Wiederbegegnung im alten Turm Fred Keil Nr.282 Aachen 2006 Der alte Turm hatte einige Jahre leer gestanden. An einem Herbstabend, kurz vor Eintritt der Dämmerung ging der alte Berg zum Turm, schloss ihn auf und stieg die Wendeltreppe zum gläsernen Raum in der Spitze des Turms hoch, sah durch die Scheiben hinab auf das Meer und dachte zurück an die Besiedlung des Mars und den Besuch der Venus. Dann nahm er einen mitgebrachten Kieselstein, legte ihn vor sich auf den Tisch, sah den Stein an, sah wie durch ihn hindurch und sass da ohne dass etwas geschah. Er war mit dem Vorsatz in den Turm gestiegen etwas zu untersuchen und zu erproben, was er in sich rumoren spürte, was aber nicht greifbar, nicht einmal denkbar war. Dieser Schwebezustand, war vergleichbar einer Katze auf der Lauer kurz vor dem Sprung,- aber eine Katze, die noch keine Beute vor sich hatte, - eine unlogische Konzeption. Pötzlich stand er ruckartig auf und sagte: "Korthaus !" Er ging zum Telefon und wählte die Nummer seines Freundes. Nach einigem Bimmmeln auf der anderen Seite meldete sich die verschlafene Stimme von Korthaus "Ja". Berg sprach: "Kommen sie zum Turm und bringen sie was mit." Korthaus versuchte, sich aus dem Ehebett davon zu schleichen, aber seine Frau war längst wach. Er rechnete mit dem üblichen Fragespiel, aber es passierte etwas Erstaunliches: " Nun geh schon, er hat ja lange nicht mehr angerufen". Korthaus sah sie verblüfft an, rappelte sich auf und machte sich zum Weggehen fertig. Aber was bedeutete: "und bringen sie was mit"? Korthaus griff in der Küche nach der erstbesten Saftflasche, da er keine Vorstellung davon hatte, was Berg gemeint hatte mit seiner Bemerkung. Er ging zum Taxenstand, an dem glücklicherweise ein Wagen stand und sagte zum Fahrer:" Zur Küste nach Fliessdorf." Der Taxifahrer stutzte, erinnerte sich aber daran, dass er Korthaus schon einmal diese 300 Kilometerstrecke zur Küste chauffiert hatte, meldete sich bei der Taxizentrale ab und fuhr los. Während der nächtlichen Fahrt über die wenig befahrene Auto- bahn nach Norden, dachte Korthaus darüber nach, was Berg nun vorhaben könnte. Er hatte in der Vergangenheit ungewöhnliche Dinge geleistet. Die Marsbesiedlung war von ihm eingeleitet worden. Aber so sehr Korthaus auch nachdachte, er hatte keine Idee von dem was Berg vorhatte. Mitten in der Nacht kamen sie an der Küste an. Korthaus liess sich bis zum Turm fahren, reckte seine steif gewordenen Glieder und ging in den Turm, über die Wendel- treppe zur Spitze hinauf. Oben angekommen begrüsste Berg ihn mit den Worten: "Gut, dass sie hier sind, wir haben etwas zu tun." Dabei setzte er sich in einen Sessel und zeigte auf den zweiten, auf dem Korthaus Platz nahm. Dann begann Berg mit seiner Erklärung: " Wir haben den Mars besiedelt, die Venus besucht und zwei mögliche Beschreibungen für das Leben und den Kosmos gefunden, aber wir haben noch nicht den Kreislauf des Automatismusses durchbrochen, der die geschichtliche Entwicklung bisher behindert. Sehen sie sich den Mars an: Ihre artistischen Anfänge sind im Theater, dem Stadion und der Verwaltung versandet. Es ist alles so wie hier. Unsere Erweiterungen ins Neuland haben genau das hervorgebracht, was wir schon vorher hatten. Wir haben produziert, nun produzieren die Anderen ebenso. Kurzum, wir sind der abendländischen Kultur nur persönlich entronnen, von Weiterentwicklung kaum eine Spur." Dann schwieg er und wartete auf eine Antwort seitens Korthaus. Dieser sah vor sich hin, öffnete die mitgebrachte Flasche, holte zwei Gläser und füllte sie. Berg nahm eins davon, trank einen Schluck, stellte das Glas ab und sah zu Korthaus hin. Dieser trank nun ebenfalls einen Schluck und sprach: " Ich hatte ein ungutes Gefühl nach unseren Weltraum- projekten. Ich kann aber nicht sagen wieso." "Sehen sie, das ist es. Ohne Zweifel haben wir gewonnen mit diesen Arbeiten, aber es ist schon beunruhigend zu sehen, wie sich das Bekannte erweitert und das Neuland aufgeschluckt wird ohne jegliche Konsequenz. Es gibt also noch einiges zu tun." Korthaus sah ihn an und meinte: " Das hört sich nach Geistesarbeit an." "Sie sagen es ! Die Grenzen des Machbaren sind ohne Zweifel erreicht. Ob nun noch einige Planeten dazu kommen oder wir wirklich noch Beweise finden für das Eheleben der Protonen,- dabei lächelte er verschmitzt- oder Beweise für ein Ich, welches ich bin und sie sind und überhaupt alles ist, was ist... wir haben noch etwas übersehen." Korthaus nickte zustimmend und fragte: " Sie haben also schon einen Plan ?!" Berg stand auf und sprach energisch:" Wir reisen nach Indien !" Korthaus sah seinen Freund skeptisch an und verfiel in die Du-form, ein Zeichen dafür, dass er Bergs Unternehmen für zweifelhaft hielt. Er sprach also:" Du wirst nach Indien reisen und einen Buddha aus Kohlefaserverbundstoff bauen, der mindestens,- sagen wir 1 Kilometer hoch wird. Aber.." "Korthaus, sie unterschätzen mich ! Lao Tse sagt, wer im Haus bleibt, sieht die Welt. Sie können mir glauben, dass das Thema innere Reisen mir nicht fremd ist. Aber es geht hier nicht um mich, auch nicht um sie." Korthaus war ernst geworden und fragte nun:" Um wen geht es ? " Berg antwortete:" Um das was nach uns kommt". Korthaus fühlte sich in der Lage eines Menschen, der wieder am Anfang steht, weil der andere vielleicht alles vergessen hat, was einmal für beide wesentlich gewesen war. Er sagte deshalb: " Waren sie nicht einmal an einem Punkt der völligen Zeit- losigkeit angelangt ?" Berg erwiderte: " So sicher wie Sie war ich nicht in dieser Sache, aber wir sind und bleiben Wesen mit Geschichte, folglich mit Vor- und Nachfahren und Verantwortung." Korthaus erinnerte sich nun eines Gesprächs mit Berg, in dem es um die Verbindung von indischer Zeitlosigkeit und europäischer Geschichtlichkeit ging. Er fragte deshalb: "Sie wollen Augenblick und Wirklich- keit verbinden ?" "Ja, darum gehts". Berg hatte einige kleinere Texte zum Buddhismus besorgt. Er legte sie Korthaus hin und sagte:" Vielleicht sehen Sie sich das mal an während wir auf den Hubschrauber warten. Sie kommen doch mit ?" Korthaus nickte zur Bestätigung und nahm die Blätter an sich. Mitten im Lesen sprach er: "Ist Ihnen das Risiko bewusst wieder nach Hause geschickt zu werden ?" Berg stutzte und fragte:"Wie das ?" Korthaus erzählte: "Ein Amerikaner hatte in den nepalesischen Bergen ein buddhistisches Kloster aufgesucht. Er wurde vom Vorsteher nach nur 20 Stunden wieder nach Hause geschickt." "Sagten sie ihm einen Grund ?". Korthaus:" Nein, sie sagten keinen Grund." Berg meinte nun:" Es wird also unter Umständen schwierig Zugang zu finden ?" Korthaus erklärte: "In manchen Klöstern besteht absolutes Redeverbot. Sie empfinden Schrift und Sprache als Hindernis zur Erleuchtung. Sie leben in ihren Übungen und Ritualen." Berg fragte: "Wie würden Sie anfangen?" Korthaus antwortete: "Kein Kloster besuchen sondern die Bibliotheken. Aber,- auch in einigen Klöstern gibt es Bibliotheken." Berg fragte: "Aus welchem Grund ist das erfolgversprechender ?" Korthaus:" Der heute noch praktizierte Buddhismus ist oft weit entfernt von dem, was der Buddhismus einmal war. Möglicherweise war er einmal gegen das Klosterwesen gerichtet, so wie das frühe Christentum gegen die damaligen Rituale des Judentums gerichtet war. Wir haben vielleicht mit Philosophie zu tun." Berg kannte seinen Freund sehr genau. Die Skepsis gegenüber Bergs Vorhaben war zu erwarten gewesen. Deshalb hatte Berg vorgesorgt. Nachdem der Tag angebrochen war und die Dämmerung endete, hörten die beiden einen Hubschrauber heranfliegen. Es war der von Berg bestellte, und heraus stieg die junge Frau, die als blinder Passagier mit Korthaus und Berg vor Jahren zum Mars geflogen war und die unvergleichliche Tanz- vorführung mit Korthaus der ganzen Welt vom Mars aus zele- briert hatte. Korthaus stand neben dem surrenden Rotor des Hubschraubers und staunte, wie sie heran kam. Betont sachlich gab er ihr die Hand. Sie aber umarmte ihn, drückte ihn an sich und fragte: "Du kommst mit, das ist ganz toll." Es klang nicht nach einer Frage sondern einer Feststellung. Das war auch genau das, was Berg beabsichtigt hatte, als er sie einlud, und was er von Korthaus erwartete. Aber da gab es noch Frau Korthaus. Daher zögerte Korthaus und meinte: " Ich muss meine Frau anrufen." Berg hatte auch für diesen Fall vorgesorgt. Merkwürdig, dass Korthaus nicht selber darauf gekommen war, als seine Frau ihn in der Nacht hatte ohne weiteres gehen lassen. Es war nämlich auch hier Berg im Spiel. Er hatte einige Tage vorher mit ihr telefoniert und sie relativ leicht dafür gewinnen können, ihren Mann reisen zu lassen. Er musste ihr wohl versprechen, dass sie beide zu ihrem Geburtstag zurück wären. Der war in 8 Wochen. Damit war zugleich auch ein Raumflug ausgeschlossen. Berg versprach es und klärte sie über seine Pläne in Indien auf. Also hier am Hubschrauber rief Korthaus seine Frau an. Sie machte kurzen Prozess, sagte:"flieg nur und denk an die Geburtstagsfeier". Korthaus war alles klar. Ihm war für einen Moment zumute nach einem heftigen Angriff auf Berg. Da dieser aber siegesgewiss schmunzelte und Korthaus Freundin ihn mit strahlenden Augen ansah, übernahm schnell seine gutmütige Seite die Regie, und er sprach: "Es kann losgehen." Der Hubschrauber brachte die drei Freunde nicht zum Flughafen sondern zu einem Zeppelinhangar an der Nordeeküste. Berg erläuterte während des Flugs dorthin, was er vorhabe: "Ich denke Indien ist unser Ziel und vielleicht eines, das wir verfehlen werden." Sie sah Berg gespannt an, Korthaus meinte:" Ich kann es mir denken." Berg sprach weiter: "Wir kommen mit grossem Tatendrang in das Land, in welchem das Zur Ruhe Kommen gefunden wurde. Wir sind dort völlig fehl am Platz. Deshalb möchte ich gern mit Euch langsam durch den Luftraum fahren und im Zeppelin darüber reden, - ich weiss nicht was, es wird sich finden." Die junge Frau hatte es ebenso wie Korthaus sofort verstanden und sagte:" Wir beginnen mit dem Paradoxon der Tat, das gefällt mir." Korthaus ergänzte:" Eine grosse Idee in einem langen ruhigen Verweilen nach Indien zu gelangen. Sagen Sie Berg: Gelangen wir nach Indien ?" Berg schmunzelte und sagte:" Irgendwann ja,- aber wo ist Indien ?" Auch diese Anspielung hatte die Frau verstanden, aber sie lächelte nur und sagte nichts. Den Dreien war bewusst, dass sie Neuland betraten. Es war ein Niemandsland zwischen Tun und Nichttun. Deshalb ging in den ersten Stunden jeder auf seine Weise daran, den Zeppelin zu erkunden. Vorn lebte die 20 köpfige Besatzung. Sie steuerte und wartete den Zeppelin und besorgte Nachschub an allem Notwendigen. Berg hatte dort ein Büro eingerichtet mit einer Sekretärin darin, die die Verbindung zu Bergs Geschäftsleben aufrecht erhielt. Bernardette hatte eine interessante Entdeckung gemacht. Es gab im Zeppelin ein weiteres Deck mit einem grossen Tanzsaal und einer Diskothek. Sie lief zu Berg und sagte:" Ich habe eine Diskothek entdeckt,- eine nur für uns Drei ?" Berg lächelte und antwortete:" Wir dürfen doch nicht unsere alten Leidenschaften unterdrücken. Einer der Nachfolger des Buddha hat gelehrt, dass jede Unterdrückung nur Zwietracht und Zerrissenheit hervorruft. Das Loslassen soll freiwillig sein, aber solange wird gefeiert." Bernardette lachte und strahlte. Dann wurde sie etwas nachdenklich und fragte:" Aber diese Diskothek ist nicht für drei Leute gemacht. Da passen leicht einhundert rein." Berg meinte: "Ja dafür ist sie da. Am Samstag werden wir Besuch haben." Sie wollte weiter fragen. Er legte den Zeigefinger auf seinen Mund und machte:" Psst, mehr wird nicht verraten." Zwei Tage später war Samstag. Gegen 18 Uhr hörten sie eine grossen Lasthubschrauber herannahen. Er stand über dem Zeppelin und war nicht mehr von innen heraus zu sehen, aber zu hören." Berg rief die beiden Andern zu sich und sagte: Wir bekommen gleich Besuch, kommt mit." Er führte die Drei ins Innere des Zeppelins zu einer Leiter die nach oben führte zwischen den Heliumtanks hindurch. Eine weitere Leiter reichte hinauf bis zur Oberfläche des Zeppelins und endete auf einer Plattform. Aus dem Hubschrauber wurde eine Röhre herab- gelassen und bald rutschten die eingeladenen Gäste herunter. Es waren etwa 70 Leute verschiedener Alterklassen. Einige waren Bernardette bekannt, andere kannte Korthaus bereits. Sie alle kletterten hinunter zum Discosaal. Zu einem kleinen Imbiss sassen alle an drei langen Tischen beisammen, lachten und erzählten miteinander. Dann setzte Musik ein, die Leute tanzten. Während Korthaus und Bernardette tanzten, sagte Korthaus:"Das ist eine tolle Überraschung." Sie fragte: "Du hast es nicht gewusst ?" "Nein, Berg ist immer für Über- raschungen gut".Dieser sass an der Theke und sprach mit einem indischen Gast. Es war der Buddhist Nanamurti, der mit den anderen gekommen war. Es war für die Beiden wegen der lauten Musik schwer sich zu unterhalten. Berg stand deshalb auf und führte seinen indischen Freund in den vorderen Bereich des Zeppelins zu seinem Büro. "Sind sie zufrieden ?", fragte Berg. Nanamurti antwortete:" Sehr". Berg begann zu erzählen: " Ich habe darüber nachgedacht, was sie uns vor zwei Jahren in Saanen erzählt haben. Sie rieten besonders uns Europäern nicht mit Gewalt unsere Gewohnheiten zu ändern sondern unsere Energien auszuleben, das Karma zu verbrennen. Aber wie kommen wir da wieder herunter, zur Ruhe." Nanamurti antwortete: " Gar nicht, warum solltet ihr damit aufhören. Die Ruhe ist auch ein Missverständnis." Berg meinte:" Ich erinnere mich. Wollen und etwas Nichtwollen sind dasselbe, sagten sie, beides bestimmt vom Karma." "Sehen sie Berg, wir lassen sie gewähren und sehen zu. Sie erleben, indem sie sich freuen das Leben der Tat. Sie ver- brauchen ihre Energie, ihr Karma. Sie werden an den Punkt kommen, wo sie dessen gewahr werden, sie werden es gewahr, was mit ihnen geschieht und ihren Weg gehen. Vielleicht morgen, vielleicht in einigen Jahren, andere erst spät, sehr spät." Die Fete ging bis in die Morgenstunden, dann wurde es ruhig im Zeppelin. Als die Mittagssonne warm herabschien wurden auch die letzten Gäste wach. Sie fanden ihren Saal durch- flutet vom Mittagslicht. Berg sprach sie an:" Freunde, wir werden heute abend auf einer Wiese landen nahe der belgischen Stadt Lüttich. Es werden einige Busse dort warten, die euch zum Hauptbahnhof fahren werden. Ich hoffe, es hat euch Spass gemacht." Die Gäste klatschten, Berg verliess den Sall. So geschah es auch. Als der Abend nahte hob der Zeppelin in der Dämmerung von der Wiese wieder ab. Berg, Korthaus, Bernardette und Nanamurti trafen sich in der Küche. Korthaus sprach Nanamurti an:" Der Lebenskreis, den die Inder Sansara nennen, ist für den zur Unendlichkeit treibenden Europäer schwer zu verstehen. Der Lebensüber- druss, der aus dem Sansara erwächst und den Wunsch zum Nirvana nährt, ist uns auch schwer verständlich. Die Leute wollen hier ewig leben, sie wollen gar kein Ende." Nanamurti antwortete:" Wenn wir es so betrachten, dann ist es wirklich schwer miteinander zu verbinden. Aber wir leben nicht mehr in der Zeit vor Dreitausend Jahren. Es könnte sein, dass wir viel näher beieinander sind als es zunächst aussieht. Der Sansara ist ja kein Kreis. Die Abbildung des Lebenskreises in unseren Bildern ist symbolisch zu verstehen. Der Sansara ist das "Grosse Wandern", ein Weg der nicht definierbaren Bewegungen, ebenso unendlich wie der abendländische Kosmos und ebenso unbestimmt." Berg meinte:" Das ist eine Überraschung. Wie ist es mit dem Lebensüberdruss?" Nanamurti antwortete:" Wir wissen nicht ob der Lebensüberdruss, den das alte Indien meinte, der gleiche ist, den die Neuzeit meint. Wir wissen auch nicht ob die Alten überhaupt aus Überdruss zum Nirvana drängten. Es sind alles nur einzelne mögliche Interpretationen unter vielen anderen." Korthaus warf ein:" Die Trauer der antiken Griechen nach dem Glück vielleicht ?" "Auch das ist möglich", meinte Nanamurti und sprach weiter:" Die Leute, die uns heute wieder verlassen haben, kennen ja auch Überdruss. Ihre ständige Suche nach Neuem ist ja dem Über- druss am Hergebrachten entsprungen. Sie suchen auf ihre Weise auch ein Nirvana, ein ganz ihnen eigenes natürlich." "Das Paradies, zum Beispiel", meinte Bernardette. "Der heutige Europäer, scheint mir, möchte nicht zurück- gehen", sprach Nanamurti und fuhr fort:" Er betrachtet sein Leben als Anhäufung von Schätzen, Schätze in Gestalt von Erinnerungen, Wissen und Erwerbungen von Dingen. Der Über- druss drängt ihn zu neuen Erwerbungen. So verstrickt er sich tiefer in den Sansara. Das Gegenteil zu leben war der Gedanke der Alten, der Buddhas. Er lässt alles los und wird frei von sich selbst." Berg hatte die Stirn gerunzelt, etwas selten bei ihm zu Beobachtendes. Korthaus fragte ihn deshalb:" Sie sind nicht einverstanden ?" Berg antwortete: " Das ist es nicht. Aber wie bitte sollen wir eine ganze Menschheit dazu bringen los zu lassen, sich umzuwenden und anzuhalten." Nanamurti ergriff nach einer kurzen Pause des Schweigens wieder das Wort:" Es ist doch wieder die Stimme der Tat, die von der Menschheit spricht. Es geht aber um das Gegenteil. Lao Tse sagt:" Nichttun das Tun, und es bleibt nichts ungetan." Korthaus fragte:" Wir sollen nicht eingreifen, meinen sie es so." Nanamurti erwiderte: " Auch Schweigen ist ein Eingreifen. Sehen sie die Erziehung der Kinder. Es wird sehr Vieles vorgelebt aber nicht gesagt." In der Nacht wurde Berg wach. Er wollte unbedingt allein mit Korthaus sprechen. Jeder der vier wohnte in einer Einzel- kajüte. Berg stand auf, ging den Gang entlang und klopfte an Korthaus Zimmer. Dieser war ebenfalls hellwach. Er rief Berg herein. Berg setzte sich zu Korthaus auf die Bett- kante und sprach:" Ich bin völlig durcheinander, geht es ihnen auch so ?" Korthaus erwiderte:" Ja, ich komme mit dem Nichttun nicht zurecht. Ich habe gewiss auch keine Lust aus dem Sansara auszusteigen. Irgendetwas läuft ver- kehrt." Berg grübelte vor sich hin und sagte:" Das erscheint mir auch so. Manchmal ist mir völlig klar was Nanamurti sagt, und dann wieder ist alles unklar und durcheinander". Korthaus meinte:" Wir sind noch nicht alt genug dafür. Die Inder sprechen von alten Seelen, aber was passiert mit den jungen Seelen ? Und wann werden sie alt ?" Berg lächelte:" Er sagte auch, jeder geht seinen Weg, also gehen wir auch unseren eigenen Weg. Vielleicht treffen wir dann irgendwann doch zueinander. Sollen wir ihm das erzählen ?" Korthaus meinte:" Ja, ich denke er wird es verstehen." Der Zeppelin zog in zweitausend Metern Höhe mit geringer Geschwindigkeit über den nächtlichen Atlantischen Ozean in Richtung Nordafrika. Aber auch Bernardette konnte nicht schlafen. Sie stand auf und ging zur Kajüte von Nanamurti. Sie klopfte an, er rief sofort:" Kommen sie herein." Nanamurti sass an seinen kleinen Arbeitstisch, hatte den PC eingeschaltet und forderte Bernardette auf, sich zu ihm an den Tisch zusetzen. Dann sprach er:" Sie sind aufgewühlt, Sie denken nach ?!" Bernardette antwortete: " Ich habe alles verstanden und doch nichts verstanden. Mein Wille geht nicht in die Richtung des Verlöschens. Im Gegenteil, mein Lebenshunger ist so stark wie selten zuvor." Nanamurti erwiderte:" Ja, sie sind Europäer, sie sind vielleicht etwa eintausend Jahre zu jung für das Nirvana oder noch jünger." Bernardette sah ihn fragend an. Er sprach weiter:" Sehen sie, das zur Ruhe kommen ist ein Bedürfnis, aber ihr Lebens- durst ist auch ein Bedürfnis. Wenn sie das eine mit dem andern austauschen wollen, dann sehen sie, dass es unmöglich ist. Das Altern ist ein Lebensprozess, es kann nicht gewollt werden und man kann es nicht hinwegwollen, wenn es eintritt." "Was sollen wir tun ?", fragte Bernardette. Nanamurti sagte:" Am Besten gar nichts, machen sie weiter wie bisher. Sie haben heute sehr viel erfahren. Sie haben den Zweifel erfahren, die Unruhe und etwas, dass Ihnen völlig fremd ist. Ich möchte Ihnen etwas verraten: Mir ist es auch fremd. Aber von Buddha sagte man: Er ging aus dem Haus in die Hauslosigkeit. - Das ist doch absurd. Aber es ist wirklich absurd, um ein Wort zu verwenden, das in der europäischen Philosophie gebräuchlich ist. Die alte Seele wird nicht reif, wie sie vielleicht denken mögen. Sie lebt nicht anders als Sie im "Grossen Wandern". Es ist kein Lebenskreis, in dem etwas wiederkehrt. Die Wiederkehr ist ein romantisches Missverständnis." Bernardette war sehr verwundert, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie fragte deshalb:" Sie sind ein Existenzialist. Sie reden wie ein Existenzialist." Nanamurti erwiderte:" Es gibt durchaus Ähnlichkeiten. Wie sollte es auch anders sein. Wir leben unser Leben, wir sind alle nur Menschen." Am folgenden Tag schliefen die vier Freunde bis in den Mittag hinein. Korthaus begab sich an die Zubereitung eines aufwendigen Abendessens mit verschiedenen Fischen und Gemüsesorten. Die Gespräche verliefen in ähnlichen Bahnen wie am Tag zuvor. Abends zogen sie sich zurück. Korthaus und Berg waren in Bergs Zimmer und unterhielten sich. Berg meinte:" Ich glaube, wir drehen uns im Kreis." "Das sehe ich auch so," meinte Korthaus. Berg sprach weiter:" Wir sollten es systematisch angehen. Wir haben die indische Philosophie hier, vertreten durch Nanamurti und unsere Gegenwart vertreten durch uns drei. Wenn wir keine Vermittlungen schaffen zwischen diesen beiden Welten, dann sehe ich schwarz." Korthaus lächelte und sprach:" Ich weiss was sie meinen. Wir werden niemals im Lotussitz zur Ruhe finden. Das macht mich weitaus kribbeliger als ein stressiges Raumfahrtprojekt." Berg meinte nun:" Wie wärs mit Bernardette, sie ist wesentlich mehr Gegenwart als wir." - So etwa verlief das Gespräch noch etwas weiter. Dann trieb es die Beiden nochmals in die Küche um sich an den umfangreichen Resten des Abendessens zu vergreifen. Sie waren