278/1 Fred Keil Ästhetische Theorie 1 Nr.278 Aachen 2006 Ästhetische Theorie beginnt mit dem Paradox, daß sie als Kunstprodukt selbst künstlerisches Artefakt ist und dies in ihrem Anspruch auf Darstellung wahrer Zusammen- hänge verneint. Weil kein Abbild der Wirklichkeit möglich ist, und doch der Funktionszusammenhang jeder Theorie auf Wahres hin weist, muß sie den Spagat zwischen Artefakt und Abbild einer Wirklichkeit leisten, auf die Gefahr hin, dass sie beides verfehlt. Jede wahre Aussage will eine Wirklichkeit sein und an einer solchen teilhaben, obwohl sie gerade als ästhetische Theorie auch ästhetisches Moment bleiben muß, anders wäre sie nur eine Rede über Ästhetik. Die Grundlage dieser Position ist der Produktionsprozeß von Subjekt und Objekt, der ein Drittes hervorbringt, welches beides nicht ist und doch wieder zu Beidem wird. Objektivität ist ein Moment im Prozess. Sie blitzt auf und verlischt. Der aus Arbeitsteilungen kommende Unterschied zwischen Prozeß der Ästhetik und dem Artefakt ist die Grundlage jeder Kultur und zugleich auch der Beginn der Bewusst- werdung des Ästhetischen. Auf hohem zivilisatorischen Niveau setzt daher die ästhetische Theorie an und ist weit davon entfernt auf Anfänge, Ursprünge und "Natur" sich abstützen zu können. Der Naturbegriff ist etwas enorm Spätes. Nicht von Ungefähr weisen die Denker aller Epochen daraufhin, dass der im ursprünglich natürlichen Leben befangene Mensch sich weder der Ästhetik der Sonnenuntergänge noch der Wirkung ästhetischer Werke bewusst ist. Der nach rückwärts gedachte Zusammenhang ästhetischer Momente zeigt die Herkunft ästhetischer Produkte aus ästhetischen Höhepunkten und ihrer Entfaltung inner- halb der Werkproduktion. Der Unterschied zwischen der Ästhetik vorgeschichtlicher Werkzeuge und ästhetischer Prozeduren und Werke ist eine Projektion aus der gegenwärtigen arbeitsteiligen Gesellschaft nach rückwärts. Berechtigt ist diese nicht, denn die frühesten Werkzeuge waren wie die frühesten Zeichnungen und Rituale an Bedürfnisse gekoppelt, die das Triebleben mit dem sozialen Geflecht gleichermassen verbanden. Im modernen Sinne waren Pfeilspitzen, Tänze und Höhlenzeichnungen sowohl keine Kunstwerke als auch doch unbewußte Vorläufer künst- lerischer Produktionen. Parallel zur Entstehung von Kunst verläuft der Prozess einer Entkunstung des sozialen Lebens. er ist eine Seite der Arbeitsteilung, die beides will: Konventionelle Sicherheit und Bewahrung lebendiger Impulse. Die kritische Rede vom Verlöschen der Kunst findet ihr Recht in der Tatsache, dass gut funktionierende Systeme das spontane Moment sich integrieren und verwalten und damit ins Unsichtbare herabdrücken. Aufgeklärte Ver- waltungsbedienstete legen daher Wert auf eine minimale Anwesenheit von Kunstwerken in Räumen und Hallen. Das ist keine Eitelkeit, jedenfalls nicht nur, sondern ein Gespür dafür, dass ohne Spontanes kein Lebendiges sich erhalten kann. Die Entstehungsgeschichte von Kunst liegt je nach der Ausgangslage der Analyse in verschiedenen Epochen der Geschichte, Vorgeschichte oder Kosmologie. Lange bevor erste reflektierte Kunstwerke entstanden sind, treten bei den Lebewesen Aktivitäten hervor, die mit dem Begriff ästhetischer Höhepunkte umschrieben werden können. Die Bildung weiblicher und männlicher Exemplare der ersten geschlechtlichen Lebewesen ist mehr als nur Notwendigkeit biologischer Anpassung und Expansion. Allein die Tatsache, dass viele Lebensformen wieder untergingen verweist auf kreative urtümliche Impulse, denen die Lust an gestaltenden Kräften anzusehen ist. Der Verweis auf evolutionäre Zufälle als ausschließliche Begründung ist ein Diktat eingeschränkter Denkweise, die dem Nützlichkeitsempfinden arbeitsteiliger Produktion und Zivilisation entsprungen ist. Weil aber diese Strukturen der Zivilisation etwas Spätes und Abgeleitetes sind, taugen sie nicht zur Erkenntnis der Ur- sprünge und Quellen kreativer Impulse. Die Sexualität ist, wenn nicht das erste, doch aber das deutlichste frühe Feld ästhetischer Höhepunkte. Die Aus- prägung prägenitaler Sexualität zeigt einen Formen und Reiz- reichtum, der in der Morphologie unübersehbar ist und in deren Affinität zur Sinnlichkeit augenfällig wird. Leben tritt als etwas Unberechenbares, Volles, Spielerisches und Chaotisches ins Bewußtsein und folgt einem Strom, der mit dem Begriff des Lustprinzips ahnungsvoll angerissen wird. Es ist aber mehr als irgendein Prinzip. Ästhetische Höhe- punkte tragen etwas in sich von Sehnsucht, Kampf, Befriedig- ung und Versagung. Die Psychoanalyse hat deshalb sexuelle, aggressive und masochistische Triebe in einen Zusammenhang gebracht, der aber weitaus weniger logisch und klar strukturiert ist, als sie es konzipiert. Parallel zur Differenzierung befriedigender und unbe- friedigender Triebe geht einher das Aufkommen ästhetischer Erscheinungen und Manifestationen. Die Lebewesen produzieren zunächst Kunstwerke in ihrem eigenen Erscheinen. Dahin gehören die tonalen Signale, die Farben von Haut und Feder- kleid, die Bewegungsrituale und Tänze. Das Argument, diese wären notwendige Elemente von Überlebenstechniken muß nicht widerlegt werden um das artifizielle zu retten. Viel- mehr gehen die Momente: Notwendigkeit, Zufall, Zielstrebung, Überschuß, Übermut, Chaos und Ordnung, Befriedigung und Frustration ineinander verschränkt ein in den Lebensstrom. Es ist kurzsichtig und zeitbefangen einem dieser Momente einen universal gültigen Vorrang zuzusprechen. Für das objektive Denken erscheinen die Spezialisierungen menschlicher Tätigkeiten entstanden aus komplexen Urzuständen, die dem Embryo ähnlich die später entfalteten Spezialfähig- keiten rudimentär enthalten. So sind in den frühen organischen Lebewesen, den Einzellern bereits Fähigkeiten sichtbar, die bei den komplexeren Organismen zutage treten. Der Schlaf und mit ihm die Unterteilung in tätige Wachheit und herabgesetztes Insichsein findet sich bereits in den Urtieren angelegt. Die Entwicklung artifizieller Tätigkeiten wird im frühen Tasten und Fühlen vorbereitet. Lebensnotwendigkeiten und Lebensüberschuss treten ineinander verschränkt gleichzeitig in der Lebensgeschichte der Organismen auf. Objektives Denken konstruiert einen Vorrang notwendiger und zweckmässiger Mechanismen in der Lebens- entwicklung der Erde, der für bestimmte Momente des Lebens- laufs zutrifft für andere nicht. Der Darwinisnus und besonders der Vulgärdarwinismus ist die Ideologie der Kapitalakkumulation einer bestimmten Epoche. Ideologie beleuchtet grell einige Aspekte und verschleiert den Gesammt- zusammenhang. Kunstfremdheit und im tieferen Sinn Lebens- fremdheit resultieren daraus. Der Spieltrieb, der Freiheitsdrang, der Übermut sind in allen Lebewesen tiefliegende wesentliche Strebungen. Sie haben ihren Ursprung im Geflecht identischer und nichtidentischer Bewegungsstrukturen, sind Leben selbst. Die erfolgreichen, weil effektiven und zweckmässigen Gesellschaften verlieren ihre Fruchtbarkeit in gleichem Maß als sie sich arbeitsteilig entwickeln. Die gleichzeitige Existenz der Kunstwerke, der Maschinen, der Verwaltungsapparate, der Neurosen und der Kinderlosigkeit hängt innerlich zusammen. Kinder und in kindlichen Entwicklungsstufen verbliebene Völker zeigen chaotische, spontane und in jede Nische eindringende Impulse, ästhetische Momente und Höhepunkte, die dem Erwachsenen fremd werden, die er nicht versteht. Die Farbenpracht von Federn und Haut, die Herausbildung großer Geschlechtsteile sind frühe deutliche Zeichen der Abhebung vom konventionell sogennanten Natürlichen, das vorher war, sind Vorläufer ästhetischer Manifestationen oder solche bereits schon. Der oft betonte Zusammenhang von Überleben und Fruchtbarkeit ist kein Argument dagegen, denn sämtliche Formschöpfungen der Lebewesen tragen alle diese Aspekte: Notwendigkeit, Zufall, Wille, Zielbestimtheit, Lustprinzip und Spiel in sich. Es ist einfach ideologische Enge, einen Aspekt zur Hauptursache zu erklären. Besonders die Nützlichkeitserwägungen sind im Nach- hinein bei jeder Formbildung möglich und widerlegen nicht die Besonderheit sondern gehen über sie hinweg. Darwinisten betonen das Aufsuchen sogenannter ökologischer Nischen, vergessen aber, dass diese Nischen erst mit solchen Organismen entstehen, die dafür entwickelt sind. Alle Nischen zusammen betrachtet ergeben das Bild einer zu allen Seiten kugelförmig ausstrahlenden Formbildungsfülle, die vom Überschuß mehr gezeichnet ist als vom darwinistischen Prinzip der Notwendigkeit und der Anpassung. Besonders menschliche Produktion zeigt das Bild, wie die Welt dem menschlichen kreativen Wollen angepasst wird. