Federwerksmotor. Bald liessen die Kinder die Mäuse im Sand laufen. Sie blieben jedoch rasch stecken. Korthaus suchte nach irgendetwas Ebenem als Unterlage. Einige Bretter, die als Tischplatten verwendet wurden, konnten einer dicken Mami entliehen werden. Schliesslich begann das Rennen von einem Ende der Bretter zum anderen. Leider hatten nur zwei Blechmäuse die Sandlauferei überstanden. Die Kinder wetteten um den Sieger. Berg und Korthaus legten sich im Schatten einer Bretterhütte zum Schlafen hin. Nicht lange währte die Ruhe. Ein kleiner tiefschwarzer Junge, 4 oder fünf Jahre alt, kletterte auf den schlafenden Berg, zupfte an dessen Hut und versuchte ihn wach zu machen. Berg wurde wach. Der Kleine versuchte sich mitzuteilen. Aufgeregt machte er "brum brumm" und alle möglichen Geräusche, zeigte in Richtung der Motorräder und wollte fahren. Korthaus war auch von einem Kind geweckt worden. Er sagte zu Berg: " Fahren wir ?" Berg nickte, stand auf und ging zu seiner Maschine, der Kleine und zwei weitere Kinder kamen hinterher. Berg zeigte den Kindern die Oase und machte ihnen mit Arm- bewegungen klar, dass jeder eine Runde mitfahren dürfte. Korthaus hatte ebenfalls Kinder im Schlepp. Dann fuhren sie los, jeder mit einem Beifahrer, durch den Sand um die Oase herum. Als sie wieder am Ausgangspunkt zurück waren, kam der nächste dran. Mitlerweile waren auch die anderen Familien- mitglieder angetreten und wollten ebenfalls mit fahren. Korthaus zeigte für Berg auf seinen Benzinhahn, um ihm deutlich zu machen, dass die Rundenfahrerei vielleicht nur beendet werden könnte, wenn sie den Trick mit den streikenden Motoren wieder anwenden würden. Als sie mit insgesammt 12 Kindern und Erwachsenen je eine Runde gefahren waren, drehte Berg seinen Benzinhahn zu, Korthaus tat das Gleiche. Leider wurde es gesehen. Ein Jugendlicher drehte den Hahn von Korthaus Tank wieder auf und sagte zu ihm:" Fährt wieder." Korthaus zog in einem unbewachten Moment den Zündkerzenstecker etwas hoch, sodass die Maschine nicht starten konnte. Schliesslich waren die Anwesenden davon überzeugt, dass die Motorräder streikten. Sie machten den Leuten deutlich, dass die Motoren zu heiss geworden wären und sie selbst unbedingt Schlaf brauchen würden. Bis zum Abendessen konnten sie schlafen, dann wurden Sie zum Tisch am Boden eingeladen und bestürmt mit Fragen zu den Mäuserennen. Dabei stellte es sich heraus, dass in manchen Dörfern keine Mäuse waren, sodass diese Dörfer und ihre Kinder nicht mitspielen konnten. Korthaus fragte Berg, was man tun könnte um alle mitmachen zu lassen. Die Blechmäuse waren keine Lösung. Es gab nur zwei und sie waren bald ebenso versandet wie die andern. Zunächst assen sie Hirse und tranken Wasser. Sie wollten nüchtern bleiben und ihre Reise fortsetzen. Korthaus sagte dann zu Berg:" Ich habe eine Lösung gefunden. Als Kinder haben wir mit einem Brett eine schiefe Fläche gemacht und kleine Autos aus Blech und Holz herab rollen lassen. Das Auto welches am weitesten kam, hatte gewonnen." Berg meinte: " Das wäre eine Lösung, aber woher nehmen die Leute die Autos ?" Korthaus hatte eine Idee:" Wenn wir runde Holz- stückchen nehmen, etwa in der Länge der Mäuse und sie glätten und rund machen, könnten wir sie auf einem dieser Bretter herabrollen lassen. Wir müssen die Bretter nur schief stellen." " Ja, damit wäre das Problem gelöst. Lassen Sie uns gleich anfangen", meinte Berg. Er stand vom Tisch auf, suchte zwei Holzstückchen und bearbeitete sie mit dem Klapp- messer. Als die Holzstückchen einigermassen rund waren, schnitzte er noch Augen rein und fertig waren die Rollmäuse. Es war schnell dunkel geworden, den geographischen Breiten entsprechend, sodass einge Fackeln angezündet wurden. Bald war auch der Fastvollmond nützlich, sodass die Beiden mit den Kindern das erste Rollmäuserennen fahren konnten. Die Holzstückchen rollten das schräg gestellte Brett hinab, und auf dem Bodenbrett noch etwas weiter. Es trat noch ein kleines Problem auf. Die Jüngsten schubsten die Mäuse an, sodass sie weiter kamen als die gerollten. Berg machte ihnen einige Regeln klar. Jedes Kind musste warten bis es dran kam. Die Maus musste mit nur einem Finger oben festgehalten werden. Bei Los wurde der Finger weggezogen. Dann zählte bei der Bestimmung der Weite immer der am weitesten zurück- liegende Teil des Holzes. Da die Stücke sich gegenseitig anstiessen, wenn sie unten ausrollten, wurden sie zur Seite gezogen um den Platz freizuhalten. Ein Riesenpallaver war die Folge der Regeln. Schliesslich funktionierte es. Da keine sportliche Kraft nötig war, konnten die Jüngsten ebenso gut gewinnen wie die kräftigen Jugendlichen. Die Mäuse wurden möglichst gleichmässig geschnitzt, damit keine Einseitigkeiten auftraten. Sie wurden ausgelost und nach drei Runden erneut vertauscht. Alle waren zufrieden. Das Spiel ging bis in die späte Nacht. ----------