gerade fertig damit, als Bernardette herein- kam. Sie fragte die Beiden:" Wo ist Nanamurti. Die Beiden zuckten mit den Schultern. Sie sprach weiter: " Ich war eben auf der Plattform. Es gibt unten im Meer ein herrliches Meeresleuchten und eine grosse dunkel- grüne Algenfläche." "Das möchte ich sehen", sagte Berg. Korthaus war ebenfalls interessiert. Also klettern alle drei zur Plattform des Zeppelins, die an der vorderen rechten Seite so weit herausgebaut war, dass man mühe- los auf das Meer sehen konnte. Während aber Bernardette und Korthaus in den schillernden Farben des Meeres- leuchtens versunken waren, dachte Berg nach. Und plötzlich klatschte er sich einmal in die Hände, zuckte deswegen aber sogleich zusammen und entschuldigte sich für diese sehr prosische Störung der Stille. Bernardette fragte ihn:" Sie haben etwas entdeckt." "Ich möchte nicht weiter stören." "Doch, reden Sie nur", meinte Korthaus: "Sie haben etwas Wichtiges entdeckt." "Ja, alle unsere Entdeckungen kommen mit Krach in die Welt, wie das Feuerrohr und die Atombombe, leider", meinte Berg. "Nun raus damit!", forderte Bernardette ihn auf. Berg zeigte auf das Meeresleuchten und sagte:" Die Ästhetik, das ist das Bindeglied !" Die Beiden sahen Berg an, dann sich gegenseitig, bis Bernardette begeistert ausrief." Er hats." Korthaus war noch nicht dahinter gekommen. Berg erläuterte:" Ich weiss, Ihnen fällt das sehr schwer. Staatenbegründer haben für Kunst nicht soviel Zeit." Diese Anspielung von Berg auf Korthaus lang zurückliegende preussische Vorgeschichte liess diesem aber eine Ahnung hochkommen. "Sie glauben, die Kunst ist der Schlüssel ?" Berg erwiderte:" Nicht die Kunst und die Ästhetik, sondern das Aufsteigen, der Höhepunkt." Bernardette fügte hinzu: "Verliebte leben die Höhepunkte, erkennen sie aber nicht als Artefakte, Berg merkt es intiutiv." "Muss ich das jetzt verstehen ?", fragte Korthaus, - aber da war es ihm nun doch klar geworden:" Berg, Sie sind genial! Aber wie will Nanamurti das machen: Höhepunkte und Nirvana ?!" Berg meinte:" Wir müssen es vormachen. Unsere Stellung ist ebenso unmöglich: Die Welt des Verlöschens und die Tat. Wie wollen wir es machen?" Am anderen Morgen beim gemeinsamen Frühstück fragte Berg Nanamurti:" Kommen Sie mit uns zu den Tuamotu-Inseln ? Wir wollen ihnen etwas zeigen." Nanamurti stimmte erfreut zu und sprach:" Das sind doch diese lebensfrohen Inseln im Pazifik. Ich denke wir können viel dabei lernen." So war es also eine beschlossene Sache. Da der Zeppelin jedoch auf Kurs Südafrika flog, musste eine völlig neue Route ausgewählt werden. Berg ging zum Kapitän des Luftschiffs. Es stellte sich im Gespräch heraus, dass die Heliumvorräte, der Treibstoff und die Lebensmittel nicht ausreichen würden zu den Pazifikinseln zu gelangen. Der Kapitän versprach, das Problem in den nächsten Tagen über Funk zu lösen und solange einen Kurs zu fahren, der von Afrika aus über den Atlantik in Richtung Mittel- amerika führte. In den folgenden Nächten war auch Nanamurti auf der Platt- form des Zeppelins. - Wenn spät in der Nacht die andern zu Bett gingen, blieb Nanamurti oben und sah auf das Meer. Er sah auch zu den Sternen hinauf und wanderte so von innen nach aussen. Je weiter der Zeppelin sich von Afrika ent- fernte und dem Amerikanischen Kontinent entgegen fuhr, umso mehr ging Nanamurti auf Reisen in die äussere Welt. So schien es, denn er nahm dann nicht seinen Lotussitz ein, sondern stand am Geländer der Plattform, legte seinen Kopf weit in den Nacken und sah, - und sah hinauf. Manchmal lehnte er sich hinab, dem Meer zu, das in vielen Farben nächtlichen Schwarzblaus schillerte und mit dem Glitzern phosphorizierender Tierchen sich verband. In einer jener Nächte stand Nanamurti am Geländer der Platt- form und hörte den Gesang von jungen Frauen. Es waren wehmütige Töne, die aus dem Raum der Plejaden kamen oder von der Küste Afrikas, denn die Plejaden standen tief, nahe dem Horizont. Er spürte eine Sehnsucht, die voll angespannten Bangens war, dass es aufhören könnte.- und dass er den Schmerz dieses Beendens nicht ertragen könnte. "Es ist der Moment wo Inneres zum äusseren wird", dachte er: "wo die Seelen der Ungeborenen hinauswollen ins Ich". Er stand da und hörte, während im Osten mit einem feinen Hellwerden der Grenzlinie zwischen dem Meer und der Himmelskuppel der Tag sich ankündete. Als der Gesang schwächer wurde, nahm er den Lotussitz ein und weinte. Als Berg im Morgengrauen zur Plattform stieg, sah er Nanamurti gleich dem Buddha reglos im Lotussitz und die Spuren der Tränen auf dessen Wangen. Berg ahnte etwas von dem was dort vorging. Er stellte sich an die Reeling, sah in die Ferne hinaus und verharrte still und reglos. Zur Zeit des gemeinsamen Frühstücks fanden sich im Essraum neben der Küche nur Korthaus, Bernardette und einer der Piloten ein. Verwundert sah sich Bernardette um. Sie fragte Korthaus:"Wissen Sie wo die Beiden sind ?" Korthaus verneinte, fragte dann den Piloten ob er wüsste wo die beiden sind. Der Pilot sagte:" Einer von ihnen ist vielleicht auf der Platt- form. Die Kontrolleuchte war an, als ich abgelöst wurde." Korthaus meinte:" Dann werden wir sie in Ruhe lassen." Erst gegen mittag gingen Berg und Nanamurti zu den andern zurück. Berg erzählte nach dem Essen von dem Aufenthalt oben auf dem Zeppelin: " In den Stunden dort oben sind mir manche Unterschiede zwischen dem Streben nach dem Nirvana, wie ich es bisher verstehe, und dem Lebensdrang, wie wir ihn in Europa seit Generationen leben, deutlich geworden." Nun sprach Nanamurti: "Mir ist etwas ähnliches passiert, ich habe ein Bedürfnis nach Versenkung in eine mir unbekannte Sehnsucht kennen gelernt. Eine Sehnsucht in einem ästhetischen Kosmos einzugehen, aber nicht passiv, sondern dabei zu sein." Bernardette sagte nun:" Können Sie mehr darüber sagen?" Nanamurti erwiderte:" Ich war zu Tränen gerührt, meine Distanz zu dem Lebenslauf war weg, es war für mich erschreckend und neu. Zugleich aber hat es mich angezogen. Vielleicht war es mit einer Sucht verwandt." Nun sprach Korthaus:" Das ist Bergs Thema. Er will alles beleben." Berg meinte nun:" Heute Abend möchte ich eine Geschichte erzählen, die vielleicht die Lebensfreude in einem ganz anderen als hinnehmenden Sinn zeigt und doch nicht zur Welt der Tat gehört. Es ist eine Welt der aktiven Phantasie." Die anderen waren erfreut über diese Ankündigung und wollten gern dabeisein. Zur Stunde der Dämmerung gingen die vier Freunde auf die Plattform des Zeppelins. Sie sassen dort oben in einer Runde und Berg begann: "Auf einer Parkbank in einer kleinen Stadt im Westen Deutschlands hatte ein alter Mann Platz genommen und dachte über allerlei unsystematisch nach. Plötzlich kam ihm die Einsicht in den einfachen Umstand, warum es Damen und Herrenuhren gibt. Die selbstverständlichste Antwort, weil Damen gern Damen- uhren und Herren gern Herrenuhren tragen, hatte er längst als viel zu einfach abgelehnt. Denn ein seltsamer Traum von einer grossen Uhr, die erstreckt war über ein Gelände von mehreren hundert Metern Länge und Breite, hatte ihm gezeigt, dass manche Uhr von einer Königin und manch eine andere von einem Prinzen bewohnt war. Die Königinnen warteten auf den erlösenden Kuss durch einen schönen Mann, die Prinzen auf den einer schönen jungen Frau. Unklar blieb jedoch, in welcher Uhr solche königlichen Wesen wohnten. In allen oder nur in einer, - das war noch unklar. Als der Abend dämmerte kam ein junger Mann, der Bolo hiess, am Ufer des Flusses in einer fremden Landschaft an, der von Wiesen umsäumt war. Auf einer dieser Wiesen war die grosse Uhr aufgebaut, deren Lichter in der sanftblauen Dämmerung gelb und blau strahlten. Die Besucher hielten sie für einen Rummelplatz. Bolo wusste mehr, denn die Zeit regierte hier jede Lebensäusserung. In der voraus gegangenen Nacht hatte er die Königin dieser Uhr vor sich gesehen, zum Küssen nah. Sie war von weisser Haut mit blonden langen Haaren, schlank und jung, vielleicht 18 Jahre alt. Sie schlief, schlug dann unverhofft ihre hellblauen Augen auf und ihr Mund erzählte, ohne jede Bewegung, allein durch ihre Anmut von einem Geschehen, für dass es nur wenige gibt, die es verstehen. In der Mitte des Platzes, der mit vielen Vergnügungsbuden und einer kleinen Zirkusarena umstellt war, lag am plattge- tretenen Boden ein grosses Zahnrad. Es glänzte golden und hatte kupferne Zähne. Die Achse aus poliertem Stahl war im Boden versenkt. Eingraviert war dort:" In Erinnerung an den Uhrenmann, der die Welt vor einem Kometeneinschlag gerettet hat." Bolo ging weiter, vor ihm eine blausilbern schillernde Rutschbahn. Er überlegte, sollte er oder sollte er nicht. Er kletterte die silberne Leiter hoch setzte sich oben auf die Rutsche, gab sich einen Schubs und abwärts gings. Es schien die Rutsche sich zu drehen, und während es abwärts immer schneller ging, drehten sich die Lichter des Zirkusses vor ihm im Kreis. Er sah den sternenübersäaten Himmel bald oben bald unten. Der Wirbel riss ihn hinaus aus dieser Welt und warf ihn in den Raum der Sterne. Plötzlich glühende Ruhe, wie sie mitten im Lustschrei für einen unmessbaren Zeitpunkt zu spüren ist, bevor der tiefe Fall beginnt. Benommen sah er den Lehmboden und das Ende der Rutschbahn vor sich. Es reizte ihn noch einmal die Leiter hochzuklettern. Aber seltsamerweise lag die Rutschbahn am Boden als silbernes Band. Die Lichter waren alle erloschen. Die Bauten waren teils verfallen, Kabel hingen zerissen auf den Boden herab. Es musste einige Zeit vergangen sein, seit er von der Rutschbahn hinabgefahren war. Der Rummelplatz, der aber eine versteckte Uhr war, lag in der Nacht da wie ein Trümmerfeld, welches von jahrzehnte- langem Wildwuchs bald hier und dort schon im Grün verschwunden war. Auf einer Wiese nahe diesem Gelände stand eine Bank. Auf dieser sass ein Mann. Das Mondlicht war hell genug um einiges zu erkennen, den Hut des Mannes und eine viel zu grosse Jacke. Als Bolo in die Nähe der Bank kam, sagte der Mann zu ihm: "Setz dich!" und zeigte auf die freie Fläche der Bank. Bolo blieb aber stehen und fragte den Mann: "Was ist hier passiert?". Der andere antwortete: " Es sind einige Jahr- hunderte vergangen bei Deinem Rutsch auf der Rutschbahn." Bolo wunderte sich nicht sehr, nachdem er den verfallenen Rummelplatz selbst gesehen hatte. Er hoffte, dass diese unerklärlichen Begebenheiten sich auch auf seinen Traum von der Uhrenkönigin erstrecken würden, dass er sie irgend- wann wirklich vor sich hätte. Der Mann erzählte nun: " Ich bin der Uhrenmann, sie nennen mich so, seit meine Maschine den grossen Kometeneinschlag verhindert hat." Bolo setzte sich neben ihn und sagte nichts. Mit der Morgendämmerung ging scheinbar die Sonne auf, aber die blaugrüne Färbung des hellen Zentrums.. da stimmte etwas nicht. Es erschien eine wunderschöne tonneauförmige Uhr am Himmel. Sie hatte ein weissgoldenes Gehäuse und ein leuchtendes, in allen Regenbogenfarben erstrahlendes Glas. Die Zahlen waren verhältnismässig gross und mit grüen- schwarzer Füllung versehen. Das Armband bestand aus grünem Schlangenleder, deren Schuppen einen bläulich schimmernden Rand hatten. Der Uhrenmann war völlig versunken in den Anblick dieser seltsamen Sonne. Bolo staunte einmal mehr und sah sich all das schweigend an. Und er dachte, dass diese Welt, wie sie hier entstand, von ihm träumerisch verursacht worden war. Er sah den Uhrenmann an, sein altes und doch jugendlich bewegtes, lebendiges Gesicht und fragte ihn:" Wie machst du das?" Der Uhrenmann antwortete:" Das ist eine Übungssache. Zuerst bemühst du dich deine Träume zu machen und zuletzt versuchst du andere zum Träumen zu bringen." Bolo fragte: " Sollen sie die Wirklichkeit vergessen.?" "Nein, es gibt keine Wirklichkeit, und deshalb auch kein Vergessen. Wirklichkeit ist ein misslungener Traum". Bolo konnte das nicht verstehen. Deshalb fragte er: " Wenn alles ein Traum ist, was ist dann der echte Traum, den man als Traum bezeichnet.?" Der Uhrenmann erklärte: "Der Unterschied liegt in der Erzwungenheit. Was man Wirklichkeit nennt, ist Erzwungenes, von Natur, Vor- geschichte und Menschengesetzen Bestimmtes. Dazwischen kleine Flecken Freiheit. Der Traum, wie man ihn im Gegen- satz dazu versteht, überspringt das Erzwungene manchmal. Du kannst fliegen im Traum und Begegnungen haben, die nie wirklich gewesen waren. Aber man kann auch Alpträume haben." Bolo fragte:" Du meinst aber, man träumt auch das Wirkliche. Meinst du man träumt das Erzwungene.?" "Aber ja, man macht es selbst, wie die Träume und Alpträume auch." Bolo fragte: " Kann man es deshalb ändern als ob es keine Wirklichkeit und kein Erzwungenes gäbe.?" Der Uhrenmann runzelte die Stirn und sagte: " Da fängt die Schwierigkeit an, ja und nein." Bolo sagte nun:" Kannst du mir erklären, wie ich zum "Ja" komme. Das "Nein" hab ich schon oft erlebt. Ich würde gern ein Mädchen aus meinen Träumen wirklich treffen, aber es geht nicht, ich fand sie bis heute nicht. Der Uhremmann antwortete: " Weil alles nicht ist, was es ist, alles ist anders. Wenn du das Andere nimmst, findest du das, was du suchst. Alles Wesentliche ist nur indirekt zu erfahren." Bolo hatte nun einen Wachtraum. Er sah eine schöne Frau. Sie hatte einen leichten, wiegenden Gang, den Vögeln ähnlich, die mit den Wolken spielen und von ihren ruhigen Flügeln mühelos getragen werden. Zwei Kinder waren bei ihr, links ein sechsjähriger Junge, rechts ein neunjähriges Mädchen. Die Frau war, wie er sich eine Königin dachte: schön, ihr Gesicht fein und klug, die Haare schwarz und wellig fallend weit über die Schultern hinab. Nun hörte er wieder den Uhrenmann sprechen: " Du begegnest einer wunderbaren Uhr im Traum, und sobald du dieses Bild vergisst, findest du eine ebenso wunderbare, die dich begleitet, solange du willst:"..." An dieser Stelle musste Korthaus lächeln, wie wenn er sagen wollte:" Typisch Berg." Berg erzählte weiter: " Bolo hatte Mühe, nicht den Kopf zu schütteln, nicht zu lachen, nichts zu sagen. Der Uhrenmann sprach weiter: " Du denkst an andere Dinge, an ein Mädchen vielleicht. Es ist überall dasgleiche.." Bolo sah ihn mit sonderbarem Blick an. Der andere sprach weiter:" Du zweifelst, denkst dieser sonderbare Mann. Aber es kommt auf deine Gefühle an, sie machen alles lebendig, Menschen, Erinnerungen.. ja, auch Uhren." Bolo wandte eine: " Es fällt mir schwer eine Uhr wie eine Frau zu sehen." Unterdessen kroch eine merkwürdige Erscheinung im heller werdenden Licht aus einem nah gelegenen Teich heraus. Bolo erschrak, als er eine riesige Krake erkannte, die mehrere Dutzend Tentakeln hatte. Sie streckte sich hoch und rief in Richtung der Beiden mit tiefer röhrender Stimme: "Guten Morgen ihr Beiden". Der Uhrenmann winkte zum Zeichen des Grusses. Bolo bemerkte ein interessantes Glitzern an einigen Tentakeln. Der Uhrenmann hatte Bolos Verwunderung bemerkt und sagte: " Er trägt an seinen Tentakeln Armbanduhren. Daran kannst du sehen, dass die Kraken im Vergleich zu uns höher ent- wickelt sind. Sie können zehnmal mehr Armbanduhren tragen als wir"..." Berardette musste lachen, Korthaus lachte mit, Nanamurti lächelte und Berg selbst musste Grinsen. Bernardette sagte: "Berg, was ist mit Ihnen los, laufen sie zur Kunst über." Korthaus meinte nun:"Sei vorsichtig Bernardette. Berg ist schlau, er führt uns irgendwo hin,- aber nicht dahin wonach es aussieht." "Er stellt uns eine Falle ?", meinte Bernardette amüsiert. Korthaus nickte etwas, sagte aber nichts mehr und sah Berg an. Während die Dämmerung mit den Farben der untergehenden Sonne alles einfärbte und das Ultramarinblau zwischen den vereinzelten Wolken die Szenerie einem Gemälde ähnlich machte, erzählte Berg weiter: " Bolo war wegen dieses letzten Satzes des Uhrenmannes mehr als verwundert:" Ist das ihr Ernst ?" fragte er beinahe entsetzt. " Jaja,so ernst wie mir alles Wichtige ist." Als die Krake näher kam, sah er die einzelnen Uhren genauer. Zuerst fiel ihm eine quadratische, silberfarbene Uhr auf. Der Uhrenmann erklärte:" Das ist eine 17 steinige, weiss- goldene Benrus von 1925 mit Klappgehäuse, Square stile. Sie hat feine Gravuren am Rand, ein Handaufzugswerk, frühe Stossicherung, gelb getöntes Glas, grosse arabische Zahlen mit nachtleuchtender Radiumfüllung, die längst heraus gefallen ist, geschnittene Schraubenunruhe mit bimetallischer Kompensation. Für jene Zeit ungewöhnlich breite Bandanstösse. Aber es hat auch seine Nachteile, das polygame Leben". Bolo sah ihn fragend an. Der Uhrenmann sprach weiter:" Er kann sich nicht entscheiden, welche die Schönste ist. Das verzeihen die Damen nicht". "Damen ? " "O ja, die Uhren sind empfindliche Damen". Bolo hatte etwas Mühe nicht zu lachen. Der Uhrenmann sprach unbeirrt weiter: " Sie sind es im doppelten Sinn, in jeder ist eine Uhren- prinzessin." "Die nur beim Küssen herauskommt," dachte Bolo, sagte es aus Rücksicht nicht. Aber der Uhrenmann konnte vielleicht ein wenig Gedanken lesen. Er sagte: "Die Verwandlung geschieht natürlich anders, man kann es sich vorher nicht vorstellen." Der Krake war einige Meter vor ihnen im Gras liegengeblieben und fuchtelte mit zwei Tentakeln herum. Als Bolo genau hinsah, waren die beiden Uhren an den Tentakeln lebendig geworden und stritten miteinander. Dabei lösten sich die Bänder und es wurden zwei kleine streitbare Frauen daraus, die sich heftig an den Haaren rauften."..." Während der letzten Sätze musste Berardette sich bemühen nicht zu lachen. Dann brach sie los:" Berg, sie spielen den Patriarchen. Sie führen uns an der Nase herum.." Berg grinste. Korthaus sagte: "Typisch, so sieht er die Frauen: Klein, niedlich, bissig und handlich. Und trotzdem hat die polnische Gräfin ihn..." Korthaus stockte, da er dabei war Bergs geheime uralte Vorgeschichte auszuplaudern. Bernardette forderte: "Los Korthaus, raus damit." Korthaus sagte nichts. Sie mochte drängen wie sie wollte, nichts. Schliesslich wandte sich Bernardette an Nanamurti und meinte:" Was sagen sie dazu. Das ist doch nicht mehr altersgemäss ?" Nanamurti lächelte. Überhaupt lächelte er relativ häufig, ganz seiner milde-weisen Grundhaltung entsprechend. Bernardette fragte Berg:" Ihre Geschichte erzählt etwas vom völlig belebten Kosmos, ist das so ?" Berg lächelte und erwiderte:"Es geht in die Richtung, aber neben den belebten Uhren sind auch unbelebte Gebäude denkbar. Vielleicht wird der Gegensatz zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten benötigt zum Leben, das heisst zu unserem Leben." Zu Nanamurti gewandt stellte er die Frage:" Brauchen wir diesen Gegensatz ?" Nanamurti sagte:" Es sieht so aus. Aber es könnte auch beides zutreffen: es gibt diesen Gegensatz, denn sie denken ja mit ihm, und es gibt ihn nicht, denn ein kosmisches Bewusstsein durchdringt alles. Ob sie es Leben oder Nichtleben nennen ist dann gleichgültig. Es sind Grade des Bewusstseins." Korthaus war diese Gedankenführung vertraut. Er meinte nun:" Das versuche ich seit Jahren: Dass Beides trifft und nicht trifft. Das Ich, welches alles ist und zugleich nicht ist. Es liefe auch auf ein kosmisches Bewusstsein hinaus, wenn nicht das Ich seine Selbstdefinition notwendig brauchte. Denn indem ich "Ich" sage, sehe ich mich umgeben von einer Welt der Objekte, die sosehr Ich als auch Nichtich sind." Nanamurti sprach darauf:" Wenn sie erlauben, möchte ich das in meine Welt übersetzen: Das grosse Wandern, der Sansara ist kosmisches Bewusstsein, welches sich erfährt indem es im Erleuchteten erlischt. Es ist, in ihrer Sprache, sosehr Sein als Nichtsein, da es wird, indem es verlischt." Bernardette hatte ihren Platz verlassen und sah von der Reeling hinaus auf das sternenübersäate Bild über schwarzem Grund. Sie wandte sich den andern zu und meinte:" Das haben wir schon einmal gehabt, alles in den Händen, alles zerronnen, ein Aufblitzen des Gewussten und dessen Auflösung und Verschwinden." Darauf sagten die anderen nichts mehr. Sie schwiegen, - lange. Der Zeppelin näherte sich in den nächsten Tagen der brasilianischen Küste. In der Nähe von Cayenne in Französisch-Guyana hatte Berg einen Platz vorbereiten lassen, an dem der Zeppelin landen und mit Nachschub versorgt werden konnte. Bis es soweit war kam es zwischen Berg und Nanamurti zu einigen Gesprächen, die sie in dem hinteren Teil des Zeppelins in einem Bibliotheksraum führten, wo sie ungestört unter vier Augen sprechen konnten. Eines dieser Gespräche begann damit dass Berg fragte: "Können sie mir helfen ? Ich versuche Tun und Ruhe in ein Gleichgewicht zu bringen, Impulse zu geben, die unsere Kultur aus ihrem Abwärtsgleiten auffangen. Ich denke, dass Indien den Schlüssel hat. Sagen wir, ich dachte es." Nanamurti sah ihn an und antwortete:" Sie sprechen von mehreren Dingen gleichzeitig. Wenn sie den Menschen verändern wollen um das Ganze zu ändern, dann sehe ich schon Impulse, die Indien geben kann. Wenn sie eine andere Politik anstreben, dann bin ich ratlos." Einen Tag nach diesem Gespräch schwebte der Zeppelin auf den Landeplatz bei Cayenne zu. Einige hundert Leute waren gekommen um den riesigen Zeppelin zu sehen, der gerade über den ganzen Atlantik geflogen war. Berg fuhr mit einigen Leuten aus der Zeppelinmannschaft in die Stadt um Besorgungen zu machen. Nanamurti begab sich zu einer buddhistischen Gruppe, die in Französisch- Guyana lebte. Korthaus und Bernardette fuhren zum Strand. Dort konnten sie dem Trubel entfliehen und ihre Gedanken weiter verfolgen. Korthaus sagte zu Bernardette:" Berg ist ziemlich unruhig. Ich glaube die Gespräche mit Nanamurti wühlen ihn auf. Ich kenne ihn so gar nicht." Bernardette meinte:" Er will etwas mitteilen, was er selbst weiss, aber nicht so weiss, dass er es mitteilen könnte. Nanamurti hat damit gar kein Problem. Er lebt was er denkt und weiss, dass es gesehen wird." Bernardette fragte:" Berg reicht das Vorbild sein nicht ?" Korthaus erwiderte:" Das wundert