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die Tierwelt ebenso tätig ist. Das Künstliche ist in seiner Urform möglicherweise die Entstehung eines zweiten Selbst neben dem, das bereits da war. In der Frühzeit der Lebewesen könnte es in der ersten Zellteilung deutlich geworden sein, also ein rudimentäres Bewußtsein entwickelt haben. Hier ist auch der theoretische Ansatz der Paarbildung der Begriffe Natur und Kunst sinnvoll. Aber es sind dies Konstrukte, die aus der Gegenwart der arbeitsteiligen Gesellschaft heraus gesehen werden. Ob wirklich die Zeit- strecke mehr ist, ob Geschichte und Entwicklung eine Realität außerhalb der Subjekt- Objektstruktur haben können bleibt unbeantwortet. Man lebt aber mit dem "als ob" es möglich wäre. Mit der Aufspaltung in mindestens zwei oft auch viel mehr Wesen erhält das Subjekt die Differenzierungen, mit denen Lust, Begierde und ästhetische Höhepukte möglich werden. Kunst, Schönheit und ästhetischer Höhepunkt bedürfen des Erscheinens vor sich selbst. Ob überhaupt Leben mehr ist als ästhetisches Phänomen bleibt die Frage, die für Nietzsche in seiner Bemerkung: Das Leben sei nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt, lösbar schien. Nietzsches Zarathustra spricht zur Sonne, die nichts hätte, wenn sie nicht ihm schiene. Diese scheinbare Verdrehung der Ursache- Wirkungsfolge ist nicht so paradox wie es scheint. Die subjektive Perspektive zeigt diesen Augenblick als Totale. Sie ist mit diesem Satz weniger effektiv gewesen als die objektive Perspektive, in der den Objekten mit Werktätig- keiten das Nützliche abgerungen wird. Aber dies ist eine ober- flächliche Annahme. Jedes Bewußtsein steht vor sich selbst, sein elementarer "Motor" ist die subjektive Perspektive und erst "danach" ensteht die Welt der positiven Objekte der "Realität". Dieser Rückgriff auf erkenntnistheoretische Problemstellungen ist unverzichtbar. Ästhetik ist mehr als alles Nützliche und Objektive: Überschuß, Schein und Eruption. Der verbreitete Begriff einer objektiven Wirklichkeit entscheidet im Vorfeld bereits gegen Kunst- und ist möglicherweise deshalb Verblendung. Die dritte Grenzfunktion zeigt die Widerspiegelung des Subjekts und aller seiner Funktionen. Leibnitz kommt in seinen Monaden zu einem, dieser Grenzfunktion ähnlichen Schluss. Die frühe indische Philosophie über den Sansara, dem unausdenkbaren Lebenskreis, weist zu einem ebenfalls dem Gesagten ähnlichen Weltbild. Sie alle lassen die Abstraktion einer Eigenschaft nur als Besonderes gelten. Deshalb kann jedes Einzelding nichts anderes zeigen als die Totale der Welt mit allen ihren Eigenschaften. Erkenntnis- theoretisch ist daher kein Weltbild zulässig, welches die Totale reduziert, etwa auf nützliche, logische oder andere Funktionen. Die Welt als ästhetisches Ereignis unterliegt dem gleichen Verdikt. Es kann nicht von dem Vorrang eines Aspektes gesprochen werden. Die Totale ist unauflöslich alles zugleich, und in jedem ihrer besonderen Elemente ist wiederum alles ent- halten. In der subjektiven Perspektive bestimmt das Ich den Vorrang von Einzelaspekten. Wenn Castaneda den Weisen Don Juan sagen lässt, alles sei gleich gültig, trifft er das eben Ent- wickelte vollständig, hebt aber die subjektive Perspektive auf, die den zeitweiligen Vorrang des Besonderen definiert. Nietzsche hat das Problem der Rangordnung als ein zentrales der Weltenmodelle gesehen und damit das Paradox der sub- jektiven Perspektive umrissen. Sie definiert die Welt und kann sie doch nur erfahren, indem sie deren Vorrang aufhebt. Alles ist nicht was es ist, sagt Rilke. Der Begriff des ästhetischen Ereignisses vereint mehrere Antinomien in sich. Das Subjekt findet etwas ästhetisch. Dass daraus kein monomanischer Blick auf die Welt wird, gelingt nur, wenn die Welt gedacht wird als Raum von Subjekten. Sie sind im Erscheinen einander vermittelt und bilden als Kohärenzzusammenhang der Welt wieder eine Grenzfunktion. Ästhetik steht am Beginn jeder subjektiven Besonderung. Was die Psychologie als Motivation umschreibt, ist dem verwandt. Weil sie aber Motivation aus Lebens- und Sexualtrieben ab- leitet, entgleitet ihr der Zusammenhang. Ästhetik aus den Trieben abzuleiten verdreht die kosmische Geschichte. Ästhetische Impulse, also das vom Nichtidentischen kommende Hinzutretende ereignet sich vor der Bündelung zu sexuellen oder anderen Lebenstrieben. Das Begehren des Sexualobjekts ist wie das Nützliche eine späte Erscheinung in der kosmologischen Geschichte. Eine Sonne kann als ästhetisches Ereignis verstanden werden, kaum jedoch als sexuelles Begehren, noch weniger als Arrangement von Überlebenstrieben. Die Betonung des Sinnlosen bei Cendrars und vielen Anarchisten nährt sich aus dem Gespür für den Vorrang ästhetischer Momente. Es ist nicht nur Revolte gegen die konventionelle Sinndoktrin einer untergehenden Epoche. Sinnlosigkeit steht als Chiffre für Freiheit, die ohne ästhetische Höhepunkte selber sinnlos wird. Insofern ist Sinnlosigkeit doch wieder Sinnfindung. Der Ursprung der ästhetischen Ereignisse liegt in der Ur- geschichte des Universums und zugleich im Subjekt als zeitloser Augenblick. Sie entspringen dem Paradoxon, welches durch die Gleichzeitigkeit der subjektiven und der objektiv- en Perspektive in allen zentralen Konstrukten des Bewußt- sein durchschlägt. Die sechste Grenzfunktion erlaubt keine Singularität, das heißt jede Analyse zentraler Kategorien führt wieder zum universalen Gesamtzusammenhang. Deshalb sind die Totale des Subjekts und die Totale einer objektivierten Welt so nahe verwandt, dass sie schwer von- einander differenziert werden können. Es blitzt etwas auf, dehnt sich als Kugelwelle unbegrenzt aus, tritt in Wechselwirkung mit anderen Strahlungen, bringt Erscheinungen hervor, die sich wiederum zerstrahlen. An einem bestimmten Punkt einer hypothetischen Zeit- strecke wiederholen sich geometrische Strukturen, die sich in Kreis und Kugelbahnen eingrenzen. Grenzen entstehen, die zunächst nur als wiederkehrende Feldstrukturen vor- übergehende Dauer haben. Aus diesen Strukturen blitzt es auf, erzeugt komplexere Bewegungen und Formen. So bauen sich nach und nach komplexer werdenden Gebilde auf. Aus deren Perspektive sind die älteren und einfacheren Strukturen von sehr hoher Lebensdauer. Jedenfalls relativ sehr viel länger dauernd als die höheren und dichteren Gebilde. Auf allen diesen Formebenen sind subjektive Eigenschaften angelegt: Befriedigung, Gelingen, Leiden und Mißlingen, Bündelung, Ziel, Strahlung und Verlöschen. Diese Liste ist keineswegs vollständig. Das Neue und Komplexere ist das relativ Künstliche. Es enthält hinzutretende Elemente und Eigenschaften während das Ältere und Einfachere als natürlich gesehen wird. Doch tragen diese Modelle den Mangel der Identifizierungen in sich. Sie scheiden Nichtidentisches ab, sie sind und sind nicht. Mit dem Auftreten von Kunstwerken in der menschlichen Geschichte wird zugleich der Begriff der Natur zur Bedeutung gebracht. Der Begriff des Schönen vermittelt zwischen beiden. Sowohl ein Gemälde wie auch eine Landschaft kann als schön bezeichnet werden. Dennoch ist der Unter- schied nur deshalb nicht unüberbrückbar, weil ein Drittes, die Selbstempfindung eines ästhetischen Ereignisses, ein ästhetischer Höhepunkt sie vermittelt. Der ästhetische Höhepunkt verweist auf eine vorgeschichtliche, ja sogar vormenschliche Erfahrung. Inmitten eines ruhigen Erlebnis- stroms spitzt sich eine Erregung zu, die durch die Sinnes- organe initiiert wird. Möglicherweise spielt die Spezial- isierung innerhalb der vielzelligen Organismen eine Rolle, insbesondere jene zwischen den unsterblichen Geschlechts- zellen und den übrigen Körperzellen. Aber auch die Erfahrung des eigenen Bewusstseins, mit der die Welt in Selbst und Nichtselbst aufgetrennt wird, kann zu dieser Frühgeschichte des ästhetischen Höhepunkts beigetragen haben. Schönheit verspricht die Rückkehr zur Strahlung, dem Urzustand des Universums. In der belebten Natur lockt sie zur Auflösung und Lockerung der Wiederholungen der Lebensfunktionen, oft zugunsten der Teilung und Vermehrung. Befriedigung und Weg zur Befriedigung sind die Magneten dieser Strömung hin zum Schönen, welches Neuland bedeutet und damit Freiheit. Damit sind Irrwege und Katastrophen eingeschlossen. Wie die Perversionen zeigen, macht dieser Sog auch nicht vor der Selbstauflösung halt. Die modernen Artefakte, das meint hier die Epoche der Mensch- heit, die etwa mit den Höhlenzeichungen vor 30 000 Jahren einsetzt, wollen die ästhetischen Höhepunkte der Vergänglich- keit entreissen und dem Glück zur Dauer verhelfen. Dies gelingt fast nie, denn die Verdinglichung zu Kunstwerken vermag die ästhetischen Höhepunkte, die Strahlung zum Schönen hin nicht auf Dauer zu manifestieren. Aber sie verhilft zur Erinnerung dessen, was möglich gewesen war, und mit auf- kommender Materialbeherrschung zugleich zu Werkzeugen der Produktion ästhetischer Höhepunkte. Denn wie jede Lebens- regung und mehr als jede andere ist die Empfidung des Schönen ureigene Prpduktion organischen Lebens. Wenn die 6. Grenzfunktion mehr sein sollte als eine Wider- spiegelung des inneren Universums, wenn sie wirklich ein neues Universum in jedem Teil hervorgebracht zeigt, so wären ästhetische Höhepunkte wahlverwandt der Vermehrung durch Teilung und vielleicht die Fortsetzung der Strahlung der kosmischen Objekte. Ästhetische Erscheinungen bedürfen einer Interaktion zwischen mindestens zwei für Signale sensible Teilnehmer und Sender. Die älteste ästhetische Wahrnehmung dürfte über die Erregungen des Tastsinnes im Wasser erfolgt sein. Wahrscheinlich beim Werben für den Begattungsvorgang zwischen zwei artgleichen Einzelwesen. Das Gehör ist eine Weiterentwicklung des Tastsinnes und deshalb für komplexere ästhetische Leistungen befähigt. Tanz und Musik sind Urformen hoher ästhetischer Erscheinungen. Die bildhaften und damit mehr zur Dauer befähigten Produktionen entstanden deutlich später in der Evolution. Den Artefakten gingen ästhetische Wahrnehmungen voraus, die früh in, vermutlich sexuelle Höhepunkte, einmündeten. Die polygame Gruppenbegattung der Schimpansen und der Tanz der Urhorde, sind Vorläufer und Begleiterscheinungen der frühen Orgien, einem Gesammtkunstwerk, welches beides ist: ästhetischer Höhepunkt und Artefakt, der aber zunächst nur im Gedächtnis und den daraus möglichen Wiederholungen ein dem