mich auch nicht. Wir müssen ständig auf uns aufmerksam machen um gesehen zu werden. Europa ist furchtbar laut. Ohne eine mächtige Stimme werden sie nicht gehört. Nanamurti ist ganz anders. Er ist nicht uninteressiert, ob man ihn hört, aber er ist fest überzeugt, dass die leisen Begeben- heiten die Welt bewegen." "Und sie ?", fragte Bernardette. Korthaus antwortete:" Ich bin nicht mehr so sehr in mir wie vor einigen Jahren. Damals stellte sich die Frage gar nicht, ob es etwas für andere zu tun gäbe. Alles ist Ich, damit ist alles gesagt." "Und heute stehen sie woanders ?" Korthaus erwiderte:" Freiheit und Kunst haben eins gemeinsam, sie vertragen keine Standplätze. Aber wo finden Sie sich in diesen merkwürdigen Bildern einer zerrissenen Welt ?" Bernardette meinte: " Ich beobachte alles ganz genau. Diese vielen Rätsel sind wie der Sand und das Meer, unergründlich und zauberhaft." "Sehn sie, da fällt mir Rilke ein, ein Satz aus seinen grossen Elegien:" Dann, wie verbärg ich mich gern vor der Sehnsucht: O wär ich, wär ich ein Knabe und dürft es noch werden und sässe in die künftigen Arme gestützt und läse von Simson, wie seine Mutter erst nichts und dann alles gebar."" Bernardette drückte Korthaus einen Kuss auf die Wange und sprach: "Ich habe sie verstanden. Sie sind unschlagbar in ihrer Art unsichtbare Komplimente zu machen." Sie schlenderten am Strand entlang. "Der Gegensatz kann grösser nicht sein, Berg und Nanamurti", sagte Bernardette. "Ja", meinte Korthaus,:" Berg ist durch und durch ein Mensch der Tat." Die beiden setzten sich in den Sand und sahen den Vögeln zu, die sich auf einem Felsen im Wasser niederliessen zu hunderten. "Wie selbstverständlich sie zusammen leben", sprach Bernardette,:" keine Kriege, keine Bosheit, keine Gewalt." "Und wir können nichts von ihnen wirklich lernen, nur zusehen", meinte Korthaus." Etwas später gingen die Zwei zum Zeppelin zurück. Dort erwartete sie eine Überraschung. Ein grosser Hubschrauber war gerade dabei zu starten. Ein Pilot des Zeppelins ging auf Korthaus und Bernardette zu und sagte:" Berg fliegt weg, er will zu seiner Siedlung Kerimdart in Äthiopien. Er möchte, dass Sie mit Nanamurti im Zeppelin weiterfliegen zum Tuamotu Archipel. Er kommt auch dorthin, sobald er kann." Korthaus sah Bernardette an, diese sah Korthaus an. Dann bestiegen die beiden mit dem Piloten den Zeppelin. Kaum waren sie im Kommandoraum des Zeppelins angelangt, kam der Kapitän des Luftschiffs herein, gab die Anweisungen zum Start und wandte sich dann den Beiden zu: " Wir überfliegen in den nächsten zwei Tagen Brasilien, gelangen danach zu den Anden, steigen dann auf sechs- tausend Meter Höhe, überfliegen das Gebirge und schweben danach über den Pazifik. In acht Tagen etwa erreichen wir die Tuamotu Inseln. Berg will bald danach auch dort hinkommen." Der Zeppelin stieg auf und nahm Kurs in Richtung Pazifik. Korthaus wurde nervös. Er sprach zu Bernardette: "Berg braucht mich, ich fliege ihm nach. Sagen sie Nanamurti, dass ich auch zu den Tuamotus nachkomme." Bernardette fragte:" Ich fliege mit Nanamurti weiter ?" "Ja, tun sie das." Korthaus liess sich zum Funker bringen und einen Hubschrauber bestellen. Einige Stunden später war der Hubschrauber da. Er flog über den Zeppelin. Korthaus wartete oben auf der Plattform des Zeppelins. Ein Tragestuhl wurde an einem Seil herabgelassen und bald war Korthaus mit dem Hubschrauber unterwegs nach Äthiopien. Das Gelände auf dem Bergs Siedlung lag wurde nach 12 Stunden erreicht. Korthaus sah aus der Luft bereits, welche Probleme dort anstanden. Eine Division Infanterie und leichte Artillerie hatte das Gelände umstellt. Korthaus liess einen Funkspruch absetzen, der zum Regierungssitz des Französischen Präsidenten gesendet wurde. Von dort aus wurden kurz darauf Befehle an eine Luftlandeeinheit der Franzosen in den Tschad gesendet. Die Folge war, dass dort eine schnelle Eingreifeinheit in die Luft gebracht wurde, die nach Äthiopien abflog. Erst jetzt landete Korthaus neben dem Hauptgebäudekomplex der Siedlung. Dort traf er auf Berg. Dieser empfing ihn:" Gut, dass sie kommen, wir sind völlig von der Umwelt abgeschnitten, wir können uns nicht mit Erfolg verteidigen. Wir haben hier nur ein halbes Batallion." "Dachte ich mir. Als wir per Funk nicht mehr zu ihnen durchkamen, wussten wir, dass man sie isoliert hat. Was ist hier los?" Berg berichtete:" Sie wissen, dass wir hier eine Menge Flüchtlinge aufnehmen. Vor einigen Tagen kam ein führender Oppositionspolitiker aus dem Sudan an. Die Äthopier haben der Regierung geholfen und wollen ihn hier rausholen. Wir geben ihn nicht raus. Was haben sie gemacht ?" Korthaus berichtete von seinem Funkspruch nach Paris. Bergs Gesicht hellte sich auf und er sagte: "Das ist hervorragend, dann ist der Spuk hier bald vorbei." So kam es also, dass am gleichen Abend einige Jets über das Gelände fegten und im Tiefflug den Belagerern offensichtlich Angst und Schrecken einflössten. Die Nacht verlief ruhig. Im Morgengrauen waren Bomben- einschläge an der Grenze des Geländes zu hören. Unmittelbar danach landeten Fallschirmjäger auf dem Gelände. Gegen mittag segelten riesige Lastfallschirme herab, die Panzerfahrzeuge und Kanonen abluden. Es kam aber nicht zu irgendwelchen Gefechten, sondern die Belagerer zogen sich zurück. Aus der Luft waren zwei Fahrzeugkolonnen zu sehen. Korthaus und Berg sahen mit ihren Feldstechern den Abzug der Division. Berg sprach: "Ich dachte mir, dass auf Paris Verlass ist, aber ohne ihre Hilfe wäre es schwierig geworden. Kein Funkspruch kam nach draussen." Korthaus meinte:" Wie lange werden wir noch bleiben ?" Berg antwortete:" Ich denke in zwei drei Tagen sind wir hier entbehrlich. Wir fliegen zunächst nach Paris und dann so schnell wie möglich zu den Tuamotus. Aber wissen sie, das ist wieder so ein Ereignis, dass mich fragen lässt, wie die Indische Philosophie uns helfen kann. Ist das alles gewaltfrei zu lösen. Oder ist das vielleicht als Nichttun zu schaffen ?" Korthaus sagte nichts. Während Korthaus und Berg zunächst nach Paris flogen, den Französischen Präsidenten besuchten, anschliessend einen Überschallbomber der französischen Armee bestiegen und Richtung Brasilien flogen, befand sich der Zeppelin mit Bernardette und Nanamurti auf dem Weg zu den Tuamontu Inseln im Pazifik. Bernardette hatte Nanamurti nach einigen Mühen dazu bewegen können im Diskosaal des Zeppelins mit ihr Salsa und Tango tanzen zu lernen. Als er einigermassen damit zurecht kam, fing es an ihn zu begeistern. Einige Leute der Zeppelinmannschaft machten mit. Die rhythmischen Klänge beherrschten den Zeppelin und ausgelassen wurde getanzt und gefeiert. Die unmittel- bare Wirkung auf Nanamurti war, dass er während seiner Meditationen darüber nachdachte, dass das Leben trotz allen Leidens begehrenswert war. Er versuchte seine Philosophie diesen neuen Gefühlen anzupassen. Korthaus war im Flugzeug still geworden. Auch Berg sann darüber nach wie das turbulente Leben mit der Stille eines immer tiefer gehenden Abschaltens der inneren Unruhe zu vereinbaren war. Irgendwann sprach er zu Korthaus: "Ich glaube, ich habe die Inder missverstanden. Es geht gar nicht um etwas ausserhalb der Lebensspanne. Es scheint um eine Art innerer Gestaltung zu gehen, denn die Ruhe ist farbig. Man tritt in ihr ein in ein anderes Gefühl von Aktivität." Korthaus meinte:" Sie haben recht, ich empfinde das ebenso. Welche Auswirkungen wird es auf unsere Pläne haben ?" Berg erwiderte:" Wir sehen es immer von der Seite der Tat, weil unsere Welt eine der Objekte ist, die wir komponieren und verändern. Aber es gibt auch ein Verändert-werden. Ich habe den Gedanken, dass überall Lebenskräfte wirksam sind, nicht als Gefühl einer Erfahrung gesehen und gespürt, sondern als Idee, die mein Tun so belässt wie es ist: Ein Tun an Objekten, Produktion. Ich ahne, dass es auch ein Tun von aussen her gibt, in dem wir mitschwimmen." "Auflösung des Ichs ?", fragte Korthaus. "Vielleicht, aber es ist nicht dingfest zu machen." Korthaus meinte:" Sie wissen, dass ich da nicht zustimmen kann. Das aufgelöste Ich wäre eine Unfühlbarkeit des Lebens, es ist unentbehrlich. Aber ich denke man kann sich als Gefühl der Auflösung empfinden, ein zeitloser Augen- blick, der ohne Mittelpunkt zu sein scheint." Berg antwortete:" Nun, wie es sei, es ist irgendwie ähnlich mit meinen Erfahrungen, wie Sie sehen. Wir haben vielleicht nur eine andere Sprache. Würden sie mir zustimmen, dass wir einen Mangel produzieren in unserer Kultur, der sich als fehlender Abstand zum definierten Interieur der objektiven Welt beschreiben lässt ?" Korthaus nickte zustimmend und meinte:" Es gleicht vielleicht einer verkehrten Atmung: Man atmet ein und nicht genug aus. Es ist wie bei den Asthmatikern, eine Oberatmung mit ständig zu sehr gefüllten Lungen." "Das ist ein gutes Bild", meinte Korthaus. Als der grosse Überschallbomber sich den Tuamotus näherte, zogen Berg und Korthaus die Fallschirme an. Der Pilot drosselte die Geschwindigkeit so weit es die Maschine zuliess und überflog in eintausend Metern Höhe den Archipel. Auf der Hauptinsel sahen die Beiden ein atemberaubendes Bild. Die Eingeborenen machten nahe des flachen Strandes im Mittagslicht einen Blumentanz. Ein farbiges wogendes Blumenmeer bildete Kreise und Schlangenlinien und schloss dann wieder rhytmisch die Linien zu einer runden Fläche. Berg und Korthaus sprangen ab, landeten nahe der Haupt- insel im Wasser, gehalten von automatisch sich aufpumpen- den Reifen. Sie warfen die Gurte ab, lösten sich von den Ringen und schwammen zur Küste. Sie mussten nicht weit schwimmen, da bereits nach wenigen Metern das Wasser seicht wurde. Sie kamen in der Nähe der Tänzer an. Einige Mädchen liefen auf sie zu, und während sie weiter sich rhytmisch bewegten und sangen, halfen sie den Beiden dabei die nassen Oberkleider abzuwerfen. Sie mussten mit- tanzen, was sie auch taten, soweit es ihre abgekühlten Glieder zuliessen. Dann sahen sie in der Mitte eine sitzende Person: Nanamurti. Er meditierte im Lotussitz inmitten der Tänzer, denen es Spass machte ihn als ruhenden Pol in ihre Figuren einzubeziehen. Er sah verzaubert aus, schien zu strahlen und entrückt zu empfinden. Als die Sonne unterging und die Palmen am Strand mit ihren schwarzen Silhouetten den farbigen Himmel bizzar zeichneten, sassen die Insulaner und die vier Besucher an einer blumen- geschmückten Tafel und unterhielten sich mit dem Häuptling Kugatarein. Er sprach:" Was wollt ihr von uns lernen ? Bisher haben wir von euch gelernt: Wasser zu bevorraten, Fisch zu konsvieren. Das ist sehr wichtig für uns wenn wir Hungerszeit haben." Nanamurti antworete:" Wir sind immer auf der Suche. aber was wir suchen,- das ist auch etwas das wir suchen." Kugatarein antwortete:" Nun, bei uns gibt es Fische, Meeres- tiere, Kanubau. Das können wir euch zeigen." Bernardette schaltete sich ein:" Ihr habt die ungefesselte Freude, die Liebe. die Freiheit." " Und das alles habt ihr nicht ?", fragte Kugatarein. Berg hörte sich alles an, sah Korthaus an, dieser sah zu Berg, sagte aber nichts. Bernardette wandte sich an Korthaus und sprach:" Sie haben doch von der Arbeit gesprochen, mit der wir zu Hause auch eine Art Liebe zeigen." Korthaus antwortete:"Gewiss, es ist nur als Zuneigung zu erklären, warum wir in den Berufen auf- gehen, den andern helfen und das komplizierte Europa immer neu erhalten und weiterbringen." Berg sagte nun: "Vielleicht ist es der ästhetische Trieb." Nanamurti war plötzlich sehr unruhig geworden. Er sprach:" Das Karma !" Die Andern sahen ihn fragend an. Nanamurti stand auf, hob die Hand zum Gruss und ging weg. Nach einer Weile des Schweigens rief Kugatarein seine Frau und bat sie etwas zu Essen zu bringen. Das Gespräch nahm nun eine Wendung ins Praktische. Korthaus wollte den Kanu- bau beobachten, und Bernadette erzählte von der Zeppelin- fahrt über das Meer. Nanamurti ging in den nächsten Tagen viel allein am Strand spazieren. Er wurde selten im Lotussitz gesehen. Es schien als ob grundlegende Veränderungen in ihm vorgingen. An einem Morgen sprach er mit Kugaratein allein. Sie sassen abseits von den andern unter einer Palme. Kugaratein sprach:" Ich habe viel von euch gehört, den Buddhisten, den Hindus. Wir haben auch unsere Träume, aber einige von uns denken, es gibt nur eine Lichtkugel, in der wir Mittelpunkt sind, und die Zeit, Jugend und Altern sind darin ein Traum." Nanamurti erwiderte:" Hier, eure immer sonnige Welt gibt mir Rätsel auf. Niemand will ihr entfliehen, sogar ich fange an zu verweilen und zu be- trachten." Kugaratein meinte:" Könnte es nicht sein, dass wir beide etwas lernen vom andern ?" Nanamurti nickte bestätigend. Dann sahen sie beide hinaus auf das völlig geglättete Meer, jeder auf seine Weise. An einem dieser Sonnentage gingen Berg und Korthaus am Strand der Insel entlang. Sie wollten allein unter vier Augen sprechen. Korthaus meinte:" Es wäre viel gewonnen, wenn wir etwas von der Unbeschwertheit dieser Bewohner nach Hause bringen könnten. Unsere Strassen und Schulen leeren sich, man besitzt viel Komfort und ist doch verschlossen gegenüber allem. Hier ist überall Mangel, aber sie haben muntere Kinder, Musik und Tanz." Berg fragte: " Haben Sie eine Idee, wie Sie das machen wollen? " Korthaus antwortete: " Der Mensch neigt zur Nachahmung. Es müsste dieses Leben bei uns in umgewandelten Formen vorgemacht werden. Ich denke an eine künstlerische Unternehmung, aber ausserhalb der Theater, eine Kunst, die als Realität auftritt." Berg fragte: " Meinen Sie eine artifizielle Subkultur" Korthaus: " Ja.- Damit ist die Form umrissen. Aber die Inhalte...Ich bin noch völlig im Schwimmen." Berg meinte: " Aber Korthaus, das haben wir doch auf dem Mars versucht. Was ist daraus geworden ?." Korthaus tat etwas beleidigt: " Das fragen Sie ? Der Mars ist in aller Bewusstsein getreten, einer Hysterie gleich wollten alle Mars zum kommen." " Ja, ja, entschuldigen Sie, es ist wahr. - Sie werden sich wundern. In letzter Zeit, dass heisst seit wir mit dem Zeppelin unterwegs sind, denke ich oft wie Sie: `In unsichtbaren Angeln dreht sich die Welt`." Nun war Korthaus sehr überrascht: " Also doch die langatmige Schiene und nicht der Frontal- angriff wie in Wagram ?" "Das ist kein Gegensatz, mein Freund". Berg verwendete diese Anrede selten. Es war ihm also wichtig das Kommemde zu betonen: " Wir können meist nur mit völligem Einsatz den Anfang machen. Der Anfang ist das Schwerste." "Ich weiss". Berg sprach weiter: " Aber wir haben es hier mit den grundlegenden Strömungen der Natur zu tun. Wir müssen die Basis angreifen, die Basis, die echte Basis ! Und dann brauchen wir eine Menge Zeit." "Eine Menge Zeit ? Sie überraschen mich. Ihre Schlachten waren immer schnell geschlagen", meinte Korthaus, und es war als Kompliment gemeint. Berg fuhr fort: "Ich habe in der Nachahmung auch das Potential erkannt, ebenso wie Sie, aber in einer Art geistiger Nachahmung, ein paralleles Denken." "Und wie lange Zeit brauchen wir ?", fragte Korthaus. "Wesentlich länger als wir leben" Korthaus guckte sehr ver- dattert. Berg fuhr fort: "Wie lang dauert ein Protonenleben ? Es ist eine Zahl mit 72 Nullen. Von solchen Generationen einige Trillionen." Korthaus wusste nicht was das sollte. Er fragte einfach: "Ich bin einiges gewöhnt, aber bitte was soll das werden ?" Berg war etwas amüsiert. Er sprach: "Ich hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken, furchtbar viel Zeit. Die Veränderungen brauchen aber auch furchtbar viele Wieder- holungen. Kommen Sie, wir suchen einen schattigen Platz, setzen uns und ich versuche mich deutlicher zu machen." Die Beiden setzten sich unter eine Palme und Berg begann: " Sie gehen von einem Ich aus welches alles ist, so ist es doch ?" Korthaus bejahte. Berg fuhr fort: "Ich gehe versuchsweise vom, sagen wir Gegenteil aus. Es gibt keinen einzigen Zusammenhang im Kosmos, alles ist erstmal mühsam erworben, hergestellt, gewachsen, produziert. Deshalb gibt es auch nichts Einfaches, in dem Sinn, dass es ohne diese Bemühungen des Wachsens und Produzierens da sein könnte. In letzter Konsequenz ist deshalb alles so komplex wie ein Lebewesen, mit den gleichen Aufgaben des Überlebens. Auch ein einfaches Teil, ein Molekül, ein Elektron, sogar ein Quarck sind in diesem Sinne Lebewesen." Korthaus meinte: " Ja, ich kenne diese Überlegungen." Berg fuhr fort: " Das ist der Punkt, wo meine Gedanken die Ihrigen streifen. Denn ein universales Ich hätte ja ebenso überall die gleichen Aufgaben zu lösen." Korthaus nickte zustimmend. Berg fuhr fort: " Die kleinsten dieser Lebewesen bauen grössere auf. Der Zellverband der vielzelligen Lebewesen zeigt das unüber- sehbar. Aber es gibt auch die Steuerung von oben. Kein Organismus wäre lebensfähig, wenn er nicht von oben gesteuert etwa lebensbedrohenden Gefahren ausweichen würde. Also gibt es auch ein Lernen in beide Richtungen." Nun unterbrach Korthaus:" Das ist genial, Sie müssen deshalb bis ins Kleinste hinab und ins Grösste hinauf mit dem Lernen und der Veränderung der Welt, damit es funktioniert." Berg lachte, klopfte Korthaus erleichtert auf die Schulter und meinte: "Sie haben mir ein halbes Referat erspart, so ist es." Die Beiden erhoben sich und gingen in Richtung des Dorfs zurück, in dem sie wohnten. Aber der philosophische Frieden währte nicht lange. Korthaus meinte: " Sie haben etwas Wichtiges ausser acht gelassen!" " So ?", meinte Berg. Korthaus: " Es sind nur Modelle, aus denen Sie die Art und Weise des Lernens ableiten. Und wenn es nun Täuschungen sind ? Und wenn es nun nur Ihr Ich selbst ist, welches Ihnen die ganze Stufenleiter der Lebewesen vorspielt ?" Berg war heute nicht zu erschüttern. Er meinte gutgelaunt: " Wer weiss, vielleicht sind Sie näher dran als ich. Und wir werden auch nie erfahren, wer gewinnt." "Stop !", sagte Korthaus:" Das ist zu weit, wenn sie so reden sind wir wieder in Ihrer Welt. Aber wenn sie hier in diesem Augenblick in diesem Ich verbleiben, werden wir es sehr wohl erfahren." Berg lachte: " Was halten Sie von einem kleinen Imbiss ?" Korthaus stimmte zu:" Das ist eine gute Idee." Unterdessen hatte Bernardette mit Nanamurti und Kugarein ein Gespräch geführt. Bernardette waren die philosophischen Gedanken von Berg und Korthaus vertraut. Sie konnte deshalb den beiden Gesprächspartnern erläutern worum es Berg und Korthaus ging. Nanamurti antwortete darauf: " Ich sehe, sie wollen beide die Welt erklären, aber sie kann nicht erklärt werden." Nun sagte Kugatarein: " Diese Unterscheidung in Objekte und Subjekte fällt mir schwer, ich habe es nicht verstanden. Vielleicht kann Nanamurti dazu etwas sagen." Der Angesprochene meinte: " Vielleicht ist es leichter, wenn wir von einer einzigen Ansicht aus die Dinge betrachten. Der Geist ist in allem wirksam. Aber es ist nicht ein einzelnes Ding, welches Bewusstsein hat, sondern es sind unzählbare Geister. Sie sind insofern eines, weil sie miteinander sich verständigen. Wenn sie ihren Lebenskreis durchschritten haben, lösen sie sich auf. Die Auflösung geschieht aber in jedem Augenblick. Wer diese in sich gewähren lässt, wird frei. Er tritt ein ins Nirvana." Nun sagte Bernardette: " Nimmt er damit sein Alter vorweg, lebt er im Nichtleben ?" Nanamurti antwortete: " Das ist nicht erklärbar, aber mit dem Alter hat es nichts zu tun, auch wenn wir von `alter Seele' sprechen. Es ist die gereifte Seele, die ins Verlöschen eingeht. Sie kann in einem jungen Menschen ebenso sein wie in einem Alten. Es sind in dieser Sicht der Welt Objekte und Subjekte nichts Ver- schiedenes. Das Ich, welches sich nicht auflösen will, wird zum Ding." Kugaratein sagte: "Wir sehen es ähnlich, wir werden dinggleich, wenn wir erstarren. Und das ist was wir ein leidendes Ich nennen." Nanamurti antwortete: " Es könnte so sein. Das Ich ist der Knoten, der zu lösen ist." In den folgenden Tagen kamen die fünf philosophierenden Freunde häufig zusammen. Die Gespräche verliefen in wechseln- der Zusammensetzung der Beteiligten. Deshalb wurden die unterschiedlichen theoretischen Ansätze miteinander konfron- tiert, und die Aufgaben wegen deren Lösung sie Reise nach Indien begonnen war, wurden bereits auf diesen Inseln auf- gegriffen. Berg und Bernardette waren nach einem Mittagessen im Garten Kugatareins als einzige sitzen geblieben. Berg sprach Bernardette an:" Was halten sie von Nanamurtis Ansicht über das Ich." Bernardette antwortete: " Es ist ein psychologischer Ansatz. Er möchte das Ich auf- lösen, damit es seiner Neurose entgeht. Aber Korthaus Begriff vom Ich ist nicht psychologisch." Berg meinte : " So ist es, und genau da hängen wir fest. Korthaus Ich ist objektiv, aber es erscheint als pychologisches Problem. Nanamurtis Ich ist psychologisch, aber es erscheint als objektiv und Bestandteil des objektiven Buddhismus. Es ist alles umgekehrt." "Aber repräsentiert Nanamurti den Buddhismus", fragte Bernardette". " Eine Fraktion davon bestimmt. Sehen Sie, deshalb müssen wir nach Indien." Bernardette fuhr am andern Morgen mit Kugatarein hinaus aufs Meer um Krabben zu fischen und Gespräche zu führen. Der Ozean war glatt und still wie eine Spiegelfläche. Die Atolle der Inselgruppe lagen gleich grünen Ringen darin. Bernardette sass mit Kugatarein und zwei Ruderern in einem zweirumpfigen Katamaran. Das Segel war eingerollt, da kein Wind sich regte. Kugatarein sprach:" Ich denke sie verstehen als Frau mehr von der Welt unserer Inseln." "Warum ?", fragte Bernardette. " Sie leben nicht so sehr in der Spaltung der Gedanken. Objekte, Subjekte, Leben, Wiederkehr und wie sie alle heissen." Bernardette antwortete:" Ja, so ist es, ich geniesse diese Welt und habe keinen Grund über Leben, Wiederkehr und solche Gedanken ins Grübeln zu kommen." Kugatarein meinte:" Unsere Frauen sind genauso. Sie lassen uns Männer über defekte Boote nachdenken, über Holzmangel undsoweiter." Dabei lächelte er, denn seine Beispiele waren wohl bewusst so schlicht gewählt, denn er sprach nun weiter:" Seit wir zum ersten Mal von den indischen Yogis gehört haben, denken wir darüber nach, wo dieser paradisische Zustand "Nirvana" zu finden ist. Einige von uns meinen, er sei längst erreicht. Andere aber glauben es gäbe eine Welt ohne Trauer, Tod und Sehnsucht. Aber wir bringen es nicht zusammen, es bleiben diese Widersprüche alle ungelöst." Bernardette sagte dazu:" Ich verstehe die Inder nicht. Manchmal, wenn es mir sehr schlecht geht, möchte ich leer sein, nichts denken, nichts fühlen. Das Leben hier steht mir sehr viel näher. Ihr nehmt alles hin und freut euch über jede Regung des Meeres, des Himmels und eurer Tänze. Es ist eine tiefe Leichtigkeit und zugleich unendlich traurig." "Traurig ?", fragte Kugatarein ? Bernardette antwortete: " Ich denke nicht, dass ihr traurig seid. Es ist etwas in mir selbst. Vielleicht habe ich es mitgebracht und werde nicht davon loskomen. Die Melancholie kann so schön sein." Bernardette hatte am anderen Mittag mit Nanamurti jene Palme aufgesucht unter der sie oft sassen. Sie sprach von ihrer Sehnsucht und der Trauer in allen Dingen. Nanamurti sprach:" Es gibt ein kleines Volk, dass sich tief in alle diese Gefühle versenken kann. Sie leben im Indischen Meer auf einer Insel, die von den Vorbuddhisten bewohnt wird. Wir nennen sie auch die Feuerschürer." Bernardette hörte aufmerksam zu. Nanamurti sprach weiter: " Sie sind den Menschen dieser Inseln sehr ähnlich. Sie lieben sich, so viel sie können. Sie sind Meister der Extase und der Trauer. Wenn sie müde werden fahren sie in einem Boot zum Ganges, gehen an Land und sehen in den Fluss bis sie vergehen." Bernardette fragte: " Sie wollen nicht dem Leiden entgehen wie die Buddhisten ?" Nanamurti antwortete:" Sie bejahen es als Tal zwischen den Höhepunkten." Bernardette gefiel, was Nanamurti erzählte. Sie fragte ihn:" Können wir diese Insel besuchen ?" "Vielleicht, wenn wir sie finden. Manche in meiner Heimat sagen, sie wäre eine Phantasie, sie wäre nicht wirklich." "Was denkst du ?" Nanamurti antwortete: " Es ist merkwürdig, dass sie bis heute nicht entdeckt wurde. Phantasie und Wirklichkeit sind eins. Ihr Europäer macht viele Unterscheidungen und behandelt sie wie völlig verschiedene Dinge." Bernardette fragte: " Kann es sein, dass diese Insel eine Phantasie ist." "Es ist schwierig, dazu ja oder Nein zu sagen, denn die Phantasie ist für uns eine höhere Wirklichkeit." Bernardette staunte und dachte nach. Dann war ihr etwas klar geworden. Sie sprach: " Meine Sehnsucht erscheint mir oft wirklicher als alles Wirkliche. Ob das verwandt ist mit der Phantasie, eine höhere Wirklichkeit ?" Nanamurti schwieg und sagte dazu nichts. Am Abend sassen die Beiden noch immer unter der Palme. Bernardette wartete bis Nanamurti wieder sprach: " Ich verstehe Dich. Der Sansara ist das Grosse Wandern nicht nur durch die Welt der Dinge und Gewohnheiten. Es ist ein Wandern alles Gedachten, Gefühlten und Ersehnten. Alles in ihm wandelt sich. Was gestern noch Traum war, ist morgen bereits eine neue Welt und übermorgen verweht, den Wolkenburgen gleich, die uns besuchen." Bernardette war zutiefst von diesen Worten gerührt. Sie umarmte ihn, drückte sich an ihn mit all dem Wissen der Vergänglichkeit jeder Regung. Nanamurti aber strich sanft durch ihr Haar, nahm sein Gesicht zurück und sah sie an, Wissender die Wissende. Nanamurti wandte sich von ihr ab und ging entschlossen den Strand südwärts hinab. Bernardette spürte, dass er allein sein wollte. Sie war ratlos, setzte sich in den Sand, umschloss mit ihren Armen die heran gezogenen Knie, legte ihren Kopf auf ihre Beine und sammelte sich. Korthaus sah sie dort sitzen. Er blieb in grossem Abstand stehen und wartete. Bernadette bemerkte ihn nach einer Weile. Sie sprach:"Will er so kalt werden, dass er tot ist ?", sie meinte Nanamurti. Korthaus sagte nichts. Bernardette sprach wie zu sich selbst weiter:" Was will er sein. Ich begreif es nicht." Korthaus schritt auf sie zu und fragte: " Kommen Sie mit zum Fischebraten ?" Er hatte mit Bedacht diesen Wechsel ins Naheliegende vollzogen. Es wirkte bei ihr und löste sie aus ihrem Gedankenkreis. Sie stand auf und ging auf Korthaus zu:" Gern, gehen wir". Die trance- ähnliche Starre fiel von ihr ab. In den folgenden Tagen besprachen die Freunde in unterschied- lichen Gesprächsgruppen das bisher Erlebte. Eines Abends bat Berg Korthaus zu einem Spaziergang in der Dämmerung am Strand. Als sie bald darauf unter den Silhouetten der Palmen den Strand entlang schritten, sagte Berg: " Kommt Ihnen nicht alles bekannt vor, was hier sich abspielt ?" Korthaus fragte: " Ich verstehe Sie nicht, was meinen Sie damit ?" Berg antwortete: "Wir waren schon einmal an dem Punkt, wo eine einzige Antwort möglich schien, eine Weltformel." Korthaus ergänzte:" Und die wir als Trugschluss erkannten. - Sie sagten, es gibt keine Singularität, nirgendwo." "Ja, so wars. Mitlerweile dämmert mir, dass es auch keine negative Singularität gibt." Korthaus blieb stehen, sah Berg an und sprach: "Sie meinen, es gibt auch keine durchgehende Nichtbestimmt- heit, kein durchgehendes Chaos, keine durchgängige Nichtidentät." Berg erwiderte: "Und auch keine universale Oszillation." Korthaus widersprach: " Da stimmt etwas nicht. Wenn Sie das Nichtidentische hinzu- nehmen, so ist es falsch, denn wenn alles ist und nicht ist, so ist es nichtidentisch, negativ aber nicht bestimmbar." Berg stimmte zu:" Sie haben recht, Nichtidentisch ist keine negative Singulariät sondern lässt alles offen, sogar Bestimmbares." Sie gingen weiter. Korthaus nahm das Gespräch wieder auf und meinte:" Wie wird Nanamurti das aufnehmen ? Kann er das mit dem Nirvana in Einklang bringen ?" Berg meinte:" Ich weiss es so wenig wie Sie." Nach eine Weile sagte Korthaus:" Was machen wir damit ?" Berg sprach: " Wir machen weiter. Es ist auch völlig gleichgültig was dabei herauskommt. Wir müssen sowieso weitermachen." "Wie die Künstler, die nichts anderes können ?", fragte Korthaus. Berg meinte: " Ja, genau so." An einem Morgen nach einer Tanznacht war die Stunde des Abschieds von den Inseln gekommen. Der Zeppelin war mit Helium und allen Versorgungsgütern ausgestattet worden. Er stand einige Meter über dem Boden, befestigt an einem stabilen Mast. Korthaus, Berg, Nanamurti und Bernardette klettern als letzte die Strickleiter hoch. Bald darauf stieg der Zeppelin in die Höhe. Die Mannschaft war ausgelassen und sonnengebräunt. Als sie in dreitausend Metern Höhe mit Kurs auf Australien waren, kam es in dem Arbeitszimmer von Berg zu einem Gespräch zwischen den vier Freunden. Nanamurti begann:" Ich bin in Zweifel gekommen, ob der Buddha das alles gesagt hat, was uns überliefert worden ist. Wenn die Welt so wäre, wie diese Inseln, wozu müssten wir dem Leiden endgültig entgehen ?" Die drei Anderen waren sehr erstaunt und schwiegen erst einmal. Sie hatten damit nicht gerechnet. Nananurti sprach weiter:" Die Leute der Inseln haben für den Tod nicht viel Aufmerksamkeit. Es ist so, als ob es ihn nicht gäbe. Deshalb habe ich darüber nachgedacht und gefunden, dass Buddha nicht den Tod gemeint hat, als er das Nirvana fand." Bernardette sprach nun: " Die Leuten hier leben, als ob sie Epikurs Schüler gewesen wären. Aber sie leben einfach so, es ist ihnen im Blut." Berg schaltete sich ein und sagte: "Es ist also ein Bewusstsein gemeint mit dem Nirvana, und das Verlöschen ist ein Missverständnis." Nanamurti antwortete:" Das ist mein grösstes Problem dabei. Wie soll man das Verlöschen verstehen ?" In dieser Weise besprachen die vier das bisher Gedachte und die Erlebnbisse auf den Inseln. Berg beschloss das Gespräch mit dem Satz:" Wir reisen nach Indien und suchen weiter." Der grosse Zeppelin zog gleichmässig in dreitausend Metern Höhe über den Pazifik, Tag und Nacht ohne von widriger Witterung gestört zu werden. Berg war von den Fragen im Zusammenhang mit dem Buddhismus so tief eingefangen, dass er sich stundenlang in sein Büro zurückzog, besonders wenn er mit Nanamurti gesprochen hatte. An einem jener Abende lud er Korthaus in sein Büro ein um mit ihm ein Problem zu erörten. "Sehen sie", begann Berg das Gespräch,"wir suchen nach gültigen Masstäben für den Aufbau der Welt. Aber es gibt alle diese Bausteine, Zeitstrecken gar nicht. Wir arbeiten mit Millimetern und Sekunden und weiter ins Kleinste hinein, zur andern Seite ins Grösste hinaus. Dann kommen wir gleich zu zwei absurden Endpunkten: Der eine ist, dass uns alles entgleitet, im Kleinsten und Grössten verschwimmt, unscharf wird und die definerbaren Dinge zeigt, als nur vorrübergehend geltend innerhalb unserer Handlungen. Dinge die an sich nicht sind. Das zweite Dilemma beginnt, wenn wir uns darauf einigen unsere objektiv erfasste und gemessene Welt als Basis aller Erklärungen zu nehmen. Dann haben wir im besten Fall eine gut funktionierende Maschine, deren Treibstoff unbekannt ist und deren Bewegungen gar nicht sein müssen obwohl sie es sind. Man sucht am Ende einen Steuermann. Die alte Geschichte: Das Subjekt im Ich oder einen Gott." Korthaus antwortete: " An diesen Endpunkten sind wir schon einigemale gewesen. Sehen sie in der indischen Philosophie eine Lösung ?" Berg erwiderte:" Eine gewisse Erwartung habe ich schon. Da die Inder alles in einer Ebene zusammenbringen, die wir mit kosmischem Bewusstsein übersetzen, entgehen sie dieser Aufspaltung in zwei paradoxe Perspektiven, die objektive, positivistische und die subjektive, idealistische." In den folgenden Nächten, da der Zeppelin sich dem grossen Barriereriff näherte, stieg Berg allein auf die Plattform des Zeppelins um sich in der Versenkung inmitten des Sternen- himmels auf eine eigenartige emotionale Suche zu begeben. Es erschien ihm zuweilen, dass oben unten wäre und unten oben. Der Sternenhimmel erschien als Abgrund, der Zeppelin als bedrohlicher Lampion vor dem Himmel eines noch weitaus furcht- erregenderen Meereshimmels, der aber nicht hinabstürzte und sich das Finale aufzubewahren schien. Die Tage vermochten trotzt Sonnenhelle und gleissender Mittagsstunden die Schatten der nächtlichen Gefühle in Berg nicht aufzubrechen. Bernardette spürte als Frau weit früher als die andern, dass etwas in Berg vorging, was nicht sehr verheissungsvoll war. Aber Depressionen schienen es nicht zu sein, denn er war gefasst und beweglich, nahm an allem teil und spürte was die andern bewegte, Eigenschaften, die dem Depressiven abgehen. Eines Nachts stieg sie ihm hinterher. Er stand an der Reeling und sah scheinbar bewegungslos hinaus. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und sprach: " Sie haben es gesehen ?!" Das war mehr eine Feststellung, denn eine Frage. Sie sprach weiter, da Berg schwieg, und irgendwie fasste sie das als Zustimmung auf: "Wir tun in jedem Moment: Mittelpunkt, Selbst, Ich und Welt. Aber wir merken es nicht." Nun erwiderte Berg: " Man sieht den Abgrund, wenn man diese Einsicht spürt. Es wird dann alles Abgrund." Bernardette meinte: " Und man fühlt es, denn ohne Fühlen erkennt man es nicht." "So ist es Bernardette. Die Erkenntnis allein sagt wenig, selbst wenn sie völlig zutreffend ist. Aber das Gefühl, das Verschmelzen mit der Wahrheit..." "Ist furchtbar", ergänzte Bernardette. Nun drehte sich Berg um und lächelte: " Da bin ich optimistischer als sie. Wir kennen das noch nicht, aber gesetzt wir gewöhnen uns daran ?" Damit drehte er sich wieder um und sah hinaus. Bernardette ging schweigend und behutsam zurück und kletterte in den Zeppelin hinab. Bernardette hatte mit dem Gasmaschinisten eine Affäre begonnen. Als sie in jener Nacht in den Zeppelin hinabstieg, begegnete ihr dieser junge Maschinist, der dabei war die Heliummanometer abzulesen und diese Daten für den Vergleich mit den automatischen Messfühlern einzusammeln, eine Vorsichtsmassnahme, nicht mehr. Er sah sie an, sie ihn. Seine braune Haut glänzte im Notlicht der Gänge im Inneren des Zeppelins. Sie ging an ihm vorbei streifte mit ihren Brust- spitzen seinen Arm, es zuckte in Beiden. Das weitere war einfach und heftig. Die unmittelbare Folge war, dass sie in den nächsten Tagen den Gesprächen mit ihren Philosophen- freunden nur begrenzt folgen konnte. Die längerfristige Folge aber war, dass sie einige Fragen hatte, die sie Nanamurti stellen musste. Sie begegnete ihm am frühen Abend auf der Plattform. Da sonst niemand da war, sprach sie ihn an. "Kann es sein, dass die Begierden die Welt verändern, sodass man Chaos liebt, so wie man eigentlich harmonische Ordnung anstrebt." Nanamurti wusste nicht was sie meinte. Er fragte deshalb: " Welche Begierden meinen Sie Bernardette?" " Die Lust, die Extase, den sexuellen Rausch." Er antwortete: " Es ist alles liebenswert. Die Abwendung von den Begierden ist freiwillig oder sie führt nicht zur Erlösung. Ich glaube, sie wollen eine moralische Antwort hören. Aber Freiheit ist immer moralisch." Bernardette meinte: " Und wenn es Chaos ist". " Dann ist es auch gut." Bernardette war irritiert, obgleich ihr diese Antworten gefielen. Sie hatte gehofft, das er die Dinge so betrachten würde. Nanamurti sprach weiter: " Chaos und Ordnung gleichen der Atmung. Man atmet ein und aus. Anders geht es nicht. Aber suchen Sie ein Rechtfertigung für Leben ?". Bernardette sah sich durchschaut. Sie fragte: " Es gibt keinen Zwang von der Begierde sich abzuwenden ?" Nanamurti antwortete:" Es ist möglich, dass man einen Druck verspürt, den Begierden zu entsagen. Aber das ist das Gegenteil der Erleuchtung, wie sollte es funktionieren." Bernardette war erleichtert aber auch in Zweifeln. Wie war das in Einklang zu bringen mit dem Streben nach Erleuchtung und Nirvana. Sie fühlte eine Klarheit, was ihre Zuneigung zu dem jungen Mann bedeutete und eine völlige Unsicherheit, was ihre Suche nach Wahrheit betraf. Sie fragte sich, ob Korthaus oder Berg dazu etwas sagen könnten. Bernardettes Liebhaber hatte sie um 2 Uhr eines Morgens verlassen um seine Schicht im Maschinenraum zu beginnen. Bernardette war zu aufgewühlt um zu schlafen. Sie ging die Gänge hindurch um zu dem Aufgang zur Plattform oben auf dem Zeppelin zu gelangen. Da hörte sie aus dem Arbeitszimmer von Berg dessen Stimme:" Es geht um das Loslassen nach einer Bindung". Nun sprach Korthaus:" Und das bereits bei den Einzellern ?" "Gewiss", bestätigte Berg. Bernardette klopfte an die Tür. Berg rief sie herein. Bernardette sagte:" Ich habe etwas mit- gehört als ich draussen vorbei ging." Korthaus sprach sie an: " Nehmen sie Platz." Bernardette fragte: " Gilt das auch für den Buddhismus ?" Berg antwortete: " Das war gerade unser Thema. Offensichtlich ist für die Buddhisten der Aufbau kein Problem, aber der Abbau." " Könnte das bedeuten, dass der Buddhismus eine Antwort auf die Zivilisation ist ?", fragte Bernardette". "Ja", bestätigte Korthaus und fuhr fort: " Es wäre möglich, dass in der alten vorbuddhistischen Zivilisation die Verkrampfungen und Neurosen zur Verbreitung des Buddhiamus geführt haben." " Sodass ein Übergewicht an Leiden entstand ?", fragte Bernardette." " Die Frage ist, ob es ein typisches Problem der Zivilisation ist. Vielleicht können die Tiere ohne Buddhismus leben", führte Berg aus. Korthaus sagte:" Der Gedanke wurde schon mehrmals dargelegt. Der Mensch als relativ krankes Tier, aber auch deshalb interessant." " Man kann es auch anders sehen. Der Individualismus, die Leibnitzsche Monade bringt die Einsamkeit hervor, den Knoten in dem das Ich gefesselt ist. Also muss er gelöst werden," führte Korthaus aus. " Dann wäre es der grosse Sprung in die Freiheit, der den Buddhismus hervorgebracht hat.", meinte Bernardette.." "Möglich", antwortete Korthaus:" Wir handeln uns ja mit jedem Schritt hinauf einen Absturz ein." " Erinnnern Sie sich Bernardette, Lao Tse ?", fragte Berg: " Ein Wesen nimmt zu und nimmt zugleich ab, geht vor und geht zugleich auch nach." Die Beiden anderen stimmten ihm zu. Der Zeppelin erreichte schliesslich Melborne. Berg hatte die Ankunft vorbereitet. Während die Mannschaft in den folgenden Tagen die Wartung des Zeppelins durchführte, Helium und Nahrungsmittel geladen wurden, bummelten Bernardette und ihr Freund am Strand . Berg, Korthaus und Nanamurti führten ihre Gespräche fort. Sie sassen in einem schattigen Garten eines Strandrestaurants mit dem aufschlussreichen Namen:"Zum weissen Hai". Berg sprach: " Sehen sie Nanamurti, es ist erstaunlich, das die heiteren Gesellschaften verschwunden sind und die technischen, aggressiven Gesellschaften sich durchgesetzt haben." Korthaus meinte:" Die darwinistische Interpretation ist ihnen bekannt, die aggressiven Zivilisationen haben die besseren Waffen, sie gewinnen - zunächst." Nanamurti sagte: "Gut dass sie zunächst sagen, denn Rom ist ebenso ver- schwunden wie Babylon." Berg meinte: " Aber es geht nicht zurück, insgesammt gewinnt das aggressive Element an Einfluss, scheinbar. Auch die untergehenden Zivilisationen übertragen ihre Vor- und Nachteile über die Rückfälle hinaus in die neu aufsteigenden Zivilisationen." Korthaus sprach:" Das ist genau der Punkt. Es sieht alles nach weit mehr aus denn nur als Auslese und Überleben. Es gibt einen kreativen Strom, der durch die Geschichte zieht, von einer Kultur zur nächsten." Und zu Nanamurti gewandt: " Will der Buddhismus diesen Strom aufhalten ?" Der Ange- sprochene antwortete:" Es ist wiederum die Frage in welcher Welt wir leben. Könnte nicht ihre Kopfwelt eine erdachte sein, eine Welt in Modellen ? Ich denke, das Absurde liegt nicht in den Bemühungen des Buddhismus, sondern das Unverständliche kommt aus der Perspektive einer Welt aus Modellen. Denken sie die Modelle weg und der Buddhismus ist nicht absurd." Korthaus verspürte das Bedürfnis Nanamurti zu widersprechen. So einfach war es nicht mit den Modellen. Für Korthaus war der Buddhismus ebenso Produktion des Ichs wie auch die Modelle, in denen die westliche Welt aus der Sicht Nanamurtis lebte. Aber in dieser Frage führten die Gespräche mit Nanamurti meist in eine Sackgasse. Es gab hier einen grund- legenden Unterschied der Auffassungen. Nanamurti kannte ein Subjekt und ein Objekt nicht. Das kosmische Bewusstsein war universal. In gewisser Sichtweise war ihm alles Objektivität eines universalen Geistes. Auch das war irgendwie schief, das wusste Korthaus. Er nahm sich vor mit Berg allein darüber zu sprechen. Korthaus war mit Berg in die Wüste gefahren. Inmitten einer ebenen Geröllfläche stiegen die beiden aus dem Geländewagen und gingen umher. Es war 11 Uhr morgens. Die Sonne brannte bereits heiss. Die Strohhüte der Beiden schützten ein wenig. Berg fragte:" Haben Sie einen Ausweg gefunden ?" Korthaus erwiderte:" Ja und nein. Nanamurtis kosmisches Bewusstsein kann als Objektivität verstanden werden. Dabei gingen aber alle physikalischen Differenzierungen verloren. Sie kämen wieder zurück, wenn man davon ausgeht, dass alles bewusst existiert, auch die leblosen Dinge." Berg unterbrach: " Deshalb ist mir Nanamurti sehr nahestehend. Von seinem Bild ausgehend ist es nur ein kleiner Schritt um zu einem durch und durch belebten Universum zu gelangen. Aber ihr Ich...." Korthaus sprach:" Nein, sie irren sich, das Ich ist kein Problem, ich sehe es durchaus nicht als Singularität,- nicht mehr." Berg meinte: " Sie erstaunen mich." Korthaus sprach weiter: " Es ist das alles irgendwie vereinbar. Der entscheidende Punkt ist der Ausschluss der individuellen Kreativität. Und erstaunlich umso mehr, als gerade die Rituale im Buddhismus ästhetisch aufgebaut sind. So wie ich es verstehe, lässt der Buddhist alles los und erlebt Expressionen als Zuschauer." Berg meinte:" Ja, das ist möglich und wäre sehr einseitig, aber vielleicht ist das auch so eins von unseren Missver- ständnissen." Bernardette war mit ihrem Liebhaber ebenfalls in die Wüste gefahren. Als sie mit ihrem Leihwagen und ihrem Freund in die Stadt zurückfuhr, kam sie an einer Ampel hinter dem Wagen von Berg und Korthaus zum Stehen. Sie hupte kurz. Korthaus winkte mit dem Arm aus dem Fenster zum Zeichen, dass sie ihnen folgen sollten. Korthaus besprach sich kurz mit Berg, dann fuhren sie zu einem Gartenrestaurant am Stadtrand. Sie sassen dann gemeinsam an einem Tisch unter dem Schatten eines grossen Sonnenschirms, vor sich die Hügel der Vororte, hinter sich das Buschland, an welchem sich die Wüste anschloss. Korthaus erzählte in einigen Grundzügen vom Gespräch mit Berg und dem Problem, mit welchem sie es beendet hatten. Bernardette sagte dazu:" Es ist merkwürdig, dass man abwesend sein kann und doch wieder zu seinem Ichgefühl zurückfindet. Wenn es nun so wäre, dass man in dem was man Fliegen nennt oder Extase ebenso individuell bliebe wie im Zustand des Ichgefühls ?" Korthaus erwiderte:" Vielleicht ist das Ichgefühl nicht erforderlich um individuell zu sein." Berg meinte:" Den Verdacht habe ich schon lange. Es liesse sich vielleicht systematisch klären. Wie verhält sich ein Individuum mit einem ausgesprochen individuellen Bewusstsein und wie verhält sich ein Mensch, der kein solches Bewusstsein kennt ?" Die vier sprachen noch eine Weile miteinander, dann wurde das bestellte Essen serviert. Anschliessend sassen sie schweigend und sahen den Wandlungen der Landschaft in der fortschreitenden Dämmmerung zu. "Eins haben die komplexen Sprachen und Theorien den alten Weltbildern und auch dem Buddhismus voraus. Sie zeigen die Grenzen auf", sprach Berg. Er sass mit Korthaus im Restaurant des Hotels, in dem sie wohnten und unterhielt sich mit ihm, während die Zeit des Abendessens nahte. Korthaus fragte: "Dachten sie an die Unschärfen". "Ja. Es ist merkwürdig, wie sich die besten Vorstellungen auflösen, wenn man genau hinsieht. Was ist das Ich ? Eine klare Sache,- zunächst. Aber wenn wir sehen, dass es ein Selbst darunter gibt, welches seine eigenen Wege geht, kommt die ganze Person in ein