Vergänglichen etwas entragendes Werk wird. Die geschlechtliche Vereinigung im Sexualakt ist ein Feld uralter Kunstproduktionen der Sinne. Wenn dem Darwinismus zugstanden wird, dass die sexuellen Künste durch Selektion und Mutation sich entwickelten, so ist damit keine qualifizierte Aussage über das Ästhetische gemacht worden, denn die Lebensprozesse ereignen sich in multiblen, inein- ander verschachtelten Funktionen, die nicht in höhere oder niedere eingeordnet werden können außerhalb einer speziell der gewünschten Aussage zugerüsteten Analyse. Den Ritualtanz als nur zufällig ästhetisch und bestimmt durch Notwendig- keiten der Evolution zu sehen, ist ein ideologisches Phänomen und wissenschaftlich von begrenztem Wert. Ästhetische Höhepunkte verflachen durch Gewöhnung, bis sie nicht mehr aus dem Ablauf des Lebens heraustreten. Die Sprache ist ein Beispiel dafür. Ursprünglich waren die frühesten Worte mit magischen Kräften beseelt. Die Priester- und Medizinmännerkaste baute auf den Artefakten der Wort- schöpfungen ihre Macht auf. Zugleich wurden diese zu nütz- lichen Werkzeugen der Gemeinschaftsproduktion. Die der geschlechtlichen Werbung sehr nahestehenden Kunst- werke: Tanz und Musik zeigen in ihrem Ablauf die Merkmale der orgiastischen Befriedigung. In Wellen steigert sich die Lustempfindung bis zum Höhepunkt der Entladung. Auch die modernen Kunstwerke tragen davon noch Spuren. Der Betrachter eines Gemäldes erhebt sich zu Höhepunkten sowohl der Gefühle wie auch der von Einsichten stimulierten Empfindungen. Der im Laufe der menschlichen Geschichte zunehmende Einfluß des sprachlichen und formelhaften Denkens, hat auch die Kunstwerke geprägt. Längst ist große Kunst der engen Bindung an sexuelle Erregungen entwachsen und verhilft allen Gefühlen zur Darstellung. Der Schock, die Panik, die Erkenntnis usw. sind Gegenstand künstlerischer Thematik geworden. Der Verschleiß künstlerischer Mittel und Aussagen rührt aus der Nähe der Wahrnehmung der Artefakte zur Erregung her. Die gesammte Geschichte der Organismen kann beschrieben werden als Integration ehemaliger Höhepunkte in den ruhigeren Bereich des "normalen" Lebenslaufs, der nahezu automatisch das Funktionieren des Organismusses bestimmt. Möglicherweise waren viele Errungeschaften der höheren Organismen ursprünglich ästhetische Expressionen, die im Verlaufe der Gewöhnung und des Trainings zu normalen Lebens- funktionen umgewandelt wurden. Die Warmblütigkeit könnte ihren Anfang genommen haben bei den Experimenten der wandernden Organismen, die lange vor der Entstehung von Säugern in kalte Klimazonen einwanderten, Auch heute noch sind Experimente mit widrigen Umweltbedingungen beobachtbar. Dass die Not dabei mitgespielt hat, ist sehr wahrscheinlich, aber sie regiert nicht ausschließlich den Lauf der Geschichte. Das volkstümliche Sprichwort:"Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis", enthält ein uraltes Gespür dafür. Eines der grössten Kunstwerke überhaupt, der Flug zum Mond, wurde verkannt und als wissenschaftliches Unternehmen definiert. Dahinter steht das ideologische Diktat der Nütz- lichkeit, eines direkten Ablegers der Arbeitsteilung. Kunst muss geleugnet werden um die Potenzen der Gesellschaft sich dienlich machen zu können. Dergleichen hat sich unzählige Male in der Geschichte ereignet. Der materielle Gewinn, den Columbus der spanischen Königin mit seiner Suche nach dem umgekehrten Seeweg nach Indien in Aussicht stellte, gab den Ausschlag für die Finanzierung des Experiments. Dass nicht nur Columbus sondern auch die Königin artifiziellen Trieben dabei folgte, ist anzunehmen. Die Partisanen der Freiheit tarnen oft ihre Bestrebungen mit vorgegebener Notwendigkeit. Arbeitsteilige Kultur verlangt ein ungeheures Pensium massenhafter nützlicher Arbeitsleistung. Kunst, die diese Leistungen für sich verwendet, muss das Notendige betonen, damit das Volk mitspielt. Weil aber ästhetische Produktionen oft in den nützlichen Gebrauch absinken, erhält die Ideologie mit zeitlicher Verzögerung doch recht. Feuerbeherrschung und der Sprengstoff sind zu Notwendigkeiten geworden, obwohl sie zu Beginn eine künstlerische Verrücktheit gewesen waren. Der Begriff des Schönen als "interessenloses Wohlgefallen" ist ein zeitbefangenes Konstrukt der sogenannten Klassik des ausgehenden 18.Jahrhunderts. Alle Ordnungskategorien und Moralvorstellungen in der Ästhetik, die sich absolut verstehen, sind aus heutiger Sicht eitle Schrullen. Das Schöne ist über eine dünne Brücke mit den Erregungen der Sinne verbunden. Elementar an jenem sind die Lebensprozesse in ihrer Richtung hin zum Komplexen. Während in der Frühgeschichte der Organismen der Einzeller seine Umgebung als anziehend oder abstossend wahrnahm, und das Gelingen der Nahrungsaufnahme und der sexuellen Ver- schmelzung als etwas empfinden mochte, dass später eine Affinität zum Schönen werden konnte, haben die höheren Wirbeltiere eine Vielzahl von ästhetischen Bewegungsab- läufen erworben, deren Schönheit unter anderem zum Erfolg bei der Vermehrung führte. Psychologisch ist das "interessenlose Wohlgefallen" eine Leistung des Intellekts, der sich der Dominanz einzelner Triebregungen, besonders der Aggression und der Sexual- anziehung entledigen konnte. Neu an der hochentwickelten Kunst der Erregungen sind nicht diese Befreiungen, sondern das Hervorstreten nichtidentischer Manifestationen, die Erfahrung des, wie Adorno es prägte: Hinzutretenden. Tiefe ästhetische Erfahrungen vermitteln Erregung und Offenes, Höhepunkt und Abgrund, Freude und Schock in Einem. Es ist die Einheit lebendiger Komplexität, die sowohl im hochentwickelten Sexualakt wie im hochent- wickelten Kunstwerk sich durch ihre aufs äusserste ge- steigerte Besonderheit einstellt. Sie bricht wie durch ein Tor ins Lebewesen ein, schüttelt es und klärt es in vitalster Weise auf. Danach kommt die Trauer, die Homer bei der Göttin Kirke beschreibt, als die zu Schweinen verwandelten Menschen in die Menschengestalt zurück- verwandelt werden und in die Normalität zurückkehren müssen. Diese Szene in Homers "Odysseus" kann als ein Wendepunkt der Ästhetik gesehen werden, wenn auch die Unschärfe des Blicks in die Vergangenheit manches übersehen lässt, was ähnlich oder grösser gewesen sein mag. Kunst folgt dem Lebensstrom, der von Eroberung höherer Komplexität, von neuen Funktionen und Neuland in allen denkbaren und noch nie gedachten Formen bestimmt ist. Das Schöne wie das Schreckliche steigern sich und gehen ein in die ästhetischen Höhepunkte und Werke. Das Schöne vertritt diesen Strom, das Schreckliche ver- tritt ihn in der künstlerischen Bewältigung vorwiegend als Aufklärung. Kafkas Schloß ist nicht so sehr Befriedigung am Horror, wie es manchem erscheint, auch nicht Ausgeburt tiefer depressiver Veranlagung sondern Aufklärung. In allen furchtbaren Situationen schimmert die Utopie einer Gesellschaft hindurch, die sein könnte, wenn dies eben nicht wäre. Orwells "1989" steht an der gleichen Front. Die Emanzipation der Kunst ist nirgendwo tiefer erfolgt als in der Verarbeitung des Schreckens. Die Verwertung von Horrorbildern in modernen Horror- filmen ist kunstfremd, ebenso der röhrende Hirsch in idyllischer Berglandschaft, ein Lieblingsthema der überaus verlogenen Nachkriegszeit. Unkünstlerisches Verhalten ergreift die Oberfläche und sagt: dies ist so wie es aussieht. Leben funktioniert völlig anders: Es ist dies und ist dies nicht, die Idee der Ästhetik will in ihren Artefakten das Unsagbare zum Ausdruck bringen. Die Beziehung der Begriffe Ästhetik und Kunst ist nicht dauerhaft zu definieren. Während ästhetische Ereignisse und Höhepunkt dem Wahrnehmen entspringen, und zur Urgeschichte hin fast zu einem verschmelzen, meint Kunst etwas, dass sich von einem vordem Gegebenen abhebt. Dieses Gegebene, sei es konventioneller Lebens- lauf oder Natur genannt, enthält selbst wieder ästhetische Ereignisse, die aber durch Gewöhnung im Tagesablauf verschwimmen. Insofern hat künstlich Auftretendes etwas, das als Moment des Neuen bezeichnet werden kann. In den Kunstwerken erscheint dieses Neue sich zu erhalten. Der Schein trügt. Das Hinzutretende integriert sich dem vom Bewußtsein beleuchteten Raum, aber das lichtlose Gebiet, in dem allein es wie ein Blitz erscheinen kann, tritt zurück. Dies ist der Grund für die Wandlung ehemals kaum erträglicher Artefakte zu Wohnraumdesign und Frei- zeitkultur. Die Wissenschaften entstehen zeitgleich mit dem Herauf- kommen einer passiven, betrachtenden Verhaltensweise mit der das Subjekt sich zurücknimmt um das ausser sich liegende unverfälscht aufnehmen zu können. Ästhetik und moderne Wissenschaft sind darin einen Sinnes. Der ideo- logische und damit zudeckende Charakter dieses Verfahrens wird als Unwohlsein bewusst und hat zur Entfaltung des Idealismusses, des Existenzialismusses und des Konstruktiv- ismusses beigetragen. Kunstwerke und Entleerung ästhetischer Höhepunkte gehen historisch Hand in Hand. Während die indische vor- budhhistische Kunst sinnenfroh die erotischen Anziehungen darstellte, und sowohl erlebte wie auch ersehnte extreme sexueller Erlebnisse manifestierte, wurden die Artefakte mit dem Untergang der Antike beginnend triebversagend motiviert. Das ist nicht nur politisch und durch Staatenbildung begründet sondern liegt dem Gang der ästhetischen Bedürfnisse nach Dauer notwendig inne. Das durch Sprache mehr und mehr vereinnahmte Bewusstsein operiert mit der Dauer ihrer Elemente, ganz gleich ob sie real dauerhaft sind oder ihnen trotz innerer Wandlung Dauer zugesprochen wird. Ästhetische Produkte werden wie die gesammte innere Organisation der Menschen zum Panzer, der darwinistisch betrachtet zum Überleben nptwendig ist und im Tierreich seine Vorläufer findet. Das Verdienst der Psychoanalyse ist hier nicht hoch genug anzusetzen, die mit ihrer frühen Neurosenlehre in die richtige Richtung gewiesen hat. Nashorn und Zivilisation sind wesensverwandt. Reflektierte Kunst möchte dem entrinnen. Ob geglückt oder nicht, Musik und Happening setzen sich in Bewegung, ihr Leben verdanken sie dem Fluss. Zugleich aber entfernen sie sich von den urtüm- lichen, triebbefriedigenden Erlebnissen und Verhaltens- weisen und folgen darin dem Strom der Sublimierung hin zur Unfruchtbarkeit. Konventionelles Kunstverständnis beklagt den Niedergang älterer Kunstgattungen und das Heraufkommen "roherer" Kunst- formen. Adornos Kritik am Schlager ist erstaunlich kurz- sichtig. Warum die moderne Musikindustrie auf niederer Ebene soll produzieren und die vormals in feudaler Gesellschaft entstandene Kunst authentischer, artifizieller sei, ist nicht plausibel dargelegt. Dass neben, auf der Höhe der Zeit stehende Gruppen wie die Stones auch Serienprodukte niederen Ranges herausgebracht werden, ist nicht ein exclusives Merk- mal der Gegenwart sondern gehört zum Kunstbetrieb aller Epochen. Die relativ zarte Jugendrevolte der 60 er Jahre ist ebenso selten in Kunstwerken authentisch zur Sprache gekommen wie die revoltionäre Stimmung des deutschen Bürgertums 1848. Auch damals regierte die Massenproduktion affirmativer Produkte im Kulturbetrieb. Die schiefe Sicht auf die gerade neu herauskommenden Kunst- produkte hat abgesehen von realem Sublimierungsverlust seine Gründe in inkonsequenter Reflektion. Es wird ständig das vermittelnde Moment der Artefakte betont, aber nicht zuende gedacht. Ein modernes Rockstück muss im Zusammenhang mit den Festivals gesehen werden mit den Auswirkungen auf die junge Generation und den komplementären Abwehrhaltungen der Alten. Es ist ein Kunstprozess, ein Geflecht von Wechselwirkungen, die sich dabei ereignen. Das Werk kann zu den zweit oder drittrangigen gehören und dennoch den Gipfel eines ästhetischen Ereignisses heraufrufen. Die Erwerbung des Festen in der Evolution erfolgte in ver- schiedener Weise. Der Chitinpanzer der Insekten und das Knochengerüst der Wirbeltiere sind deutliche Beispiele dafür. Der Panzer ist die kurzfristig bessere, das Knochengerüst die langfristig erfolgreichere Lösung. Ähnlich verhält es sich mit den ästhetischen Ausdrucksformen. Der Prozess, wie er im hochentwickelten Sexualverkehr zu ästhetischen Höhen ent- wickelt wurde, ist den Artefakten aus Worten, Tönen und Materialien verschiedenster Art unendlich überlegen, aber auch besonders gefährdet in den Manifestionen unterzugehen. Der Themenwandel der Literatur vom sinnenfrohen Lied zur dramatischen Anklage folgt dem Weg der Kunstwerke durch die Geschichte. Weil der ästhetische Prozess weitgehend durch Versteinerung verdrängt ward, klagt die Kunst an und ver- mittelt Schock, Verzweiflung und Trauer. Dennoch ist das Bild einer besseren Vorzeit überzeichnet. Romantik registriert sie durch eine ideologische Brille. Wahr sind die Aussagen der Avantgarde als Warnung vor zukünftigen Gefahren. Wenn die orgiastischen Höhepunkte verlernt werden,- denn sie sind Kunstwerke und kein Erbe trauter Natürlichkeit- dann folgt das Unverständnis für die Artefakte, zuletzt der stumpfe Niedergang, die Felachisierung des Oswald Spengler und der Erdenwurm von Nietzsches Zarathustra. Das Grandiose im artifiziellen Prozess wandelt sich im Laufe der Evolution und Geschichte. Kunstwerke sind besonders anfällg für die Veränderungen der Objektwelt, da sie vom Subjket in eine stets sich verschiebende Rangordnung ein- gebracht werden. Mit dem Heraufkommen des hochkomplexen Bewusstseins in den frühen Hochkulturen verschiebt sich der Schwerpunkt ästhetischer Prozesse weg von den unmittelbaren sinnlichen Höhepunkten hin zu den sozialen Geflechten und von ihnen aus zu den dauerhaften Sprachräumen und den technischen Artefakten. Sichtbare Spätfolge ist die junge Frau, die eine Tätigkeit im Büro aufnimmt und auf Kinder verzichtet. Eine Geburt ist in der modernen Wertigkeit im Vergleich mit einer Vorstands- tagung hoffnungslos untergewichtig. Die Gemälde, die Maria mit dem Jesuskind darstellen, sind zuweilen von berückender Sinnlichkeit. In ihnen klingt die urgeschichtliche Bedeutung der Mutter nach, die einmal einen Gipfel ästhetischer Ereignisse markierte. Der Marien- kult hat seine Vorläufer in Mutter- und Frauenverehrung gehabt, deren Rang im Laufe der Geschichte sich verändert hat. Napoleons Niedergang zeigt das Grandiose in seiner neuzeitlichen Gestalt: Den Gang zur Staatenbildung als neue lebenswichtige Entwicklung in einer großartigen, Symbolik des doch nur vorläufigen Scheiterns. Das Grosse gewinnt Napoleons Haltung auch deshalb, weil in ihr die Unaufhaltsamkeit der historischen Entwicklung mitschwingt. Das Grandiose tangiert unmittelbar die Bedeutung, wenn auch nicht im Sinne einer Synchronität. Dies ist verursacht durch die Arbeitsweise des Organismusses, insbesondere des Bewusstsein. Ereignisse des Organismusses, die sich in großer Sicherheit oft wiederholen, fallen in den bewußtlosen Auto- matismus zurück, wie dies bei normaler Atmung zu bemerken ist. Bei Überschreiten von neuronalen Schwellen, beim so- genannten "Feuern" der Neuronen, nimmt das Bewusstsein Kenntnis davon und fordert eine Reaktion heraus. Sexuelle Empfindungen rangieren bei Säugern in der Pulsheftigkeit hinter den Schmerzempfindungen. Dies ist bemerkenswert, da in den Insekten die Schmerzschwelle anders oder gar nicht angelegt ist. Man sieht hier die Herkunft der Erscheinungen aus sensuellen Höhepunkten deutlich. Die Bedeutung des Schönen hat epochenweise derart dominert, dass die Gleichsetzung von ästhetisch mit schön entstand, wenn auch eher im volkstümlichen Denken. Der Vorrang des Schönen kann in Zusammenhang mit dem Lustprinzip gesehen werden. Kunst hat dagegen früh revoltiert und den Schock thematisiert. Das Wohlgefallen, die Freude und die Lust am Schönen gehorchen aber auch dem Erfolg, in Freudscher Termin- ologie dem Realitätsprinzip. Erst kürzlich ist durch statistische Methoden ein Zusammenhang zwischen Körper- symetrie, Gesundheit und Fruchtbarkeit hergestellt worden, und damit auch, zumindest in der abendländischen Kultur, der Bezug zwischen Schönheit und Symetrie. Schönheit des Gesichts, des Körpers, des Gemäldes, der Erzählung, der Symphonie, des Tanzes und anderer Mani- festationen ist eine Werkvollendung einer Richtung organischer und menschlicher Tätigkeit, die das Viel- schichtige und Widersprüchliche aller wachsenden Richt- ungen enthält. Die Richtung zur Schönheit ist nicht durch eine dauerhafte Beschreibung zu erklären, da sie sich wendet und wandelt. Das Unberechenbare lebendiger Prozesse, die ein Ziel brauchen und doch keins dauerhaft haben, schlägt in den "Naturschönheiten" und Kunstwerken durch. Während aber ein schöner Mensch altert und schwindet, scheint den schönen Kunstwerken Unsterblichkeit gegeben. Sie zerfallen wie alles zerfällt, nicht nur durch ihr vergäng- liches Material sondern durch das Absterben ihrer Vermitt- lungen. Sie sind gebunden an die menschliche Gemeinschaft und ihre jeweils das Werk aufschlüsselnde Struktur. Der schein- bare Gegenpol ist das Hässliche. Adorno vermutet, dass Schön- heit dem Hässlichen entsprang. Das Hässliche subsummiert jedoch anders als Schönheit keine Richtung , es hat mit Schönheit keine Verbindung, denn Schönheit und ästhetischer Höhepunkt erregen das Bewusstsein und heben das Erscheinende über die Schwelle des Nicht- bzw. Vorbewussten hinauf. Das Hässliche ist aber nicht das Vorbewusste oder wie Freud ver- dächtigte das Es sondern ein bewertetes Interieur, welches sowohl Abwehrhaltungen provoziert als auch überwunden wird. Das bewältigte Hässliche ist nicht mehr hässlich. Die Materialerfahrungen der Künstler zeigen es wiederkehrend. Hässliches ist eine situationelle bzw. komponierte Collage, die erst wird durch die Reaktion des Subjekts. Es enthält divergierende Fragmente menschlicher Produktion, ist aber als Begriff unwirklich. Anders als Schönheit ist das Hässliche gebunden an psychologisches Verhalten. Die Erfahrungen des totalitären Grauens haben Adorno bewogen, das Furchtbare, das Scheitern von Menschen und der modernen Gesellschaften in den Mittelpunkt zu stellen. Er nähert sich damit der urchristlichen Interpretation der Welt als eines Jammertals an. Gesellschaft gelingt aber im Lauf der Geschichte immer besser. Die Bändigung der Triebe, das Training konstruktiver Tätigkeiten ergreift alle Völker der Erde, aber der Verdacht ist naheliegend, es könnten gerade in diesen Errungenschaften die alten Entsetzlichkeiten ihr Haupt erheben, wie es am Stalinismus diagnostiziert wurde. Rilkes Satz in den "Duineser Elegien" : "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören," zeichnet die Grunderfahrung des Individuums nach, das vom Schönen angezogen und dann verlassen wird. Individuation, der Prozess des Selbstwerdens des Einzelnen, erhebt ihn aus dem Strom des Lebens heraus und versperrt die völlige Verschmelzung. Das Schöne ist Sehnsucht zur extatischen Höhe, die nur um den Preis der Selbstvergessen- heit erreicht wird. In ihr löscht sich beides aus: Schönheit und Individuum. Schön bleibt die Erscheinung solange Distanz waltet und die Spannung zum Schönen sich