merkwürdiges Licht. Denn wenn es zwei Handelnde in einer Person gibt gibt, warum nicht auch drei oder einhundert. Was bleibt dann vom Ich übrig. Wo ist es noch fassbar, verlässlich und klar zu umreissen ?" Korthaus stimmte zu. Er sprach: " Und was für das Ich gilt, lässt sich auch bei anderen Begriffen erkennen." Berg fragte: " An was denken sie ? " "Darauf haben Sie mich gebracht. Erinnern sie sich: Man muss in Trilliarden von Protonenleben denken um kosmische Entwicklungen zu sehen. Also was ist Zeit ? eine Perspektive ? Und was bleibt davon übrig, wenn der Beobachter fehlt, der zwei Punkte auf einer Zeitstrecke in Bezug setzt ? Wenn nun die Zeit zerfällt, weil kein Beobachter da ist, was dann ?" Berg erwiderte:"Ich erwische Sie immer wieder, wenn sie auf das Ich als Mittelpunkt der Welt hinauswollen. Sie haben aber recht". Berg überlegte einen Moment und sprach weiter: "Die Notwendigkeit eines Mittelpunkts im Ich habe ich noch an anderen Stellen gefunden. Sehen wir diese etwa 2 Billionen Körperzellen, aus denen ein Mensch besteht. Ohne ein Selbst wären sie verloren. Und doch könnte das Ich ein Fixpunkt sein, der wohl gedacht wird, aber nie zuende geführt wird. Ein Zielpunkt, der den Weg ermöglicht, den man Leben nennt." Korthaus widersprach: "Ich weiss worauf sie hinauswollen. Aber bei aller Unschärfe, denen das Ich unterliegt, die Linien werden gebraucht, die vom Ich zum Handeln und hinaus in die Welt führen, sehr exakte Linien und Bewegungen. Ein falscher Schritt am Abgrund und der Mensch ist tot." Berg lächelte und sprach: " Die Verteidigung des Exakten war doch bisher meine Aufgabe. Mir erscheint, die Rollen vertauschen sich." Korthaus runzelte die Stirn:" Wenn sie auf diesem Wege wieder das Ich kassieren wollen.., ich bin auf der Hut." Die Erlebnisse zwischen Berg und Korthaus auf der einen Seite und Bernardette, ihrem Liebhaber und Nanamurti auf der anderen Seite nahmen sehr verschiedene Richtungen an. Es kam eines Morgens am Strand zu einem Gespräch zwischen den fünfen. Bernardette meinte: "Es ist merkwürdig, die Welt der Gedanken und philosophischen Probleme zeigt sich für mich in einer ganz anderen Art, als ich es bisher erlebt habe. Es ist eine Lust am Experiment, welches aber immer wieder seine Grenzen findet. Der Freund von Bernaredette stutzte. Er fragte: " Wie meinst Du das ?" Sie antwortete: " Ich bin nicht unzufrieden, aber ich habe viele Ideen, die sehr ungewöhnlich sind." "Welche ?" Bernardette mochte nicht antworten. Sie sah zur anderen Seite und sagte: " Ich weiss nicht genau." Berg hatte unterdessen mit Korthaus begonnen. Er fragte ihn: " Kennen Sie das Beispiel der Aale ?" Korthaus antwortete: " Ich erinnere mich: Sie nahmen die Aale einmal als Beispiel für die Triebe. Sie wollen zu jeder Öffnung hinaus oder hinein, gleich gültig gegen Lebensgefahr, Vor- und Nachteil." Berg meinte:" Ja. Dahinter stand allerdings der Gedanke, dass die Aale eingesperrt sind. Das dazu gehörende Triebmodell ist ja auch bekannt. Aber es verhält sich ja doch anders. Wenn man die Aale als nicht eingesperrt sich vorstellt, und sie kriechen trotzdem in alle Löcher und Öffnungen, die im Wasser zu finden sind..." Bernardette hatte mitgehört und meinte: " Das ist ein Beispiel, das gut zu dem passt, was ich zur Zeit erlebe. Ganz gleich wie erfüllt, zufrieden ich bin, oder umgekehrt, wie sehr ich mich unwohl fühle. Es gibt die Lust am Unbestimmten, am Fernen, aber auch am Engen." Korthaus meinte:" Wie die Perversionen,- Entschuldigung, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, fügte er zu Bernardette gewandt hinzu. Sie meinte:" Ich verstehe sie schon. Korthaus sprach weiter:" Es richtet sich nicht nach Erfolg, Nach- oder Vorteil, es will alles... Endra, der Freund Bernardettes und Maschinist im Zeppelin hatte zwei afrikanische Trommeln besorgt. Er schlug ihr vor, ein Jagdspiel mit ihm zu spielen. Dazu wolle er in der Wüste trommeln und sie solle ihn fangen. Dabei müsste sie ebenfalls ihren Standort durch Trommeln erkennbar machen. Wenn sie ihn einfangen könne, würde er ihr in jener Nacht jeden Wunsch erfüllen. Wenn sie ihn aber nicht finden würde, müsste sie selbst in einer der folgenden Nächte das gejagte Wild spielen. Was der Erjagte tun müsste, blieb offen. Als die Sonne unterging lief Endra mit seiner Trommel in den Busch hinein. Bernardette wartete einige Minuten. Dann begann sie zu trommeln. Aus westlicher Richtung hörte sie als Antwort Endra trommeln. Sie lief in seine Richtung. Dann trommelte sie wieder. Endra trommelte zurück, aber von weiter her als beim ersten Mal. Sie lief, so schnell sie konnte durch das Gebüsch in seine Richtung. Aber sie kam nur langsam voran. Das dichte Dorngestrüpp verfing sich in ihrer Jeans und riss Löcher in ihre Bluse. Die Dämmerung stieg auf, es wurde rasch dunkel. Endra trommelte aus mehr nördlicher Richtung. Der Abstand zu ihm wurde grösser. Der zunehmende Mond beleuchtete die Geröll und Gestrüppland- schaft gerade so viel, dass noch Umrisse von Pflanzen und Tieren zu erkennen waren. Das fahle Restlicht versetzte sie in einen, dem Traum ähnlichen Zustand. Jeder Busch schien sich erheben zu können und zu einem Tier zu werden. Furcht und Reiz des Unheimlichen durchschauerten sie. Eine süsse Faszination ging davon aus. Sie wollte weggehen und zugleich hinein sinken. Plötzlich seltsame Stille. Endra war nicht mehr zu hören. Bernardette trommelte noch einmal, dann verhielt sie sich ruhig. Sie ging in die Richtung weiter, aus der sie das letzte Trommeln gehört hatte. Allmählich wurde sie müde. Der Duft der Sträucher versetzte sie in eine schläfrige gehobene Stimmung. Sie setze sich in den Sand, stützte den Kopf in die Arme und schlief ein. Einige junge braunhäutige Männer hatten das Trommeln gehört und waren ihm gefolgt. Zwei von ihnen sahen Bernardette später ermüdet am Boden sitzen. Als sie eingeschlafen war, näherten sie sich ihr vorsichtig und staunten über ihre ungewöhnliche Schönheit. Das blonde Haar sahen sie fasziniert an. Bernardette träumte unterdessen von schönen Männern, die auf Bergen standen und in die Weite sahen. Als sie im Morgen- grauen erwachte, lagen um sie herum Blumen gestreut, die jungen Männer waren verschwunden. Sie stand auf und suchte nach Endra. Er war nicht weit von ihrem Platz ebenfalls eingeschlafen. Sie wunderte sich, darüber sehr. Denn warum hatte er aufgehört zu trommeln ?. Ein süsslicher Geruch lag in der Luft. Bernardette spürte dessen betäubende Wirkung. Ihr war nun klar, warum Endra aufgehört hatte zu trommeln. Sie versuchte ihn zu wecken. Auf das Rütteln und auch auf die Küsse reagierte er nicht. Sie erschrak, aber er atmete ruhig. Sie nahm ihn hoch und legte sich ihn über die Schulter und ging mit ihm fort von diesen betäubenden Pflanzen. Endra erwachte. Er sprang von ihrer Schulter und meinte benommen:" Du hast es geschafft". Sie lachte und meinte: "Etwas anders als wir es gedacht hatten." Am späten Vormittag trafen sich die fünf Freunde im Garten des Hotels und frühstückten. Endra und Bernardette sassen etwas abseits am grossen Tisch. Berg, Korthaus und Nanamurti sprachen miteinander. Endra fragte Bernardette: " Nun, was wünscht Du Dir ?" " Wünschen" ? tat sie erstaunt. " Aber ja, die hast mich gefunden und sogar gerettet. Du hast zwei Wünsche frei." Sie lächelte, bückte sich zur Seite neben den Tisch, hob einen kleinen Kieselstein vom Boden auf, legte ihn vor Endra hin und sprach: " Mein erster Wunsch, Du nimmst diesen kleinen Kiesel und versprichst mir, ihn niemals zu verlieren. Und der zweite: Du stellst mir zu diesem Wunsch und allen weiteren gar keine Frage." Nun stutzte Endra, wollte etwas schnell heraus sagen, stutzte nochmal und schwieg. Er sah dabei etwas irritiert aus. Nach einer Weile sagte sie:" Prima, komm wir reden mit den anderen." Bernardette hatte ihren nächtlichen Ausflug, in welchem Endra sie fangen sollte auf den übernächsten Tag gelegt. Bei Einbruch der Dunkelheit verschwand sie im Gebüsch vor der Stadt. Endra folgte ihr nach. Von fern hörte er ihre Trommel. Er trommelte ebenfalls, dann wieder sie, aber aus etwas grösserer Entfernung. Dann Stille. Mitlerweile waren die Lichter der Stadt nur noch als Aufhellung des Himmels im Osten zu ahnen. Endra lief weiter in die gleiche Richtung. Plötzlich hörte er von zwei Seiten zugleich trommeln. Er versuchte den Klang ihrer Trommel heraus zu hören und lief weiter. Er kam nun wieder in die Gegend jener betäubenden Pflanzen, die ihn in der ersten Nacht ihres Spiels betäubt hatten. Er wechselte die Richtung und trommelte. Von zwei anderen Seiten hörte er nun auch Trommeln. Er war unschlüssig, welche Richtung er einschlagen wollte. Bernardette war unterdessen von einigen Trommlern umzingelt. Sie sah die braunen Gestalten an, setzte sich auf einen Stein und begann langsam zu trommeln. Die Männer hörten ihr zu und begannen dann in ihrem Rhthmus mit zu trommeln. Zuerst sehr zögernd, dann im Gleichtakt mit ihr aber noch zurückhaltend, dann heftiger. Es entwickelten sich melodisch einsetzende Gruppen. Aus den Büschen kamen weitere Trommler, braune Männer, Frauen und Kinder. Ein gewaltiges Konzert entwickelte sich spielerisch daraus, mit ihr in der Mitte. Wenn sie innehielt schwiegen auch bald die anderen Trommeln, setzte sie ein, so stimmten sich die andern auch ein. Endra war trotz seiner Vorsicht wieder dem Duft der Blumen erlegen. In tiefer Trance und Betäubung lag er dort, wurde aber von dem Anschwellen der Trommeln geweckt. Er rappelte sich hoch und taumelte in Richtung der Trommeln. Er stürzte nieder. Einige Frauen hatten ihn beobachtet. Sie näherten sich Endra, hoben ihn vorsichtig hoch und trugen ihn zu den anderen. Hunderte von Trommeln trommelten in unterschiedlichen Rhythmen und Klangformen. Grosse, kleine, Trommmeln, eigenartige Blasgeräte, in verschiedensten Einsätzen und dazwischen still pausierende Gruppen. Bernardette sah die Frauengruppe, die Endra heran- trugen. Sie hörte auf zu trommeln. Alle anderem schwiegen ebenfalls. Eine tiefe Stille lag über der Versammlung. Sie legten Endra vor Bernardette ab. Sie beugte sich zu ihm, küsste ihn. Er schlug die Augen auf und lächelte sie an. "Und nun hast du wieder einen Wunsch frei", sprach er. Bernardette lachte und meinte: "Ich werde mir was überlegen". Sie gab ihm ihre Trommel, damit er mit trommeln konnte. Ein grosser Felsblock lag etwa in der Mitte der Versammlung und hatte oben eine fast ebene Fläche. Einige junge Leute waren dort hinauf geklettert. Sie tanzten zu den Trommelrhythmen. Eine Gruppe von einigen Männern und Frauen wollten Bernardette auf dem Felsen tanzen sehen. Sie zögerte, die Leute zogen sie, schoben, hoben und setzten sie auf dem Felsen ab. Einige der jungen Leute waren aus der Stadt hierhin gefahren, junge Australier und Touristen aus aller Welt. Sie tanzten, sangen mit Bernardette in der Mitte die ganze Nacht. Im Morgengrauen waren viele von ihnen eingeschlafen. Aus den Büschen kamen schlanke Frauen heran mit goldenen Spitzhüten, indische Sitharspielerinnen. Sie kletterten auf den Stein, wandten sich der eben glutrot aufgehenden Sonne zu, veneigten sich vor den Zuhörern und begannen ihr Spiel. Sie sprangen und tanzten, Vögeln gleich, während zwei von ihnen die Tänzerinnen auf ihren Instrumenten begleiteten. Von einer Seite neben der Bühne setzten zarte, vorsichtig sich einfühlende Trommeln ein, die ihren Rhythmus mit den Sitharklängen verschmolzen. Bernardette erhob sich, sie war noch auf der Felsenbühne und streckte ihre Arme aus, wiegte im Gleichklang mit den Tänzerinnen ihre Hüften, während die Sonne gleissend hell hinaufstieg. Zwei der Tänzerinnen schmiegten sich eng an Bernardette und entführten sie tanzend vom Felsen herab in die Büsche. Wie in Trance spielte sie mit und verschmolz bald danach mit ihnen in einem glühenden inneren Feuer. Endra war im Lotussitz eingeschlafen. In einem Halbschlaf erhob er sich und ging in die Büsche, angezogen vom Duft jener ihn magisch anziehenden Blumen. Als er dann zwischen ihnen lag spürte er riesige Lippen auf seinem Mund, die merkwürdiger Weise Zähne hatten. Langsam stülpte sich dieser riesige Mund über seinen Kopf. Die fleischfressende Pflanze wollte ihn ganz sich einverleiben. Dann wurde er wach. Das erste was er wahrnahm war das be- ruhigende Surren der Zeppelinmotoren. Er wäre beinahe wieder in den tiefen Betäubungsschlaf gefallen. Aber Bernardettes Stimme machte ihn wach:" Wie gehts Dir, Du hast es ja über- lebt. Er sah Bernardette neben sich knien, weiter weg sassen Korthaus, Nanamurti und Berg und sahen zu ihm hinüber. Die nächste Station der Zeppelinfahrt war Indonesien. Von dort aus wollten die beiden alten Abenteurer die sagenumwobene Insel der Vorbuddhisten suchen, die zwischen Indien und Indonesien, vielleicht aber auch zwischen Indien und Afrika liegen sollte. Nanamurti war von einem für ihn untypischen Forscherdrang befallen, seit er dieser Insel näher kommen sollte. Er hatte von einem Tempel in Nepal gehört, in welchem Reliefs aufbewahrt wurden, die mit dieser Insel in Verbindung gebracht wurden. Er besprach sich in dieser Sache mit Berg. Der fragte:" Die Reliefs könnten uns möglicherweise etwas über die Lage der Insel sagen ?" Nanamurti erwiderte: " Möglicherweise. Es gibt auf diesen alten Abbildungen manchmal Entfernungs-und Zeitangaben. Wenn man den Ausgangs- punkt der Angaben weiss, lässt sich der Raum eingrenzen, in dem die Insel liegt. Oder vielleicht gibt es auch andere Hinweise. Wer weiss ob diese Insel überhaupt im Meer ist". "Wo könnte sie sonst sein?", fragte Berg. "Zum Beispiel in der Wüste oder im ewigen Schnee des Himmalaja." Die Landung in Sumatra war für den kommenden Morgen vorgesehen. Der Kapitän kam um 19.00 Uhr in den Speisaal und holte Berg in die Kommandozentrale. Dort zeigte er die letzten Funkmeldungen. Die Landung wurde von der Indonesischen Regierung nicht gestattet, weil der Luftraum wegen Manövern der Luftwaffe nicht sicher sei. Man wünschte überhaupt nicht die Landung dieses Riesenluftschiffs. Politische Gründe für dieses Verhalten waren wahrscheinlich. Berg beschloss deshalb mit Korthaus, Nanamurti und Bernardette, sofern sie wollte, in einen Hubschrauber umzu- steigen, nach Nepal zu fliegen um den Tempel aufzusuchen in dem die Reliefs sein sollten. Bald darauf startete von Australien aus ein grosser Hubschrauber Richtung Zeppelin. Er flog in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages über den Zeppelin, und die Besatzung liess einen Transportstuhl auf die obere Plattform des Zeppelins herab. Einzeln wurden die vier in den Hubschrauber gezogen. Der Zeppelin sollte währenddessen in einem Parkluftraum über dem Meer auf die Rückkehr der Hubschrauberreisenden warten. Das Manöver wurde bald abgeschlossen, dann flog der Hubschrauber in Richtung Indien ab. "Wie gehts weiter ?", fragte Korthaus. "Wie bitte". Der Lärm im Hubschrauber war schwer zu durchdringen. Berg antwortete in Ahnung der Frage:" Wir landen in Ceylon und nehmen eine Linienmaschine bis Nepal. Der Hubschrauber hat keine so grosse Reichweite um uns nach Nepal und zurück zum Zeppelin zu bringen." "Es ist auch viel zu laut", meinte Korthaus" Berg nickte mit dem Kopf. Die folgenden 6 Stunden waren nicht unterhaltsam, da keine Unterhaltung gegen den Motorenlärm möglich war. Als sie in Ceylon landeten, waren alle vier erleichtert. Bernardette war mitgeflogen. Sie stiegen in eine Linienmaschine um und waren dann nach einer zweistündigen Wartezeit endlich wieder in der Luft in Richtung Nepal. Bernardette sass neben Berg in der Linienmaschine. Sie fragte ihn: " Wieso sind sie so stark an den Buddhisten und Indien interessiert, - sie als Mensch der Tat ?" Berg antwortete: " Mich interessiert der Gegenpol meiner Interessen. Ich denke wir brauchen ihn auch." Bernardette meinte:" Wie die Ausatmung nach dem Einatmen , das Beispiel war von ihnen, oder ?" "Ja." Berg überlegte einen Moment und fragte dann:"Aber warum gehen sie ins Gegenextrem, nicht sein zu wollen ?". Bernardette sah ihn an, zuckte mit ihren Schultern und meinte:" Ich habe keine Ahnung, aber vielleicht ist es kein Extrem, es sieht vielleicht so aus." Als die Maschine in Kathmandu gelandet war, ging Korthaus zu Berg und zog ihn beiseite:" Wir müssen uns unterhalten, wir zwei." Berg nickte, sagte zu Nanamurti und Bernardette: " Wir zwei müssen mal alleine reden. Wir treffen uns im Hotel." Während die beiden Angesprochenen zum Hotel fuhren, ging Korthaus mit Berg ins Flughafenrestaurant. Als sie bald darauf bei einem Kaffee zusammen sassen, begann Korthaus: " Sie wundern sich, aber ich habe mich auch gewundert. Erinnern sie sich an das Antiquitätengeschäft in Ceylon, vor dem ich eine Weile stand ?" Korthaus redete ohne eine Antwort abzuwarten weiter:"Es gab dort im Schaufenster eine Stick- arbeit, die den Sansara darstellte. Aber es war eine unge- wöhnliche Darstellung. Der Lebenskreis war innerhalb eines Schädels dargestellt. Ich dachte zuerst an eine Art Gottheit, die den Lebenskreis in sich trägt. Aber das konnte nicht sein. Alle Götter waren innerhalb des Sansaras dargestellt, so wie es immer gemacht wird. Also was war der Schädel ?" Berg meinte:" Ich ahne es, - Korthaus sie sind nicht zu retten ! Sie meinen also das Ich, in welchem der Sansara sich abspielt." "Aber ja, nur so kann es sein." Berg fragte: " Um mir das zu sagen, sitzen wir aber nicht hier ?" " Nein", erwiderte Korthaus und sprach weiter: " Wir brauchen eine Baugenehmigung der Regierung und das Einverständnis Indiens und Chinas." Berg lächelte: " So gefallen sie mir, der alte Löwe von Potsdam. Aber wie hängt das alles zusammen ?" " Die Insel der Vorbuddhisten war im Kopf, das ist die Bedeutung der Sansara Stickerei von Ceylon. Also bauen wir diese Insel." Berg klatschte sich begeistert auf den Ober- schenkel, strahlte und meinte:" Ich denke wir fangen so schnell wie möglich an, - und verraten nichts". " Natürlich nicht, wir behalten es erst einmal für uns." Berg meinte:" Dann müssen wir jetzt also mit den Andern das Kloster besuchen und dann den Ozean nach der Insel absuchen..." "Ja", meinte Korthaus:" ich habe auch eine Idee wie wir das mit dem geheimen Bau der Insel zusammenbringen." Die Beiden erörterten nun ausführlich ihren Plan. Dann begaben sie sich ins Hotel um die beiden Andern zu treffen. Dort angekommen trafen sie Bernardette und Nanamurti im Gartenrestaurant. Nanamurti sprach: " Das Kloster liegt wahrscheinlich in einem der Hochgebirgs- täler nahe der chinesischen Grenze. Berg meinte: " Wieviele gibt es denn davon." " Niemand hat sie bisher gezählt, einige Dutzend Klöster und mehrere hundert Täler", antwortete Nanamurti. " Das ist ja eine Lebensaufgabe", warf Bernardette erschrocken ein." Berg meinte: " Am Besten wir nehmen die Hubschrauber zu Hilfe und gehen in zwei getrennten Gruppen auf Suche. Was halten sie davon?." Korthaus nickte und sagte zu Nanamurti und Bernardette gewandt: " Wie wärs, wenn sie zwei zusammen gehen und Berg mit mir ?" Die beiden Angesprochenen waren einverstanden. Da Nanamurti der Ortskundige war, konnte er mit Erfolg rechnen, während die beiden alten Herren durch ihre politischen und finanziellen Möglichkeiten auf anderem Wege gute Chancen hatten das Kloster zu finden. Besonders wichtig war es ihnen aber das Bauvorhaben geheim zu halten. Die vier sassen nun einige Tage in Kathmandu fest, weil es nicht leicht war zwei Hubschrauber zu bekommmen, die in der Lage waren die Vier- und Fünftausender zu überfliegen, denn die Hochgebirgstäler und Plateaus lagen teils drei bis vier- tausend Meter hoch. Die Freunde unternahmem Ausflüge in die nahen Gebirgstäler und Pässe. Bei einem jener Gespräche, die die vier in den folgenden Tagen, meist im Hotelrestaurant führten, meinte Bernardette: " Mir ist die Idee gekommen, warum die Bedürfnislosigkeit und das sich zurückziehen hier eine so bedeutende Rolle spielen. Diese hohen Berge am nahen Horizont, die beängstigenden Fels- wände, wenn man in einem solchen Tal steht, - das lässt mir gar keinen Platz für Vorstellungen von Expressionen. Man fühlt sich so winzig, so umstellt." Nanamurti sah sie fragend an. Er konnte Bernardettes Gefühle nur schwer nachvollziehen. Korthaus verstand sie gut. Seine Augen blitzten auf, als wollte er etwas sagen, aber er schwieg. Berg nahm Kontakt zu seinem Generaldirektor in Florida auf. Er sollte einen Architektenstab zusammen rufen und die Ingenieure seiner Marsstation hinzuziehen. Der von Korthaus vorgeschlagene Bau bestand aus einer unter- irdischen Höhle, die mit einer flachen Kuppel abschloss. Zwei Gänge sollten diese Kuppel mit zwei weiteren Ausstiegskuppeln verbinden, die ihrererseits mit Fahrstühlen und Rampen ins Freie führten. Die Hauptkuppel sollte einen Durchmesser von 400 m haben, ihre Höhe in der Mitte sollte 80 m betragen. Ein natürliches Höhlensystem sollte als Ausgangspunkt der Grabungen dienen. In der Mitte der Kuppel sollte ein Turm stehen, in dessen oberen Bereich die Technik eingebaut werden sollte, mit der über Projektoren auf der obersten Plattform der Nacht- und der Taghimmel dargestellt werden konnten. Im Idealfall würden an diesem künstlichen Himmel Wolken, Sonne, Schnee, Mond und Sterne erscheinen und die Illusion eines Aufenthalts unter freiem Himmel erzeugen. Die gesammte Höhle wäre ein See, in dessen Mitte eine Insel mit dem Turm läge. Diese Insel wäre ein kleines Land mit einigen Bauten und Bühnen, möglicherweise einmal bewohnt von einer Gemeinschaft sogenannter Vorbuddhisten, eine archaische, künstlich hervor- gebrachte Struktur, von der noch nicht zu sagen wäre, wohin ihre Entwicklung führen würde. Das gefällt mir, meinte Berg und fuhr fort: " Dieses Projekt liesse sich vielleicht mit dem zur Zeit geplanten Venusprojekt der zentralen Weltraumagentur verbinden. Es würde politische und finanzielle Mittel freisetzen können. Aber ich sehe ein Problem in der Örtlichkeit. Was sagt China, wie verhält sich Indien,- und Nepal ist in einer kritischen Lage." Korthaus antwortete: "Ja, da liegt ein ganz grosses Problem. Haben Sie eine Idee ?" Berg sagte:" Das Venusprojekt soll ein grosser Versuchsbau auf einer Sandbank werden, die selbst unter Wasser liegt. Wenn wir ein parallel dazu gebautes Werk im Südpazifik dafür einrichten würden, könnten wir die Aufgaben beider Projekte verbinden, und die territorialen Fragen wären relativ einfach zu lösen." Korthaus war begeistert: "Es hätte doppelten Nutzen. Das Venusprojekt dient der Er- probung autonomer Gemeinschaften, sozialer Bindungen, psychologischer Gefahren usw. Wir könnten mit dem Experiment der Vorbuddhisten ähnliches leisten und die Ergebnisse des Venusprojekts verwenden und ergänzen. Denn die Insel werden wir sehr wahrscheinlich nur finden indem wir sie hervorbringen." Berg meinte:" Das wäre vielleicht ein praktikabler Weg." Endlich waren die zwei Hubschrauber da. Korthaus und Berg flogen in den westlichen Teil, Nanamurti und Bernardette in den östlichen Teil Nepals. Berg und Korthaus organisierten aus dem fliegenden Hubschrauber heraus Planung und Bau der Insel. Ein mitfliegender Nepalese wies die Piloten in die Flugrouten ein. Das erste Kloster lag an einem Felshang. Da die Mönche keinen Hubschrauber landen lassen wollten, mussten sie einige Kilometer zu Fuss gehen. Es wurde eine mühselige Kletterei auf einem schwer begehbaren Pfad, der den Hang hinauf führte. Abgründe mal rechts mal links, Geröll, Alt- schnee und glitschige Steine bargen einige Gefahren. Die Mönche empfingen sie in der befestigten Anlage freundlich. Als Berg ihnen eine kleine Kiste mit Blattgold überreichte, waren sie sehr erfreut. Das Geschenk war genau richtig. Mit dem Blattgold konnten Skulpturen und Reliefs repariert werden, deren Vergoldung abgefallen und abgerieben war. Das Keller- gewölbe, welches sie bald darauf besichtigen durften, enthielt zwei grosse Reliefs mit Landschaftsdarstellungen und dem Sansara. Aber es gab keine Hinweise auf eine Insel. Zur gleichen Zeit waren Nanamurti, Bernardette und ein orts- kundiger Bergführer zu Fuss auf dem Weg von ihrer Hub- schrauberlandestelle in ein Hochplateau. Sie mussten einen verschneiten Pass überqueren und nahmen dabei ihr Gespräch wieder auf. Bernardette fragte: "Sie sagten: Auch die Vorbuddhisten suchten das Nirvana. Fanden sie einen Weg ?" Nanamurti antwortete: " Sie wissen, dass wir Gotama für den ersten Erleuchteten halten. Der Weg der Vorbuddhisten hat nicht zur Erleuchtung geführt." Bernardette fragte: " Was suchen Berg und Korthaus ?" Nanamurti antwortete: " Sie suchen einen Weg, einen unbekannten Weg, von dem niemand weiss wo er ist, wohin er führt." Bernardette fragte:" Und sie, was suchen sie ?" Nanamurti antwortete: " Unser letzter grosser Lehrer Krishnamurti sagte: Wer sucht, findet nicht." Bernardette meinte: " Das erinnert mich an Lao Tse: Tun das Nichttun, und doch bleibt nichts ungetan." Die drei kamen an eine schwierige Strecke des Wegs, das Gespräch musste unterbrochen werden. Nachdem sie wieder eine besser begehbare Strecke erreicht hatte, sprach Nanamurti: " Berg sagte, es gibt keine Singularität. Ich denke, die Frage, die zu dieser Aussage führen kann, ist schon falsch." Bernardette sah ihn erstaunt an: " Aber was ist das Nirvana ?" Er antwortete: " Auch diese Frage ist falsch. Fragen. suchen, forschen, alles ist falsch. Wer fragt, erhält Antworten. Aber Erleuchtung ist keine Antwort." "Ist es ein Zustand ?" " Das ist auch ein Wort, eine Vor- stellung. Wir finden es nicht in Worten und Vorstellungen. Sehen sie den Himmel, er sagt nichts, er fragt nichts und er antwortet nie." Bernardette dachte nach. Nach eigen Minuten sprach sie: " Berg will das Problem der Gesellschaft lösen. Für sich selbst ist er wohl am Ziel angelangt. Dabei hat er fest- gestellt, dass die Grundfragen der Gesellschaft alle auf das Gleiche hinauslaufen." Nanamurti meinte: "Und wie sieht das aus ?" "Das Rätsel des Seins. Es ist offen ob er es lösen muss oder ob es ausreicht mit dem Rätsel zu leben." Nanamurti erwiderte: " Vielleicht sind Rätsel und Lösung eine Fiktion." Bernardette sagte:" Ja, auch daran denkt Berg zuweilen." Berg und Korthaus waren in der gleichen Zeit in einem weiteren Kloster eingetroffen. Dort fanden sie wieder einige Reliefs mit Darstellungen des buddhistischen Lebenskreises. Aber es gab keine Hinweise auf eine Insel. Jedoch war auf einem Wandgemälde die berühmte "leere Tür" auf dem Grab eines Maharatschas dargestellt. Als die beiden Herren und ihr Berg- führer bald darauf einen verschneiten Pfad zum Landeplatz des Hubschraubers zurück gingen, hielt Korthaus Berg am Arm fest und sagte:" Wagram, das Zerspalten des feindlichen Zentrums mit Artillerie als Nahkampfwaffe." Berg verstand die An- spielung und sah ihn fragend an. Korthaus erklärte: " Zwei Hälften des Problems. Links die Expression, rechts die Versenkung, - oder Wachstum und Verlöschen." Berg war begeistert: " Sie haben recht, die Buddhisten haben es dar- gestellt. Die offene Tür in einem Rahmen, der ohne Gebäude frei im Raum steht. Sind sie wegen der Tür darauf gekommen." "Ja." Berg fuhr fort: " Was halten sie davon diese Tür vor dem Eingang der Insel aufzustellen, mit Schwimmpontons auf dem Meer ?" "Ich denke, das wäre ein gutes Symbol." Bernardette und Nanamurti führten ihre Gespräche bei den Wanderungen zu den Klöstern ebenfalls fort. Bernardette sagte: " Die Buddhisten leben alles so wie es sein soll. Aber was ist mit der Gesellschaft ?" Nanamurti antwortete: " Es ist ein und dasselbe. Die Menschen sehen und erkennen und wandeln dann mit uns. Aber der Westen zerlegt alles und hat dann immer neue Fragmente des Seins, die wiederum neue Problem machen." Berg und Korthaus waren nach Kathmandu zurück geflogen um an einigen Videokonferenzen teilzunehmen, die mit dem Bau der Insel zu tun hatten. Während eines Abendessens unter vier Augen sagte Berg zu Korthaus: "Erinnern sie sich an Nietzsche:"Der Buddhismus, die verfluchte Sucht." Korthaus antwortete: "Wollen sie das Nanamurti sagen ?", fragte Korthaus. Berg erwiderte:" Das ist notwendig, aber er ist stark, er wird darin kein Problem für sich sehen, aber eines für uns. Und doch wird sich einiges aufklären lassen." " Aber was hat Nietzsche gemeint ?", fragte Korthaus. Berg antwortete:" Ich vermute, dass er die gesellschaftlichen Fragen meinte. Denn aus unserer europäischen Sicht, leistet der Buddhismus nichts zur Lösung dieser Fragen. Obwohl, wir müssen vorsichtig sein. Immerhin ist das vorbildhafte Leben nicht ohne gesellschaftliche Wirkungen. Die Inder sind doch nach Buddha sehr viel friedlicher geworden." Korthaus meinte:" Das heisst aber, der Buddhist vertraut auf eine Selbstheilung, wenn der Mensch richtig lebt." Berg antwortete:" Ja, Krishnamurti sagte einmal, dass nur 500 Exemplare eines Buddhas ausreichen würden die Welt zum Besseren zu verändern." Zu einer Lagebesprechung rief Berg die drei Freunde zum Zeppelin zurück. Es waren einige Wochen vergangen. Der Zeppelin brauchte dringend Treibstoff, Helium und andere Versorgungsgüter. Also trafen sich Berg, Korthaus, Nanamurti und Bernardette in Kathmandu, nahmen eine Linienmaschine nach Ceylon, begaben sich dort in einen Hubschrauber und flogen zum Zeppelin zurück. Es gab viel zu erzählen. Nanamurti sagte: " Nach dem, was wir gefunden haben, gab es eine Insel, die aber vor etwa 10 000 Jahren versunken ist. Sie könnte aber noch als sogenannte Untiefe existieren und zu finden sein." Berg fragte:" Sind wir mit der Suche in den Klöstern damit am Ende ?" Nanamurti erwiderte: " Ich denke doch. Wir könnten diese Untiefe vielleicht östlich von Ceylon finden." Am Ende der vorgetragenen Berichte erläuterte Korthaus den Bau der Insel, der nun nicht mehr geheim gehalten werden sollte. Nanamurti lächelte weise, wie einer, der sich freut dass die Kinder vergnügt mit ihren Spielzeugen beschäftigt sind. Er sagte aber nichts. Bernardette war sehr daran interessiert, die weiteren Pläne der beiden Alten zu ver- folgen. Also beschlossen die Vier zusammen zu bleiben und die versunkene Insel zu suchen. Später wollten Berg und Korthaus die Baustelle der künstlichen Insel im Südpazifik besuchen. Währenddessen würden Nanamurti und Bernardette mit dem Zeppelin im Gebiet östlich von Ceylon weiter nach der versunkenen Insel suchen. In der Nähe des 120 Längengrads und 30 Grad Breite, bei der britischen Insel Ducie, war die Baustelle der künstlichen Insel des Venusprojekts. Es sollte ein völlig neues Verfahren erprobt werden. Vorgesehen war, auf einer provisorischen Pontoninsel von 1/2 Quadratkilometer Grösse eine Fabrikationsanlage einzurichten mit der zwei spezielle Kunstoffhüllen hergestellt werden sollte, die je einen Durchmesser von 800 Metern haben würden und als grosse Luftblasen im Wasser schwimmen könnte in einer Tiefe von etwa 40 Metern. Eine für das Venusprjekt und eine für Korthaus künstlicher Insel. Innerhalb dieser Blase, die zu einem Fünftel mit Wasser gefüllt würde, wäre eine Insel von 400 Metern Durchmesser angelegt, die von einigen Menschen zeitweilig bewohnt werden würde. Es war eine abgewandelte Besiedlungs-Konstruktion wie sie auf der Venus einmal entstehen sollte. Nachdem einige Wochen vergangen waren flogen Berg und Korthaus nach Neu Dehli, während der Zeppelin Kurs auf Melbourne nahm um dort für die nächste grosse Fahrt beladen zu werden. Nach fünf weiteren Tagen erreichten Berg und Korthaus mit einem Wasserflugzeug den 120 Längengrad und die Baustelle der zukünftigen Unterwasser-Inseln. Es waren einige Pontons bereits von der US Westküste ein- getroffen. Einige weitere Grossfrachter wurden in den nächsten Tagen erwartet. Die beiden Freunde waren in ihrem Element. Sie liessen sich vor Ort die Arbeiten erklären und setzten sich über Funk mit den wichtigen Stellen dieser Organisation in Verbindung. Neben einer Wohnbaracke auf einem der Pontons waren Tische und Stühle aufgestellt. Dort sassen die Beiden und sprachen über ihre Projekte. Korthaus meinte:" Wir sind jetzt wieder ganz Europäer. Von Ruhe ist keine Spur mehr. Kommen wir den Indern auf diesem Wege näher ?" Berg meinte: " Nein, wir sind weiter weg von ihnen als je zuvor. Aber es gibt auch eine Ruhe in der Unruhe. Wenn ich richtig tief drin stecke in der Unrast, denke ich zuweilen, es wäre doch irgendwie eine Meditation." Korthaus sagte: " Ich habe einmal gedacht, wenn man genauso lebt wie man ist, ist man im Mittelpunkt seiner selbst." Berg meinte: " Der Meditiernde wandert in der Ruhe aus sich selbst heraus und wir gehen mit der Unrast in uns hinein. " Sagen sie Berg", begann Korthaus und fuhr fort: " Sehen sie eine Lösung für alle innerhalb der Gesellschaft oder nur für Einzelne?" Berg fragte nach: " Denken sie, es wären in Einzelnen die persönlichen Fragen bereits gelöst und die gesellschaflichen blieben noch zu lösen." "Ja." Berg antwortete: " Sie wissen, dass der indischen Philosophie alles zusammen gehört, aber der Einzelne schreitet vor und die Andern machen, seinem Beispiel folgend, die Schritte später nach. Das heisst doch zweierlei,- die Probleme müssen auf beiden Seite gelöst werden. Andererseits ist der Voran- schreitende in der Situation mit seiner Lösung vorher zugehen, und deshalb kann er seine Fragen beantworten, bevor die Gesellschaft ihm folgt." Korthaus meinte: "Das heisst, der Voranschreitende kann durchaus schon Lösungen haben." Berg antwortete: " Dem Buddhismus nach reicht das Vorbild des Erleuchteten, es gibt keinen Plan." Korthaus meinte: " Das könnte sein, aber wie steht es mit uns ?" Berg: " Wir suchen, offen bleibt, wie es weiter geht." An einem der folgenden wurde ein Ponton mit einem Garten herangeschifft. Inmitten der Gemüsebeete und Obststräucher war ein Pavillon eingerichtet, zu dessen Seiten zwei Blumen- felder lagen. Vor dem Eingang war eine Wiese. Korthaus begab sich mit Berg in diesen Pavillon. Nachdem sie eine Weile den Garten betrachtet hatten, unterbrach Korthaus das Schweigen: " Ich denke wir sind näher am Ziel, als wir es bisher gedacht haben. Sie dachten doch daran, dass nicht nur die Moleküle und Elemente den Lebewesen gleich wären sondern auch die Dinge der anorganischen Welt, der sogenannten Latenzebene." Berg fragte: "Was folgt für Sie daraus ?" Korthaus sprach weiter: " Wenn nun ebenso alles Lebende in diesem erweiterten Sinne ebenso Teil der Leistungen des Ichs wäre, Projektion, Produktion und Ich zugleich ? Was unterscheidet diese Vor- stellungen vom kosmischen Bewusstsein der Buddhisten?" Berg meinte:" Es wäre eine grosse Ähnlichkeit möglich, - aber.." " Aber ?" fragte Korthaus. Berg antwortete: " Wir sehen alles auseinander treiben ins Nichtidentische. Wir sehen die Bündelung in einem Begriff als Illusion." Korthaus sagte:" Eben, das sieht der Buddhist auch. Könnte nicht das Nirvana eben dies sein, das völlige Verlöschen im Nichtidentischen, in der Auflösung ?" Berg sah seinen Freund an und sagte:" Es wäre möglich." "Aber wozu das Ich, es verleitet doch zu einer Singularität?" meinte Berg. Korthaus war in zu milder Stimmung, als dass er die alte Fehde um den Vorrang eines Begriffs aufgegriffen hätte. Er sprach: " Ich habe durchaus etwas gelernt. Das Ich ist dem Leben sehr ähnlich und und nicht dieses einzelne Ich, wie ich es früher sah." Berg sprach überrascht: " Ohne Solipsismus ?" " Ohne,- ich gehe soweit anzunehmen, dass sie etwas Ähnliches meinen mit dem "Leben" wie ich mit dem "Ich"." " Nein, mein lieber", griff Berg den alten Streit nun doch auf:" das Universum kommt gut ohne das Ich aus, auch wenn Sie das Gegenteil meinen." Korthaus sagte: " Aber gestehen sie mir zu, dass sie nichts davon wissen können ohne das Ich." Berg antwortete: " Ja, das ist gewiss wahr." Korthaus dachte einen Moment nach, dann sagte er:" Es ist doch bemerkenswert, mit welcher Sicherheit die alte indische Philosophie von der Existenz einer objektiven Welt ausgeht, die eigentlich ohne Ich denkbar wäre." Berg erwiderte: " Ich bin im Zweifel ob es so gemeint ist. Andererseits ist ohne Bewusstsein nichts vorhanden. Wir vermuten nur, dass ohne Ich etwas wäre." Korthaus nahm diesen Satz mit grosser Zufriedenheit auf. War er doch eine Annäherung an Korthaus Idee einer Welt die aus dem Ich heraus entstanden ist. Berg sprach weiter: " Nach allem was wir wissen, sieht der Urmensch zunächst nur sich selbst, das Tier macht es genauso. Dann erfolgt die Wende ins Objektive. Man sieht, dass die Umwelt das Ich erhält, nicht umgekehrt. Zuletzt aber, nachdem das Ich in der Objektivität verschwunden ist, erkennt es, dass es der Schlüssel ist, und ohne Ich gar nichts vorgestellt werden kann.- So verhält sich ein Paradoxon oder der klassische unlösbare Widerspruch." Korthaus nickte zustimmend. An einem der nächsten Vormittage erhielt Korthaus einen Anruf, der die Beiden in höchste Aufregung versetzte. Dies hatte folgende Vorgeschichte: Bereits vor Monaten hatte Korthaus ein Tieftauchteam zu den Azoren gesendet, mit dem Auftrag nach Überresten des versunkenen Atlantis zu suchen. Nun berichtete der Archäologe: " Wir haben ein Fragment gefunden, offensichtlich ein Bruchs- stück eines Tellers oder einer Scheibe, auf der ein Kreis- abschnitt zu sehen ist und mehrere kreisförmig angeordnete Köpfe. In den nächsten Tagen ist die Altersanalyse fertig. Was sagen sie dazu ?" Korthaus lachte: " Was ich dazu sage, grossartig, ganz grossartig." Bald danach waren Berg und Korthaus im Gespräch über diese Nachricht vertieft. Korthaus sagte: " Ich habe es immer vermutet, die Azoren sind Teil des Insel- kontinents, der vor etwa 10 000 Jahren infolge eines Impaktes und des darauf folgenden Vulkanismusses untergegangen ist. Es könnte das legendäre Atlantis gewesen sein. Aber der Fund weist auch auf eine möglicherweise ähnliche Dartellung hin wie jene. die den indischen Lebenskreis darstellen." Berg war natürlich beeindruckt und meinte : " Wollen wir spekulieren ?", er beantwortete sich selbst: " Vielleicht waren die Vorbuddhisten Atlanter." Korthaus meinte:" Schwierig, denn die letzten Vorbuddhisten lebten vor 3000 Jahr..." Er stockte, dachte kurz nach und fuhr fort: " Nachfahren der Atlanter." Berg fügte hinzu: " Wie die Ptolomäer, die sich auch als Nachfahren der Atlanter verstanden." Korthaus erwiderte: " Lassen sie uns mit dieser Hypothese weiter arbeiten, parallel zum Bau der Unterwasserinsel und der Suche im indisch-australischen Raum." An ein Bleiben auf der Baustelle war nun nicht mehr zu denken. Berg und Korthaus flogen mit dem Hubschrauber nach Australien, bestiegen ein Flugzeug nach New York und flogen dann weiter zu den Azoren. Sie nahmen von dort wieder einen Hubschrauber und gelangten schliesslich zu der Stelle der deckung des unterirdischen Hohlraums. Der Eingang zum unter der Wasseroberfläche liegenden Höhlensystem war bis auf eine wenige Meter dicke Felsschicht freigelegt worden und über einen Schacht mit dem Ponton verbunden. Er war leergepumpt und konnte mit einem Fahrkorb erreicht werden. Korthaus fuhr mit einem Ingenieur hinab. Der setzte eine Bohrung und schob eine Messonde in den Hohl- raum hinein. Bald war klar, dass keine giftigen Gase im Raum waren. Die ebenfalls eingeschobene Kamera zeigte behauende Innenwände und die Linien von eingeritzten Formen und Ansätze von Relieffiguren. Äusserst nachdenklich und beeindruckt kam Korthaus zu Berg auf das Schiff zurück. Berg fragte: " Wie geht es weiter ? Korthaus erwiderte: " Wir senden die Proben und Daten nach Madrid und holen die Erlaubnis ein, den Hohlraum zu untersuchen und dann zu betreten, falls es möglich ist. Es könnte sein, dass er ein- stürzt. Die beiden verbrachten die Tage des Wartens auf dem Expedit- ionsschiff, dass in der Nähe des Pontons geankert hatte. An dem Tag als die Höhle geöffnet wurde, waren Korthaus und Berg mit dabei. Dieses erste Team bestand ausser den Beiden aus einem Bergführer, einem Geologen und zwei Tiefbau- ingenieuren. Zunächst trafen sie auf einen Hohlraum von etwa 8 mal 12 Metern. Die Wände waren tonnenförmig gewölbt und grob behauen. Einige Stellen waren glatt geschliffen, andere noch halbwegs roh. Offennbar war es eine unvollendete Baustelle. An den Wänden waren an einigen Stellen Zeichnugen eingehauen. Sie waren wegen der unzureichenden Lampen des Teams nicht vollständig überschaubar. Es waren Karten und Alltagsszenen eingeritzt. An einigen Stellen waren die Anfänge von Reliefbildungen zu sehen, die offenbar nicht fertig gestellt worden waren. Berg und Korthaus gingen in einen von mehreren röhrenförmigen Gängen am anderen Ende des Raums. Der Geologe war mit den Wänden des ersten Raums beschäftigt, die anderen untersuchten die behauenen Stellen der Höhle. So dachte keiner an die Zeit und bemerkte auch niemand, dass Korthaus und Berg zunächst nicht zurück kamen. Schliesslich, nach mehr als 8 Stunden, machte einer der Ingenieure die andern auf die Zeit auf- merksam. Wo waren Berg und Korthaus ? Sie beschlossen die Beiden zu suchen. Dazu teilten sie sich auf und hinterliessen in den Gängen weisse Farbstreifen um den Rückweg nicht zu verlieren. Am Ende eines Gangs, der offensichtlich in einen weiteren Hohlraum führte, entdeckte der Bergführer die Beiden. Sie standen da, aber völlig regungslos. In ihrem Rücken war die Öffnung eines weiteren Raumes im Schein der Lampen zu sehen. Die Beiden Freunde standen noch immer regungslos. Die herbei- gerufenen Anderen erschraken bei diesem Anblick. Im Schein der Lampen sahen sie die völlig verwandelten, vom Entsetzen gezeichneten Gesichter von Berg und Korthaus. Diese sahen aus, wie im Schrecken erstarrt, wirkten zugleich wie erloschen und schwer und traurig. Keiner sagte etwas. Sie standen da, alle sechs und sagten nichts. Schliesslich gingen Berg und Korthaus auf die andern zu und sagten nur: " Gehn wir". Dabei zeigten sie, das sie nicht in den Hohlraum der hinter ihnen lag, zurück wollten und auch die andern sofort mit ihnen zum Ausstieg gehen sollten. Am späten Abend waren die Beiden noch immer gezeichnet von den Eindrücken aus dem Höhlensystem. Als sie bald darauf in dem Expeditionsschiff in einer Kabine zum Gespräch unter vier Augen waren, sprach Berg zu Korthaus: " Was mich am meisten erschüttert hat ist der Einblick in diese wunderbare untergegangene Kultur. Ich glaube, dass sich die Menschheit noch nicht wieder zu jener Höhe heraufgehoben hat, in die wir gerade Einblick genommen haben." Korthaus nickte. Berg sprach weiter: "Offensichtlich haben die Atlanter die Probleme der Bindungen, der Familie, des Clans und die heute ungelösten Fragen von Eigentum, Gemeinschaftsleben, also die grossen Fragen des Staates sehr weitgehend gelöst." Korthaus meinte: " Das denke ich auch so. Und ich glaube sie waren in der Tat die Vorläufer oder Begründer der Vorbuddhisten. Es war doch neben der Gruppe der Liebenden dieser Meditationskreis dar- gestellt." "Sie meinen die im Stern liegenden Figuren". " Ja", bestätigte Korthaus und sprach weiter: " Sie haben also das Feuer und das Verlöschen gekannt in einem einzigen Lebensstrom." Berg meinte: " Ja, sie haben es gekannt." Berg, Korthaus und der Geologe stiegen in den nächsten Wochen noch häufig in die Höhle hinab, fertigten Abdrücke, Filme und Fotos an, und der Geologe nahm Bodenproben. Schliesslich war die Arbeit abgeschlossen. Die Stimmung der beiden Freunde hatte sich deutlich gewandelt. Sie waren in ausgesprochener Unternehmerlaune, da sie eine Möglichkeit sahen, das Bauprojekt der Unterwasserstation im Pazifik mit dem erworbenen Wissen der Atlanter zu verbinden. Da die Bauarbeiten bei der Ducie Insel noch Monate dauern würden, beschlossen sie nach Hause zu fliegen und anschliessend, nachdem Korthaus seine Frau getroffen hätte, sich im alten Turm an der Ostseeküste wiederzusehen. Der Zeppelin flog seit Wochen über dem Meer auf der Suche nach einer unentdeckten oder versunkenen