erhält, die zwischen dem Individuum und der schönen Erscheinung sich aufbaut. Aber auch dieses Spannungsverhältnis ist vergänglich, - zuletzt bleibt dem Individuum Einsamkeit. Dies ist das großartig Verkehrte an Leibnitzens Monaden. Die voll- kommene Harmonie wird eins mit vollkommener Einsamkeit. Die Entstehung der Welt aus dem Subjekt, in der Bezeichnung Ästhetik als Wahrnehmung nachklingend, bricht aus der objektivistischen Verdrehung heraus, nirgendwo stärker als in der Verschmelzung und der Geburt. Dem gewaltigsten ästhetischen Höhepunkt folgt die Einsamkeit. Der neue Mensch weiss nichts mehr von den Zweien, deren Verschmelzung ihn erschuf. Er ist beide nicht mehr sondern ein Einzelner einsam. Befriedigung, der widersprüchlichste aller Prozesse, verläuft wie die Kraftkurve im Bereich der atomaren Kernkraft: Steigerung der Bindekraft und dann abrupter Abbruch, ent- sprechend der Empfindungslosigkeit. Der gemeinsame Pro- duktionsprozess, der jeder ästhetische Prozess ist, erlischt beim Abruch der Vermittlung. Die Wendung zum Objekt, manifestiert im Vorrang der Erscheinungen und den Naturwissenschaften, zeigt sich im ästhetischen Höhepunkt als Werkproduktion, und wird damit wieder eingezogen in das konstituierende Subjekt. Idealistisch ist Philosophie, weil sie nicht anders kann. Die Abstützung in Objektivität führt zu dem Bild, welches Schopenhauer gewahrte: Rückfall in Occultae. Natur und Naturgesetze sind Konstrukte, die an den Stellen menschlicher Produktion, die um Werke sich dreht, nicht durch praktikablere ersetzt werden können. Aber Praktikabilität ist weder Wahrheit noch Erkenntnis. Die Abdichtung der Organismen gegen ihre Umwelt ist Not- wendigkeit und Grenze. Das Erobern der Umwelt ist immer zugleich Gewinn und Verlust. Das Beisichsein der Mikro- organismen ist ihre innere Freiheit und ihr Käfig. Aber dieses innere Glück geht Stück für Stück verloren mit dem Erwerb neuer Anteile der Umwelt. Ästhetische Impulse rebellieren dagegen, selbst um den Verlust älterer Paradiese. Kunst will das Erworbene dem Innersten einverleiben, indem sie draussen eine neue innere Welt kreiert. Die Lösung, Irrwege wie die Perversionen für Krankeit zu erklären, ist tiefer gehenden Köpfen verdächtig gewesen. Cendrars stellt provozierend in seinem "Moloch" die Verhältnisse auf den Kopf, und vermutet, dass Krankheit eine besondere Gesund- heit sein könnte. Ästhetische Manifestationen sind, zumal im sogenannten natürlichen Bereich, Einbrüche von nicht identifizierbaren Ereignissen. Werden sie unberücksichtigt belassen, ist Lebendiges selbst ausgeklammert, zuletzt Ästhetik ein hohles Wort. Zu solchen hohlen Sprach- und Ausdruckskörpern verkümmern Kunstswerke, die zum identischen Raum sich verdichten. Adornos Kritik am Naturschönen trifft Aspekte der Verding- lichung und greift doch zu kurz. In seiner "Ästhetischen Theorie" schreibt er: "Das Wort "wie schön" in einer Landschaft verletzt deren stumme Sprache und mindert ihre Schönheit; erscheinende Natur will Schweigen..." Ein passives, durchaus von Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung" beeinflusstes Naturverständnis wird hier sichtbar. Natur und Naturschönes sind der passiven Anschauung zugänglich, während der "Wille", nach Schopen- hauers Lehre im Untergrund wütet. Natur ist aber wesentlich das Bewegte, das Vulkanhafte. Die Zuordnung des Ruhigen zum Schönen, des Ausbrechenden zum Erschrecken ist die Folge einer Massenpsychologie, die vor dem Naturhaften erschrickt, obschon sie sich angezogen fühlt. Die Entsexualisierung des Schönheitsbegriffs weist in die gleiche Richtung. Der Mangel an Tiefe liegt im fehlenden Bindeglied der abend- ländischen Philosophie, der Einsicht in den ästhetischen Prozess als Urgrund jeder Erscheinung. Kunstwerke mögen erst mit fortschreitender Sublimierung gelingen, ästhetische Prozesse, Höhepunkte und Erscheinungen gehören zu den Grund- schichten des Universums. Kunstwerke gelingen, wo sie an diese Urschicht rühren, sie zum Nachklingen bringen, sei es im Erregen der Lust oder der Furcht. Der abendländischen Spaltung in irdisches Jammertal und Paradies ist in den Kunstwerken, ihrer Hilflosigkeit dem Leben gegenüber immer noch aktiv. Nicht ist das Tausch- prinzip die Drehangel dieser Verhältnisse, sondern diese sind Folge der älteren Grundschicht einer wie immer ge- wollten oder erzwungen Vergegenständlichung der mensch- lichen Welt. Die Entfaltung der Produktivkräfte, genauer: der Waren- produktion gehorcht einem psychologischen Mechanismus, der in älterer Erziehung im Begriff der Verweichlichung an- gedeutet ist. Notwendigkeit, Nützlichkeit und Erschlaffung sind in einem einzigen Funktionszusammenhang verklammert. Nietzsches Gedanke einer ästhetischen Kosmologie ist erst denkbar durch die Verlagerung subjektiver Wahrnehmungen in scheinbar vom Subjekt unabhängige, zumindest aber weitgehend befreite Erscheinungen. Ob dieses Verfahren zu gültigen Ergebnissen führt, ist offen. Im Produktionsbereich der Waren sind Erfolge unübersehbar. Nach rückwärts projezierte Modelle zeigen ästhetische Höhepunkte und artifizielles Verhalten bereits bei den Organellen, die sich gegenseitig frassen, bis es mangelhaft verdauten Organellen in ihren Wirtskörpern gelang sich unentbehrlich zu machen und symbiotisch zu über- leben. Ob danach im Laufe der Gewöhnung diese Höhepunkte ver- schwanden oder verblassten ist nicht zu beantworten, da der neue jeweils grössere und komplexere Organismus diese alten Empfindungen überlagert. Höhepunkt ist relativ, vielleicht einer der Gründe, warum die alten Organismen immer absterben und den jungen, noch unbeschriebenen das Feld überlassen. Möglicherweise stirbt der völlig ausgereizte Organismus von selber ab. Lust und Mangel,also Gefälle gehören zu allen organischen Prozessen, der völlig gesättigte würde verlöschen, wie es dem Universum nach dem Enthropiemodell bevorsteht. Die Kritik am Fetischcharakter des Geldes richtet sich gegen die Herrschaft des Kapitals und war bei Marx ein Bestandteil der Gesellschaftskritik, die mit der kommunistischen Revolution umgesetzt werden sollte. Die Verkennung des Fetisches war einer der Gründe, warum der Ostblockkommunismus an die Stelle der alten Tauschverhältnisse die gewaltsamen, verwalteten schuf und die christliche durch die vulgär- marxistische Ideologie ersetzen wollte. Das Alte wurde wiederholt auf gefährlicherer Studenleiter. Fetisch, Vermittlung und Raum der Erscheinungen gehören zu den Bestandteilen organischen Lebens, die zumindest im mensch- lichen Breich nicht weggeschafft werden können. Der Versuch das große Privateigentum, per Politbürobeschluss zu ver- bieten, führte zu seiner grotesken Wiederkehr in der Maskerade der Korruption. Eine völlig rational verwaltete Gesellschaft könnte es vielleicht zivilisieren, abschaffen nicht. Ästhetische Ereignisse sind gebunden an Vermittlung und Raum. Die beteiligten Individuen sind daher zum Austausch gezwungen. Ausgetauscht wird organische Substanz, Lebens- mittel, Waren aller Art, Fetische in Gestalt des Stellverteters von Beziehungen und Gefühlen usw. Der Fetisch enthält immer mehr als nur das, was er vertritt. Die Vermittlungen gehen selbst ein in die Fetische. Sprache funktioniert in manchen Bereichen auch als Fetisch. Die nicht in einem Objekt verdinglichten Tauschelemente, Gedanken und Gefühle werden an Dinghaftes gebunden. So die Geschenke zu Geburts- und Feiertagen. Vom sexuellen Duftsignal zum Brilliantring gibt es eine durchgänge Linie wiederkehrender Funktionen der Vermittlung. Die Distanz zum Triebgeschehen ändert sich in Laufe der Geschichte, bis zuletzt der Fetisch die organische Erfüllung durch eine andere ersetzt. Die Vorherrschaft des dinglichen Bewußtseins ist mit seinen Sprach- und Bildelementen zugleich Produktionmittel und Sperre. Sie erfolgt dermassen dicht, dass die Einschätzung dessen, was organisches Leben ist, vollständig verdreht und verkehrt ist. Piaget, Reich und Cendrars haben, jeder auf seine Weise die Ahnung dieser Verdrehung dargelegt. Piaget zeigt, dass die frühen Bewegungen des Kindes aus einer multiblen Bewegungsstruktur herausgeschält werden und nicht etwa eine Zielrichtung wie eine Linie gebildet wird. Reichs Orgasmusmodell geht von einer rhythmischen Zuckung aus, die erst zur Genitalität sich bündelt, und Cendrars beschreibt die Vielfalt der Perversionen als Lebensfülle. Andere Autoren werden ähnliches herausgefunden haben. Freiheit bedeutet deshalb unter anderem Lösung der Ziel- richtungen, insofern haben die Anarchisten etwas geahnt, aber sie haben es verkehrt herausgearbeitet. Ästhethetische Höhepunkte sind nicht durch Zielrichtung zutreffend beschrieben, wie dies für Kunstwerke großenteils richtig ist, sondern sie gleichen einem erhöhten Erregungs- potential. Wird dieses Potential in ständig wiederkehrender Struktur als Auf- und Abwärtgefälle zur Gewohnheit oder durch Integration in eine komplexere organische Organisation eingeordnet, verliert es das ästhetische und "künstliche" Wesen und erscheint "natürlich" zu sein. Natur ist deshalb Ideologie, der Übergang vom Natürlichen zum Künstlichen ist überall und in allen Graden zu finden. Von einer Natur im Gegensatz zum menschlichen Dasein zu sprechen, oder wie die Marxisten, von Entfremdung oder "zweiter Natur" ist nur politische Ideologie und hat keine Wirklichkeit. Der Werkzeugcharakter der Begriffe und letztlich der Sprache insgesammt macht viele künstlich gezogene Grenzen erforder- lich und nützlich. Sie sind durchaus Kunstprodukt, genauer: Natur und Kunstprodukt in Einem. Das "Sinnlose", "Böse", "Kranke" usw. sind nur unzureichend begriffen. Die Hilflosigkeit gegenüber tief- sitzender "krimineller" oder "krankhafter" Neigung. kommt aus dem Mißverständnis lebendiger Prozesse. Lustgewinn auf eine, scheinbar der Lust entgegengesetzte Weise, wie es besonders im Masochismus vorkommt, ist in allen denk- baren Strukturen- und mehr als das, - möglich. Leben arbeitet wider sich selbst, es opfert bedenklos das Große für das Kleine, Massen für Einzelne, ja sich selbst für einen einzigen Impuls. Insofern ist es ein sinnloses Spiel, wie es Cendrars beschrieben hat. Der problematische Begriff der "Selbsterhaltung" oder der "Arterhaltung" ist der Antipode zum ästhetischen Impuls immer dann, wenn zielgerichtete und geordnete Strukturen entstehen, die den ästhetischen Höhepunkt beschneiden oder unterdrücken. Offensichtlich ist die völlige Freiheit der Kreationen tödlich. Nirgendwo findet sich ein lebens- fähiges Chaos. Ästhetische Höhepunkte und ihre frühesten gesellschaftlichen Formen haben den überwiegenden Zeitraum menschlicher Vor- geschichte geprägt. Die Stammesorgie war die letzte und größte sexuelle Kunstform. Danach wurde die Schmerzschwelle zum Gegenstand ästhetischer Experimente, besonders in den furchtbaren Formen der Folter und Verstümmelung, zuletzt in den öffentlichen Schaukämpfen, Massakern und Hinrichtungen. Diese letzgenannten waren eine Sackgasse, da sie der Ver- größerung der Gemeinschaften im Weg standen. Friedrich der Große hat die Folter in Preussen abgeschafft, weil er wußte und spürte, dass der Gang ästhetischer Entwicklungen nur unter etwa gleichentwickelten Menschen weitergeführt werden kann. Der gleiche sichere Instinkt waltete in der Entwicklung des römischen Rechtssystems. Das Kunstwerk ist die direkte Fortsetzung gemeinschaftsbezogener ästhetischer Ausdrucks- formen. Es setzt auch etwa gleich hoch entwickelte Individuen voraus wie der Großstaat, bleibt aber unterhalb der Schmerz- schwelle, deren systematische und massenhafte Überschreitung die Gesellschaft aufspaltet in Täter und Opfer sowie in masochistische Mitgenießer und angewiderte Individuen. Ähnlich dem Kannibalismus ist die Grausamkeit ein Irrweg der ästhetischen Produktionen, lebt aber sublimiert fort im Genuß der Kriminal- und Kriegsfilme sowie neuerdings in der Zelebrierung von Psychoterror. Die Tierwelt, die diese Abirrungen eher zufällig kennt, wie das grausame Spiel von Katzen mit Vögeln und Mäusen, kann ihre urwüchsigen Gemein- schaftsformen nicht überwinden, da ihnen die Kapazitäten des Gehirns fehlen. Die Hirnentwicklung des Menschen mit seinen fast wunderbaren Möglichkeiten rührt nicht allein, vielleicht nicht einmal überwiegend aus dem Überlebenskampf in der Evolution her, sondern entspringt zwei wesentlichen Quellen: der Höherent- wicklung ästhetischer Höhepunkte, zuletzt der Kunstwerke und den damit parallel laufenden Weiterentwicklungen der Gemein- wesen. In den Kunstwerken sind wesentliche Elemente der Demokratisierung manifestiert. Hohe Kunst ist immer eine bürgerliche, die damit auch die der Staatenbildungen ist. Staaten bedürfen gleichrangiger Individuen. Zwar ist dies noch längst nicht erreicht, aber allein die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Menschen heute Rechtsempfindungen und Schriftsprache besitzt, zeigt den Unterschied zu frühen roheren Gemeinschaftsformen augenfällig. Die Sehnsucht ist eines der zentralen Gefühle, die durch manche Werke ausgelöst werden. Ihre weit über den Einzelnen hinausgehende Wirkung können sie entfalten, weil sie in tiefe Schichten des Individuums reichen, die das Kollektive Wesen anrühren, welches in vielen Einzelnen sich regt. Eine jugendliche Verliebtheit, ein schmerzvoller Abschied, ein furchtbarer Verlust, eine hochspringende Freude an einem Blumenmeer oder den Augen eines gerade geweckten Mädchens... alle diese Varianten hoher Erlebnisse, die in jedem verschieden sind, können durch Kunstwerke erweckt werden. Das Gedächtnis der Lebewesen, weitaus umfassender als das je einzelne Gedächtnis eines Individuums, enthält unzähl- bare Welten ästhetischer Höhepunkte, ähnlich wie der Genpol keimhaft in jedem eine halbe Menschheit in sich trägt. Der glückliche Mensch, in Nietzsches Worten der nicht Schlechtweggekommene, hat vor allem Glück gehabt, dass sein Lebenslauf nur Weniges von dem inneren Reichtum zugeschüttet hat, der mehr Menschen als später sichtbar werden kann, auf den Weg mitgegeben ist. Rilke sagt,die wesentlichen Schläge in der Kindheit würden mit der linken Hand ausgeteilt. Hier ist der Begriff des Zufalls, der häufig überstrapaziert wird, angebracht. Der Übergang vom ästhetischen Höhepunkt zur Extase ist fließend. Die Kunstwerke vermögen beides zu zünden. Wenn aber die inneren Bedingungen des Individuums nicht bereit stehen, verstummt das Kunstwerk. Dies läßt Rückschlüsse auf das Verstummen der Kunst zu. Denn zuerst verstummt das innere Potential der Höhepunkte, dann das Kunstwerk. Godot von Bekett dokumentiert eine extatische Impotenz. Der verständige Zuschauer erkennt im Verstummen das Versiegen seiner extatischen Möglichkeiten und erhält deshalb eine Ahnung des Verlustes. Wenn Spengler sagt, es seien keine großen Werke mehr möglich, spricht er die Resignation aus, die aus dem in der Zivilisation völlig domestizierten oder aber verzerrt ent- bundenen Triebleben ausströmt. Das Kunstwerk ist mehr als nur Initiator der Höhepunkte. Es ist zugleich Gedächtnis einer Zeitstrecke, die bis in vormenschliche Bereiche des menschlichen Organismusses hinabreicht. Es vermag daher das Versiegen extatischer Potenzen spürbar zu machen und mitunter Extase erneut zu entzünden. Dies geschieht ohne Bewusstsein des Prozesses, der sich dabei ereignet. Deshalb erlischt der große Eindruck kurz nach der Rezeption des Werkes. Es ist eine der noch immer dringlichen Aufgaben ästhetischer Theorie darüber aufzuklären. Mit dem Zerbröckeln der Vermittlungen zwischen innerem Erleben und der animalischen Bedürftigkeit wird der Wandel der ehemals sinnenfrohen Gesellschaften zu den latent und offen aggressiven eingeleitet und der Irrweg in destruktive Befriedigungen beschritten. Buddhas Philosophie war ein Rettungsversuch der Extase. Indem er die gesellschaftlichen Vermittlungen aufkündigt und die ästhetischen Höhepunkte in eine beinahe autistische Sphäre zurücknimmt, arbeitet er gegen die aggressiver werdenden Triebveränderungen, aber um den Preis der Triebschwächungen. Auch dieser Weg war ein Irrtum, da das Individuum Zivilisation fördert und den Rückzug ins Innere nicht durchhalten kann. Konsequenterweise wurde der Buddhismus deshalb wieder auf kleine Enklaven und gänzlich ins moderne transformierte Gestaltungen zurückgedrängt. Die etwa um die gleiche Zeit aufkommende Grausamkeit zeigt den Gang in eine arbeitsteilige Zergliederung des Individuums. Der Zuschauer im öffentlichen Folterspektakel nimmt von den, den Opfern zufallenden neuronalen Erregungen nur einen in sich selbst abgeschwächten quasi simultanen Erregungsvorgang wahr, sodaß er den Schmerz als erregenden Kitzel verspürt, der in der neuronalen Pulsfolge in die Nähe erotischer Erregungen rückt. Die Versagung der elementaren Befriedigung, die damit zugleich spürbar wird, hinterläßt das Gefühl vergeblicher Anstiege, wie sie der zeitgenössische Konsument von filmischen Mordgeschichten erlebt. Irrwege sind es deshalb, weil sie vom Wachstum abgewendet die Reste verzehren, die das zerbröselnde Geflecht der urwüchsigen Vermittlungen übrig läßt. Nach der öffentlichen Folter, die nahezu verschwunden ist, wird auch die filmisch simulierte Grausamkeit verschwinden. Friedrichs des Großen Verbot der Folter hat neben politischen Gründen einen moralischen Hintergrund. Moral als Philosophie des Wachstums lehnt Regressionen ab. Wachstum ist jedoch nicht harmonisch, deshalb enthält sie das Element der Disziplinierung, welches vor allem als Korrektiv zivili- satorischer Fehlentwicklungen dient. Mangelnde Disziplin- ierung ist in der suchtähnlichen Nahrungsaufnahme mit dem Fetterwerden der Bevölkerung gekoppelt. Die rigide Monogamie weist in die gleiche Richtung. Die Schwächung der psychologischen Korrektive zeigt sich im systematischen Ausmerzen sexueller Konkurrenzsituationen. Die Ehe liefert den Käfig, der die gefährlichen Konkurrenten draußen läßt. Befördert wird dieser Vorgang durch die Verbesserung der Hirnleistungen in lange haltenden Paarbildungen. Diese und der urwüchsige Triebapparat stehen ebenso im Widerspruch wie das Gehirn zu den Sexualorganen. In glücklichen Einzelnen erfahren die spezialisierten Bereiche : Hirn und Sexual- organe eine wechselseitige Steigerung, in mißglückten eine Schwächung des Individuums insgesammt. Das Todesbewusstsein wird in der Gegenwart als besondere Leistung des menschlichen Bewusstseins und als ein Vorteil in der Evolution gesehen. Der Formenreichtum der Lebewesen in ihrer inneren Struktur läßt aber Zweifel an diesen Deutungen aufkommen. Sowohl ohne als auch mit ahnungsvollem Todesbewusstsein gibt es Organismen, die ebenso lebenstüchtig sind wie der Mensch. Die künstlerische Behandlung des Todes mit den Kunstwerken, die in Literatur, bildenden Künsten und anderen Mitteln zu sehen sind, die Totentempel, Kulte, Pyramiden usw. enthalten artifizielle Anstrengungen, die sowohl das Zufällige wie das Notwendige bei weitem überschreiten. Wenn man die Vorliebe für den Kitzel an der Todesnähe betrachtet, wie er in den frühen Opferritualen, den öffentlichen