Insel. Zwei Krater wurden entdeckt, zu denen Tauchteams bestellt wurden. Aber sie fanden nichts. Damit war die Suche beendet. Wenn es je eine Insel der Vorbuddhisten in jenem Grossraum zwischen Indien und Australien gegeben hatte, so war sie nicht mehr vorhanden, allenfalls Reste untergegangener unbewohnter Inseln. Als Berg und Korthaus vom Ergebnis der Suche erfuhren, schlugen sie den andern vor sich mit ihnen im alten Turm an der Ostsee wieder zu treffen. Nanamurti sagte nicht zu, weil er zunächst in Indien bleiben wollte. Später hatte er aber vor ebenfalls zum Turm zu reisen. Endra, der Freund Bernardettes blieb im Zeppelin und wollte nach der Heimfahrt in Hamburg bleiben. Korthaus war in seiner Stadt bei seiner Frau angelangt. Sie stand in der Küche, sagte betont unterkühlt: "Hallo" und tat so als sei er nur für einige Minuten ausser Haus gewesen. Sie wendete sich ihm zu ohne mit dem Hantieren aufzuhören und wollte gerade fragen, ob das etwa die versprochene " nicht mehr als acht Wochen Reise" gewesen wäre. Sie sah aber an seinem Gesicht etwas tiefgehend Ernstes und Betroffenes, das sie sogleich innehalten liess. Korthaus setzte sich, sie brachte einen Kaffee, setzte sich zu ihm und sah ihn an, fragend aber ohne etwas zu sagen. Er brachte auch kein Wort raus. Frau Korthaus sprach daher von dem, was so jeden Tag passiert: Der Installateuer war im Haus gewesen, ein dicker Bücherbrief aus Spanien war eingetroffen usw.. Korthaus hörte zwar nicht zu, genoss aber den Wieder- eintritt in sein Leben zu Hause obwohl und gerade weil es seine Einsamkeit spürbar machte und zugleich doch sein ver- trautes Leben war. Berg ging, an der Küste angelangt, zur Tür des Turms, schloss sie mit dem grossen uralten Messingschlüssel auf, ging die Wendeltreppe im Turm hinauf, betrat den runden Raum mit der Leuchtlampe in der Mitte, öffnete die Tür zum runden Freigang, ging hinaus, lehnte sich am Geländer an, sah den Abendhimmel mit seinen farbigen Wolken- schlieren, das Meer und holte tief Luft. Er war wieder allein. Vor seinem inneren Auge liess er die Bilder aus den Höhlen der Atlanter vorbei ziehen. Sie kannten kein persönliches Ich sondern eine individuelle Linie. Sie war das Zentrum und Ich. Die Folge dieser Sicht war für die Atlanter eine wesent- lich weitreichendere Vorsorge als sie den bekannten, heutigen Zivilisationen gewohnt war. Auch das Alter war anders für die Atlanter. Eine Schrift hatten sie in der Höhle nicht gefunden, aber bildhafte Sequenzen, die ebenso oder sogar deutlicher reden konnten als eine Schrift es vermocht hätte. Entfernt glichen sie den ägyptischen Hieroglyphen. Es gab Landkarten in Reliefausführung, die den nördlichen Teil Afrikas, Arabien bis Indien zeigten und von grosser Genauigkeit waren. Eine andere Sequenz zeigte den Ablauf eines Impaktes. Wenn es derjenige war, der Atlantis vernichtet hatte, mussten die Darstellungen nach dem Untergang gemacht worden sein. Der Zustand der Höhle liess den Schluss zu, dass die zerstörerischen Kräfte ihr nicht viel ausgemacht hatten. Da sie aber unter der Meeresoberfläche lag, war es denkbar, dass die Überlebenden der Katastrophe in ihr zugrunde geganen waren. Aber es wäre auch interessant zu untersuchen ob es für sie ein Entkommen gab. Möglicherweise zeigten die Höhlen- darstellungen einen früheren Impakt, der nicht den Untergang verursacht hatte. Berg nahm sich vor, mit Korthaus zu besprechen, ob man Untersuchungen zu diesen Fragen würde veranlassen können. Korthaus hatte einige Tage zu Hause mit seiner Frau verbracht und folgte dann dem Vorschlag des spanischen Forschungs- ministers, die Bodenproben und andere Materialien aus der Höhle der Azoren untersuchen zu lassen. Daher war er bereits zwei Wochen nach Ankunft zu Hause wieder auf dem Weg in die USA. Es dauerte nur 9 Wochen bis Berg von Korthaus angerufen wurde: "Ich habe eine Neuigkeit, der Impakt, den die Atlanter dar- gestellt haben war vor 30 000 Jahren." Berg war wie elektrisiert:" Das hat ja ungeahnte Folgen." "Sie sagen es. Ich habe das Material ausgewertet, die Filme, Fotos der eingeritzten Sternenkarten, Bodenbefunde usw. studiert. Die Atlanter waren uns haushoch überlegen, - auch technisch ?." "Technisch ?" fragte Berg überrascht. "Ja mit einem Unterschied, sie hatten keine Chance Impakte durch Raketen zu verhindern. ihre Stärke lag in der Biochemie." "Das wird ja immer interessanter ", meinte Berg. Korthaus sagte:" Ich komme zu Ihnen und bringe alles mit, was ich transportieren kann. Haben Sie PC, Projektoren usw. im Turm ?" "Ja." Einige Tage später fuhr ein kleiner Lieferwagen den Weg zum Turm hinauf. Berg empfing Korthaus vor der Tür. Dieser hatte einiges mitgebracht und deshalb den Fahrer gebeten mit auszuladen. Also trugen die drei die Geräte und Materialien zum Turm hinauf. Als alles oben war, der Fahrer entlassen, brachte Berg seinem Freund einen Tee und fragte:" Sind Sie zufrieden ?" Korthaus erwiderte: "Aber ja, sehr. Erinnern Sie sich an die indischen Tierdarstellungen ?" Berg fragte: Meinen Sie diese erotischen ungewöhnlichen Stier- Frauen-Bilder ?" "Ja. Ähnliche gibt es auch in den Höhlen von Atlantis. Aber sie sind nicht mythologisch bei den Atlantern. Sie haben experimentiert." Berg fragte: " Haben Sie etwas dabei." " Ja, wir können es gleich ansehen." Korthaus baute den Diaprojektor auf und begann:" Sie sehen hier eine Dar- stellung, die dem ägyptischen Himmelsstier ähnlich sieht. Aber diese hier zeigt bestimmte helle Sterne am Geweih des Stiers. Bis auf diese hellen, man könnte meinen Kometenbrocken gleicht diese Darststellung jenen, die wir vom Alten Reich aus Ägypten kennen." "Das heisst", entfuhr es Berg. Korthaus: " Die Ägypter hatten den Ursprung der Aufzeichnung längst vergessen. Die Aufzeichnung zeigt den Himmelsstier als Impakt. Er nimmt die Erde auf seine Hörner. Die Ägypter haben die hellen Brocken nicht dargestellt, weil in der Zwischenzeit von etwa - 8000 Jahren bis - 3000 Jahren das Wissen um den Anfang der Darstellung bereits verloren war." Nun fragte Berg: " Was ist mit den Frauen-Stier-Szenen ?" Korthaus meinte: " Sehen sie die Geburtszenen, die wir ähnlich auch von den Indischen Schattenspielfiguren kennen. Bei den Indern gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Geburts- und den Stierszenen, aber hier..." er zeigte ein neues Dia aus den Höhlen:" sehen sie neben den Frauen bei der Geburt den Himmelsstier, der auf zwei Beinen steht." " Haben Sie eine Erklärung", fragte Berg. Korthaus erwiderte:" Sie haben genetisch experimentiert. Es ist auf dieser Darstellung wohl nicht zwingend, aber warten sie die weiteren Bilder ab, es kommt noch wesentlich deutlicher." Da Korthaus die Dias noch nicht völlig geordnet hatte, dauerte es eine Weile bis wieder zum vorher Gesagten passende Bilder auftauchten. Korthaus meinte nun: "Sehen sie diese Ritzzeichnungen: Aus dem Bauch der Frauen, die hier eine Reihe bilden, kommen Kinder. Aber bei jeder 3. Frau erscheint ein Stier. Der Stier ist klein und ohne Hörner. Dann, sehen sie !", sagte Korthaus aufgeregt:" Hier dieses Gebilde, ein auf zwei Beinen stehender kleiner Stier mit Händen statt Hufen." Berg sah sich das genau an und meinte: " Aber das ist doch nicht möglich." Korthaus stimmte zu: " Das ist gewiss nicht denkbar, aber es handelt sich hier um eine Modelldarstellung. Wir werden so etwas noch häufiger sehen." " Wie meinen sie das ?", fragte Berg. Korthaus erklärte: " In der Modelldarstellung gibt es eine Zielprojektion und die Darstellung einzelner Schritte in symbolhaften Bildern." "Und warum symbolhaft und nicht als Abbild ?" Korthaus erklärte:" Weil sie keine Mikroskope kannten und die Verschmelzung der Keimzellen nicht darstellen konnten." Am anderen Morgen setzten die beiden Freunde ihre Gespräche fort. Während des Tees fragte Berg: " Kommt Ihnen da etwas bekannt vor, bei dieser Art der Bildersprache ?" Korthaus meinte: " Ja, sie stellen alles in Symbolen dar, die man als Eigenschaftsüberschneidung verstehen kann. Sie haben zum Beispiel bei den Mensch-Stier-Darstellungen die Energie durch den Stier, die Intelligenz durch den Menschen dargestellt. Vermutlich haben sie einen besonders kräftigen und zugleich klugen Typus ange- strebt." Berg fragte: " Was halten Sie von diesen vielzahligen Darstellungen. Immer sind es gleich dutzende von Köpfen, Händen usw. Nach unserem Verständnis brauchten sie nur eins oder zwei machen." Korthaus lächelte, nahm den Tee und meinte: " Sollte ich ihnen etwas voraus sein ?" Berg: " Ich hoffe doch, sie haben viel mehr Zeit gehabt sich mit diesem Material zu befassen. Die Laborbefunde kenne ich noch gar nicht." Korthaus antwortete: " Es gleicht den Hirnvorgängen, genauer dem Feuern der Neuronen. Der Gedanke besteht ja nie aus einem Impuls oder einer Nachrichtenlinie, wie wir es in der Technik kennen sondern aus einem Büschel gleicher und fast gleicher Pulsfolgen und Nachrichtenmolekülen." Berg war überrascht: " Ja, jetzt wo sie es sagen. Es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Aber das könnte doch bedeuten, dass sie die Hirnsprache direkt übersetzen konnten. Wir sind dazu ja nicht in der Lage." Korthaus sprach: "Ja, diesen Gedanken hatte ich auch. Die Darstellungen sind möglicheweise eine direkte Umsetzung der Neuronen- ströme in serielle Bildfolgen ohne den Umweg über ein logisches oder lineares Symbolsystem." Berg sagte:" Ja, und vielleicht können wir es einmal ent- schlüsseln." Korthaus holte einige Fotos hervor, auf denen Serien von Köpfen, Armstellungen und Objekten zu sehen waren, die scheinbar identisch waren. Dann sagte er:" Wenn es eine Analgie zu den neuronalen Aktivierungen geben sollte, müssten diese Darstellungen untereinander differieren, und zwar aufsteigend in irgendeiner Weise. Vielleicht die mitleren etwas grösser oder in bestimmter Weise verzerrt." Berg meinte: " Ich verstehe." Korthaus fuhr fort: " Je nachdem wo diese Abweichungen liegen, könnten darin die Aussagen verpackt sein." An einem Nachmittag fuhr Korthaus in die naheliegende Kleinstadt um Projektorbirnen zu kaufen. Berg besah sich derweil einige Fotos aus der Höhle, zu deren Durchsicht die beiden bisher noch nicht gekommen waren. Eines jener Fotos zeigte eine schwach gewölbte Wand mit mehreren Reliefgruppen, die Personen in verschiedenen Lebensaltern darstellten, angefangen mit der Kindheit, endend mit dem Sterben. Dabei kam Berg eine bisher verschollene Erinnerung hoch, Eindrücke die er in der Höhle gehabt hatte, die aber von anderen Bildern, die anschliessend auf ihn eingewirkt hatten über- lagert worden waren. Er hatte in der Höhle auf dem Gewölbe scheinbar Szenen seines eigenen Lebens gesehen. Personen- gruppen seiner Kinderfreunde, Szenen aus dem militärischen Alltag. Alle diese Gruppen waren wie in Stein erstarrrt, aber durchaus räimlich und wie lebendig. Dann sah er, dass diese Szenen über und nebeneinander auf der Gewölbeoberfläche lagen und ihm erschienen wie gekrümmte Räume. Nun, da er diese Eindrücke wieder vor sich sah, fiel ihm dazu Krishnamurti ein, der wie einige andere Denker auch das Sein als ein statisches Jetzt beschrieben hatte, eine Art Nullzeit, die in einem gekrümmten Raum alles in sich trug, was je existierte. Er dachte, dass diese gekrümmten Räume vielleicht einer Kugel angehörten. vielleicht einer Kugel des Ichs. War es eine Innenansicht der Welt als Ich ? Sollte Korthaus recht haben ? Er verwarf den Gedanken wieder, beschloss aber Korthaus davon zu berichten. Als dieser zurück war und das von Berg Erlebte gehört hatte, meinte er:" Es könnte ja sein, dass es alles im Ich ist, aber statisch, wie sollte das möglich sein ?" Berg meinte:" Vielleicht sehen wir eine Invertierung der Zeit." Korthaus fragte: " Wie meinen Sie das ?" Berg erläuterte: " Wenn man eine Figur modelliert, lässt sich davon ein negativer Abdruck machen. Die Form wird invertiert. Wenn man von bewegten Strukturen einen, symbolisch verstanden, Abdruck machen würde, wäre denkbar, dass man ein statisches Gesammtes erhielte, aufgeklappt in einem unbewegten Raum." Korthaus antwortete: " Ein ungeheuerlicher Gedanke. Wir sollten vielleicht nach Invertierungen im Material der Atlanter suchen." Die Beiden untersuchten das Material der Atlanter weiter, erhielten in den folgenden Wochen Laborberichte über die versandten Bodenproben, kamen aber mit der Deutung der in den Kunstwerken verschlüsselten Nachrichten nicht weiter. Die spezielle summarische Symbolschrift blieb rätselhaft. Einige Tag später rief Bernardette an: " Wo ist der Zeppelin ?" Berg erzählte vom Hangar, in dem er gerade überholt wurde. Bernardette sagte: " Ich vermisse die Südseenächte im Himmel auf der Plattform." Berg erwiderte: "Korthaus hat ein Schauspiel geschrieben, das in der Insel vorgeführt werden soll. In einigen Monaten ist es soweit. Wir treffen uns dann in der Südsee. Wollen sie mit dem Zepplin vorausfliegen ?" Bernardette antwortete: " Sehr gern, was muss ich tun ? " " Wo sind sie ? " " In Hamburg." Berg antwortete: " Dann rufen sie den Meier von der Werft an, der holt sie ab und sie fliegen los." Am späten Abend kam der Ingenieur Meier in der Bahnstrasse in Hamburg an und holte Bernardette ab. Im Wagen unterrichtete er sie über das, was Berg mit ihm telefonisch abgesprochen hatte:" Wir fahren zum Zeppelinhangar bei Bremerhaven. Dort ist die Mannschaft bereits eingetroffen, der Zeppelin ist startklar. Wir können mit dem Kapitän besprechen, wo sie zuerst hinreisen wollen." Bernardette fragte:" Gibt es keine festgelegte Route ?" " Nein, Berg überlässt es Ihnen, wohin Sie in den nächsten Wochen fliegen wollen. Das Schauspiel von Korthaus in der Insel im Südpazifik wird in 72 Tagen stattfinden. Sie können über den Zeppelin verfügen, wie Sie wollen." Bernardette war begeistert. Sie sagte:" Das heisst wir könnten die Route ostwärts über Indien nehmen und Nanamurti abholen." "Ja, das geht ohne weiteres. In Ceylon ist eine Nachschub- stelle, die wir in diesem Falle anfliegen um uns für die Pazifikreise auszurüsten." Mitten in der Nacht kamen sie am hell erleuchteten Hangar an. Der Zeppelin wurde gerade für den Auszug ins Freie vorbereitet. Der Kapitän begrüsste die Beiden:" Guten Abend, schön dass Sie da sind. Wir können im Morgengrauen abfliegen. Möchten Sie noch etwas schlafen ?" Bernardette antwortete: " Gern, vielleicht können wir vorher noch etwas essen." Neben dem Hangar waren einige Räume, die mit einer Kantine versehen waren. Dort sass die gesammte Mannschaft bei einem Nachtessen. Endra war nicht dabei. Er hatte eine andere Arbeitsstelle auf dem Hamburger Flughafen angetreten. Das war Bernardette natürlich bekannt. Sie hatte ihn in den letzten Wochen einigemale besucht. Ihr war es ganz recht, dass er nicht dabei war. Sie verspürte Lust auf eine einsame Fahrt. So ganz einsam war sie natürlich nicht, denn die Mannschaft war ihr gut bekannt. Sie würden daher Gelegenheit finden Gespräche zu führen und die Fahrt gesellig zu gestalten. Als die Sonne aufging, der Himmel sich rötete, zog ein schwerer Wagen den Zeppelin zum Landemast. Die Leute stiegen in die Tragekörbe, wurden hochgefahren in den Zeppelin, und dann war es soweit. Die Motoren fuhren hoch, die Leinen fielen herab, und der Zeppelin stieg in den klaren dämmernden Morgen hinauf. Der Zeppelin flog über das Meer. Er sollte über den Atlantik, vor der Westküste Afrikas, um das Kap der Guten Haffnung, an der Ostküste Afrikas, durch den Indischen Ozean nach Ceylon fahren. Es war tiefe Nacht, die Motoren des Zeppelins waren für einige Stunden abgeschaltet, die Nacht sternenklar und kühl. Bernardette stand auf der Plattform, sah unter sich die schwarze, blanke Glätte des Meeres, im Westen Restlicht der Dämmerung, über sich die Sterne des Frühsommerhimmels. Sie breitete ihre Arme aus, wie zum Beginn des Vogelflugs, atmete tief ein und aus und fühlte sich eingesunken in Wind und Ruhe. Einige Stellen des Meeres waren völlig glatt und spiegelten die Sterne , spielten einen zweiten Himmel vor, sodass ein Weltraum den Flugkörper aufnahm, der schwerelos und ziellos da war. Bernardette war alles in und um sich selbst: Himmelskugel, Meer, klopfendes Herz und halb geöffneter Traum. Gegen morgen wurden die Zepplinmotoren eingeschaltet. Bernardette wurde durch das Gebrumm wieder zurückgeholt, erschrak etwas. Dann fiel ihr auf, dass die Motoren nicht so laut waren, wie sie im ersten Schreck erschienen waren. Der Zeppelin zitterte leicht, dann nahm er Fahrt auf. Vielleicht ergeht es einem auf dem Rücken eines Wals ebenso wie mir, dachte Bernardette. Sie ging zur Treppe und stieg zum Passagierdeck hinab. Dort sass die Frühschicht der Mannschaft beim Frühstück, acht junge Männer. Sie wurde begrüsst und gefragt, ob es ihr oben gefallen habe. Bernardette konnte kaum die nächste Nacht abwarten. Sie war süchtig geworden nach der Einsamkeit zwischen Himmel und Erde. Berg hatte ihr völlige Freiheit für den Zeppelin verschafft. Sie konnte fliegen oder verweilen wo und wie wollte. Für Berg war sie Teil des grossen Experiments, bei dem alles ungewiss und Rätsel und jeder Beteiligte eine Überraschung war. Mitten in der Nacht, während Bernardette in einem Liegestuhl oben auf der Plattform des Zeppelins in den klaren Sternen- himmel sah, verlor sie die Unterscheidung zwischen objektivem Sehen und dem Ansehen innerer Bilder. Es schien ihr der samt- schwarze Himmel durchzogen von einem dunkelgrünen Streifen- muster. Die Streifen waren durchscheinenden Nebeln gleich, die Paralleln bildeten, von einem zum gegenüberliegenden Horizont. Eine eigenartige Gefühlswelt war damit verbunden. Sie wollte zu diesen Bändern hinaufgehen, als ob sie bisher nie gestillte Wünsche erfüllen könnten. Sie stand auf, ging zur Reeling und sah diese Streifen noch immer. Sie dachte an Polarlichter. Dann rötete sich der Himmel im Süden, jedoch weit in den Sternen. sodass sie rot unterlegt erschienen. Diese Rötung ging höher zum Zenith wieder in grüne Streifen über, dazwischen der samtschwarze Weltraum. Ihr Wunsch hinauf fliegen zu können ging scheinbar mühelos in Erfüllung. Sie schwebte, ohne den Boden der Plattform zu verlieren hinauf zu den Streifen und raste zwischen ihnen wie auf einer grünen Bahn voran, Sterne über sich und neben sich vorbeiziehend. Und doch war sie noch immer auf der Plattform des Zeppelins. Er flog wie mit ihr verwachsen den gleichen rasenden Weg. Die Streifen wölbten sich und bildeten einen runden halb- kugeligen Raum. Die Fahrt endete in ihm, das Meer unter sich als Bühne. Sie beugte sich über die Reeling hinaus und sah aus den Seiten Menschen heraustreten. Sie schritten durch die schwarzen Stellen zwischen den grünen senkrecht im Meer ver- schwimmenden Streifen hervor. Das Meer trug sie wie eine Ebene aus blauschwarzem Glas. Sie schritt eine Treppe hinab zur Ebene hinunter. Die Treppe war unsichtbar. Unten trat ihr ein junger Mann entgegen, der Endra zu sein schien, aber mit einem Augenausdruck, der nicht zu Endra passte. Sie erschrak. Dieser junge Mann breitete seine Arme aus um sie zu umarmen, sie wich aber zurück, denn es war nicht Endra. Als sie sich umwandte kam ihr ein alter Mann entgegen, der aussah wie Berg, aber auch er war von seinem Augenausdruck nicht Berg. Sie wunderte sich, dachte inmitten eines Traums zu sein. Vieles aber war zu wirklich, um Traum sein zu können. Nun ging Korthaus an ihr vorbei, der ohne Regung durch sie hindurch sah und auch nicht Korthaus war. Sie wünschte sich einen von Ihnen so anzutreffen wie er wirklich für sie gewesen war. Nun begann der Zeppelin über ihr zu brummen. Sie wandte sich um, aber der Zeppelin hob ab und wurde im Raum immer kleiner. Dieser scheinbar geschlossene halbkugelige Raum war doch so gross, dass der Zeppelin immer kleiner wurde und schliess- lich ihrem Blick entschwand. Die vielen Menschen schritten durch die Wände aus schwarzem Raum und grünen Streifen hin- durch und verschwanden. Sie war allein. Sie hatte das Bedürfnis sich auszustrecken. Deshalb legte sie sich auf den Boden, der eine kühle schwarze Glasebene war und streckte sich aus, sah hinauf zu den kuppelförmig zusammen- laufenden Streifen und den durchscheinenden Sternen. Diese Einsamkeit wurde ihr unerträglich. Im spiegelnden Boden sah sie sich selbst. Die zwei Frauen sahen sich an. Bernardette breitete ihre Arme aus und nahm ihre Dopplgängerin in die Arme. Musik setzte ein. Sie begann zu tanzen mit ihrer Doppel- gängerin. Aber nichts von ihr war ihr vertraut, das Wieder- erkennen einzelner Bewegungen wurde überschattet von der Fremdheit dieser sprachlosen neuen Figur. Bald fühlte sie sich einsamer als zuvor. Doch bei den Berührungen im Tanz war sie ihr und sich selbst so nah wie niemals zuvor. Es verwirrte sie, diese von Bildern und Gedanken erzeugte Ferne und das Nahsein in Empfindungen. Bernardette sprach ihre Doppelgängerin an: " Du bist ich, stimmt das ?". Die andere schwieg. Bernardette fragte: "Hörst du mich ?". Sie schwieg und zeigte nicht die Mimik einer Angesprochenen. Sie verstand scheinbar nichts, reagierte aber eigenartig verfehlt auf diese Fragen, sie glich einem Spiegelbild von Bernardette und war doch selbstständig. Bernardette reichte ihr die Hand zum Tanz. Sie nahm sie an und tanzte wieder mit. Dabei war eine Übereinstimmung möglich, nicht aber darüber hinaus. Ein glühend temperamentvoller Tango füllte die Bühne. Bernardette führte, die Andere liess sich führen. Dann der Wechsel, die Andere führte und Bernardette liess sich führen. Es geschah so harmonisch wie es selten gelingt. Die Beiden waren immer noch eins. Bernardette sehnte sich nach jenem See in der Dämmerung eines Sommerabends, der in einer längst vergangenen Epoche ihres Lebens ein Mittelpunkt ihrer Träume gewesen war. Als sie nun daran dachte, befand sie sich augenblicklich dort auf dem flachen Hügel vor dem See in der Abenddämmerung. Sie dachte, sie könnte nun so träumen, dass sie erleben würde, was