Hinrichtungen und dem Genuß der Kriminalfilme etwa zum Ausdruck kommt, erscheint das gesammte Getriebe um den Tod als artifizielle Gestaltung. Hinzu kommt eine Wissbegierde, die aus den Phantasien der Todesüberwindung herstammt. Wissen selbst dürfte ästhetische Höhepunkte vermitteln von unterschiedlichsten Intensitäten. Epikur, der den Gegenbeweis für die Existenz des Todes suchte, ist längst unbedeutend geworden, möglichwerweise, weil artistische Spielfelder fast niemals aufgegeben werden. Die Todesvorstellungen haben eine Verwandtschaft mit dem Nichtidentischen, sie sind aber teilweise durch Verding- lichungen doch wieder identisische Elemente. Raum,- Zeit,- Weltraumvorstellungen sind ohne die historisch gewachsene Kultur der Todesvorstellungen kaum denkbar. Der Hinduismus, der das immerwährende Weiterleben lehrt, hat dergleichen nicht hervorgebracht. Die Historizität des Abendlandes und die ahistorische Lebensart der Inder hängen eng mit dem Gesagten zusammen, so wie es Spengler bereits entwickelte. Der Wunsch ein ewiges Leben zu haben und die Todesfurcht sprechen eher für ein Verhängnis als für einen artifiziellen Raum. Aber es muß erinnert werden, dass ästhetische Impulse nicht mit dem Lustprinzip und dem Schönen ausschließlich verwachsen sind. Vielmehr sind alle Triebregungen und Triebtransformationen an ästhetischen Prozessen beteiligt, wenn auch nach derzeitiger Einschätzung ein Überhang von Sublimierung und Lustprinzip dem Ästhetischen zugeordnet wird. Dies ist als statistische Realität möglicherweise zu beweisen. Aber die Mehrheit ist im artifiziellen Aus- druck unterpräsent. Das Neue, Hohe und Artistische tritt meist in Einzelnen Ausnahmetypen zu Tage. Mehrheit ist das der "Normalität" nahestehende, welches selbst aus ab- gesunkenen älteren ästhetischen Regungen zusammengesetzt ist. Höhepunkte sind Ausdruck von Extremen, sie erfordern Tief- punkte, sind zusammen Grundprinzip ästhetischer Prozesse. Nietzsches Baum-Beispiel drückt das aus. Deshalb steht der Lebensfreude die Todesfurcht gegenüber, beide als artifizielle Kreationen des gleichen Lebensprozesses. Leibnitz hat die Seite der Freude betont und in der individuellen unausgesprochenen Einsamkeit den Gegenpol mit aufgezeichnet. In seiner Vermutung und Prophezeiung, es würde alles sich noch weit positiver entwickeln als erwartet wird, steht er der abendländischen Tradition radikal entgegen und wurde deshalb zu Recht des Atheismusses verdächtigt. Denn ein freudevolles Diesseits bedarf keines Jenseits, Kunstwerke sind Formgestaltungen und enthalten beides: Bewegung und Festigkeit. Ästhetische Höhepunkte müssen ebenfalls beides enthalten, wenn auch in anderer Zusammen- setzung. Es erscheint so, dass urtümliche ästhetische Ereignisse und ihre Manifestationen einen größeren Bewegungs- anteil besassen als die in der Zivilisation entstandenen Artefakte. Ob dies nur den Werken zuzuschreiben ist, scheint kaum klärbar. In der menschlichen Geschichte hat die Form- gestaltung gegenüber dem artifiziellen Fluss, wie er in der Orgie und dem Tanz ephemere Werke erschuf, zugenommen. Die Artefakte sind davon gezeichnet. Frühe Ritualgegenstände sind anders als moderne Kunstwerke. Jene sind im ästhetischen Fluss eingebettet und kaum präsent ohne ihn, diese leben aus sich heraus nach ihren inneren Formgesetzen. Sie sind dem Fluss weitgehend enthoben. Die Vorherschaft des sprachlichen Bewusstseins hat den Artefakten gleich die Formpräsenz erweitert auf das gesammte tägliche Leben der Menschen. Sprache und Kunstwerke sind in einer großen Strukturwandlung sich ergänzend am Vorrang des Festen beteilgt. Merkwürdig ist, dass die höchstentwickelten Artefakte: die Mondfahrt, die UNO Organisation, das Internet und ähnliches nicht als Kunstwerke ins Bewusstsein treten, während spektakuläre psychologische Tricks wie das Spiel mit dem Ekel in Theatervorführungen als Produkte der Avantgarde aufgefasst werden. Das sieht weniger nach einem Absterben von Kunst aus, als mehr nach einem Unsichtbarwerden. Dieser Vorgang, vom Sichtbaren ins Verborgene scheint selbst eine neue ästhetische Dimension zu sein. Sie erstreckt sich auf alle Bereiche: Der im Ausland fern vom Publikum verbaute Reichtum, ebenso wie der in unsichtbaren Kontenvermögen an- gehäufte, die nicht zum Publikum gelangenden Bilder und Textwerke und zuletzt die hohen Expressionen sexueller Begegnungen. Letztere waren schon immer grossenteils ver- borgen, aber sie prägten ihre Kulturen, während in der neu- zeitlichen Zivilisation auch ihre sekundären Erscheinungs- bilder den Augen entschwinden. Rilke hat auch dies geahnt, er sagt: "Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar in uns erstehn? - Ist es dein Traum nicht, einmal unsichtbar zu sein? - Erde! unsichtbar! Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?" Das interessenlose Wohlgefallen, welches das Kunstwerk stimulieren soll, ist ein bürgerliches Bedürfnis, welches der arbeitsteiligen Gesellschaft entstammt. Der, insbesondere handelnde Bürger opfert seine Lebenszeit und Vermögen dem Geschäft und dessen spezieller Nützlichkeit. Kunst muss er deshalb streng rationiert konsumieren, und sie soll das, was im Geschäftsleben zu kurz kommt, ihm in effektiver Weise liefern: Entspannung, Freiheit, Ideen und Wohlbefinden. Daraus wird die wohltuende Kunst und der Kunst- genuss, frei von Gewinn und Nutzen. Ein zutiefst nicht- artifizielles Verhalten folgt daraus. Das gründlche Missverständnis der Kunst ist möglicherweise auch im Begriff des Spiels eingegangen. Zu recht ist Adorno dem Spielbegriff gegenüber skeptisch gewesen. Ein freies, interessenloses Spiel ist Ideologie einer verlogenen Frei- zeitkultur, die Rilke wohl gemeint hat in dem Satz: "Der bekannte Garten, und schwankte leise:dann erst der Tänzer. Nicht der, Genug! Und wenn er auch so leicht tut, er ist verkleidet und er wird ein Bürger und geht durch seine Küche in die Wohnung. Ich will nicht diese halbgefüllten Masken, lieber die Puppe. Die ist voll." Das Händlerverhalten, welches billig einkauft um teuer zu verkaufen schlägt auch hier durch: Das Spiel soll nichts kosten, entspannen und hohen Profit in Gestalt von gelungener Freizeit und Wohlbefinden einbringen. Deshalb sind der Begriff der Kunst und der des Spiels im bürgerlichen Bewusstsein so eng verflochten. Problematisch ist die Banauserie, weil sie die Richtung artifizieller Impulse umkehrt und gegen Freiheit abschottet. Über die artifiziellen Höhepunkte ist Kunst verflochten mit der organischen Ebene, die selbst ein schwer erschöpfend zu definierendes Wachstum ist. Deshalb gibt es wohl progressive, lebensfördernde Kunst aber keine klar umreiss- bare destruktive oder bösartige Kunst. Denn in der Geschichte der Organismen sind viele Neuerwerbungen, oft gefährlichster Art in das Wachstum letzendlich integriert worden. Grausamkeit und Folter sind Extreme, deren Boshaftigkeit zweifelsfrei ist. Sie sind zutiefst destruktiv, die Höhepunkte im weitesten Sinne pervertiert. Aber es gibt viele Grenzfälle, deren Thema offensichtlich den Marquise de Sade inspiriert hat. Er hat ja auch neben seinen Greuel- phantasien Staatsutopien beschrieben und gedanklich mit der Überschreitung von Artgrenzen experimentiert. Dass er von minder entwickeltem Bewußtsein wegen des Kitzels, der von Perversionen ausgeht geschätzt wird, ist ein außer- künstlerisches Thema und bestimmt nicht das zentrale. Während die Staatsverwaltungen herausfinden müssen, was dem Zusammenleben schadet und Gift versprüht, muß die ästhetische Theorie sich tiefergehend auch mit un- appetitlichen Artefakten befassen. Sie kann sich ebenso wenig Zimperlichkeiten erlauben wie die medizinischen Wissenschaften. "Der Mensch, das heisst, der Schätzende", sagt Nietzsche und umreisst damit die Frage nach der Gültigkeit objektiver Gegebenheiten der Welt. Ohne die nachträgliche Konstruktion von Ursache-Wirkungsketten ist keine Richtung zu sehen, die als Entwicklung von Natur,- Lebensprozessen und menschlichen Zielrichtungen gültig wäre. Damit ist objektive Anschauung gefährdet in subjektiver Perspektive unterzugehen. Selbst Produktionen wie die Maschinen und Nachrichtengeflechte sind aus objektiven Bedingungen nur insoweit zu verstehen, als der zugrunde liegende subjektive Akt, die Idee, der Plan, die Konstruktion und wie immer es genannt wird, mit gesehen wird. Losgelassene Produktion vermag rein objektiv zu funktionieren. aber sie wäre dann bald am Ende, wie ein Auto, das ausrollt, wenn der Sprit fehlt. Das Hinzutretende oder anders, der aus nicht Definierbarem kommende Impuls, ist überall und ständig zu erwarten. Das steht hinter der mathematischen Unauflösbarkeit von kosmischen und irdischen Naturprozessen. Ästhetische Höhepunkte sind das Wahrnehmbare, der Kern jeden Wachstums, letztlich jeder Veränderung, denn der Prozess selbst, Bewegung, Leben ist verborgen. Die nur nachträglich mögliche Eingliederung in Modelle des Bewusstseins bedingt die Fragilität der Einschätzungen selbst. Es ist gar nicht abzusehen, welche Abirrungen und Katastrophen aus der Rück- schau einer fernen Zukunft gesehen, sich als Wachstumsfaktor erweisen werden. Die Festlegung von Kunst auf angenehm, nützlich, aufklärend, stärkend usw. ist später vielleicht einmal nur als ein ängstliches Gebahren zu verstehen. Kunst verdeckt deshalb so sehr wie sie Einblicke verschafft, nach der gleichen sozusagen Unlogik, mit der Leben und Sterben im Wachstum eingelegt sind. Der Schauder, den das Bodenlose solcher Einblicke bereitet, wird gesteigert durch die Konsequenzen die von einer nicht durch Regeln gesicherten Welt zu befürchten sind. Die schon mehrfach formulierte Befürchtung, die eigene Identität sei vielleicht nur eine Einbildung, während völlig ungewiss ist, was man wirklich ein mal gewesen war, registriert die Wahr- heit über den Mittelpunkt, der Hier ist oder nirgends. Dass man sich nicht im Stande sieht, die Welt selbst zu tragen, auf jener dünnen Schale einer ephemeren Identität, macht das Ausweichen in selbst veranstaltete Beruhigung verständlich, aber es hilft natürlich nicht. Auch der Kandidat in der Todeszelle kann sich nicht wirklich beruhigen mit dem Gedanken, es würde nachher irgendwie weiter gehen. Die erste Grenzfunktion setzt der Identität mit sich selbst Grenzen, die aber durch Nichtdichtigkeit relativiert werden. Grund dafür ist der Vorrang bewegter Strukturen, sodass Festigkeit zum nur temporären Phänomen wird. Die Nicht- mathematisierbarkeit ist eine der Folgen jener Unschärfe, die objektive Gründe hat. Eine mit sich selbst identische Grösse bedeutet in letzter Konsequenz die Auflösung der Bewegung, etwa wie die Leibnitzsche Monade. Ein solches Weltgebilde lebt nicht, es ist nicht existent, denn der einmalige Fall von Identität würde alle Fälle betreffen. Das Spielerische in den Kunstwerken reicht vom Beliebigen bis zur Notwendigkeit, von sinnfreier Freiheit bis zum festen Ziel. Das Planspiel wird in der Regel verstanden als durch- spielen von möglichen Operationen innerhalb realer Situationen. Im Kunstwerk, aber auch im Produktionsprozess der Artefakte sind Planspiele zu sehen, deren Zusammesetzung anders ist. Komplexe, dichte Werke nehmen nicht eine Realität zur Grundlage, wie dies in militärischen Planspielen sein muss, sondern gestalten eine andere hypothetische Realiät bis hin zur Utopie einer anderen Welt. Sie verhelfen dem, was Nichtidentifizierbar ist zum Ausdruck. Da dieser aber den Produktionsprozess als Bedingung in sich trägt, ist das Neue immer auch Teil des Alten. Kunst ist deshalb über weite Bereiche hin ohnmächtig. Die ästhetischen Höhepunkte, deren Erinnerung Kunstwerke wecken, können sich vermöge dieser Erinnerung auch neu ent- zünden. Werke, die diese Funktion haben, sind bei aller spielerischen Freiheit zweckbestimmt. Aber dieser Zweck ist häufig erst im Nachhinein wirksam und liegt dem artifiziellen Prozess nicht unbedingt zu Grunde. Ästhetische Höhepunkte gleichen einem Feuerwerk mit den Folgen der Erhellung und der Vermehrug. Ihre Interpretation als Notwendigkeit im Sinne der Evolutionsgeschichte ist eine unter vielen. Es erscheint so, als sei sie die bedeutenste, aber es könnte auch anders sein. Fragen dieser Art berühren die Möglichkeit von Freiheit, die die weitere Frage nach sich zieht, ob die Enge einer an ästhetischen Eruptionen armen Lebensart aus Notwendigem stammt oder eine selbst gemachte Vanstaltung ist. Spielerisch anmutende Malerei, etwa Miro und Klee beziehen ihre innere Spannung, ihr Ergreifendes daraus, dass in ihnen versunkene Welten des Unterbewussten mit den gegenwärtigen Strömungen des Lebens verschmelzen. Sie sind eine Art Plan- spiel eines in der Enstehung befindlichen Subjekts. Das nicht Ziellose des Spiels, welches doch erscheint als wäre es Freiheit, erzeugt das Faszinierende solcher Werke, jene Sehnsucht nach einem "ich weiss nicht wo", dem Erlösung zugetraut wird. Daraus folgt: Freiheit will mehr als nur Befreiung. Es steht immer irgend eine Art Geburt dahinter, die selbst eine der stärksten ästhetischen Eruptionen ist. Stellvertretend für das neu geborene Subjekt stehen die Arte- fakte zugleich innerhalb des Stroms als Vorauswürfe künftiger Eruptionen und ausserhalb als Feuerwerk im Niemandsland, welches vielleicht einmal bewohnt wird, möglicherweise auch nie. Aus dem Blickwinkel unvollendeter Wesen sind die fertig ent- wickelten nicht vollständig zu erkennen. Ebenso geht es wahr- scheinlich mit den Artefakten und neuen ästhetischen Höhepunkten. Selbst wenn es im Weltraum ausgedehnte, über Sternensysteme und Galaxien erstreckte Wesen gäbe, würden sie kaum erkannt. Bereits der Gedanke daran ist selten ohne mystischen Unsinn denkbar. Im Bereich der Höhepunkte ist das Erstaunen des Europäers zu erinnern, welches er beim ersten Kennenlernen der pazifischen Inselvölker zeigte, deren erotische Freiheiten er nicht verdauen konnte oder missverstand. Auch die polygamen Liebes- spiele im Tierreich werden nicht völlig begriffen, denn sie sind dem Europäer wohl verschlossen. Eine andere Frage ist, ob fremdartige Erscheinungsbilder analysiert werden können. Es werden denn auch analytische Betrachtungen von Kunstwerken für Kunstverstand gehalten. Die Leere in zufallsgesteuerten Lichtspielen, in Optical-art, Zwölftonmusik, Dadaismus usw. zeigt die Verflochtenheit des Individuums mit seinen Produkten und die Unentrinnbarkeit aus der subjektiven Perspektive durch Abstinenz vom Ergreifenden. Kunst gleicht dem ästhetischen Höhepunkt, indem sie wie dieser das Individuum, erfasst, durchdringt, erhebt und er- schüttert. Die Abwesenheit der Höhepunkte, selbst ein Thema der Artefakte, wirft grelles Licht auf diese Zusammenhänge. Die Einsamkeit in Sartes "Der Ekel" lässt durchschimmern, was fehlt und deutet damit ein utopisches Moment an, was sein könnte, ähnlich dem flüchtigen sich Anblicken zweier Liebender, die sich unbekannt sind und nie begegnen. Die Leere hat aber neben ihrer Funktion als vorkreativer Raum auch einen Aspekt, der im Alltag als Langeweile sich bemerkbar macht. Wo diese zum Thema der Gestaltung wird, klärt das Werk auf, wo es nebenbei Langeweile erzeugt, gehört es manchmal zu den entkunsteten Produkten, die ähnlich den ehemals bedeutenden gemalten Psychogrammen Picassos einmal die Welt veränderten und dann zu dekorativen Schalen, vor- nehmlich in Wartezimmern oder Schulbüchern verflachen. Im gleichen Sinn hat Adorno einmal bemerkt, dass Boudelaires Böses längst von der Wirklichkeit überholt worden sei und es damit harmlos wurde. Es ist die Grenze der Artefakte, dass ihre Verdinglichung sie aus dem Fluss ästhetischer Höhepunkte in neue Dimensionen heraushebt, und dass sie zugleich trotz materieller Halt- barkeit zerfallen. Objektivität erweist sich hier wieder als eine überdeckte subjektive Perspektive, die auf dem Boden einer gleich- geschalteten psychologischen Verfassung der Menschen als vom Subjekt unabhängige Realität erscheint. Die Entdeckung der Entfremdung beruhte ursprünglich auf den Erfahrungen der industriellen Arbeitsteilung. Die monotone Arbeit an den Maschinen und die Vorherrschaft der Tausch- verhältnisse machte den Verlust einer noch nahe an ältere, scheinbar natürlichere Lebensverhältnisse orientierte Lebensart spürbar. Der Kommunismus hat dann die Umwälzung der Produktivkräfte als Weg zum Besseren gesehen. Aber bereits in Marxens Mitstreiter Engels kamen massive Zweifel auf, ob mit den kommunistischen Programmen wirklich die Wurzel des Übels erfasst worden wäre. Seine früh von seinen Mitstreitgenossen aussortierten Gedanken über die utopische Form der Liebesverhältnisse waren einem Sachverhalt auf der Spur, der längst vor dem Kapitalismus auf elementarer Ebene die Grundlagen zu Entfremdungen geschaffen hatte. Der Streit zwischen dem am Realitätsprinzip orientierten Bewußtsein und den urtümlichen Bedürfnissen der Sexualorgane reicht zurück bis in die frühen Stammesbildungen, die nur auf Kosten einer reglementierten Sexualität, wie Stammesehe und später Mono- gamie möglich wurden. Wohl hatten Häuptlinge und andere Privilegierte sich ältere Freiheiten in Form der Vielweiberei erhalten. Aber die Frauen waren auch da schon von ihren ur- wüchsigen Befriedigungen abgeschnitten. Vielmännerei fiel als erstes den neuen Gesellschaftsformen zum Opfer. Diese Rückschau kann den Gang der ästhetischen Prozesse sichtbar machen. Sie waren zunächst innere, verborgene Vorgänge, wie die meisten Lebensregungen der Organismen es sind. Kunst und Rituale, Fetisch und Visionen gehören in die Reihe der Reaktionsbildungen auf die beginnende Zivilisierung der Menschen in den Stämmen. Sie wurden ausgedrückt in sicht- baren Artefakten, weil die unsichtbaren Höhepunkte zurück- gedrängt wurden. Der innere Platz war versperrt, also traten diese verwandelt nach außen, vielleicht beflügelt von der Hoffnung wieder als Befreiung zurückzuweisen, Wege ins Innere zu eröffnen. Dies macht sowohl den Kern der Entfremdung wie auch der Sehn- sucht aus. Vereinzelt wurden in Ausnahmesituationen und Ausnahmetypen beide artifiziellen Welten entfaltet. Sie haben aber den Gang der Gesellschaften in der Geschichte nicht verändert sondern nur begleitet. Etwas Unzutreffendes haftet aber auch den eben entwickelten Modellen an. Ästhetische Höhepunkte sind Teil des allgemeinen Wachstums. Insofern sind die extatischen Möglichkeiten neben und unterhalb der Triebregulierungen mit gewachsen, und manches, was als Triebunterdrückung erscheint, hat an seiner historischen Ausgangsebene nicht ästhetische Eruptionen gehabt, die abgeschwächt worden sind, sondern unentfaltete, kleinere und schwächere Formen, aus denen im Widerstreit mit der Zivilisation große Triebereignisse geworden sind. Nicht von ungefähr werden die farbigsten sexuellen Ausdrucksformen den sogenannten Decadenzperioden alter Hochkulturen zugerechnet. Obwohl die arbeitsteilige Gesellschaft ihre grossen Er- werbungen auf Enklaven begrenzt und die Fähigkeiten parcelliert, sind nicht nur die Artefakte größer geworden, sondern auch die Eruptionen. ----------------