sie sich wünschte. Sie probierte es aus und wünschte Endra aus dem Wasser heraussteigen zu sehen. Er kam auch bald. Straussen ähnliche Vögel kamen vorbeigeschritten mit rotgelb glühenden Augen, schreitenden Lampions und Glüh- würmchen gleich. Dahinter kam Endra aus dem Wasser, glänzend, geschmeidig und stark. Als sie ihn umarmte, seine glatte Haut auf ihrer spürte, war ihr wie in einem Feuersturm und im Zentrum vibrierender Ströme. Beide erfasste es und riss sie in eine Art Explosion. Später ermüdet ruhend in seinen Armen, sah sie für einen Augenblick die scheinbar ewig stillstehenden Bilder ihres bisherigen Lebens, aufgereiht in Etagen grosser Sternen- kammern. Kinderbilder, die Wälder vor dem Haus der Eltern, die ersten Zugfahrten und die erste Liebesnacht als Teenager. Dann aber versank dieses grosse Bildergebäude im Meer. Sie befand sich wieder auf der Plattform des Zeppelins. Der Morgen graute, die Motoren sprangen an. Sie hielt ihr noch glühendes Gesicht in den Fahrtwind und stand dort regungslos. Aber sie war nicht sicher wo ihre Wirklichkeit war. Sie sah Nanamurti die Treppe zur Plattform hinauf kommen. Er setzte sich in den Lotussitz, sah sie nicht und verharrte dort regungslos in der Versenkung. Währenddessen dämmerte der Morgen. Das Meer färbte sich vom Schwarzgrau zum Schwarzgruen. Sie sah zu Nanamurti hin und wusste nicht ob sie noch träumte oder in der Welt war, die sie in der Nacht gelebt hatte oder in eine ganz andere Realität eingetreten war. Es wurde heller, einige Möven zogen unter dem Zeppelin daher. Nanamurti kam aus seiner Versenkung zurück. Bernardette stand noch immer an der anderen Seite der Plattform und wartete. Als er sie sah, fragte er sie: " Bist Du einige Stufen hinabgestiegen ?" Sie erwiderte: " Ich habe geträumt und im Traum etwas gefunden, was zur Wirklichkeit wurde." Nanamurti sagte: " Das war der Anfang. Wenn Du träumst was Du erlebst und erlebst was Du träumst, beginnt das Getrennte in Dir sich zusammenzufügen. Aber das sind die ersten Stufen. Wenn Du weiter hinabsteigst, siehst Du, dass alles Geträumte etwas ist, das von Aussen in Dich einströmt und doch von innen kommt. Die Welt, so wie Du sie siehst, ist eine sehr späte Stufe des Zeitstroms und des Augenblicks. Weiter unten liegen die ungeformten Welten. Ihr Europäer würdet sie als reine Bewegung oder Sein bezeichnen. Noch tiefer hinab verschmelzen auch die Gegensätze. Man könnte es reine Energie nennen, aber es ist nicht beschreibbar. Du spürst es und kannst es nicht benennen. Denn weiter unten ist die Welt dessen, was vor dem Denken lag, geschichtlich gesehen. Doch es ist noch immer da, so wie die Einzeller noch immer da sind." Bernardette versuchte zu verstehen und fragte: " Ist es denn möglich ohne Bilder zu sehen und ohne Gedanken zu denken ?" Nanamurti antwortete: " Du wirst es finden oder nicht. Es ist ganz unmöglich zu sagen, ob Du zur Erleuchtung kommst und wann das sein wird. Du bist es schon, aber Du bist es noch nicht, weil dein Schatten davor liegt." Bernardette fragte: "Welche Welten sind möglich ?" Nanamurti sprach: " Die Alten sagten: Es gibt noch viele Morgenröten, die noch nicht geschienen haben." Bernardette nahm den Lotussitz ein neben Nanamurti. Sie fragte ihn:" Du hast einmal gesagt, es gibt Welten, die unter den herauswachsenden Kräften liegen, die sich öffnen, wenn man hinab steigt. Aber warum verzichtest Du auf die aufsteigenden Lüste ?" Nanamurti lächelte und sprach:" Tu ich das ?" Sie meinte: "Wenn du den Bedürfnissen nicht nachgehst und die Ver- schmelzung der Körper nicht mehr willst." Nanamurti erwiderte:" Ich bin mit Berg und Korthaus auf Reisen gegangen um den Geheimnissen der Vorbuddhisten auf die Spur zu kommen. Es kann sein, dass ich mich einmal umwende und wieder hinaufsteige in das wachsende Leben." Bernardette war überrascht:" Das willst Du tun ?" Nanamurti lächelte und schwieg. Lange noch sassen die Beiden nebeneinander während der Zeppelin in den heraufkommenden Morgen dahinzog. Am späten Vormittag wurde die Hitze auf der Plattform uner- träglich. Die Beiden stiegen hinab zum Speiseraum. Dort waren einige Männer der Mannschaft beim Essen. Bernardette war beunruhigt über das Erscheinen von Nanamurti. Sie hielt es für möglich, dass sie sich in einem Traum befindet, der sie nicht wieder frei gibt. Als die Beiden mit ihrem Kaffee am Tisch sassen, fragte sie Nanamurti: " Wann bist du hier angekommen ?" "In der vorletzten Nacht, als der Zepplin wieder Fahrt aufnahm." Sie meinte: " Ich habe keinen Hubschrauber gehört." Er antwortete: " Ich bin mit dem Schiff gekommen und hochgezogen worden." Die Ereignisse der bisherigen Reise bewegten sie dermassen heftig, dass sie dringend mit Berg und Korthaus reden wollte. Sie ging deshalb in den Funkraum und liess sich mit Korthaus und Berg verbinden. "Wo sind Sie ?", fragte sie. " Im Turm." " Können wir uns sehen ?" " Gern, wir treffen uns bei der Unterwasserinsel im Pazifik." " Wie wird das gehen ?" Berg antwortete: " Sie reisen ostwärts nach Australien, bleiben dort einige Tage bis der Zeppelin wieder mit allem aufgefüllt ist was Sie brauchen und fahren dann weiter zum Pazifik. Wir werden einige Zeit vor Ihnen dort sein. Die Mannschaft wird von uns unterrichtet und Sie zu uns bringen." Ein regenverhangener Nachmittag lag über dem Turm und dem Meer, während Berg und Korthaus sich für die Reise in den Pazifik vorbereiteten. Am kommenden Morgen sollte ein Hub- schrauber die Beiden abholen und zum Flughafen Hamburg bringen. Von dort würden sie nach NY fliegen, dann mit einer Langstreckenmaschine in den Pazifik fliegen und mit dem Fallschirm über der Baustelle bei der Insel abspringen. Gegen Mitternacht sassen die Beiden bei einem Tee in der Glaskanzel des Turms. Korthaus sprach: "Es sieht so aus, als würden alle Entwicklungsschritte im Kosmos durch Invertierungen vollzogen. Dabei werden aus Bewegungen unbewegte Dinge und umgekehrt, aus Zeitstrecken Zeitpunkte, aus Kugeln Hohlkugeln usw. Aber worin bestehen die Wandlungen, aus Zufällen ?" Berg lächelte und meinte: " Sie argumentierem doch nicht völlig absichtslos mit objektiven Kategorien. Wohin wollen Sie ? Kommen sie auf dem Weg wieder in das Ich ?". " Diesen Einwand habe ich erwartet, aber es geht auch auf anderen Wegen ins Subjekt. Was meinen Sie, wo anders als im Ich liegt der Motor der Wandlungen ?" Berg meinte: " Wir haben uns ja etwas angenähert. Wenn Sie nicht von einem sondern von vielen Ichs ausgehen, von objektiven Subjekten, dann wären mehrere Wege der Erklärung offen. Einmal natürlich die Zufälle und jene Notwendigkeiten, die bei Invertierungen herauskommen, als Diffusionen, Strahlungen, Unschärfen usw. Aber es wären ja auch Zentren denkbar. Steuerungszentren oder das was Schopenhauer "Wille" nannte. Korthaus sprach: " Ja, das liegt schon nah beieinander. - Ich bin gespannt was Bernardette zu berichten hat." Berg sah nachdenklich in den Raum. Dann sprach er: " Wenn die Invertierung der entscheidende Mechanismus im Wachstum ist, könnte es durchaus sein, dass man immer nur sich selbst wiederfindet, aussen wie innen." Korthaus fragte: " Wie meinen sie dass ?" Berg fuhr fort: " Erinnern sie sich an die Grenzfunktionen. Wir können nicht entscheiden ob es von aussen oder innen kommt. Das Objekt, welches wir vor uns haben kann unsere Projektion sein oder von aussen kommen, beides kann bewiesen werden. Wenn wir eine Invertierung sehen, so erscheint das invertierte Objekt als negative Form des positiv erscheinenden Objekts. Es ist dasgleiche, nur ganz anders." " Und das bedeutet ?", fragte Korthaus. Berg sagte: " Wir könnten beide richtig liegen, sie mit der völlig aus dem Ich entstehenden Welt und ich mit dem überall belebten, aus unzähligen Subjekten bestehenden Universum." " Dann wäre das Gesammte ein Drittes", warf Korthaus ein. "Oder eine Neutralisierung", fügte Berg hinzu. " Es gibt einige Hinweise, dass wir auf der richtigen Spur sind", sagte Berg und fuhr fort:" Die Expansion des Weltalls, das Entropiemodell usw. Alles weist darauf hin, dass überall etwas zunimmt. Das wäre bei den Invertierungen auch zu erwarten. Die Form drückt sich ab, hinterlässt ein Negativ, diese drückt sich ab und hinterlässt ein Positiv usw. Dabei nimmt die Menge der Gestaltungen zu. Aber da wir es nicht mit exakten, identischen Prozessen zu tun haben, bei denen die Kopien den Erstformen entsprechen, nimmt auch die Formenfülle zu. Das wäre ein mögliches Modell des Wachstums." Korthaus meinte: " Ebenso denke ich es auch. Aber wo haben die Subjekte da einen Platz ?" Berg antwortete: " Das ist mir nach wie vor rätselhaft." Die beiden Herren waren schlafen gegangen. Früh am Morgen war Korthaus erwacht, wohl auch deshalb, weil er eine Idee mit in den Schlaf genommen hatte, die er so schnell als möglich Berg mitteilen wollte. Er ging deshalb in die gläserne Kanzel des Turms und wartete auf Bergs Erscheinen. Dieser kam bald darauf und war erstaunt Korthaus schon vorzufinden: " Guten Morgen, was bringt Sie so früh hier hin." Korthaus erzählte: " Ich habe eine Idee, wie das Paradoxon zwischen objektiver und subjektiver Perspektive behandelt werden kann. Wenn wir die objektive Sicht der Welt nehmen, verschwindet das Subjekt. Wenn wir dagegen die subjektive Sicht nehmen, verschwinden die Objekte. Im ersten Fall löst das Ich sich auf, im zweiten Fall die Welt. Wenn aber nichtidentische Prozesse betrachtet werden, sieht man die Nichtidichtigkeit der Grenze, das heisst beide Perspektiven bleiben gültig." Berg antwortete: " Genial ! Erzählen Sie weiter." Korthaus sprach: " Ich denke für diesen Ansatz lassen sich Beweise finden. Wir müssten eigentlich in allen Formen von biologischen und physikalischen Objekten und in allen psychologischen Strukturen die Elemente finden, die im Paradoxon aufgetreten sind, also Grenze, Identität, Nichtidentisches, Diffusion, Zentrum, also Ich, Kohärenz und Neutralisierung." Berg hörte und war erstaunt. " Sie rechnen die Neutralisierung mit hinein ?" Korthaus erwiderte:" Es könnte die Invertierung des Augenblicks sein." " Die selbst eine Vorstufe in der Zeit ist", fügte Berg hin, dem Korthaus durch Kopfnicken zustimmte. Berg fuhr fort: " Ich glaube wir sind den Rätseln näher gekommen." Da der Hubschrauber erst in einigen Stunden eintreffen konnte, griff Korthaus beim Frühstückstee das alte Thema wieder auf, bei dem es um den Vorrang des Subjekts ging: " Ihre Zweifel haben mir sehr zu denken gegeben. Ein zentrales Ich erscheint nur möglich als Linie von Generationen. Denn der Einzelne stirbt und die Neugeborenen erhalten auf dem Weg der Vererbung die Inhalte des Bewusst- seins nicht mitgeliefert. Das Bewusstsein ist aber das Auge, Ohr und Gedächtnis des Erfahrbaren. Es müssten daher mehrere Ichs gedacht werden, die dennoch als ein Zentrum gesehen werden können. Das klassische Paradoxon." Berg erwiderte: " Wir kommen nicht daran vorbei, die Vorstellungen durch das Paradoxon immer wieder aufgelösst zu sehen. Daher denke ich, ist das Ich als zentrale Kategorie nicht brauchbar, obwohl es die letzte Instanz ist. Vielleicht ist etwas denkbar, dass vermittelnd da steht und beidem gerecht wird, dem Wachstum von Vielem und dem Ich als Mittelpunkt." Korthaus meinte: " Es ist die Bewegung, die alles auflöst, selbst das Modell des Zentrums, - aber ohne Zentrum ist gar nichts. Empfindung und Denken sind ohne Ich nicht denkbar." Berg meinte: " Das ist das Dilemma." Korthaus erwiderte: " Aber das ist auch die Freiheit. Nur e i n identisches Element und e i n e deterministische Linie in der Realität wären das Ende jeder Freiheit, denn wenn es eins gibt, müssen alle so sein." Berg stimmte zu: " Wie man ja bei den Maschinen sehen kann,- ich weiss." Dabei lächelte Berg weise und fuhr fort: " Wir mögen ja Widersprüche und Unbestimmtes." Der Zeppelin war in Melbourne gelandet und sollte dort fünf Tage für Wartungsarbeiten anliegen. Bernardette und Nanamurti waren in das Gartenrestaurant gefahren, in welchen sie auf ihrer ersten Zeppelinfahrt bereits gewesen waren. Es wurde Abend, das rötliche Dämmerlicht im Westen liess die Silhouetten der Kakteen im Westen scharf gezeichnet in den Blick treten. Nanamurti sprach: " Das europäische und auch amerikanische, das sogenannt westliche Verstehen der Welt bleibt doch immer in der Produktion befangen. Sogar das Betrachten und Erkennen ist Produktion." Bernardette meinte: " Das ist mir klar. Es wird immer etwas hinzu gefügt. In gewisser Weise entspricht es dem Willen zur Macht, der überall sichtbar ist." Nanamurti meinte: " Wie Nietzsche es dargelegt hat, so lebt der Westen, und er muss so leben. Aber die Erleuchtung bedarf mehr als erfolgreich zu leben. Sie sehen einen Fischteich und erkennen daran, dass überall Lebensräume sind, in denen Fische sind. Sie sehen einen Vulkan und finden deshalb überall Energie. Das Problem ist nicht, dass diese Denkweise etwa falsch wäre, sondern sie ist nichts anderes als die universale Produktion, hier im Arbeitsfeld des Denkens. Ist das Sein damit erfahren ? Sie wissen, dass ich ungern von Sein rede." Bernardette erwiderte: " Ich denke auch, dass man irgendwie nicht rauskommt aus dem Machen." Nanamurti sprach: " Deshalb der Weg ins Innere, ins Nichttun. Aber auch das ist schon wieder ein produziertes Wort." Bernardette fragte:" Ich hatte auf dieser Reise viel Zeit zum Üben.Ich versuchte in mich hinein zu sehen. Ich sah Bilder, traumgleiche Erlebnisse. Aber nach dem Erwachen sah ich die Realität, durchaus traumähnlich zwischen Meer und Nachthimmel in der Luft schwebend, aber es war ein ganz anderer Traum. Wie ist es möglich, dass es gültige und unwirkliche innere Vorstellungen gibt ?" Nanamurti sprach:" Es ist schwer für Sie die alte indische Welt zu erkennen, aber für mich ist es auch schwer, Sie zu verstehen. Ich glaube der Erfolg der technisch verstandenen Realität trübt den Blick der Europäer. Aber es ist ja nur eine kurzfristig erfolgreiche Realität. Die nach innen sehenden Lebesen sind viel älter, ihre "Erfolge", um es so zu nennen, sind dass sie so lange überlebten. Sie konnten sogar sich erlauben ihre Form über hunderte von Millionen Jahren zu erhalten." " Wie meinen Sie das? " Nanamurti fuhr fort: " Die Einzeller, Fische und Insekten mussten nicht ihre Form verlassen und sich, wie sie sagen, höher entwickeln um zu überleben. Die Vorfahren der Primaten dagegen sind allesammt verstorben. Und das, obwohl die uralten Lebewesen nach innen leben, teilweise brauchen sie nicht einmal Augen." " Aber die Neuerwerbungen sind doch auch etwas Grosses." wandte Bernardette ein. " Ganz bestimmt, aber der Europäer betrachtet die Dinge doch mit einem Vorurteil gegenüber den alten Lebewesen. Sie sollen ja Vorstufen sein. die neueren aber "höher" entwickelt". " Sind sie es nicht ?" Nanamuti erwiderte: " Man kann es so sehen. Diese Sichtweise ist eine Perspektive, eine Welt unter unzähligen. Der Weise sieht nicht eine Welt." " Was sieht er ?", fragte sie" " Er spürt." Bernardette wandte ein: " Gefühle können täuschen." " Aber ja, doch ist das Spüren nur ein Gefühl ? Wenn man die abendländische Unterscheidung nimmt, nach welcher der Verstand erkennend arbeitet, das Gefühl aber irren kann, dann haben Sie recht. Aber es gibt eine "Welt" vor und nach jeder Unterscheidung. Wer sie erfährt wird erleuchtet." Unterdessen war es dunkel geworden. Die bunten Lampions im Garten und ein schmaler heller Lichtstreifen im Westen, die Krüppelgebüsche vor dem Garten, alles war bunt und ruhig. Bernardette fragte Nanamurti: " Warum diese Veränderungen im Wachstum der Lebewesen. Ist das eine Unvollkommenheit ?" Nanamurti antwortete: " Wenn es so wäre, würde das Prinzip der Rangordnung umgekehrt angewendet. Man könnte die Urlebewesen als höhere ansehen. Aber es ist alles gleich gültig, das grosse Wandern, von dem die Brahmanen ebenso wie die Buddhas sprechen, ist einfach da mit den Formwandlungen, den Arten und Entstehungen. Denn das Wandern ist universal, alles verändert sich. Nicht nur die Wesen wandern durch Geburt und Tod sondern auch die namen- losen Enstehungen wandern durch ihre Gestaltungen und Welten. Ich weiss, dass die westliche Philosophie nach Gründen sucht. Man will rechtfertigen, wie Nietzsche... Aber Schopenhauer sah das Grundlose." Bernardette wandte ein: " Und er sprach vom Leiden, dem man entgehen kann. Buddha sprach auch davon." Nanamurti antwortete: " Ja gewiss. Berg und Korthaus suchen eine Weisheit, in der das Leiden vom Leben überstimmt wird, eine Philosophie der Freude." "Deshalb die Suche nach den Vorbuddhisten ?" Nanamurti antwortete:" Ja, so habe ich sie verstanden." Bernardette fragte:"Wie sehen Sie es, ist das Leiden vor- herrschend." Nanamurti sah sie an, zögerte und sprach: " Sie wissen, dass man die Unterscheidungen hinter sich lässt, wenn man die beschränkten Wahrnehmungen verlässt. Der Buddha entwächst ihnen. Aber zurück zu ihrer analytischen Sicht der Welt. Es gibt verschiedene Gewichte, in denen Leid und Freude auftreten. Es mag ganze Zeitalter geben, die verdunkelt sind und solche voller Licht. Das ist im Einzelnen und in den verschiedensten Gesellschaften möglich. Aber dann beginnen natürlich die Diskussionen, die Politik, der Streit usw. Kommt man damit jemals zu Ende ?" " Aber es gehört zum Leben, oder ?" Nanamurti antwortete: " Sie berühren einen wunden Punkt. Wir suchen und finden. Wie dies möglich sein soll bei völliger Gleich-gültigkeit, einem gleich Sein aller Dinge, ist mir unerklärbar. Und obwohl das Leiden dazu gehört, soll es doch gelindert werden." "Das empfinde ich auch problemtisch. Einerseits ist alles gleich gültig. Nichts hat mehr wert als etwas beliebig anderes. Und doch müssen wir bewerten. Schon die falsche Bewertung eines Nahrungsmittels kann tötlich sein." Nanamurti sprach: "Ja, das Leben ist paradox und voller Widersprüche. Das Zurückgehen wird auch davon bestimmt, dem Paradoxen zu entgehen." " Oder mit ihm eins zu werden." " Sie denken an Krishnamurti : Der Beobachter und der Beobachtete sind eins ?!", fügte Nanamurti hinzu. Nach einer Weile sagte er: " Ich glaube wir sind die letzten Gäste hier." Bernardette fragte:" Bevor wir gehen, würden Sie mir sagen, was Sie von den Invertierungen halten, die Berg und Korthaus in den Höhlen der Azoren gefunden haben." Nanamurti sprach: " Sie meinen die Reliefs der Atlantiden. Es läuft auf grenzenloses Freisein des Universums hinaus. Denn der Schritt vor und der Schritt zurück, das Gestern und Morgen, sind die gleiche Kugel des Sansara." Bernardette meinte: " Ja, das denke ich auch. Dass heisst, es ist alles vollkommen und zerfällt immer wieder in Gegensätze." "Ja", bestätigte Nanamurti und fuhr fort: "Wenn wir ein Bild des Verstandes suchen, wird es so etwa aussehen." Während der Zeppelin sich der Baustelle im Pazifik näherte, flogen Berg und Korthaus in Richtung Pazifik. Sie sassen in einer Langstreckenmaschine und führten ihr Gespräch fort. Berg sprach zu Korthaus:" Der Buddhismus kann als eine Philosophie des richtigen Aussterben verstanden werden. Ein Umstand, der es mir schwer macht mich mit ihm anzufreunden." Korthaus meinte: " Dieses Unbehagen teile ich auch. Aber könnten die Vorbuddhisten nicht weiter entwickelt gewesen sein ? Vielleicht gibt es auch andere Möglichkeiten die Rückkehr, das Zurückgehen und Verlöschen zu erleben." Berg antwortete: " Ja, wir haben Hinweise eben dafür gefunden. Nur bleibt immer wieder die Entscheidung zwischen dem kreativen Tun und der Selbstauflösung in der Betrachtung der Welt." Korthaus stimmte zu: " Damit sind wir wieder am Anfang, dem ästhetischen Ereignis." " Eine durch und durch amoralische Sache", meinte Berg und fuhr fort:"Das ist wohl der Preis der Freiheit." Korthaus widersprach: " Ganz so frei ist die Freiheit nicht. Die Geschichte der Lebewesen beruht ja auf Kooperation, einer Art Naturmoral." Berg stimmte zu:" So ist es. Deshalb kollidiert der Buddhismus mit dem Leben selbst. Es soll Stück für Stück, jedes für sich einsam verlöschen." Korthaus meinte: " Es ist mit den Händen zu greifen, dass da ein Missverständnis vorliegt." Berg griff diesen Gedanken auf: " Der Ausgangspunkt des Buddhismus könnte eine Befangenheit in den Trieben sein. Sie führt zu Abhängigkeiten, denen nur mit Verweigerung entgangen werden kann. Wenn man an die Sucht denkt, so bietet nur die Verweigerung einen Ausweg. Das Leben als Sucht verstanden, das Verlöschen als Verweigerung." Korthaus erwiderte: " Das wäre in der Tat eine Genese des Buddhismus." Berg sagte: " Aber so einfach wird es nicht gehen. Das Nirvana, die seltsame Vorstellung eines vollendeten Verlöschens, diese Art eines Gefühls ist mir völlig rätselhaft." Korthaus hatte einen Einfall:" Sie haben von dem Stillstehen der Bilder gesprochen, erinnern Sie sich ?" Berg meinte: " Das Lebenskaleidoskop?" Korthaus sprach: " Ja. - Sagen Sie, was kann man nie finden ?" Berg fragte: " Wie meinen Sie das." " Nun, man kann das, was schon da ist nicht finden, weil man es schon ist." Plötzlich wurde Berg schlagartig klar, was Korthaus meinte. Er sprach: " Sie meinen diese Gleichzeitigkeit, in die man sich auflöst ist der Zustand, den man Erleuchtung nennt." "Ja", bestätigte Korthaus und fuhr fort: "Wir stehen uns nur selbst im Weg. Das Stillstehen der Bilder ist die Invertierung der Bewegung, das Alles sein im Nichts. Und wir interpretieren zugleich eine Frage dort hinein. Aber es gibt keine Frage und deshalb keine Antwort." Berg wurde still. Er sah in sich hinein und sprach erst mal gar nichts mehr. Dann nickte er langsam mit dem Kopf und sprach: "Es könnte sein. Bei der nächsten Begegnung mit dieser Gleichzeitigkeit der Bilder werde ich mich still halten und nicht weiterdenken. Sie haben recht, das Denken ist der Lärm der die Stille unhörbar macht." Korthaus sagte: " Jetzt haben sie wie Nanamurti gesprochen" Berg war erstaunt: " Wie Nanamurti ?" " Ja", erwiderte Korthaus. ----------